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Die überarbeitete Jubelausgabe mit Bonuskapitel Wie weit wird sie gehen, um ihr Herz zu schützen? Ein halbes Jahr ohne Dates, ohne Männer und vor allem ohne sich neu zu verlieben. Das ist Mollys Plan, denn sie hat eine schwere Zeit hinter sich und kann es sich nicht leisten, ihr Herz an den Falschen zu vergeben. Als sie jedoch von einem Wasserschaden aus ihrer Wohnung vertrieben wird, hat sie keine andere Wahl, als bei Troy einzuziehen, einem verdammt gutaussehenden Handwerker. Ungewollt entdeckt sie die Narben aus seiner Vergangenheit und fühlt sich immer mehr zu ihm hingezogen. Doch Troy gehört genau zu der Sorte Mann, von der Molly sich unbedingt fernhalten muss ... Die umwerfende Small-Town-Romance von Bestsellerautorin Sarah Stankewitz Tropen: Forced Proximity, Small Town, Found Family
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Lovely Mistake
Sarah Stankewitz lebt mit ihrem Freund in einer kleinen Stadt am Rande von Brandenburg. Seit ihrem Debütroman im Januar 2015 lässt sie ihrer Fantasie freien Lauf und ist immer wieder auf der Suche nach neuen Inspirationsquellen. Musik, Kerzen und ein bequemer Arbeitsplatz dürfen im Hause der Autorin ebensowenig fehlen wie eine leckere Tasse Kaffee. Ihre Geschichten spiegeln das wider, was sie sich stets von einem guten Roman erhofft: Liebe, Leidenschaft und eine Prise Humor.
Wie weit wird sie gehen, um ihr Herz zu schützen? Ein halbes Jahr ohne Dates, ohne Männer und vor allem ohne sich neu zu verlieben. Das ist Mollys Plan, denn sie hat eine schwere Zeit hinter sich und kann es sich nicht leisten, ihr Herz an den Falschen zu vergeben. Als sie jedoch von einem Wasserschaden aus ihrer Wohnung vertrieben wird, hat sie keine andere Wahl, als bei Troy einzuziehen, einem verdammt gutaussehenden Handwerker. Ungewollt entdeckt sie die Narben aus seiner Vergangenheit und fühlt sich immer mehr zu ihm hingezogen. Doch Troy gehört genau zu der Sorte Mann, von der Molly sich unbedingt fernhalten muss ... Die Geschichte von Molly und Troy, für alle Fans von »Perfectly Broken«.
Sarah Stankewitz
Forever by Ullsteinforever.ullstein.de
Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 1. Auflage August 2020© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin 2025Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an [email protected]: Favoritbüro, MünchenTitelabbildung: © shutterstock/ Zamurovic BrothersAutorenfoto: © Tina WendtE-Book powered by pepyrusISBN 978-3-95818-581-4
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Das Buch
Titelseite
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Bonuskapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Leseprobe: The Right Kind of Wrong
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Prolog
Der vertraute Geruch meiner Kindheit ist das Erste, was ich wahrnehme, als ich den Flur betrete und die Tür leise hinter mir zufallen lasse. Da ich nicht sicher bin, ob sie schläft, will ich nicht unnötig Krach machen. Ich schlüpfe aus meinen Boots und stelle sie neben ihre Turnschuhe, weil ich weiß, dass sie Ordnung fast genauso sehr liebt wie mich. In der linken Hand balanciere ich den Kuchen, den ich heute Morgen noch in aller Eile zusammengemischt habe, und gehe in Richtung Schlafzimmer. Als ich an dem ovalen Spiegel mit dem weißen Rahmen vorbeikomme, erschreckt mich mein Abbild. Meine weißblonden Haare hängen platt an meinem Kopf, und meine grünen Augen sehen furchtbar müde aus. Die letzten Wochen sind definitiv nicht ohne Spuren an mir vorbeigezogen. Ich fühle mich nicht mehr wie eine Fünfundzwanzigjährige, sondern wie eine Frau in den Vierzigern.
Die gelben Wände im Flur haben früher immer ein Gefühl der Wärme in mir erzeugt. Nur, dass der Wärme jetzt ein kalter Schauer folgt, weil ich weiß, dass mich im nächsten Raum dunkle Regenwolken erwarten.
Sachte schiebe ich die Schlafzimmertür auf und sehe sie im Bett liegen. Die Decke hat sie bis zum Hals gezogen, ihr Gesicht ist dem Fenster zugewandt, das zum Wald hinter dem Wohnhaus hinausführt. Es war ihr immer wichtig, als Erstes in die Natur zu schauen, wenn sie wach wird.
»Hey, Mom.«
Ich tapse auf ihr Bett zu, um zu sehen, ob sie schläft, doch als ich vor ihr stehe, schlägt sie ihre Lider langsam auf. Ihre Augen haben dieselbe grüne Farbe wie meine. Der einzige Unterschied liegt in den Falten, die ihre Lider umranden.
»Molly, Schatz.« Mom rappelt sich auf, streckt ihre Arme nach mir aus, und ich gebe ihr einen etwas zu feuchten Kuss auf die Wange. Sie verzieht lächelnd das Gesicht. Ich liebe diesen Ausdruck.
»Ich hab dir was mitgebracht.« Stolz hebe ich den Kuchen in die Höhe, nehme den durchsichtigen Deckel ab und halte ihn meiner Mutter hin.
»Sieht gesund aus.« Mom rümpft ihre Nase, und ich weiß genau, wieso. Sie hätte viel lieber einen fettigen Schokoladenkuchen mit einem Haufen Streuseln gehabt. Stattdessen gibt es heute einen kalorienreduzierten Karottenkuchen voller Vitamin A.
»Ist er auch. Kein Zucker, kein Weißmehl, nichts Ungesundes!«
Ich schiebe den Arm meiner Mutter zur Seite und setze mich an ihr Bett. Dass sie einen schwachen Tag hat, sehe ich sofort. Meistens kann ich innerhalb weniger Sekunden erkennen, wie es ihr geht. Heute liegen tiefe Schatten unter ihren Augen, ihre Haut ist blass, und ihre Lippen wirken ganz trocken, weil sie vermutlich nicht die Kraft hatte, sich selbst ein Wasser aus der Küche zu holen.
»Klingt, als hätte mein Arzt dir den Auftrag gegeben, mich zu vergiften, damit ich das Krankenhaus kein Geld mehr koste, wenn der Krebs zurückkommt!« Mom ringt sich ein Lachen ab, aber es ist schwächer als sonst. Über ihren Witz kann ich nicht lachen.
»Das war keine Anweisung von Dr. Miller, Mom. Aber glaub mir, das Letzte, was du jetzt gebrauchen kannst, sind Kalorienbomben, die deine Arterien verstopfen.« Schon als meine Mutter die Diagnose bekam, habe ich mich darüber informiert, wie man den verdammten Krebs am besten bekämpfen kann. Natürlich stand an erster Stelle eine Chemotherapie. Die Auswirkungen sieht man allzu deutlich, immerhin ist sie erst seit einigen Tagen wieder zu Hause.
Ich glaube, dass es für meine Mutter am schlimmsten war, ihre Haare zu verlieren. Die Übelkeit und die Schmerzen hat sie wie eine Kämpferin weggesteckt, aber als die ersten Haarbüschel in ihrer Bürste hängen blieben, hatte sie einen Nervenzusammenbruch. Beim Gedanken daran bekomme ich eine Gänsehaut. Ich war es, die sie im Badezimmer des Krankenhauses am Boden gefunden hat. Sie krallte sich an der Bürste fest und deutete weinend auf die zahlreichen Haare, die auf den Fliesen neben ihr lagen.
»Du hast ja recht. Holst du mir eine Gabel? Ich bin am Verhungern. Im Augenblick würde ich Karotten auch pur essen!« Dieses Mal wirkt ihr Lächeln schon stärker, also stelle ich den Kuchen auf ihrem Nachttisch ab, laufe schnell in die Küche und fische uns zwei Kuchengabeln aus dem Besteckkasten. Anschließend gieße ich ihr noch ein Glas Wasser ein. Als ich wieder bei ihr bin, ein Stück abtrenne und ihr die Gabel reiche, schnuppert sie an dem Teig und schiebt ihn sich zögernd in den Mund.
Ihr darauffolgendes Seufzen macht mich sofort stolz.
»Oh mein Gott, Molly!« Als hätte ihr dieser Bissen neue Kraft gegeben, setzt sie sich auf und schnappt sich ein weiteres Stück.
»Wie kann ein Kuchen, der gesund ist, so unfassbar lecker sein? Und da ist wirklich kein Löffel Zucker drin?«
»Nein, nur Datteln. Dadurch ist er auch so süß.« Die Leidenschaft fürs Backen haben Mom und ich schon immer geteilt. Weihnachten war unsere liebste Zeit im Jahr. Auch wenn wir fast immer nur zu zweit waren, während alle anderen mit ihren Großfamilien zu Hause saßen, hatten wir mehr familiären Zusammenhalt als die meisten Menschen. Wir haben gemeinsam unsere Leidenschaft ausgelebt und gebacken.
»Du bist wirklich eine begnadete Bäckerin!« Noch ein Stück verschwindet in ihrem Mund, und langsam kehrt wieder Farbe in ihr Gesicht zurück. Meistens braucht meine Mutter ein paar Minuten, um aufzutauen. Heute ging es ziemlich schnell. Die Regenwolken im Raum lichten sich merklich, und die Sonnenstrahlen aus dem Flur dringen herein.
»Ich habe ja auch von der besten Bäckerin gelernt.« Nämlich von dir.
»Aber genug vom Kuchen geschwärmt!« Sie legt die Gabel auf den Nachttisch und greift nach meiner Hand. Ihre ist kalt, meine hingegen meistens so heiß wie ein Taschenwärmer. Im Krankenhaus habe ich oft stundenlang an ihrem Bett gesessen und ihre kühlen Hände gewärmt. Die Dankbarkeit in ihrem Blick war die beste Bezahlung.
»Was machen die Amerika-Vorbereitungen? Hast du dich schon entschieden, ob du einen oder zwei Koffer mitnimmst?«
Während es meiner Mutter scheinbar Freude bereitet, über meine anstehende Reise zu reden, macht sich Unbehagen in mir breit. Diesen Trip habe ich schon vor einem Jahr geplant und gebucht, doch die letzten Wochen haben alles verändert. Jetzt kommt mir der Gedanke, so viele Flugstunden von meiner kranken Mom entfernt Urlaub zu machen, falsch vor.
»Ehrlich gesagt habe ich mich noch nicht damit befasst. Im Café war so viel los.«
»Und was ist der wirkliche Grund?«
Pech, dass meine Mutter immer erkennt, wenn ich Ausreden liefere, um mich vor der Wahrheit zu drücken. Ihr Mundwinkel schiebt sich nach oben, wobei ihre Lachfältchen noch stärker betont werden. Auch wenn ich meine junge Haut liebe, freue ich mich schon darauf, die ersten Falten zu bekommen. Sie erzählen Geschichten. Sie zeigen, dass man gelebt hat. Lachend. Weinend. Schreiend. Kreischend und schrill. Glatte Haut ist sterbenslangweilig.
»Du bist erst seit ein paar Tagen aus dem Krankenhaus raus und hast die Chemo hinter dir. Ich sollte bei dir sein. Also habe ich die Reise gecancelt. Und bevor du jetzt an die Decke gehst: Ja, ich habe ausführlich darüber nachgedacht und bereue meine Entscheidung nicht.«
»Oh, Molly!«
Ich weiß nicht, wann ich meine Mutter das letzte Mal so energisch gehört habe. Es scheint Jahre her zu sein, dabei ist sie erst seit einigen Monaten krank. Ich war immer ein Mensch mit einem guten Zeitgefühl, aber das hat sich seit der Diagnose drastisch verändert. Jetzt fühlen sich Tage manchmal wie Wochen und Sekunden wie Stunden an. Vor allem im Krankenhaus. Dort hat man oft das Gefühl, die Zeit stünde still.
»Du wolltest schon nach Amerika, da warst du noch ein kleines Mädchen mit Pippi-Langstrumpf-Zöpfen und einer Zahnlücke! Du hättest dir diese Gelegenheit nicht meinetwegen entgehen lassen dürfen.«
»Und wer wäre hergekommen, wenn es dir schlecht geht? Wer hätte das Café geschmissen, wer –«
»Meine Pflegerin kommt doch ohnehin jeden Tag mindestens ein Mal her! Und Brooklyn hat dir versichert, dass sie das Coffee with Art schmeißt, während du weg bist. Es wären doch nur vier Wochen gewesen, Molly. Und die hast du dir wirklich redlich verdient.«
Mom hat recht – meine beste Freundin hat mir hoch und heilig geschworen, dass sie das hinbekommt, und doch habe ich mich entschieden, die Reise in letzter Sekunde abzusagen. Auch wenn mein Herz dabei geblutet hat.
Ich klettere über meine Mutter auf die leere Bettseite und lege mich neben sie. Anschließend rolle ich mich ein und bette meinen Kopf an ihre Schulter. »Es ist ja nicht so, dass Amerika aus der Welt wäre. Ich kann immer noch nächstes Jahr hinfliegen. Oder im Winter. Schließlich soll New York auch im Schnee bezaubernd sein.«
»Du und Schnee? Ich kenne keinen Menschen auf diesem Planeten, der Schnee mehr hasst als du. Als Kind wolltest du immer auf die Malediven auswandern.«
Wir liegen dicht an dicht auf dem großen Bett und lachen leise. Früher war das Lachen meiner Mutter das schrillste und bunteste, das ich je gehört habe. Inzwischen ist es leiser geworden. Aber wie soll man ohne Energie auch kraftvoll lachen?
»Aber ich weiß ja, dass du stur bist und dich nicht davon abbringen lassen wirst. Du sollst nur wissen, dass es für mich in Ordnung gewesen wäre.« Sie seufzt.
»Ich weiß.«
Einige Augenblicke lang liegen wir nebeneinander und genießen, dass wir uns haben, bevor meine Mutter ein Thema anschneidet, das ich am liebsten aus dieser Wohnung verbannen würde. Fenster auf – Thema raus – Fenster zu.
»Und was macht die Männerwelt?«
Ich rolle mit den Augen. Mein Blick wandert nach draußen zu dem schönen Sommertag. Meistens regnet es auch in den warmen Monaten in England, aber heute nicht. Heute strahlt die Sonne stärker als in den letzten Wochen.
»Was soll die schon sagen? Sie nervt mich. Und ich würde sie am liebsten komplett ausrotten!« Seit meiner mittlerweile zweiten Trennung von Bryan läuft es nur noch schleppend in diesem Bereich. Wenn es nach mir ginge, würde ich nie wieder einen Gedanken an ihn verschwenden. Geschweige denn daran, wie unsere Beziehung in die Brüche gegangen ist und wie er mich behandelt hat.
Mom streicht durch mein Haar. Jedes Mal, wenn sie das macht, fühle ich mich, als wäre ich wieder die kleine Molly, die zum ersten Mal Liebeskummer hat. Dabei habe ich mittlerweile aufgehört zu zählen, wie oft mir das Herz gebrochen wurde. Die meisten Männer, die ich in mein Herz gelassen habe, waren nur dort, um Schaden anzurichten. Und dieser Schaden hat am Ende dafür gesorgt, dass ich davongerannt bin, wenn es ein Mann wirklich ernst mit mir meinte. Es ist, als wäre ich in einem Teufelskreis gefangen. Dumm nur, dass ich die Tür nach draußen noch nicht gefunden habe.
»Du gehst zu verbissen an die Sache heran, mein Schatz.«
Ich schiele zu meiner Mutter hoch. Mittlerweile habe ich mich an ihr blaues Kopftuch gewöhnt, aber trotzdem sehe ich sie gedanklich immer noch mit blonder Mähne vor mir. Sie war für mich stark wie eine Löwin. Mom war immer bereit, für mich zu kämpfen, jetzt bin ich an der Reihe, dasselbe für sie zu tun. Und da passt eine Beziehung einfach nicht rein, genauso wenig wie eine Reise auf einen anderen Kontinent. Ich muss mich auf meine Mom und ihre Gesundheit konzentrieren, und das kann ich nicht, wenn ich mich von irgendwelchen Typen ablenken lasse, die ohnehin nichts Ernstes suchen.
»Verbissen? Ich würde eher sagen, ich gehe genau richtig an die Sache heran. Was bringen mir Männer in meiner Wohnung – außer dreckigen Socken auf dem Boden, Bartstoppeln im Waschbecken und Schnarcher nach dem Sex? Richtig: schlaflose Nächte nach dem Sex!«, rede ich mich in Rage, weil ich weiß, dass meine Mutter ohnehin gleich etwas tun wird, um mich zu stoppen. Sie wollte immer, dass ich die Dinge rationaler betrachte, aber ich handle meist aus dem Bauch heraus. Ich sage, was ich denke, wann ich es denke. Eine Eigenschaft, die mich schon oft in brenzlige Situationen gebracht hat.
»Ja, verbissen. Ein Partner könnte dir viel mehr bringen als das.«
Wie kann sie so überzeugt klingen, wo sie meine Geschichten doch in- und auswendig kennt? Auf meinem Herzen prangen zu viele Wunden, die immer noch nicht geheilt sind. Zu oft habe ich mich voll und ganz auf ein Leben mit einem Mann eingelassen und mich dabei selbst verloren. Vor allem aber habe ich aufgehört, für mich einzustehen. Mein Ex-Freund hat mir den Gnadenstoß gegeben.
Ich drehe mich auf die Seite und ziehe die Brauen hoch. Anschließend schiebe ich meine Brille wieder an die richtige Position, weil sie heruntergerutscht ist. »Und was zum Beispiel? Erleuchte mich, Buddha!«
Meine Mutter schaut an die Decke, als würde die Antwort da auf sie warten. Doch als ich ihrem Blick folge, sehe ich nur eine langweilige weiße Wand. Keine spirituellen oder erleuchtenden Antworten auf meine Frage.
»Es gibt nicht immer nur die schlechten Seiten und grauen Tage, sondern auch Momente, in denen du vor lauter Konfetti in deinem Bauch gar nicht klar denken kannst. Außerdem kann dir der richtige Partner helfen, die Liebe zu dir selbst zu finden. Indem jemand da ist, der dir einen Spiegel vorhält, kannst du erkennen, wie viele gute Seiten du hast.« Mom klingt genauso weise, wie ich es erwartet habe. Auch wenn ich über ihre Worte gerade nur den Kopf schütteln kann. Anstelle von Konfetti hatte ich dank Bryan Rasierklingen im Bauch. Allein beim Gedanken daran, wie unser letztes Treffen ausgegangen ist, wird mir übel.
»Ich weiß auch ohne Partner, dass ich eine Knallerfrau bin!«, halte ich dagegen und zwinkere ihr zu, als sie mich wieder ansieht. Stolz glimmt in ihren Augen auf.
»Und doch wünschst du dir, dass da jemand wäre. Ich kenne dich, Molly. Ich kenne dich besser als sonst jemand auf dieser Welt. Und ich weiß, dass du hinter dieser Schale eine Romantikerin bist, das habe ich dir vererbt!«
Allein beim Wort Romantik dreht sich mir der Magen um, und ich würde mir am liebsten einen Finger in den Hals stecken. Vielleicht kennt meine Mutter doch nicht jeden Teil von mir.
»Als kleines Mädchen hattest du immer den Traum, einmal am Strand zu heiraten. Nur du und dein Auserwählter. Mit einem weißen Schimmel am Strand entlangzureiten. Wenn das nicht nach Romantik schreit.«
»Wenn ich mich auf ein Pferd setze, sterbe ich nach wenigen Schritten, weil es mich herunterwirft und ich mir das Genick breche! So romantisch klingt es also nicht, wenn du mich fragst. Eher tragisch.« Seufzend rolle ich mich zurück auf den Rücken.
»Vielleicht hast du recht, und da draußen gibt es irgendjemanden, der mir all diese Gefühle geben kann und nicht nur mit mir spielt. Aber Bedford liegt wortwörtlich am Arsch der Welt. Die einzigen Männer, die hier brauchbar sind, sind vergeben oder uralt!«
»Es gibt für jeden Menschen den Richtigen. Auch in einer Kleinstadt wie unserer.«
»Den Richtigen«, spotte ich. »Wie soll man denn bitte den Richtigen erkennen? Tragen die richtigen Männer etwa einen Zettel auf der Stirn?« Zufrieden höre ich, dass Mom sich noch eine Gabel des Karottenkuchens in den Mund schiebt. Tage, an denen sie Appetit hat, sind gute Tage. Besser als die meisten.
»Bei deinem Vater und mir war es ein Funke. Eine Berührung, so zaghaft, dass ich sie fast nicht gespürt hätte. Und doch war das Gefühl so mächtig, dass ich mich ihm nicht entziehen konnte.«
Schon oft habe ich die Geschichte über das Kennenlernen meiner Eltern gehört. Meine Mutter kellnerte in einer Bar, bevor sie das Coffee with Art eröffnete, und mein Vater war dort jeden Freitag Stammgast mit seinen Freunden. Irgendwann hat er ihren Arm flüchtig berührt, und es hat sie durchzuckt, da wussten sie es einfach. Sie gingen noch am selben Wochenende miteinander aus und waren seitdem unzertrennlich.
Zwei Jahre später wurde ich geboren. Fünf Jahre später verstarb mein Vater und hat uns allein zurückgelassen. Auch wenn ich ihn nur fünf Jahre lang kannte, war er mein Held. Sein Tod hat Mom und mich noch enger zusammengeschweißt. Das war das einzig Gute an unserem Schicksal. Ich habe versucht, das Licht in der Dunkelheit zu sehen, weil ich die beste Lehrerin darin hatte.
»Ich spüre diesen Funken immer viel zu schnell, Mom. Wenn es danach geht, hätte ich schon zwanzig Mal den Richtigen an meiner Seite gehabt.«
Eine Gänsehaut wandert über meinen Körper, wenn ich an meine letzte Trennung denke. Gedankenversunken reibe ich über die Stelle an meinem Unterarm, die ich wochenlang unter langen Pullovern versteckt gehalten habe. Mittlerweile trage ich keine Spuren mehr davon. Zumindest nicht äußerlich.
»Du redest von sexueller Anziehungskraft, mein Schatz. Ich rede von emotionaler Anziehung.«
»So was hab ich noch nie bei einer simplen Berührung gespürt«, murmle ich.
»Dein Traummann fällt nicht einfach vom Himmel, Molly. Gib der Sache Zeit.«
Zeit … vielleicht ist es das, was ich brauche. Aber nicht so, wie meine Mutter denkt. Es ist, als würde mir in dieser Sekunde ein Licht aufgehen. »Ich hab’s!« Euphorisch springe ich auf und setze mich im Schneidersitz vor meine Mutter. Gespannt sieht sie mich an. »Ich habe die perfekte Idee, wie ich endlich wieder mehr zu mir selbst finden kann!«
»Na, dann lass mal hören.«
Wieder schiebt sie sich eine Gabel in den Mund und seufzt beim Geschmack meines Kuchens. Draußen wird es immer heller, und die hellgrünen Tapeten werden in ein schönes Licht getaucht.
»Wenn ich wieder mehr bei mir ankommen will, darf ich nicht länger im Außen nach Liebe suchen. Weißt du, wie viele unangenehme Verabredungen ich in den letzten Jahren über mich ergehen lassen musste?«
»Worauf willst du hinaus, mein Schatz?«
»Ich werde jetzt ein halbes Jahr lang keinen Mann mehr daten. Egal, wie alt, wie jung, wie attraktiv oder nicht. Keine Dates! Ich werde nicht mal mehr einen Kerl berühren, der mir gefällt.« Okay, vielleicht ist das ein wenig zu dramatisch, aber ich war schon immer etwas exzentrisch und liebe es, mich selbst herauszufordern.
Meiner Mutter entgleisen die Gesichtszüge.
»Ich weiß, was du jetzt denkst, Mom. Du möchtest, dass ich auf diesen Funken warte, als würde mein Leben davon abhängen. Aber vielleicht bin ich diese Suche einfach leid. Vielleicht muss ich mich auf mich konzentrieren. Nur auf mich. Keine Männer, die mich ablenken. Keine Dates, die mir den letzten Nerv rauben. Keine One-Night-Stands, die sich dann nie wieder bei mir melden und denen ich hinterherrenne.«
Keine weiteren Narben mehr, weil die Berührungen, die ich mir von einem Mann wünsche, nur eine Illusion sind. Je mehr ich mich in Rage rede, desto besser gefällt mir der Gedanke daran, mich in den nächsten sechs Monaten nur auf mich zu konzentrieren. Wie entspannt muss es sein, nicht mehr zu suchen? Die Gesellschaft kann mich mal, wenn sie denkt, dass eine Frau nur in einer Partnerschaft glücklich sein kann.
»Du bist wirklich unverbesserlich, weißt du das?« Mom schüttelt über meinen Entschluss den Kopf, aber er hat sich schon in mir festgesetzt.
Ich sehe meine Absage der New-York-Reise in neuem Licht. Wie ich mich kenne, hätte ich mich vermutlich in New York Hals über Kopf in eine Urlaubsbekanntschaft verliebt. Und dann wäre ich gefühlsmäßig abhängig von jemandem geworden, der auf der anderen Seite der Welt lebt. Nein danke!
»Ich habe noch nie so klargesehen wie jetzt, Mom. Danke!« Ich werfe mich in ihre Arme. Sie riecht nach einer Mischung aus ihrem Parfum und Krankenhaus. Den bitteren Geruch von beidem ignoriere ich und konzentriere mich auf den guten.
»Die nächsten Monate werden für mich sein. Und ich werde mich nicht in irgendwelche Abenteuer stürzen und hinterher mit einem gebrochenen Herzen nach Hause kommen.« Ich spüre regelrecht, wie meine Augen strahlen.
Das liebevolle Grinsen meiner Mutter trifft mich mitten in die Brust.
»Aber Molly.« Sie greift meine Hand und drückt sie fest, wobei ich ihre wieder mit meiner wärme. Es erinnert mich an die Nächte im Krankenhaus, die so viele Tränen mit sich gebracht haben. Heute in ihrem Bett, in diesen sicheren vier Wänden, in denen ich alles sein darf, sind die Tränen fast vergessen.
»Versprich mir, dass du deine Regel brichst, wenn du merkst, dass es an der Zeit ist. Wenn du jemanden triffst, bei dem du den Funken erahnst … brich sie einfach. Okay?« Innerlich sträube ich mich, ihr dieses Versprechen zu geben, doch dann ergänzt sie: »Du wirst deiner kranken Mutter doch wohl keinen Wunsch abschlagen!«
Sie spielt nicht nach meinen Regeln und setzt mich schachmatt. Die ersten Tränen drängen sich in meine Augenwinkel, obwohl ich bis eben so stark war. Manchmal vergesse ich, dass sie immer noch nicht über den Berg ist und der Krebs jederzeit wiederkommen kann. Er ist wie eine tickende Zeitbombe.
»Kann ich nicht«, antworte ich ehrlich.
Mit zuversichtlichem Blick widmet sie sich wieder dem Kuchen, während ich sie ansehe. Es gab immer nur Mom und mich. Nur uns zwei. Diese Wohnung war immer unser sicheres Nest, der Ort, an dem wir uns entfalten konnten, nur wir beide. Der Gedanke, dass sie vielleicht bald nicht mehr da sein könnte, lässt die Regenwolken wieder aufziehen.
Ich sitze mit meiner Mutter auf dem Bett, und sie lächelt. Doch ich traue dem Frieden nicht. Die Angst und die Traurigkeit sind noch zu gegenwärtig. Angst davor, dass sie mir nach dem Kampf der letzten Wochen entrissen werden könnte. Und die Traurigkeit, die mit ihren dunklen Krallen darauf wartet, mich einzunehmen.
Ihre Bitte kommt mir wieder in den Sinn, also rutsche ich neben sie und drücke ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich verspreche dir, dass ich die Regel breche, wenn es an der Zeit dafür ist.«
Ich genieße es, hier bei ihr zu sein und mich so zeigen zu dürfen, wie ich bin. Verletzlich. Wenn ich nach draußen gehe, muss ich wieder stark sein, aber in diesem mintgrünen Paradies ist keine Maske notwendig.
Einige Wochen später
Die Lichter im Club erdrücken mich fast, als ich über den glänzenden Marmorboden stolziere und mich umsehe. Links neben mir befindet sich eine Lounge mit cremefarbenen Sofas und bequem aussehenden Sesseln. Auf der rechten Seite tummeln sich zahlreiche Junggesellen in albernen Shirts, die auf der Tanzfläche anstoßen.
Ich presse mir meine schwarze Handtasche dicht gegen den Körper, damit sie mir niemand entreißen kann, schlendere an den zwei voll besetzten Tresen vorbei und lasse mich an der freien Bar nieder. Der Hocker ist mit rotem Samt bezogen und fühlt sich weich an.
Heute ist der letzte Tag von meinem Wochenendtrip in London, bevor ich morgen wieder nach Bedford fahre, also wollte ich meinen Abend in der Hauptstadt mit Stil verbringen. Ich trage mein weinrotes Kleid, das sich hauteng an mich schmiegt und in der Mitte meiner Oberschenkel endet. An der Seite befindet sich ein gewagter Schlitz, und mein Ausschnitt ist nicht von schlechten Eltern. Eigentlich hatte ich nicht vor, ein Kleid einzupacken, weil ich nur im Wellnesshotel entspannen wollte. Jetzt bin ich meiner Mutter dankbar, weil sie mich überredet hat, mal wieder auszugehen. Meine Lippen glänzen von dem roten Lippenstift, und mein Haar ist lockig, sodass es jetzt knapp über meinen Schultern endet.
»Hallo, Schönheit.«
Der Barkeeper reißt mich aus meinen Gedanken, und als ich ihn ansehe, bleibt mir kurz der Atem weg. Das hier ist mit Abstand der attraktivste Mann, den ich in den letzten Wochen gesehen habe. Seine Haare sind schulterlang und dunkelblond, seine Augen strahlend grün wie meine. Eine kleine Narbe prangt über seinem rechten Auge, mit dem er mir jetzt zuzwinkert. Auf sein Shirt ist ein Name gedruckt. Bruce. Sein Name erinnert mich stark an Bryan, und er verliert dadurch einiges an Attraktivität für mich, auch wenn er nichts dafür kann.
»Was darf ich dir bringen?« Seine Lippen sehen weich aus, und vor wenigen Wochen hätte ich mich jetzt auf einen Flirt mit ihm eingelassen. Doch die Molly von heute ignoriert das Kompliment und bestellt unbeeindruckt einen Tequila bei ihm.
Noch einmal sehe ich mich in diesem Laden um und bin überfordert von all den Eindrücken und bunten Farben. Ich habe mir die Clubs in London immer edel vorgestellt, aber dieser hier ist so schrill, dass ich mir vorkomme wie auf einem LSD-Trip. Während der Barkeeper noch den Mann neben mir nach seiner Bestellung fragt, klingelt mein Telefon. Als ich den Namen meiner besten Freundin auf dem Display sehe – neben einem Foto von uns beiden und ihrem Hund Ghost –, strahle ich automatisch mit den Deckenleuchten um die Wette.
»Brooke!« Ich drücke mir das Handy ans Ohr und halte das andere zu, damit ich sie hören kann.
»Es ist ja so laut bei dir! Von wegen Wellness-Wochenende. Wo treibst du dich herum?«, tadelt sie mich lachend, und ich merke, dass ich sie schon nach einem Wochenende vermisse. In Bedford ist sie mein Anker. Der Mensch, der mich zwar manchmal mit seiner erwachsenen Art in den Wahnsinn treibt, mich aber immer wieder aufbaut, wenn es mir schlecht geht. Ich wünschte, sie wäre hier, und wir könnten diesen Laden zusammen unsicher machen. Ja, ich bin mir sicher, dass Brooklyn meinen Kurztrip noch schöner gemacht hätte.
»Ich bin in so einem kunterbunten Club gelandet. Eigentlich war dieser Abstecher nicht geplant, aber mir war heute so langweilig im Hotel, also bin ich noch mal losgezogen.«
Meine beste Freundin lacht, und ich liebe dieses Lachen. Es ist besonders schön, weil es so lange Zeit in der Dunkelheit vergraben lag. Seit dem Tod ihrer ersten großen Liebe war Glück für sie ein Fremdwort, und ich bin unheimlich dankbar, dass sie es jetzt wieder fühlen kann.
»Stimmt. Das wäre ein Staatsverbrechen. Du warst nur drei Tage weg, und schon rauben mir die Kunden im Café den letzten Nerv.« Da sie den Laden in meiner Abwesenheit allein schmeißt, waren die letzten Tage für sie sicherlich alles andere als entspannend.
»Was ist passiert? Hat William sich wieder über den heißen Kaffee beschwert?« Mehr als ein Mal musste ich ihm erklären, dass Kaffee nun mal ein Heißgetränk ist und dass er einen Eiskaffee bestellen muss, wenn er vermeiden will, dass er sich daran die Schnute verbrennt. Trotzdem ist er einer meiner liebsten Kunden. Er hat immer ein Lächeln auf den Lippen, und seine wenigen Fusseln auf dem Kopf kleben ihm an der Stirn, wenn es draußen regnet. Er gehört zu den Männern, die zu alt für mich sind und trotzdem keinen Flirt auslassen.
»Mehr als ein Mal! Und diese seltsame ältere Dame mit dem Hut? Die sitzt jetzt schon das dritte Mal diese Woche hier, ohne jemals etwas zu bestellen. Langsam glaube ich, sie will mich bloß ausspionieren und gucken, ob ich hier heimlich auch andere Cookies verkaufe. Du verstehst schon«, murmelt sie. Der Gedanke an Brooklyn als Grasdealerin bringt mich zum Lachen, immerhin ist sie der wohl gesetzestreuste Mensch, dem ich je begegnet bin. Das Schlimmste, was sie je gemacht hat? Beim Kauf eines Buches hat sie zu viel Wechselgeld bekommen und es nicht zurückgegeben. Brooklyn Parker ist eine Draufgängerin, wie sie im Buche steht.
»Wenn sie übermorgen immer noch da ist, dann werde ich sie ins Kreuzverhör nehmen!« Der Barkeeper platziert sich vor meiner Nase. Auf dem Tresen zwischen uns steht jetzt ein Shotglas, in der linken Hand hält er den Tequila und in der rechten einen Salzstreuer.
»Gib mir deine Hand, Schönheit.« Seine Stimme ist dunkel, und mir gefällt sein Akzent, auch wenn ich ihn nicht wirklich zuordnen kann. Er kommt definitiv nicht aus England. Ich muss einmal tief durchatmen, um mich von dieser betörenden Stimme nicht um den Finger wickeln zu lassen.
»Moment, Brooke. Ich muss trinken!« Mit diesen Worten halte ich dem Mann meine Hand hin, damit er etwas von dem Salz daraufstreuen kann. Doch als er dabei nach meinem Handgelenk greift, reiße ich meinen Arm in letzter Sekunde weg.
»Na! Nicht anfassen!«
Seine Augen werden groß, und obwohl er ein Muskelberg der feinsten Sorte ist, sieht er eingeschüchtert aus. Anstatt meine Hand zu nehmen, streut er das Salz auf meinen Handrücken, gießt das Shotglas voll und schneidet eine Zitronenscheibe für mich ab.
»Prost, Brooke!« Ich lecke zuerst an meinem Handrücken, schmecke, wie sich das Salz auf meiner Zunge breitmacht, und kippe den Tequila herunter. Anschließend beiße ich in die Zitrone und verziehe angewidert das Gesicht. Scheiße, ist das ekelig. In Filmen sieht es immer so aus, als müsste jeder Mensch einmal auf diese Art und Weise Tequila trinken. Jetzt weiß ich, dass ich nicht jedem Trend folgen sollte.
»Sag nicht, du ziehst deine alberne Regel immer noch durch.« Meine Freundin konnte nicht verstehen, wieso ich Männer momentan auf Abstand halte. Vor allem aber hat sie mir vorausgesagt, dass ich meine Regel nach ein paar Tagen ohnehin hinwerfen würde. Dadurch hat sie meinen Kampfgeist geweckt – mit Erfolg. Seit dem Gespräch mit meiner Mutter habe ich keinen Mann mehr getroffen. Und auch nicht berührt. Weder absichtlich noch unabsichtlich. Mehr als ein Mal hat mich diese Regel in seltsame Situationen gebracht, aber ich habe alle mit Bravour gemeistert.
»Natürlich! Scheiß auf Männer.« Schulterzuckend forme ich mit meinen Lippen ein Sorry, als ich sehe, dass der Barkeeper traurig dreinschaut. Anscheinend hatte er in mir wirklich einen Flirt gesehen. »Seit Jahren renne ich dem Bild von einer perfekten Beziehung hinterher, ohne dabei zu bemerken, dass die wichtigste Beziehung in meinem Leben die zu mir selbst ist. Ich kann niemanden aufrichtig lieben, wenn ich meinen Scheiß nicht auf die Reihe kriege. Also gehören die verbleibenden viereinhalb Monate nur mir.«
»Ich stehe zu einhundert Prozent hinter dir, wenn es das ist, was du willst. Ich bin stolz auf dich!«
Am anderen Ende der Leitung ertönt ein Schmatzen, und ich würde den Tequila am liebsten ausspucken, weil ich mir bestens vorstellen kann, was sie gerade mit ihrem Freund Chase im Hintergrund treibt.
»Leute! Macht eure Schmuddeleien, wenn ich aufgelegt habe.«
Brooklyn kichert, und dann ist das Schmatzen Gott sei Dank vorbei.
»Du bist doch bloß eifersüchtig, weil bei dir gerade im Bett nichts läuft«, zieht Brooklyn mich auf, und ich weiß auch genau, wieso. Im letzten Jahr war ich diejenige, die ständig solche Sticheleien für sie parat hatte. Das hier ist ihre Rache.
»Wer sagt, dass man unbedingt einen Partner braucht, um ein erfülltes Sexleben zu haben? Ich habe zwei sehr gesunde Hände. Die sind kreativer als die der meisten Männer, die ich kenne.« Neben mir höre ich, wie jemand losprustet, und als ich mich umsehe, bemerke ich, dass meine Nachbarn an der Bar bestens mithören können. Alle starren mich an. Die zwei Typen neben mir, denen ich gerade ein wundervolles Kopfkino beschert habe, die Dame zu meiner Rechten und natürlich auch Bruce, dessen grüne Augen immer größer werden.
»Ach ja? Und wann hast du zum letzten Mal … du weißt schon?« Brooke ist immer schüchtern, wenn es um das Thema mit den drei Buchstaben geht. Eine Eigenschaft, die ich wahnsinnig süß an ihr finde. Sie hat etwas Unschuldiges an sich.
»Na, vor ein paar Minuten erst«, lüge ich. Das letzte Mal, dass ich mich selbst berührt habe, ist eine Ewigkeit her. Auch wenn ich in den letzten Wochen genug Zeit dafür gehabt hätte, kam ich nie auf die Idee. Vermutlich ist der Glaubenssatz, dass ich einen Mann an meiner Seite für mein Glück brauche, immer noch zu stark in meinem Kopf einprogrammiert. Es wird höchste Zeit, dass ich meine Freiheit genieße.
Brooke zieht scharf die Luft ein. »Sagtest du nicht, dass du gerade in einem Club sitzt?« Ihre Stimme verrät, dass sie mir kein Wort glaubt. Aber sie ist nicht hier, also darf ich ruhig etwas flunkern.
»Na und? Den Männern hier gefällt es, wenn sie mal was anderes sehen als klebrige Tanzflächen und leere Bierflaschen!«
Normale Menschen würden vermutlich rot anlaufen an meiner Stelle, aber ich nicht. Ich hatte noch nie Probleme damit, in der Öffentlichkeit über diese Themen zu reden. Das Wort offen versteckt sich nicht ohne Grund in dem Wort Öffentlichkeit.
»Du bist wirklich verrückt. Aber ich glaube dir nicht.«
Wieder klinkt Chase sich ins Gespräch mit ein. Hört er etwa die ganze Zeit mit? »Bei Molly weiß man nie, was sie als Nächstes tut.«
»Daaanke«, antworte ich ihm lang gezogen. »Aber wie auch immer. Ich werde jetzt ordentlich auf den Putz hauen, bevor ich morgen völlig verkatert in die Bahn steige. Ach, und Leute? Denkt ja nicht daran, eine Willkommensparty für mich zu schmeißen! Ich war nur drei Tage weg.« Nach der Hinreise war ich nur noch für eine Sache zu gebrauchen: die Sauna im Hotel.
»Okay, Molly. Dann hab noch einen schönen Abend! Hab dich lieb.«
Ich schicke einen Schmatzer in den Hörer und stecke mein Handy zurück in die Tasche. Als ich höre, dass sich der Mann neben mir räuspert, sehe ich ihn mit hochgezogenen Brauen an. Er trägt ein dunkelblaues Hemd, das oben offen steht, und eine Krawatte, die halb geöffnet an seinem Hals baumelt. Seine Brille lässt ihn klug aussehen, aber das dreckige Grinsen auf seinem Gesicht gefällt mir nicht.
»Was ist?«
»Das war ein sehr interessantes Gespräch, Süße.«
Süße? Ich balle meine Hände auf dem Tresen zu Fäusten, woraufhin seine Aufmerksamkeit genau darauf fällt.
»Lass mal sehen, was deine gesunden Hände alles können.« Sein Grinsen ist schmierig.
Ich stelle mich auf die Streben des Hockers, beuge mich über den Tresen und greife nach einem Glas, in dem noch Reste eines Cocktails am Boden schwimmen. Anschließend grinse ich den Mann süß an und schütte ihm die klebrige Masse ins Gesicht. Das rote Getränk läuft von seiner Stirn herunter zu seinen Augen und über seine Wangen. Sein Mund steht weit offen, und anscheinend ist ihm der Spaß vergangen.
Wie schade.
»Das können sie«, sage ich stolz und hüpfe von dem Hocker herunter. Der Typ murmelt eine Beleidigung, während ich mich auf den Weg auf die Tanzfläche mache. Darauf bedacht, einen Fleck zu finden, an dem ich für mich sein kann.
Schlaf.
Ich fühle mich wie ein Zombie inmitten einer fetten Apokalypse, doch statt nach Blut und Fleisch lechze ich nach einem Date mit meinen Kissen.
Ich war schon oft verkatert, aber das hier scheint eine neue Stufe zu sein. Meine schulterlangen Haare habe ich zu einem winzigen Knoten an meinem Hinterkopf gebunden und mich für das lässigste Outfit entschieden, das ich in meinem Koffer hatte: eine schwarze Jogginghose von einem meiner Ex-Freunde und mein liebstes Schlafshirt mit dem Spruch »Das Böse schläft nie«. Allerdings war in der Bahn an Schlaf nicht zu denken, immerhin hat eine Durchsage die nächste gejagt.
Wieder wünschte ich mir, ich wäre schon in meiner Wohnung. Stattdessen schlurfe ich mit meinem Koffer durch die Straßen Bedfords und verfluche jeden weiteren Schritt, den ich vom Bahnhof bis hierher machen muss. Heute ist ein sonniger Tag, und weil die Idee, einen Abend vor der Abreise in einem Club auf den Putz zu hauen, keine sonderlich gute war, musste meine Sonnbrille herhalten. Sie hilft mir, nicht an dem grässlichen Pochen hinter meinen Schläfen zu verenden, bevor ich mein Apartment erreichen kann.
Ich hole mein Handy heraus und entdecke zehn verpasste Anrufe einer unbekannten Nummer, da aber kein Anruf meiner Mutter dabei ist, stopfe ich es einfach zurück in die überdimensionale Jogginghose. Einige Passanten kreuzen meinen Weg, und ich spüre ihre Blicke auf mir. Unsere Stadt ist nicht sonderlich groß, und die meisten Menschen in diesem Viertel kenne ich. Und sie mich. Vor allem, da viele von ihnen Stammgäste in dem Café meiner Mutter sind, in dem ich seit Jahren arbeite. Eigentlich habe ich noch nie etwas anderes getan. Direkt nach meinem Schulabschluss wollte ich Grafikdesign studieren, aber meine Mutter brauchte Hilfe im Laden, weshalb ich ihr unter die Arme gegriffen habe. Aus diesem Vorhaben wurde dann meine neue Passion dafür, Menschen leckeres Gebäck zu servieren.
»Hallo, Molly!«, grüßt mich die alte Dame aus dem Souvenirgeschäft, und ich hebe nur grinsend meine Hand. Zum Sprechen bin ich eindeutig noch nicht in der Lage. Mein letzter Kaffee ist viel zu lange her. Nachdem ich fast verschlafen hätte, musste ich zum Bahnhof hetzen. Es fühlt sich wahrhaftig an, als hätte ich eine Weltreise hinter mir, dabei waren es nur wenige Stunden.
Mein rosafarbener Koffer hat unterwegs eine Rolle verloren, weshalb er sich jetzt nur noch mit Müh und Not über den unebenen Asphalt ziehen lässt.
Zehn Minuten und fünfzehn Flüche später erreiche ich endlich mein Wohnhaus, pfriemle meinen Schlüssel heraus und ignoriere den überfüllten Briefkasten auf dem Weg hinein. Wie kann sich in drei Tagen so viel Post ansammeln? Da dieses alte Gebäude nichts von Modernität hält, schleife ich meinen Koffer und mich über die Treppen ins dritte Stockwerk und bemerke sofort, dass etwas nicht stimmt. Vor meiner Wohnung tummeln sich zahlreiche Handwerker, und dazwischen steht mein Vermieter Mr. Harsh.
»Da ist sie ja!« Mit diesen Worten tritt er auf mich zu. »Ich habe Sie schon zehnmal versucht anzurufen, Miss Adams.«
Ups. Das waren also die verpassten Anrufe. Ich rolle meinen kaputten Koffer zur Seite und atme erst einmal durch. Ein Sauerstoffzelt wäre wunderbar! Wie kam ich nur auf die dämliche Idee, in den dritten Stock zu ziehen?
»Entschuldigen Sie, ich komme gerade aus London und hatte keine Zeit, auf mein Handy zu gucken«, antworte ich etwas zu schnippisch. Eigentlich mag ich meinen Vermieter wirklich gern, aber heute herrscht ein Ausnahmezustand, immerhin versperren sie mir den Weg zu meiner geliebten Dusche, meiner wundervoll duftenden Kaffeedose und vor allem meinem gemütlichen Bett. Schlaf. Schlaf. Schlaf. Am liebsten würde ich auf die Knie gehen und mich an seine Wade hängen, bis er mich endlich reinlässt und bemerkt, wie dringend es ist. Es geht sozusagen um Leben und Tod.
»Wie auch immer. Ich habe schlechte Nachrichten. Gestern hat uns die Mieterin unter Ihnen erzählt, dass Wasser durch die Decke kommt. Wir müssen in Ihre Wohnung, um die Ursache zu finden. Da der Mieter über Ihnen keine Probleme hat, wird das Problem bei Ihnen liegen.« Innerlich will ich wie ein wütendes Kind auf den Boden stampfen, äußerlich spiele ich die Erwachsene, schiebe mich an den Handwerkern vorbei und öffne die Tür. Anschließend lasse ich Mr. Harsh und die vier Kerle in Arbeitsklamotten in meine heiligen vier Wände einmarschieren. Dabei dürfen sonst nur ausgewählte Leute meinen Tempel betreten und die wenigsten davon mit dreckigen Schuhen.
»Hier liegt das Problem«, ruft der Glatzkopf unter ihnen in den Raum, und als ich dem Ruf folge, klappt mir die Kinnlade herunter. Mein gesamtes Wohnzimmer, das an die offene Küche grenzt, hat sich in eine riesige Pfütze verwandelt. Das Laminat wölbt sich bereits, weil es zu viel Feuchtigkeit gezogen hat. Scheiße, das alles soll in einer Nacht passiert sein?
»Es muss einen Rohrbruch in der Küche gegeben haben.« Die Handwerker murmeln noch etwas Fachmännisches, das ich nicht verstehe, und ich sehe panisch zu meinem Vermieter hinüber.
»Und was heißt das jetzt?« Meine Stimme klingt wie die von Minnie Mouse. Hoch. Schrill. Nervig.
Er sieht sich den Schaden noch einen Moment an, bevor er mir antwortet. »Ich muss meine Leute hier reinschicken, damit sie den Rohrbruch ausfindig machen können. Und dann muss er behoben werden. Das heißt: Wand auf, Rohrbruch reparieren, Boden raus und alles entfeuchten und neu tapezieren.«
»Und wann kann ich wieder in die Wohnung?« Ich will doch einfach nur meinen verdammten Schlaf! Wieso quält Gott mich heute so? Ist es, weil ich diesem Mann im Club den Drink ins Gesicht geschüttet habe? Selbst Gott muss doch einsehen, dass dieser Kerl nichts anderes verdient hatte. Oder weil ich an einem öffentlichen Ort über Selbstbefriedigung geredet habe? Was es auch ist, ich wünschte, er würde mich an einem anderen Tag für meine Sünden bestrafen. Morgen, in einer Woche oder auch gern erst in einem Jahr. Nur nicht heute, wo ich mit dem Kater meines Lebens zu kämpfen habe.
»Ich denke, es wird einige Wochen dauern. Wir sollten es direkt in Angriff nehmen, bevor sich der Schaden auch in die anderen Wohnungen ausbreitet. Wenn Sie in den nächsten Wochen nicht auf einer Baustelle wohnen wollen, sollten Sie vielleicht zusehen, dass Sie woanders unterkommen. Die Miete müssen Sie für den Zeitraum natürlich nicht zahlen.«
Mein Herz rast, und ich würde am liebsten umdrehen und wieder zurück in die Bahn steigen. Das Erste, was ich beim Heimkommen hören wollte, war definitiv nicht so etwas. Gedanklich gehe ich meine Optionen durch. Ich könnte Mom fragen, ob ich bei ihr unterkommen kann, aber ihre Wohnung ist viel zu klein, vor allem jetzt, da ständig Pflegekräfte vorbeischauen. Davon abgesehen, dass sie ihre Ruhe braucht und keinen knallbunten Wirbelwind, der unter der Dusche Backstreet-Boys-Songs zum Besten gibt.
»Meinen Sie, das geht, Miss Adams? Ansonsten müssen Sie damit leben, dass meine Handwerker den gesamten Tag hier drin arbeiten werden.«
Auch wenn ich ein offener Mensch bin, kann ich mir etwas Schöneres vorstellen, als mit diesen Männern meine nächsten Wochen zu verbringen. Außerdem starren mich zwei von ihnen schon sabbernd an, seit ich die Treppe hochgekommen bin. Und das bei meinem katastrophalen Aussehen. Keine Ahnung, was passieren würde, wenn sie mich in meinem normalen Zustand sähen. Ohne fettige Haare, mit Make-up und hübschen Klamotten, die nicht nach Schweiß und stickiger Bahnluft riechen. Oder noch schlimmer: in meinem rosafarbenen Morgenmantel. No. Fucking. Way.
»Ich werde schon eine Bleibe finden«, sage ich zuversichtlicher, als ich bin.
Mein Vermieter lächelt mich mitfühlend an. »Super. Dann können wir direkt morgen früh mit den Arbeiten anfangen. Ich schreibe Ihnen eine Erklärung, dass Sie die Miete aussetzen dürfen, bis alles bereinigt ist.«
Er reicht mir die Hand und verschwindet mit seinen Männern aus der Wohnung, während ich nach meinem Koffer taste und mich auf ihn setze. Dass er kaputt ist, fällt mir erst wieder ein, als er mit meinem Gewicht auf ihm zur Seite kippt. Sekunden später sitze ich am feuchten Boden und kippe nach hinten.
Der Koffer liegt trostlos neben mir, während ich meinen Kopf sinken lasse und an die feuchten Wände starre.
Je länger ich hier liege, desto nasser wird mein Shirt, weil ich vergessen hatte, dass der Boden durchweicht ist. Meine Müdigkeit ist so stark, dass ich in den nassen Flecken über mir sogar etwas erkennen kann. Einen fetten Mittelfinger, der mir direkt ins Gesicht geschleudert wird. Willkommen zu Hause, Molly. Oder sollte ich besser sagen: Willkommen auf der Straße?
Nachdem ich mich mühsam vom Boden hochgekämpft habe, verstreue ich meine dreckigen Sachen in meinem Schlafzimmer, packe frische Kleidung ein und mache mich auf den Weg zum Coffee with Art. Wer hätte gedacht, dass ich schon an meinem ersten Tag zurück in Bedford wieder zur Arbeit gehen würde? Ich nicht. Wenn ich die Augen schließe, stelle ich mir vor, ich würde in meinem Bett liegen. Nicht unbedingt ein guter Ersatz, aber besser als nichts.
Es ist schon spät am Nachmittag, und als ich das Café betrete, bemerke ich erleichtert, dass gerade keine Kundschaft da ist. Meine Kunden kennen mich nur als die lebensfrohe, durchgeknallte und vor allem immer top gestylte Molly Adams. Nicht als diesen wandelnden Haufen aus Schlaflosigkeit und Schweiß.
Ich werde vom Hund meiner besten Freundin begrüßt. Ghost ist ein lebendig gewordener Schneeball aus weißem Fell, den ich sofort in mein Herz geschlossen habe, als er die Pfoten das erste Mal in das Café setzte. Ich erinnere mich an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen. Es war nicht so leicht, meine Mutter davon zu überzeugen, Hunden Zutritt zu unserem Café zu erlauben, aber der Kampf hat sich definitiv gelohnt.
»Hey, meine kleine Flohschleuder!« Ich stoße meinen kaputten Koffer zur Seite und widme mich dem weißen Spitz, der an mir hochspringt und jetzt genüsslich über mein Gesicht leckt. Somit kann ich wenigstens einen Punkt auf meiner Liste abhaken. Eine Dusche nehmen? Check.
»Ghost ist doch keine Flohschleuder!« Die empörte Stimme meiner besseren Hälfte ertönt, und als ich aufblicke, steht Brooklyn mit einem Handtuch in der Hand vor mir. Hinter ihr taucht Chase auf, und das verschmitzte Grinsen auf seinem Gesicht lässt mich misstrauisch werden.
»Will ich wissen, was ihr gerade in meiner Küche getrieben habt?«, frage ich forsch, bevor ich aufspringe und meine letzte Kraft sammle, um in ihre Arme zu rennen. Brooke zieht mich eng an sich und drückt mir einen Kuss auf die Wange, während Chase es bei einer einfachen Umarmung belässt. Erst als er sich von mir löst, fällt mir auf, dass ich gerade einen Mann umarmt habe. Fuck. Der Schlafmangel lässt mich sogar meine eigene Regel brechen – und das nach nur wenigen Wochen. Aber da meine beste Freundin mit ihm zusammen ist, geht von ihm auch keinerlei Gefahr für mein Herz aus. Wir sind eher wie Bruder und Schwester füreinander.
»Siehst du, Brooke? Ich hab dir ja gesagt, dass sie mich umarmen würde. Das heißt, ich darf den nächsten Film aussuchen«, meint er triumphierend.
»Ihr wettet hinter meinem Rücken gegen mich? Pff, das zahle ich euch heim! Außerdem bist du zu dem unattraktivsten Mann auf dem Planeten für mich geworden, weil du mit meiner besten Freundin zusammen bist.«
»Autsch, jetzt hast du doch echt meine Gefühle verletzt!«, sagt Chase und hält sich theatralisch die Hände übers Herz.
»Nichts für ungut, Chasyboy!«, setze ich noch grinsend hinterher. Natürlich wäre es gelogen, wenn ich behaupten würde, dass Chase kein hübscher Mann ist. Genau genommen gehört er zu den attraktivsten Männern in ganz Bedford. Aber er ist nun mal an meine beste Freundin vergeben und der liebste Mann, dem ich je begegnet bin. Ich denke, das ist Grund für eine Ausnahmeregelung. Außerdem bin ich diejenige, die die Regeln aufstellt.
»Du siehst wirklich fertig aus, Süße. Willst du einen Kaffee?« Brooke tätschelt meinen Arm, aber auch wenn ich dringend das schwarze Gold gebrauchen könnte, wäre etwas Stärkeres angebrachter.
»Gib mir lieber was Hochprozentiges. Mein Vermieter stand eben mit einer kleinen Horde Handwerker vor meiner Tür. In meiner Küche gab es einen Rohrbruch, und mein gesamter Wohnbereich ist hinüber.« Fahrig deute ich auf meinen Koffer, der einsam und trostlos am Eingang wartet. Er steht schief auf dem Parkett, und eigentlich müsste ich erst einmal einen neuen besorgen. Wenn ich schon auf der Straße lande, will ich wenigstens mein Hab und Gut in etwas aufbewahren, das nicht kaputt ist.
»Also bin ich nicht nur übermüdet und stinke wie ein Iltis, ich bin auch noch obdachlos.« Theatralisch setze ich mich an einen Tisch dicht am Tresen. Ghost sieht es als Einladung, sich zwischen meine Beine zu schlängeln und hinzulegen. Eilig tätschle ich seinen Kopf und beginne, seine Ohren zu kraulen. Mit einem wohligen Knurren fällt er auf die Seite und bleibt wie erschossen zwischen meinen Füßen liegen. Manchmal wäre ich wirklich gern ein Hund. Die können einfach überall liegen und seelenruhig schlummern. Ich sollte mir eine Scheibe von ihm abschneiden, wenn ich demnächst unter einer Brücke schlafen muss.
»Mist, das tut mir so leid, Molly!« Brooke klingt bestürzt.
»Und was hast du jetzt vor?« Chase setzt sich mir gegenüber, und Brooke nimmt auf seinem Schoß Platz. Sie können die Finger kaum voneinander lassen, und sosehr ich mich für sie freue, so wenig will ich im Moment mit kuschelnden Pärchen konfrontiert werden. Seit meinem Vorhaben, Männer auf Abstand zu halten, sehe ich sie überall. Die Liebe scheint an jeder Ecke auf mich zu warten und mir die Zunge rauszustrecken. Nach dem Motto: Siehst du, was dir durch die Finger geht? Sogar in der Bahn hatte ich das Glück, neben einem Pärchen zu sitzen. Als ich ausstieg, wusste ich nicht, was schlimmer an meinem Dilemma war: die sich immer wiederholenden Durchsagen oder die endlosen Liebkosungen der beiden.
»Keine Ahnung. Ich könnte hier in der Küche schlafen.« Definitiv kann ich mir etwas Besseres vorstellen, als auf einer Isomatte auf dem Fußboden eines Cafés zu liegen, aber manchmal erfordern widrige Umstände extreme Maßnahmen.
»Vergiss es. Du kannst bei uns einziehen, bis deine Wohnung wieder beziehbar ist. Oder? Ich meine, wir haben ja jetzt genug Platz bei uns.« Brooke sieht zu Chase, der, ohne zu zögern, nickt. Ich liebe die beiden wirklich. Bei ihnen weiß ich, dass sie auch mitten in der Nacht für mich da wären. So wie ich zu jeder Tageszeit für sie da bin.
Gerade, als ich ihnen antworten will, wird die Tür geöffnet, und die kleine Glocke über ihr bimmelt. Ich blicke hinter mich und würde am liebsten im Erdboden versinken, als ich sehe, wer das Lokal betritt.
Troy Chesterfield ist nicht nur der beste Freund von Chase, er ist auch ganz klar der attraktivste Junggeselle in Bedford. Und er kommt mit diesem entwaffnenden Lächeln auf uns zu. Troy und ich hatten vor einigen Wochen diesen winzigen Flirt. Es war nichts, was man benennen müsste, aber es hat mir gefallen. Er ist aufmerksam, witzig und hat den gewissen Bad-Boy-Touch, den ich an Männern anziehend finde, solange er sich in Grenzen hält. Und von dem ich mich in Zukunft fernhalten will. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist ein Mann, der alle paar Wochen eine neue Beziehung hat und mich als netten Zeitvertreib ansieht. Als die Diagnose meiner Mutter kam, habe ich mich nicht wieder bei ihm gemeldet. Ohne jegliche Erklärung.
Schuldgefühle sind echt scheiße.
»Was verschlägt dich denn hierher?« Chase steht auf und klopft ihm brüderlich auf die Schulter, während Brooklyn ihn in eine herzliche Umarmung zieht. Troy steht genau hinter mir, ich kann sein Aftershave riechen und würde mich am liebsten in Luft auflösen. Nicht nur, weil ich aussehe, als wäre ich schon seit Wochen und nicht erst seit einer Stunde obdachlos, sondern auch, weil ich ihn viel zu dicht bei mir spüre. Er ist mir eindeutig zu nahe!
»Ich hab deine Karre vor der Tür gesehen. Lust auf eine Runde Billard, Kumpel?« Er spricht mit Chase, aber ich bin mir sicher, dass er darauf wartet, dass ich ihn ansehe. Leicht drehe ich mich in seine Richtung und spüre sofort, wie meine Knie weich werden. Seine Haare sind länger als vor wenigen Monaten. Sein Lächeln ist aber immer noch genauso umwerfend. Troy sieht aus wie eine etwas jüngere Version von Paul Walker, und jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, schmerzt es in meiner Brust, weil dieser wunderbare Schauspieler viel zu früh von uns gegangen ist. Mehr als ein verklemmtes Grinsen kriege ich nicht zustande.
»Willst du mir nicht Hallo sagen, Molly?« Sein Mundwinkel zuckt, und ich weiß, dass ich einfach davonrennen sollte.
Gespielt selbstbewusst hebe ich die Hand und winke ihm zu, auch wenn er nur wenige Zentimeter hinter mir steht und fast mit seinem Oberkörper gegen meinen Rücken stößt. »Hi.«
Troy will nach meiner Hand greifen, doch ich ziehe sie blitzschnell zurück. »Sorry, ich hab in London eine heftige Keimphobie entwickelt. Also eine wirklich, wirklich heftige.« Und mit diesen Worten drehe ich mich wieder um und begegne den amüsierten Blicken meiner beiden besten Freunde. Auch wenn ich meine Don’t-touch-Regel nicht superernst nehme, ist Troy gefährlich. Zu gefährlich für mich.
Brooklyn hebt ihre Brauen an, während Chase sich kaum das Lachen verkneifen kann. Unter dem Tisch trete ich nach seinem Schienbein, damit er aufhört, bevor Troy noch Verdacht schöpft.