Hemmungslos - Hugo Bettauer - E-Book

Hemmungslos E-Book

Hugo Bettauer

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Beschreibung

Bettauer zeigt in seinem Milieu-Krimi ein Sittenbild der 1920er-Jahre auf. Was bedeutet Handeln in Krisenzeiten, wann wird man wirklich schuldig? Wie hoch muss, wie hoch kann man moralische Maßstäbe noch ansetzen? Der ehemals adlige Kolomann von Isbaregg kommt desillusioniert aus dem verlorenen Ersten Weltkrieg zurück. Seine Welt ist auf den Kopf gestellt, die Werte, die für ihn noch galten, sind nutzlos geworden, sein Stand verwirkt, sein Geldbeutel leer. Sein einziges Kapital sind seine guten Manieren und sein attraktives Äußeres. Diese Stärken nutzt er immer mehr aus, um sich seinen Weg in der Wiener Gesellschaft zu ebnen. Schließlich sind Betrug, Raub und sogar Mord allgenwärtig in seinem Alltag. Konzentriert spiegelt der Autor hier die Spannungen im Wien zwischen den Weltkriegen wieder: Aufkommender Feminismus, erzkonservative Klischees und übelster Antisemitismus treffen aufeinander. Der Autor war bekannt für seine drastische Darstellung von Sex und Gewalt, was ihn auch immer wieder in Stress mit den Zensurbehörden brachte. Null Papier Verlag

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Hugo Bettauer

Hemmungslos

Ein ruchloser Krimi aus dem Wien der Zwanziger

Hugo Bettauer

Hemmungslos

Ein ruchloser Krimi aus dem Wien der Zwanziger

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: Müller, Wien, 1920 2. Auflage, ISBN 978-3-954184-75-0

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Au­tor

I. Teil

I. Ka­pi­tel

II. Ka­pi­tel

III. Ka­pi­tel

IV. Ka­pi­tel

V. Ka­pi­tel

VI. Ka­pi­tel

VII. Ka­pi­tel

VIII. Ka­pi­tel

II. Teil

I. Ka­pi­tel

II. Ka­pi­tel

III. Ka­pi­tel

IV. Ka­pi­tel

V. Ka­pi­tel

VI. Ka­pi­tel

VII. Ka­pi­tel

VIII. Ka­pi­tel

IX. Ka­pi­tel

X. Ka­pi­tel

XI. Ka­pi­tel

XII. Ka­pi­tel

XIII. Ka­pi­tel

XIV. Ka­pi­tel

XV. Ka­pi­tel

III. Teil

I. Ka­pi­tel

II. Ka­pi­tel

III. Ka­pi­tel

IV. Ka­pi­tel

V. Ka­pi­tel

VI. Ka­pi­tel

VII. Ka­pi­tel

VIII. Ka­pi­tel

IX. Ka­pi­tel

X. Ka­pi­tel

XI. Ka­pi­tel

Dan­ke

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Kri­mis bei Null Pa­pier

Der Frau­en­mör­der

Eine De­tek­ti­vin

Hem­mungs­los

Der Mann, der zu viel wuss­te

Noch mehr De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Samm­lung

Eine Kri­mi­nal­ge­schich­te & Das graue Haus in der Rue Ri­che­lieu

Der Dop­pel­mord in der Rue Morgue

In­di­sche Kri­mi­na­ler­zäh­lun­gen

Kri­mi­nal­ge­schich­ten

und wei­te­re …

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Das Buch

Bet­tau­er zeigt in sei­nem Mi­lieu-Kri­mi ein Sit­ten­bild der 1920er-Jah­re auf. Was be­deu­tet Han­deln in Kri­sen­zei­ten, wann wird man wirk­lich schul­dig? Wie hoch muss, wie hoch kann man mo­ra­li­sche Maß­stä­be noch an­set­zen?

Der ehe­mals ad­li­ge Ko­lo­mann von Is­ba­regg kommt des­il­lu­sio­niert aus dem ver­lo­re­nen Ers­ten Welt­krieg zu­rück. Sei­ne Welt ist auf den Kopf ge­stellt, die Wer­te, die für ihn noch gal­ten, sind nutz­los ge­wor­den, sein Stand ver­wirkt, sein Geld­beu­tel leer.

Sein ein­zi­ges Ka­pi­tal sind sei­ne gu­ten Ma­nie­ren und sein at­trak­ti­ves Äu­ße­res. Die­se Stär­ken nutzt er im­mer mehr aus, um sich sei­nen Weg in der Wie­ner Ge­sell­schaft zu eb­nen. Schließ­lich sind Be­trug, Raub und so­gar Mord all­gen­wär­tig in sei­nem All­tag.

Kon­zen­triert spie­gelt der Au­tor hier die Span­nun­gen im Wien zwi­schen den Welt­krie­gen wie­der: Auf­kom­men­der Fe­mi­nis­mus, erz­kon­ser­va­ti­ve Kli­schees und übels­ter An­ti­se­mi­tis­mus tref­fen auf­ein­an­der.

Der Au­tor war be­kannt für sei­ne dras­ti­sche Dar­stel­lung von Sex und Ge­walt, was ihn auch im­mer wie­der in Stress mit den Zen­sur­be­hör­den brach­te.

Nun muß­te es ge­tan wer­den. Durch den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de ließ er das Licht der Ta­schen­lam­pe auf­blin­ken. Hier saß der Kopf an dem dür­ren Hals des Grei­ses. Jetzt kei­ne Be­den­ken! Die Sch­lin­ge blitz­schnell über den Kopf ge­zo­gen. Gei­ger wacht auf, hebt den Schä­del schlaf­trun­ken. Macht nichts -- zu spät! Mit bei­den Hän­den zieht Kolo bei vol­ler, bru­ta­ler Kraft­ent­wick­lung an den En­den der Schnur -- ein hei­se­res Gur­geln und kein Laut mehr!

Autor

Hugo Bet­tau­er (* 18. Au­gust 1872 in Ba­den bei Wien; † 26. März 1925 in Wien; ei­gent­lich Ma­xi­mi­li­an Hugo Bett­hau­er ), war ein ös­ter­rei­chi­scher Schrift­stel­ler.

Ma­xi­mi­li­an Hugo Bet­tau­er wur­de als Sohn des Bör­sen­mak­lers Ar­nold (Sa­mu­el Aron) Bet­tau­er aus Lem­berg und des­sen Ehe­frau Anna geb. We­cker ge­bo­ren. Sein Mit­schü­ler Karl Kraus galt Zeit sei­nes Le­bens auch als sein schärfs­ter Kri­ti­ker.

1890 kon­ver­tier­te Bet­tau­er vom jü­di­schen zum evan­ge­li­schen Glau­ben und än­der­te sei­nen Na­men von Bett­hau­er in Bet­tau­er.Im sel­ben Jahr ging er als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger zu den Kai­ser­jä­gern. Der Re­li­gi­ons­wech­sel hängt ver­mut­lich da­mit zu­sam­men, dass es für jü­di­sche Sol­da­ten ohne Adel kaum mög­lich war, Kar­rie­re zu ma­chen.

Un­mit­tel­bar nach dem Krieg ar­bei­te­te Bet­tau­er als Kor­re­spon­dent für New Yor­ker Zei­tun­gen und star­te­te ein Hilfs­pro­gramm in den USA für die Wie­ner Be­völ­ke­rung.

Hugo Bet­tau­er, heu­te bei­na­he ver­ges­sen, war ein eben­so un­be­que­mer wie idea­lis­ti­scher Schrift­stel­ler und Jour­na­list. Er schrieb eine Rei­he von Ro­ma­nen, in de­nen es ihm ge­lang, bri­san­te ge­sell­schaft­li­che The­men in Tri­vi­al­li­te­ra­tur zu ver­pa­cken und so ein brei­tes Pub­li­kum zu er­rei­chen. 1924 grün­de­te Hugo Bet­tau­er die Zeit­schrift »Er und Sie«, in der er die so­zia­len Be­din­gun­gen und die Un­ter­drückung von Frau­en an­pran­ger­te und ver­such­te, ein Forum für al­ter­na­ti­ve Le­bens­for­men zu schaf­fen. Schon nach der fünf­ten Num­mer wur­de die Zeit­schrift als sit­ten­ge­fähr­dend be­schlag­nahmt.

Hugo Bet­tau­er wur­de 1925 von ei­nem fa­na­ti­schen Na­tio­nal­so­zia­lis­ten er­mor­det.

I. Teil

I. Kapitel

Ko­lo­man Frei­herr von Is­ba­regg oder Kolo Is­ba­regg, wie er sich seit der Neu­ord­nung der Din­ge nach dem Um­sturz kurz nann­te, ging lang­sam, schlaff, schlep­pend über den Gra­ben und hat­te Hun­ger. Er spiel­te förm­lich mit die­sem Be­wußt­sein des Hun­gerns, ver­strick­te sich in den Ge­dan­ken, nun schon den zwei­ten Tag nichts ge­ges­sen zu ha­ben, und ver­höhn­te sich selbst da­mit. »Ich Kre­tin, ich Trot­tel hun­ge­re«, sag­te er in sich hin­ein und mach­te da­bei ein bö­ses, har­tes Ge­sicht.

Im­mer­hin, als im Men­schen­ge­wühl ein schö­nes, blon­des Mäd­chen, das förm­lich nach Ele­ganz roch und eine Wol­ke von An­mut mit sich trug, an ihm vor­bei­sch­ritt und ihn da­bei un­will­kür­lich leicht streif­te, da rich­te­te er sich auf, straff­te sei­ne mü­den, ein we­nig zu­sam­men­ge­sun­ke­nen Glie­der, dreh­te sich um und schritt der Reiz­vol­len nach. Aber die Ge­dan­ken kehr­ten zum Re­frain ›Ich hun­ge­re‹ zu­rück und er ver­lor die Ge­stalt aus den Au­gen und blieb müde an der Ecke des Equi­ta­ble-Ge­bäu­des ste­hen, griff mit der schlan­ken, schma­len Hand nach der Schlä­fe und fühl­te, wie der Hun­ger aus den Ge­där­men und dem Ma­gen nach oben in den Schä­del kroch, wo er sich durch dump­fes Po­chen und leich­te Sti­che be­merk­bar ma­chen woll­te.

Kolo lach­te so laut auf, daß Vor­über­ge­hen­de neu­gie­rig nach ihm starr­ten. Es fiel ihm ein, daß er ei­gent­lich schon recht oft ge­hun­gert habe, län­ger und schmerz­li­cher so­gar, aber doch ganz an­ders als heu­te. In den Win­ter­ta­gen des Jah­res 1915 war er mit sei­nem gan­zen Re­gi­ment bei ir­gend ei­nem furcht­ba­ren Kampf um eine Kar­pa­then­hö­he drei Tage ohne Nah­rung ge­blie­ben und dann wie­der ein­mal auf der Hoch­flä­che von Asia­go und ein­mal bei ei­nem Vor­marsch in Al­ba­ni­en und ganz zum Schluß des Welt­krie­ges in der Höhe von fast 3000 Me­tern in den Ti­ro­ler Al­pen. Aber was war das für ein Hun­ger ge­we­sen! Ein herr­li­cher, he­ro­i­scher Sol­da­ten­hun­ger und man war um­ge­ben von Ka­me­ra­den und Sol­da­ten, die eben­so hun­ger­ten. Es war ein Hun­ger, dem man laut flu­chen und zür­nen durf­te und für den man Gott und die Welt, den blö­den Ge­ne­ral­stab und vor al­lem das Vieh von ei­nem Di­vi­sio­när ver­ant­wort­lich ma­chen konn­te! Jetzt aber war das ein schä­bi­ges, er­bärm­li­ches, ein­sa­mes Hun­gern, das man ver­ber­gen muß­te, woll­te man sich nicht zum Stra­ßen­dreck le­gen!

Und wie er so ge­wis­ser­ma­ßen mit sei­nem Hun­ger ha­der­te und Zwie­ge­sprä­che hielt, glitt die Ver­gan­gen­heit an ihm vor­bei und er kau­te sich die ei­ge­ne Le­bens­ge­schich­te vor, wie es im­mer nur Men­schen zu tun pfle­gen, wenn sie an Qua­len wür­gen. Nie­mals be­schäf­tigt man sich in den fro­hen und großen Au­gen­bli­cken des Le­bens mit der Ver­gan­gen­heit.

Ko­lo­man Frei­herr von Is­ba­regg war der letz­te Spros­se ei­nes vor­neh­men, al­ten Ge­schlech­tes, das sich im Lau­fe der Jahr­hun­der­te mit böh­mi­schem und magya­ri­schem, mit pol­ni­schem und so­gar tür­ki­schem Blut ge­mischt hat­te. Je selt­sa­mer und exo­ti­scher aber die Frau­en be­schaf­fen wa­ren, die sich den steie­ri­schen Baro­nen zu Is­ba­regg ins Ehe­bett leg­ten, de­sto fah­ri­ger, tol­ler und hem­mungs­lo­ser wur­den die nach­kom­men­den Män­ner, bis Gut auf Gut, Schloß auf Schloß und Klein­od auf Klein­od ih­ren Hän­den ent­schwand, und schließ­lich von Kai­ser Jo­sefs Zei­ten an die Is­ba­reggs als tap­fe­re Of­fi­zie­re in der je­wei­li­gen kai­ser­li­chen Ar­mee ihr eh­ren­vol­les, aber kar­ges Brot ver­dien­ten. Und da wur­de denn schließ­lich das Blut ru­hi­ger und dün­ner und von den letz­ten drei Is­ba­regg brach­te es ei­ner nach dem an­de­ren zu ho­hem mi­li­tä­ri­schen Rang. Ko­lo­mans Va­ter war so­gar als Feld­zeug­meis­ter ge­stor­ben, und sei­ne Frau, eine röt­lich­blon­de Böh­min, konn­te es gar nicht fas­sen, als nach dem groß­ar­ti­gen Lei­chen­be­gäng­nis des Ex­zel­lenz­herrn der klei­ne, eben zehn Jah­re alt ge­wor­de­ne Kolo ihr mit fast wil­der Ent­schlos­sen­heit sag­te: »Ich will nicht Of­fi­zier wer­den, ich will reich wer­den und in die Welt hin­aus ge­hen!« Ein al­ter On­kel aber, der zum Vor­mund be­stellt war, wil­lig­te kurz ent­schlos­sen ein. »Wenn ein Is­ba­regg mit zehn Jah­ren et­was will und da­bei mit dem Fuß auf­stampft«, mein­te er, »dann ist er eben ein Is­ba­regg, wie sie frü­her ge­we­sen sind, und man kann ihn bre­chen, aber nicht bie­gen!« Und kopf­schüt­telnd blät­ter­te der alte pen­sio­nier­te Ge­ne­ral in ei­ner Map­pe, die die Ko­pi­en der längst ver­kauf­ten und in alle Welt ver­streu­ten Ge­mäl­de de­rer von Is­ba­regg ent­hielt, so lan­ge, bis er den klei­nen Kolo in ei­nem al­ten Raub­rit­ter aus dem vier­zehn­ten Jahr­hun­dert wie­der fand. Die­sel­ben glut­vol­len, schwar­zen Au­gen, der­sel­be fein­ge­schwun­ge­ne, har­te und ener­gi­sche Mund, die leicht­ge­bo­ge­ne schma­le Nase und die­sel­be hohe, trot­zi­ge Stirn.

So kam denn Ko­lo­man nicht in die Ka­det­ten­schu­le, son­dern in das The­re­sia­num, wo er einen Frei­platz er­hielt, wäh­rend sei­ne Mut­ter sich in das bil­li­ge be­hag­li­che Pen­sio­no­po­lis Graz zu­rück­zog und starb, ge­ra­de als Ko­lo­man mit Aus­zeich­nung ma­tu­rier­te. Der jun­ge Herr hat­te aber in­zwi­schen sei­ne Vor­lie­be für die tech­ni­schen Wis­sen­schaf­ten ent­deckt und mit Ein­wil­li­gung des Vor­mun­des ver­wen­de­te er die paar tau­send Kro­nen, die ihm die Mut­ter hin­ter­las­sen, um sich pri­vat für die Real­schul-Ma­tu­ra vor­zu­be­rei­ten und dann die Tech­ni­sche Hoch­schu­le zu ab­sol­vie­ren.

Is­ba­regg ging in der war­men Mai­son­ne frös­telnd die Kärt­ner­stra­ße ent­lang, mur­mel­te wie­der wü­tend sein ›Ich hun­ge­re‹ in sich hin­ein und has­pel­te die ver­gan­ge­nen Jah­re wei­ter ab. Kaum hat­te er die Tech­nik hin­ter sich, als er sich auch schon dem Le­ben mit of­fe­nen Ar­men ent­ge­gen­warf. Der Rek­tor, der die au­ßer­or­dent­li­che Be­ga­bung und die zähe, fast bru­ta­le Ener­gie des jun­gen Man­nes schätz­te, ver­schaff­te ihm eine An­stel­lung in ei­ner schot­ti­schen Ma­schi­nen­fa­brik. Und Kolo stähl­te sich am Le­ben, ar­bei­te­te, jag­te den Fuß­ball über den Grund, lern­te Bo­xen wie ein Ma­ta­dor, leis­te­te Er­sprieß­lichs­tes in sei­nem Be­ruf und -- be­gann zu ent­de­cken, daß es au­ßer Macht, Reich­tum und Frei­heit noch ei­nes gab, was das Le­ben köst­lich macht: das Weib! Der schö­ne schlan­ke Jüng­ling mit dem exo­ti­schen, brü­net­ten Ge­sicht und den im­mer wie im Fie­ber glim­mern­den schwar­zen Au­gen, die über­lan­ge Wim­pern selt­sam be­schat­te­ten, ge­fiel den jun­gen Mäd­chen und den rei­fen Frau­en in Edin­bur­gh wie in Lon­don, in Dub­lin wie in Glas­gow, und mit un­er­sätt­li­cher Gier, der nur sein über­le­ge­ner Zy­nis­mus die Balan­ce hielt, stürz­te er sich in tol­le Aben­teu­er, aus de­nen er sieg­haft, die Frau­en mit bit­te­rem Schmerz her­vor­gin­gen. Mit drei­und­zwan­zig Jah­ren folg­te der jun­ge In­ge­nieur, des­sen be­deu­ten­de Be­fä­hi­gung in Fach­krei­sen be­kannt wur­de, ei­nem Ruf nach Pa­ris; dort blieb er zwei Jah­re, ar­bei­te­te tags­über wie ein Zug­tier, trank, spiel­te und ju­bel­te nachts wie ein pri­va­ti­sie­ren­der Le­be­mann und trat dann eine lei­ten­de Stel­lung in Ka­na­da, in To­ron­to, an.

Dort über­rasch­te ihn nach drei Jah­ren der Krieg. Und statt ru­hig von stol­zen Frau­en ge­liebt, von den Män­nern ge­ach­tet, in Ka­na­da zu blei­ben, ließ er sich, vom fu­ror teu­to­ni­cus er­grif­fen, ge­weckt und ge­trie­ben von der Stim­me sei­ner rauf­lus­ti­gen Ah­nen, nicht hal­ten, fuhr nach New York, schlug sich auf aben­teu­er­li­che Wei­se mit falschen Pa­pie­ren nach Hol­land durch und konn­te schon im No­vem­ber als Leut­nant bei den Kai­ser­jä­gern die ers­te Schlacht in den Kar­pa­then mit­ma­chen. Küh­nes Drauf­gän­ger­tum, ge­paart mit kal­tem, nüch­ter­nem Ur­teil, To­des­ver­ach­tung und zähe Wi­der­stands­fä­hig­keit tru­gen ihre Früch­te, und als Ko­lo­man Frei­herr von Is­ba­regg im Ok­to­ber 1918 als Haupt­mann sein Ba­tail­lon von Ita­li­en heim­wärts brach­te, da schmück­te sei­ne Brust ein Dut­zend der höchs­ten ös­ter­rei­chi­schen, deut­schen, bul­ga­ri­schen und tür­ki­schen Tap­fer­keits­me­dail­len.

»Und jetzt hun­ge­re ich und kann ver­re­cken wie ein Hund oder mit Zei­tun­gen hau­sie­ren wie ein ar­beits­lo­ser Zie­gel­schup­fer«, mur­mel­te Kolo halb­laut und würg­te den Hun­ger zu­rück, der ihm in den tro­ckenen Gau­men trat.

Der Zu­sam­men­bruch der Mon­ar­chie war auch sein Nie­der­bruch. Zu­erst leb­te er wie in dump­fer Be­täu­bung in den Tag hin­ein. Ein paar Mo­na­te be­kam er noch die Gage, dann die Ab­fer­ti­gung, dann ließ sich ein Dia­mant­ring vor­teil­haft ver­kau­fen, dann die gol­de­ne Uhr, eine Na­del, schließ­lich der Feld­ste­cher und die Ka­me­ra. Bis nichts mehr zum Ver­kau­fen da war und er ei­nes Ta­ges buch­stäb­lich als Bett­ler in sei­nem mö­blier­ten Zim­mer er­wacht. Und nicht mehr Ko­lo­man Frei­herr von Is­ba­regg hieß er, son­dern ein­fach Is­ba­regg, denn der Adel war eben ab­ge­schafft und ver­bo­ten wor­den. Un­mög­lich, in dem ver­arm­ten, koh­len- und in­dus­trie­lo­sen Land eine Stel­lung zu be­kom­men, un­mög­lich, dem Kä­fig zu ent­rin­nen und aus­zu­wan­dern, nichts mehr an Hab und Gut als die ver­schlis­se­ne feld­graue Uni­form ohne Di­stink­ti­on, kei­ne Ver­wand­ten, die hel­fen konn­ten, die al­ten Ka­me­ra­den in ähn­li­cher Ar­mut wie er. Al­ler­dings -- in der auf­stre­ben­den Tsche­cho­slo­wa­kei hät­te es für den tüch­ti­gen In­ge­nieur bald Ar­beit ge­nug ge­ge­ben. Aber auch die­ser neue Staat blieb ihm ver­schlos­sen, dort stand er auf der Pro­skrip­ti­ons­lis­te, de­rer, die mehr­fach tsche­chi­schen Meu­te­rern mit der Pis­to­le ent­ge­gen­ge­tre­ten wa­ren und ra­sche Feld­jus­tiz auf ei­ge­ne Faust ge­übt hat­ten.

Ges­tern hat­te ihm die Zim­mer­ver­mie­te­rin mit auf­rich­ti­gem Be­dau­ern mit­ge­teilt, daß sie ihm nicht län­ger Kre­dit ge­wäh­ren kön­ne, son­dern ge­zwun­gen sei, sein Zim­mer an­der­weits zu ver­ge­ben, wenn er nicht so­fort be­zah­len wür­de. Wie ein ge­prü­gel­ter Hund war er da­von­ge­schli­chen, als Pfand den Hand­kof­fer mit ein paar Stücken schmut­zi­ger Wä­sche zu­rück­las­send. In der Ta­sche noch et­li­che Kro­nen. Die lau­war­me Nacht hat­te er in ei­nem Park auf ei­ner Bank zu­ge­bracht, die paar Kro­nen nach schwe­rem Kampf heu­te beim Bar­bier ge­las­sen. Und nun war es Mit­tag, er hat­te seit vier­und­zwan­zig Stun­den nichts ge­ges­sen und rief sich bru­ta­le Schimpf­wor­te, wie Trot­tel, Vieh dum­mes, pa­trio­ti­scher Kre­tin, zu. Und dach­te: »Nun habe ich zwei Mög­lich­kei­ten, ent­we­der ich gehe in den Stadt­park und schie­ße mir un­ter ei­nem Baum eine Ku­gel durch den blö­den Kopf oder ich ver­kau­fe die Pis­to­le, esse mich satt und gehe dann zu ei­ner Zei­tung, um mich als Kol­por­teur an­wer­ben zu las­sen. Man soll da­von le­ben kön­nen, be­son­ders wenn man den ehe­ma­li­gen Of­fi­zier her­aus­kehrt. Ich kann mir das Ei­ser­ne Kreuz ers­ter Klas­se und den Leo­polds-Or­den an­ste­cken, das wird Ein­druck ma­chen. Halt, das kann ich nicht, denn die Or­den lie­gen in der Le­de­rer­gas­se bei mei­ner Wir­tin und die gibt sie si­cher nicht her­aus, be­vor ich zah­le.«

Kolo schlen­der­te die Kärnt­ner­stra­ße zu­rück, ging über den Gra­ben und blieb vor der Aus­la­ge ei­nes De­li­ka­tes­sen­ge­schäf­tes ste­hen. Sar­di­nen­büch­sen, Spar­gel, Fei­gen, Man­deln, Oran­gen und al­ler­lei Back­werk la­gen da aus­ge­brei­tet und er fühl­te, wie ihm schwarz vor den Au­gen wur­de. »Ich könn­te ja auch in den La­den tre­ten, rechts und links Faust­hie­be aus­tei­len, Eß­ba­res an mich rei­ßen und mich dann ver­haf­ten las­sen. Das wür­de Auf­se­hen ma­chen und die ›Neue Freie Pres­se‹ wür­de viel­leicht einen Leit­ar­ti­kel schrei­ben und sa­gen ›es brennt in den Ein­ge­wei­den un­se­rer Hel­den‹ und eine Samm­lung ver­an­stal­ten. Aber ich glau­be, es geht nicht, weil ich mich sehr schwach füh­le und die Ver­käu­fer mich ver­prü­geln wür­den.«

Wäh­rend er noch im­mer in die Aus­la­ge starr­te und sei­ne Au­gen sich an ei­nem Topf voll Thun­fisch in Öl fest­saug­ten, ver­ließ eine Dame, be­la­den mit klei­nen Pa­ket­chen, das Ge­schäft. Ei­nes der Päck­chen ent­glitt ih­ren Hän­den, Kolo sprang hin­zu, hob es auf und reich­te es ihr. Die Dame dank­te und sah ihn an und ihre feuch­ten, ein we­nig her­vor­quel­len­den Au­gen blie­ben mit Wohl­ge­fal­len auf dem schlan­ken, seh­ni­gen Kör­per des hoch­ge­wach­se­nen Of­fi­ziers haf­ten und be­ka­men et­was Gie­ri­ges, als sie das schar­fe, blei­che Ge­sicht mit dem bren­nen­den Blick über­flo­gen. Sie selbst war klein, voll­bu­sig, ein we­nig ge­schminkt und si­cher gut zehn Jah­re äl­ter, als sie er­schei­nen woll­te.

Kolo Is­ba­regg er­wi­der­te den Blick mit weit we­ni­ger Wohl­ge­fal­len. »Wi­der­li­ches Ju­den­weib«, dach­te er und ging. Aber sie, die vor ihm her­schritt, dreh­te sich um und sah ihm mit dem scham­lo­sen Blick des al­tern­den, von un­be­frie­dig­ter Sinn­lich­keit ver­wüs­te­ten Wei­bes voll ins Ge­sicht. Das Wort vom ›Au­gen­wer­fen‹ wur­de da fast sinn­fäl­lig. Sie stiel­te förm­lich die feuch­ten Au­gen und Kolo hat­te das Ge­fühl, als wenn sie ihn bit­tend und hei­schend ab­tas­ten wür­den. Da ver­ei­nig­ten sich der wü­ten­de Hun­ger und die Ein­sam­keit und auch die ge­schmei­chel­te Ei­tel­keit und trie­ben ihn an, der voll­bu­si­gen klei­nen Dame, die in al­lem das Ge­gen­teil sei­nes die Schlan­ken und Fei­nen ver­eh­ren­den Ge­schmackes war, nach­zu­ge­hen.

Sie schritt die Kärnt­ner­stra­ße ab­wärts und blieb plötz­lich vor ei­ner Aus­la­ge ste­hen. Kolo, dicht ne­ben ihr, fühl­te ih­ren hei­ßen Atem und den wei­chen, vol­len Arm, der sich un­auf­fäl­lig an ihn dräng­te. Und da war sein Ent­schluß ge­faßt. »Geh«, sag­te er sich, »greif zu, das Weib hat Geld, wahr­schein­lich viel Geld und viel­leicht eine schö­ne Woh­nung, in der du aus­ru­hen und es­sen kannst.« Es­sen, ja es­sen, Him­mel, der Spei­chel sam­mel­te sich im Mund vor Hun­ger und es dröhn­te ihm in den Ohren. Ja, aber, sie wird ih­ren Lohn ver­lan­gen, wird sich in sei­nen Ar­men wäl­zen und an sei­nen Lip­pen fest­sau­gen wol­len. Brr, wie graus­lich! Aber es­sen kön­nen und aus­ru­hen und viel­leicht ein Bad neh­men und Geld, Geld ... »Zu­häl­ter!« rief es ihm zu. »Ko­lo­man Frei­herr von Is­ba­regg, weißt du, wie du frü­her über Män­ner, die Lie­be für Geld ver­kau­fen, ge­dacht hast?« »Quatsch«, ant­wor­te­te Kolo sich. »Das war der Baron mit den vie­len Ah­nen und der großen Kar­rie­re vor Au­gen! Heu­te bin ich der ob­dach­lo­se Is­ba­regg, der seit vier­und­zwan­zig Stun­den nichts ge­ges­sen hat und die Welt von un­ten aus an­sieht. Es­sen muß der Mensch, es­sen und sich aus­ru­hen und Geld ha­ben -- al­les an­de­re ist Wurst! Geh’ mit, iß dich an und spiel’ dann den Zech­prel­ler! Das kann lus­tig wer­den -- hui, wird die Jü­din to­ben!«

Kolo schmun­zel­te ver­gnügt, und die Dame, die sich im­mer wie­der um­sah, fing das Grin­sen ge­schmei­chelt auf, sie hielt es für eine Hul­di­gung und quit­tier­te mit ein­la­den­dem Lä­cheln.

Bei der Oper blieb sie ste­hen und war­te­te auf eine Elek­tri­sche. Kolo ge­riet in Ver­le­gen­heit. Er konn­te nicht mit­fah­ren, weil er kei­nen Hel­ler be­saß! Aber an der Hal­te­stel­le la­gen zahl­lo­se weg­ge­wor­fe­ne Um­steig­kar­ten, die er kurz ent­schlos­sen zu­sam­men­raff­te und in die Ta­sche steck­te. Eine wür­de schon gül­tig sein und wenn nicht -- ach, was sich den Kopf zer­bre­chen -- er muß­te ja mit­fah­ren, er muß­te es­sen!

Bum­voll kam der Wa­gen an und die Dame dräng­te sich müh­sam hin­ein. Kolo dicht hin­ter ihr. Eng an­ein­an­der­ge­preßt stan­den sie auf der Platt­form und sie wich nicht aus, son­dern preß­te sich ge­gen ihn, schmieg­te den Bu­sen an sei­ne Hüf­te. Kolo be­gann an dem Aben­teu­er Ge­fal­len zu fin­den. Sei­ne Hand glitt die feis­ten Hüf­ten ent­lang, preß­te die be­ben­den Schen­kel, fühl­te die Hit­ze, die aus dem dün­nen Sei­den­rock ström­te. Und die Dame schloß die Au­gen und lehn­te sich tief at­mend ganz ge­gen ihn.

Der Schaff­ner kam und Kolo reich­te ihm eine gan­ze Hand voll zer­knüll­ter Zet­tel. »Ei­ner muß der rich­ti­ge sein«, mur­mel­te er. Er hat­te Glück, gleich die ers­te Kar­te wur­de für gut be­fun­den. Die Dame ver­ei­nig­te die vier oder fünf Päck­chen müh­sam und zit­ternd un­ter ei­nem Arm, öff­ne­te das gol­de­ne Täsch­chen, ent­nahm ihm eine Da­men­brief­ta­sche und die­ser einen Zwei­kro­nen­schein. Un­will­kür­lich hat­te Kolo die Pro­ze­dur be­ob­ach­tet und er sah in der Ta­sche Bank­no­ten, vie­le Bank­no­ten. Er hielt den Atem an und be­feuch­te­te mit der Zun­ge die tro­ckenen, bren­nen­den Lip­pen. Und sei­ne Hand glitt wie­der ab­wärts und blieb an dem fet­ten Frau­en­schen­kel un­ter der Gold­ta­sche haf­ten. Noch mehr Leu­te stie­gen ein und die Frau konn­te sich un­auf­fäl­lig noch en­ger an ihn drän­gen, er noch fes­ter mit den Fin­gern das Fleisch be­tas­ten.

Der Wa­gen war auf dem Rai­ner­platz an­ge­langt und sie traf An­stal­ten, aus­zu­stei­gen. Sie schob sich zum Tritt­brett hin und sah Kolo lä­chelnd und sie­ges­si­cher an. »Du kommst mit, schö­ner Mann«, sprach ihr Auge. In Is­ba­regg wur­de aber im Bruch­teil ei­ner Se­kun­de eine flüch­ti­ge Idee zum Ent­schluß und der Ent­schluß zur Tat. Er dräng­te nach, blitz­schnell öff­ne­te er mit zwei Fin­gern den Bü­gel der Gold­ta­sche, der er lang­sam das Por­te­feuil­le ent­nahm. Ho­chrot schritt die Dame dem Brahms­platz zu, sie merk­te nicht, daß die Gold­ta­sche of­fen stand, sie merk­te nicht ein­mal, daß ei­nes der Päck­chen aber­mals zu Bo­den fiel und von ei­nem halb­wüch­si­gen Bur­schen rasch auf­ge­ho­ben wur­de, sie sah sich nur im­mer wie­der nach dem schlan­ken, großen Mann mit den seh­ni­gen Glie­dern und der küh­nen, ed­len Ha­ken­na­se um.

Kolo ging jetzt in re­spekt­vol­ler Ent­fer­nung nach, war­te­te, bis sie um die Ecke bog, mach­te kehrt und eil­te mit Rie­sen­sät­zen die Wied­ner Haupt­stra­ße ent­lang, bis ihn das Men­schen­ge­wühl ver­schlun­gen hat­te. Bei der Oper erst ver­lang­sam­te Kolo sein Tem­po, sah sich rasch um und be­trat ei­nes der Kaf­fee­häu­ser. Er be­gab sich, ohne die Ver­beu­gung des Kell­ners zu be­ach­ten, di­rekt in den Toi­let­te­raum, ver­rie­gel­te die Türe hin­ter sich und riß das Por­te­feuil­le aus der Ho­sen­ta­sche. In sei­nen Fin­gern knis­ter­ten die Schei­ne. Da, in die­sem Fach la­gen schmut­zi­ge, ab­ge­brauch­te, er­bärm­li­che Zwan­zig-, Zehn- und Zwei­kro­nen­schei­ne, da aber wuch­sen ihm Tau­sen­der und Hun­der­ter ent­ge­gen. Und Kolo, in des­sen Hand die Pis­to­le nie­mals ge­zit­tert hat­te, wenn er beim An­griff an der Spit­ze sei­ner Leu­te mit lan­gen Sät­zen hin­über zum feind­li­chen Draht­ver­hau ge­stürmt war, muß­te sich ge­walt­sam zur Selbst­be­herr­schung auf­raf­fen, muß­te drei-, vier­mal be­gin­nen, be­vor er ru­hig zäh­len konn­te. Drei­ßig Stück Tau­sen­der, vier Hun­der­ter und die klei­nen No­ten -- das war die Beu­te!

»Beu­te«, dach­te er. Und es fiel ihm ein, daß vor noch gar nicht lan­ger Zeit das Wort Beu­te eine ganz an­de­re Be­deu­tung ge­habt hat­te, einen or­dent­li­chen Amts­cha­rak­ter, daß es Beu­te­zü­ge, Beu­te­ver­tei­lungs­stel­len und so­gar Beu­te­prä­mi­en ge­ge­ben. Jetzt hat­te er Beu­te auf ei­ge­ne Faust ge­macht!

II. Kapitel

Nun aber es­sen, es­sen! Kolo warf dem Kell­ner einen Zwei­kro­nen­schein zu, ver­ließ das Café und be­gab sich zu Hart­mann, wo er frü­her, wenn er in Wien auf Ur­laub ge­we­sen war, so ger­ne ge­speist hat­te. »Kell­ner, rasch eine Sup­pe und dann einen Fisch und dann ir­gend­ei­nen Bra­ten mit Salat und Kom­pott, nur rasch, rasch, wenn Sie ein gu­tes Trink­geld ha­ben wol­len!« Und er aß lang­sam mit Be­herr­schung und trank in klei­nen, vor­sich­ti­gen Schlücken den Wein und schlürf­te mit un­end­li­chem Be­ha­gen den Mok­ka und blies mit sy­ba­ri­ti­scher Wol­lust den Rauch der im­por­tier­ten Zi­ga­ret­te vor sich hin, zahl­te und ging. Nicht mehr müde und ge­beugt und kraft­los, son­dern auf­recht, ge­stählt, voll Le­ben. Ging mit fe­dern­den Schrit­ten den Ring ent­lang, freu­te sich un­ter­wegs des Mai­en­grüns der Ahorn­bäu­me und lach­te laut auf, wenn er an die voll­blü­ti­ge Dame dach­te, der ihr Mit­tag­mahl we­sent­lich we­ni­ger gut ge­schmeckt ha­ben moch­te als ihm.

Sei­ne Wir­tin in der Le­de­rer­gas­se be­grüß­te ihn mit ver­le­ge­ner Zu­rück­hal­tung, die auf­rich­ti­ger Freu­de Platz mach­te, als ihr Is­ba­regg froh­ge­launt zu­rief: »Die Rech­nung, lie­be Frau, ich will mei­ne Schuld be­glei­chen und mich dann aus­ru­hen!« Und um ihre Neu­gier­de zu be­frie­di­gen, er­klär­te er leicht­hin: »End­lich habe ich im Kriegs­mi­nis­te­ri­um mei­ne rück­stän­di­gen Ge­büh­ren be­kom­men, nun kann man eine Zeit­lang wie­der exis­tie­ren!«

In sei­nem Zim­mer al­lein, un­ter­such­te Kolo noch­mals die Brief­ta­sche. Aus drei glei­chen Vi­si­ten­kar­ten konn­te er den Na­men der ge­täusch­ten Frau ent­neh­men, Sel­ma Ro­sen­zweig, Kom­mer­zi­al­rats­wit­we. »So sieht sie aus, ganz so!« Ein Pos­ter­lag­schein, eine quit­tier­te Rech­nung und da in der Ecke ein sil­ber­nes Zwei­kro­nen­stück. Er lä­chel­te: »Sil­ber­geld, das hat man hier lan­ge nicht ge­se­hen, wahr­schein­lich als Ta­lis­man auf­be­wahrt. Na, hof­fent­lich bringt es mir mehr Glück als der ge­lieb­ten Sel­ma!« Und er schob die Mün­ze in die Wes­ten­ta­sche. Das Pa­pier­geld steck­te Kolo in sei­ne ei­ge­ne Brief­ta­sche, die der Frau Ro­sen­zweig warf er in den Ofen, gab Pa­pier dazu und ließ sie in Asche auf­ge­hen.

Es wird oft und ger­ne be­haup­tet, daß die­ser oder je­ner Mensch durch die Schre­cken ei­nes Aben­teu­ers, durch ge­wal­ti­gen Schmerz, durch eine furcht­ba­re see­li­sche Er­schüt­te­rung ganz plötz­lich, über Nacht, grau wur­de oder so­gar in­ner­halb ei­ner Stun­de wei­ße Haa­re be­kom­men habe. Und es ist ein be­lieb­tes Aus­fluchts­mit­tel für Ro­man­schrift­stel­ler, ihre Hel­den eine völ­li­ge Um­wand­lung des Cha­rak­ters er­le­ben zu las­sen, als Fol­ge ei­ner bö­sen Ent­täu­schung oder ar­gen Krän­kung. Bei­des wird so oft er­zählt, daß es all­ge­mein ge­glaubt wird, und doch wird sich schwer­lich je­mand mel­den kön­nen, der der­glei­chen selbst er­lebt, er­fah­ren oder we­nigs­tens per­sön­lich be­ob­ach­tet hat. Und wenn sich auch sol­che Fäl­le er­eig­nen, so wird die ex­ak­te Un­ter­su­chung im­mer er­ge­ben, daß es sich ei­gent­lich nur um die Be­schleu­ni­gung ei­nes oh­ne­dies schon wir­ken­den Pro­zes­ses ge­han­delt hat. Der Mann, der im Ur­wald, von wil­den Bes­ti­en be­droht, wei­ße Haa­re be­kommt, wäre si­cher auch ohne die­ses Er­eig­nis sehr bald weiß ge­wor­den, weil eben sein Haar­bo­den krank war. Und die Frau, die die Un­treue des Ge­lieb­ten bös­ar­tig, ge­mein, scham­los und grau­sam macht, die war eben nie so sanft­mü­tig und edel, wie es der Schrift­stel­ler glau­ben ma­chen will, son­dern alle die pein­li­chen Ei­gen­schaf­ten wa­ren längst in ihr, ka­men aber nicht zum Aus­bruch, weil kein An­laß da­für vor­han­den war, und die Un­treue und Krän­kung hat sie nicht er­zeugt, son­dern nur ge­weckt.

Auch Kolo Is­ba­regg, der ges­tern noch ein ta­del­lo­ser Ehren­mann ge­we­sen war, hät­te den Ta­schen­dieb­stahl des heu­ti­gen Ta­ges sehr gut und ger­ne mit sei­ner grau­sa­men Not­la­ge, der Ver­wir­rung und Er­schüt­te­rung sei­ner Sin­ne durch den er­lit­te­nen Hun­ger ent­schul­di­gen kön­nen, wenn er ein klei­ner Dut­zend­heuch­ler ge­we­sen wäre. Er hat­te aber gar kei­ne Lust, sich vor sich selbst zu ent­schul­di­gen, son­dern be­trach­te­te sei­ne Hand­lungs­wei­se als ganz ver­nünf­tig und be­rech­tigt, als mo­ra­lisch so­gar, wenn man den Trieb, sich selbst zu er­hal­ten, als nor­mal und zu­läs­sig an­er­kennt.