HERBSTKATZERLTOD - Kate Delore - E-Book

HERBSTKATZERLTOD E-Book

Kate Delore

3,0

Beschreibung

 Furore im bayerischen Krautdorf Dacklrain …  Kriminalhauptkommissar Nick Hallinger ist der Appetit bei seinem Herbsturlaub gehörig vergangen. Während der Krautverkostung wird ein nackter Toter im Fass gefunden – ein Wellnessgast des Hotels Feixl. Die Verwirrung ist groß, als im Bottich auch noch ein Ring mit Kreuzsymbol auftaucht. Die begonnene Special-Feixl-Week droht im Mordschaos zu versinken. Und auch Rezeptionistin Lexi Bäumel hat eigentlich genug andere Sorgen, um sich in private Ermittlungen zu stürzen, aber beim Anblick der Leiche juckt es sie doch wieder in den Fingern. Dabei stößt sie auf ein Haus am Waldrand mit genau dem gleichen Kreuzsymbol. Was hat es mit der unheimlichen Frau am Fenster auf sich? Und wer ist der mysteriöse Kapuzenmann? Schon bald tappt Lexi in eine Falle und wird selbst zum Opfer …

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Herbstkatzerltod

ein Bayernkrimi

Impressum

Deutsche Erstausgabe Copyright Gesamtausgabe © 2022 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-713-6

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Herbstkatzerltod
Impressum
Über den Ort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Über die Autorin
Bayerisches Wörterbuch

Über den Ort

 

Herzlich willkommen in Dacklrain. Bei uns muss man gewesen sein.

So euphorisch begrüßte das am Waldrand aufgestellte, typisch gelbe Ortsschild Durchreisende und Ankömmlinge. Auf den zweiten Blick wirkte es eher abschreckend. Ein schamloser Dreckspatz hatte es mit einem unübersehbaren Fuck you beschmiert, aber Dacklrain scherte das nicht. Im Gegenteil. Das 971 gegründete Krautdorf strotzte vor Lebendigkeit und Weltoffenheit und hob sich charakteristisch vom Ortsbild der umliegenden Dörfer ab, was nicht nur an dem Höhenunterschied lag. Der Hügel befand sich neunhundert Meter über dem Meeresspiegel und sah auf die anderen, tiefergelegenen Dörfer hinab.

Fotografen und Filmteams nutzten die bunt angestrichenen Häuser und den buckligen Ortskern regelmäßig als Kulisse. Ein malerisches Fleckchen, sechzig Kilometer südlich von München gelegen, das sich über jeden Besucher freute und hauptsächlich vom Geldbeutel der Touristen lebte.

Trotzdem war das 5000-Seelen-Dorf nicht jedermanns Sache. Schon allein deshalb, weil der kleine verträumte Ort als bayerisches Nobel-Kaff bekannt war, in dem sich auch die Gspickten und die regionale Prominenz gern sehen- und niederließen und sich im Ruhm der Ortschaft aalten. So mancher Nachbarort schimpfte sogar über das reiche Dörflein, weil die Besucher bei ihnen selbst ausblieben. Da Dacklrain nur zwei Zufahrtswege durch einen Tunnel besaß, waren auch solche gezwungen, an dem touristischen Ort vorbeizufahren, die ihn mieden. Mondän ging es auch auf dem beliebten Wellnesshof Feixl zu – na ja, mehr oder weniger. Zumindest machte es den Anschein. Der landesweit bekannte »bayerische Palast« trug einen wesentlichen Anteil dazu bei, dass die Urlauber in den Sommermonaten von überallher pilgerten. Nicht selten kamen sie sogar mit Reisebussen vor dem beliebten Hotel an und spülten richtig viel Geld in die Kassen. Das charmant verzierte Bauernhaus stand von weit her sichtbar auf einer begrünten Anhöhe und lockte Gäste und Freunde aus der Ferne an. Und nicht nur die …

 

Frauen sind wie Katzen: Beide kann man nur  zwingen, das zu tun, was sie selber mögen. (Colette)

Kapitel 1

Der Tod ist ein Meister der Tarnung

Die Spitze des Metalls bohrte sich tief in den Kopf hinein und durchlöcherte den Stumpf. Blitzschnell, gnadenlos und begleitet von einem wummernden Geräusch. Dann war er hinüber. Grausam entstellt und vorbereitet zur Weiterverarbeitung. Schmierig-nasse Hände warfen ihn auf ein Förderband, das ihn am Ende der Fahrt im Trichter zerhäckselte.

»Faszinierend.«

Nick Hallinger sah gebannt beim Krauteinschneiden zu, während er seine neue Errungenschaft zähmte, die unter ihm aufmuckte. Eine Black Mamba.

Nein, er hatte nicht den Beruf als Hauptkriminalkommissar an den Nagel gehängt und war Schlangenbeschwörer der längsten Giftschlange Afrikas geworden, wartend auf den Kuss des Todes. Der selbst erkorene Dacklrain-Drifter in spe saß lässig auf einer wuchtigen mattschwarzen Harley-Davidson, von der aus er das Geschehen verfolgte. Er war nicht nur verblüfft hinsichtlich der donnernden PS und Specials, was die Motorik seiner Maschine hergab, sondern vor allem auch von der bäuerlichen Arbeitsmethode, die sich vor seinen Augen abspielte.

Nick stellte den Motor der Maschine ab. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, einmal bei dem Hofereignis zuzuschauen und sich extra am Samstagmorgen früher von seinen Frühstücksgewohnheiten losgerissen, bevor er seine Spritztour durch die hügelige Landschaft startete. Es war nur ein kurzer Abstecher, etwa dreißig Meter vom Wellnesshotel über den Hof zur Krauthalle.

»Den nächsten, und a bisserl schneller, wenn ich bitten darf«, schrie der Bauer Feixl mürrisch zu seinem Sohn. Für die einen war er der protzige Kohlkönig, für die anderen der grantelnde Mafiaboss. Nick stachen die maiskorngelben Gummistiefel, eine alte, abgewetzte Cordhose und eine schwarze Mehr-Sack-als-Regenjacke von Senior Feixl geradezu ins Auge. Ergo musste der Bauer noch weniger von Mode verstehen als der letzte Hinterwäldler. Noch dazu trug er über seinem krausen schwarzen Haar einen zerfledderten Strohhut, an dem ein paar Halme wirr in die Luft abstanden und der andere von ihm abschrecken sollte – ähnlich wie bei einer Vogelscheuche.

»Uaaaaaaah.« Der süße Hans gähnte herzhaft. »Muss des sein, der Terror jeden Morgen?«, beschwerte er sich. »Wer langsam arbeitet, der arbeitet gründlich.« Hans stand mit dreckigen Turnschuhen auf dem alten Anhänger und lupfte gemächlich die Krautköpfe zu seinem Vater. Das von ohrenbetäubend lauten Bohrgeräuschen begleitete Krauteinschneiden störte die ruhige Gegend rund um das Wellnesshotel. Aber nicht Nick, für den das Einschneiden einer der Höhepunkte in seinem Herbsturlaub war. Augen- und Ohrenwellness. Neben dem ergiebigen Monster-Schlemmerbrunch samt hausgemachtem Bircher Müsli – das war Magenwellness.

Schon allein deswegen scharrte er um 6:59 Uhr mit den Hufen, bis die Tür zum Frühstückssaal aufgesperrt wurde. Er lief ans Buffet, kratzte so gut wie alles von dem Bottich leer und ließ für die Zu-spät-Aufsteher nichts übrig. Selbst schuld, wer um 7 Uhr noch im Bett herumlungerte. Da war er Egoist und genoss den Monsterbrunch jeden Urlaubstag ohne Scham und Reue an seinem Lieblingsfensterplatz. Für sein morgendliches Kraftritual ließ er sich gern geschlagene zwei Stunden Zeit, las nebenher gemütlich die Hotelzeitung und genoss die direkte Aussicht in den Kräutergarten, solange, bis ihm die Sitzhöcker weh taten und ihm der Bauch vom aufgequollenen Müsli platzte.

»Krankes Bayernvolk! Das ist Ruhestörung! Ihr penetranten Arschlöcher.«

»Hoppla.« Nick hielt Ausschau in die Richtung, aus der das Geschimpfe kam und blieb bei dem älteren, grimmig dreinschauenden Gesicht eines Mannes hängen. Mit seinem hellbraunen Vokuhila-Look erinnerte er Nick an einen Wolfgang Petry-Verschnitt – nur hatte der nicht so ein voluminöses aufgedunsenes Gesicht und würde sich bestimmt auch nicht so anziehen wie dieser Schreihals. Bekleidet mit knallrotem T-Shirt, grauer, enganliegender Boxershorts und einem offenen, weißen Frotteebademantel brüllte der aus dem Hotelfenster und fuchtelte erregt mit den Händen. »Ich bin im Urlaub, ihr verdammten Penner.«

»Halt dei Fotzn mit deinem Mastschädel«, schimpfte Feixl. »Ich hab‘s nicht so schee wie du.« Er drehte ihm ignorant-gekonnt den Rücken zu und nahm die Arbeit wieder auf, indem er den nächsten Krautkopf unter den Häcksler warf. »Anni und ich waren die flottesten Krautputzer aus Dacklrain«, schrie Feixl stolz zu Nick. »Nicht mal was zum Saufen ham mir uns gegönnt, so lange bis mir abends fertig waren. Und dann möcht der faule Hund mir was von Ruhestörung verzapfen!«, schimpfte Feixl und untermauerte es mit einer abfälligen Handbewegung.

»Bitte, was quakst du da? Red deutsch, du Bauerntrampel«, brüllte der im Gesicht bläulich und violett angelaufene Mann. »Aber warte nur, ne? Euch mach ich die Hölle heiß, dass es sich gewaschen hat! Mir reichts noch von dem Schiet gestern Nacht. Das war die reinste Tortur für meine Nerven. Schikane im Urlaub. So was verzeih ich nie.« Der Mann schlug das Fenster zu und verschwand.

»Was meint er?«, fragte Nick in die Runde. »Wie ist der denn für Samstagmorgen drauf?« Er sah zum inzwischen wieder unbesetzten Fenster. Sein lautstarkes Urlaubshighlight kam offenbar nicht bei jedem so gut an.

»Ach mei, bei dem wundert mich gar nix. Des ist nur Geert Gallenkamp, unser neuer Dauergast«, schrie Anni Feixl zu Nick. »Stammt aus dem hohen Norden.«

»Dauergast?«, fragte Nick. »Dann sollte er eigentlich dauerentspannt sein.«

»Ach, von wegen. Ein furchtbarer Choleriker ist des. Der wurde von seiner Frau vor ein paar Monaten vor die Tür gesetzt. Seitdem hat er sein Zelt bei uns aufgeschlagen und ist mordsgrantig.« Ihre Stimme ging fast unter bei dem Lärm, obwohl sie aus voller Kraft in Nicks Richtung schrie. Sie stand hinter dem Krautschneideband, stampfte mit wiesengrünen Gummistiefeln fleißig auf einem Fass stehend das Kraut ein und kippte in regelmäßigem Abstand eine Ladung Salz hinein.

Feinstes Sauerkraut vom Fass. So hatte es der Bauer schon vor Tagen auf einer Tafel neben dem Hotel handschriftlich angepriesen und den Holzpfeiler samt Schild in die Erde versenkt. Das hatte auch letztlich Nick hergelockt. Der Wind wirbelte auf dem Hof einen Stoß bunter Blätter umher und ließ sie auch auf den Anhänger fliegen. Der Pflasterboden des Feixl-Hofs war übersät mit buntscheckigem Laub. Goldener Oktober in Dacklrain. Genau genommen gelb-brauner Oktober im lila angehauchten Nebellicht. Schon in wenigen Tagen würde er sich dem Ende zuneigen. Ein spürbares Herbstfinale. Alle paar Sekunden flatterte ein Blatt von einem Ast. Nicht lange, und die Bäume wären wieder kahl und trist, vorbereitet auf den rauen Winter. Zumindest das Wetter konnte sich noch nicht entscheiden und wechselte zwischen heftigen Sturmböen, den letzten verbleibenden Nebelschwaden und zartdurchdringendem Sonnenschein. Ein Windstoß ließ abrupt Dutzende Blätter von den Bäumen regnen. Nick wischte sich ein quietschgelbes Ahornblatt aus dem Haar, das sich in einer Strähne verfangen hatte.

»Da treibst du dich herum.« Ilse steuerte mit satt aufgetragenem dunkelrotem Lippenstift, flatterigen Glitzer-Minikleidchen und glänzenden Lederstiefeln direkt auf ihn zu und funkelte wie eine Weihnachtskugel im Discolicht. »Wieso bist du mit dem Mordsding hier? Ich dachte, du wolltest eine Runde im Außenpool schwimmen.«

»Da war‘s mir zu wuselig«, erklärte Nick und schob raschelnd ein paar Blätter mit seinen offenen Sandalen weg, unter denen er schwarze Baumwollsocken trug. »Es wimmelt nur so vor Badegästen. Und ich brauch meine Ruhe.«

»Die hast hier erst recht nicht«, bemerkte Ilse und zeigte auf die lärmende Krautschneidemaschine. »Sagst gar nix zu meinem neuen Aufzug? Extra für dich hübsch gemacht.« Ilse fuhr sich durch ihr blond gefärbtes, welliges Haar und zwinkerte ihm zu.

»Das wird ja noch mit dir«, sagte Nick.

»Mehr sagst du nicht?«, fragte sie enttäuscht. »Die Armani-Stiefel haben ein Vermögen gekostet. Und mein Make-up von Estée Lauder auch. Schau doch mal. Alles Designerware.« Sie schlug ein Ende ihres mintgrünen Strickschals um die Schulter, drückte beide Hände in ihre füllige Taille und drehte sich langsam von links nach rechts im Kreis herum. Wie eine Ballerina auf einer Schmuckdose, nur dass die zarte Porzellanfigur auf der Schatulle nicht mit ihrer Körperfülle übereinstimmte.

»Lass mal sehen.« Nick nahm seine Frau unter die Lupe. Er musterte sie wie eine Second-Hand-Ware, an der man irgendeinen Mangel feststellen musste, wenn man nur penibel danach suchte. »Siehst nett aus.« Das war alles, was er aus sich herausquetschen konnte. Mit Komplimenten warf Nick nicht gern um sich, viel lieber teilte er Sticheleien gegenüber Ilse aus. Seiner Ansicht nach hielt das die Ehe frisch und lebendig. Aber insgeheim war er mehr als erfreut über das neue Aussehen seiner Frau. Nur die nächtlich surrende Schlafmaske legte weiterhin ihr Liebesleben lahm.

»Nett?«, fragte Ilse. »Pfff. Ich geb dir gleich ein nett.« Nick konnte ihren brodelnden Unterton hören, bei dem er schleunigst mit der Harley die Flucht hätte ergreifen sollen. »Und was machst du für deine Optik?« Sie runzelte kräftig die Stirn und pikste ihn mit dem spitzigen Fingernagel in den Bauch.

»Ich?« Nick sah an sich hinunter, als wüsste er nicht, was er heute angezogen hätte. Er klappte seine schwarze Lederjacke auf, den Kragen hatte er dabei rockermäßig hochgestellt und empfand sich so unwiderstehlich, wie sich James Dean damals gefühlt haben musste. Jetzt noch eine Zigarette in den Mund gesteckt, einen Strohhalm ins Haar und er hätte die guten alten Zeiten aufleben lassen können. »Wieso?«, fragte er. Als Mann mochte er es praktisch und pickte sich daher immer das Hemd, den Pullover und die Hose heraus, welche im Schrank obenauf lagen und von Ilse einsortiert worden waren. »Den Pulli hast du mir doch selbst gekauft«, sagte er und strich ihn mit einer Handbewegung glatt. »Cashmere.«

»Den meine ich gar nicht.« Ilse deutete auf seine abgelatschten, offenen Schuhe. »Zieh doch mal schwarze Lackschuhe für mich an. Die stünden dir so gut«, stöhnte sie. »Und überhaupt kannst du unmöglich so Motorrad fahren. Das ist ja lebensgefährlich. Und mit dem Höllending zweifach.«

»Du kennst mein Problem«, knurrte Nick. »Sobald meine Füße in geschlossenen Schuhen stecken, wird’s unerträglich mit meiner Neurodermitis.«

»Ausrede.«

»Nix Ausrede. Wie lange plag ich mich damit schon rum?« Nick platzte fast die Hutschnur. »Mal abgesehen davon bin ich doch sonst ein stattlicher Kerl, oder etwa nicht?«

»Geh halt mal zum Doktor und lass dir helfen«, erwiderte sie.

»Ah ge, ich geh doch nicht wegen jedem Scheiß zum Kittelmann und belaste die Krankenkasse. Das ist nur was für Weichgespülte.« Nick hasste Arztbesuche und winkte ab. »Die kriegen mich so schnell nimmer zu sehen. Nein, nein. Das wird schon wieder mit meinem Fuß, irgendwann«, redete er sich selbst ein.

»Von wegen. Sturschädel!« Ilse schäumte. »Ist es seit Jahren nicht. Wieso soll‘s plötzlich von selbst werden?«

»Ah, ge. Jetzt hör auf. Oder willst du schon am Morgen ein Fass aufmachen?« Nick sah zeitgleich, wie das Bauernpaar einen vollen Krautbottich mit halbkreisförmigen Rechts-links-Bewegungen in ein leeres Eck in der Halle chauffierten und Anni die Plane mit Wasser befüllte und mit Steinen beschwerte.

»Nein, ich hör nicht auf. Das würde dir so passen.« Sie stemmte wieder beide Hände in die Hüften, dieses Mal mit einer spürbaren Aggression. »Du willst gar nix für unsere Ehe tun, ge?«, fragte sie spitz.

Oh-oh. Gleich brennt‘s. Nick hatte nichts gegen weibliche Aggression am richtigen Platz, aber das wurde ihm jetzt zu bunt. Er ließ die Maschine anspringen und spielte mit dem Handgas, das er immer wieder anzog und den Sound der Maschine nach oben trieb. Bereit, um von Ilse abzudampfen, den kleinen Hügel nach unten ins Tal zu brausen und sich die Freiheit ins Gesicht wehen zu lassen, bevor ihn der Sturm wegfegte.

»Kostprobe für Sie gefällig?« Anni Feixl schrie aus der offenen Halle und winkte Nick herüber zu einem anderen, großen, grünen Fass. Nick ließ die Black Mamba sofort wieder absacken. Die Bäuerin zog die Abdeckplane weg, ohne auf eine Antwort zu warten. »Unser erstes Sauerkraut in diesem Jahr nach über vier Wochen Gärung.«

»Uiii. Ja, da schau her.«

»Wie wär‘s, Herr Hallinger? Möchtens als Erster probieren?«

»Ich? Ja, freilich, da sag ich nicht nein.« In Nicks Ohren klingelte es. Sofort stieg er von seiner Maschine ab und latschte zum Fass rüber. Das ließe er sich nicht zweimal sagen. Er liebte frisches Sauerkraut. Und zudem konnte er so dem unangenehmen Gespräch mit seiner Frau entwischen. Für Nick war Ilse heute eindeutig im Kampfmodus und er hatte keine Lust, mit ihr in den Ring zu steigen. Allein im Hinblick auf ihre üppigen Rundungen, die ihn vermutlich schon in der ersten Runde k. o. schlagen würden.

»Muss das sein?«, fragte Ilse. »Ich dachte, wir wollten später fein zum Mittagessen ins Goldene Besenstüberl zum Star-Koch Schuster? Ich freu mich schon furchtbar auf die Spaghetti Arrabiata Schuster-Speciale.«

»Was scheißt dir du um den Star-Koch?«

»Ja, aber da geht’s sehr vornehm zu. Und davon bekommst nur Blähungen.«

»Ach, red doch nicht, das putzt den Darm.« Nick zog seine Motorradhandschuhe aus und steckte sie in die Jackentasche.

»Was ist mit Ihren Händen passiert?«, fragte die Bäuerin.

»Ach das?«, sagte Nick und sah auf die bläulichen Flecken. Er hatte nur auf die Frage gewartet und war innerlich darauf vorbereitet gewesen. »Ein kleiner Werkstattunfall«, sagte er und schielte fuchsig zu seiner Frau. »Ge, Ilse?«

»Wenn du das so nennen magst.«

Nick fischte sich mit drei Fingern ein paar Sauerkrautfäden heraus, beugte den Kopf nach hinten und ließ sie in seinen Mund wandern. »Mmmmmh. Das wär auch was für dich. Es gibt nix Besseres.«

»Auf keinen Fall.« Ilse wehrte mit beiden Händen ab und verzog angewidert das Gesicht. »Lieber sterbe ich.«

»Waaaah.« Ein lauter, kurzer Aufschrei jagte quer durch die Krauthalle und schreckte alle auf.

»Was schreist denn so?«, schrie Feixl zu seiner Frau. »Immer des gleiche Theater.«

Die Bäuerin stand vor dem letzten Krautfass in der Halle und schaute starr vor sich hin. Sie hielt die rechte Hand auf ihre Brust. Ihr Gesicht war todesbleich, als hätte sie den Ötzi frisch ausgebuddelt im Gletschereis von Schnalstal gefunden.

»Da, schauts nur.« Anni Feixl zeigte geschockt auf einen XXL-Behälter vor ihr, neben dem sich ringsum eine riesige Sauerkrautlache gebildet hatte. Ihre Hände zitterten.

»Was ist denn los?«, fragte Nick, noch schmatzend mit vollem Sauerkrautmund und eilte hinüber zu Anni. Er beugte sich über das Behältnis und schielte hinein. »Oha.«

»Da … da schwimmt einer«, sagte sie zittrig.

»Das sehe ich.«

Der obere Teil eines Kopfes lugte aus dem Sauerkrautfass heraus, Nase, Mund und Ohren waren durch das zusammengestauchte Kraut verdeckt.

»Lebt der noch?«, fragte ihn Anni aufgeregt. »Ich glaub, seine Augenbrauen haben grade gezuckt.«

»Um Gottes willen. Nick, mach was«, sagte Ilse. »Steh nicht rum und zieh ihn raus.«

Er schob die Ärmel seiner Lederjacke samt dem grauen Pullover etwas zurück, fasste mit seinen bloßen Händen hinein und grub sich durch das matschig weiche Kraut. Mit einem Griff unter die Achseln zog er den splitterfasernackten Körper aus dem Sauerkrautbehälter und legte ihn vor sich auf den geteerten Boden. Oder besser gesagt, in die Krautpfütze. Der Leib des Mannes war zur Hälfte mit Sauerkraut beklebt, mehrere zusammenhängende Fäden verdeckten auch sein bestes Stück. Ohne weiter nachzudenken, beatmete Nick ihn und leistete mit einer Herzdruckmassage Erste Hilfe.

»Hallo, hören Sie mich?«, rief Nick ihm zu und pumpte Luft in seine Lungen.

»Und?«, fragte Ilse. »Beeil dich, Nick.«

»Das sieht nicht gut aus.«

»Ich ruf den Rettungswagen.« Ilse zückte ihr Handy und tippte die Notrufnummer ein. »Ja, hallo? Kommen Sie schnell zum Feixl-Hof … was passiert ist? Wir haben einen Bewusstlosen«, sagte Ilse durchs Telefon. »Der bewegt sich nicht mehr.«

Nick sah zu ihr hoch. »Ich befürchte, er ist tot.«

Kapitel 2

Das Unheimliche erwacht in deinen Gedanken und manifestiert sich

»Tot?« Ilse senkte ihr Handy. »Ja, sauber.«

Nick konnte förmlich sehen, wie der himbeerrote Putz in ihrem Gesicht abblätterte und sich in ein aschfahles Grau verwandelte.

»Sieht ganz so aus.«

Feinstes Sauerkraut vom Fass mit Leiche. Nick schmeckte im Speichel noch den sauren Saft inklusive der fies zwischen seinen Zähnen hängenden Mini-Nussstückchen seines Bircher-Müsli-Vergehens, aber ihm war der Appetit gehörig vergangen.

»Oh Gott.« Ilse zuckte zurück. »Nicht wieder eine Leiche in unserem Urlaub.«

»Eine Leiche? Ha, dann hab ich ja Feierabend.« Hans stieg blitzschnell vom Anhänger und latschte neugierig auf den Trog zu.

»He, du bleibst oben, fauler Hund«, schimpfte Franz Feixl seinen Sohn. »Wir müssen heute fertig werden.«

Hans ließ sich nicht von seinem Vater aufhalten und schaute stattdessen neugierig in das Behältnis.

»Um Gottes willen. Der hat sich doch noch gerührt eben«, sagte Anni.

»Glaube, da haben Sie sich geirrt.«

»Aber im Gesicht hat doch was gezuckt.«

»Tja. Bestimmt haben Sie durch das schwappende Krautwasser irgendwelche Bewegungen reininterpretiert«, sagte Nick. »Kommt vor. Das Gehirn spielt uns manchmal hundsgemeine Streiche.«

»Und wie kommt der da rein?« Die Bäuerin drehte sich aufgelöst zu ihrem Sohn hin. »Kennst du den?«

»Oh-oh. Ein Fluch liegt über unserem Hof.« Hans biss in die oberste Ecke eines abgetrennten, vom Anhänger mitgenommenen Krautblatts hinein und aß es genüsslich, so als schmeckte es wie weiße Crisp-Schokolade. Zumindest knackte es so. »Des schaut nicht gut für uns aus, Mutter. Bald sind wir reif fürs Guinnessbuch der Rekorde.«

»Leck mich am Arsch. Scho wieder a Toter bei uns am Hof?«, fragte Franz Feixl und gesellte sich zu den beiden. In der einen Hand hielt er ein langes, metallenes Krautmesser mit schwarzem Stil, mit dem er unbewusst Spiegellichter an die Hallendecke projizierte. Mit der anderen zupfte er an seinem Strohhut herum, offenbar, um sich nervlich zu beruhigen.

»Was war das, Himmelherrgott?« Nick horchte auf.

»Ja, ja. Ich hab‘s auch gehört«, bekräftigte Ilse.

Ein kurzes quietschendes Piepgeräusch echote durch die Halle und fand so schnell wieder zur Stille, wie es aufgetaucht war.

»Ha?« Anni ließ ihren Blick durch die Halle wandern und zuckte mit den Schultern. »Des weiß ich auch nicht, was des war. Aber der Tote da … Ist des nicht ein Gast von uns? Sieht aus wie der Melkner, oder was meinst, Franzl?«

»Ge, freilich.«

»Melkner, aha. Und der Vorname?«

»Glaub, Otto heißt er«, sagte Anni und wischte sich eine Träne weg.

»Und wann haben Sie Herrn Melkner zum letzten Mal lebend gesehen?«

»Erst gestern hab ich den no im Hotel laufen sehen. Mei, hat der ein Gfries zogen.«

»Wie meinen Sie das?«, hakte Nick beim Bauern nach.

»Komisch geschaut hat er. Grantig. Als sei er mit dem falschen Fuß aufgestanden. Irgendwas hat ihm nicht gepasst.«

»Grantig? Des glaub ich nicht. Für mich war der nur durch den Wind. Sonst war der immer nett. Oh Gott, oh Gott, is mir schlecht«, sagte Anni und sah zu Nick. »Ich hab fei nix damit zu tun.« Sie blockte mit den feuchtnassen Händen ab. »Wir sind ruiniert.«

»Nur die Ruhe, Anni.« Nick tätschelte sie an der Schulter. Er konnte ihren aufgeregten Herzschlag wahrnehmen, der vermutlich im Augenblick unzählige Purzelbäume schlug.

»Bald müssen wir dichtmachen. Kommt doch kein Gast mehr zu uns.«

»Jetzt mal langsam«, beruhigte Nick die Umstehenden. »Wird die Halle über Nacht nicht abgesperrt?«

»Mei, des Hallentor schieben wir zwar zu, aber die Türe schließen wir meistens nicht ab. Nur an manchen Tagen, wenn wir dran denken«, sagte Anni. »Wieso auch? Ist ja nur unser Krautlager.«

»Ha, sehr professionell, wie ihr euren Laden schmeißt«, bemerkte Hans spitz. »Schlampig vom Feinsten.«

Anni warf Hans einen stechend scharfen Blick zu, sagte aber nichts.

»Ist doch die Wahrheit. Soll nur jeder wissen, was ihr für einen Verhau beeinander habts. So was nenne ich aufgeflogen, Mutter.«

»Dann kann hier im Prinzip jeder x-Beliebige rein?«, fragte Nick weiter.

»So gesehen schon. Aber noch nie hat sich jemand ungefragt bei uns reingetraut. Die Gäste vom Hotel schon gleich dreimal nicht. Das wär ja das erste Mal überhaupt, seitdem ich auf den Hof eingeheiratet hab.«

»Hmmm. Denken Sie an Selbstmord?«

»Selbstmord?« Anni machte große Augen und sah hilfesuchend zu ihrem Mann.

»Der Melkner?« Der Bauer kratzte sich mit einer nassen Krauthand an der Schläfe. »Selbstmord in unserem Sauerkrautfass? Pah. Da gibt’s andere Möglichkeiten.«

»Vielleicht wollte er einen besonderen Tod? Einen, den die anderen nie vergessen«, sagte Hans. »Gspinnerte gibt’s überall. Aber wobei … bei uns in Dacklrain gibt’s schon die meisten.«

Und du bist einer von denen, Freundchen. Nick hatte den süßen Hans