MILLIRAHMSTRUDELMORD - Kate Delore - E-Book

MILLIRAHMSTRUDELMORD E-Book

Kate Delore

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Beschreibung

 Aufregung im bayerischen Krautdorf Dacklrain …  Auf dem Wellnesshof Feixl sorgt ein abgetrennter Kopf für einigen Wirbel bei der Bauernfamilie. Der Tote ist Olaf Bauchdrexler, ein ehemaliger Wellnessgast, und selbst Kriminalhauptkommissar Nick Hallinger staunt nicht schlecht, als eine Tigermücke aus dem Mund des Toten fliegt. Doch es bleibt nicht bei einer Leiche … Schnell wird klar, dass die Morde in Zusammenhang stehen müssen. Die kesse Rezeptionistin Lexi Bäumel mischt dabei kräftig bei den Nachforschungen mit. Blöd nur, dass ihr Freund Justus der Kollege von Nick Hallinger ist und sie den beiden gehörig in die Quere kommt. Aber Lexi kann es eben nicht lassen. Wer ist der unheimliche Mann im Wald? Und was hat es mit dem Richtfest auf sich? Ihre Ermittlungen führen sie in ein unterirdischen Verlies, und was sie dort entdeckt, lässt sie plötzlich selbst zur Gejagten werden…

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Millirahmstrudelmord

ein Bayernkrimi

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Copyright Gesamtausgabe © 2021 LUZIFER Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2021) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-606-1

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Millirahmstrudelmord
Impressum
Über den Ort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Über die Autorin
Millirahmstrudel-Rezept
Bayerisches Wörterbuch

Über den Ort

Herzlich Willkommen in Dacklrain. Bei uns muss man gewesen sein.

So euphorisch begrüßte das am Waldrand aufgestellte, typisch gelbe Ortsschild Durchreisende und Ankömmlinge. Auf den zweiten Blick wirkte es eher abschreckend. Ein schamloser Dreckspatz hatte es mit einem unübersehbaren Fuck you beschmiert, aber Dacklrain scherte das nicht. Im Gegenteil. Das 971 gegründete Krautdorf strotzte vor Lebendigkeit und Weltoffenheit und hob sich charakteristisch vom Ortsbild der umliegenden Dörfer ab, was nicht nur an dem Höhenunterschied lag. Der Hügel befand sich neunhundert Meter über dem Meeresspiegel und sah auf die anderen, tiefergelegenen Dörfer hinab.

Fotografen und Filmteams nutzten die bunt angestrichenen Häuser und den buckligen Ortskern regelmäßig als Kulisse. Ein malerisches Fleckchen, sechzig Kilometer südlich von München gelegen, das sich über jeden Besucher freute und hauptsächlich vom Geldbeutel der Touristen lebte.

Trotzdem war das 5000-Seelen-Dorf nicht jedermanns Sache. Schon allein deshalb, weil der kleine verträumte Ort als bayerisches Nobel-Kaff bekannt war, in dem sich auch die Gspickten und die regionale Prominenz gern sehen- und niederließen und sich im Ruhm der Ortschaft aalten. So mancher Nachbarort schimpfte sogar über das reiche Dörflein, weil die Besucher bei ihnen selbst ausblieben. Da Dacklrain nur zwei Zufahrtswege durch einen Tunnel besaß, waren auch solche gezwungen, an dem touristischen Ort vorbeizufahren, die ihn mieden. Mondän ging es auch beim beliebten Wellnesshof Feixl zu – na ja, mehr oder weniger. Zumindest machte es den Anschein. Der landesweit bekannte »bayerische Palast« trug einen wesentlichen Anteil dazu bei, dass die Urlauber in den Sommermonaten von überall her pilgerten. Nicht selten kamen sie sogar mit Reisebussen vor dem beliebten Hotel an und spülten richtig viel Geld in die Kassen. Das charmant verzierte Bauernhaus stand von weit her sichtbar auf einer begrünten Anhöhe und lockte Gäste und Freunde aus der Ferne an. Und nicht nur die …

Kapitel 1

Neujahr um an Hahnenschrei

Heilig Drei König um an Hirschensprung

Lichtmess um a ganze Stund

Die grelle Januarsonne brannte auf die Flur nieder. Zwar fühlten sich die Sonnenstrahlen gedämpft an, aber in Dacklrain konnte man spüren, dass sie kräftiger als sonst um diese Jahreszeit auf der Haut brannten.

Bis jetzt war kein Schnee übers Land gefallen. Keine einzige Flocke, die sich auf dem Boden niederließ. Stattdessen zogen die ersten Singvögel pfeifend durch die Lüfte, und es schien, als wäre der Frühling ausgebrochen. Laut Wetteraufzeichnung war dieser Januar schon jetzt der mildeste der vergangenen fünfzig Jahre. Es war nicht länger zu leugnen, dass der Klimawandel in vollem Gange war.

Ein Schwarm dutzender Saatkrähen machte sich die günstigen Wetterverhältnisse zunutze und tummelte sich auf dem Acker, den die Bäuerin Anni Feixl frisch umpflügte. Auf der Suche nach Beute strichen die Vögel über das Feld und zogen Würmer und Getreidekörner aus der gelockerten Erde. Viele der herrschaftlich anmutigen Krähen waren Gäste aus den sibirischen Gebieten, und einige blieben zum Überwintern hier. Ihr schwarzes Federkleid schimmerte geheimnisvoll im blendenden Sonnenlicht. Durch ein lautes schepperndes Geräusch erschraken die Vögel, die in Windeseile vom Acker abhoben und auf den umliegenden Baumkronen Platz nahmen.

»Herrschaft, was war des?« Die Bäuerin hielt abrupt mit ihrem leuchtend grünen John-Deere-Traktor in den Feldspuren an. Ein rumpelnder Krach war bis zu ihrer Fahrerkabine vorgedrungen. Sie sah irritiert in Richtung des Pfluggeräts, das durch etwas behindert worden war. »Immer des Gschieß mit der Technik. Als hätte ich nix anderes zu tun den ganzen Tag«, beschwerte sie sich kopfschüttelnd. Sie zupfte ihr braun-weiß kariertes Kopftuch zurecht, stieg die zwei breiten Stufen hinab und lief zur Hinterseite des Traktors. »Ja, Himmelherrgott!«, schrie sie auf und schlug sich die zitternden Hände vors Gesicht.

Vor Angst gelähmt, sah Anni Feixl in die landwirtschaftliche Maschine; starrte gebannt auf das, was sie entdeckt hatte und was in der stählernen Pflugschar feststeckte. »Jessas, Maria und Josef! Des gibt’s doch nicht«, stieß sie entsetzt aus und hielt den Kopf schief. »Bin ich jetzt deppert?« Entgeistert schielte sie auf den abgetrennten menschlichen Kopf. Sie beugte sich weiter hinab und betrachtete das aschfahle, mit klumpiger Erde und Blut verschmierte Antlitz des Toten. »Des ist doch des Gesicht vom Bauchdrexler, oder nicht?« Sie zog entsetzt den Kopf zurück. Die Bäuerin deutete drei Kreuzzeichen hintereinander an und küsste symbolisch auf das bronzefarbene Kreuz, das sie als Kette um den Hals trug und das ihr Schutz bieten sollte. »Mein Gott, eine Katastrophe ist geschehen! Wenn des der Franzl sieht …« Voller Panik sprang sie in den Traktor. Sie drückte mit dem blutigen Souvenir im Schlepptau aufs Gas und dampfte vom Acker davon. Schon nach wenigen Fahrminuten erreichte sie den kleinen Hügel, fuhr hinauf und bog in den Feixl-Hof ein. Die Bäuerin schlug die Fahrertür des Traktors auf und flitzte in den angrenzenden Wellnesshof. Schnurstracks zu der einzigen Person, der sie ihr grausiges Fundstück zeigen konnte. Schnaufend und außer sich vor Angst.

Was auf dem Ackerland zurückblieb, waren die Krähen auf den Ästen und das Hinterlistige, das sich nach Dacklrain geschlichen hatte. Etwas Bedrückendes schwebte in der Luft. Ein Windhauch mit bitterem Beigeschmack, der unbemerkt hereinströmte und sich ungehindert verteilte, den friedlichen Ort veränderte und auf fatale Weise vergiftete. Dacklrain lag noch im zarten Winterschlaf, aber in der Ortschaft gab es etwas, das in den Einwohnern schlummerte und langsam heranreifte. Ein gefährliches Verlangen, das immer stärker wurde und in ihnen ausbrach wie eine Seuche.

Während die Sonnenstrahlen weiter das Dorf blendeten, ahnte niemand, was bevorstand. Es blieb für die Dacklrainer unsichtbar.  

Kapitel 2

Die dunkelsten Begierden lauern in deinem Kopf

Kriminalhauptkommissar Nick Hallinger stand mit weißen Schlappen und hochgezogenen Tennissocken mitten auf dem Hof. Er zog die Schnüre seines cremefarbenen Bademantels zu, auf dem seitlich in weißem schnörkeligen Schriftzug Wellnesshof Feixl stand.

Eigentlich war er bis vor wenigen Minuten nur Urlaubsgast auf der Farm gewesen. Einer, der einzig und allein an Wellness, Saunieren und Abschalten dachte. Bis zu der Minute, als die Bäuerin und Hotelchefin Anni Feixl ihn aufgeregt aus dem Bett geklopft und erregt hinter seiner Zimmertür geschrien hatte.

Es war kein Wunder, in Dacklrain war er als Kriminaler längst bekannt wie ein bunter Hund. Im Gegenzug kannte er genauso die bayerische Mafiakrautfamilie, bei der er urlaubte. Nicht, dass die Familie verbrecherische Züge hätte. Nur die pechschwarzen Haare, mit denen sie alle ausgestattet waren, erinnerten Nick an sizilianische Verhältnisse. Na ja, fast alle. Einer fiel optisch aus dem Rahmen: Der Sohn Hansi, der plantinblondes, fast weißliches, kurz geraspeltes Haar trug. Und ausgerechnet er war als einziger der Familie schon bei der Polizei auffällig geworden – durch von ihm angezettelte handfeste Bierfestschlägereien. Für die einen war er der süße Hans, für Nick nur ein fauler Hoflump.

Er rieb sich angespannt die pochenden Schläfen. In der Tat hätte sich Nick einen schöneren und vor allem sanfteren Weckruf gewünscht, nachdem er gestern in der hoteleigenen Kellerbar ein paar Schnäpse zu viel probiert hatte.

»Wen haben wir denn da?«

»Den Bauchdrexler«, sagte Anni fassungslos neben ihm stehend.

»Ach, Sie kennen ihn?«

»Was heißt kennen? Er ist öfters zu Gast bei uns.«  

»War öfters zu Gast«, berichtigte er sie und schielte zurück auf den Leichenkopf, was selbst für ihn ein grauenhafter Anblick war. »Wissen Sie sonst noch etwas über ihn? Beruf? Freunde, Bekannte?«

Anni überlegte kurz. »Puh. Geredet hat der gar nicht so viel. Sonst war er eher einer von derstaaden Sorte. Verstehens? Aber in letzter Zeit hat er in seinem Wesen aufgedreht. Irgendwas hat er gschnabelt vom Geschäft seines Lebens und damit geprahlt. Umsonst bei uns essen wollt der trotzdem immer. Hat sich gern die Wampe vollgeschlagen für lau. Und des, obwohl sein Geldbeutel voller großer Scheine war.«

»Hmm, verstehe.« Nick drehte seinen Kopf um 180 Grad in Richtung der Hoteleingangstür, da er abgelenkt wurde und stampfende Geräusche hinter sich wahrnahm. Apropos Essen.

»Schon gefrühstückt?«

Er sah warnend seine Frau Ilse an, die vermutlich die Weckrufaktion vom Nebenzimmer aus mitbekommen hatte und voller Neugier in Morgenmantel und ihren braunen Fellstiefeln zu ihm herüberstapfte. Ihr hochnäsiger Gang und die blondierten Haare waren so halbwegs das einzige, was ihn an die frühere wilde Zeit mit ihr erinnerte. Seitdem sie nachts eine Atemmaske trug, die laute Geräusche von sich gab, schliefen sie in getrennten Zimmern und nichts war so, wie es einst gewesen war. Schon gar nicht im Bettgemach.

»Der Morgen geht ja gut los«, seufzte Nick angestrengt und meinte nicht den abgetrennten, erdig-schmutzigen Kopf, der demonstrativ bedrohlich in dem Pfluggerät steckte, sondern seine eigene Frau, die optisch immer mehr zu einem wahr gewordenen Fleischbrocken mutierte.

»Oh Gott«, rief Ilse fassungslos über den Fund und schlug sich die Hände vors Gesicht, das plötzlich kreidebleich wurde.

»Appetitlich, ge?«

»Uaaa, ist das widerlich.« Seine Frau kämpfte mit einem sichtlich aufgetretenen Würgereiz und verzog das Gesicht. »Das ist das Schlimmste, was ich je gesehen hab.«

»Schau‘s dir an, wenn du mir schon folgst. Nur so wirst du eine Hartgesottene«, befahl er seiner Frau. Manchmal hatte Nick das Gefühl, seit zwanzig Jahren mit einem Kurschatten verheiratet zu sein, der ihm überall hin blind folgte.  

»Was hast du dir nur für einen ekelerregenden Beruf ausgesucht? Einfach grausam.«

»Sag mal, hörst du das?« Nick ignorierte ihre Aussage und beugte sich zu dem Kopf hinunter. Merkwürdige Geräusche drangen aus dem Schädel und lenkten ihn ab.  

»Nein, was?«  

»Da brummt‘s doch.« Irritiert sah er zu Ilse auf.  

»Ich glaub, dein Kopf brummt, mein lieber Mann. Kein Wunder, nach deinem Absturz gestern.«

»Ach, Schmarrn. Irgendwas ist da drin. Horch doch mal«, forderte er seine Frau auf.

»Bloß nicht, der Anblick reicht mir für den Rest meines Lebens«, stieß sie angewidert aus und flüchtete ein paar Schritte rückwärts.

»Na, ge. Weil du mir immer nachschleichst.« Vorsichtig näherte sich Nick mit dem Gesicht dem aufgequollenen Leichenkopf und lauschte. Waghalsig nah. Mit seiner rechten Hand öffnete er vorsichtig den bläulich verfärbten Mund des Toten. Und da. Die letzten surrenden Lebenszeichen flogen aus der Mundhöhle und versuchten in die Freiheit aufzubrechen.

»Ist nur eine Fliege«, stellte Ilse fest.

»Nix Fliege. Das sieht aus wie etwas anderes.« Nicks Kopf ratterte.

»Etwas anderes?«

»Ich hab’s.« Er klatschte triumphierend in die Hände. »Eine Asiatische Tigermücke. Weißt du noch, das Buch über Insekten in unserem Regal?«

»Hör mir auf. Leben die nicht in Afrika?«

»Wenn ich es dir sag. Durch das milde Klima ist es möglich, dass die jetzt auch in Bayern unterwegs sind.«

»Im Januar?«, bohrte Ilse verdutzt nach.

Das Insekt flog scheinbar mit letzter Kraft auf Ilses kräftigen Unterarm.

»Mistvieh.« Sie schlug mit der anderen Hand zu und zermatschte das Insekt auf ihrer dickschichtigen Haut. »Die Matz wollte mich stechen.«

»Was machst denn? Vernichtest ungefragt mein Beweisstück.«

»Beweisstück … red doch keinen Schmarrn.« Ilse schüttelte den Kopf. »Da brauch ich kein Blut mehr spenden, wenn ich’s mir von den Mücken abzapfen lass. Wie ist dieses Ding überhaupt da hineingekommen?«

»Mei. Hinein gibt‘s viele Wege. Aber raus finden die meisten nicht mehr, wie im echten Leben«, entgegnete Nick. »Bei dir ist es doch das gleiche Dilemma.«

»Wie meinst jetzt das?«

»Du findest ja auch mühelos in jedes Fettnäpfchen. Aber raus muss ich dir immer helfen.«

»Ge, was du nicht sagst.« Ilse klang beleidigt.

»Und wo ist der Rest vom Bauchdrexler?«, fragte Anni, die weiterhin bestürzt danebenstand. Nick fiel eine goldene Zahnplombe auf, die aus ihrem Mund blitzte und farblich abgestimmt zu Annis gerafften Kreolenohrringen passte.

»Gute Frage, Anni, aber ich mag sie nicht.« Er verzog die Miene und betrachtete weiter den abgetrennten Kopf. »Nicht, bevor ich etwas zwischen den Kiemen hatte.« Er dachte an das für samstags vom Hotel angebotene Weißwurstfrühstück, auf das er sich die ganze Woche gefreut hatte, und das jetzt dahinsiechte wie seine Urlaubslaune.

»Wer hat das meiste Geld, der regiert die Welt«, tönte Kohlkönig Franz Feixl von Weitem und schob einen hellgrauen Schubkarren über den Hof, in dem Krautköpfe zu einer Pyramide gestapelt waren.

»Da kommt mein Mann«, stöhnte Anni und rollte mit den Augen. »Wo warst denn? Ich such dich schon seit einer halben Stunde.«

»Wo werd ich schon gewesen sein? Beim Krautputzen halt. Von nix kommt nix. Oder glaubst du, die Köpfe putzen sich von selbst?« Der Bauer drehte seinen Kopf zum Traktor. »Was ist denn los, ha?«

»Das ist los.« Nick zeigte auf den mit eingetrocknetem Blut und Erde verschmierten Kopf.

»Leck mich am Arsch«, entglitt es Feixl. Seine Augen wurden riesengroß, als er mit dem Schiebebock näherkam. »Ja, sauber. Wer is denn des?«

»Du kennst ihn doch«, sagte Anni. »Jetzt glaub ich’s aber.«

»Ah, geh weida. Freilich. Des is ja der Drexi«, fiel es Feixl ein. »Einer meiner besten Kunden.« Vor Schreck ließ er den Karren los, von dem ein paar Krautköpfe mit mäßiger Geschwindigkeit über den Hof purzelten.

»He, bleibt's da«, schrie Feixl und lief dem Weißkraut hinterher.

Nick sah dem Krautbauern verdutzt nach. Er kannte Feixl ein wenig, für den die Köpfe kostbar waren wie pures Gold. Einzelne Goldbarren, die er tagein, tagaus an die Kundschaft hinschuf und sogar eine überregionale Konservenfabrik damit regelmäßig beliefern durfte. Je mehr Kilos sie auf die Waage brachten, umso besser fürs Geschäft, wie er einmal Nick während des Einkaufs im Hofladen verraten hatte. Große Krautköpfe mit durchschnittlich 20 Pfund erntete er besonders gern und diese waren bei dem Bauern gefragt. Das galt aber nicht für die Frauen. Hier war weniger mehr. Oder aus Feixls Sicht; je dünner, desto günstiger. »Dann frisst’s ned so viel«, kommentierte er seine abfällige Denkweise gegenüber Nick. Die hatte er von seinem Vater übernommen – genauso wie den Feixl-Hof vor sieben Jahren. Für Sekunden musterte er Anni, die trotz ihrer zierlichen Figur harte Feldarbeit verrichtete und genau ins Beuteschema von Franz Feixl zu passen schien: grazil, fleißig und wenig Appetit. Und im Moment stand Anni unter seiner Fuchtel.

»Wieso hängt der Kopf vom Drexi an unserer Maschine dran?«, wunderte sich Feixl, der schnaufend mit ein paar Krautköpfen unterm Arm zurückkam. »Der hat doch letzte Woche erst no 250 Krautköpfe für das Dorfgründungsfest bei mir bestellt. Im Auftrag des Bürgermeisters«, sagte der Bauer. »Was hast du verbrochen?«, fragte er Anni vorwurfsvoll und setzte eine zornige Mimik auf, die einer hereinbrechenden Gewitterfront ähnelte.

»Ich? Sag mal, was denkst denn du von mir? Ich bin nur mit unserem Johnny auf die Flur Nr. 5 rausgefahren und hab da ganz normal geackert. So wie du es mir gesagt hast. Der Kopf lag auf unserem Feld eingegraben.«

Johnny – so nannte die Bauernfamilie den grünen Traktorschlitten mit den sonnengelben Felgen, neben dem Nick gerade stand und der wie ein Panzer auf ihn wirkte. Schon deshalb, weil der wuchtige Hinterreifen fast doppelt so groß war wie er selbst.

Ein Mordsdrum.

»Wenn ma dir mal was anschafft … Hätt ich des bloß selber gmacht! Jetzt ham mir die Polizei auf dem Hof.«

»Pfff. Wie mans macht, macht man es verkehrt bei dir«, sagte Anni und winkte mit trauriger Miene ab.

»Jetzt beruhigen Sie sich doch. Wir klären das schon.« Nick machte eine beschwichtigende Handbewegung zu den beiden. Er hatte Mitleid mit Anni. Der Bauer sprang eindeutig zu grob mit seiner Frau um, auch wenn Nick selbst gern stichelnde Kommentare an Ilse verteilte und diese bei ihr zündeten wie Tischfeuerwerk. Aber das zählte für ihn zum harmlosen Foppen. Ein liebendes Necken zweiten Grades. Das konnte er vom Bauer Feixl nicht behaupten. Der stand noch immer neben Nick und schimpfte Anni in scharfem Ton. Das Handy, das sich Nick beim Verlassen des Hotels in die Seitentasche des Bademantels gesteckt hatte, vibrierte eindringlich durch den Frotteestoff. Mit drei Fingern fischte er das Mobilteil heraus.

»Steini, was gibt’s denn?«

»Ich weiß, Urlauber soll man nicht stören. Aber du musst sofort herkommen zum Marktplatz.«

»Was ist denn? Ich bin gerade sehr beschäftigt.«

»Glaub mir, es ist verdammt wichtig. Es geht um einen bestialischen Mord. Oder willst du mal wieder der Letzte von uns sein, der davon weiß?«

»Ist denn ein Leichenkopf weniger wichtig?«

»Leichenkopf?«, entgegnete sein Kollege Steinreiter verwirrt. »Mmmmh, das könnte passen. Lust auf ein Puzzle?«

»Was redest du da für einen Bapp?«

»Wir haben einen grausigen Fund gemacht. Ich schätze mal, wir haben den anderen Teil des Toten gefunden. Den Kopflosen.«

Nick sah überrascht auf. »Ich muss los.« Seine Erholung war endgültig futsch.

»Und was ist mit mir?«, fragte Ilse.

»Was soll mit dir sein? Du bleibst natürlich da. Ist ja schon alles bezahlt.«

»Allein Urlaub, na toll«, antwortete Ilse. »Immer machst du dich aus dem Staub.«

»Ge, ge, ge. Dann ruf deine Freundin an. Die Pfauenstiehl hat doch nichts zu tun, die faule Hex«, sagte er. »Sie kann ja mein Zimmer haben.«

»Ernsthaft?«

»Hab ich schon mal einen Witz gemacht? Ich frag das Hotel. Die haben sicher nix dagegen.« Er bemerkte, dass der anfängliche Groll seiner Frau in verhaltene Freude umschlug, was sie mit einem zaghaften Lächeln bekundete.

»Seit wann hast du so gute Ideen?«, fragte sie ihn.

»Ach, du«, stöhnte er und winkte ab. »Pack meine Sachen ein. Ich bin dann weg.«

»Ich such deine Teile geschwind zusammen und die Kira ruf ich auch gleich an«, sagte sie motiviert und rannte zurück ins Hotel.

»Das machst. Hauptsache mich lässt jetzt arbeiten«, ächzte Nick und sah ihrem Turbowackelgang nach, bei dem ihre von Cellulite gezeichneten Schenkel wackelten. Während er froh war, wenn er mal seine Ruhe hatte, konnte Ilse offenbar keine Sekunde allein verbringen.

Der Magen des Kriminalhauptkommissars knurrte unüberhörbar laut. Aber ihm hatte es gehörig den Appetit verdorben. Er verließ den Hof und sah dabei im Augenwinkel eine junge Dame, die musternd durch die Ritzen des Hotelbalkons schielte. Aber er hatte keine Zeit mehr, sich ihr näher zu widmen.

Wie passt die da bloß rein, wunderte sich Nick im Hinblick auf Ilses Leibesfülle. Er quetschte sich hinter das Lenkrad von Ilses beengtem Auto, mit dem sie gemeinsam zum Wellnesshotel angereist waren. In Nicks Kopf ratterte es, so wie der vibrierende Motor. Irgendetwas war neuerdings im Busch in Dacklrain. Er musste herausfinden, welches brutale Verbrechen hinter diesem Mord steckte und über dem Ort lag, wie eine dunkle, schwere Gewitterwolke, die sich explosionsartig entladen würde.

Kapitel 3

Das, was du fürchtest, wird dich ereilen

Vor Schmerz gekrümmt lag Lexi Bäumel auf dem Balkon des Wellnesshofs Feixl. Sie stützte sich vom Boden ab und hob den Kopf, was mit ihrem enganliegenden, dunkel schimmernden Kostümchen und den schwarzen High-Heel-Stiefeletten gar nicht so leicht war. Mit einer neugierig-kranken Faszination schielte sie durch die seitlichen Holzbalken und zoomte mit der Handykamera an das Mordsgeschehen heran. Abartige Welt. Sie harrte schon minutenlang in der eingerollten Position aus und quälte ihren Rücken. Nur um nicht erwischt zu werden als wissbegierige Angestellte, die nichts Besseres zu tun hatte, als während der Arbeitszeit die Leute auszuspionieren. Abgesehen davon stand ihre Chefin Anni Feixl mittendrin im Geschehen, bekleidet mit grünen, erdigen Gummistiefeln und in dreckiger Arbeitsmontur, und könnte sie jederzeit durch die breiten Spalten entdecken. Lexis aufgetretener, stechender Schmerz im Lendenbereich war bedeutungslos geworden, seitdem sie freie Sicht auf den abgetrennten Kopf hatte. Diesen ekelhaften, schockierenden Anblick würde sie nie mehr aus ihrem Gedächtnis streichen können. Sie schoss ein paar Bilder, als plötzlich ihr Handy laut zu vibrieren anfing und den Namen des Anrufers anzeigte.

Nicht der wieder.

»Kann jetzt nicht«, flüsterte sie heiser.

»Wieso? Was ist los?«, fragte die männliche Stimme. »Gibt’s was Neues, was du mir vorenthalten willst?«

»Ich rufe später zurück. Das glauben Sie mir nie.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte Lexi auf und widmete sich weiter dem Geschehen. Sie beobachtete ein Polizeiauto, das mit lärmenden Sirenen die Hofeinfahrt hereinfuhr, und Polizisten, die aus dem Wagen stiegen und Fotos des Kopfes machten.

»Alexandra«, tönte eine wütende Stimme hinter ihr. Lexi zuckte zusammen. Bitte nicht. Mit ihrem vollen Vornamen rief sie nur eine. Ihre Chefin. Manchmal aber auch ihr Freund Justus, der so im strengen Polizistenton nach ihr rief. Immer dann, wenn er mordsmäßig sauer auf sie war.

»Was schnüffelst denn hier oben? Wir sind hier nicht bei der Zeitung, ge?« Anni Feixl bäumte sich hinter ihr auf und stemmte die Arme in die zerbrechlichen Hüften. Anders als sonst war sie heute mit ihrer Arbeitskluft in das Hotel gekommen. Nur aus den dreckigen Gummistiefeln war sie geschlüpft und trug stattdessen hoteleigene, weiße Hausschuhe. »In der Lobby wartet ein neuer Gast. Die Pfauenstiehl, Frau des Bürgermeisters …«, sagte ihre Chefin aufgeregt. »Beeilung, schick dich ein bisserl. Ich muss mich noch umziehen und meine Hände bürsteln. So kann ich mich nicht bei der sehen lassen.« Sie klatschte in die Hände und trieb Lexi nach unten, was ein wenig an einen Almabtrieb erinnerte. Hätte nur die bimmelnde Glocke um Lexis Hals gefehlt. Eigentlich war die Feixl nie so streng zu ihr, seit sie vor sechs Monaten angefangen hatte im Wellnesshotel zu arbeiten. Aber heute schien sie ungeheuer nervös zu sein, was Lexi kaum wunderte bei den mörderischen Aufregungen. Man hatte zugegebenermaßen nicht jeden Tag das Vergnügen mit einer Kopfleiche.

Lexi stieg die letzte Treppenstufe zur Lobby hinab und erhaschte einen Blick auf Frau Pfauenstiehl, die sich in der dunkelbraunen Ledercouch leger zurücklehnte und gelangweilt ihre metallic-lila lackierten Fingernägel betrachtete. Die braune Pelzjacke hatte sie dabei lässig über ihre Schultern gehängt.

»Na gut, dann treffen wir uns ein letztes Mal übermorgen dort, aber künftig brauchen wir ein anderes Versteck«, hauchte sie gerade in ihr Smartphone, das sie zwischen Schulter und Ohr geklemmt hatte. »Dieselbe Zeit, wie immer.« Sie rollte genervt mit den Augen. »Nein, natürlich nicht. Ich bin ja nicht blöd«, flüsterte sie. Ohne Verabschiedung legte sie auf.

Lexi runzelte die Stirn und sah in den Computer vor sich, oder spielte es zumindest alibimäßig so vor. Vermutlich eine Affäre, tippte sie intuitiv auf den Anrufer. Wohlhabende Frauen sind die Schlimmsten. Die Dame tupfte sich mit dem Zeigefinger etwas Lipgloss auf die Lippen, mit der anderen hielt sie einen kleinen quadratischen Spiegel in der Hand. »Können wir endlich?«, zischte sie Lexi zu.

»Gern«, antwortete diese in aller Ruhe und sah für den Check-in auf den überreichten Ausweis der Dame. Zwar war Kira Pfauenstiehl mit ihren neunundfünfzig Jahren nicht mehr die taufrischeste in Dacklrain, aber dank einiger Liftings, Schönheits-OPs und tonnenweise Make-up hielt sie sich optisch über Wasser, mutmaßte Lexi, während sie die Personaldaten eintippte. Nur der graue Haaransatz, der unter dem schwarz gefärbten, hochtoupierten Haar herauswuchs, ließ ihr wahres Alter auffliegen. Die First Lady aus Dacklrain war überführt.

»Ich möchte die nächsten Tage nicht gestört werden, von niemanden. Ist das klar?«

»Gar kein Problem.« Alte verdorbene Schnepfe. Lexi setzte ihr charmantestes Lächeln auf und wischte sich eine schokobraune Strähne hinters Ohr. Gelegentlich konnte Lexi nicht widerstehen und verglich sich optisch mit weiblichen Gästen, die wie sie Ende zwanzig waren. Aber bei dieser aufgedonnerten Schachtel kam sie schon dreifach nicht in Versuchung: zu alt, zu eingebildet, zu gekünstelt. Anders als die Pfauenstiehl achtete Lexi auf dezentes Make-up und trug eine natürliche Frisur. Zudem ging ihr das aufgeblasene Ich-bin-die-Frau-des-Bürgermeisters-und-stehe-über-euch allen–Gehabe gänzlich gegen den Strich. Lexi sah sich als zurückhaltende und dennoch taffe Frau. Sie war peinlich berührt und lief rot an, wenn sie mal im Vordergrund stand. Allein von dem Gedanken, eine öffentliche Person wie die Pfauenstiehl zu sein, bekam sie großflächigen Ausschlag und einen rasenden Puls. Frau Pfauenstiehl stöckelte währenddessen mit ihren spitzen, weißen Lackpumps in Richtung Aufzug davon. »Ilse, Schätzchen!«, rief sie freudig vor dem Fahrstuhl und riss die Arme nach oben. Dann steuerte die Pfauenstiehl auf eine andere Dame zu, die sie mit zwei angedeuteten Luftküsschen links und rechts begrüßte. »Na, das war ja mal eine tolle Einladung auf meinem AB. Ich bin sofort losgefahren.«

»Die bräuchte mal a ordentliche Fotzn.« Der süße Hans tauchte plötzlich hinter Lexi an der Rezeption auf und riss sie aus ihren eigenen giftigen Gedanken. »Die dreckige Pelzschlampn.