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Jede Woche kommt eine bunte Künstlertruppe von der amerikanischen Ostküste in Hermines Salon zusammen - der verkannte Poet Fothergil Finch, der Vokalakrobat Voke Easeley, der Bigamist Swami Brandranath und viele andere. Dann werden die neuesten Strömungen in Philosophie, Esoterik und Wissenschaft vorgestellt und diskutiert. Die junge Hermine, eine reiche Erbin, erstattet wöchentlich Bericht und enthüllt dabei spielerisch die eine oder andere Lebensweisheit... "Ist es nicht merkwürdig, dass manche der radikalsten, fortschrittlichsten und männlichsten Führer der Modernen Kunst und des Modernen Denkens überhaupt nicht danach aussehen? Da ist zum Beispiel Fothergil Finch. Niemand könnte männlicher sein als Fothy in seiner Seele. Das innere Ego von Fothy ist stets ein Riese in Aufruhr, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und doch würde man, wenn man Fothy ansieht, nicht denken, dass er ein moderner Wilder wäre. Nicht dass er wie ein Schwächling aussieht, wissen Sie? Aber - nun, man würde eher glauben, dass Fothy über Veilchen statt über Blitze schreibt. "Eines Tages", sagte Fothergil Finch mir gestern Abend in einem Ton intensiver, bitterer Überzeugung, "eines Tages wird sie mich erwischen! Eines Tages wird sie mich einholen. Die große Bestie, die Popularität, die mich verfolgt! Eines Tages wird sie mich packen und mich reißen und meine Seele verschlingen! Eines Tages werde ich ein berühmter Schriftsteller sein!" Meiner Meinung nach sind Fothergils Ängste übertrieben; aber für ihn sind sie sehr real. Er stellt sich seine eigene Seele als Flüchtige vor, die immer höher steigt, schneller und schneller rennt, um dieser Bestie zu entkommen. Vielleicht hofft Fothergil heimlich, dass die Geschwindigkeit seiner Flucht eine Verbrennung auslösen wird, und er von den obersten Gipfeln der Kunst in Flammen stehend direkt in den Himmel eingehen wird, um dort als ein wahrer Stern unsterblich zu brennen und zu leuchten. Nun, wir alle haben unsere kleinen Pläne, unsere kleinen Eitelkeiten!"
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Seitenzahl: 140
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Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und mit erläuternden Anmerkungen versehen von Maria Weber.
Einleitung.
Vorstellung einiger Freunde Hermines.
Aufrichtigkeit im eigenen Heim.
Schwingungen.
Sind die Russen nicht wundervoll?
Wie Leiden läutert!
Verständnis und das eigene Heim.
Gedanken über Vererbung und Ähnliches.
Der Swami Brandranath.
Fothergil Finch, der Rebellenpoet.
Wie es dazu kam, daß der Swami 7 Ehefrauen hatte.
Die romantischen alten Tage.
Symbole und Tau-Hüpfen.
Das Lied des Schnarchens.
Hermine über Moden und Krieg.
Dränge und Hunde.
Stimmungen und Mohnblumen.
Konzentration.
Seelenverwandte.
Hermine widmet sich der Literatur.
Die Welt wird besser.
Krieg und Kunst.
Ein spiritueller Dialog.
Werden die oberen Klassen den Übermensch gesellschaftlich empfangen?
Die parasitäre Frau muß verschwinden!
Das schöne Haus.
Mama ist so sehr viktorianisch.
Voke Easeley und seine abstrakte Kunst.
Hermine über die Oberflächlichkeit.
Isis, die Astrologin.
Die einfachen häuslichen Feste.
Citronella und Stegomyia.
Hermines Salon eröffnet.
Die Parfüm-Anwendung.
Über das Andersweltlich sein.
Eltern und ihr Einfluß.
Fothergil Finch erzählt von seiner Rebellion gegen die organisierte Gesellschaft.
Die Exoten und die Arbeitslosen.
Der Geist der Weihnacht.
Die arme liebe Mama und Fothergil Finch.
Strafrechtsreform und Gelassenheit.
Ein Beispiel von der Macht der Psyche.
Einige schöne Gedanken.
Das Merkmal des Spießbürgerlichen u. d. Hintergrund.
Über das Alkoholproblem.
Die Japaner sind wundervoll.
Sie weigert sich, den Kosmos aufzugeben.
Der unzivilisierte Wilde.
Die kleine Gruppe gibt ein heidnisches Maskenspiel.
Mitgefühl.
Blusen, Bulgaren und Buttermilch.
Dämmerschlaf.
Intuition.
Das Anregen der Einflüsse.
Politik.
Hermine über die Erforschung des Übersinnlichen.
Die Gesandte – (Die unsterbliche Hermine).
(Vorstellung einiger Freunde Hermines)
Ich besuchte kürzlich eines Nachts,
Die Unterwelt des Gedankens, das Geistesblitz-Gewirr,
Das Land des müßigen Unsinns;
Einen seltsamen Salon, wo sich
Sonderling, Verrückter, Nervensäge und Gammler
versammeln.
Dort sitzen sie und sinnen:
Ein Feuerzeug, das nie zündet,
Große Künstler, Männer oder Frauen, die zwar reden,
Aber Tinte und Kreide verachten,
Und kubistische Bildhauer, wild wie die Ziegen.
Theosophen und Swamis ebenso,
Musiker, so verrückt wie Hutmacher
(Selbst zwei oder drei verrückte Hutmacher!)
Zahme Anarchisten, eine triste Mannschaft,
Elende Sozialisten, zu mutlos, um voranzugehen,
Falsche Möchtegernkünstler, schaumdurchtränkt,
Flinkzüngige Frauen in kunstreichen Klamotten
Mit befangenen, linkischen und eingeschüchterten
Ehemännern.
Ich sah einige Seelengefährten Seite an Seite
Die sagten, ihre süßen jungen Seelen seien rosenfarben;
Ich sah ein Genie an der Schwelle
(So sagte er) zum Selbstmord.
Ich sah einen Dramatiker, der es versucht hatte,
Aber die Öffentlichkeit nicht
Zum Nachdenken bewegen konnte;
Ich sah einen Schriftsteller, der weinte,
Als er im Suff seine eigenen Verse las;
Ich traf einen schüchternen glupschäugigen Narren
Der achtmal sagte: „Meine Braut ist die Kunst!“
Eine Schwuchtel in Sandalen schlug die Trommeln
Und schrie uns einen chinesischen Gesang entgegen,
Während ein Nilpferd
Tische, Bücherregale und Diwane
Mit gewaltiger Tanzwut erschütterte...
Ein einziges orientalisches Durcheinander...
Ein rattengesichtiger närrischer Knabe beschmierte
Weißes Papier mit metrischen Verbrechen.
Er, eine Art quakender Trübsalsbläser
Der erotische Schmonzetten traurig anzuhören macht,
Gott in seinen gestohlenen Reimen verspottet
Und einen Rubin in einem Ohr trägt,
Raunte mir zu: „Meine goldene Seele
Trinkt Lieder aus einer Kristallschale...
Trinkt Liebe und Gesang... meine goldene Seele!“
Ich ließ ihn am Leben. Es waren keine Ziegelsteine da,
Sonst würde diese goldene Seele nun
Im Styx Wasser treten.
Ein bleicher anämischer Schopf,
So blutleer wie ein Kreidestück
Beschäftigte sich mit dieser Art von Gesprächen:
„Der Sünder ist mißverstanden!
Wie kann der Geist eintreten
Und mit dem wahren Guten vermischt werden,
Wenn nicht durch die Anziehung der Sünde?“
„Nun“, murmelte ich, traurig und leise,
„Da muß ich passen – ich weiß es nicht!“
Auf einem Kaminsims stand eine Büste...
Irgendein Hindugott, mopsgesichtig und plump;
Ein Gesicht, das Abscheu erregt...
Lord Zechpreller, die Gottheit der Fäulnis...
Nein, gewiß war es der große Gott Unfug,
Denn wenn ich ihn anblinzelte, zwinkerte er zurück!
Ich habe gehört... Ich hörte,
Daß in dieser Nacht bewiesen wurde,
Daß das Feuer kalt und Schwarz Weiß ist,
Daß Müll Kunst und Kunst Müll ist,
Daß Tugend falsch, und Laster richtig ist,
Daß Tod Leben und Leben Tod ist,
Daß Atem Fels und Fels Atem ist: –
Das schlichte und simple Paradoxon:
Der Narr bockt und hofft, daß er anstößt...
Verblödet stolperte ich auf die Straße
Und schwatzte auf einen freundlichen Polizisten ein:
„Da Monde Federn an den Füßen haben,
Warum sitzt Ihre Kopfbedeckung oben?
Und wenn Sie die Binsenwahrheit verschmähen,
Warum tragen Sie eine Nase in Ihrem Gesicht?
Und da Pythagoras über
Sexualhygiene und kosmisches Gesetz schweigt,
Ist Ihre blonde Bestie dann so dumm wie ein Vieh,
So blind wie ein Vieh, wie Bernard Shaw?
Ohne Zweifel haben Sie,
Wenn Sie durch die Parks schreiten,
Zuweilen zwei goldene Seelen mit Ibsens Geist
Und dem alten Dr. Marx,
Schaum und Schluchzer aus Kristallschalen trinken sehen?“
„Nein“, sagt er, „das habe ich nicht, alter Knabe,
Und wenn ich es täte, würde ich sie schlagen!“
„Gelobt sei Gott“, sagte ich, „zumindest ist
Die Welt hier und da gut bewacht!“
Aufrichtigkeit sollte der Grundton eines Lebens sein, meinen Sie nicht?
Aufrichtigkeit – Schönheit – Nutzen – das sind meine Losungen.
Ich habe gestern Abend einer solch interessanten Unterhaltung über Aufrichtigkeit beigewohnt. Ich gehöre zu einer kleinen Gruppe ernsthafter Denker, die sich in dieser Woche in all ihren Handlungen der Aufrichtigkeit widmen.
Wir haben die Aufrichtigkeit im eigenen Heim besprochen.
Es ist doch so – viele Häuser von Menschen repräsentieren nichts Persönliches.
Das aufrichtige Heim sollte voller Sinnhaftigkeit und Persönlichkeit sein - Dekorationen, Teppiche, Verzierungen, Vorhänge und so fort, verstehen Sie.
Das Heim repräsentiert die Seele.
Also gehe ich von oben bis unten durch unser Haus und bringe Persönlichkeit hinein.
Ich habe einen Raum, den ich das „Ahnenzimmer“ nenne.
Wenn man Ahnen hat, halten einen die ererbten Traditionen doch irgendwie auf dem richtigen Weg. Sie wissen schon, was ich meine – man kann seine Herkunft nicht verleugnen, und all das. Vorfahren helfen einem, aufrichtig zu sein.
Also habe ich mein Ahnenzimmer mit allerlei Dingen ausgestattet, um mich an die lieben Toten zu erinnern, von denen ich meine Traditionen geerbt habe.
Erbstücke und Porträts und solcherlei.
Allerdings wurden alle unsere Familienerbstücke vor einigen Jahren in einem Feuer zerstört.
Also mußte ich in die Antiquitätenläden gehen, um Porträts und Möbel und Stühle und Schnupftabaksdosen und Schwerter und Feuereisen und andere Dinge zu kaufen.
Ich kaufte ein allerliebstes altes Spinett – wahrhaft ein Glücksgriff!
Nun kann ich mich davor hinsetzen und mir vorstellen, daß ich die Großmutter meiner eigenen Großmutter bin. Und es ist wunderbar, zwischen diesen alten Erbstücken zu sitzen und zu spüren, daß die Persönlichkeiten meiner Vorfahren um mich herum atmen und pulsieren!
Wenn ich am Spinett sitze, fühle ich, daß meine Persönlichkeit endlich wirklich in meiner Umgebung widergespiegelt wird.
Ich fühle, daß ich inmitten meiner Traditionen endlich Aufrichtigkeit erreicht habe.
Und da ist ein Bild einer lieblichen alten Dame… Sie wissen schon, in altmodischer Kleidung und alldem... und die Haare auf eine ganz besondere Weise frisiert...
Mama sagt, es ist ein gestelltes Bild – nicht wirklich eine Antiquität – aber ich kann einfach die Persönlichkeit fühlen, die es ausstrahlt.
Ich habe es auch zu einem Schnäppchenpreis bekommen.
Ich nenne es – das Bild – nach einer meiner Vorfahrinnen, die in den alten Kolonialzeiten in dieses Land gekommen ist. Mit William the Conqueror – oder vielleicht war es auch William Penn.
Jedenfalls nenne ich das Bild nach ihr – Lady Clarissa. Sie heiratete einen Bürgerlichen, wie so viele der frühen Siedlerinnen dieses Landes dies taten.
Wenn ich am Spinett sitze und Lady Clarissa anschaue, frage ich mich oft, was Menschen ohne Familientraditionen tun.
Und es ist so angenehm zu wissen, daß ich in einem Raum bin, der wirklich meine Persönlichkeit widerspiegelt!
Haben Sie sich je Gedanken über Schwingungen gemacht? Wir widmen uns ihnen in dieser Woche – eine kleine Gruppe fortgeschrittener Denker, zu denen ich gehöre – und sie sind alle so wunderbar wertvoll – einfach wundervoll!
Diese Frage stelle ich mir immer – ist eine Sache der Mühe wert? Oder nicht?
Schwingungen sind der Schlüssel zu allem. Früher waren es Atome, aber die sind nun ziemlich verbraucht.
Wissen Sie – was die neuen Tänze so wunderbar macht, ist, daß sie einen in Schwingungen versetzen.
Für einen ungeübten Geist wären solche Schwingungen natürlich gefährlich.
Aber ich habe immer das Gefühl, daß die richtige Art von Verstand aus allem das Gute ziehen wird, während die falsche Art Schaden nimmt.
Eine sehr interessante Frau hat unserer kleinen Gruppe neulich einen Vortrag über einteilige Badeanzüge und den griechischen Geist gehalten.
Sind Sie nicht absolut vernarrt in die Griechen?
Sie hatten einige überaus moderne Ideen – es scheint so, als ob wir von ihnen eine Menge unserer fortschrittlicheren Gedanken beziehen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie waren auch so ungezwungen. Man muß nur ihre Friese und Vasen und derlei Dinge betrachten, um das zu erkennen.
Und der einteilige Badeanzug, so sagte die Frau, sei eine unbewußte, moderne Bemühung, zum griechischen Geist zurückzukehren.
Sie hatte ihren Ehemann dabei. Er ist nicht belesen oder so etwas, ganz und gar nicht.
Aber sie selbst sieht nicht sehr griechisch aus, obwohl ihr Geist so griechisch ist, deswegen hat sie diesen griechisch aussehenden Ehemann, der die Sandalen und die Tuniken und die Togen und derlei Sachen trägt.
Sie nennt ihn Achilles.
Es ist eigentlich ganz in Ordnung so, wissen Sie – Achilles bleibt hinter einem Schirm, bis sie will, daß er einen Punkt verdeutlicht, und dann kommt er mit einer Leier oder einer Laute oder so etwas heraus, und steht einfach da und sieht griechisch aus. Und dann geht er zurück hinter den Schirm und wechselt in das nächste Kleidungsstück, in dem sie ihn braucht.
Natürlich gibt es viele Männer, die das nicht so gut ertragen könnten wie Achilles. Aber wenn wir schon davon sprechen, so gibt es auch viele Männer, die in Badeanzügen nicht gut aussehen.
Und natürlich haben unsere amerikanischen Männer nicht das Gemüt, etwas Derartiges zu tragen.
Natürlich wäre es schon ein Schock, wenn wir alle uns in Griechen verwandeln und in einen Speisesaal oder einen Salon kommen würden, wie Achilles das tut.
Nicht daß das Temperament noch so viel Unterschied wie vor ein paar Jahren ausmachte – Temperament und Persönlichkeit lassen nach und die Individualität nimmt zu.
Haben Sie sich schon einmal Gedanken über das Geister-Schreiben gemacht?
Es wird wieder aufgenommen, wissen Sie.
Nicht die vulgäre, altmodische Art des Spiritismus – das war so gewöhnlich, nicht wahr?
Die neuen Geister sind anders. Mehr – mehr – nun, irgendwie raffinierter. Wie die neuen Tänze im Vergleich zu diesem schrecklichen Schlurftanz.
Man sollte sich immer selbst fragen: „Hat dies einen verfeinernden Einfluß auf mich? Und durch mich auf die Welt?“
Denn schließlich besteht eine Pflicht, die man der Gesellschaft im allgemeinen schuldet.
Haben Sie schon die neuen Sonnenschirme gesehen?
Sind die Russen nicht wunderbare Menschen!
Wir haben uns ernsthaft Djagilew vorgenommen – unsere kleine Gruppe, Sie wissen schon – und wirklich, er ist wundervoll!
Wer sonst außer Djagilew konnte diesen reizenden russischen Dingen die richtige Betonung geben?
Und die Betonung – wenn Sie verstehen, was ich meine – die Betonung ist alles!
Betonung! Was wäre die Kunst ohne Betonung?
Der Ausdruck wird verstärkt, und das, was sie den „Hieb“ nennen, verringert. Ich dachte immer, es wäre eine schrecklich gewöhnliche Sache, dieser – Hieb!
Was ich an den Russen liebe, ist ihr Orientalismus.
Wissen Sie, es gibt ein altes Sprichwort: Wollen Sie einen Russen finden, fangen Sie einen Tataren... oder etwas in der Art.
Ich bin mir sicher, daß das falsch ist... Ich bringe Zitate immer durcheinander. Aber ich weiß immer, wo ich sie finden kann.
Aber der russische Elan ist nicht orientalisch, oder? Sind Sie nicht ganz verrückt nach dem Elan?
Das ist es, was Bakst so faszinierend macht, meinen Sie nicht? – sein Elan!
Obwohl man sagt, daß die russischen Opern sich nicht so gut analysieren lassen wie die deutschen oder die italienischen – wenn Sie verstehen, was ich meine.
Aber andererseits – wer analysiert sie überhaupt?
Man kann nicht wissen, wie man eine Oper bewerten muß, und doch weiß man vielleicht, was man mag!
Ich nehme an, daß es bald eine schreckliche Menge an Imitationen russischer Musik und Balletts geben wird. Sind Nachahmer nicht einfach hassenswert?
Man findet sie überall – die Nachahmer! Es ist die aufrichtigste Schmeichelei, sagen sie. Aber das entschuldigt es nicht, oder wie sehen Sie das?
Da gibt es ein Mädchen – eine meiner Freundinnen, wie sie sagt – die immer versucht, mich zu imitieren. Meinen Gesichtsausdruck, verstehen Sie, und die Art, wie ich rede und gehe, und all diese Dinge.
Es gelingt ihr, einige meiner oberflächlichen Verhaltensweisen nachzuahmen... aber sie kann mich nicht ganz so imitieren, als wären es ihre eigenen... da kommen wir wieder auf die Betonung!
Oh, durch Feuer zu gehen und geläutert daraus hervorzukommen! Leiden ist wundervoll, nicht wahr? Einfach wundervoll!
Ein reizender Mann hat uns – unserer kleinen Gruppe ernsthafter Denker – gestern Abend einen Vortrag über gesellschaftliche Ideale und Leiden gehalten.
Der Grund, warum so viele Versuche, die Dinge zum Guten zu verändern, fehlschlagen, ist, weil die Leute, die sie zu verbessern suchen, nicht persönlich gelitten haben.
Er hatte wunderschöne Augen, dieser Mann.
Er hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich fragte mich: „Habe ich denn gelitten? Bin ich durch Feuer geläutert worden?“
Und ich entschied, daß ich das war – das hat mit der Seele zu tun.
Das Leiden – das seelische Leiden – das ich dadurch erleiden muß, mißverstanden zu werden, ist furchtbar!
Mama versucht mich an allem, was ich auf mir auf die Fahne schreibe, zu hindern. Papa ebenso.
Ich erhalte kein Verständnis für meine Hingabe an meine Ideale. Nur Widerstand!
Und von Kindheit an habe ich so empfindliche, angespannte Nerven gehabt, daß jeder Widerstand mich krank gemacht hat.
Solche Naturelle gibt es.
Einst, als ich ziemlich klein war und Mama drohte, mich zu schlagen, bekam ich Krämpfe.
Und jetzt nichts als Widerstand, Widerstand, Widerstand!
Nur wir fortschrittlichen Denker wissen, was es heißt zu leiden! Für unsere Ideale durch Feuer zu gehen!
Und was ist körperliches Leiden im Gegensatz zu seelischen Leiden?
Daran denke ich oft, wenn ich mit soziologischer Arbeit beschäftigt bin. Erst kürzlich fuhren am Abend – es regnete und regnete – einige von uns mit dem Auto zu einem der Missionshäuser und sahen sich die Kranken an, die dort umsorgt wurden.
Und mir kam plötzlich der Gedanke: „Ja, körperliches Leiden mag erleichtert werden – aber was vermag seelisches Leiden wie das meine zu lindern?“
Obgleich es einen natürlich zu einem besseren Menschen macht.
Ich denke, es beginnt sich in meinen Augen zu zeigen.
Ich betrachtete sie letzten Abend fast zwei Stunden lang im Spiegel, um ganz sicher zu sein.
Und wissen Sie was? Es gibt einen gewissen Ausdruck in ihnen, der bis vor kurzem nicht da war. Eine Art von einem – einem –
Nun, es ist ein nicht greifbarer Blick, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Nicht gerade ein hungriger Blick, eher ein sehnsüchtiger!
Aber Gott sei Dank kann ich ihn kontrollieren – man sollte immer der Kapitän seiner Seele sein, nicht wahr? Ich verberge ihn zuweilen. Weil man sein Leiden vor der Welt verbergen muß, nicht wahr?
Aber zu anderen Zeiten zeige ich es.
Und wirklich denke ich, daß ich es mit etwas Übung schaffen werde, ihn an- und abzuschalten – wenn Sie verstehen, was ich meine – beinahe nach Belieben.
Denn, wissen Sie, in bestimmten Kostümen würde dieser Blick ziemlich unpassend sein.
Ziemlich disharmonisch. Und innere Schönheit entsteht schließlich nur durch innere Harmonie, nicht wahr?
Harmonie! Harmonie! Oh, im Einklang mit dem Unendlichen zu sein!
Beinahe jede Nacht, bevor ich ins Bett gehe, frage ich mich: „War ich heute im Einklang mit dem Unendlichen oder habe ich versagt?“
Es ist schrecklich, wenn man in der eigenen Familie nicht verstanden wird!
Papa hat sehr wenig echtes Verständnis für fortschrittliche Ideen. Und Mama erst!
Manchmal denke ich, ich sollte schreiben!
Mich selbst, mein wahres Ich, in Liedern ausdrücken. Natürlich keine Reime. Selbst wenn ich ein Jahr daran arbeiten würde, könnte ich keine zwei Zeilen reimen.
Aber Reime kommen sowieso aus der Mode.
Vers libre, das freie Dichten, ist jetzt der letzte Schrei. Wir haben es vor nicht allzu langer Zeit aufgegriffen – unsere kleine Gruppe ernsthafte Denker, wissen Sie – und ich bin glaube wirklich, daß es mein Ausdrucksmedium ist.
Es ist so ungehindert, nicht wahr?
Und man sollte ungehindert sein, sowohl in der Kunst als auch im Leben, oder nicht?