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Herr Fridolin und sein Glück gehört sicherlich nicht zu den bekanntesten Werken von Ferdinand von Saar, ist aber trotzdem ein wichtiger Teil seines Werks!
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Seitenzahl: 67
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1 Schopenhauer spricht in einer seiner zahlreichen Abhandlungen über die Leiden und die Nichtigkeit des Daseins die Behauptung aus: daß die sogenannten Glücklichen es nur scheinbar, höchstens aber nur vergleichsweise seien, und wenn schon hin und wieder ein wahrhaft Glücklicher vorkäme, so sei dies ein so seltener Fall wie ein erreichtes sehr hohes Alter, wozu – gleichsam als Lockvogel – die Möglichkeit gegeben sein müsse. Nun, als ein solcher ausnahmsweise Glücklicher stellte sich der Zimmerwärter auf dem gräflichen Schlosse zu R ... Herr Friedrich – oder eigentlich, der tschechischen Taufliste nach, Herr Bedrich Kohout dar. Schon der Lebens- und Entwickelungsgang dieses merkwürdigen Mannes sprach dafür. Vom barfüßigen, des Lesens und Schreibens unkundigen Lehrjungen in der Schloßtischlerei hatte er es durch besondere Dienstwilligkeit und Verwendbarkeit im Lauf einiger Jahre zum Hausknecht gebracht, in welcher Eigenschaft ihm nebst anderen Verrichtungen auch das Heizen sämtlicher Öfen sowie die Betreuung aller im Gebrauch stehenden Lampen oblag. Diesen wichtigen Geschäften unterzog er sich mit einem verständnisvollen Eifer, welcher von der plumpen Fahrlässigkeit seines Vorgängers auf das überraschendste abstach, und da er dabei die eigene Person sehr sauber hielt, das fahle Haar sorgfältig in der Mitte gescheitelt trug und sein rundes Gesicht beständig in unterwürfigem Frohsinn strahlen ließ, so erfreute er sich im Schlosse bald der allgemeinsten Beliebtheit. Man ließ sich herab, ihn anzusprechen, wenn er, die Holztrage auf dem Rücken, in den Gängen oder im Hofe vorüberkam, und ergötzte sich an der harmlosen Dreistigkeit, mit welcher er neckende Fragen höchst schlagfertig zu beantworten wußte. Jemand wandelte einmal scherzweise seinen Rufnamen Friedrich in Fridolin um, was allseitig Anklang fand, und von nun ab nannte ihn niemand mehr anders. Als sich mit der Zeit einige Lücken in der höheren Dienerschaft ergaben, wurde auch sofort erwogen, ob man diesen gutmütigen, anstelligen Burschen, der sich nach und nach die deutsche Sprache nicht bloß in Wort, sondern auch einigermaßen in Schrift zu eigen gemacht hatte, nicht näher heranziehen solle. Wirklich entschloß man sich, ihn probeweise dem jungen Erbgrafen zur persönlichen Dienstleistung zuzuteilen. Dieser Versuch übertraf alle Erwartungen, und nachdem der Noviz seinen Herrn und dessen Hofmeister auf einer Reise durch Italien begleitet hatte, erklärte Graf Benno halb im Scherz, halb im Ernst: er könne ohne seinen Fridolin gar nicht mehr leben. Dieser wußte sich auch bei einer späteren Reise, die in Begleitung eines älteren Standesgenossen nach Paris und London – und von dort aus nach New York unternommen wurde, mit überraschendem Orts- und Spürsinn überall zurechtzufinden, ja er bot zum Erstaunen und auch sehr zum Vorteile der beiden hohen Reisegefährten sogar der Seekrankheit Trotz. Und als die glückliche Heimkehr im Schlosse durch ein großes Diner gefeiert wurde, da fand Fridolin Gelegenheit, seinen außerordentlichen Eigenschaften die Krone aufzusetzen. Der schon bejahrte Kammerdiener war nämlich gerade an diesem Tage infolge einer starken Erkältung gezwungen, das Bett zu hüten; welcher andere aber konnte für ihn einspringen als der umsichtige Beschützer und treue Diener seines jungen Herrn? Da stand er nun in dem gewölbten Speisesaale, schwarz befrackt, mit weißer Halsbinde, und überwachte, die Stirn in strenge Falten gelegt, die schüsselreichenden Diener oder bewegte sich zwischendurch selbst unhörbaren Schrittes um die Tafel, die serviettenumhüllte Flasche den Gläsern nähernd und den Gästen mit ehrerbietig gedämpfter Stimme Chateau-Margaux, Rheinwein und Champagner anbietend, welch letzteren er, anmutiger Abwechslung halber, auch Veuve Cliquot oder Grand mousseux nannte. Die Höhenlinie seines Daseins aber erreichte er, als er einige Jahre später ein Ehebündnis mit dem Fräulein Katinka Kwapil schloß. Diese bereits etwas überreife Schönheit, deren einziger Fehler in einer allzusehr nach aufwärts gerichteten Nase bestand (denn sie erfreute sich eines üppigen blonden Haarwuchses, schmachtender blauer Augen und, wie Kenner versicherten, einer prachtvollen Büste), war der Reihe nach Kindermädchen bei den drei Komtessen des Hauses gewesen. Da jedoch nunmehr auch die jüngste solcher Obhut entwachsen war, so sollte die brave Katinka für ihre aufopfernden Dienste belohnt und ihr, wie sich die Frau Gräfin-Mutter ausdrückte, ein sort bereitet werden. Und welch besseres Los konnte ihr beschieden sein als das, die Gattin des treuen Fridolin zu werden, welchem bei diesem Anlasse eine neue, höchst ehrenvolle und wichtige Stellung zugedacht wurde. Der bisherige Zimmerwärter war mit zunehmendem Alter immer bequemer und nachlässiger geworden, so zwar, daß man sich endlich gezwungen sah, ihn in den Ruhestand zu versetzen. Zu seinem Nachfolger aber wurde – wie schwer ihn auch sein Herr entbehren mochte – Fridolin bestimmt. Denn dieser Perle unter den Dienern, diesem zuverlässigsten aller Menschen, der ja auch mit Hobel und Leim umzugehen wußte, konnten sämtliche Kostbarkeiten des Schlosses, konnten die reichgeschnitzten Möbel und breitumrahmten Bilder, die alten Gobelins und persischen Teppiche, die zahllosen Statuetten, Vasen und Nippgegenstände sowie der funkelnde Tafelschatz in allen Metall-, Porzellan- und Glassorten mit ruhiger Seele anvertraut werden; wie man auch überzeugt sein konnte, fernerhin die Gastzimmer nicht in mangelhaftem Zustande, die entlegenen und unbenützten Räumlichkeiten nicht in völliger Verwahrlosung anzutreffen. So fand denn mit seiner Ernennung auch die Hochzeit statt, und das reich beschenkte Paar bezog in einem Nebengebäude eine sehr geräumige, nett ausgestattete Wohnung, um dort die Flamme des häuslichen Herdes auflodern zu lassen. Allerdings war Fridolin mit seinem neuen Amte die Verpflichtung auferlegt worden, die gewohnten Dienstleistungen bei dem Erbgrafen bis auf weiteres nebenher fortzusetzen, und auch Katinka wurde immer noch zu allerlei Handreichungen ins Schloß gezogen, was begreiflicherweise bei Tag und Nacht vielfältige Störungen in dem jungen Eheleben mit sich brachte. Indes führte, wie überall, auch hier die Zeit Veränderungen herbei, welche Fridolin allmählich zum selbständigen Manne machten. Die beiden ältesten Komtessen hatten sich schon vor einigen Jahren vermählt; nun folgte der Bruder ihrem Beispiele, indem er eine fürstliche Erbin erkor, welche ihm ausgedehnte Güter in Böhmen und Ungarn mitbrachte. Diese Besitzungen erforderten die Anwesenheit des neuen Herrn, der fortan abwechselnd dort seinen Aufenthalt nahm. Und als das Haupt der Familie, Erlaucht senior, eines Tages das Zeitliche gesegnet hatte, da fanden sich die Gräfin-Witwe und ihre jüngste Tochter doch zu verlassen und abgeschieden in dem weitläufigen Schlosse; sie zogen es endlich vor, den Sommer auf den Gütern ihrer Angehörigen, den Winter aber in Wien oder Meran zuzubringen. Auf diese Art wurde Fridolin wirklich zum Alleinherrscher in dem verlassenen Schlosse, welchem er jetzt seine ganze Liebe und Hingebung weihen konnte. Es soll hier gar nicht näher beschrieben werden, mit welchem Eifer, mit welcher Sorgfalt er jeden Frühling und Herbst mit einer Anzahl weiblicher Hilfskräfte die Lüftung und Reinigung der Gemächer vornahm; wie er, die Wichsbürste unter den rechten Fuß geschnallt, in tollen Wendungen über die Parketten hinfuhr, bis diese wie Spiegel glänzten; wie er schadhaft gewordene Möbel, eines nach dem anderen, in die kleine Tischlerei, die er in seinem Wohnhause hergestellt hatte, schleppte oder schleppen ließ, um, ohne Rücksicht auf seine weißen fleischigen Hände, unermüdlich daran zu hämmern, zu leimen und zu firnissen – kurz, es war jahraus, jahrein alles in solchem Stande gehalten, daß die weiten, funkelnden Räumlichkeiten jeden Augenblick wieder bezogen werden konnten. Daran dachte nun freilich niemand; aber es ereignete sich doch hin und wieder, daß sich der in der Ferne weilende Herr mit einigen erlesenen Gästen auf seinem väterlichen Stammsitze zur Jagd ankündigen ließ. Da mußte denn Fridolin Küchen- und Kellerschlüssel bereithalten, das nötige Tafelzeug hervorholen und das Büffet instand setzen, während Frau Katinka ihre kulinarischen Kenntnisse mit Zuhilfenahme eines dicken Kochbuches auffrischte. Und als dann die erlauchten Jäger müde und hungrig beim späten Diner saßen, da war er es wieder, der in schwarzem Frack und weißer Halsbinde die schüsselreichenden Diener überwachte und die edlen Weine in die Gläser goß.