Tambi - Ferdinand von Saar - E-Book

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Ferdinand von Saar

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Beschreibung

Eine Novelle, die ein zentrales Thema hat, einen Hund! Auszug: Während der ersten Zeit meines Aufenthaltes war ich viel im Freien. Ich ließ mir einen alten Gaul satteln, der im Stalle der Wirtschaft den Gnadenhafer genoß, und ritt im sanften Strahle der letzten Oktobersonne nach den umliegenden Höfen und Ortschaften; oder ich durchstreifte, die Jagdflinte über die Schulter gehängt, die lautlosen Wälder, bis sie endlich von Novembernebeln zu triefen anfingen - und ich mit einem leidenschaftlichen Rucke meine Tätigkeit aufnahm. Nun verließ ich, mit Ausnahme regelmäßiger Morgenspaziergänge, das Haus nicht mehr - und als der Weihnachtsschnee auf den Feldern lag, da war ich auch mit einer Arbeit zu Ende gekommen, die mir schon lange das Herz beschwert hatte und auf deren glückliches Vollbrachtsein ich am Silvesterabend ein Glas selbstgebrauten Punsches leeren konnte.

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Seitenzahl: 48

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Tambi

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4AnmerkungenImpressum

Kapitel 1

Vor Jahren hatte ich mich entschlossen, einen Winter auf dem Lande zu verleben, und zwar deshalb, weil ich in meinen Arbeiten zurückgeblieben war und Ruhe und Sammlung benötigte. Ich begab mich also im Spätherbst auf ein herrschaftliches Gut, dessen Besitzer mir seit Jahren befreundet. Er selbst war von dort, wo er einen Teil des Sommers zugebracht, mit seiner Familie nach Italien abgegangen; ich aber bezog ein kleines Nebengebäude des Schlosses, wo ich mich sehr bald wohnlich eingerichtet hatte. Meine Fenster gingen nach zwei Seiten hin. Auf der einen blickte ich in den Park, auf der anderen lag die Landschaft mit einem Teil des Dorfes vor mir. Eine echt mährische Gegend. Unübersehbare Felder, auf welchen noch hin und wieder Rüben und Kartoffeln standen; sanft ansteigende Hügel, dunkle Nadelholzwälder – und das Ganze von einem Eisenbahndamme und einem kleinen, trägen Flüßchen durchschnitten und durchschlängelt.

Während der ersten Zeit meines Aufenthaltes war ich viel im Freien. Ich ließ mir einen alten Gaul satteln, der im Stalle der Wirtschaft den Gnadenhafer genoß, und ritt im sanften Strahle der letzten Oktobersonne nach den umliegenden Höfen und Ortschaften; oder ich durchstreifte, die Jagdflinte über die Schulter gehängt, die lautlosen Wälder, bis sie endlich von Novembernebeln zu triefen anfingen – und ich mit einem leidenschaftlichen Rucke meine Tätigkeit aufnahm. Nun verließ ich, mit Ausnahme regelmäßiger Morgenspaziergänge, das Haus nicht mehr – und als der Weihnachtsschnee auf den Feldern lag, da war ich auch mit einer Arbeit zu Ende gekommen, die mir schon lange das Herz beschwert hatte und auf deren glückliches Vollbrachtsein ich am Silvesterabend ein Glas selbstgebrauten Punsches leeren konnte.

Auch den Neujahrstag wollte ich in meiner Weise festlich begehen. Es war in jenem Jahre ein äußerst strenger, aber prachtvoller Winter, und gerade damals gab es das köstlichste Wetter. Der Himmel war durchsichtig blau, und soweit das Auge reichte, glitzerten die weißen Kristalle. Ich beschloß, nach einem alten, verfallenen Bergschlosse zu wandern, das etwa zwei Wegstunden entfernt lag und eine herrliche Rundsicht über das Land eröffnete. Ich hatte diese Rundsicht schon mehrmals im Sommer genossen, wollte aber nun auch ihre winterlichen Reize kennenlernen.

Nachdem dies geschehen war und ich genug der reinen, aber auch schneidenden Luft, die dort oben wehte, eingeatmet hatte, machte ich mich wieder auf den Heimweg. Mittag war schon vorüber; müde und hungrig geworden, fiel ich in die nächste Dorfschenke ein, die sich mir darbot. Es war ein elendes Wirtshaus, nur durch einige Hobelspäne gekennzeichnet, die nach Landessitte über dem Tore hingen. In der Gaststube saßen einige Bauern bei trübem Bier; auch drei Wandermusikanten waren da, die ihre Blechinstrumente vor sich liegen hatten und vielleicht später zum Tanze aufspielen sollten. Der Wirt aber, bei dem ich ein notdürftiges Mahl bestellte, wies mich zuvorkommend über den Flur in ein kleines Nebenzimmer, in welchem nur ein einziger, länglicher Tisch stand.

An diesem Tische, mit dem Rücken gegen die Wand, saß ein städtisch gekleideter Mann und schien zu schlummern; wenigstens hatte er das Haupt auf die Arme gelegt, die verschränkt auf der Tischplatte ruhten. Neben ihm auf der Bank lag ein brauner Hund, der bei meinem Eintritt kurz anschlug.

Der Mann hob den Kopf, faßte mich ins Auge – und starrte mich an, so wie ich ihn. Dieses runde, blaß aufgeschwemmte Gesicht, das jetzt allmählich von einer fahlen Röte überzogen wurde, kam mir so bekannt vor, daß ich unwillkürlich ausrief: »Wie? Sie sind es, Herr – Herr –« Ich rang vergeblich nach einem Namen, der mir entfallen war.

Der andere zögerte sichtlich, diesen Namen auszusprechen. Endlich sagte er mit leiser, stockender Stimme: »Bacher, wenn ich bitten darf – Johann Bacher.«

»Richtig – Herr Bacher! Das nenne ich ein überraschendes Zusammentreffen!« Dabei setzte ich mich ihm gegenüber und deutete kurz die Gründe an, die mich für diesen Winter hierher geführt. »Aber wie kommen Sie in diese Gegend?« fuhr ich fort.

»Sie ist ja eigentlich meine Heimat«, erwiderte er, noch immer sehr verlegen; »denn ich habe in der nächsten Kreisstadt, wo mein Vater ein kleines Amt bekleidete, das Licht der Welt erblickt. Seitdem bin ich freilich auch an anderen Orten herumgekommen. Gegenwärtig aber bin ich Kanzlist bei dem Notar in...« Er nannte einen größeren Marktflecken, der, noch zu dem Rayon der Herrschaft gehörend, eine starke Wegstunde von meiner Behausung entfernt an der Landstraße lag.

Doch eh ich hier fortfahre, muß ich vorerst weiter zurückgreifen.

Vor ungefähr einem Dezennium hatte man wieder einmal ein dichterisches Genie, einen modernen Shakespeare entdeckt, von welchem man erwartete, daß er die Wiedergeburt des deutschen Dramas einleiten werde. Ein bisher gänzlich unbekannter, in Wien lebender Autor hatte nämlich eine Tragödie erscheinen lassen, die das Bedeutendste sein sollte, was seit vielen Jahren in dieser Richtung geschaffen wurde; ja ein gewisser Ästhetiker, der sonst fast alle Erscheinungen der neueren Literatur mit Stillschweigen zu übergehen liebte, verstieg sich in einem plötzlichen Anfall von Begeisterung zu dem Ausspruche: das Werk könne – wenn überhaupt – nur mit dem Macbeth oder dem Lear verglichen werden.