Vae victis! - Ferdinand von Saar - E-Book

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Ferdinand von Saar

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Beschreibung

Vae victis! ist eine Novelle von Ferdinand von Saar. Sie wurde zum ersten Mal 1883 veröffentlicht. »In der Wohnung des Generals Ludwig Baron Brandenberg war die Dienerschaft mit vollem Eifer tätig, den Salon und die anstoßenden Gemächer zum Empfang einer großen Gesellschaft, welche sich heute abends hier versammeln sollte, instand zu setzen.«

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Vae victis!

Vae victis!Anmerkungen zu dieser AusgabeImpressum

Vae victis!

In der Wohnung des Generals Ludwig Baron Brandenberg war die Dienerschaft mit vollem Eifer tätig, den Salon und die anstoßenden Gemächer zum Empfang einer großen Gesellschaft, welche sich heute abends hier versammeln sollte, instand zu setzen. Inmitten dieser Vorbereitungen bewegte sich die Hausfrau, eine junge Dame von auffallender Schönheit, das dichte, hellblonde Haar mit einem weißen Morgenhäubchen leicht bedeckt, lenkend und anordnend hin und her, und die kurzen Weisungen, die sie mit lauter Stimme erteilte, zeigten, daß sie des Befehlens gewohnt war. In der Tat sprach sich in ihren etwas scharf geschnittenen Zügen ein fester, unbeugsamer Wille aus, und in der Lippenbildung des rosigen Mundes lag eine gewisse Härte, während die dunklen Augen ebenso bereit erschienen, in eisiger Verachtung zu blicken wie rasche Zornblitze zu schleudern. Es waren, das fühlte man, vernichtende Augen für alle diejenigen, welche von ihnen nicht gerne gesehen wurden, wenn sie vielleicht auch sonst das süßeste Feuer leidenschaftlicher Zärtlichkeit auszustrahlen vermochten.

Endlich hatten die Leute ihr Werk vollbracht. Alles war aufs zweckmäßigste geordnet, aufs schönste und geschmackvollste entfaltet; nichts fehlte als die Dunkelheit, um die Lichter anzünden zu können. Als Zierde des Ganzen jedoch erschien ein kleiner, reizender Wintergarten, den man hinter dem Speisezimmer improvisiert hatte und in welchem jetzt die schöne Frau mit ihren schmalen Händen noch hier und dort ein Blatt zurechtbog oder geschädigte Blüten entfernte. Sichtlich befriedigt durchschritt sie hierauf die übrigen Räume, trat im Salon an ein Fenster und lehnte die weiße glatte Stirn gegen die Scheiben.

Das Haus, dessen zweites Stockwerk sie mit ihrem Gatten bewohnte, lag am Rande des ehemaligen Josefstädter Glacis und ging mit seiner Vorderseite auf jene geräumige Fläche hinaus, woselbst sich nunmehr, inmitten wohlgepflegter Anlagen, die bedeutendsten öffentlichen Gebäude Neu-Wiens erheben. Damals jedoch gewahrte man dort bloß eine steppenartige, von vielfachen Fußpfaden durchkreuzte Wiese, auf welcher vormittags die Truppen der Garnison ihre Übungen vornahmen, nachmittags aber bis in den späten Abend hinein ein Heer von Kindern sein fröhliches Wesen trieb. Dahinter erhoben sich mit einem Bruchstücke der alten Bastei die düsteren Häusermassen und ragenden Turmspitzen der Stadt; nach rechts hin zeigten bereits zahlreiche Baugerüste die werdende Ringstraße an, und links kamen, über die ersten Anfänge der Votivkirche und die Dächer der Alservorstadt hinweg, die anmutigen Höhenzüge des Wienerwaldes zum Vorschein.

Es war in der zweiten Hälfte des März, und der Tag hatte sich herrlich angelassen. Die Menschen waren am Morgen von funkelnden Sonnenstrahlen geweckt und, als sie aus den Häusern traten, von lauen, nach Veilchen duftenden Lüften geküßt worden; nun aber hatte sich plötzlich ein rauher Nordwind erhoben und trieb schweres, düsteres Gewölk vor sich hin, aus dem alsbald dichter Schneeregen auf die Stadt niederwirbelte. Die junge Frau am Fenster schien es jedoch nicht zu bemerken; sie blickte vielmehr in das unfreundliche Gestöber mit stillem Lächeln und leuchtenden Augen wie in eine goldige Zukunftswolke hinein.

Von der ziemlich stillen Straße herauf wurde jetzt der Hufschlag von Pferden vernehmbar; ein Zeichen, daß der General, welcher mit seiner Brigade schon früh am Tage zu einem außergewöhnlichen Feldmanöver aufgebrochen war, in Begleitung seines Adjutanten nach Hause zurückkehre. Seine Gemahlin jedoch schien ihn nicht allzu sehnsüchtig erwartet zu haben. Denn diese trat jetzt, indem sich ihr Antlitz verfinsterte, rasch vom Fenster zurück und begab sich nach ihrem Zimmer, wo sie sich in einen Fauteuil warf und ein Buch zur Hand nahm.

Inzwischen hatte sich der General unten am Tore von dem jungen Offizier verabschiedet, der hierauf sein Pferd in einen raschen Trab setzte, während der Chef langsam in den Hof ritt, wo er abstieg, die Zügel dem nachfolgenden Reitknechte zuwarf und dann, die zerrinnenden Schneeflocken von sich schüttelnd, nachdenklich die Treppe hinanschritt. Er mochte in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre stehen. Seine Haare waren bereits leicht ergraut; aber sein hoher, schlanker Wuchs hatte noch etwas Jugendliches, und das schmale, längliche Gesicht schimmerte edel unter dem betreßten, vom grünen Federbusch umwallten Hute hervor.

In der Wohnung angelangt, blieb er im Eintrittszimmer, das nach links die Flucht der festlichen Gemächer eröffnete, stehen und ließ, wie um seine Ankunft kundzugeben, den Säbel leicht an die Sporen klingen. Da alles still blieb, wandte er sich nach rechts, durchschritt ein kleineres Zimmer und stand nun vor jenem seiner Frau. Er horchte eine Zeitlang, wobei sich in seinen Zügen ängstliche Spannung ausdrückte; dann klopfte er an die Tür. Drinnen regte sich nichts. Unschlüssig bewegte er sich hin und her, und schon war es, als wolle er sich nach einem Kampfe mit sich selbst wieder zurückziehen, als er ein scharfes »Nun?« vernahm. So wenig freundlich und einladend auch dieses Nun erklang: für den General mußte es ein erlösendes Wort gewesen sein. Denn aufatmend trat er mit raschen Schritten und vorgestreckter Rechten in das Zimmer.

»Guten Morgen, Corona«, sagte er herzlich – »oder guten Tag, wie du willst. Ich habe heute schon so zeitig das Haus verlassen, daß ich dich noch gar nicht begrüßen konnte.« Und dabei wollte er den Arm sanft um ihre Schultern legen und seine Lippen dem blassen Gold ihrer Haare nähern.