Hexendreimaldrei - Claudia Toman - E-Book

Hexendreimaldrei E-Book

Claudia Toman

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Beschreibung

Wünschen ist nichts für Anfänger! Das muss auch Olivia erkennen, als ihr Wunsch, den eine Fee ihr so großzügig gewährt, ein kleines bisschen aus dem Ruder läuft. Warum musste ihr Märchenprinz sich aber auch erdreisten, eine andere heiraten zu wollen? Nun ist er ein Frosch, und als sie ihn so vor sich sieht, grasgrün, mit einem Heißhunger auf Fliegen, packt Olivia das schlechte Gewissen. Sie ist entschlossen, die Verwandlung rückgängig zu machen, selbst wenn sie sich dazu mit einem mächtigen Hexenzirkel anlegen muss … Ein magisches, märchenhaft-komisches Leseerlebnis! Begeisterte Leserstimmen: »In jedem Satz besticht die Autorin durch eine erfrischende Erzählweise und sprachgewaltige Bilder.« »Ein zauberhafter Roman voller Liebe und Überraschungen!« »Mit Olivia hat die Autorin eine liebenswerte Heldin erschaffen, die ihr Herz am rechten Fleck hat und mit der man mitfühlen, träumen, lachen und weinen kann.« Von Claudia Toman sind in dieser Reihe außerdem erschienen: »Goldprinz« und »Jagdzeit«.

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Seitenzahl: 345

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Claudia Toman

Hexendreimaldrei

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

WidmungMottoVorspielTeil 1 – Der Frosch1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. KapitelTeil 2 – Die Hexen1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. KapitelNachspielDanksagungZitate
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Für J.

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Das darf doch nicht wahr sein. Geschlagene siebeneinhalb Minuten sitze ich jetzt hier im Dunkeln, auf dem einzigen WC im Pfarramt, und kaue an meinen Nägeln. Das ist wahrscheinlich kein günstiger Zeitpunkt, um eine Nagelschere zu brauchen.

Der Klodeckel ist auch nicht sonderlich bequem. Wie schade, dass sich die Kirche keinen Plüschbezug leisten kann oder zumindest Frottee. Noch besser, diese geheizten japanischen Klositze, von denen man gar nicht mehr aufstehen möchte.

Ich rutsche unruhig hin und her. Wenn ich wenigstens vor der überstürzten Flucht aufs Klo daran gedacht hätte, dass der Lichtschalter außen ist, dann könnte ich das Nageldesaster immerhin sehen. So bleibt mir nichts anderes übrig, als grimmig auf den kleinen Lichtstreifen unter der Tür zu starren oder auf die Leuchtziffern meiner Swatch.

Wenigstens kann ich jederzeit, wenn ich mal muss, denke ich mit einem letzten Rest von Galgenhumor. Ich gebe mir noch fünf Minuten, danach spaziere ich einfach hinaus. Wenn ich mich ducke und schnell genug bin, dann ist es durchaus möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, dass ich mich ungesehen zu meinem Auto schleichen kann. Anschließend Vollgas und ab nach Hause in die Großstadt, wo mein äußerst spannendes, ereignisreiches Singleleben in Form eines Fernsehers mit Kabelanschluss, DVD-Player, Nintendo Spielkonsole und einiger Flaschen guten, süffigen Rotweines auf mich wartet.

Durch die Tür sind immer noch Dutzende Stimmen zu hören. Draußen gibt es nämlich die große Familienumarmungsaktion vor dem eigentlichen Event, das um exakt elf Uhr mitteleuropäische Zeit steigen soll. Eine Hochzeit, was sonst. Ich knirsche mit den Zähnen.

Nun, ich könnte auch hier sitzen bleiben, bis sie alle in die Kirche gegangen sind. Deprimiert fange ich wieder an, an meinen Nägeln zu kauen. Das wäre doch gelacht, wenn es kein Leben außerhalb dieser Toilette gäbe.

Allerdings war der Anlass zur Flucht auf das Klo ein aufkeimender Weinkrampf mit Verdacht auf demnächst einsetzenden Nervenzusammenbruch. Denn Fakt ist, ich bin bei dieser Hochzeit weder Braut noch Brautjungfer, hätte gegen Ersteres jedoch keinerlei Einwände. Und deshalb bin ich mir nicht sicher, ob die Explosionsgefahr beim neuerlichen Anblick des Brautpaares, angesichts des Kleides, des Ringes oder des Kusses (Panik!) gebannt bliebe. Insofern wäre es wohl sicherer, während der gesamten Zeremonie klotechnisch abwesend zu bleiben, Nerven zu sparen, ein wenig Zen zu üben, um danach für die etwa zwanzigsekündige Gratulation gerüstet zu sein. Wenn ich die heil überstehe, dann kann ich auf der Heimfahrt ins Lenkrad beißen oder mit einhundertachtzig Kilometern pro Stunde LKWs überholen. Aber auf keinen Fall darf ich irgendwo in seinem Gesichtsfeld zusammenklappen.

Auf. Keinen. Fall.

 

Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit, und mein Blick fällt auf die Schachtel Streichhölzer, die fein säuberlich auf den Reserveklopapierrollen liegt. Und das auf dem Kirchenklo. Ich pfeife anerkennend durch die Zähne. Ein guter Freund hat mir nämlich vor Jahren die sehr interessante physikalische Reaktion eines angezündeten Streichholzes in einer stinkenden Toilette beigebracht. Es ist nämlich, glaube ich, so, dass der Rauch des Streichholzes den Gestank zum größten Teil auffrisst, weshalb man auf dem Klo immer Streichhölzer in Reichweite haben sollte, die einzige Rettung eines romantischen Wochenendes im Hotelzimmer.

Gelangweilt nehme ich ein Streichholz heraus. So eine kleine, tröstende Lichtquelle wäre jetzt etwas Wunderbares, denke ich mir, außerdem duftet es hier keineswegs nach Lavendel. Mangels sonstiger Ablenkung zünde ich es an.

Sssssssssswuuuuushhhh.

Genau in dem Moment schießt eine Stichflamme von der Streichholzspitze, und grelle Blitze zucken durchs Klo. Ich muss mir die Augen zuhalten, um nicht blind zu werden, und als ich sie vorsichtig wieder öffne, steht, oder fliegt vielmehr, eine sonderbar gekleidete Gestalt vor mir. »Sie«, die sich bei näherer Betrachtung als »Er« entpuppt, schwebt etwa zwanzig Zentimeter über den Fliesen, ist in rosaroten Tüll gehüllt, und hinter den Schultern schaut etwas hervor, das man fast für ein paar Flügel halten könnte. Seine pink gefärbten Haare sind dezent toupiert, außerdem mit viel Gel bearbeitet, oben am Scheitel sitzt eine winzige Krone. An seinen Schläfen befinden sich liebevoll getrimmte Koteletten, an denen er permanent mit dem Mittelfinger entlangstreicht.

»Wer stört?«, fragt er ungehalten und sieht mich, die Nase gerümpft, an.

»Ich, ähm, also …«, versuche ich es konsterniert, einen Heiterkeitsanfall mühsam unterdrückend, doch er schüttelt nur ungeduldig den Kopf, was die kleine Krone gefährlich ins Ungleichgewicht bringt.

»Es ist immer das Gleiche, wirklich. Mich erst bei meinem Schönheitsschlaf stören und dann dumm schauen. Hat dich in deiner Kindheit niemand gewarnt, dass man vom Zündeln Bettnässer wird? Spielst du grundsätzlich blöd mit Streichhölzern herum, wenn du auf dem Klo sitzt, oder nur ausnahmsweise? Meinst du, ich habe nichts anderes zu tun, als mich hier mit deiner Unentschlossenheit auseinanderzusetzen? Was glaubst du eigentlich, wer ich bin?«

»Na jaaaah, so genau kann ich das …«

»Ja, ja, ja, schon gut.«

Ein dramatischer Seufzer. Er zupft an seinem Tüll-Tütü und blickt mich aus babyblauen Augen an.

»Also, ich bin eine Fee, und wenn du … Was gibt’s da zu lachen?«

»Mmmmpppffff! Eine Fee? Solltest du auf diesem Posten nicht eine schöne junge Frau sein?«

Ich kichere ungeniert.

»Auch Männer können Feen sein. Warum denn nicht? Häh? Häh? Immer diese femininen Vorurteile und dieses Getue von wegen Alles was schön ist, ist weiheiblich …«, sagt er beleidigt und mustert geringschätzig meine nur notdürftig verpackte Oberweite.

»’tschuldige«, nuschle ich, »aber ich habe noch nie von einer männlichen Fee gehört.«

»Daran ist nur diese einseitige Kinderliteratur schuld. Märchen, öööööh, wenn ich das schon höre. Lass mich bloß in Ruhe mit diesem Andersen-Schund! Pfui Teufel! Oder Grimm, noch schlimmer! Igitt! Nun, ähm, lassen wir das. Du weißt eh, wie so was läuft. Also, du hast die Sache mit dem Streichholz erledigt, tatatataaaa, da bin ich. Folglich hast du jetzt einen Wunsch frei. Das Übliche eben«, sagt er und gähnt herzhaft.

»Die Sache mit dem Streichholz? Moment, das ist nicht das erste Streichholz meines Lebens, und vorher ist mir noch nie eine Tütü-Fee erschienen!«

Er streicht gekränkt über sein Feenoutfit und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Hast du etwa noch nie vom Wunschwellenprinzip gehört?«

»Wunschwas?«

»Wunsch-wel-len-prin-zip! Heilige Feenmutter, an wen bin ich denn da geraten? Unkenntnis ist gar kein Ausdruck! Also hör zu: Es gibt viele Bezeichnungen dafür. Wir Feen sprechen von Wunschwellen, wenn das Bedürfnis eines Menschen nach Wunscherfüllung besonders groß ist. So ähnlich wie eine volle Blase, nur eben im Kopf. Findet in so einem Moment eine physikalische Reaktion statt, etwa durch Zünden einer Flamme, einer Rakete, via Stromschlag oder ähnlichem Unsinn, dann sind wir Feen dazu verpflichtet, einen Wunsch zu erfüllen.«

»Einen Wunsch? Wie meinst du das?«

»Meine Güte, du bist aber schwer von Begriff. Ein Wunsch, Anliegen, Bedürfnis. Ein Haufen Geld vielleicht, einen besseren Job, nettere Freunde, den Weltfrieden, größere Brüste, flacherer Bauch. Nun, zum Beispiel könnte deine Nase schon …«

»Also«, unterbreche ich ihn aufgeregt, »ich kann mir alles wünschen, was ich will? Wirklich alles? Einfach so? Absolut jeden Wunsch?«

»Jahaaa!« Er stöhnt. »Nur bitte, mach schnell, ich versäum sonst meinen Termin bei der Manikühüüre. Könnte dir übrigens auch nicht schaden. Nägelbeißer, hab ich recht? Also, Wunsch, dalli, dalli! Allerdings gibt es da eine Sache …«

»Na ja«, unterbreche ich ihn, »aber so was muss man sich doch überlegen. Ich meine, es gibt so vieles, das ich mir wünsche, wie soll ich mich denn da entscheiden?«

»Ach, Gottchen, nimm das Erste, das dir einfällt, was du grade jetzt am dringendsten haben möchtest.«

»Eine Nagelschere?«

»Sei doch kein Frosch«, stöhnt er und schaut mich erwartungsvoll an.

In dem Augenblick sehe ich es bildlich vor mir, und meine Nachdenklichkeit weicht einem breiten Grinsen. Fröhlich flüstere ich dem Feerich meinen aller-aller-dringendsten Wunsch ins Ohr.

Er sieht mich einen Moment lang entgeistert an, streicht sich über die Augenbrauen, kratzt sich an der Nasenspitze, zupft an den Koteletten, zuckt schließlich mit den Schultern und meint lakonisch: »Wie du willst.«

Er hebt die rechte Hand, schnippt mit den Fingern und ist mit einem Riesenknall verschwunden.

 

Ich reibe mir verblüfft die Augen und schaue mich um. Alles wie vorher. Es ist dunkel, und ich sitze immer noch auf einem harten Klodeckel. Draußen ist weiterhin lautes Stimmengewirr zu hören. Eine sonderbare Vision, denke ich mir, seufze nach einem Blick auf die Uhr tief, bringe meine Oberweite in Positur sowie meine Frisur in Ordnung, zwicke mich fest in beide Wangen und öffne die Klotür.

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1. Kapitel

Es gibt sie noch: Die Prinzen auf den weißen Pferden, die mit wehendem roten Superman-Cape durch die Prärie reiten, um dann unter unseren Fenstern (inklusive begrüntem, substralgedüngtem Balkon versteht sich) selbst gedichtete Liebeslieder, auf der Mandoline begleitet, vorzutragen. Es gibt sie tatsächlich, obwohl sie nicht mehr so leicht zu identifizieren sind wie in der guten alten Zeit, da sich ihr Erscheinungsbild sowie ihr Auftreten radikal verändert haben. Die Märchenprinzen unserer Generation müssen nicht mehr unbedingt Voltigierkünste beherrschen, in Stabreimen sprechen oder mit gefährlich scharfen Waffen durch die Weltgeschichte reisen. Fort das Pferd, perdu das schicke Cape, danach kräht heutzutage nicht einmal der altmodischste Gockelhahn. Es genügt, wenn die Prinzen gut riechen, dieses gewisse Etwas in Stimme, Augen und Mundwinkel haben und uns ab und zu Türen aufhalten, in den Mantel helfen, teure, unnötige Accessoires schenken oder uns zum Lachen bringen. Jawohl, die Zeiten haben sich geändert.

Man sollte meinen, bei diesen verringerten Anforderungen liefen sie gleich scharenweise durch die Gegend, die Herren Prinzen, säßen mutterseelenallein mit Biovollkornkäsebroten auf Parkbänken herum, lehnten bei einem Glas Rioja an schicken Bartheken und kauften gesunden, italienischen Rucola auf dem Markt. Dem ist allerdings nicht so. Ganz im Gegenteil, wir Frauen von heute befinden uns in dauerndem Wettstreit darum, welcher es wohl gelingt, ein solch seltenes Exemplar an Land zu ziehen und dazu zu bringen, anstandslos Blumen, Ring und Eigenheim für sie zu erwerben. Nicht zu vergessen eine mehrstöckige Torte aus weißen, äußerst zucker-, fett- sowie generell hochgradig kalorienhaltigen Zutaten.

 

Als er eines schönen Tages vor mir stand, in Schafwollweste und Birkenstock-Sandalen, da hätte ich ihn beinahe übersehen. Auch die Goldrandbrille, die zuletzt in den Fünfzigern der neueste Schrei gewesen sein mag, war ein durchaus zu überdenkendes Accessoire, verzeihbar allerdings, wenn man meine grundsätzliche Schwäche für Brillenträger aller Arten bedenkt. Dazu ein kreativer bis künstlerischer Nichthaarschnitt. Damit lag, kurz zusammengefasst, der erste Eindruck irgendwo zwischen Biobauer mit sozialer Ader und ewiger Literaturstudent Marke Siebzigerjahre. Nur das Biovollkornkäsebrot passte ausgezeichnet.

Man könnte an dieser Stelle berechtigterweise fragen, was diese Beschreibung noch mit dem Helden auf besagtem Schimmel mit Cape und Lanze zu tun hat. Nun, meine Damen, etwas, das wir noch lernen müssen, ist, uns von der Vorstellung zu befreien, Prince Charming stünde eines wolkenlosen Tages in voller Schönheit vor uns. Auch ein George Clooney musste erst zu George Clooney gemacht werden, und Johnny Depp ohne die helfende Hand diverser Masken- und Kostümbildner ist ebenfalls nur ein hübsches Gesicht, versteckt hinter denkbar schlecht gepflegter Kopf- und Gesichtsbehaarung, sowie ein Opfer katastrophaler Geschmacksverwirrungen.

Der Rohdiamant Märchenprinz nimmt oft sonderbare Gestalten an, und es gilt, ihn freizulegen, um ihn dann in aller Subtilität zu schleifen und zu gestalten, bis er so weit ist, sich in Ketten oder Ringe legen zu lassen.

Das klingt jetzt vielleicht ein wenig unromantisch, aber es ist die einzig denkbare Methode, um legal an einen passablen Märchenprinzen zu kommen. Ist aus George Clooney erst einmal George Clooney geworden, ohne dass er rechtzeitig eingefangen wurde, teilt er sein restliches Leben in aller Schönheit Nespresso schlürfend mit D-Cup-Models, gelifteten Blondinen oder einem Hausschwein, was im Grunde auf dasselbe hinausläuft: Er ist für uns reale Frauen verloren. Und, machen wir uns nichts vor, ich bin eine stinkreale Frau, Glamourfaktor unter zehn Prozent, Gewicht mehr als zehn Prozent über normal und Flirtfaktor irgendwo unterm Gefrierpunkt. Wenn ich meinen realen Körper in einer dieser gestylten Innenstadtbars spazieren führe, dann quatschen mich unter Garantie dutzendweise männliche Wesen an – um mich nach dem Weg zum Klo zu fragen.

Nun hat die praktische Frau von heute natürlich absolut kein Interesse daran, einen George Clooney zu präparieren, da ein solches Exemplar bekanntlich lästige Nebenwirkungen mit sich bringt, und nur sehr schwer, unter Aufwendung aller ehevertraglicher List, zu halten ist, angesichts einer Schar von vollbusigen, faltenfreien, zu allen Schandtaten bereiten weiblichen Anhängerinnen. Die Kunst, und hier beginnt die Geschichte kompliziert zu werden, ist es, den Prinzen geschickt gerade so weit zu formen, dass er den eigenen Ansprüchen genügt, ohne haufenweise Konkurrentinnen anzulocken. So wird er letztendlich immer das Gefühl haben, dass die Frau an seiner Seite das Beste ist, was ihm passieren konnte, und wird ihr im Idealfall erhalten bleiben.

 

In den Zeiten der Schafwollweste ist er mir hauptsächlich durch seine Art zu sprechen aufgefallen. Ein undefinierbarer Akzent, vorgebracht mit einer melodischen und extrem erotischen Stimme, bei deren Klang ich aus unerfindlichen Gründen regelmäßig über Bodenwellen, Treppenstufen oder meine eigenen Füße stolperte. Dazu kam das perfekte Gesicht: scharfe, sehr männliche Konturen, markante Wangenknochen, helle, wache Augen, denen die Brille den intellektuellen Touch gab, und der gewisse Zug um den Mund, den ein Mann entweder hat oder nicht hat (Johnny Depp hat ihn definitiv, es sollte ihm nur jemand von Zeit zu Zeit mit Gewalt das Gestrüpp entfernen, hinter dem er ihn zu verstecken pflegt). Außerdem ein Leberfleck am Kinn, malerisch, wie vom lieben Gott gezielt dort hingepinselt, zwei Zentimeter darüber ein Lächeln, bei dem einem die roten und weißen Blutkörperchen mit hoher Geschwindigkeit direkt in den Kopf schossen.

Bedauernd fiel mein Blick dann jedes Mal auf die Birkenstock-Fußbekleidung Modell Arizona, bis ich zu dem Schluss kam: Manche Männer tragen gelbe Cordhosen, Nasenpiercings, Pullunder, Bermudashorts, Strickhauben, Stirnbänder oder violette Strohhüte, was also ist so schlimm an Birkenstock?

 

Zum ersten Mal begegnet bin ich ihm in einem Lokal namens »Café Poesie«, wohin ich von Zeit zu Zeit eingeladen wurde, um aus meiner umfangreichen Kurzgeschichtensammlung zu lesen. Mehr schlecht als recht schlug ich mich als angehende Schriftstellerin durchs Leben. Meine Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften waren zahllos, in der Summe sowie in finanzieller Hinsicht, und hätten die fünfunddreißig Komma acht Quadratmeter Wiener Innenstadtnähe, in denen ich logierte, nicht mir gehört, hätte ich mir wohl die entsprechende Miete nicht leisten können. So kam ich halbwegs durch mit meinen Gelegenheitsjobs in Theatern und Verlagen plus den bescheidenen Einkünften aus diversen Artikeln, Gedichten, Geschichten, Essays, Libretti und Einaktern, die ich verfasst hatte. Allerdings bereitete es mir Sorgen, dass ich dreißig Jahre alt werden könnte, ohne einen Roman geschrieben zu haben, eine Niederlage für den schreibenden Menschen an sich. Mit neunundzwanzigeinviertel Jahren ist das neben Mimikfaltencremes, Nahrungsergänzungsmitteln, hormonell bedingtem Zwang zur Dauerdiät und Bindegewebekontrolle das, worüber man sich den Kopf zerbricht.

An diesen Tag jedenfalls erinnere ich mich noch gut, obwohl er damit begonnen hatte, dass ich in ein Zeitloch fiel. Die Lesung war eine Sonntagsmatinee um elf Uhr, und als mich die Lokalbesitzerin um zehn Uhr dreißig anrief, um mich zu bitten, doch erst noch im Büro vorbeizuschauen, da stand ich gerade mit nassen Haaren im Bademantel vor meinem Ikea-Pax-Schrank, in jeder Hand ein Höschen und im festen Glauben, es sei halb zehn Uhr, nicht halb elf. Alle paar Monate, wie genau, weiß ich auch nicht, passiert mir das, und ich nenne das Phänomen immer »mein kleines, unsichtbares Zeitloch«. Das hat nichts mit zu spät kommen oder verschlafen zu tun, es handelt sich vielmehr um einen Denkfehler, der zur Folge hat, dass mir in der Planung eine Stunde abhanden kommt.

Laut fluchend riss ich mir augenblicklich den Bademantel vom Leib, warf mich in wahllos aus dem Schrank gezerrte Kleidungsstücke, reduzierte meine üblichen körperhygienischen, schminktechnischen sowie frisurverbessernden Maßnahmen auf ein absolutes Minimum und schaffte es tatsächlich, das Haus um zehn Uhr siebenundvierzig zu verlassen, den Bus im Schweinsgalopp zu erreichen und um elf Uhr eins, völlig abgehetzt, mit schrecklicher Frisur und daher ohne jedes Selbstwertgefühl das Café Poesie zu erreichen. Dort saß ein Grüppchen (ein kleines Grüppchen, eigentlich ein Miniaturgrüppchen) Leute an den Tischen versammelt. Pikierte bis vorwurfsvolle Blicke streiften mich, als ein seltsamer Mann in Schafwollweste und Birkenstock-Sandalen mit ausgestreckter Hand auf mich zukam. Er nannte seinen Namen, den ich zwei Sekunden später wieder vergessen hatte, und stellte sich als der neue Pianist vor, der die Lesung musikalisch untermalen sollte. Ich sah ihn an, klopfte ihm auf die Schulter und gab mich großzügig:

»Ah, gut, Herr …, äh, fangen Sie doch schon mal an, ich muss noch ins Büro, bin gleich so weit, bitte, danke!«, und verschwand Richtung Büro.

Dort fand ich Kornblume, die Besitzerin. Sie hatte auch einen richtigen Namen, aber jeder kannte sie nur unter ihrem Internetpseudonym, was ihrem Onlineverhalten entsprach, da sie rund um die Uhr in allen erdenklichen Literaturforen postete, in dubiosen Chaträumen logierte, dabei literweise grünen Tee trank und Casali-Rum-Kokos-Kugeln aß, wodurch sie ständig eine süßliche Alkoholfahne umwehte.

»Hallo, Liv-Schatz«, begrüßte sie mich kauend, ohne den Blick vom Computer abzuwenden.

Man hatte mir vor neunundzwanzig Jahren einen wohlklingenden viersilbigen Namen gegeben mit dem Effekt, dass alle Welt das dringende Bedürfnis hatte, diesen zu verkürzen, eine Angewohnheit, die ich wie die Pest hasste. Ich war keine Liv, nie gewesen, auch keine Livi, Livia, Vivi, Lilli und schon gar keine Olli. Ganz einfach Olivia bitte, pflegte ich mich vorzustellen, doch seit ich Kornblume kannte, war ich Liv-Schatz. Ich knirschte innerlich mit den Zähnen.

»Hallo, Kornblume. Du wolltest mich sprechen?«

»Ja, also der neue Pi-a-nist wollte sich dir vorstellen und eine Pro-be machen, aber das hat sich ja erledigt, nicht wahr? Ich hab ihm gleich gesagt, wir proben hier nie, er soll einfach nette Zwischenmusik spielen, das reicht völlig, aber ich befürchte, er ist so ein Künst-ler. Er ist erst seit ein paar Wochen hier und macht sich schrecklich wichtig. Was soll ich sagen, du findest heute einfach keine guten Barpianisten mehr, nur noch Künst-ler, eine Qual, sag ich dir. Aber bist du nicht schon etwas spät dran, Schatz?«

Sie hatte es geschafft, während der ganzen Wortkaskade nicht einmal abzusetzen, sich zwei Rum-Kokos-Kugeln in den Mundwinkel zu schieben und gleichzeitig weiter auf ihre Tastatur zu hämmern. Erstaunlich.

»Kornblume, wegen der Einnahmen …«

Zum ersten Mal sah sie mich an, zerdrückte die beiden blank gelutschten Rum-Zuckerkapseln mit der Zunge und schüttelte bedauernd den Kopf.

»Alles Angehörige und Gönner des Lokals, kein zahlendes Publikum, sorry. Versuch die Klingelbeutel-Masche, vielleicht sind sie heute spendabel, wer weiß.«

Schulterzuckend hatte sie sich schon wieder dem Computer zugewandt.

Seufzend und zähneknirschend machte ich mich auf den Weg nach draußen. Sie wusste nur zu gut, wie sehr ich Klingelbeutelgebettel hasste, und trotzdem schaffte sie es nie, von den paar Stammgästen ihres Lokals Eintritt für ihre »Literaturevents« zu verlangen, sondern ließ die Literaten schamhaft Münzen sammeln. Ein ähnliches System praktizierte sie mit ihren Pianisten, was dazu führte, dass keiner lange blieb.

Bei diesem Gedanken fiel mir auf, dass er tatsächlich zu spielen begonnen hatte. Bevor ich das Lokal betrat, blieb ich kurz hinter der Zwischentür stehen, um ihm zuzuhören. Er war gut, sogar nach meinem bescheidenen Musikverständnis, was man unter anderem daran merkte, dass die Leute ihre Gespräche eingestellt hatten und zuhörten. Normalerweise musste man sich mit viel Räuspern Gehör verschaffen, aber diesmal, als ich den Raum betrat und er einen Schlussakkord spielte, sahen mich alle erwartungsvoll an.

Alle Achtung, dachte ich anerkennend und setzte mich an meinen Platz.

 

Nach der Lesung, die diesmal erstaunlich geglückt und mit freundlichem Applaus beendet worden war, näherte ich mich dem Klavier. Ich hatte die Musik immer noch in den Ohren, sie hatte meine Texte nicht einfach untermalt oder begleitet, sondern hatte sich angehört wie ein Teil von ihnen, was mir ziemliches Kopfzerbrechen bereitete.

»Das war sehr schön, danke«, sagte ich nach einigem Zögern, »was war das alles? Chopin?«

Meine Kenntnisse von Klaviermusik waren erbärmlich. Daran hatten auch meine Gelegenheitsjobs in den hoch dotierten Kulturinstitutionen Wiens nichts geändert. Er lächelte freundlich und schüttelte den Kopf.

»Brahms?«, versuchte ich es mit einer Eingebung aus Murakamis Roman »Sputnik Sweetheart«.

»Sie haben nicht viel am Hut mit Klaviermusik«, stellte er fest, immer noch lächelnd. Sein Akzent war undefinierbar.

»Nicht wirklich«, gab ich zu, »aber es gefällt mir, zuzuhören.«

»Das ist die beste Voraussetzung. Mir gefällt, wie Sie schreiben.«

»Oh, danke«, nuschelte ich und fragte mich, warum er mich so nervös machte. Vielleicht die Weise, wie er mir direkt in die Augen sah, oder seine offene Art.

Zum Glück winkte mir meine Freundin Hanna von einem Tisch im Eck aus zu, und ich entschuldigte mich, um sie zu begrüßen.

Sie deutete sofort Richtung Klavier.

»Wer ist denn das?« Hanna war Sängerin und deshalb musikalisch weitaus versierter als ich.

»Der neue Pianist.«

Hanna verdrehte die Augen. »Das ist mir gar nicht aufgefallen, Olivia, wirklich. Danke für die Info! Wie heißt er?«

»Keine Ahnung. Du weißt ja, ich und Namen …«

Sie taxierte ihn, was er, Gott sei Dank, nicht bemerkte, da er gerade seine Sachen zusammenpackte.

»Ein interessanter Mann.«

»Findest du?«

Ich warf einen skeptischen Blick auf die Schafwollweste.

»Und ein toller Musiker. Ich weiß zwar nicht, was er da gespielt hat, aber es war erstaunlich für so ein Lokal wie dieses.«

»Na, na, schließlich bin ich auch ab und zu mal hier.«

Hanna war auf dem Sprung zu einer Probe und musste deshalb sofort wieder los, jedoch nicht, ohne den Pianisten zu fragen, ob sie ihn kontaktieren dürfe, wenn sie gelegentlich einen Begleiter brauchte, sie sei nämlich Sängerin und gute Pianisten seien furchtbar schwer zu finden. Er nickte freundlich, woraufhin Hanna aus dem Lokal rauschte, was zur Folge hatte, dass ich allein neben dem Pianisten, dessen Namen ich vergessen hatte, stehen blieb. Das Lokal war fast leer, nur ein älteres Pärchen saß an einem Ecktisch und bezahlte gerade bei der Kellnerin. Kornblume machte sich selten die Mühe, Büro und Computer zu verlassen, um der Lesung beizuwohnen oder die Künstler zu begrüßen, geschweige denn zu verabschieden, daher war mit ihrem Auftauchen nicht zu rechnen.

Betont lässig vergrub ich die Hände in den Hosentaschen. Bei der Begegnung mit Männern, das hatte ich im Lauf der Jahre gelernt, gab es nur zwei Varianten:

Möglichkeit a: Sie interessierten einen nicht, dann kamen die Worte flüssig, das Auftreten war cool und lässig, der Eindruck, den man hinterließ, war grandios, und man hatte reichlich Schwierigkeiten, sie abzuwimmeln.

Möglichkeit b: Sie interessierten einen, dann fühlte man sich permanent so, als hätte man einen hohen und einen flachen Schuh an, der Slip zwickte unangenehm, der Kopf saß etwas zu fest auf dem Hals, und es fiel einem partout nichts ein, was man sagen könnte.

Ich schwieg.

Der Pianist reichte mir eine Handvoll Geldscheine, gespickt mit Münzen.

»Die Hälfte der Einnahmen. Ich hoffe, Sie trauen mir.«

»Da sind Scheine dabei, sind Sie sicher, dass Sie sich nicht zu Ihrem Nachteil verrechnet haben?«

Er lachte, ein Lachen, das verblüffend nach einem kleinen Jungen klang, der die Stimme eines erwachsenen Mannes ausprobierte und bei dem mir das Herz ganz kurz in die Bauchhöhle rutschte, wo es sich konsterniert umsah. Ich könnte nicht genau beschreiben, wie Löwenzahn riecht, aber genau so duftete es in seiner Gegenwart, er selbst hatte etwas von einer Sommerwiese an sich, und ich befand, dass es an der Zeit war, das Lokal zu verlassen. Fluchtartig.

»Nein, Madame, ich glaube, den Leuten hat es gut gefallen.«

(Madame!)

Ich steckte das Geld ein, ohne es zu zählen.

»Ja, hm, dann danke vielmals.«

»Nichts zu danken. Ich hoffe, Sie kommen wieder vorbei. Ich würde gerne mehr von Ihren Texten hören.«

»Ja, bestimmt, ich bin sowieso öfter hier«, log ich.

Die Kellnerin räumte den letzten Tisch ab, das ältere Paar war gegangen.

»Dann au revoir.«

»Auf Wiedersehen.«

In der Tür blieb ich noch kurz stehen.

»Ach ja, was war das denn nun eigentlich, was Sie gespielt haben bei meiner Lesung?«

»Das war von mir.«

»Wirklich? Wow, sehr schön! Äh, Wiedersehen!«

So schnell ich konnte, lief ich aus dem Café Poesie, bog um die nächste Ecke und schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. Wow, sehr schön. Wow, sehr schön, klang es in meinen Ohren. Mein frisurloses, ungeschminktes Spiegelbild blickte mich entsetzt aus einem Schaufenster gegenüber an.

»Scheiße«, flüsterte ich zerknirscht, fuhr mir durchs Haar, wischte mir die Augen ab, schob mein Herz wieder an seinen Platz zurück und hastete in Richtung Bushaltestelle davon.

2. Kapitel

Ich öffne die Klotür.

Mit offenem Mund starre ich auf das Geschehen. Was um Himmels willen …?

Aufgeregte Menschen laufen durch die Gegend, ein paar stehen ratlos herum, die Braut wirft sich tränenüberströmt in die Arme ihres Vaters, und irgendwer fragt mich, ob ich ihn gefunden habe.

»Gefunden? Wen?«

»Na, den Bräutigam!«

»Gerade war er noch da«, informiert mich die mir bis dahin unbekannte Trauzeugin, »plötzlich war er weg. Sicher nur ein Scherz, das ist ihm ja zuzutrauen, irgendein verrückter Spaß. Bestimmt springt er gleich hinter einem Baum hervor oder landet mit dem Fallschirm.« Aber natürlich sei die Braut recht aufgelöst, fährt sie fort, immerhin, so kurz vor der Trauung, das müsse man sich auf der Zunge zergehen lassen, so etwas könne wirklich nur einem männlichen Gehirn einfallen. Die Chance, dass man männliche Gehirne mit freiem Auge erkennen könne, sei ja ohnehin gering, manche seien selbst unter der Lupe oder mit dem Teleskop schwer auszumachen …

Die Trauzeugin muss Luft holen, zupft an ihrem Tüllrock (ein Tüllrock, o Gott!) und sieht mich verwirrt an.

»Zu wem gehörst du denn überhaupt?«

»Freundin des Bräutigams«, antworte ich unvorsichtigerweise.

»Aha! Also, was hat er angestellt? Wo ist er hin? Welche Überraschung gibt’s, und wann taucht er wieder auf?«

Ich zucke mit den Schultern, aber sie mustert mich mit misstrauischen Kuhaugen von oben bis unten.

In dem Moment sehe ich ihn. Aus dem Augenwinkel nur, denn die Kuhaugen ruhen immer noch anklagend auf mir. Aber das kann doch nicht …? Das ist doch nicht …?

Ohne mit der Wimper zu zucken, erkläre ich der Trauzeugin, dass ich mich natürlich sofort auf die Suche begeben und sämtliche Räder in Bewegung setzen werde, um ihn ausfindig zu machen. Sie solle erst einmal die Braut beruhigen, dann würde sich alles schon wieder finden.

Kuhauge lässt mich stehen, nicht ohne einen letzten skeptischen Blick. Mit zitternden Knien bewege ich mich auf die Stelle zu, wo ich ihn verschwinden gesehen habe. Eine Fata Morgana, bestimmt! Es sei denn … Mir ist schwindelig, mein Magen revoltiert, und ich frage mich, ob ich mich nicht besser in mein Klo zurückziehe, mich ausgiebig übergebe oder alternativ in der Kloschüssel ertränke.

Da! O mein Gott, er ist es wirklich. Außer Sichtweite der restlichen Gesellschaft, unter einem Rosenbusch, malerisch, sitzt er gut versteckt und glotzt mich verwirrt an, als ich mich vor ihn hinhocke.

»Kannst du mir erklären …?«

Ich schüttle stumm den Kopf und kämpfe mit den Tränen.

Uaaaah! Warum, lieber Gott, warum immer ich? Gibt es da oben einen Knopf mit meinem Namen, der so schön in Pink leuchtet, dass du ihn wieder und wieder drücken musst?

»Plötzlich war alles so. Von einem Moment auf den nächsten.«

Ich nicke.

»Verdammt!«

Ich nicke wieder, zerknirscht.

»Wie soll ich denn heiraten, so?«

Die Zerknirschtheit löst sich in Luft auf. Ich mache Anstalten, Richtung Parkplatz zu gehen.

»Halt. Warte. Du musst mir helfen!«

»Ich?«

Meine Stimme zittert in herrlichstem Einvernehmen mit meinem restlichen Körper. Gleich, sage ich mir, gleich wache ich auf, nur ein Moment, ein winzig kleiner Moment, bis …

»Ja, du. Sonst darf mich niemand so sehen! Niemand!«

»Aha.«

Das ist alles. Kein klarer Gedanke, nichts, Leere.

»Wir müssen hier weg und an einen Computer. Bei Google recherchieren. Andere Fälle wie diesen suchen. Experten finden.«

»Experten in was genau?«

»Keine Ahnung. Botanik? Biologie? Magie?«

»Wir könnten Harry Potter fragen.«

Ein Moment Stille.

»Okay, hilf mir, oder ich schreie.«

»Du kannst nicht schreien, das erlauben deine Stimmbänder nicht.«

Er sieht mich an, und erstaunlicherweise ist die Farbe seiner Augen unverändert. Das passt ausgezeichnet zu …

»Laut! Ich werde laut schreien!«

»Na gut, na gut, ab in meine Handtasche.«

In dem Moment taucht Kuhauge mit dem Brautvater hinter mir auf. Ich weiß es, das ist der Moment, schweißgebadet zu erwachen, genau jetzt!

»Na, suchst du unter den Büschen? Gute Idee, was? Ich frage mich wirklich, ob du nicht … He, was hast du denn da? Iiiiiih!«

Ich sehe Kuhauge tief in die Kuhaugen und lächle freundlich.

»Nur einen kleinen Frosch. Ich bringe ihn zum Wasser.« Mit diesen Worten drehe ich mich um und gehe ohne Hektik zum Parkplatz.

 

Sobald ich den Motor gestartet habe, nicht ohne mehrmals die Stirn fest gegen das Lenkrad zu knallen, hüpft er aus meiner Handtasche. Er wirft dem Gurt einen halb sehnsüchtigen, halb ärgerlichen Blick zu, um sich schließlich mir zuzuwenden.

»Raus mit der Sprache!«

»Wie bitte?«

»Du hast mich sofort gefunden, und man kann ja nicht behaupten, dass ich zurzeit große Ähnlichkeit mit mir habe. Also, was weißt du darüber?«

Ich suche verzweifelt nach einer plausiblen Erklärung. Ich kann ihm schließlich schlecht von der Tütüfee erzählen. Bloß keine emotionalen Ausraster jetzt, gaaaanz cool.

»Hast du von so etwas schon gehört?«

»Äh …«

»Also?«

»Nun, es gibt Werwölfe. Die verwandeln sich bei Vollmond, wenn sie gebissen werden. Vielleicht bist du ein Werfrosch oder etwas in der Art.«

Ich starre konzentriert auf eine rote Ampel.

»Willst du mir jetzt helfen oder nicht?«

»Ja, ja, ich denke schon nach. Zauberei vermute ich, auf einer ähnlichen Basis wie Voodoo. Jemand hat eine Abbildung von dir mit einer Nadel gepiekst, und jetzt bist du ein Frosch.«

Gelb.

»Ich bin kein Frosch.«

»Nein, natürlich nicht. Ich meinte, jetzt siehst du aus wie ein Frosch.«

Der Blick, den er mir zuwirft, ist vernichtend. Die Ampel zeigt grün, und jemand hinter mir hupt ungeduldig. Ich fahre los.

»Frösche können nicht sprechen.«

»Dann bist du eben ein sprechender Frosch. Worauf ich hinauswill, meiner Meinung nach haben wir es mit einem bösen Zauber zu tun. So etwas wie das, was Michelle Pfeiffer, Cher und Susan Sarandon mit Jack Nicholson in den Hexen von Eastwick treiben. Voodoo!«

»Und was tut man dagegen?«

»Keine Ahnung, Jack Nicholson hat verloren. Erst haben sie ihn gestochen, dann mit Daunenfedern traktiert und am Schluss verbrannt. Nein, warte, zwischendurch haben sie ihn noch zerbrochen. Ehrlich gesagt sah er am Ende des Films ziemlich mitgenommen aus.«

Mir wird eisig kalt, die dünne Luft zwischen uns scheint zu gefrieren. Ich drehe den Heizungsregler auf.

»Sehr lustig.«

Wir fahren eine Weile schweigend. Der sonnige Frühlingsvormittag hat sich verabschiedet und ist einem bewölkten Himmel gewichen, aus dem es bestimmt bald wie aus Eimern gießen wird. Wie furchtbar illustrativ, denke ich, und mache mir im Kopf eine Notiz, solche platten Bilder beim Schreiben möglichst zu vermeiden.

Ich muss nachdenken. Offensichtlich ist das Wunschwellenprinzip doch nicht nur eine Erfindung meiner angeschlagenen Nerven, und der Tütü-Feerich ist mir tatsächlich aus der Streichholzflamme erschienen. Die Frage ist, wie kann ich meinen Mangel an Glauben und Ernsthaftigkeit wiedergutmachen, sprich, meinen völlig durchgedrehten Wunsch nach der Verwandlung des Märchenprinzen in einen Frosch zurücknehmen?

Eine Möglichkeit wäre, die Sache mit dem Streichholz gleich noch einmal zu probieren, sobald ich zu Hause bin. Allerdings gilt es, dabei äußerst vorsichtig zu agieren, da der Froschprinz neben mir unter gar keinen Umständen erfahren darf, dass er seine missliche Lage mir zu verdanken hat. Die Kehrseite der Medaille ist, dass danach, trotz Erklärungsbedarfs seinerseits, diese Hochzeit verspätet, aber dennoch stattfinden wird.

Ich kaue an der Innenseite meiner Lippe, wie immer, wenn ich unentschlossen bin. Schlechte Angewohnheit. Mit den Hautfetzen, die ich auf diese Weise bereits vertilgt habe, könnte sich eine durchschnittliche Kannibalenfamilie eine passable Brühe zubereiten.

»Wohin fahren wir eigentlich?«

Seine Stimme klingt nach Trübsal, und mein schlechtes Gewissen klopft energisch von innen an meine Schädeldecke, während ich auf der Zunge Blut schmecke. Selbstzerstörerische Tendenzen mit latenter Vampirisierung. Erste Anzeichen für das Aussetzen zentraler Gehirnregionen.

»Zu mir nach Hause. Du hast recht, wir werden erst einmal bei Google recherchieren. Dann sehen wir weiter. Einverstanden?«

Er versucht, zu nicken, was mit dem Froschkopf allerdings schwierig ist und mehr nach Nackenkrämpfen aussieht. Mein Herz macht einen schmerzhaften Sprung, und zum ersten Mal an diesem sonderbaren Tag habe ich schreckliche Angst.

 

In meiner Wohnung fülle ich zuerst die Duschwanne mit warmem Wasser, was er mit heftigem Protest quittiert.

»Ich bin kein Frosch.«

»Natürlich nicht. Aber ein warmes Bad wird dir trotzdem guttun.«

Mir wird bewusst, dass ich ihn zum ersten Mal nackt sehe, ein Gedanke, den ich sofort verwerfe (er ist ein Frosch!), allerdings kann ich ein gewisses Schamgefühl, verbunden mit leicht geröteten Wangen, nicht verhindern. Ich habe auch keine wie auch immer geartete Erfahrung mit der Genitaloptik von Amphibien. Ich setze ihn ins Wasser und verlasse das Bad so schnell wie möglich, nicht ohne die Tür hinter mir zu schließen.

Jetzt rasch! Ich muss nur eine Packung Streichhölzer finden, ich schwöre, da waren irgendwo welche. Nicht in der Küchenschublade, nicht auf dem Fensterbrett, nicht unterm Sofa, auch nicht im Flokati versteckt. Ein klassischer Nichtraucherhaushalt. Aber bei mir brennen doch permanent Teelichter, die zünden sich schließlich auch nicht von selbst an. In aufkeimender Panik durchwühle ich sämtliche Kisten, Schachteln, Schubladen, Taschen, Truhen und sogar den Wäschekorb, bis ich endlich, im Inneren meines Teestövchens, fündig werde.

»Was tust du da? Hast du die Tür zugemacht?«, dröhnt es vorwurfsvoll aus dem Badezimmer, während ich mit einer leider etwas feucht gewordenen Packung Streichhölzer, auf denen das fast schon unleserliche Logo meines Stammjapaners zu sehen ist, aufs Klo eile.

Meine Hände zittern so sehr, dass mir das erste Streichholz aus der Hand fällt. Das zweite bricht in der Mitte durch, und das dritte ratscht ohne einen Funken über den schon etwas durchgeweichten Zündstreifen.

»Mist, Mist, Mist, verdammter!«

»Was sagst du? Oliiiiiivia! Mach die Tür auf!«

Ich fluche lautlos weiter.

Beim vierten Versuch gelingt es mir, das Streichholz zu entzünden, wunschwellenmäßig jedoch tut sich rein gar nichts, keine Stichflamme, keine Tütüfee, null, niente, nada. Panik arbeitet sich wieder an die Oberfläche. Was, wenn es nie mehr funktioniert? Was, wenn man nur eine Tütüfee im Leben bekommt? Was, wenn meine Chance damit vertan ist? Ich meine, was weiß ich denn schon über die Gattung der Tütüfeen? Keine Tütüfee-Gebrauchsanleitung weit und breit. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, das vorher abzuklären und erst dann hirnrissige Wünsche auszusprechen.

Ich bemühe mich, ruhig zu bleiben und mich zu konzentrieren. Wunschwellen hat er gesagt. Das Bedürfnis nach Wunscherfüllung muss besonders groß sein. Also, ein fünftes Streichholz, volle Anspannung, ganz fest an die traurigen Froschaugen denken, ich wünsche, ich wünsche …

Sssssssssswuuuuushhhh.

Danke, lieber Feengott!

»Du schon wieder!«

Ärgerlich, die Hände in die Hüften gestemmt, schwebt er vor mir, diesmal in purpurnen Samt mit weißen Streifen gekleidet, die Flügel verdrückt und die Krone in die Stirn gerutscht, sodass sie beinahe wie ein Horn aussieht. Überhaupt wirkt er, bei näherer Betrachtung, mehr wie ein Tütüteufel denn eine Tütüfee. Ich schiele nach Hufen an seinen Füßen.

»Und wieder die Klolocation, toll, sehr originell! Glaubst du, du kannst mich jetzt andauernd rufen, wenn dir danach ist? Kannst du dich nicht erleichtern wie andere Menschen auch? Was ist das bei dir mit dem Zündeln auf dem Klo?«

»Nein, es ist nur …«

»Unsereiner ist auch beschäftigt, merk dir das.«

»Jawohl. Keine Sorge. Ich möchte nur ganz kurz meinen Wunsch von vorhin revidieren, das war etwas unüberlegt, darum …«

»Du willst WAS?«

»Na, den Froschwunsch zurücknehmen. Ich habe nachgedacht und halte das mittlerweile für doch keine so gute Idee, und deshalb …«

»Meine Lieeeebe«, flötet der Feerich gedehnt, »ich glaube, du machst Witze! Scherz beiseite, los jetzt, heraus mit dem neuen Wunsch und dann addio!«

»Ich wünsche mir, dass sich der Frosch wieder in den Märchenprinzen verwandelt.«

»Piep, piep! Das geht nicht.«

»Warum?«

»Mein Kind, hat dir denn niemand die Regeln erklärt?«

Ich schüttle den Kopf. Pikiert starrt er mich an, richtet sich die Krone, streift die Flügel glatt und räuspert sich dann laut.

»Äh, nun, weil du mich nie ausreden lässt. Ich habe dir mit absoluter, hundertprozentiger, feenmutterstabiler Sicherheit klargemacht, dass es da eine Sache …«

»Hast du nicht!«, kreische ich, nun hochgradig hysterisch.

»Wie bitte?«, kommt es aus Richtung Bad, »mach endlich diese Tür auf!«

»Da hast du es«, mault der Samtfeerich gekränkt, »immer fällst du mir ins Wort. Kein Wunder, dass du nichts mitbekommst.«

Ich breche augenblicklich in Tränen aus.

»Schluchz, schluchz, immer das Gleiche! Erst reden, dann denken, dann heulen. Schnäuz dich gefälligst, das ist ja eklig! Also hör zu. Eine Sache gibt es, die man beim Wünschen bedenken muss: Erfüllte Wünsche können nicht zurückgenommen werden. Du kannst dir sonst alles wünschen, aber es darf nichts mit deinem letzten erfüllten Wunsch zu tun haben. Tempi passati, alles klar?«

Ich sehe ihn völlig konsterniert an.

»Also gibt es nichts, was ich tun kann, um den Schlamassel in Ordnung zu bringen?«

»Das würde ich so nicht sagen«, erklärt mir der Feerich, plötzlich ganz freundlich. Hoffnungsvoll sehe ich ihn an.

»Tatsache ist, es gibt nichts, was ich tun kann, um deinen Schlamassel in Ordnung zu bringen.«

Ich sehe dunkelpurpurrot.

»Ich wünschte, du wärst da, wo der Pfeffer wächst!«

Mit diesem Aufschrei werfe ich eine frische dreilagige Klopapierrolle nach ihm, der er grinsend ausweicht, während er mit dem Finger schnippt und verschwunden ist. Am Boden zerstört, verlasse ich das Klo und wanke ins Wohnzimmer, wo ich verzweifelt in meinen Flokati schluchze.

3. Kapitel

Ein paar Wochen nach unserer ersten katastrophalen Begegnung verschlug es mich wieder ins Café Poesie. Nicht ganz freiwillig, immerhin hatte ich mich einigermaßen blamiert und mir daher geschworen, mich dort nie mehr blicken zu lassen. Aber Kornblume bestand darauf, dass ich zu ihrem Literaturzirkel kam, den sie ein Mal im Monat veranstaltete und wo ein Haufen guter, schlechter und mittelmäßiger Autoren versammelt war, um Kornblumes endlose Blog-Abhandlungen zu diskutieren, die sie auf ihrer Homepage veröffentlichte.

Fest entschlossen, diesmal einen anderen Eindruck zu hinterlassen, bereitete ich mich gewissenhaft vor. Zuerst nahm ich mir mehrere Stunden Zeit für das perfekte Styling unter dem Motto: »Natürlich, aber außergewöhnlich«.

Zweitens studierte ich alles, was sich im Internet über Klaviermusik finden ließ, relativ erfolglos, da von der schieren Masse an Informationen überfordert. Ich beschloss, dass in dieser Sache ausnahmsweise ein Aufschub nötig war.

Drittens und oberste Priorität: Ich musste den Namen des Pianisten und anschließend via Google alles herausfinden, was es über ihn zu wissen gab, und die Zeit drängte. Was, zum Kuckuck, hat die Menschheit nur ohne Internetsuchmaschinen gemacht?

Ich rief Kornblume an.

»Hallooo?«

»Ja, hallo, Kornblume, ich bin es.«

»Liv-Schatz, wehe, du sagst mir für Freitag ab! Unmöglich! Ich habe al-les organisiert. Wenn du nicht kommst, wen soll ich denn dann neben Brie48 setzen? Du magst doch Käse und Männer über vierzig.«

Ich seufzte gottergeben.

Bei Kornblumes Literaturzirkeln wurden alle mit ihren Nicknamen angesprochen, was bisweilen kurios klang. Da schlürfte dann Wildkatze1 friedlich ihren Tee neben Motormaus1965, während Moonflowerprincess verträumt vor sich hinsummte.

»Nein, ich komme. Nur eine Sache, ist mir furchtbar peinlich, aber ich habe den Namen deines Pianisten vergessen, und es wäre mir unangenehm, wenn …«

»Schatz, da fragst du die Falsche, als ob ich mir ganze Namen merken könnte. Ich bin froh, dass mir Nicks halb-wegs im Gedächtnis bleiben …«

Ich schüttelte innerlich den Kopf.

»Aber du hast doch Unterlagen, er hat doch wohl wo unterschrieben, du wirst doch …«

»Warte einen Moment, da kommt Jana!«

»Neiiiiiin!«

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Jana, die Kellnerin, würde über mein mangelndes Feingefühl Bescheid wissen, was meine Stimmung nicht gerade verbesserte, denn Jana, die Kellnerin, war das Feingefühl in Person: immer freundlich, immer höflich, immer möglichst leise, der Inbegriff netter, aufmerksamer Weiblichkeit. Eine Elfe ohne Spitzohren sozusagen.

»Janakind, wie heißt noch mal unser Klaviervirtuose, ich habe hier eine Anfrage von …«

Ich gab dem Telefon in Gedanken eine Ohrfeige.

»Ja, aha, aha, aha«, bellte sie in den Hintergrund. »Was? Aha, ist gut, danke. Komischer Name, kann man sich ja nicht merken.«

Sie nannte ihn mir, ich schrieb ihn groß auf einen Zettel und beendete das Gespräch, ehe ich in weitere Tischordnungsüberlegungen verstrickt wurde. Brie48, ich ahnte Schlimmes!

Nachdem ich aufgelegt hatte, las ich mir den Namen mehrmals laut vor, um ihn dann sofort bei Google einzugeben. Nachdem ich als zusätzliches Kriterium »Pianist« eingetippt hatte, bekam ich eine ganze Liste von Ergebnissen aus den verschiedensten Ländern und sogar eine kurze Biografie auf Französisch, die ich dank verstaubter Schulkenntnisse auch mühsam entziffern konnte. Als ich alles gelesen hatte, war ich relativ verblüfft. Er hatte Preise bekommen, war in großen Konzertsälen aufgetreten, hatte an tollen Opernhäusern gearbeitet. Was also hatte er, um Himmels willen, im Café Poesie verloren, diesem Allerwertesten der Musikwelt?

Nun, ich würde es herausfinden.

Seine Herkunft war interessant, er war in Russland geboren, in der Nähe von Moskau, hatte aber die meiste Zeit seines Lebens in Paris verbracht, da sein Vater die Kinder in einem westlichen Land aufwachsen sehen wollte. Deshalb war die Großfamilie bald nach Frankreich ausgewandert. Er hatte, als eine Art Wunderkind, schon sehr früh begonnen, Klavier zu spielen und zu komponieren.

Ein echter Künst-ler