Hier bin ich, mein Vater - Friedrich Torberg - E-Book

Hier bin ich, mein Vater E-Book

Friedrich Torberg

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Beschreibung

Der „Held" dieses Romans, Otto Maier gerät in die Fänge der Gestapo. Der zuständige Gestapobeamte Franz Macholdt, ein ehemaliger Schulkamerad von Otto, versucht ihn zu Spitzeldiensten zu erpressen, indem er ihm für den Fall seiner Mitarbeit die Freilassung seines Vaters aus dem KZ verspricht. 1939, kurz vor Ausbruch des Krieges, schreibt Otto Maier in einer Pariser Gefängniszelle seine Geschichte nieder, beginnend mit seiner Kindheit. Ottos Verhältnis zum Vater pendelt zwischen Liebe, Verehrung und Sich-unverstanden-Fühlen hin und her, der vernunftorientierte Vater und sein künstlerisch-kreativer Sohn geraten oft aneinander. Otto will Pianist werden, der Vater ist einverstanden, trotzdem hat Otto ein schlechtes Gewissen. Als der Vater von der Gestapo abgeholt wird, fühlt Otto sich verantwortlich und lässt sich - unter Zugzwang - auf den Spitzeldienst ein. Der Roman endet mit einem Gespräch Ottos mit seinem Religionslehrer, in dem es um alles geht: den Versuch, Rechenschaft abzulegen über den Verrat an seinen Freunden - und sein Scheitern; und den Versuch, sich Klarheit zu verschaffen über den verzweifelten Irrweg, den Otto in einer aus den Fugen geratenen Zeit gegangen ist. Der Roman entstand in Torbergs amerikanischer Exilzeit und erschien erstmals 1948. 1970 wurde er von Ludwig Cremer verfilmt, in den Hauptrollen: Peter Vogel, Erika Pluhar, Helmut Lohner.

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Seitenzahl: 474

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Revisited Band 16

FRIEDRICH TORBERG

geboren am 16. September 1908 in Wien als Friedrich Ephraim Kantor-Berg, gestorben am 10. November 1979 ebenda; Erzähler, Essayist, Kritiker und Übersetzer; bis 1938 als Publizist und Theaterkritiker in Prag und Wien tätig; flüchtete über die Schweiz nach Frankreich und 1940 in die USA, wo er als Drehbuchautor in Hollywood und New York lebte. 1951 Rückkehr nach Wien; 1954 Mitbegründer und bis 1965 Herausgeber der Monatsschrift Forum, Herausgeber der Werke von Fritz von Herzmanovsky-Orlando.

Torbergs Bekanntheit gründet sich vor allem auf den Roman Der Schüler Gerber hat absolviert und die beiden Erzählbände um die Tante Jolesch. Torberg erhielt 1976 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 1979 den Großen Österreichischen Staatspreis. Im Alter von 71 Jahren starb Friedrich Torberg in Wien. Er liegt in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof neben Arthur Schnitzler begraben.

FRIEDRICH TORBERG

1908–1979

DEM ANDENKEN ZWEIER MÄNNER:

MEINES VATERS ALFRED KANTOR

MEINES GROSSVATERS SIMON BERG

Und Isaak sprach zu seinem Vater Abraham:

Mein Vater!

Und Abraham antwortete:

Hier bin ich, mein Sohn.

Und Isaak sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz;

wo aber ist das Schaf zum Brandopfer?

Und Abraham antwortete:

Mein Sohn, Gott wird sich ersehen

ein Schaf zum Brandopfer.

Und gingen sie beide miteinander.

GENESIS XXII, 7-8

Inhalt

Typisch Torberg Von David Axmann

Weitere Werke aus der Reihe Revisited

IM Sommer des Jahres 1946, ungefähr sechs Jahre, nachdem die Flucht aus einem zusammengebrochenen Frankreich mir geglückt war, kam ich wieder nach Paris. Einer meiner ersten Wege war ein Spaziergang die Champs Elysées hinunter, ein langsamer und genießerischer Spaziergang, ich wollte mich vergewissern, daß die Champs Elysées noch immer die zwei schönsten Straßen der Welt waren – zwei, denn sie sind zwischen Etoile und Rond Point etwas ganz andres als zwischen Rond Point und Concorde. Und da, schon im letzten Drittel der linken Seite, auf einer vom Strauchwerk halb verborgenen Bank, saß mein alter Freund Monsieur Bourguignac.

Er erkannte mich zuerst und winkte mir mehrmals mit der erhobenen Rechten – ein Gruß von nahezu eruptiver Herzlichkeit für seine zurückhaltende, immer ein wenig zögernde und in sich selbst verschlossene Wesensart. Hocherfreut, ihn in so offenkundig guter Verfassung wiederzufinden, setzte ich mich neben ihn. M. Bourguignac war einer der wenigen Franzosen, die ich während meiner Emigration näher kennengelernt hatte, und war mir in besonders freundlicher Erinnerung geblieben. Unsre Bekanntschaft stammte aus dem Frühjahr 1939. Damals, im Zusammenhang mit einer der vergeblichen Aktionen, zu denen verschiedene Gruppen exilierter mitteleuropäischer Intellektueller sich organisieren wollten, um den Widerstand ihrer Gastländer gegen Adolf Hitler zu stützen, war ich zwecks Einholung bestimmter formaljuristischer Richtlinien an ein Departement des Innenministeriums verwiesen worden, wo M. Bourguignac amtierte. Zu meiner großen und freudigen Überraschung hatte ich in ihm das ziemlich genaue Gegenteil eines Formaljuristen kennengelernt, nämlich einen warmherzigen, milden und weisen Menschen, der vom Ablauf der Weltereignisse aufs tiefste bedrückt war und sich nur noch den Ausweg in eine wehmütig distanzierte Zuversicht offenließ. Unsre sozusagen amtliche Verbindung kam allerdings bald zu Ende, da M. Bourguignac – er sprach übrigens ausgezeichnet deutsch – mit andern Funktionen betraut wurde. Aber wir hatten einander noch häufig privat getroffen, das letztemal wenige Tage nach Ausbruch des Kriegs.

An diese letzte Begegnung knüpfte ich nach einigem Hin und Her auch jetzt wieder an, da ich mit M. Bourguignac auf den Champs Elysées saß, und sie waren noch immer die zwei schönsten Straßen der Welt.

»Erinnern Sie sich, was Sie mir damals zum Abschied gesagt haben?«

Er sah mich verwundert an. Vielleicht galt seine Verwunderung der Tatsache, daß ich mich seiner Abschiedsworte entsann, vielleicht der Zumutung, daß er sich ihrer entsinnen sollte. »Nun?« machte er und lächelte.

»Sie sagten: keine Angst, wir werden den Krieg gewinnen.«

»Nun?« wiederholte er, immer noch lächelnd.

»Ich wollte es damals nicht glauben, und schon gar nicht Ihnen, der Sie doch immer so pessimistisch waren. Aber Sie haben recht behalten.«

»Habe ich das?« Er lächelte nicht mehr.

»Alle Evidenz spricht dafür.« sagte ich; gerade so viel ließ sich mit gutem Gewissen auch noch sagen.

»Die Evidenz.« Er nickte langsam und verloren vor sich hin, wie damals immer, wenn wir über die drohende Zukunft gesprochen hatten. »Die Evidenz. Seien Sie vorsichtig mit der Evidenz. Besonders wenn Sie zu einem Untersuchungsrichter sprechen.«

Nicht daß ich ihn ablenken wollte – es überraschte mich nur, daß er sich diese Bezeichnung gab:

»Sie sind jetzt Untersuchungsrichter?«

»Ich war es auch damals, dann und wann. Und ich bin es jetzt wieder. – Während der Okkupation war ich es nicht«, setzte er mit andrer Stimme und andrem Lächeln hinzu. »Da war ich, im Gegenteil, eingesperrt.«

Ich war ihm dankbar für diese unerbetene Mitteilung und dankbar dafür, daß er jetzt schwieg.

»Mißverstehen Sie mich nicht«, sagte er nach einer Weile. »Wenn ich nicht genau weiß, ob wir diesen Krieg wirklich gewonnen haben, so rührt das hauptsächlich daher, daß ich nicht genau weiß, um was es in diesem Krieg wirklich gegangen ist. Wissen Sie es vielleicht? Aber erzählen Sie mir jetzt hitte nichts von Demokratie und Freiheit. Damit würden Sie mich sehr enttäuschen.«

»Und wenn ich Ihnen zugebe, daß auch ich es nicht weiß, das wäre keine Enttäuschung für Sie?«

»Keine so große. Dann haben Sie nämlich noch die Chance, dahinterzukommen.« Abermals nickte er vor sich hin. »Unsicherheit kann etwas sehr Fruchtbares sein, wissen Sie. Und die ihre Unsicherheit zugeben, sind nicht die Schlimmsten. Schlimm sind nur die, die immer so entsetzlich sicher sind, um was es geht. Die immer alles so entsetzlich genau wissen. Für die immer alles ganz einfach ist. – Eigentlich sonderbar, daß man einen Tat-bestand auch dadurch vernebeln kann, daß man ihn vereinfacht, wie?«

Er hatte das direkt und beinahe heiter gefragt, und ich bejahte bereitwillig. Weiter sagte ich nichts. Ich wartete. Mir schien, als wollte M. Bourguignac erst jetzt mit dem Eigentlichen herausrücken.

Indessen verloren seine Gedanken sich aufs neue in ein mehrfaches, langsames Nicken. Und was er dann sagte, kam noch ganz aus diesen Gedanken hervor:

»Auch er wußte es nicht. Obwohl er so gründlich nachgedacht hat, als einer nur kann.«

»Wer?« fragte ich endlich, da nichts nachkam.

»Ach so.« M. Bourguignac wandte mir ein schuldbewußtes Gesicht zu. »Verzeihen Sie. Ich denke an einen Häftling, den wir in der Santé hatten. Übrigens ein Landsmann von Ihnen. Und beinahe ein Kollege. Schon seit einer ganzen Weile denke ich an ihn – seit wir darauf zu sprechen kamen, um was es denn eigentlich geht. Und ich überlege mir eben, ob ich Ihnen die Aufzeichnungen zugänglich machen soll, die er während seiner Haft niedergelegt hat. – Nein, nicht so.« Lächelnd beschwichtigte M. Bourguignac die offenbar sehr unverhohlene Kundgebung meines Interesses. »Sie sollen sich da keinen falschen Erwartungen hingeben. Das war 1939, noch vor dem Krieg. Es hat nichts mit dem Krieg zu tun – mit dem Krieg, den wir gewonnen haben, nicht wahr – und es ist gar nicht aktuell. Oder vielleicht doch. Nun, das werden Sie ja sehen. Kommen Sie.«

Wenig später saß ich über drei großformatigen, dicken Heften, deren Seiten eng und bis an den Rand beschrieben waren, mit einer in Abschnitten wechselnden und dennoch immer wieder gleichen Schrift – der Zwang, den sie sich streckenweise antat, mochte von einem Bewußtsein räumlicher Beschränkung herrühren, ich verstehe nichts von Graphologie, und ich gebe einen durchaus laienhaften Eindruck wieder, wenn ich sage, daß es eine unter äußerster Anstrengung um Sammlung bemühte Schrift war.

SEIT zehn Tagen bitte ich um Papier und Schreibzeug. Heute hat man es mir endlich bewilligt.

»Du papier, et quelque chose pour écrire« – zehn Tage lang habe ich es dem Aufseher vorgesagt, dreimal täglich, immer wenn er zwischen den Zellen einhergeschlurft kam mit seiner mechanischen Frage, ob irgendetwas los wäre. Daß er auf diese Frage von den Häftlingen keine Antwort erwartet, ist mir nicht lange verborgen geblieben. Nur ganz am Beginn, als ich noch nicht so recht wußte, was es mit meiner Haft auf sich hatte, pflegte ich ein klares, höfliches »Non« zu äußern, gelegentlich setzte ich sogar »Monsieur« hinzu: »Non, Monsieur«, sagte ich, oder ich sagte: »Merci, rien«. Später begnügte ich mich mit einem Kopfschütteln, und nach einiger Zeit hatte ich mir selbst das abgewöhnt. Ich bemerkte sein Kommen gar nicht mehr. Ich hing meinen Gedanken nach. Sie nahmen mich voll in Anspruch.

Vor zehn Tagen war es so weit. Als er am Morgen wieder mit seinem »– quelquechose?« daherkam, sagte ich – ebenso klar und höflich, wie ich am Anfang »Non, Monsieur« gesagt hatte –: »Oui, Monsieur.«

Er blieb nicht einmal richtig stehen und sah mich nicht einmal an. Er zog bloß das rechte Bein etwas langsamer nach und schob den Kopf halb nach hinten, als suchte er etwas auf seiner eigenen Schulter: »Qu’est-ce qu’il-y-a?«

Ich hatte den Eindruck, daß er auch damit nur eine mechanische Prozedur abwickelte und daß er jetzt in jedem Fall weiterschlurfen würde, gleichgültig ob ich ihm eine Antwort gäbe, und welche.

»Eh bien? Qu’est-ce que tu veux?«

»Du papier, s’il vous plaît. Et quelque chose pour écrire.«

In sichtlicher Enttäuschung schob er seinen Kopf wieder zurecht und leierte eine Vorschrift herunter, derzufolge Briefe nur mit besonderer Erlaubnis der Gefängnisleitung geschrieben werden durften.

»Ce n’est pas pour une lettre!«

Das hatte ich so laut und hastig gesagt, daß er sich erstaunt zu mir umdrehte: »Eh –?«

»C’est pour moi-même.«

»Eh? Pour toi-même?« Und dann erhob er seine Stimme zu unvermittelt breitem Hohn: »Voyons, ce type là! Il veut écrire une lettre à soimême!!«

Aus einer Zelle, die ich nicht sehen konnte, klang derbes Gelächter auf. Auch der Aufseher lachte, nahe vor meinem Gesicht. Ich spürte, wie mir das Blut zu Kopf stieg, und hätte mir wohl im nächsten Augenblick mit ein paar Schimpfworten Luft gemacht – wenn mir nicht plötzlich etwas sehr Sonderbares eingefallen wäre. Mir fiel ein, daß es ja beinahe der Wahrheit entsprach, was diese beiden blökenden Idioten für einen Witz hielten; daß es ja wirklich eine Art »Brief an mich selbst« war, wofür ich Papier und Schreibzeug brauchte.

»Je vous prie, Monsieur, de me donner du papier, de l’encre, et une plume«, sagte ich ruhig und mit übertriebener Deutlichkeit, es klang wie eine Konversationsübung aus einem altmodischen Lehrbuch, und korrekterweise hätte der Aufseher jetzt sagen müssen: »Toute de suite, Monsieur, et veuillez bien accepter le papier buvard de mon oncle.«

Er sagte natürlich nichts dergleichen, sondern er spuckte aus und schlurfte weiter. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt.

Für mich war sie es nicht. Als er zu Mittag wieder an meiner Zelle vorbeikam und wieder sein »– quelquechose?« vor sich hinbrummte, ganz so, als hätte er nicht erst wenige Stunden zuvor eine Antwort bekommen – da sagte ich, ganz so wie wenige Stunden zuvor: »Oui, Monsieur. Donnez-moi du papier et quelque chose pour écrire, s’il vous plaît.«

Er setzte seinen Weg fort, ohne sich überhaupt umzudrehen.

Am Abend sparte ich mir die Anrede.

»Donnez-moi du papier et quelque chose pour écrire, s’il vous plaît«, sagte ich.

»Fiche-moi la paix«, sagte er, und das war alles.

Am folgenden Tag ließ ich auch die restlichen Floskeln wegfallen; ich sagte nur noch: »Du papier et quelque chose pour écrire.«

Am Morgen sagte er nichts, am Mittag »Merde«, am Abend nichts. Dabei ist es dann geblieben. Ich sagte dreimal am Tag: »Du papier et quelque chose pour écrire«, er gab mir dreimal am Tag keine Antwort, und dreimal am nächsten Tag sagte ich es wieder. Ich dachte mir kaum noch etwas dabei.

Aber ich dachte sehr viel an das, was ich schreiben wollte.

Es soll nicht etwa meine komplette Lebensgeschichte werden. Ich will nur den Weg nachzeichnen, der mich hierher geführt hat. Ich will berichten, wie es gekommen ist, daß ich heute, im August 1939, in dieser Pariser Gefängniszelle sitze. Ich habe meinen Bericht auch schon zu ordnen versucht, nach zeitlichen Gesichtspunkten wie nach sachlichen. Wenn ich jetzt mit der Niederschrift beginne, so folge ich bereits einem bestimmten Plan. Und zu diesem Plan gehört es auch, daß ich auf seine Entstehung – und auf den Sinn, den das alles für mich haben soll – erst im zeitgerechten Zusammenhang zu sprechen komme.

UNTER den Menschen, die mich auf meinem Weg entscheidend beeinflußt haben, steht mein Vater weit obenan. Ich könnte sogar sagen: mein Vater ist schuld daran, daß ich hier sitze. Aber dann muß ich sofort hinzufügen, daß seine Schuld eine vollkommen unbeabsichtigte und unbewußte war. Mein Vater – das ist mir heute klarer als je zuvor – hat immer nur das Beste für mich gewollt. Ihm zuzutrauen, daß er seinem einzigen Sohn planvoll etwas Böses zugefügt hätte, wäre einfach grotesk. Er hat ja überhaupt niemals und gegen niemanden Böses geplant. Hingegen hat er sehr viel Gutes geplant und sehr viel Gutes getan. Denn mein Vater war ein guter Mensch – ich kann es nicht anders ausdrücken, wie farblos und nichtssagend es auch klingen mag. Mein Vater war gut, wie andre Menschen blond sind oder Frühaufsteher oder Bulgaren. Es war ihm ganz selbstverständlich, gut zu sein, und er sah es ungern, wenn man daraus ein Wesens machte, ja wenn man es nur bemerkte. Geschah das dennoch, so wurde er auf eine rührende Weise verlegen und nahezu verstört – vollends vor den direkten Lobpreisungen und Dankesbezeugungen, denen er in seinem Beruf als Arzt immer wieder ausgesetzt war und die immer zu gleichen Teilen dem guten Menschen wie dem guten Arzt galten. Vielleicht hat mein Vater allen Ernstes der alten Spruchweisheit nachgelebt, daß nur ein guter Mensch auch ein guter Arzt sein kann.

Die einzige Erinnerung, die ich in diesem Zusammenhang besitze, stammt aus meinem sechsten Lebensjahr. Im Winter 1915, dem zweiten Kriegswinter, verließ mein Vater das Wiener Militärspital, wo er bis dahin Dienst gemacht hatte, und ging an die Front. Man gab ihm eine Abschiedsfeier, und unter den Geschenken, die ich dann auf dem runden, stämmigen Tisch im Erker unsres Salons liegen sah, erweckte ein zusammengerolltes, wie eine Urkunde verschnürtes Papier meine besondere Neugier. Aber erst am Abend, beim Kofferpacken, rollte mein Vater es auf, um es meiner Mutter zu zeigen. Rasch schlich ich mich hinzu. Es war wirklich eine Art Urkunde, offenbar in Gedichtform, und in großen, kunstvoll verschnörkelten Lettern geschrieben. Die Unterschrift lautete: »Herrn Oberstabsarzt Dr. Joseph Maier – die Verwundeten von Zimmer VIII.« Das Gedicht selbst – vielleicht ein Zitat, vielleicht eigens zu diesem Anlaß verfaßt – ist mir nicht mehr erinnerlich, bis auf die eine Zeile: »Denn ein guter Mensch verläßt uns heute«. Auf diese Zeile deutete mein Vater und sagte, halb zu meiner Mutter gewendet, mit beengter Stimme: »Ein guter Mensch. Das möchte ich gerne sein.«

Ob mein Vater freiwillig ins Feld gegangen ist oder ob er bloß gegen seine Abberufung nichts unternommen hat, weiß ich nicht genau und habe es nie erfahren, weil er nie die Rede darauf brachte. Nur an jenem Abend kam es noch zu einem Gespräch zwischen ihm und einem Bruder meiner Mutter, auch er in Uniform und kurz vor seinem Abgang an die Front. Das Gespräch, in dessen ganzem Verlauf meine Mutter stumm vor sich hinblickte, drehte sich darum, ob es richtig und notwendig wäre, daß mein Vater ins Feld ginge. Es war ein sehr pausenreiches Gespräch, von dem ich wenig begriff. Und nach einer besonders langen Pause sagte mein Onkel: »Ich versteh dich nicht, Pepi. muß. Aber ? Bei deiner Stellung? Bei deiner Beliebtheit? Du kannst dir doch helfen!« Mein Vater sah ihn an, mit dem gleichen Lächeln und Kopfschütteln, das er sonst für meine Kinderstreiche hatte, und auch in seiner Stimme lag die gleiche, sanfte Zurechtweisung: »Aber man wird doch Arzt, um den zu helfen – nicht sich?«

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