Hier stehe ich, ich kann nicht anders – 25 Menschen, die die Welt verändern - Vogt Fabian - E-Book

Hier stehe ich, ich kann nicht anders – 25 Menschen, die die Welt verändern E-Book

Vogt Fabian

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Beschreibung

Fabian Vogt stellt in 25 Kurzporträts beeindruckende Persönlichkeiten der Weltgeschichte vor, die Haltung gezeigt haben. Darunter sind historische Persönlichkeiten wie Martin Luther, Mahatma Gandhi und Franz von Assisi, aber auch besondere Menschen der Gegenwart wie Greta Thunberg und Edward Snowden. »Hier stehe ich, ich kann nicht anders!« Mit diesen Worten antwortete Martin Luther auf dem Wormser Reichstag dem Kaiser auf die Frage, ob er widerrufen wolle, was er in seinen Schriften behauptet hatte. Für Martin Luther, der bereits als Häretiker verurteilt war, stand alles auf dem Spiel. Wenn er nicht widerruft, wird der Kaiser die Reichsacht über ihn verhängen – Luther ist vogelfrei und kann von jedermann straffrei getötet werden. Und doch steht der junge Mönch zu seinen Überzeugungen, die er in schweren Gewissenskämpfen gewonnen hat. Und die in den folgenden Jahren die Kirche auf den Kopf stellen werden … Am 18. April 2021 jährt sich der Wormser Reichstag zum 500. Mal. Dies hat Autor und Pfarrer Fabian Vogt zum Anlass genommen, in seinem Buch 25 besondere Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart vorzustellen, die wie der bekannte Reformator Luther Haltung gezeigt und durch ihren Mut – damals, wie heute – die Welt verändert haben: Dietrich Bonhoeffer, Franz von Assisi, Nelson Mandela, Mahatma Gandhi, Edward Snowden, Greta Thunberg, Aung San Suu Kyu, Clara Zetkin, Jesus Christus u. v. m.

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Fabian Vogt

Hier stehe ich, ich kann nicht anders – 25 Menschen, die die Welt verändern

Knaur e-books

Über dieses Buch

Fabian Vogt stellt in 25 Kurzporträts beeindruckende Persönlichkeiten der Weltgeschichte vor, die Haltung gezeigt haben. Darunter sind historische Persönlichkeiten wie Martin Luther, Mahatma Gandhi und Franz von Assisi, aber auch besondere Menschen der Gegenwart wie Greta Thunberg und Edward Snowden.

»Hier stehe ich, ich kann nicht anders!« Mit diesen Worten antwortete Martin Luther auf dem Wormser Reichstag dem Kaiser auf die Frage, ob er widerrufen wolle, was er in seinen Schriften behauptet hatte. Für Martin Luther, der bereits als Häretiker verurteilt war, stand alles auf dem Spiel. Wenn er nicht widerruft, wird der Kaiser die Reichsacht über ihn verhängen – Luther ist vogelfrei und kann von jedermann straffrei getötet werden. Und doch steht der junge Mönch zu seinen Überzeugungen, die er in schweren Gewissenskämpfen gewonnen hat. Und die in den folgenden Jahren die Kirche auf den Kopf stellen werden …

Am 18. April 2021 jährt sich der Wormser Reichstag zum 500. Mal. Dies hat Autor und Pfarrer Fabian Vogt zum Anlass genommen, in seinem Buch 25 besondere Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart vorzustellen, die wie der bekannte Reformator Luther Haltung gezeigt und durch ihren Mut – damals, wie heute – die Welt verändert haben: Dietrich Bonhoeffer, Franz von Assisi, Nelson Mandela, Mahatma Gandhi, Edward Snowden, Greta Thunberg, Aung San Suu Kyu, Clara Zetkin, Jesus Christus u. v. m.

Inhaltsübersicht

WidmungVorwortHIER STEHE ICH … für GlaubensfreiheitMartin LutherTeresa von ÁvilaStephanusHIER STEHE ICH … für BürgerrechteWilliam WilberforceMartin Luther KingNelson MandelaHIER STEHE ICH … für Widerstand gegen den FaschismusDietrich BonhoefferOskar SchindlerSophie SchollHIER STEHE ICH … für SelbstbestimmungChristian FührerMahatma GandhiDalai-LamaHIER STEHE ICH … für GleichberechtigungMalala YousafzaiFlorence NightingaleRigoberta MenchúHIER STEHE ICH… für soziale GerechtigkeitElisabeth von ThüringenAngela MerkelMutter TeresaHIER STEHE ICH… für die WahrheitJesus ChristusFranz von AssisiEdward SnowdenHIER STEHE ICH … für die ZukunftNadia MuradGreta ThunbergAung San Suu KyiClara ZetkinDie Welt verändern
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»Es könnte sehr wohl sein,

dass die Rettung unserer Welt

in den Händen der Nicht-Angepassten liegt.«[1]

Martin Luther King

 

 

 

Für alle, die im entscheidenden Moment sagen:

»Hier stehe ich! Ich kann nicht anders.«

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Vorwort

Es gibt Menschen, die verändern die Welt. Wie der Augustinermönch Martin Luther, der vor 500 Jahren beim Reichstag in Worms seine kirchenkritischen Thesen widerrufen soll – und einfach »Nein« sagt. Obwohl er weiß, dass er damit sein Leben aufs Spiel setzt. Sinngemäß klang das so: »Nein! Mein Gewissen, mein Verstand und mein Verständnis der Heiligen Schrift verbieten es mir, etwas zu tun, das ich für grundfalsch halte.« Oder um es mit seinen (vermutlich) eigenen, berühmt gewordenen Worten auszudrücken: »Hier stehe ich! Ich kann nicht anders.« Manchmal braucht es nicht mehr als ein überzeugtes »Nein«, um die Welt, wie wir sie kennen, aus den Angeln zu heben.

Luthers standhafter Moment der Zivilcourage entpuppt sich nämlich schon bald als »Sternstunde der Menschheit«. Warum? Weil der aufmüpfige Reformator mit seiner Widerrufsverweigerung Ideen hoffähig macht, die viele Historiker für wesentliche Auslöser der Neuzeit halten: Jede und jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, Argumente sind wichtiger als Machtstrukturen, und die Institution Kirche besitzt kein Wahrheitsmonopol – lauter revolutionäre Vorstellungen, die wichtige Bestandteile des Fundaments sind, auf dem unsere moderne, demokratische Gesellschaft steht. Das unerschrockene Handeln eines Einzelnen, der nicht mehr bereit ist, bestimmte zerstörerische Strukturen auszuhalten oder schweigend zu akzeptieren, wird zum Auslöser einer Entwicklung, die die Lebensbedingungen vieler nachhaltig verbessert: Das ist und bleibt eindrucksvoll!

»Hier stehe ich! Ich kann nicht anders.« Dieser Leitsatz Luthers gilt vermutlich für alle, die sich irgendwann gegen Ungerechtigkeit und menschenverachtendes Verhalten wenden – und die ihren Traum von einer heileren Welt dagegensetzen. Zum Glück sind in der Geschichte immer wieder Frauen und Männer zur rechten Zeit am rechten Ort aufgestanden, um der Öffentlichkeit deutlich zu machen: »Achtung! So geht es nicht weiter. Irgendetwas läuft hier fundamental schief. Lasst uns gemeinsam neue Wege suchen.«

 

Dieses Buch macht sich auf eine unterhaltsame Spurensuche: Weltveränderer – was sind das eigentlich für Menschen? Was treibt sie an? Woran glauben sie? Woher nehmen sie ihre Energie? Und wie geraten sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit? Vor allem aber: Können wir uns von ihren Idealen und Taten für unser eigenes Handeln inspirieren lassen? Schließlich braucht es auch heute Persönlichkeiten, die den Mut aufbringen, »dem Rad in die Speichen zu greifen«, wie der Theologe Dietrich Bonhoeffer bildhaft formuliert hat. Also Menschen, die nicht bereit sind, den Lauf der Welt einfach hinzunehmen, sondern Hass und strukturelle Gewalt, die in jedem System entstehen können, offen benennen und überwinden wollen.

Dabei sollten wir realistisch eingestehen, dass solche Träumer und Visionäre für die Gesellschaft zu allen Zeiten eine massive Anfechtung waren. Natürlich! Weil sie lieb gewordene Gewohnheiten hinterfragen, fest verankerte Traditionen und Werte überwinden möchten – und weil sie Finger in Wunden legen, die viele einfach nicht wahrhaben wollen. Deshalb werden Weltveränderer gerne als Spinnerinnen und Spinner betrachtet, als Störenfriede, die am Rand der Konventionen agieren, als unangepasste Sonderlinge und Abweichler, die den bisherigen Status quo unverschämt infrage stellen – und dadurch etwas Umstürzlerisches mit sich bringen.

Die in diesem Buch vorgestellten Personen waren und sind alle hochumstritten – oftmals sogar verhasst. Zumindest bei den Machthabern. Sie alle wurden beschimpft, verleumdet, angegriffen, diskreditiert und meist auch physisch bedroht. Sie mussten hart für ihre Ideale kämpfen und erlebten die »Shitstorms« ihrer jeweiligen Epochen hautnah.

Insofern kann man schon vorab festhalten: Die Verbesserung der Gesellschaft ist kein Zuckerschlecken! Und wenn wir einander im 21. Jahrhundert die vermeintlichen Heldengeschichten solcher Weltveränderer erzählen, dann gehört dazu die zeitlose Erkenntnis: Fast alle haben für ihren Einsatz einen hohen Preis bezahlt.

Das Erstaunliche ist, dass sie trotzdem weitergemacht haben. Dass sie trotzdem weitermachen. Unbeirrt. Und unermüdlich. Vermutlich, weil sie spüren: »Die Ziele, für die ich stehe, sind es wert.« Vielleicht könnte man es auch so formulieren: Weil ihr Traum größer ist als ihre Angst, ihre Hoffnung kraftvoller als die Sorge um das eigene Wohlergehen und ihre Sehnsucht treibender als jede Bequemlichkeit, lassen sich Weltveränderer vom Gegenwind nicht so leicht aus der Bahn werfen. Das könnte damit zu tun haben, dass ein Mensch die Gesellschaft ohnehin nur verändern kann, wenn er an etwas glaubt, das größer ist als die eigene Person.

Dazu passt auch: Die meisten der hier vorgestellten Menschen waren weder Politiker noch Vertreter großer Institutionen. Jedenfalls nicht zu Beginn ihres Einsatzes für eine bessere Welt. In den meisten Fällen geraten Leute wie Sie und ich in eine Situation, in einen »Luther-Moment«, in dem sie erkennen: »Jetzt muss ich Stellung beziehen.« Und weil sie das auf markante und anschauliche Weise machen, werden ihre Zeitgenossen auf ihre Bestrebungen aufmerksam. So entstehen aus Einzeltaten Bewegungen, und die wiederum entwickeln das Potenzial, bestehende Verhältnisse umzukrempeln.

Die Tatsache, dass es oftmals normale Individuen waren (und sind), die ihrem Unbehagen Ausdruck verleihen, erklärt auch, warum sich diese im weiteren Verlauf ihres Lebens vielfach weder als Superheldinnen noch in sonstiger Weise als perfekt erwiesen. Im Gegenteil. Die hier präsentierten »Aufrührerinnen und Aufrührer« hatten alle ihre Schwachstellen: Martin Luther (Seite 18) veröffentlicht im Alter Schriften, die aus heutiger Sicht eindeutig antisemitische Züge tragen, Martin Luther King (Seite 50) nimmt es mit der ehelichen Treue nicht so genau, und Mutter Teresa (Seite 152) erweist sich nach ihrem Tod als große Glaubenszweiflerin. Kurz: Es menschelt überall.

Na und? Persönliche Charakterschwächen mindern die Leistung der Idealisten doch nicht. In keinster Weise. Derartige Ecken und Kanten stören höchstens unser Verlangen nach makellosen Vorbildern – aber ein Vorbild wollten diese Frauen und Männer ursprünglich ja gar nicht sein. Es ging ihnen nicht um Reputation. Sie wollten die Welt verändern, nicht als Heilige verehrt werden. Dass sie sich als unvollkommen erweisen, mag uns stören – es könnte aber auch beruhigen. Denn die Feststellung, dass die »Leuchten« der Geschichte wie alle Menschen ihre Schattenseiten haben, untermauert die Vermutung, dass nicht nur Ausnahmepersönlichkeiten das Zeug mitbringen, Großes zu bewegen, sondern dass jede und jeder von uns die Welt verändern kann. Weil es dazu nicht eines perfekten Charakters oder einer vollendeten Ethik, sondern »nur« einer Vision bedarf.

Und wer sich das vor Augen führt, der ahnt auch: Es ist nicht so, dass große Persönlichkeiten große Visionen erschaffen – große Visionen erschaffen große Persönlichkeiten. Wie das funktionieren kann: Dem will dieses Buch nachspüren.

Was Weltveränderer von Populisten unterscheidet

Bevor wir uns die Porträts von 25 »Wandlungsreisenden« anschauen, braucht es noch eine entscheidende Differenzierung: Es ist nämlich nicht so, dass jeder, der sich irgendwo hinstellt und öffentlichkeitswirksam ruft »Ich will die Gesellschaft verbessern« oder »Das wird man doch noch sagen dürfen« oder »Ich allein weiß, wie das Elend überwunden werden kann«, das Herz eines Weltverbesserers in sich trägt. Dies gilt gerade in einer Zeit, in der der Aufruf zum Haltung-Zeigen auch von zahllosen extremistischen Gruppierungen kommt.

Darum ist es wichtig, kurz zu betrachten, wie man echte Zivilcourage von Besserwissertum unterscheiden kann, um eben nicht in die Falle des »Wutbürgertums«, der ewigen Protestierer oder anderer radikaler Richtungen zu geraten, die ja auch alle eine grundlegende Erneuerung der Gesellschaft verkünden. Schauen wir uns das mal an!

1. Idealismus

Echte Weltveränderer träumen Menschheitsträume – und die sind immer inklusiv und niemals exklusiv. Das heißt: Sie gelten für alle Menschen, nicht nur für einzelne Individuen oder Gruppierungen. Natürlich machen sich solche Träume in der Praxis meist an realen Gegebenheiten fest, aber Nelson Mandela (Seite 58) etwa hatte, als er Präsident wurde, nicht das Ziel, dass die schwarze Bevölkerung Südafrikas zukünftig mehr Rechte bekommt als die weiße. Er wollte eine Gesellschaft, in der endlich alle Kulturen die gleichen Rechte haben. Und Greta Thunberg (Seite 190) will die Umwelt nicht nur für eine kleine Gruppe, sondern für alle Menschen vor der Zerstörung bewahren. Idealisten haben ein Ideal vor Augen, das jeder und jedem gleichermaßen zugutekommt. Das ist ein Grundbeleg ihrer Größe. Deshalb können Anhänger von Strömungen, in denen Menschen aufgrund ihrer Rasse, ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts diskriminiert werden, niemals den Anspruch erheben, sie stünden für nachhaltige Weltveränderung.

2. Hingabe

Echte Weltveränderer reden nicht nur, sie handeln auch. Sie versuchen, ihre Ideale in die Tat umzusetzen. Ja, ihre Hingabe an ihre Überzeugungen ist derart intensiv, dass sie gar nicht anders können, als diese auch selbst zu leben – oftmals in exemplarischem Handeln, das für die meisten Augenzeugen wesentlich überzeugender ist als große Worte. Elisabeth von Thüringen (Seite 136) war über die Not der Menschen so empört, dass sie die Schätze ihrer Adelsfamilie verteilte und ein Armenhospital gründete. Und Oskar Schindler (Seite 74) mokierte sich nicht nur im Stillen über die bösartige Gewaltherrschaft der Faschisten, er rettete Hunderten von jüdischen Gefangenen das Leben. Im Unterschied zu vielen sehr klugen, aber tatenlosen Systemkritikern und im Selbstmitleid versinkenden Nörglern können Idealisten nicht anders, als für ihre Ansichten geradezustehen. Sie bringen ihre Werte und ihr Leben in Einklang.

3. Risikobereitschaft

Echte Weltveränderer wissen, dass sie ein Risiko eingehen. Sie verlassen mit ihren Ansichten und ihrem Tun ihre persönliche Komfortzone und betreten bewusst Neuland, weil sie etwas initiieren wollen, das es bislang so nicht gibt. Dazu gehört meist auch eine intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten. Denn natürlich ruft jede Erneuerung nicht nur Widerstände hervor, sie führt auch zu massiven Anfeindungen. Als Malala Yousafzai (Seite 114) sich für das Recht pakistanischer Mädchen auf Bildung engagierte, ahnte sie, dass die Taliban darauf mit Gewalt reagieren würden – was ja dann auch passierte. Und Edward Snowden (Seite 174) war sich von Anfang an bewusst, dass ihm viele amerikanische Nationalisten seine Enthüllungen über die zügellosen Machenschaften der US-Geheimdienste verübeln würden. Aber er war entschlossen, diesen Preis zu bezahlen. In diesem Sinne repräsentieren alle die hier vorgestellten Personen eine Geisteshaltung, die bereit ist, sich für die angestrebten Ziele und Ideale in Gefahr zu begeben.

4. Gewaltfreiheit

Echte Weltveränderer wollen ihre Ziele gewaltfrei erreichen. Weil es ihnen nicht darum geht, Menschen zu bedrohen oder gar zu vernichten, sondern darum, Strukturen zu verändern, die Gewalt in sich tragen. Darum weigern sich solche Menschen auch, ihre Gegner zu hassen. Sie wollen überzeugen statt verdammen und Andersdenkende gewinnen, statt sie zu bekriegen – sei es durch zivilen Ungehorsam oder demonstrative Meinungsäußerungen. Deshalb ließ Christian Führer (Seite 90) bei den Montagsgebeten gegen das DDR-Regime Kerzen anzünden, und Mahatma Gandhi (Seite 98) trat in einen langen Hungerstreik, um die englische Besatzungsmacht in Indien zu besänftigen. All das taten sie in der Erkenntnis, dass Gewalt nur mit Liebe überwunden werden kann – weil jede Form von Gewalt immer nur neue Gewalt hervorruft. Entscheidend dabei ist, dass der Wille zur Gewaltlosigkeit keineswegs »Wehrlosigkeit« bedeutet. Er ist eine Einladung, regelmäßig passende Ausdrucksformen des gewaltfreien Widerstands zu entwickeln.

 

Diese Kriterien sind sicherlich ein Idealbild. Es ist nicht einmal gewiss, ob sich die hier präsentierten Weltveränderer jederzeit daran gehalten haben. Trotzdem zeigen die vier genannten Qualitätsmerkmale einen Wertekanon auf, den wir getrost als Basis jeder großen Erneuerungsbewegung betrachten sollten. Und sie waren auch die Grundlage für die Auswahl der Geschichten in diesem Buch, die versucht, einen repräsentativen Überblick zu geben, und natürlich dennoch zutiefst subjektiv ist.

Mir war es unter anderem wichtig zu zeigen, dass Frauen und Männer gleichermaßen das Potenzial in sich tragen, gesellschaftliche Missstände wahrzunehmen und zu überwinden. Deshalb ist die Auswahl, soweit machbar, nahezu paritätisch. Darüber hinaus spielte für die Zusammenstellung eine Rolle, dass die vorgestellten Persönlichkeiten für eine große Bandbreite an Idealen und Werten stehen: Glaubensfreiheit, Bürgerrechte, Widerstand gegen den Faschismus, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit, Wahrheit und die Zukunft unseres Planeten.

Ob und wie diese streitbaren Vorreiterinnen und Vorreiter dabei Vorbildcharakter haben, dürfen Sie entscheiden. Gewiss ist zumindest, dass sie alle Spuren hinterlassen haben. Spuren großer Visionen, die greifbar zu Veränderungen im Miteinander der Menschen geführt haben und führen. Veränderungen, die oftmals sogar jahrhundertealte Unterdrückungsmechanismen überwinden.

Natürlich brauchte es dazu neben einer Vision immer auch viele kleine praktische Schritte solidarischer Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Zu deren Engagement wäre es aber möglicherweise nicht oder erst viel später gekommen, wenn nicht just diese eine Vorreiterin, dieser eine Vorreiter das Wort ergriffen und andere inspiriert hätte.

Schön wäre es, wenn uns die Auseinandersetzung mit den Geschichten der Weltveränderer zeigen würde, welche Herausforderungen in unserer Zeit angegangen werden müssen, was bei uns gerade den »Nerv der Zeit« trifft – und in welchen »Luther-Momenten« wir den Mut aufbringen sollten, laut zu sagen: »Hier stehe ich! Ich kann nicht anders.«

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HIER STEHE ICH … für Glaubensfreiheit

Martin Luther

 

Am 18. April 1521, einem Donnerstag, tritt der Wittenberger Theologe Martin Luther gegen Abend vor die Versammlung des Reichstags in Worms. In dem großen, mit Fackeln erleuchteten Saal sitzen neben dem erst 21 Jahre alten Kaiser Karl V. und den Reichsfürsten viele hochrangige Vertreter der Kirche. Johann von Eck, der Vorsitzende des Kirchengerichts und Leiter der Verhandlung, macht schnell deutlich, was er von dem Vorgeladenen erwartet: »Deine Bedenkzeit ist zu Ende. Sag uns: Bist du bereit, deine Schriften zu widerrufen?«

Luther weiß, was diese Frage bedeutet. Von der Kirche exkommuniziert wurde er schon. Wenn er jetzt nicht nachgibt, droht ihm auch noch die sogenannte Reichsacht, die einen Menschen für vogelfrei erklärt und jedem erlaubt, ihn ohne Strafe zu töten. Dabei ist der Reformator in der Hoffnung angereist, er könne auf dem Reichstag mit den Anwesenden ernsthaft über seine Kritik an der kirchlichen Praxis diskutieren. Von wegen!

Es ist Luthers zweite Verhandlung bei diesem Reichstag. Und schon bei der Anhörung am Vortag hatte von Eck deutlich gemacht, wie das Verfahren abläuft: »Du darfst hier nicht reden, sondern nur Fragen beantworten.« Dann hatte der Verhandlungsführer harsch auf einen Stapel mit Schriften gedeutet und gefragt: »Bekennst du dich zu diesen Büchern?« Luther hatte zwar auf Anraten seines Anwalts darauf bestanden, dass die Titel der Werke vorgelesen werden, damit er sichergehen kann, dass ihm nicht irgendetwas untergeschoben wird, fühlte sich aber von der ganzen Situation und dem Vorgehen von Ecks trotzdem überfahren und überfordert. Statt einer erhofften inhaltlichen Auseinandersetzung erlebte er die geballte Gewalt mittelalterlicher Machtstrukturen: Widerrufe deine Ansichten – oder stelle dich öffentlich gegen Staat und Kirche. Also bat der Reformator kleinlaut um Bedenkzeit.

 

Nachdem ihm diese vom Kaiser gewährt wurde, steht er jetzt, einen Tag später, erneut vor den Herrschenden, die ihm befohlen haben, er dürfe bei seinem zweiten Auftritt auf keinen Fall eine vorgefertigte Erklärung vorlesen, sondern müsse frei reden. Und das tut Martin Luther. Er hat die Zeit gut genutzt und sich in der Nacht sorgfältig überlegt, was er sagen möchte. Nun, wenn die kirchlichen und weltlichen Fürsten nicht mit mir disputieren wollen, so sein Ansatz, dann muss ich sie eben dazu bringen. Und das macht er auf rhetorisch brillante Weise.

Diesmal ist nämlich er es, der auf den Stapel seiner Schriften deutet und sinngemäß erklärt: »Ja, diese Bücher hier habe ich geschrieben.« Doch statt jetzt einfach die Frage zu beantworten, die von Eck ihm gestellt hat, beginnt er zu differenzieren: »Nun wollt ihr wissen, ob ich sie widerrufe? So einfach ist das leider nicht. Dazu muss ich erst mal sagen: Achtung! Das sind doch ganz unterschiedliche Bücher und Publikationen. Einige davon erklären den Glauben sehr grundsätzlich, und das meist übereinstimmend mit dem, was die Kirche seit Jahrhunderten lehrt – selbst meine Widersacher geben zu, dass darin viel Nützliches steht. Das heißt: Würde ich alle meine Veröffentlichungen pauschal widerrufen, dann würde ich auch die Wahrheit widerrufen.«

Indem Luther auf die Anteile seiner Werke hinweist, die mit der kirchlichen Autorität konform gehen, nimmt er den Anklägern schon mal einigen Wind aus den Segeln. In dieser Weise fährt er fort, wenn er als Nächstes seine Kritik an der Institution des Papstamts verteidigt und auf Tatsachen verweist, die selbst eingefleischte Anhänger Roms nicht übergehen können: »Daneben gibt es Schriften, die gegen das Papsttum gerichtet sind. Und niemand kann leugnen, dass einige der päpstlichen Gesetze die Gläubigen aufs Jämmerlichste gepeinigt haben.« Anschließend äußert er sich zu seinen Schriften gegen kirchliche Vertreter, die die kirchliche Lehre auf beinahe groteske Weise verzerrt haben: »Hier gibt es auch Schriften, die ich gegen bestimmte Gegner geschrieben habe. Und ja … ich gebe zu: Da war ich gelegentlich etwas heftig. Aber wenn solche Menschen nun mal grundfalsche Dinge schreiben, kann ich das doch nicht einfach stehen lassen.«

Und nun kommt der Clou dieser klugen Rede. Luther wendet sich nämlich dem zu, was ihm überhaupt erst diese Verhandlung eingebrockt hat: die Stellen in seinen Büchern, in denen er den kirchlichen Lehren offen widerspricht. Und diesen Widerspruch erkennt er an. Doch anstatt starrköpfig darauf zu beharren, zeigt er sich demütig: »Ich bin bestimmt nicht verstockt: Wenn ihr überzeugende Argumente und Beweise anbringt und mich des Irrtums überführt, dann werde ich der Erste sein, der meine Schriften ins Feuer wirft.«

Das ist großes Kino. Statt sich auf das rigide »Ja oder Nein«-Spiel der Obrigkeiten einzulassen, beharrt Luther auf einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Weil Wahrheit nicht per Befehl verordnet, sondern nur im Dialog und durch Vernunft gefunden werden kann. In Worms beißt er damit allerdings auf Granit. Johann von Eck lässt sich auf solch eine Beweisführung nämlich gar nicht erst ein, sondern beruft sich darauf, dass die Heiligen Konzile schon längst gezeigt hätten, dass sich Luther irrt. Diskussion unerwünscht. Selbstbewusst stellt von Eck dem Aufrührer die Frage, ob er denn die Kompetenz der Konzile anzweifeln wolle?!

Nun ist das Verhör beim Wesentlichen angekommen. Was zählt? Institutionelle Autorität oder die persönliche Überzeugung? Denn natürlich will Luther die Kompetenz der Konzile infrage stellen, weil sie im Widerspruch zu der von ihm erkannten Wahrheit stehen. Darum mündet seine Erklärung in den berühmt gewordenen Worten: »Wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder durch gute Argumente überzeugt werde, dann bleibt mein Gewissen allein an Gottes Wort gebunden. Und darum kann und will ich nicht widerrufen. Hier stehe ich. Gott helfe mir. Amen!«

Für das Verhältnis von Obrigkeit (Staat und Kirche) und Individuum bedeutet dieser Auftritt einen historischen Paradigmenwechsel. Martin Luther lässt sich an diesem Tag vom herrschenden Machtapparat nicht mehr vorschreiben, was er zu tun, zu denken und zu sagen hat, sondern widersetzt sich. Als Einzelner stellt er sich gegen ein System, das sich selbst zur alleinigen Instanz in Sachen »wahr« und »unwahr« erklärt hat.