Highland Passion - Sturm der Sehnsucht: Der Lockhart-Clan Band 2 - Julia London - E-Book
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Highland Passion - Sturm der Sehnsucht: Der Lockhart-Clan Band 2 E-Book

Julia London

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Beschreibung

Im Spiel der Leidenschaft: Der historische Liebesroman »Highland Passion – Sturm der Sehnsucht« von Bestsellerautorin Julia London als eBook bei dotbooks. Er ist düster und unnahbar – doch sie bringt sein Herz zum Glühen … England 1817. Ein stolzer Highlander mitten im Land seiner Feinde: Um ein gestohlenes Familienjuwel aufzuspüren, reist Griffin Lockhart nach London und gibt sich auf den Bällen als Earl der vornehmen Gesellschaft aus. Doch nichts liegt Griffins wildem Highlandherz ferner als aufgesetzte Manieren und Konventionen – und das erkennt auch Lady Anne Addison sofort. Die Schöne verspricht, ihm zu helfen, aber dafür fordert sie einen skandalösen Preis. Schon bald verstricken sich die die beiden in ein gefährliches Spiel der Leidenschaften, das sie alles kosten könnte … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die historische Romanze »Highland Passion – Sturm der Sehnsucht« von New-York-Times-Bestsellerautorin Julia London – Band 2 der »Lockhart Clan«-Trilogie. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 511

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Über dieses Buch:

Er ist düster und unnahbar – doch sie bringt sein Herz zum Glühen … England 1817. Ein stolzer Highlander mitten im Land seiner Feinde: Um ein gestohlenes Familienjuwel aufzuspüren, reist Griffin Lockhart nach London und gibt sich auf den Bällen als Earl der vornehmen Gesellschaft aus. Doch nichts liegt Griffins wildem Highlandherz ferner als aufgesetzte Manieren und Konventionen – und das erkennt auch Lady Anne Addison sofort. Die Schöne verspricht, ihm zu helfen, aber dafür fordert sie einen skandalösen Preis. Schon bald verstricken sich die die beiden in ein gefährliches Spiel der Leidenschaften, das sie alles kosten könnte …

Über die Autorin:

Julia London ist eine »New York Times«- und »USA Today«-Bestsellerautorin, bisher hat sie mehr als 30 Romane veröffentlicht. Aufgewachsen in Texas, hat die passionierte Hundebesitzerin viele Jahre in Washington für die amerikanische Regierung gearbeitet. Als sie ihre Liebe zum Schreiben entdeckte, machte sie diese zum Hauptberuf und schreibt seitdem erfolgreich historische Liebesromane sowie Contemporary Romance. Julia London erhielt bereits den »Romantic Times Book Club Award« für den besten historischen Liebesroman und war sechs Mal unter den Finalisten für den begehrten »RITA Award«. Heute lebt sie wieder in Texas.

Mehr Informationen zu Julia London finden Sie unter julialondon.com.

Julia London veröffentlichte bei dotbooks in der »Lockhart Clan«-Trilogie auch:

»Highland Passion – Fieber der Leidenschaft«

»Highland Passion – Fesseln des Verlangens«

Außerdem erscheint bei dotbooks ihre »Regency Kisses«-Trilogie:

»In den Fesseln des Dukes«

»Gefangen von einem Lord«

»In den Händen des Earls«

***

eBook-Neuausgabe Mai 2020

Dieses Buch erschien erstmals 2005 unter dem Originaltitel »Highlander in Disguise« bei Pocket Books. Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Die Maske des Highlanders« bei Weltbild

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2005 by Dinah Dinwiddie

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt 67, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Period Images © shutterstock / pistikphotography / R_Pilguj / Anastasiia Veretennikova / Nick Fox

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-256-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Highland Passion 2« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

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blog.dotbooks.de/

Julia London

Highland Passion – Sturm der Sehnsucht

Lockhart-Clan - Band 2

Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Hartmann

dotbooks.

Kapitel 1

Talla Dileas am Loch Chon in den Trossachs, mitten im zentralen Hochland von Schottland.

1817

Sie brauchten Geld. Ob Banknoten oder Münzen war egal, solange es viel Geld war. Alle sieben Lockharts waren sich einig, dass sie keine andere Wahl hatten, als nach England zu reisen und zu versuchen, den Familienschatz – die Figur eines kleinen scheußlichen Untiers aus massivem Gold mit Augen aus Rubinen – zurückzuerobern, um dem sicheren Ruin zu entgehen. Sie würden allerdings nicht Liam schicken, um es zu holen.

Das war ihr erster Reinfall gewesen: Liam war mit einer Frau und einem hübschen kleinen Mädchen aus London zurückgekommen. Aber ohne die Figur.

Nein, dieses Mal sollte sich Liams jüngerer Bruder, der dandyhafte Grif, auf den Weg machen.

Doch Aila, die Lady of Lockhart, hatte Vorbehalte gegen einen zweiten Versuch, das goldene Untier zurückzuerlangen. »Das bringt sicher Unglück«, sagte sie, als die Familie am Abendbrottisch ihre jüngsten Pläne besprach. »Wir fordern das Schicksal heraus, denn wir haben nicht die geringste Ahnung, wo das Untier stecken könnte. Wir wissen weiter nichts, als dass Lady Battenkirk das verflixte Ding gekauft hat!«

»Und es Amelia geschenkt hat«, erinnerte Ellie, Liams Braut, die anderen fröhlich.

Alle hielten inne und blickten auf Ellie, die vergnügt ihre Mahlzeit fortsetzte.

Nun war es ausgerechnet Ellie gewesen, die Liam die unbezahlbare Figur unter der Nase weggestohlen und sie für eine läppische Summe an eine Londonerin verkauft hatte, die ihr in einem kleinen Ramschladen in Cambridge begegnet war. Und jetzt war das Einzige, was sie mit Sicherheit wussten, dass der Name der Käuferin Lady Battenkirk lautete und dass Lady Battenkirk beim Kauf des Untiers hatte verlauten lassen, sie wolle die Figur ihrer Freundin Amelia schenken. Das war alles – alles, was sie über den Verbleib der kostbaren Figur wussten. Der Rest war reine Spekulation und Wunschdenken.

Doch Grif vertraute fest auf seine Fähigkeit, das Untier zu finden und heimzuholen, und drückte seiner Mutter liebevoll die Hand. »Liam ist als Soldat ausgezogen, nicht als Gentleman, wie ich. Er ist einfach nicht geeignet, sich in der vornehmen Gesellschaft zu bewegen, ich dagegen bin dafür der ideale Mann.«

»Vornehme Gesellschaft!«, brummte Liam. »Die kannst du geschenkt haben!«

Liam, Captain im Highlands Regiment, war, gelinde gesagt, ein wenig grobschlächtig. Und obgleich Grif, wenn es darauf ankam, ebenfalls fest zupacken konnte – er war schließlich als Highlander geboren und aufgewachsen –, sehnte er sich doch nach nichts mehr als dem Leben eines hochwohlgeborenen Gentlemans; ein Wunsch, der nach zwei Jahren auf der Universität in Edinburgh noch kräftig Auftrieb erhalten hatte.

Diese Zeit lag seinem Empfinden nach allerdings bereits eine Ewigkeit zurück. Damals hatte seine Familie noch die notwendigen Mittel besessen, bevor sie anfangen mussten, die Pächter auszuzahlen, die Talla Dileas, den abgelegenen Familiensitz in den Highlands nahe bei Loch Chon, nicht mehr bewirtschaften konnten. Als Grif vor fünf Jahren heimgekehrt war, fand er ein völlig verändertes Zuhause vor. Die Pächterhäuschen standen leer, das alte Herrenhaus verfiel. Die Lage hatte sich inzwischen noch verschlimmert: Vor knapp vierzehn Tagen war das Dach über dem Raum, der ursprünglich als Küche diente, zusammengebrochen, und sie konnten nichts anderes tun, als es mit Brettern zu vernageln.

Grif sehnte sich nach seinem früheren Leben am Charlotte Square. Da hatten er und sein bester Freund Hugh MacAlister – der ihm im Augenblick gegenübersaß und tapfer den Inhalt seines Napfes herunterwürgte – im Wettbewerb um die Gunst der jungen Damen alle anderen jungen Gentlemen ausgestochen. Die Aussicht auf das gesellschaftliche Leben in London – London! – war das Größte für einen jungen Mann wie ihn.

»Aye, Aila, haben wir denn eine Wahl?«, fragte Carson, das Familienoberhaupt, bekümmert. »Wir haben keine Pächter mehr, die Pacht an uns zahlen, das Vieh ist so gering an Zahl, dass es zum Lachen ist, und wir verlieren täglich mehr Geld. Um uns herum sind nur Schafe, die die Highlands bedeutend leichter abgrasen als unser gutes Vieh. Wenn wir nicht ziemlich bald etwas unternehmen, bringen uns die Schafe in den Schuldturm, glaub mir.«

Carson, der als Gutsherr den schottischen Titel Laird of Lockhart trug, sprach die Wahrheit. Denn trotz aller Vorbehalte war eines nicht zu leugnen: Das Untier, dieses alte wertvolle Kunstwerk, dessentwegen die englischen und schottischen Lockharts seit Hunderten von Jahren in Fehde lagen (obwohl die Familienchronik es ganz eindeutig als rechtmäßigen Besitz der schottischen Lockharts auswies), war der Schlüssel zu ihrem Überleben. Allerdings war es über die Jahrhunderte immer wieder mal von den einen, mal von den anderen Lockharts gestohlen worden. Zum letzten Mal war es den vermaledeiten englischen Vettern im Jahre 1746 – etwa zur Zeit der Schlacht von Culloden – gelungen, die Figur in ihren Besitz zu bringen. Seitdem fristete sie als Trophäe der englischen Lockharts in einem feinen Londoner Salon ihr Dasein.

Doch die englischen Lockharts waren ziemlich reich. Sie waren auf das Untier nicht angewiesen. Die schottischen Lockharts dagegen brauchten es dringend.

»Du hast mein Wort«, sagte Grif zu seiner Mutter, »dass ich mich nicht munter auf die Reise nach London begeben werde, um dann mit Weib und Kind zurückzukehren …«

»Ich muss doch sehr bitten!«, fiel Ellie ihm ins Wort, denn sie war das Weib, das Liam mit nach Hause gebracht hatte, zusammen mit ihrer Tochter Natalie.

»Verzeih mir, Ellie«, sagte Grif, wandte sich von seiner Mutter ab, ergriff Ellies Hand und führte die Fingerknöchel an seine Lippen. »Du weißt, dass ich dich sehr verehre, aber du bist nicht unbedingt das, was wir uns erhofft hatten, nicht wahr?«

»O nein – das hat Liam mir deutlich genug zu verstehen gegeben«, gestand sie heiter.

»Aber Großvater sagt, wir wären viel besser als das dumme alte Untier«, wehrte sich Natalie, was ihr einen Kniff in die Wange von Carson einbrachte.

»Natürlich seid ihr das, Nattie«, versicherte Grif ihr rasch. »Und wir wollen es gar nicht anders haben … Aber es wäre schon gut gewesen, wenn ihr zu uns gekommen wärt, ohne vorher das Untier verkauft zu haben …«

»Also wirklich, Grif!«, mischte Mared, die einzige Tochter der Lockharts, sich ein. »Ellie hat es doch wiedergutgemacht, oder? Ihr ist es immerhin gelungen, einen Gentleman aus dir zu machen …«

»Ich muss doch sehr bitten! Ich war bereits ein Gentleman, und zwar schon lange, bevor Ellie diese Schwelle überschritten hat!«

»Aye, aber du kannst nicht abstreiten, dass sie dich tanzen und vornehm schreiten und Konversation machen gelehrt hat wie ein echter englischer Gentleman, und sie hat dir all die englischen Sitten und Bräuche erklärt!«

»Ja, das hat sie wohl«, gab Grif widerwillig zu.

»Und die Anschreiben, die sie für dich verfasst hat – wirklich, die waren genial!«

»Danke«, sagte Ellie sichtlich erfreut.

»Und glaubst du, es wird einfach sein, Griffin MacAulay, Laird of Ardencaple, in die Gesellschaft einzuführen?«, wollte Mared wissen.

»Dieser Name …«, sagte Hugh nachdenklich, »ich verstehe nicht, warum du nicht als du selbst gehst, Grif. Was kann das schaden? Mir erscheint das alles ein klein bisschen kompliziert.«

»Ach was«, knurrte Liam. »Ist das denn nicht klar wie Kloßbrühe, MacAlister? Sieh mal, ich bin nach London gereist, habe mich als schwarzes Schaf der schottischen Linie der Lockharts präsentiert und mich dadurch bei meinem Vetter Nigel beliebt gemacht. Aber dann wurde das Untier gestohlen, und bevor ich alles wieder geradebiegen konnte, war ich gezwungen, überstürzt abzureisen« – diese Bemerkung hatte zur Folge, dass sich alle Blicke wieder auf Ellie richteten, die leicht errötete –, »und deshalb können wir nicht restlos sicher sein, ob die englischen Lockharts das Fehlen des Untiers überhaupt schon bemerkt haben, oder? Und falls sie wissen, dass es fort ist, sehen sie dann überhaupt einen Zusammenhang zwischen seinem Verschwinden und mir? Wenn aber mein eigener Bruder in London eintrifft, könnten sie durchaus dazu veranlasst werden, eine Verbindung zu sehen. Ist doch alles ganz einfach, Junge!«

Doch Hugh schüttelte verwirrt den Kopf. »Aye … Aber hast du dabei nicht eines vergessen, Liam? Grif sieht aus wie du! Wie kann er das verbergen?«

»Er hat Recht«, pflichtete Aila ihm bei und sah ihren Sohn Grif an. »Wenn Nigel Lockhart dich sieht, kann es durchaus sein, dass er Liam in dir erkennt.«

Das entlockte Liam nur ein verächtliches Schnauben. »Nein, Mutter, Vetter Nigel ist ein verdammter Trottel. Ohne Hilfe erkennt er nicht mal seinen eigenen Zeh, möchte ich wetten. Und wir sind außerdem doch ziemlich verschieden – wenn Grif einen anderen Namen trägt, wird Vetter Nigel ihm nicht auf die Schliche kommen. Dessen bin ich mir verdammt sicher.«

»Aber ich wäre mir da nicht so sicher«, sagte Aila bedächtig. »Ihr wisst, was man über das Untier sagt: Einem Schotten wird es immer wieder aus den Fingern gleiten, weil es im Grunde englisch ist.«

»Blödsinn«, bemerkte Carson. »Darauf gebe ich nicht mehr als auf Mareds Fluch«, sagte er und machte eine geringschätzige Handbewegung in Richtung seiner Tochter.

Mared errötete prompt und warf verstohlen einen verlegenen Blick auf Hugh. Der Fluch aus dem Mittelalter war ihr peinlich. Er entstammte der uralten, tragischen Geschichte der zum Tode verurteilten ersten Lady of Lockhart. Die Tochter jener unglücklichen Frau war verflucht durch die Schande ihrer Mutter und den Hass ihres Vaters und hatte sich im Jahre 1454 das Leben genommen. Seitdem und aus längst nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen hieß es, dass keine Tochter der Lockharts jemals heiraten würde, bevor sie nicht ins Innere des Untiers geschaut – oder, um es deutlicher zu sagen, dem Teufel ins Angesicht geblickt – hatte. Und tatsächlich hatte keine Tochter der Lockharts je geheiratet. Manche hatten erst gar keinen Antrag bekommen, und diejenigen, um deren Hand ein Mann angehalten hatte, starben oder mussten Zusehen, wie der Geliebte starb, bevor die Hochzeit stattfinden konnte. Klügere Köpfe wandten ein, das alles wäre nur Zufall, ein Ergebnis menschlicher Unbedachtheit. Doch die meisten Menschen in der Umgebung der schottischen Lochs glaubten, die Todesfälle wären das Werk des diabhal, also des Teufels persönlich, und dass Mared, die erste Tochter, die den Lockharts seit fast hundert Jahren geboren wurde, verflucht sei.

»Dieser Plan ist tatsächlich sehr viel besser als der letzte, Mutter«, sagte Mared jetzt, bevor Carson näher auf den Fluch eingehen konnte. »Und wir haben ihn gründlich durchdacht, nicht wahr?«

Sie hatten ihn wirklich gründlich durchdacht. Sie wussten, dass Grif nur Erfolg bei der Suche nach dem Untier haben konnte, wenn ihm Geld zur Verfügung stand, wenn er Zugang zur vornehmen Gesellschaft erlangte und eine Wohnung fand, die die High Society überzeugte, dass er dem Adel angehörte, wenngleich er sich eine gefälschte und ziemlich hochgestochene Identität zugelegt hatte.

»Und alle Hindernisse sind aus dem Weg geräumt, nicht wahr?«, fuhr Mared fort.

Das konnte niemand abstreiten. Mared und Griffin hatten über alten Chroniken und Stammbäumen gebrütet, bis sie schließlich auf den erfundenen Namen des Lord Griffin MacAulay gekommen waren, den Laird of Ardencaple – ein Titel, der vor hundert Jahren auf den Duke of Argyll übergegangen war und später vom Herzog als überflüssig betrachtet und abgeschafft wurde. »Ardencaple. Wer soll denn diesen alten Namen heute noch kennen?«, hatte Grif lachend gefragt.

Nachdem Grifs falsche Identität geklärt war, hatten Liam und Ellie die Sache in die Hand genommen und Grif Tag für Tag über die Gewohnheiten und Treffpunkte der Londoner Gesellschaft und über die gesellschaftlichen Gepflogenheiten informiert. Sie hatten außerdem Dudley, den langjährigen Butler, Diener, Reitknecht und Gärtner der Lockharts, eingespannt. Er sollte Grif begleiten und seiner Lordswürde Glaubwürdigkeit verleihen.

Doch es war die kleine Natalie, die sie eines Tages in die Zwickmühle brachte, als sie aus ihrer Sammlung von Mareds alten Puppen aufblickte und bemerkte: »Ich glaube, er braucht einen Kammerdiener, wenn er ein Lord sein will.«

Alle schwiegen abrupt und sahen das Mädchen verwirrt an. »Lieber Gott, dass hatte ich ganz vergessen«, sagte Ellie leise.

Carson fand eine brillante Lösung. Er spannte Hugh ein, den Sohn seines ältesten und besten Freundes Ian MacAlister. Hugh sollte gegen einen geringen Prozentsatz dessen, was das Untier einbringen sollte, die Rolle von Grifs Kammerdiener übernehmen. Und Hugh war nicht nur bereit, Grifs Kammerdiener zu spielen, sondern konnte auch eine angemessene Residenz vorschlagen. Hughs Großmutter mütterlicherseits, Lady Dalkeith, hatte nach dem Tod ihres Gatten einen Engländer geheiratet, und Hugh wusste, dass das Haus seiner Großmutter an der Cavendish Street unbewohnt und unbeaufsichtigt war, wenn sie ihren Mann wie in jedem Sommer nach Frankreich begleitete.

Die Lockharts feierten ihren Plan mit diversen Gläsern Highland-Whisky. Sie hatten nicht nur für mehrere Monate Zugang zu einem leerstehenden Haus in London gefunden, sondern dank der Expertin Ellie auch die angemessenen Empfehlungsschreiben für Grif.

So blieb nur noch eine Hürde – das Geld. Da die Lockharts alles, was sie besaßen, zusammengekratzt hatten, um Liam nach London zu schicken, waren ihre Taschen jetzt endgültig leer. Doch Grif hatte eine Idee. »Ich glaube, jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als Payton um ein kleines Darlehen zu bitten«, schlug er vor. »Hier in der Gegend ist er der Einzige, der Geld hat.«

»Verräter«, zischte Mared.

»Payton Douglas?«, fragte Hugh.

»Der verdammte Douglas, genau«, sagte Carson, wie immer, wenn der Name Douglas erwähnt wurde, doch schon im nächsten Moment beruhigte er sich. »Aye, er mag ja ein Douglas sein, aber er ist ein anständiger Kerl, falls es so etwas überhaupt gibt.«

»Er war ziemlich schlau«, sagte Grif vorsichtig, wohl wissend, wie das Thema seinen Vater ärgerte. »Die Schafe haben ihm Glück gebracht, und wie ich höre, plant er jetzt eine Brennerei. Er ist nicht blöd, der Bursche«, sagte er und fügte hinzu, damit Hugh verstand: »Er hat eine Landregelung zwischen uns vorgeschlagen – eine Regelung, von der sowohl die Lockharts als auch die Douglases profitieren würden.«

. »Ach, du bist ein Narr, Grif!«, schimpfte Mared sofort und winkte lässig ab. »Er ist ein Douglas! Lockhart und Douglas waren sich noch nie grün.«

»Aye«, sagte Liam mit einem matten Seufzer, »aber Grif hat recht. Douglas ist unsere einzige Hoffnung.«

»Dann muss Mared ihn fragen«, schlug Aila vor. »Er schätzt sie schon seit jeher.«

»Mutter!«, fuhr Mared auf. »Ich lasse mich lieber aufs Rad flechten und …«

»Vierteilen!«, fiel Aila ein. Ich weiß, ich weiß, mo ghraidh. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass er in dich verliebt ist. Warum allerdings, weiß Gott allein, so wie du die arme Seele behandelst. Trotzdem mag er sich günstig stimmen lassen und bereit sein, deinem Vater ein kleines Darlehen zu geben – wenn du ihn recht nett bittest.«

Mared stöhnte auf und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Aber, aber«, sagte Liam freundlich. »Du musst ihn ja nicht gleich küssen.« Er und Grif lachten lauthals über ihren erstickten Entsetzensschrei.

Kapitel 2

Payton hörte sie kommen, noch bevor er sie sehen konnte – das hässliche Kreischen von rostigem Eisen vom alten Landauer der Lockharts hallte durch das kleine Tal, wurde zum offenen Fenster hereingetragen und erschreckte seine arme Cousine Sarah so sehr, dass sie mit einem Klirren ihre Teetasse abstellte.

»Was um alles in der Welt ist das denn für ein entsetzlicher Lärm?«, fragte sie und hielt sich mit zierlicher Gebärde die Ohren zu.

»Eine Kutsche. In Edinburgh habt ihr doch auch Kutschen, oder etwa nicht?«

»Payton!«, schalt Sarah. »Ich bin an das Landleben nicht gewöhnt, das weißt du doch.«

»Aye«, erwiderte Payton, bereits auf dem Weg zum Fenster mit Blick auf die Zufahrt.

Unten war der Landauer der Lockharts bereits zum Stehen gekommen, und Captain Liam Lockhart und sein Bruder, Grif Lockhart, waren abgestiegen. Beide beugten sich vor und spähten ins Innere der Kutsche. Liam redete mit erhobener Stimme, Grif war ruhig und elegant wie immer. Und dann vernahm er die vertraute Stimme der Schwester der beiden, Mared. In diesem Augenblick allerdings klang sie schrill und laut.

Beckwith, Paytons Butler, betrat den Raum. »Um Vergebung, Mylord, aber die Lockharts sind zu Besuch gekommen.«

»Das sehe ich wohl.« Payton nickte nachdenklich. »Stellt sich die Frage, warum?«

»Das kann ich Euch nicht sagen, Mylord.«

Payton wusste es auch nicht. Das letzte Mal, dass ein Lockhart sein Haus betreten hatte, war … nein, Payton konnte sich nicht entsinnen.

»Wer sind die Lockharts?«, fragte Sarah.

»Nachbarn.«

»Oh!«, rief Sarah aufgeregt. »Bitte sie ins Haus …«

»Nicht diese Sorte von Nachbarn«, ergänzte er hastig. »Entschuldige mich einen Augenblick«, bat er und verließ vor Beckwith das Zimmer.

Auf dem Weg durch den Flur hörte er die Stimmen der Lockharts, die die ruhige Stimme des Dieners, der sie in den kleinen Empfangssalon neben dem Haupteingang geleitete, um einiges übertönten. Als Payton eintrat, stand Grif in einem eleganten dunkelbraunen Anzug, wie Payton bewundernd zur Kenntnis nahm, am Kamin, die Beine an den Knöcheln lässig gekreuzt, die Hände in den Taschen. Von den Brüdern war Grif eindeutig der attraktivere und immer perfekt gekleidet.

Liam trug natürlich seinen ursprünglichen Kilt – ein stolzer Highlander, der sich weigerte, sich der modernen Zeit anzupassen.

Und Mared war da.

Sie stand im rückwärtigen Teil des Raums neben den schweren Samtvorhängen und trug ein schlichtes Kleid mit einer Schärpe unter den Brüsten, in einem satten Türkis, das die Farbe ihrer Augen spiegelte und sie verflixt hübsch aussehen ließ mit ihrem tintenschwarzen Haar, dem schönen rosigen Teint und den Augen so grün wie Moos … Ach, das war ja das Problem mit Mared – sie war genauso hübsch wie unerträglich.

»Payton Douglas!«, dröhnte Liam munter und trat mit ausgestreckten Händen vor. »Ihr verzeiht uns die Störung, nicht wahr? Wir wären gar nicht gekommen, wenn es nicht dringend gewesen wäre, wirklich.«

Das glaubte Payton ihnen gern. »Captain«, sagte er vorsichtig, schüttelte ihm die Hand und sah dann Grif an. »Grif, Ihr seht gut aus.«

»Danke, Sir. Ihr habt sicher unsere Schwester längst bemerkt, nicht wahr?«, fragte Grif mit einem charmanten Lächeln und einer Kopfbewegung in Richtung Mared.

Bemerkt? Die Frau suchte ihn in seinen verdammten Träumen heim. »Miss Lockhart«, sagte er schlicht und erinnerte sich unter nicht eben geringer Gefühlsaufwallung des letzten Mals, als er Mared Lockhart gesehen hatte. Das war er zu ihrem Vater gekommen, um sich zu beschweren, weil die Lockharts mit ihren verdammten Hunden wieder einmal seine Schafe zusammengetrieben hatten. Bei seinem Aufbruch nach diesem erstaunlich erfolglosen Treffen hatte Mared hoch über ihm in der Burg Talla Dileas ein schmales Fenster geöffnet, sich so weit hinausgelehnt, dass er schon befürchtet hatte, sie würde hinabstürzen, und ihm ein munteres »Guten Tag noch!« zugerufen. Ihr perlendes Gelächter hatte sehr herausfordernd geklungen. In der Erinnerung daran kniff er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.

»Laird Douglas!«, sagte sie steif, was ihr auf der Stelle einen bösen Blick von Grif eintrug.

»Welchen glücklichen Umständen verdanke ich Euren …«

»Ach, Douglas«, sagte Liam mit einem Seufzer. »Ihr ahnt ja nicht, in welchen Schwierigkeiten wir stecken. Wir sind gekommen, um mit Euch über ein kleines, aber drängendes Problem zu sprechen …«

»Drängend?«

»Oh, aye, wirklich sehr drängend«, sagte Liam und nickte ernst.

Sogleich wurde er hellhörig. »Worum geht es denn? Ist eine von Euren Kühen ausgebrochen?«

Liam lachte, Grif lächelte nur und sagte: »Es ist entschieden drängender als so etwas … Nicht wahr, Mared?«

»Aye«, sagte sie und schickte einen äußerst widerwilligen Seufzer nach. »Sehr viel drängender.«

Das brachte ihr von Liam, wie Payton bemerkte, einen bösen Blick ein.

Mared erwiderte seinen Blick genauso böse, löste sich jedoch mit einem langen Schritt von den Vorhängen und blickte Payton fest an. »Wie es aussieht, seid Ihr der Einzige, der uns helfen kann, Payton Douglas.«

Nun, jetzt wurde er ausgesprochen hellhörig. Mared war der letzte Mensch auf Erden, der ihn um Hilfe bitten würde. »Falls es sich hier um eine Art von Falle handeln sollte …«

»Falle?«, höhnte Liam und verschränkte seine großen Hände über seinem Herzen. »Ihr kränkt mich, Douglas!«

»Aye, und ich kränke Euch mit meinen bloßen Händen, wenn das eine Falle ist. Ein Lockhart würde niemals einen Douglas um Hilfe bitten, es sei denn, er treibt Schabernack …«

»Habe ich Euch je etwas getan?«, wollte Liam wissen. »Oder mein Bruder?«

»Das kann ich guten Gewissens eigentlich nicht behaupten«, antwortete er ehrlich, schickte ihrer dämonischen Schwester jedoch einen vielsagenden Blick zu, die darauf immerhin so anständig war zu erröten. »Nun gut – wo liegt das Problem?«, fragte er ungeduldig.

Wieder seufzte Mared. Sie senkte kurz den Blick und erhob ihn dann zur Zimmerdecke. »Laird Douglas, wie freundlich von Euch, dass Ihr uns empfangt.«

»Freundlich?«, wiederholte er fassungslos.

»Oh, aye, Ihr seid wirklich sehr freundlich«, sagte sie und trat vor. »Es entspricht der Wahrheit, was über Euch geredet wird: Ihr seid ein Gentleman.«

Und es entsprach der Wahrheit, dass sie ein ausgemachter Satansbraten war. Payton verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete Mared aus schmalen Augen, als sie so hübsch auf ihn zuschwebte. Es passte so wenig zu ihr, dass er versucht war zu lachen.

»Es ist nun mal so«, sagte sie mit heiserer Stimme, als sie vor ihm stehen blieb, »dass wir gewissermaßen in der Klemme stecken. In London befindet sich etwas, das von Rechts wegen uns gehört, und wenn wir es uns nicht bald holen, ist es durchaus möglich, dass wir unser Land verlieren. Ihr wisst recht gut, dass das der Tod meines Herrn Vaters wäre«, sagte sie und sah ihn aus ihren grünen Augen unter dunklen Wimpern hervor an.

Einen Augenblick lang verlor Payton sich in diesen Augen … bis ihre Worte richtig in sein Bewusstsein eindrangen. Es überraschte ihn nicht sonderlich, dass sie im Begriff waren, ihr Land zu verlieren. Carson Lockhart war ein tüchtiger Mann, doch in seiner Denkweise noch ganz dem vorigen Jahrhundert verhaftet. Payton hatte dem alten Kauz zahllose Angebote gemacht, doch jedes Mal hatte Carson ihn abgewiesen und geschworen, bis zu seinem letzten Atemzug weiterhin auf Vieh zu setzen.

Payton musterte Mared misstrauisch. »Was ist denn in London, was Euch gehört?«, fragte er. »Ein Piratenschatz?«

Grif und Liam tauschten einen Blick aus, doch Mareds Lächeln wurde noch strahlender. »Aye, in gewisser Weise könnte man das so sagen«, bestätigte sie. »Aber mehr können wir dazu nicht sagen.«

Also hatten sie irgendeinen Plan ausgeheckt – typisch Lockharts, blöd, wie sie waren. »Und was habe ich damit zu tun?«, fragte er und senkte den Blick hinab zum Ausschnitt ihres Kleides.

»Unser Grif muss deswegen nach London reisen. Er wäre schon längst unterwegs, aber …« Mared hielt inne. »Aber unsere Mittel sind ein kleines bisschen knapp«, sagte sie und hielt Daumen und Zeigefinger ungefähr um Haaresbreite auseinander, um anzudeuten, wie unbedeutend knapp sie an Geld waren. »Und wir würden ja nicht fragen, bestimmt nicht, wenn es nicht so wichtig wäre. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, ähm, dass … dass … Ihr uns helft.« Die letzten Worte folgten überstürzt und leise.

»Wie bitte?«, fragte Payton, der die Worte nicht genau verstanden hatte.

»Diah!«, rief sie plötzlich, wütend, weil sie die Worte wiederholen musste. »Ich sagte, unsere einzige Hoffnung besteht darin, dass Ihr uns helft, Douglas!«

»Wobei soll ich Euch helfen?«, fragte er und lächelte, als es in ihren Augen zu blitzen begann.

»Was sie sagen will, ist Folgendes«, sagte Grif und trat rasch hinzu. »Wir verfügen zur Zeit über keinerlei Geldmittel, und wir sind gekommen, um Euch zu fragen, ob Ihr uns vielleicht ein bisschen von Euren Mitteln leihen könntet.«

Geld. Sie wollten Geld! Die stolzen, starrsinnigen Lockharts, diese auch im Niedergang fest aufeinander eingeschworene Familie, die nicht einmal ein Hemd von ihm borgen würde, wenn sie mitten Winter nackt und frierend herumliefen, wollte von ihm Geld leihen?

Der Art nach zu urteilen, wie Grif jetzt zu schwafeln begann, missverstanden sie sein Schweigen wohl als Ablehnung. »Wir brauchen genug, um nach London reisen und unser … unseren Gegenstand zu holen, aber wenn ich zurück bin, haben wir genug, um das Darlehen zurückzuzahlen«, sagte er hastig. »Mit Zinsen«, versteht sich.

»Soldatenehre«, sprang Liam ihm bei. »Ihr habt mein Wort darauf, dass Ihr Euer Geld zurückbekommt, bis auf den letzten Penny.«

»Wir würden ja nicht fragen, wenn es nicht wichtig wäre«, bat Mared. »Bitte, Payton.«

Bitte, Payton … Die Gelegenheiten, bei denen Mared ihn mit dem Vornamen angesprochen hatte, konnte er an einer Hand abzählen. Er musterte die drei, wie sie da vor ihm standen; besonders Mared, die ihn einmal angefaucht hatte, von ihm würde sie nicht einmal ein Gebet annehmen, auch wenn sie auf dem Sterbebett läge. Ihre Wangen glühten hochrot – die Bitte beschämte sie ganz bemerkenswert, und Payton hatte Mared noch nie beschämt erlebt, nicht ein einziges Mal in den vielen Jahren ihrer Bekanntschaft. O nein – diese Frau war ein Teufelsweib.

»Wie hochsoll die Summe denn sein?«

»Dreitausend Pfund«, sagte Grif rasch.

»Dreitausend Pfund?«, vergewisserte Payton sich und verschluckte sich fast. »Habt Ihr den Verstand verloren?«

Mareds Gesicht war glühend rot. Und so gern er sich auch an ihrer Verlegenheit gefreut hätte, sah Payton in dieser unverschämten Bitte doch die einzige Chance, die Ländereien der Lockharts und der Douglas’ zusammenzuführen, was sie zu den führenden Highland-Schafzüchtern machen würde. Dann brauchte er nicht mehr zu fürchten, dass seine Schafe auf Lockharts Land gerieten oder deren verdammtes Vieh auf seines. Sie alle würden profitieren.

Er schlenderte zur Anrichte, auf der mehrere Kristallkaraffen mit schottischem Whisky und französischen Weinen standen. In seinem Kopf überschlug er all die Möglichkeiten, die sich ihm boten, während er sich einen Schluck Whisky einschenkte und hinunterstürzte.

»Und wenn es Euch nicht gelingt, das … Ding an Euch zu bringen?«, fragte er beiläufig und schenkte Whisky für Liam und Grif ein. »Wie wollt Ihr das Geld dann zurückzahlen?«

Grif strich den Ärmel seiner Jacke glatt. »Wir würden mit einem Stück von unserem Land bezahlen.«

Wieder hätte Payton sich beinahe verschluckt, doch es gelang ihm, eine stoische Miene zu bewahren, als er Liam einen Whisky reichte. Den anderen offerierte er Grif, dann sah er Mared an. »Wie muss es Euch quälen, zu mir zu kommen und um so etwas zu bitten«, sagte er.

Mared verdrehte die Augen und wandte sich ab. Sie war bei weitem die schlimmste von allen Lockharts, diejenige, die sein Blut in Wallung brachte, wenn sie nur ihren verfluchten Mund aufmachte. Aye, aber seit sie noch ein kleines Mädchen war, hatte sie auch ein rasendes Feuer in seinem Inneren entfacht, das nie aufhörte zu glühen, wenn sie in der Nähe war.

»Ich wäre bereit, Euch das Geld zu leihen, wenn Ihr es binnen zwölf Monaten zurückzahlen könnt.«

»Einverstanden«, sagte Liam.

»Und ich fordere sechs Prozent Zinsen dafür.«

Grif und Liam tauschten einen Blick. »In Ordnung«, sagte Grif.

»Und falls Ihr nicht zahlen könnt?«

Grif nickte bereits. »Dann geben wir Euch ein Stück Lockhart-Land im Wert der Darlehenssumme plus sechs Prozent …«

»Nein«, sagte Payton und schüttelte liebenswürdig den Kopf. »Falls Ihr nicht zahlen könnt… gebt Ihr mir Mared.«

Einen Moment lang sprach keiner ein Wort, und die Stille war, wie Payton erfreut zur Kenntnis nahm, geradezu ohrenbetäubend. Doch dann platzte Mared mit ihrer Empörung heraus: »Also wirklich, Ihr seid ein verfluchter …«

Grif sprang hastig und verzweifelt vor, schlug ihr die Hand vor den Mund und zog sie an sich, hielt sie fest und wechselte über ihren Kopf hinweg einen sorgenvollen Blick mit Liam.

»Ah … Douglas, seid Ihr sicher, dass Ihr wisst, was Ihr da verlangt?«, fragte Liam.

»Aye«, antwortete Payton ruhig.

Mit einem gezielten Tritt auf Grifs Fuß riss Mared sich los, taumelte auf Payton zu und blieb, die Hände in die Hüften gestemmt, mit wütend blitzenden grünen Augen direkt vor ihm stehen. »Wofür haltet Ihr Euch eigentlich? Für einen verdammten Feudalherrscher? Mich werdet Ihr nicht bekommen, Ihr Schuft! Glaubt Ihr denn, ich bin irgendein Gegenstand, um den man feilschen kann wie um eine alte haarige Kuh …«

Liam packte sie, legte seine Hand über ihren Mund und lächelte Payton verlegen an. »Sie ist ein bisschen aufbrausend. Seid Ihr sicher …«

»Aye«, antwortete Payton und freute sich an ihrem entsetzten Blick. »Völlig sicher.«

»Aber da … aber da gibt es einen reichlich unglückseligen Fluch …«, wandte Grif ein.

»Mit Euren verdammten Flüchen schreckt ihr mich nicht ab«, sagte er mit Nachdruck. »Wenn Ihr das Geld wollt, meine Herren, dann müsst Ihr meine Bedingungen akzeptieren. Ich gebe Euch den ganzen Abend Zeit, darüber nachzudenken.«

Mit diesen Worten drehte er sich um, ging zur Tür und öffnete sie, schritt dann den Flur entlang und lächelte breit, als er Mared hinter Liams Hand rufen und schimpfen hörte.

Wie das Schicksal es wollte, trat Sarah gerade in dem Moment in den Flur, als die drei Lockharts hinter Payton aus dem Salon stürmten. Payton schmunzelte über den erschrockenen Ausdruck in Liams und Grifs Augen beim Anblick seines vornehmen Gastes und hätte beinahe laut gelacht über ihren eiligen Rückzug.

Doch Mared blickte sie alle mit Verachtung an, während sie zum Haupteingang hinausstapfte und mit jeden Schritt leise und wütend vor sich hin schimpfte.

Aye, sie war ein Teufelsweib, diese Mared.

Kapitel 3

Mayfair, LondonEinige Wochen später

Eingeklemmt zwischen Kutschen, Wagen, Pferden und Menschen steckte Viscount Whittingtons Einspänner am Picadilly Circus fest, was seiner jüngsten Tochter, Miss Lucy Addison, mal wieder Anlass zum Lamentieren bot.

Lucy, die auf dem Sitz neben ihrer Mutter saß, ihrer älteren Schwester Anna und ihrem Vater direkt gegenüber, seufzte tief auf, presste die Augen zu, als litte sie unglaubliche Schmerzen, und lehnte den Kopf mit der kastanienbraunen Haarpracht ans plüschige Samtpolster.

»Aber, aber, Lucy, durch deine Ungeduld wird es auch nicht erträglicher«, tadelte Mutter sie freundlich.

»Ach, wozu müssen wir überhaupt daran teilnehmen?«, schmollte Lucy, schlug die Augen auf und bedachte Anna mit einem eisigen Blick aus bernsteinfarbenen Augen. »Es kommt doch gar nicht darauf an, ob wir zu spät kommen oder nicht, denn ganz gleich, welcher Gentleman mir gefällt, ich darf ja keinen Antrag annehmen!«

Anna verdrehte angesichts dieser weiteren Kostprobe von Lucys hysterischen Bemerkungen – die entschieden überhandnahmen, wirklich – die Augen himmelwärts.

»Lucy, Schätzchen, das ist nicht nett«, sagte Vater. »Anna will dir ja nicht mit Absicht Kummer bereiten.«

»Ich weiß nicht, wieso du dir dessen so sicher bist, Vater«, murrte Lucy. »Sie gibt sich überhaupt keine Mühe, einen Antrag zu bekommen. Ich glaube, es macht ihr Spaß, mich zu kränken.«

»Wie ausgesprochen dumm von dir, Lucy!«, sagte Mutter streng. »Es ist nicht Annas Schuld, dass sie in letzter Zeit keinerlei Anträge bekommen hat«, fügte sie hinzu und blickte Anna hoffnungsvoll an. »Sie wird ihren Weg früher oder später finden, und dann bist du immer noch jung und schön und heiratsfähig.«

»Nein, bin ich nicht!«, schrie Lucy mit dem geballten Charme einer launenhaften Fünfjährigen. »Dann bin ich alt und sitzen geblieben wie Anna.«

»Ich bitte um Entschuldigung, aber hat einer von euch vielleicht schon bemerkt, dass ich mit euch in der Kutsche sitze und daher höre, was ihr sagt?«, fragte Anna.

Zur Antwort erhielt sie ein väterliches Tätscheln ihres Knies. »Ärgere dich nicht, Liebes«, sagte Vater beschwichtigend. »Lucy ist verständlicherweise besorgt; schließlich hatte sie in der letzten Saison ein so überwältigendes Debüt, dass sie erwarten kann, eine gute Partie zu machen, was ihr gewiss auch auf Anhieb, möchte ich sagen, gelänge, wenn nicht… Nun ja, du weißt ja.«

»Ja, ich weiß«, antwortete Anna gereizt. »Meine Schwester erinnert mich mindestens einmal täglich daran, dass mir seit meinem Debüt vor drei langen Jahren kein Gentleman von nennenswerter Bedeutung einen Antrag gemacht hat.«

Ehrlich gesagt, die wachsende Angst ihrer Familie, dass der lieben kleinen Lucy Hunderte von annehmbaren Anträgen entgehen könnten, fing an, ihr gehörig auf die Nerven zu gehen. Lucy mochte ja die hübscheste der drei Addison-Schwestern sein, aber war sie deshalb die wichtigste? Und im Grunde hätte es Anna nicht im Geringsten gestört, wenn sie Lucy vor ihr verheirateten – sie verschwendete keinen Gedanken an diese lächerliche Sitte und hatte es oft genug betont. Leider dachte der Rest der Familie anders darüber.

»Liebste Anna, würdest du es heute Abend wohl wenigstens mal versuchen?«, fragte Lucy zuckersüß und sah plötzlich ganz unschuldig und verdammt hübsch aus. »Der Darlington-Ball ist eine der wichtigsten Veranstaltungen der Saison … Wenn du dich nur ein bisschen anstrengst, wird bestimmt wenigstens ein Herr auf dich aufmerksam.«

Manchmal, so wie eben jetzt, wünschte Anna sich, sie wären noch Kinder und sie könnte Lucy fesseln und in den Schrank stecken, wenn sie so grauenhaft lästig wurde. »Und was soll ich deiner Meinung nach tun, liebste Lucy?«, fragte Anna genauso süß zurück. »Lächeln und wie du mit den Wimpern klimpern?«

»Schluss jetzt!«, mahnte Mutter. »Ich dulde nicht, dass ihr euch zankt. Benehmt euch wie junge Damen, bitte!«

Lucy ließ sich wieder schmollend ins Polster sinken. Anna beachtete sie nicht.

Wenn sie in Lucys rosiger Haut steckte, wäre sie vielleicht genauso unerträglich, aber es war ja nicht so, dass Anna absichtlich verhinderte, dass sie Anträge bekam. Und es war auch nicht so, dass sie nicht doch hier und da mal einen Antrag bekommen hätte – natürlich hatte sie! Drei, um genau zu sein, sämtlich inakzeptabel erklärt von ihren Eltern. Nicht, dass Anna sich daran gestört hätte – sie kannte die Männer, die sich um sie beworben hatten, kaum und verspürte auch nicht unbedingt ein heißes Verlangen zu heiraten.

Nein, Anna hatte bereits während der Saison ihres Debüts, in der nur ein Gentleman mit einer Käfersammlung und schwindendem Vermögen sich um sie bewarb, festgestellt, dass sie nicht in die gewünschte Form zu pressen war, die die Junggesellen der aufregenderen Kategorie für ihre potenzielle Gattin vorsahen. Diese Erkenntnis war recht schmerzhaft gewesen, und sie hatte sich dann auf das Trainieren von Jagdhunden verlegt – ein Hobby, durch das sie zu einer der begehrtesten Trainerinnen in Devonshire wurde. Doch Anna fing an, sich mit der Tatsache abzufinden, dass sie womöglich als alte Jungfer endete.

Sie wollte nicht als alte Jungfer enden. Ganz im Gegenteil – sie träumte schon lange davon, sich zu verlieben, mit einem attraktiven Mann auf Wolken zu schweben, aus Liebe zu heiraten und Kinder zu gebären, zu lachen und zu leben … Und sie träumte von Drake Lockhart.

Drake Lockhart … Sie unterdrückte einen Seufzer. Herrgott, wie sie diesen Mann anbetete! Wie sie ihn schon seit ihrer Einführung in die Gesellschaft bewunderte. Konnte es einen umwerfenderen Mann auf Erden geben? Einen schöneren? Einen tüchtigeren oder zärtlicheren oder charmanteren? So traurig es war, die Antwort lautete nein … und wenn Anna auch nicht sicher war, ob sie ihm überhaupt etwas bedeutete, hatte sie doch Hoffnung. Er flirtete unverschämt mit ihr, und seit er zu Weihnachten von seiner großen Europarundreise zurückgekehrt war, flirtete er noch heftiger mit ihr als im Jahr vor seiner Abreise.

Sie konnte es kaum erwarten, ihn an diesem Abend zu sehen; sie hatte ihr bestes Ballkleid angelegt, es schimmerte blassgrün und war am Saum mit Blumengirlanden bestickt, passend zu der Stickerei am hochgeschlossenen Mieder. Mutter fand es entzückend, doch Lucy, in zartestes Weiß gekleidet und sehr engelsgleich, behauptete, es sähe ziemlich altjüngferlich aus.

Anna hatte nicht auf sie gehört, sie gab sich bezüglich ihres Aussehens keinen Illusionen hin. Mit rotbraunem, fast dunkelbraunem Haar und braunen Augen war sie das, was ihr Vater eine attraktive Frau nannte. Nicht so attraktiv, um als ungewöhnlich schön gelten zu können, aber auch nicht so unattraktiv, dass man sie hätte unscheinbar nennen können. Wie tausend andere unverheiratete Frauen.

Trotzdem setzte Anna große Hoffnungen in den heutigen Ball und lächelte, als die Kutsche sich plötzlich wieder in Bewegung setzte.

Auf dem und um den vornehmen Berkeley Square herum herrschte ein Gedränge von Kutschen, die um einen Platz vor dem Herrenhaus der Darlingtons wetteiferten. Die Creme de la Creme der guten Gesellschaft Londons wurde erwartet. Nur wer auf dem Sterbebett lag, konnte einen ausreichenden Grund für sein Fernbleiben vorweisen.

Peter und Augusta Addison, Viscount und Viscountess Whittington – Annas Eltern – stellten hiervon keine Ausnahme dar. Sie zählten sogar zu den Privilegierten der gesellschaftlichen Elite. Lord Whittington hatte mehrere Jahre lang dem House of Lords als distinguiertes Mitglied angehört, und Lady Whittington war als exzellente Gastgeberin berühmt.

Außerdem genossen ihre drei erwachsenen Töchter den Ruf, gut auszusehen und sich zu benehmen zu wissen. Bette, die älteste, hatte im Jahr nach ihrem Debüt einen Parlamentsprotege geheiratet und war jetzt die glückliche Lady Featherstone und Mutter zweier Kinder. Sie trat in die Fußstapfen ihrer Mutter. Miss Lucy Addison, die jüngste, galt als die hübscheste der drei; viele hielten sie sogar für eine außergewöhnliche Schönheit mit einem überaus süßen Gesichtchen.

Blieb noch Anna Addison, die mittlere Tochter. Einerseits gab es Stimmen aus der Gesellschaft, die leise verkündeten, Miss Addison sei eine ganz außergewöhnliche junge Frau, andere dagegen hielten sie für ein wenig zu schlicht für ihren Rang. Anna hatte genug Salonklatsch mitbekommen, um zu wissen, dass manche sie als schwierige Person einschätzten.

Offen gesagt, sie verstand nicht, wieso. Nun ja, zugegeben, die Diskussion mit Lord Mathers über die Selbstbestimmung der Katholiken auf einer sehr großen Dinnerparty war nicht unbedingt ihr Glanzstück gewesen; aber Seine Lordschaft war nun mal gar zu verbohrt in seinen Ansichten gewesen!

Trotzdem war sie nach den gesellschaftlichen Standards der Adelskreise ziemlich perfekt. Sie beherrschte alles, was eine junge Frau vorweisen musste: das Harfespiel, ein wenig Geografie, ein wenig Stickerei. Vielleicht glänzte sie nicht durch gezierte Vornehmheit hinsichtlich ihres Rangs, aber immerhin bohrte sie nicht mit der Gabel in den Zähnen oder trat beim Tanz jemandem auf die Füße oder ließ sich in kompromittierenden Situationen erwischen … sosehr sie sich auch wünschen mochte, in einen aufregenden Skandal verwickelt zu werden.

Leider musste man allerdings sagen, dass sie das endlos sich im Kreise drehende Leben der Londoner Gesellschaft ziemlich langweilig fand, doch sie war nicht so dumm, das auch noch laut auszusprechen. Nun ja … zumindest nicht oft.

Dass sie von der Gesellschaft nicht gerade begeistert aufgenommen wurde, war ihr ein Rätsel, über das sie allerdings nicht lange nachgrübelte – sie hatte bedeutend wichtigere Dinge zu bedenken, zum Beispiel ihre Hunde und das Trainingsprogramm für die Jagd. In diesem Moment, als die Kutsche sich langsam, Schritt für Schritt, weiterbewegte, dachte sie an Lockhart, den einzigen Lichtblick in ihrem ansonsten langweiligen Dasein.

Endlich rollte die Kutsche langsam vor dem Haupttor zum Besitz der Darlingtons aus, und die vier stiegen hinab.

Lucy und Anna reihten sich hinter ihren Eltern ein und warteten geduldig, bis sie angemeldet wurden. Lucy nahm die Gelegenheit wahr, um Anna kritisch zu mustern und ihre Meinung kundzutun. »Du hättest das Perlenhalsband anlegen sollen. Es hätte gut zu deinem Kleid gepasst.«

Anna schoss einen Blick auf sie ab. »Meinst du etwa das Perlenhalsband, das du gerade trägst? Mein Halsband? Das, von dem du sagtest, du müsstest es unbedingt haben, sonst würdest du nicht am Ball teilnehmen?«

»Habe ich das gesagt?«, fragte Lucy und warf keck den Kopf in den Nacken. »Tja, ich – Oh! Wer ist das?«, fragte sie und hob sich auf die Zehenspitzen, um ihrem Vater über die Schulter blicken zu können.

Anna schaute in die Richtung, die Lucy ihr gewiesen hatte, und sah den Rücken eines großen, breitschultrigen Mannes, der eben um die Ecke bog und den Spielsaal der Herren betrat. In diesem Moment meldete der Butler der Whittingtons: »Lord und Lady Whittington … Miss Anna Addison … Miss Lucy Addison.«

Ihr Vater bot ihrer Mutter den Arm, und die vier schwebten in den Ballsaal.

Mehrere junge Herren scharten sich sogleich um Lucy, die Gerüchten zufolge und zu ihrem höchsten Entzücken jetzt schon als die begehrteste Debütantin der Saison gehandelt wurde. Anna stand geduldig dabei, ein Lächeln auf den Lippen, so wie sie ihr Leben lang immer neben der einen oder anderen ihrer Schwestern gestanden hatte. Jetzt fühlte sie sich abwechselnd einigermaßen selbstbewusst und ziemlich unbedeutend, während Lucy die überaus freundlichen Begrüßungen der jungen Männer entgegennahm.

Sie überlegte, dass sie sich genauso gut ein stilles Eckchen suchen könnte, als sie plötzlich zwei Finger einer behandschuhten Hand an ihrem Ellenbogen spürte.

Sie warf einen Blick zurück und spürte, wie ihr die Glut über den Hals ins Gesicht stieg, denn die Hand an ihrem Ellenbogen gehörte zu niemand anderem als ihm – Drake Lockhart, groß gewachsen mit goldbraunem Haar, einem charmanten Lächeln und geheimnisvollen braunen Augen. »Ach, Mr Lockhart«, rief sie mit einem kecken Lächeln. »Dass ich Euch hier antreffe, auf einem langweiligen Ball.«

»Langweilig?«, fragte er und zog eine Braue hoch. »Ich verstehe ganz und gar nicht, was Ihr meint, Miss Addison, denn nichts hätte mich daran hindern können, die schönsten Damen zu sehen, die London zu bieten hat.« Sein Blick streifte sie von Kopf bis Fuß. »Und darf ich hinzufügen, dass ich es als regelrecht erhebend empfinde, ein solches Bild weiblicher Schönheit und Gesundheit erblicken zu dürfen?«

Die Glut in ihrem Gesicht setzte sich rasend schnell bis in ihren gesamten Körper fort, und Anna lachte leise, schlug ihren Fächer auf und sah sich über den Fächerrand hinweg im

Saal um. »Seid Ihr allein gekommen, Mr Lockhart? Oder werden wir das Vergnügen haben, auch Euren Bruder und Eure Schwester zu begrüßen?«

»Meine Schwester ist natürlich in Begleitung meiner Eltern hier«, sagte er und lächelte, als wüsste er, was der Grund für ihr glühendes Gesicht war. »Leider verbringt mein Bruder Nigel diese Saison mit einer Kur in Bath.«

Zur Ausnüchterung, das hätte es eher getroffen, und jeder wusste es. Es war in den Salons von Mayfair kein Geheimnis, dass Mr Nigel Lockhart weit mehr vom Alkohol hielt als vom Essen, von den Frauen oder vom Schlaf. Anna hatte von Bette erfahren (die alles über jeden wusste), dass Drake, als er vom Kontinent zurückkam, seinen jüngeren Bruder flugs in Begleitung eines ältlichen Onkels nach Bath geschickt hatte, wo er bleiben sollte, bis er sich vom Teufel Alkohol befreit hatte.

»Wie steht es mit Euch, ma petite Anna Addison?«, fragte Drake und rückte näher an sie heran, so nahe, dass er sie fast berührte. »Seid Ihr in Begleitung Eurer Eltern hier? Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass einem Gentleman das Vergnügen Eurer Gesellschaft bei einem Spaziergang bei Vollmond in den Gärten zuteilwird? Oder wäre der Gentleman gezwungen, auch die Anwesenheit des verehrten Herrn Papa zu ertragen?«

Anna lachte. »Ich versichere Euch, Sir, falls ein Gentleman mich auf einem Mondscheinspaziergang in den Gärten begleiten sollte, wäre mein Vater der Letzte, der davon erführe, und zwar gleich nach dem Herrn Vikar.«

Lockhart grinste. »O weh, Miss Addison, wie ungeheuer ungezogen von Euch. Dürfte ich Euch dann später aufsuchen und Euch um diesen Gefallen bitten?«

Anna konnte gerade noch ein eifriges Nicken unterdrücken, dann warf sie ihm über den Fächer hinweg einen Blick zu. »Vielleicht«, sagte sie mit einem leichten, gleichgültigen Schulterzucken.

»Dann bis später beim Mondenschein, Miss Addison«, sagte Lockhart, und mit einem frechen Augenzwinkern trat er um sie herum zu Lucy, die immer noch von einer Gruppe junger Herrn umringt dastand.

Anna beobachtete ihn verstohlen und hoffte inbrünstig, dass er Lucy lediglich begrüßte und dann weiterging. Doch als er sie ansprach, trat ein strahlendes Lächeln auf Lucys Gesicht. Ihre bernsteinfarbenen Augen blitzten, und schon war Lockhart ihr ins perfekte Netz gegangen. Lucy konnte beneidenswert gut mit Männern umgehen, eine angeborene Fähigkeit, die Anna sich nicht erklären konnte.

Trotzdem redete sie sich ein, dass Lockhart sich nichts aus Lucys Aufmerksamkeit machte, dass er nur höflich war – und sie gab sich äußerste Mühe, das zu glauben. Dennoch, zuzusehen, wie er auf hinreißende Art den Kopf neigte, wie er lächelte, war so schmerzhaft, dass sie den Drang verspürte, dazwischenzufahren und die überschwängliche Begrüßung zu stören.

Es war ihre Schwester, Lady Featherstone, die sie daran hinderte, indem sie plötzlich an ihrer Seite auftauchte.

»Wen starrst du denn so eindringlich an?«, fragte Bette, nachdem sie ihr einen Kuss auf die Wange gegeben hatte.

»Wie bitte?«, fragte Anna mit gespielter Verwunderung. »Wie kommst du darauf, dass ich jemanden anstarre? Da gibt es nichts und niemanden, der meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte.«

»Vielleicht doch«, sagte Bette, schob ihre Hand unter Annas Arm und zwang sie, mit ihr am Rand der Tanzfläche entlangzuschlendern. Sie flüsterte verschwörerisch: »Du errätst nie, wer heute Abend am Ball teilnimmt.«

»Wer denn?«

»Nein, nein … Raten sollst du«, sagte Bette und stieß ihr leicht den Ellenbogen in die Seite.

»Bette!«, rief Anna. »Das kann ich doch unmöglich erraten! Wer, nun sag schon!«

»Na gut«, sagte Bette, verärgert über Annas mangelnde Bereitschaft, auf ihr Spielchen einzugehen. »Der Schotte.«

Bei der Erwähnung des Schotten horchte Anna sofort auf. Seit etwa einem Monat, als zum ersten Mal in den Salons über den schottischen Earl geredet wurde, der geschäftlich in London weilte, war sie gespannt auf den Mann. Er schien offenbar großen Eindruck zu hinterlassen – man sagte ihm nach, er sei recht unterhaltsam, ziemlich reich, attraktiv und brauche dringend eine Frau. Letzteres war natürlich bloße Spekulation, doch die Tatsache, dass er Schotte war, steigerte die Spannung des üblichen Spiels erheblich.

Wie der Zufall es wollte, war Anna schon einmal einem Schotten begegnet – das war in der vergangenen Saison gewesen, als Captain Lockhart für allzu kurze Zeit in London aufgetaucht war.

Bei der Gelegenheit hatte sie an einem Ball der Lockharts teilgenommen, und da Drake noch nicht vom Kontinent zurück war, hatte sie sich ziemlich gelangweilt. Bis Barbara Lockhart, unerträglich spießig, wie sie nun mal war, Anna den schottischen Vetter vorgestellt hatte und Anna auf Anhieb von seinem Akzent, seiner impulsiven, ungeduldigen Art und der Narbe auf seiner Wange fasziniert war. An dem Abend hatte sie sich einen Spaß daraus gemacht, sich an seine Fersen zu heften, und als sie ihn dann stellte – allein, als er gerade in der kleinen Bibliothek der Lockharts herumstöberte –, war sie aufs Höchste erregt gewesen.

Ihr Lohn war ein äußerst leidenschaftlicher Kuss gewesen, der ihr den Atem geraubt und ihre Knie hatten weich werden lassen, und sie hatte darauf gebrannt, mehr von ihm zu erfahren. Leider war dieser schroffe, attraktive Schotte dann ein paar Tage später spurlos verschwunden … zur gleichen Zeit wie die zurückgezogene Ellen Farnsworth.

Dieser außergewöhnliche Zufall, gepaart mit dem außergewöhnlichen Kuss, hatte Anna höchst fasziniert.

Manche vermuteten, dass Miss Farnsworth dem Captain freiwillig gefolgt war – immerhin genoss sie in dieser Hinsicht einen gewissen Ruf. Andere behaupteten, der Captain hätte sie entführt und der alte Farnsworth wäre zu geizig, um das Lösegeld zu zahlen.

Noch klügere Köpfe wussten zu vermelden, dass überhaupt kein Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der beiden bestünde, und beharrten ärgerlicherweise darauf, dass der Schotte einfach nach Schottland und Miss Farnsworth nach Cornwall zurückgekehrt sei.

Wie auch immer die Wahrheit aussehen mochte, Anna hatte die Begegnung in ihrem Kopf zu einer großartigen romantischen Affäre aufgebauscht, und die Geschichte hatte sich so tief in ihre Vorstellung eingebrannt, dass sie im Verlauf des vergangenen Jahres alles, was sich mit Schottland beschäftigte, regelrecht verschlang, von historischen Aufzeichnungen über Reiseberichte bis hin zu alten Landkarten. Schottland erschien ihr bezaubernd, wie ein Ort, an dem die Zeit nicht so schwerfällig und zäh zerrann wie hier im feinen Londoner Bezirk Mayfair.

Deshalb weckte die Erwähnung eines neuen Schotten Annas Interesse, und sie brannte darauf, ihm vorgestellt zu werden.

»Dort ist er«, sagte Bette und tippte sich leicht mit dem Fächer auf den Arm, als sie an der Südwand des Ballsaals entlangschlenderten.

Anna blickte in die Richtung, die ihre Schwester ihr wies, und sah eine ins Gespräch vertiefte Gruppe von Männern. Der kräftige Rücken, den sie und Lucy bemerkt hatten, als sie bei ihrer Ankunft auf ihre Ankündigung gewartet hatten, erkannte sie jetzt als den des Schotten. Das überraschte sie; sie hatte gedacht, der Earl wäre ein älterer Herr. Der Schotte war groß, wie der Captain, aber nicht so breit. Sein Haar, fast schwarz, war glatt zurückgekämmt und länger, als man es gewöhnlich trug, aber trotzdem nach der gängigen Mode frisiert. Seine Schultern waren breit, perfekt, die Taille schmal, und er hatte keinen Bauchansatz wie so viele Gentlemen der Londoner Gesellschaft.

»Stellst du mich ihm vor?«, flüsterte Anna. »Komm schon, sag ja!«

Bette lachte. »Er ist wirklich ein erfreulicher Anblick, nicht wahr? Aber ich bin ihm leider auch noch nicht offiziell vorgestellt worden.« Auf Annas flehenden Blick hin lachte sie. »Na gut, wir wollen sehen, was ich tun kann.« Mit einem Zwinkern und einem leichten Fächerschlag auf Annas Schulter segelte sie davon, auf der Suche nach jemandem, der die Vorstellung bewerkstelligen konnte, und Anna blieb allein vor den schweren Brokatportieren stehend zurück.

Anna schlug ihren Fächer erneut auf und hielt ihn so vors Gesicht, dass sie unbemerkt den Blick durch den Saal schweifen lassen konnte. Der Schotte und die anderen Herren ließen sich in ihrer Unterhaltung nicht stören, und zu ihrem großen Ärger befand sich Drake noch immer in Lucys Begleitung. Von ihrem Standort aus konnte sie Lucy geziert lachen sehen.

Nicht willens, den Flirt zwischen ihrer Schwester und dem Mann, den sie so anbetete, noch länger mit anzusehen, wandte Anna sich ab – und erblickte in diesem Moment zufällig Miss Crabtree, allein, auf der Sesselkante hockend, die Hände fest im Schoß gefaltet. Das arme Ding – sie litt unter dem doppelten Unglück, ziemlich unscheinbar und mit einer sehr leisen Stimme ausgestattet zu sein. Diese Kombination hatte zur Folge, dass sie meistens vom Geschehen ausgeschlossen wurde, und selbst bei den seltenen Gelegenheiten, wenn eine freundliche Seele Mitleid mit ihr aufbrachte und versuchte, sie ins Gespräch zu ziehen, hörte niemand ein Wort von dem, was das Mädchen sagte.

Anna konnte das nicht ausstehen – manchmal waren die Gepflogenheiten der Kreise hier so grausam. So ging sie zielstrebig auf Miss Crabtree zu, in der Absicht, sich mit ihr zu unterhalten. Doch als sie sich Miss Crabtree näherte, bemerkte sie, dass der schottische Earl und Mr Fynster-Allen ebenfalls Miss Crabtree zustrebten, und es lag auf der Hand, dass sie mit ihr zu reden beabsichtigten.

Auch die arme Miss Crabtree hatte die beiden bemerkt und versuchte, weiß wie ein Laken, sich ein wenig zu straffen.

Mr Fynster-Allen erreichte sie als Erster und wandte sich ihr zu, um sie anzusprechen. Miss Crabtree nickte sogleich, ließ sich von Mr Fynster-Allen beim Aufstehen assistieren und warf einen Blick voller Unbehagen auf den schottischen Earl, der in diesem Augenblick hinter Mr Fynster-Allen auftauchte und sich tief verneigte.

Anna stockte der Atem, als er in ihr Blickfeld trat. Lieber Himmel, er war ja außergewöhnlich attraktiv mit seinem kantigen Kiefer, der eckigen Nase, den tiefliegenden, umwerfend grünen Augen. Und sein Lächeln – ein erschreckend reizendes Lächeln – war so strahlend und herzlich, dass sie Schmetterlinge im Bauch flattern fühlte, während Miss Crabtree schrecklich unbeholfen knickste. Der Earl errettete sie aus diesem Knicks, indem er nach ihrer Hand griff und sie daran hochhob.

Miss Crabtree – na gut, Anna ebenfalls, und das aus sicherer Entfernung! – fiel fast in Ohnmacht; sie blickte zu dem Earl auf, legte den Kopf in den Nacken, um ihn richtig ansehen zu können, und vergaß, den Mund zu schließen.

Zu Annas erheblicher Verwunderung reichte der Earl ihr den Arm, auf den Miss Crabtree ihre zitternde Hand legte, und führte sie auf die Tanzfläche.

Die Teilung des Roten Meers hatte unmöglich dramatischer sein können, denn keinem der vielen Menschen im Ballsaal entging dieser außergewöhnliche Akt der Freundlichkeit.

Der Schotte führte Miss Crabtree mühelos und anmutig über die Tanzfläche, und die Eifersucht grub winzige Krallen in Annas Herz. Das Paar wirbelte an dem kleinen Orchester vorüber, unter den sechs Kreisen mit Bienenwachskerzen an der Decke hindurch und vorbei an den deckenhohen Fenstertüren, die hinaus in den Garten führten. Doch dann zog etwas anderes Annas Aufmerksamkeit auf sich, und sie hätte beinahe den Fächer fallen lassen.

Direkt hinter der strahlenden Miss Crabtree traten Drake und ihre Schwester in die Nacht hinaus.

Ihr Herz wurde schwer; sofort wandte sie sich in diese Richtung, gegen den Strom suchte sie den Weg zwischen Sesseln und Menschen und der Unmenge von Zierpflanzen hindurch und hinaus auf die Veranda; doch Lucy und Lockhart waren nirgends zu sehen.

Ungeachtet der Pärchen um sie herum blieb Anna minutenlang dort stehen und überlegte, ob sie in den Garten hinausgehen und die beiden einfach zur Rede stellen oder lieber hoffen sollte, dass es nicht so war, wie es aussah, und in den Ballsaal zurückkehren. Doch da sie befürchtete, dass ihr Herz den Anblick der beiden, die sich im Mondschein in den Armen lagen, nicht ertragen würde, senkte sie schließlich den Kopf, machte kehrt und ging zurück durch die Fenstertüren – und stieß um ein Haar mit Miss Crabtree zusammen, die, einen leichten Schweißfilm auf der Stirn, von einem Ohr zum anderen lächelte. »Miss Addison!«, rief sie beschwingt und sehr deutlich. »Ich wusste gar nicht, dass Ihr heute Abend hier seid!«

Anna riss sich zusammen. »Diesen Ball wollte ich um nichts in der Welt versäumen«, sagte sie und lächelte Miss Crabtree an. Und oh! – der schottische Earl stand hinter ihr. Ihr Blick wanderte hinauf bis zu seinen dunklen Brauen. Die eine war amüsiert weit über seine grünen Augen hochgezogen.

»Hattet Ihr schon das Vergnügen, Lord Ardencaples Bekanntschaft zu machen?«, fragte Miss Crabtree, und Anna konnte nur den Kopf schütteln, während ihr Blick an seinen Lippen haften blieb.

»Darf ich Euch bitte meine gute Freundin, Miss Addison, vorstellen?«

Irgendwie gelang es Anna, die Hand zu heben und in einem Knicks zu versinken. Er lächelte freundlich, nahm ihre Hand in seine große, beugte sich darüber und streifte mit den Lippen ihre Fingerknöchel. »Ich freue mich sehr, Eure Bekanntschaft zu machen, Miss Addison«, sagte er mit einem hübschen, schmeichelnden Akzent.

Den Blick auf sein Lächeln geheftet, auf diese Lippen, diese schönen, männlichen Lippen, hauchte Anna: »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Mylord.«

Er zog interessiert die Braue hoch, doch Anna konnte nicht sprechen, konnte sich kaum bewegen. Lord Ardencaple verlagerte sein Lächeln auf Amelia Crabtree. »Wollen wir ein wenig an die frische Luft gehen, Miss Crabtree?«

»Aber mit Vergnügen«, sagte sie und strahlte ihn an.

»Würdet Ihr uns dann bitte entschuldigen, Miss Addison?«, fragte er.

Zu verblüfft, um sprechen zu können, nickte Anna hilflos und trat beiseite. Im Vorbeigehen lächelte der Earl sie an, und Anna konnte ihren Blick nicht von seinem Mund losreißen.

Es waren ungewöhnliche Lippen für einen Mann, voll und prall und ziemlich verlockend, und Anna musste es wissen – diese Lippen würde sie ihr Leben lang nicht vergessen, hatte praktisch täglich an sie gedacht, seit sie vor einem Jahr auf dem Ball der Lockharts ein fast identisches Lippenpaar geküsst hatte.

Kapitel 4

Nachdem er seit seiner Ankunft in London vor etwa einem Monat bereits die sechste Amelia kennengelernt hatte, gelangte Grif allmählich zu der Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe offenbar bedeutete, dass die armen Damen ziemlich jung und unscheinbar oder alt und fett waren. Diese hier, Gott segne sie, war sogar noch unscheinbarer als die erste junge Amelia, die immerhin ziemlich gesellig gewesen war, was ihre große Hakennase und den winzigen Mund wieder wettgemacht hatte.

Keine der Amelias, die er bislang kennengelernt hatte, war mit Lady Battenkirk bekannt. Doch in diese Amelia setzte Grif große Hoffnungen.

Sie schwebte praktisch an seiner Seite dahin, als sie durch die Gärten spazierten. Wie es aussah, bot sich Miss Crabtree nur selten die Gelegenheit zu einem solchen Spaziergang, und der Art nach zu urteilen, wie ihre kleine Hand sich in seinen Arm krallte, musste Grif fürchten, dass es nicht leicht sein würde, sich ihrer Gesellschaft wieder zu entziehen. Also brachte er es besser schnell hinter sich.

»Ein schöner Mond, aye?«, fragte er und blickte zu dem wässrigen Halbmond hinauf, den der Rauch aus Tausenden von Schornsteinen verdunkelte.

»Oh, Mylord, ich glaube, es ist der schönste Mond, den ich je gesehen habe!«, rief sie begeistert.

Wenn es wirklich der schönste Mond war, den sie je gesehen hatte, besaß sie sein tiefstes Mitleid, denn wie sämtliche anderen verdammten Engländer hatte auch sie offenbar keine Ahnung, zu welchen Träumen der große milchweiße Mond einem verhelfen konnte, wenn er reif und voll über Talla Dileas hing. Das Mädchen würde denken, es wäre durch die Pforten des Paradieses direkt in den Himmel gelangt.

»Es ist schon erstaunlich, dass der Mond an verschiedenen Orten so unterschiedlich aussehen kann. Wart Ihr mal im Ausland, Miss Crabtree?«

Sie blinzelte mit kleinen blauen Augen. »Im Ausland? Ah … Meine Familie verfügt über einen Landsitz in Yorkshire. Mal wohnen wir dort, mal hier.«

»Weiter gereist seid Ihr noch nicht?«

»Nein?«, antwortete sie fragend und nagte an ihrer Unterlippe, als hätte sie Angst, er könnte verärgert sein, weil sie sich noch nicht weiter in die Welt hinaus gewagt hatte.

Grif war es letzten Endes völlig gleichgültig, ob sie nicht weiter als bis zum Damensalon gereist war oder nicht. »In der weiten Welt gibt es viel zu sehen. Das erfahrt Ihr sicher aus den Berichten Eurer Freunde, die ins Ausland reisen.«

»Mag sein … Ja, natürlich!«

»Vermutlich bringen sie Euch gelegentlich eine Kleinigkeit mit?«

»Eine Kleinigkeit?«

»Kleine Geschenke.«

Sie nagte heftiger an ihrer Lippe. »Nun ja … Vermutlich würden sie das tun. Das heißt, wenn sie sehr weit reisen würden. Aber jetzt in der Saison sind meine Freunde ziemlich fest in London verwurzelt«, sagte sie mit einem unsicheren Lächeln.

»Wirklich alle?«

Sie nickte.

Grif lächelte. »Kennt Ihr vielleicht eine Lady Battenkirk?«

Miss Crabtrees Augen wurden groß vor Staunen. »Lady Battenkirk!«, rief sie. »Natürlich habe ich von ihr gehört, aber … aber ich kann sie eigentlich nicht zu meinen Bekannten zählen.«

Verdammt noch mal