Himmel, Polt und Hölle - Alfred Komarek - E-Book

Himmel, Polt und Hölle E-Book

Alfred Komarek

4,9

Beschreibung

TÖDLICHER BESUCH AUS DER VERGANGENHEIT. Polt ermittelt im Weinviertel. MORD IM PFARRHAUS: In den Weinkellern des idyllischen Wiesbachtals im Weinviertel treibt sich nicht nur Kult-Gendarm Simon Polt herum, seit Kurzem ist auch der spitzzüngige Gourmet Hafner zugegen. Er speist bei der Pfarrersköchin - die kurz darauf an einer Tollkirschenvergiftung stirbt. Als Polt die Ermittlungen aufnimmt, wird deutlich: Die Pfarrersköchin hat es mit dem Gebot der Nächstenliebe besonders genau genommen - Hafner ist nicht der einzige verflossene Liebhaber, der als Täter in Frage kommt. ALFRED KOMAREK - DER ERFINDER DES ÖSTERREICH-KRIMIS Alfred Komarek hat mit seinen Romanen, die ebenso Krimi wie Milieustudie sind, österreichische Krimigeschichte geschrieben. Alle fünf Fälle von Simon Polt wurden erfolgreich verfilmt, die Hauptrolle spielt Erwin Steinhauer. Besonders ist vor allem die einzigartige Ermittlerfigur Simon Polt. Mit Witz, Charme und Gemütlichkeit schreitet er unbeirrt zur Tat, wann immer es darum geht, ein Verbrechen aufzuklären. LESERSTIMME: "Liebe geht bekanntlich durch den Magen, heißt es. Allzubunt hat es auch die Pfarrersköchen getrieben - hat sie etwa zu viele Männerherzen eingekocht? Ein spannender Regionalkrimi, der das Leben und die Menschen rund um das Weinviertel beschreibt." ALFRED KOMAREKS POLT-KRIMIS: Polt muß weinen Blumen für Polt Himmel, Polt und Hölle Polterabend Polt Zwölf mal Polt

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Titel

Alfred Komarek

Himmel, Polt und Hölle

Kriminalroman

Sommerspiele

Simon Polt spürte rauhe, rissige Rinde unter seiner Hand. „Wie alt wird so ein Nußbaum?“

„Weiß ich nicht genau.“ Friedrich Kurzbacher schaute zum Blätter­dach hinauf. Kaum ein Sonnenstrahl drang durch, aber der Schatten glühte in der Hitze, die seit Wochen über dem Land lag. „Fünfzig, sechzig Jahre, ein Menschenalter vielleicht. Den da hat mein Vater gepflanzt, als ich zur Welt gekommen bin. Aber der Baum ist nicht mehr gut beieinander, seit ihn vor drei Jahren der Frost beim Austreiben erwischt hat.“

Polt nickte langsam und griff in eine Höhlung des Stammes, an deren Rändern die Rinde auseinanderklaffte wie eine offene Wunde. Er zerrieb morsches Holz zwischen Daumen und Zeigefinger. „Wär schade um ihn, nicht wahr?“

„Eigentlich sollt ich ihn umsägen. Aber so lang er noch austreibt, im Frühjahr …“ Kurzbacher schaute zum Weingarten hinüber, der vor seinem Preßhaus lag. Über den Reben zitterte die Luft. „Regen könnten wir brauchen. Wenn das so weitergeht, gibt’s eine Notreife.“

„Und das bedeutet?“

„Wässrige Beeren, dünne Weine.“

„Gott bewahre!“

Kurzbacher schmunzelte. „Wenn’s um den Wein geht, wird er sogar fromm, der Herr Gendarm. Trinken wir was?“

„Weiß nicht recht, ich vertrag nicht viel bei der Hitze.“

„Dann eben wenig.“ Der Weinbauer ging auf die offene Preßhaustür zu, und Polt folgte ihm.

Nur den Sommer über war der Aufenthalt in den Preßhäusern wirklich angenehm. Im Herbst gab es jede Menge Arbeit hier, im Winter war es in den kleinen, weißgekalkten Gebäuden eiskalt, und die dicken Mauern hielten die Kälte auch noch im Frühjahr fest. Im Sommer aber blieb die Hitze draußen, und drinnen war es fast so kühl wie in einer Kirche. Polt empfand auch jedesmal so etwas wie unheilige Andacht, wenn er ein Preßhaus betrat. Das mochte am eigentümlichen Geruch liegen, gemischt aus altem Holz und Wein, aber auch die Ausstattung des Raumes hatte damit zu tun. Was der Mensch hier so brauchte, um es bequem zu haben, einen Tisch und irgendwelche Sitzgelegenheiten, war nicht weiter wichtig. Dafür mußten Möbelstücke herhalten, die für den Bauernhof schon viel zu schäbig waren. Aber alle Behältnisse und Gerätschaften, die den Weg der Trauben zum Wein begleiteten, standen würdig und ordentlich da, wie für ein erstarrtes Ritual, das erst wieder zur Zeit der Lese seinem Jahr für Jahr gleichen Ablauf folgen würde.

Das galt besonders für Preßhäuser wie das von Friedrich Kurzbacher, wo noch eine alte Baumpresse den Raum beherrschte. In den mächtigen Preßbalken war eine Jahreszahl eingeschnitzt: 1779. Damals war Österreich noch eine Monarchie, und die Bauern mußten sich in das Diktat der Grundherren fügen. Die Gegenwart war durch einen kleinen Wandkalender vertreten, Geschenk der Aloisia Habesam, überaus gut sortiert in Gemischtwaren und Gerüchten. Polt kannte solche Kalender aus seiner Kindheit. Über einem dicken Block mit einem Abreißzettel für jeden Tag des Jahres tanzten zwei Zwerge aus erhaben geprägtem Karton.

Er hörte die Stimme seines Freundes von der Kellertür her. „Macht’s was? Ich hab eine Flasche Grünen Veltliner offen.“

„Schon gut!“ Polt hatte Durst und nicht nur Durst. Er hatte auch so richtig Lust auf diesen jungen, spritzigen Wein. „Halbvoll“, sagte er trotzdem vorsichtig.

Der Kurzbacher füllte das Glas bis zum Rand. „Die obere Hälfte, wenn’s recht ist.“

Sein Gast neigte heiter resignierend den Kopf und nahm einen kräftigen Schluck. Der frische Geschmack von Trauben füllte den Mund, berührte leichthin den Gaumen, und kehrte für einen kleinen, verführerischen Abschied wieder. Polt seufzte, streckte behaglich die Beine unter dem Tisch aus, senkte seine Nase und genoß den Duft, der ihn an sonnenheißes Weinlaub erinnerte, an warm leuchtende Herbsttage in der Kellergasse. Das Glas war angenehm kühl in seiner Hand, im strohgelb leuchtenden Wein tanzten hellgrüne Lichter.

Die zwei Männer tranken eine gute Weile schweigend und ließen die Stille reden, mager und faltig der alte Weinbauer, der Gendarm von achtungsgebietender Leibesfülle.

Friedrich Kurzbachers Preßhaus stand ein wenig abseits der großen Brunndorfer Kellergasse für sich allein. Auf dem schmalen Güterweg, der sachte ansteigend vom Talboden zum Waldrand am Grünberg führte, gab es wenig Verkehr. In den Weingärten ringsum wurde um diese Zeit kaum gearbeitet, und die Getreidefelder waren abgeerntet. Hier fiel es Simon Polt leicht, daran zu glauben, daß die Zeit einfach den Atem anhielt, um einem Gendarmen und seinem Freund Ruhe zu gönnen.

Eigentlich gab es keinen wirklich ernstzunehmenden Grund dafür, den mittlerweile unendlich schwer gewordenen Hintern jemals wieder zu heben. Immerhin hob Polt sein Glas und schaute ins blendend helle Sonnenlicht, das durch die Tür und die kleinen Fensteröffnungen drang. „Ein Sommertag und dein Grüner, Friedrich, da fehlt nicht viel zum Paradies!“

„Jaja, der Wein paßt schon in diesem Jahr. Aber vor ein paar Tagen hab ich einen Veltliner vom Höllenbauern gekostet …, da kommt unsereiner nicht mit.“

„Glaub ich nicht“, sagte Polt, um dem Kurzbacher eine Freude zu machen.

„Dann verstehst nicht viel.“

„Auch wieder wahr“, gab der Gendarm friedlich zu. „Weißt du übrigens, daß unser Kirchenwirt, der Franzgreis, einen Zimmergast hat?“

„Nein. Was für einen?“

„Einen Wiener. Angeblich will er über unseren Wein schreiben.“

„Soso.“ Der Weinbauer hatte nicht richtig hingehört, weil ihn etwas ablenkte. Sepp Räuschl stand in der Türöffnung und wartete schweigend.

„Trinkst vielleicht auch was?“ fragte der Kurzbacher nach einer Weile.

Noch immer wortlos trat der Besucher näher, nahm Platz, griff nach dem gefüllten Glas, kostete, nickte anerkennend und grinste.

„Ist was?“ fragte Polt.

Räuschl trank noch einmal und wischte sich mit der Hand über den Mund. „In der Nacht! Wissen S’ das noch nicht, Herr Inspektor?“

„Ich war nicht im Dienst.“

„Jemand hat vors Gemeindeamt von Burgheim geschissen. Genau vor die Eingangstür.“

„Und?“

„Die Gemeindearbeiter haben’s weggeräumt, zu dritt. Tun ja alles miteinander. Auch das Saufen.“

„Da hat’s aber einer sehr eilig gehabt.“ Kurzbacher griff nach der geleerten Flasche. „Ich hol einen Frischen.“

Räuschl wandte sich an den Gendarmen. „Wenn Sie mich fragen, Herr Inspektor, Notfall war das keiner.“

„Sondern?“

„Was weiß ich. Vielleicht einer von den Jungen. Die sind ja mit dem Bürgermeister übers Kreuz seit diesem, diesem …, na …“

„Clubbing?“

„Jaja, in der Art. Möchte wissen, wer so was braucht auf dem Land. Früher hat’s ein Kirtag auch getan.“

„Mit Rauferei, nicht wahr?“

Inzwischen war der Kurzbacher aus dem Keller zurückgekommen, öffnete die mitgebrachte Flasche, schenkte nach und holte aus einer altmodischen Einkaufstasche Brot und Speck. „Zugreifen, Leute! Viel ist es nicht, war nur für mich gedacht.“

Die drei Männer aßen und tranken und redeten und tranken. Das Sonnenlicht draußen wurde rötlich und erlosch, die langen Schatten versickerten in der Dämmerung, dann wurde es Nacht. Kurzbacher hatte Licht gemacht.

Irgendwann trat Polt ins Dunkel vor dem Preßhaus, um Wasser zu lassen. Er schrak zusammen, als er neben sich eine leise Stimme hörte. „Herr Inspektor! Ist es gestattet?“

Der Gendarm kannte die Stimme und er kannte den Geruch. Kein Zweifel: Bruno Bartl stand neben ihm. Polt schob ihn ins Preßhaus. „Der Bruno ist am Verdursten, Friedrich!“

„Na, so was!“ Kurzbacher füllte ein Glas, Bartl trank es in einem Zug leer und hielt es mit bittender Gebärde dem Weinbauern hin. Nach dem dritten Glas wurde er ruhiger und setzte sich zu den Männern an den Tisch. Er wohnte unter erbärmlichen Verhältnissen in einer Weingartenhütte, und sein Alltag bestand seit vielen Jahren nur darin, sich irgendwo und irgendwie den täglichen Rausch zu holen. Aber Bartl war ein ruhiger und umgänglicher Mensch mit besseren Manieren als so mancher im Dorf, darum ließ man ihn leben, wie er es wollte. Polt schaute ihm nachdenklich ins Gesicht. Normalerweise zeigte es um diese Zeit nur noch betrunkenen Frieden. Doch diesmal meinte Polt etwas Unruhiges, Gequältes zu erkennen. „Muß ich mir Sorgen machen, Bruno?“

Bartl senkte den Blick. „Angst hab ich. Angstvoll viel Angst.“

„Ja, und was oder wer macht dir Angst?“

Bartl hob den Kopf und schaute Polt aus ungewohnt klaren Augen an. „Ich. Ich mach mir Angst.“

Räuschl lachte, und Kurzbacher legte Bartl den Arm um die schmalen Schultern. „Wie bringst du denn das fertig?“

Bartl schwieg lange. Dann schob er sein leeres Weinglas von sich und faltete die grindigen Hände. „Mein ist die Rache, spricht der Herr.“

Polt beugte sich überrascht vor. „Und von wem hast du das?“

„Vom lieben Gott.“

„Gar so lieb klingt das aber nicht.“

„Nein.“ Bartl war aufgestanden, eine kleine, elende Gestalt. „Das ist nämlich so: Ich wachse mir über den Kopf, himmelhoch über den Kopf. So ist das.“ Dann ging er.

Kurzbacher schaute ihm nach. „Der will sich wichtig machen, was?“

Der Gendarm seufzte. „Wenn ich das nur wüßte.“

Morgengrauen

Gegen vier Uhr früh wachte Simon Polt auf. Er war nackt, das Flanell­leintuch, mit dem er sich zugedeckt hatte, lag zusammengeknüllt neben ihm. Das Beste an seinem unruhigen Schlaf waren die Träume gewesen. Erstaunlich, zu welchen erotischen Ausschweifungen sein Unterbewußtsein fähig war.

Durch das offene Fenster klangen Vogelstimmen. Es war noch immer sehr warm.

Indes hatte Czernohorsky, Polts roter Kater, erkannt, daß sein Mitbewohner und Ernährer aufgewacht war. Er miaute fordernd und bearbeitete mit seinen dicken Pfoten die geschlossene Schlafzimmertür.

„Ruhe, geschwänztes Monstrum!“

Czernohorsky intonierte einen Schrei, der das ganze Leid der gequälten Kreatur in einem mißtönenden Crescendo vereinte.

Polt resignierte. Kaum eine halbe Stunde später saß er am Frühstückstisch, neidvoll beobachtet von seinem nur einigermaßen gesättigten Kater.

Bis zum Dienstantritt um acht war noch Zeit. Der Gendarm entschloß sich zu einem kleinen Morgenspaziergang. Leise, um die Höllen­bauern, bei denen er wohnte, nicht zu wecken, verließ er das Haus.

Der Höllenbauerhof stand in Burgheim, kaum zwei Kilometer von Brunndorf entfernt, wo der Kurzbacher zu Hause war. Brunndorf war immer klein gewesen. Burgheim hingegen hatte es in der Vergangenheit zur Stadt gebracht. Viel war von dieser, ohnedies sehr bescheidenen Bedeutung nicht geblieben. Aber nach wie vor hatte ein Notar sein Büro hier, und Polts Dienststelle gab es allen Rationalisierungsbemühungen zum Trotz immer noch.

Polt mochte den frühen Morgen recht gern, dieses zögernde Licht, in dem noch eine Ahnung von Nacht war. Gemächlichen Schrittes ging er am Kirchenwirt vorbei und am Gemeindeamt, wo er die Bekanntmachungen studierte, die in einem kleinen verglasten Kästchen mit Heftklammern befestigt waren. Ein Grundstück war zur öffentlichen Versteigerung ausgeschrieben. Der Gendarm wußte, daß es – noch – dem Firmian Halbwidl gehörte. Als Bub war Polt mit ihm zur Schule gegangen, und Jahr für Jahr war Firmian der Klassenbeste gewesen. Doch später konnte er mit seinem Schulwissen nur noch wenig anfangen. Als Weinbauer kam er mehr schlecht als recht durch. Immerhin hatte er es aber zum Mesner gebracht, zum „Sakristeidirektor“, wie die Leute sagten, und darauf war Firmian merklich stolz.

Als sich Polt der Stelle näherte, wo die Burgheimer Kellergasse in die Hauptstraße des Ortes mündete, sah er ein offenbar vielfüßiges Wesen auf sich zukommen. Bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, daß drei Männer einander um die Schultern gefaßt hielten und so jeder jedem Halt gab. Nach unten verästelte sich die kompakte Dreieinigkeit allerdings in ein unsicher bewegtes Gewirr von Beinen. Als einer der Männer SimonPolt erkannte und die rechte Hand grüßend erhob, wurde das komplizierte Zusammenspiel der Schritte für einen Augenblick empfindlich gestört. Schnell und beinahe lautlos kam der Dreifachmensch zu Fall.

Polt half den betagten Weinbauern, die zusammen wenigstens zweihundert Jahre alt waren, auf die Füße. „Na, ihr Helden?“

Jetzt waren die Männer zu viert, und weil einer energisch und nüchtern die Richtung angab, erreichten auch alle anderen ihr Ziel. Nach vollbrachter Tat war Polt wieder allein. Er stand vor dem Kriegerdenkmal des Ortes. Auf einem mächtigen Sockel lag ein sterbender Löwe, der ein lautloses letztes Brüllen ausstieß. Der Gendarm glaubte, darin so etwas wie grimmige Befriedigung zu erkennen. Letztere galt wohl der Fürsorge, die der Burgheimer Kameradschaftsbund seinem steinernen Raubtier seit jeher angedeihen ließ. Am semmelblonden Schutzanstrich wurde nie der geringste Makel geduldet, und neuerdings hatte man unter gewaltiger Kraftanstrengung den Sockel, der vordem parallel zur Straße gestanden war, ein wenig gedreht. Diese neue Position gab dem Denkmallöwen unbestritten eine gewisse Dynamik.

„Der schaut so drein, als hätte er gestern im Keller ein Glas zu viel erwischt, hab ich recht?“

Polt hatte gar nicht bemerkt daß jemand neben ihm stand. „Nur keine Respektlosigkeiten!“ Er schaute dem frühen Spaziergänger ins Gesicht. „Sie wohnen im Kirchenwirt, nicht wahr?“

„Wohnen? Meine Fürstensuite hat ungefähr die Maße einer Einzelzelle im Gefängnis, aber bei weitem nicht deren Komfort. Wie auch immer. Heinz Hafner ist mein Name, wenn ich mich recht entsinne. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Simon Polt, ich bin Gendarm hier.“

„Im Augenblick offensichtlich außer Dienst.“ Hafner machte eine unbestimmte Handbewegung. „Wissen Sie, was ein Scribomane ist?“

„Nein.“

„Dachte ich mir fast. Ein zwanghaft Schreibender. Ich bin so einer. Schreibe immer, wenn ich mich nicht gerade sinnvoll betrinke oder mich angesichts schöner Frauen bloßstelle, durchaus auch im konkreten Sinne des Wortes. Schreiben macht mich reich, berühmt und schön. Die elitärste Freß- und Saufpostille des Landes wäre ohne mich längst verhungert oder verdurstet.“

„Und was treibt Sie auf die Straße, so früh am Morgen?“

„Die betäubende Wirkung des Trebernbrandes vom Kirchenwirt hat nicht lange genug angehalten. Nach nicht einmal vier Stunden war ich wach. Da bin ich eben losgezogen, um dieses ländliche Niemandsland mit herrlichen Gedanken und unsterblichen Zeilen zu beschenken. Da, sehen Sie.“ Hafner zog ein Gerät in der Größe eines flachen Notizblocks aus der Rocktasche. „Termine und Adressen, Wörterbücher und Rechner, Projektorganisation und Textverarbeitung. Internet natürlich.“

„Und Sie werden über den Wein im Wiesbachtal schreiben?“

„Auch, Herr Gendarm, auch.“

„Da gibt es für Sie in unseren Kellern viel zu entdecken!“

„Das fürchte ich allerdings.“

Die beiden waren redend ein paar Schritte gegangen. Dann blieb Hafner stehen und zog Polt am Hemdärmel. „Zeit für eine dienstliche Wahrnehmung, mein Freund!“

„Was meinen Sie damit?“

„Richten Sie das Auge des Gesetzes auf das Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr! Sehen Sie nichts im Fenster?“

Polt schaute angestrengt und glaubte, ein Flackern zu erkennen. Rasch trat er näher. Tatsächlich. Da war Feuer im Zeughaus. Flammen züngelten aus einem Haufen Uniformen, der auf dem Boden lag.

„Originell.“ Heinz Hafner stand neben ihm und hatte sein Handy gezückt. „Soll ich den Feuerwehrnotruf wählen? Haben Sie übrigens das hier bemerkt?“ Er zeigte auf eine kleine Kreidezeichnung auf der Mauer, die einen Hut mit Feder darstellte. „Paßt irgendwie nicht in die Gegend, hm?“

„Ja. Nein.“ Polt warf noch einen Blick auf das Feuer. Es machte einen recht harmlosen Eindruck. „Rufen Sie lieber nicht an. Und entschuldigen Sie mich für ein paar Minuten.“ Er lief zur nahen Telefonzelle und wählte die Privatnummer des Burgheimer Feuerwehrkommandanten.

„Ja? Weinwurm. Was ist los, zum Teufel?“

„Ich bin’s, Simon Polt. Im Zeughaus brennt es, Edi!“

„Bist besoffen oder wie?“

„Schön wär’s. Du, das schaut mir nach einem Bosheitsakt aus. Wenn ich jetzt Meldung mache und ihr offiziell ausrückt, lacht morgen das ganze Wiesbachtal. Zieh dich an, komm her und tu was dagegen!“

„Und du willst mir keinen blöden Streich spielen, Simon?“

„Nein. Verdammt noch einmal.“

„Also gut.“

Das Feuer war rasch gelöscht, und der Gendarm wollte Heinz Hafner noch bitten, nicht darüber zu reden. Doch vorerst konnte er ihn nirgends sehen. Dann entdeckte er ihn hinter dem Kriegerdenkmal. Er hielt sein wunderliches Gerät schräg ins Morgenlicht und tippte mit einem kleinen, schwarzen Stift unglaublich schnell auf den Bildschirm.

Seltsamer Mensch, dachte Polt. Wie ein Motor, der zu hoch dreht. Dann ging er auf Hafner zu. „Darf ich kurz stören?“

„Sie möchten sicher, daß diese possierliche Feuersbrunst unter uns bleibt.“

„Ja.“

„Die Freude kann ich Ihnen machen. Und wäre ich eine gute Fee, hätten Sie noch zwei Wünsche offen.“

„Man kann nicht alles haben.“

„Wem sagen Sie das.“

Auf dem Weg nach Hause blieb Polt noch einmal vor dem Gemeindeamt stehen. Der Asphalt vor der Eingangstür war gesäubert. Doch den kleinen, mit Kreide gezeichneten Hut an der rechten unteren Ecke der Tür hatte wohl niemand bemerkt.

Um acht betrat Polt mit mäßigem Diensteifer die Wachstube. „Guten Morgen! Ist der Chef da?“

Inspektor Holzer hob müde den Kopf. „Grüß dich, Simon. Er hat Besuch. Die Karin Walter wollte mit ihm reden. Unser Verkehrsunterricht in der Schule, du weißt schon. Wahrscheinlich balzt der Alte jetzt wie ein Auerhahn.“

„Wenn er nicht gerade eine Leberkässemmel in Arbeit hat.“

Mißmutig schaute Polt aus dem Fenster, wartete und fragte sich, was es denn da so endlos zu besprechen gäbe. Er hatte gerade den Entschluß gefaßt, mit irgendeiner Ausrede ins Büro seines Dienststellenleiters vorzudringen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er fuhr herum und stand der jungen Lehrerin gegenüber. „Karin!“

„Hallo, Simon. Können wir rasch ein paar Sätze reden, ungestört?“

Ernst Holzer grinste, stand auf und ging.

„Also, was ist?“

„Es geht um den Fürst Franzl, du kennst ihn ja.“

„Den Lehrer? Natürlich.“

„Hat sich was mit Lehrer! Er ist gekündigt worden, vor ein paar Wochen schon. Alle haben ihn gemocht, Kinder, Eltern, Kollegen. Niemand hat ihm seine Verrücktheiten übelgenommen und seine oft recht extremen Standpunkte. Aber die Sauferei hat ihn kaputtgemacht, Simon. Er war einfach nicht mehr tragbar.“

Polt nickte. „Sein Zimmer im Gemeindehaus hat er ja auch verloren. Wohnt jetzt in der Burgheimer Kellergasse, soviel ich weiß.“

„Wohnen ist übertrieben, Simon. Aber seine Verwahrlosung wär nicht das Schlimmste. Er ist dabei, sich aufzugeben, will einfach nicht mehr. Und wenn ich ihm gut zureden will, macht er mir Komplimente und spielt mir den fröhlichen Luftikus vor.“

„Und wenn ich mit ihm rede?“

„Wer weiß, vielleicht funktioniert das besser, von Mann zu Mann. Danke, Simon!“Karin strich ihm mit den Fingerspitzen über das schlecht rasierte Kinn.

„Eine Dienstauffassung ist das, ich muß schon sagen!“ Von der Tür her klang die kräftige Stimme der Aloisia Habesam.

Polt räusperte sich. „Guten Morgen. Was kann ich tun für Sie?“

„Mir zum Beispiel sagen, warum Sie so einen roten Kopf haben, Herr Inspektor Polt. Und warum eine Junglehrerin die Schule schwänzt. Aber darum geht’s nicht.“

„Sondern?“

„Dieser Bruno Bartl war heute in meinem Geschäft. Ich hab lüften müssen nachher.“

„Und?“

„Wenn wer fragt, dann ich! Und ich möchte wissen, woher er das Geld gehabt hat.“

„Wofür denn, Frau Habesam?“

„Für ein Küchenmesser. Ein großes, scharfes. Und ganz verliebt angschaut hat er’s.“

Das Faß des Diogenes

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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