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Im flackernden Schein eines unverzagten Hindenburglichts wetteifern historische, politische und satirische Zwischenrufe, Kurzgeschichten und Gedichte um die Gunst von sezessionistischen Denkern und echten Typen, die in verborgenen Ecken und im Schutze der Nacht den Geist der Freiheit wach halten und sich von keiner diesseitigen Macht das Recht auf eine eigene Meinung nehmen lassen. Geschrieben von einem Grenzgänger, der als Handwerksmeister sowie auch als Mensch überzeugter Traditionalist ist, der die alten Tugenden anmahnt und sie mit den ebenso süßlichen wie auch hohlen Verheißungen der Moderne in Abgleich bringt.
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Seitenzahl: 122
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Vorwort
Kurzgeschichten
Biedermann geht auf die Straße
Kameradenschwein am Grappa
Kongress
Nach, in und um Grindelwald - Reisebericht und Beobachtungen aus der "EU-freien Zone"
Trinkgeld
Zwischenrufe aus der Backstube
Wo kein Wille ist...
König Kunde
Ehre, wem Ehre gebührt
Machen Sie das wirklich so?
Bodenständigkeit in bodenlosen Zeiten
Schweiz - Vorbild und Warnung
Eine Frage des Charakters
194 Tonnen (= 194.000 kg)
Von den Ehrlichen - und den Anderen
Vom Mittelstand
Sonntag ist Familientag!
Vom Backen
Deutschlands bester Bäcker...
Deutsche, hört die Signale!
Ein Stückchen Kindheit
Weihnachtsbotschaft
Vollkorn - wieder ganz aktuell
Nur "gut finden" reicht nicht!
Gesellschaft ohne Schlaf
Ausgenudelt...
Milchpreis-Katastrophe
Greifen Sie zum Messer!
Handwerkerstolz
Mohnskandal – oder warum Geiz eben nicht geil ist
Deutschland – Brotland
Ex oriente lux
Lyrik
Auf dem Rothaarsteig
Baum-/Stamm/-Baum
„Benannt nach dem Oberkommandierenden des deutschen Heeres Paul von Hindenburg, wurde es in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges, dann aber auch im Zweiten Weltkrieg im Luftschutzkeller oder bei Stromsperre oder Verdunkelung als Notbeleuchtung eingesetzt.
Es bestand aus einer flachen Schale aus Pappe von ca. 5 bis 8 cm Durchmesser mit einem 1 bis 1,5 cm hohen Rand. Die Form ähnelte dem Deckel eines Schraubglases. Die Pappe war mit Fett getränkt, dadurch wasserabweisend und einigermaßen formstabil. Diese flache Schale war gefüllt mit einem wachsähnlichen Fett (Talg). Ein kurzer, breiter Docht in der Mitte wurde angezündet und brachte für einige Stunden Licht. Nach kurzer Zeit war das Fett geschmolzen. Damit der Docht nicht umfiel, steckte er in einem Fuß aus geeignetem Material.
Der allgemein bekanntere Nachfolger des Hindenburglichtes ist das heute weit verbreitete Teelicht.“
1 Seite „Hindenburglicht“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. August 2015, 18:49 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hindenburglicht&oldid= 145502579 (Abgerufen: 20. November 2016, 08:47 UTC)
„Das Volk, das im Dunkel lebt,
sieht ein helles Licht;
über denen, die im Land der Finsternis wohnen,
strahlt ein Licht auf.“
- Jesaja 9,1 -
(Bibel, Einheitsübersetzung)
Wir leben in einer Zeit, in der jeder zu allem eine Meinung hat und – vor allem im Internet – auch nicht zögert, diese lauthals kundzutun. Doch die Kakophonie dieser massenhaften Meinungsäußerungen übertüncht, wie es hinter der Fassade aussieht. Die Vitalität der Meinungsfreiheit in einer Demokratie lässt sich eben gerade nicht anhand rein quantitativer Gesichtspunkte messen, sondern drückt sich durch Qualität und Vielfalt aus. Und daran mangelt es zunehmend.
Auch wenn es - noch - übertrieben scheint, von einer „Tabuisierung fast aller Themen“ zu sprechen, ist es doch bedenklich, dass in der Tat „wahnsinnig wenig an Courage“ vorhanden zu sein scheint, die „ganz engen Meinungskorridore“ wieder zu weiten.2
Eine infame Mischung von „Zuckerbrot und Peitsche“ sorgt dafür, dass der sich eigentlich frei und selbstbestimmt wähnende Bürger zum Spielball sich regelmäßig ändernder Ansichten, Interessen und Regeln wird. Nichts ist mehr wahr, nichts ist mehr rein, nichts ist mehr sicher. Es regiert die „Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt, und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt“.3 Das damit verbundene Schwinden von Diskursfähigkeit und gegenseitiger Akzeptanz hat inzwischen Teile der Bevölkerung an die politischen Ränder getrieben.
Stiften wir der Meinungsfreiheit zum Gedenken eine kleine Kerze – ein Hindenburglicht!
2 Zitate von Arnulf Baring (Historiker und Publizist), getätigt in der „Münchner Runde“ im Bayerischen Rundfunk, Video am 06.01.2013 auf youtube.de veröffentlicht
3 Kardinaldekan Joseph Ratzinger, Predigt v. 18.04.2005, Vatikan
Stuttgart, Hauptbahnhof: ein Riesengewusel. Habe noch über eine Stunde Zeit, und mache das, was ich bei solchen Gelegenheiten immer tue - die Bahnhofsbuchhandlung aufsuchen. Wenig überraschend entdecke ich bald ein Buch, das gefällt. Es handelt sich um ein schon etwas abgegriffenes Ansichtsexemplar, ein neues ist nicht mehr da. Auf meine Frage nach einem Rabatt für das Mängelexemplar wird mir erklärt, dass heute niemand da sei, der genug Verantwortung habe, so etwas entscheiden zu können. Ich solle morgen wieder kommen. Der Vorfall erscheint mir geradezu symptomatisch: Früher stand hinter jedem Tresen der Chef, bzw. war zumindest in Rufweite. Heute gibt es immer mehr Ketten und die persönliche Verantwortlichkeit verschiebt sich immer weiter nach hinten und nach oben. Eine Entwicklung, die bei weitem nicht nur die Wirtschaft, sondern vor allem auch die Politik und die Verwaltung betrifft. Der Staat nimmt einem alles ab - jeglichen Entscheidungsdruck und jegliche Freiheit.
Ich bin hier, weil ich mich dagegen wehren will.
Auf dem Vorplatz: Lauter schräge Vögel lungern herum, die teils seltsamste Geräusche ausstoßen, ohne Rücksichtnahme auf die Menschen drumherum, ohne Sorge über deren Reaktion. Vielleicht Vielfalt - wahrscheinlich Wahnsinn.
Willkommen in der Großstadt!
Richtung Schlossplatz immer mehr Polizei. Kolonnen Uniformierter schieben sich durch die Straßen, den schweren Schutzhelm mit Plastikvisier am Gürtel, daneben Gummiknüppel und Pistole, die inzwischen obligatorische Nummer ihrer Einheit auf dem Rücken klebend, die Unterschenkel und Knie mit wuchtigen Beinschienen gepanzert.
Vor dem Schloss parken dutzende blaue und grüne Polizeiwagen; man hat offenbar zusammengezogen, was verfügbar war. In den Mannschaftstransportern sitzen wartende Polizeibeamte, zu ihren Füßen lagern paketweise Plastikflaschen mit Wasser. Über der ganzen Szenerie weht die schwarz-gelbe Landesflagge Baden-Württembergs fröhlich im Wind. Früher war hier nicht nur die Fahne schwarz-gelb, sondern auch das Personal. Das scheint Ewigkeiten her. Was wohl der grüne Landesherr zu diesem Aufgebot der Staatsgewalt zu sagen hätte? Ist tatsächlich eine so gewaltige Streitmacht erforderlich, wenn man eine Meinung äußern will, die gegen den Zeitgeist läuft? Und wenn dem so ist: Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Wie hoch muss das Gewaltpotential sein, das von jenen Jüngern der Toleranz ausgeht, die sich nun weithin hörbar zur Gegendemo sammeln?
Ich mache erste Notizen in ein kleines Büchlein, versuche die Stimmung aufzufangen, festzuhalten: Das martialische Auftreten der Staatsgewalt, das Bedrohliche dieser Kulisse, das überdrehte, teils hyperventilierende Gebaren mancher Gegendemonstranten - die man zwar zumindest vorläufig nur aus der Ferne sieht, was mir aber durchaus angenehm ist.
Und muss mir dann mühsam in Erinnerung rufen: Das ist kein Krieg hier, sondern es geht nur um Meinungsfreiheit.
Wobei: Nur?
Anscheinend ja ein akut gefährdetes Gut!
Aus einem vorbeifahrenden Mannschaftstransporter treffen mich, den schreibenden Beobachter, kritische Blicke. Für wen man mich wohl hält? Ist bereits verdächtig, wer sich Notizen macht?
Berittene Polizei trabt an mir vorbei, behelmt, auf Pferdedecken sitzend, die adrett mit dem Landeswappen Baden-Württembergs bestickt sind, die Füße in hohen, schwarz glänzenden Reitstiefeln steckend. Unwillkürlich bekommt man Bilder in den Kopf, wie man sie aus Spielfilmen kennt: Wie Uniformierte in vollem Galopp in die Menge hineinpreschen, den Knüppel schwingen, Menschen niederreiten. Sicher: Es ist nur "Kopfkino". Doch man fragt sich schon, was passieren könnte, wenn diese Macht in die falschen Hände geraten würde. Bereits jetzt schüchtert sie ein. Sicher nicht jene, die auf Krawall gebürstet sind, die mit Gewalt rechnen, ja sie sogar provozieren. Sondern jene, die friedlich eines ihrer Grundrechte ausüben wollen - unbedroht und ohne Angst um ihre körperliche Unversehrtheit. Einige der Polizisten tragen auf dem Rücken rote Zylinder mit Abzug und Sprühpistole - ob darin Löschmittel oder Tränengas ist, will man gar nicht so genau wissen.
Am Schillerplatz: Es stinkt furchtbar nach Erbrochenem. Unwillkürlich schaut man sich um - auf der Suche nach der Ursache, bzw. dem Verursacher. Dann freilich kommt einem ein nahe liegender Gedanke. Vermutlich wurde das ganze Gelände in der Nacht zuvor mit Buttersäure oder etwas ähnlichem behandelt. So riecht also jene Toleranz, die von den Gegendemonstranten so vehement eingefordert wird.
Der Platz füllt sich. Menschen mit Luftballons, Fahnen, Schildern. Alle mussten eine Polizeikette passieren, die verhindern soll, dass Störer sich einschleichen. Ich stehe etwas separat, wodurch ich offenbar jemandem vom Organisationsteam ins Auge falle. Mir wird eine Binde über den Arm geschoben. Ordner bin ich jetzt. So schnell geht das! Keine große Sache, wird mir erklärt: Später einfach nur am Rand des Demonstrationszuges mitlaufen, kleinere Provokationen unterbinden, bei größeren Problemen die Polizei zu Hilfe rufen.
Doch zuerst findet nun die Kundgebung statt. Ein Jazz-Duo eröffnet, dann folgt ein fast eineinhalbstündiger Reigen an Redebeiträgen und Grußworten. Ein Vertreter der CSU beendet seine Rede mit den ebenso pathetischen, wie selten gewordenen Worten:
"Gott schütze Sie, Gott schütze unser Land!"
"Amen!", möchte man da zurückgeben, wenn sich auch sofort der Gedanke breitmacht, was wohl sein Parteivorsitzender, der moderne Horst, zu dem Auftritt sagen würde.
Im Grußworte schreiben sind sie groß, unsere Politiker. Doch ihre Überzeugungen haben jämmerlich kurze Halbwertzeiten. Würden sie zu dem stehen, was sie noch vor wenigen Jahren versprochen haben, wären sie Überzeugungstäter und keine Fähnchen im kalten Wind der Postmoderne - und der Schillerplatz wäre heute leer und würde nicht zum Himmel stinken.
Dann kommt doch ein überdenkenswerter Beitrag. Die Vorsitzende einer kleinen, christlichen Partei, erinnert an die Zustände in der DDR, wo sie geboren wurde. Daran, dass in einer Gesinnungsdiktatur, in totalitären Systemen überhaupt, immer nach den Kindern gegriffen und die Autorität der Eltern ausgeschaltet wird. Daran, dass Religions-, Meinungs- und Gewissensfreiheit beschränkt und den Kritikern Störungen, bzw. krankhafte Phobien unterstellt werden, um sie wegsperren zu können.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken: Wohin führt dieser Weg? Das Private soll öffentlich, soll politisch werden. Das hatten wir doch alles schon einmal. Ist es bald wieder soweit?
Zwei junge Frauen hinterlassen bleibenden Eindruck. Sie geben sich auf der Bühne als Lehramtsstudentinnen zu erkennen und bekunden, dass sie sich dagegen verwahren, später Schutzbefohlenen Dinge beibringen zu müssen, die sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können. Auch treibe sie die Sorge um die Meinungsfreiheit der Schüler, um Maulkörbe, die nun bereits in der Schule verteilt werden sollen und darüber, dass erstmals Bürger gezwungen werden sollen, vorgegebene politische Ansichten zu übernehmen. Ein Hauch des Geistes der Heiligen Jeanne d’Arc weht auf einmal über den Platz, schafft es zumindest für einen Moment, den Pesthauch des Buttersäure-Gestanks vergessen zu machen. Vor meinem geistigen Auge taucht assoziativ das berühmte französische Gemälde "Die Freiheit führt das Volk" auf - mit den beiden Heldinnen als barbusige Walküren auf den Barrikaden, die Stauffenberg-Fahne in den Händen. Ein Bild für die Ewigkeit; eine Illusion, so rein, unbefleckt und klar wie ein abgelegener Bergsee im Glanz der aufgehenden Sonne.
Endlich: Das Ende des Redens ist gekommen. Nun sollen sich alle zu einem Demonstrationszug formieren. Die Organisatorin weist darauf hin, möglichst in einem geschlossenen Verband zu laufen, die Kinder in der Mitte, um der Polizei den Schutz des Kordons vor militanten Aktionen der Gegendemonstranten zu erleichtern. Nur mühsam und quälend langsam geht es vorwärts, leert sich der Platz. Anscheinend gab es eine Sitzblockade von Aktivisten, jedenfalls wird darüber gemunkelt. Sehen tut man nichts, dazu stehen zu viele Menschen auf dem Platz. An sogenannten "Zähltoren" werden die vorbeigehenden Menschen gezählt - um die 4.600 sind es, wird später verkündet. Die Muskeln schmerzen, die Knochen knacken, als ich mich endlich in Bewegung setzen kann. Nach dem Passieren einer Stichstraße überqueren wir den Stauffenbergplatz - was mir höchst symbolhaft erscheinen will.
Wo sind die Gegendemonstranten? Während der Kundgebung waren sie im Hintergrund immer zu hören, haben gegrölt, getrommelt und gepfiffen. Ein paar ganz findige Jungaktivisten hatten es gar geschafft, sich durch die Polizeikontrollen zu schmuggeln und während der ersten Rede plötzlich ein Banner zu entrollen und Konfetti zu werfen, bevor Ordner dem Spuk ein Ende bereitet hatten. Doch nun scheint die Polizei die Umgebung des Schillerplatzes weiträumig abgesperrt zu haben. Erst in Richtung Staatsgalerie taucht am Straßenrand zuerst eine Gruppe der Piratenpartei, dann eine Horde autonomer Jugendlicher auf. Während die Ersten ruhig ein Banner in die Luft strecken, brüllen Letztere wüste Parolen und wollen erkennbar Angst verbreiten. Doch eine Polizeikette riegelt sie so ein, dass sie keinen Zugriff auf die Demonstranten haben. Eine ältere Frau im Zug murmelt ihrer Nachbarin zu:
"Das kommt dabei raus, wenn Kinder verwahrlosen!"
Gegenüber der Staatsgalerie überquert der Demonstrationszug unter den gestrengen Augen des in Bronze gegossenen König Wilhelms I. von Württemberg - was für ein Monument vergangener monarchistischer Größe - die Brücke über die extra gesperrte Bundesstraße 14 und hält dann auf die Oper zu. Erst jetzt erkennt man, wie viele hundert Meter weit sich Demonstrant an Demonstrant reiht. Ein wogendes Meer aus Fahnen und Schildern. Waren bislang weder Sprechchöre noch Gesänge zu hören, so brandet nun Applaus auf. Möglich, dass man sich angesichts der geballten Polizeischaren und des aggressiven Antifa-Nachwuches gegenseitig Mut machen will. Aber da ist noch etwas anderes, da ist noch mehr. Fast scheint es, als wären die Bürger beeindruckt von der eigenen Masse, berauscht vom Gefühl, hier ein deutliches Zeichen gesetzt zu haben:
Nein, mit uns kann man nicht alles machen - und mit unseren Kindern erst recht nicht!
Am Landtag vorbei - dem Ort der Entscheidung - schwenkt der Zug ein hinter das Staatstheater, wo kurz darauf die Abschlusskundgebung beginnt. Richtung Hauptbahnhof wird der Platz begrenzt durch den Eckensee - ein an den Oberen Schlossgarten angrenzendes Wasserbassin. Offenbar war die Polizei davon ausgegangen, dass die durch das Gewässer gebildete Sperre genügen würde, um die Gegendemonstranten vom Staatstheater fernzuhalten - und sieht sich nun jäh getäuscht. Denn etliche Personen sind mitsamt Schuhen und Socken ins nicht mal knietiefe Wasser gestiegen und durchwaten den See, so dass sie dem diesseitigen Ufer gefährlich nahe kommen. Es sind junge Menschen, manche wohl noch Jugendliche, andere vermutlich Studenten - jedenfalls vom Alter her so einzuschätzen. Nicht gänzlich ausgeschlossen, aber doch ziemlich unwahrscheinlich ist, dass auch nur irgendjemand von ihnen bereits Kinder hat. Was also haben sie eigentlich bei einer Demo zu suchen, die sich schwerpunktmäßig mit diesem Thema beschäftigt?
Eine junge Frau tanzt im Wasser, schwenkt dabei eine Regenbogenfahne hoch über ihren Kopf, auf dem die Haare wild wuchern, kaum gebändigt durch eine Rasta-ähnliche Frisur. Ihr Rock endet nicht weit unter ihrer Hüfte und es kostet Mühe, nicht durch einen Blick auf die frei liegenden Oberschenkel auf diese Provokation einzugehen. Denn dass es eine Provokation ist, steht für mich außer Frage. Ein Satz schießt mir durch den Kopf, den ich vor einiger Zeit in einem Buch unter Bezugnahme auf die sexuelle Revolution las:
"Niemand kann mehr vorgeben, unschuldig zu sein."
Und genau darum geht es dieser Gegendemonstrantin wohl. Niemand soll unschuldig bleiben, wenn sie es doch auch nicht ist. Zum ersten Mal während dieser Veranstaltung werde ich mir meines Geschlechts bewusst - und gleichzeitig der Verletzlichkeit der männlichen Rolle in der modernen Welt. Würde ich jetzt hinschauen, so würde ich lüstern wirken. Da ich nun wegschaue, obwohl ich den weiblichen Körper wahrgenommen habe, könnte man mir Bigotterie vorwerfen. Hätte ich aber die Frau nicht wahrgenommen, wäre das auch nicht normal. Nein - als Mann hat man es definitiv nicht mehr leicht.