Hiobsbotschaft - Gerd Schmidinger - E-Book

Hiobsbotschaft E-Book

Gerd Schmidinger

0,0

Beschreibung

Ein Priester, der seinen Namen verliert. Eine Frau, die sich verwandelt. Ein Glaube, der keinen Halt mehr gibt. Und eine Welt, in der plötzlich alles anders zu sein scheint. "Hiobsbotschaft" ist eine phantastische Kurzgeschichte im Spannungsfeld zwischen Altem Testament, Apokalypse und Science Fiction. Sie bildet die Auftaktstory für eine Reihe weiterer, teils phantastischer Kurzgeschichten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 96

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Hiobsbotschaft

Kurts Sessel

Adeles Universum

Entscheidung

Dort unten

Conditio sine qua non

Das Haus

Konnektophobie

Die Botschaft

Sprung in die Zeit

Hiobsbotschaft

Alles begann damit, dass ihm sein Name geraubt wurde. Als Lukas war er aufgestanden, hatte sich die Zähne geputzt, hatte geduscht, hatte schweigend sein Müsli zu sich genommen. Er hatte Gott für das Essen gedankt und für den Tag und das Leben, er hatte auch eine kurze Phase des Zweifels hinter sich gebracht, ob er seine Beziehung zu Eva nicht doch beenden sollte. Nicht nur auf Grund ihres Namens schickte sich die Liaison mit der jungen Studentin nur bedingt für einen katholischen Priester. Keinen Augenblick jedoch hatte er daran gezweifelt, dass er Lukas hieß, Lukas Breitscheider, aufgewachsen in Habichtsloch in Tirol.

Auch auf dem Weg zur Kirche spürte er keinerlei Veranlassung, seinen Taufnamen in Frage zu stellen; sowohl der Huberbauer samt Familie als auch die Taxacher Loise begrüßten ihn wie immer mit „Grüß Gott, Herr Pfarrer!“. Die alte Geißbacherin nannte ihn gar Hochwürden, was Lukas viel Selbstbeherrschung abverlangte, da er sich erst zu grinsen gestattete, wenn seine Züge dem Blickfeld der Alten entschwunden waren.

Auch die Messfeier selbst ging in gewohnt würdevoller Weise vorüber. Zeitweise war er ein wenig abgelenkt, weil ihn die in der ersten Reihe sitzende Theresa Leitner, die seit einem halben Jahr die Erstklässler an der örtlichen Volksschule unterrichtete, an Eva erinnerte. Oder gefiel sie ihm einfach nur so?

Während der Predigt allerdings, die er in der Tradition der katholischen Soziallehre verfasst hatte, gelang es ihm, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren mit dem Ziel, den einen oder die andere von der Gottgewolltheit solidarischen Verhaltens gegenüber Schwächeren zu überzeugen.

Wie so oft verlieh er seinen Worten mit einem Schnaps Nachdruck, den die Ministranten nach der Messfeier auf dem Kirchplatz verteilten. Das Ganze nannte sich Agape und der Schnaps spielte dabei eigentlich nur eine Nebenrolle. Vielmehr sollten sich die Leute im gedanklichen Austausch beim Genuss von Gottes Gaben der Liebe des Allmächtigen bewusst werden.

Hier trug sich nun zu, was ihn zuerst erheiterte und schließlich verstörte. Beim dritten Schnaps hatte er sich ein wenig verkalkuliert, was die Position des Glases betraf, und so glitt es aus seinen überraschten Händen und zerschellte am Boden. „Hoppala, Hiob!“ kommentierte daraufhin Arthur Oberholzer, mit dem Lukas per Du war, das Missgeschick, was dem Priester ein heiteres Lachen entlockte: noch hielt er seinen neuen Namen für einen geistreichen Witz.

Als ihn auch die seriöse Hannelore Wegner, immerhin langjähriges Mitglied des Pfarrgemeinderates, Hiob nannte, und das ohne jedes Lachfältchen im Gesicht, wunderte sich Lukas. Bei seinem guten Freund Martin schließlich, der ihn mitten in einer ernsthaften Diskussion über die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern plötzlich ebenso mit „Hiob“ ansprach, fragte er nach, was denn dieser neue Name solle. Martins verwirrter Blick jedoch jagte ihm einen Schwall Eiswasser über den Rücken. „Was ist denn mit dir passiert?“ fragte dieser den immer bleicher werdenden Priester. „Ich werd' wohl noch wissen, dass mein bester Freund Hiob heißt und nicht anders.“

Lukas – oder hieß er Hiob, wie ihm eine verrückte Stimme in seinem Inneren zuraunte – spürte, dass sein Magen nicht mit der veränderten Situation zurechtkam. „Entschuldige mich,“ sagte er zu Martin und ging auf die Friedhofsmauer zu, die sich an den Kirchplatz anschloss. Doch bevor er sich übergeben konnte, kam ihm ein Gedanke, der ihn wieder einigermaßen stabilisierte. Er musste jemanden anrufen, der nicht an der Agape teilgenommen hatte, jemanden, der Arthur Oberholzers Kommentar nicht gehört hatte. Er würde Eva anrufen, und sie würde ihm sagen, dass er Lukas hieß, liebevoll würde sie es murmeln, als wäre sein Name eine kostbare Praline, die sanft im Mund zergeht. Und dann würde er wissen, dass das alles ein blöder Scherz gewesen war und er schon ein wenig betrunken, dass sich Paranoia in ihm breit gemacht hatte und in Wirklichkeit alles gut war, gut und richtig und wie immer.

Es klingelte drei Mal, dann nahm Eva ab. Er liebte ihre Stimme. „Hallo, Hiob!“ sagte sie überrascht.

*

Eva sah aus wie immer, nämlich so, dass Lukas – oder war er doch Hiob? - das Zölibat zum Teufel wünschte. Doch diesmal hielt er sich nicht lange beim Gedanken an die Verführungskraft der Sünde auf. Seit dem Telefonat mit seiner Freundin war der Priester in eine Sinnkrise geschlittert, die ihn wie ein schwarzes Loch nach unten zu saugen schien. 'Namen sind doch Schall und Rauch', hatte er versucht, sich zu beruhigen, doch ihm war sofort klar gewesen, wie bescheuert dieser Spruch war, wie zutiefst unwahr, auch wenn er ihn selbst schon oft verwendet hatte.

Der Priester hatte daran gedacht, dass es auf der Ebene der kleinsten Materieteilchen so etwas wie Zufall gab, jedenfalls hatte er so etwas schon gehört, auch wenn er nicht im Mindesten Naturwissenschaftler war. Was, wenn sich diese Teilchen zufällig anders angeordnet hatten, so, dass die Folge – über tausend Umwege – in einer Vertauschung seines Namens bestanden hatte? Doch nein – der Priester fühlte, dass die Hoffnung, die er in die Physik setzte, eine vergebliche war. Welche Erklärung auch immer er sich zusammenreimte: der Name Hiob klebte an seinem Gaumen wie ein Todesurteil. Es hatte eine Bedeutung, dass er von Lukas zu Hiob geworden war. Lukas, der Evangelist. Hiob, der Gottesfürchtige. Aber auch: Hiob, der Unglückliche, der über alles menschliche Maß hinaus Geprüfte. Und was der Priester trotz all der Erklärungen, all der Diskussionen, die er während seines Studiums über das Buch Ijob geführt hatte, nie begreifen hatte können: Hiob war das Opfer eines Wettstreits zwischen Gott und dem Teufel gewesen. Er hatte nichts verbrochen, nie eine Sünde begangen, doch Gott überließ ihn den Anfeindungen des Satans, nur um diesem zu beweisen, wie gottesfürchtig Hiob war. Was war das für ein Gott, der solches tat?

Lukas schüttelte sich. Er wollte - er durfte die Antwort nicht geben. 'Es ist nur eine Geschichte', sagte er sich, 'das Wort Gottes, ja, aber von Menschen geschrieben, von Menschen gedeutet. Wie kannst du die Motive des Herrn in Frage stellen, du, Lukas, du, Hiob?' Ein Schauer ging durch seinen Körper, und diesmal lag es nur zum Teil an Evas Umarmung.

„Eva,“ stammelte er, kaum hatte er die Türschwelle überschritten. Er schälte sich aus ihrer liebevollen Umklammerung, ergriff ihre Arme, erforschte ihr Gesicht. „Eva, schau mir in die Augen,“ sagte er eindringlich, „und beantworte mir meine Frage nach bestem Wissen: wie heiße ich?“

Lukas sah, dass etwas in Eva in vergnügtes Lachen ausbrechen wollte. Doch ein Blick genügte, und Evas Ton verwandelte sich in jenen, den sie anschlug, wenn sie mit Kranken sprach. Sie strich dem Priester über das von grauen Strähnen durchwobene, volle Haar. „Hiob,“ sagte sie schließlich, „was ist los mit dir? Ich weiß, dass dir dein Name Probleme bereitet hat, aber das ist doch lange her. Ich dachte, du hättest deinen Frieden mit ihm gemacht.“

Lukas-Hiob schluchzte. „Ich weiß nicht, was los ist. Ich hieß doch immer Lukas, Lukas!“ Tränen schossen aus seinen Augen, er sank nieder, bettete seinen Kopf auf Evas Schoß, die lebensspendende Eva, Eva, die alles erfüllte und alles war.

„Bin ich verrückt?“ fragte er sie, während sie liebevoll seinen Kopf hielt. Sie schüttelte den ihren. „Hast du deinen Ausweis da?“ fragte sie ihn schließlich, einer plötzlichen Eingebung folgend. Langsam kramte er in seiner Tasche, suchte mit zitternden Händen nach seiner Geldtasche. Eva half ihm, wischte ihm die Tränen aus den Augen. „Schau,“ sagte sie, und ihre Stimme schien zu sagen: alles ist gut. Doch als der Priester auf seinen Personalausweis blickte, da wusste er, dass nichts gut war, denn er hieß Hiob Breitscheider, und nichts würde an dieser bürokratischen Tatsache etwas ändern.

Fast schien es Hiob, als sinke sein altes Leben von ihm fort, in unergründliche lichtlose Tiefen. Er erinnerte sich an alles, an seine Jugend in Habichtsloch, an das Studium in Innsbruck, an seine Erfahrungen mit Frauen und Männern, an seinen schwierigen Weg zu Gott. Irgendwie war er immer ein Suchender gewesen, einer, der hinter der Fassade des Offensichtlichen noch etwas anderes vermutete, etwas Verborgenes, Tiefes und Wahres, Liebe vielleicht, unendliche Liebe, oder jemanden, der alles erklären konnte, der wusste, wieso es so viel Leid gab in dieser Welt. Eine Zeit lang hatte er gar für Außerirdische geschwärmt, aber die warfen nur noch viel mehr Fragen auf.

Doch jetzt, da er in seinem alten Peugeot saß und nach Hause fuhr nach einer fast gänzlich durchwachten Nacht bei Eva, jetzt schien sein Leben als Lukas gar nicht mehr so wirklich so sein, fast, als wären es die Erinnerungen eines anderen Menschen. War das wirklich er selbst, der Sonntags die Messen las? Hm, ja, er konnte sich genau an die Predigt erinnern, die er letzten Sonntag gehalten hatte, auch an jene von der Woche zuvor, und er wusste genau, wen er im letzten Jahr zu Grabe getragen hatte.

Er wusste auch, was davor gewesen war. Lukas hatte – er lachte innerlich bitter auf – schon immer ein ausgezeichnetes Gedächtnis gehabt. Selbst an Einzelheiten aus seiner frühen Kindheit erinnerte er sich ohne Probleme. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, als könnten es auch die Erinnerungen eines anderen sein. Lukas – war das noch er? Konnte man einfach so den Namen wechseln und man selbst bleiben? Und noch dazu mit solch einem Namen?

Fast automatisch fuhr er von der Autobahn ab, nahm die gewundene Bergstrecke, die ihn zurück nach Habichtsloch führen würde. Sein Geist wanderte. Wer war er? Was war sein Leben? Ein kosmischer Witz? Ein göttlicher Witz? Zum Lachen war ihm nicht zumute.

Er fuhr in den Pfarrhof, wie immer, stellte das Auto ab. Er fühlte sich entsetzlich müde. Eine weiche Bettdecke schlängelte sich durch sein Hirn. Aufsperren. Hm. Wo war der Schlüssel? Hier stand das Auto. Er hatte doch soeben den Schlüssel abgezogen. Er wandte sich zurück, öffnete die Autotüre. Kein Schlüssel. Nirgends. Auch nicht auf dem Sitz. Nicht in der Hosentasche. War er denn jetzt völlig deppert im Kopf?

Nach einigen Minuten hektischen Suchens und stumpfen Brütens gab er entnervt auf. Das Handy war zum Glück noch da. Der Schlüsseldienst kam nach genau zwei Stunden. Irgend eine blöde Erklärung mit einem Unfall. Hiob schlotterte vor Kälte. Aber die Tür ging auf.

Irgendwann, Hiob saß in eine Decke gehüllt vor dem Fernseher, fiel ihm das rote Blinken auf. Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Scheiße. Mit entsetzlicher Langsamkeit stemmte er sich hoch.

„Ja, hm, Herr Breitscheider.“ Hiob erkannte die Stimme des Bischofs sofort, und mit einem Mal fiel alle Müdigkeit von ihm ab. Irgend etwas schien nicht zu stimmen. „Ich, ja - es ist jetzt dumm, dass Sie nicht da sind. Es gäbe da etwas zu klären. Rufen Sie mich doch umgehend an. Es geht um eine junge Dame.“

*

Der Bischof bot schon zu normalen Zeiten einen ehrfurchtgebietenden Anblick. Doch diesmal schien es Hiob, als umhüllte ihn eine Aura blutigen Zorns, die sein Innerstes durchdrang und alle Sünden seines nichtsnutzigen Leibes an die nackte Oberfläche zerrte.

Schon der Weg von der Haustüre des Bischofssitzes hin zum Büro des hohen Geistlichen war ihm anders erschienen als sonst, bedrohlicher. Dabei konnte er nicht sagen, woran das lag. Er hatte diesen Weg schon öfter genommen, war an alten verzierten Türen entlang flaniert, hatte die Stuckdecke bewundert und die kunstvollen Heiligenbilder, welche die Wände zierten. Doch diesmal schien der Flur nicht nur einfach alt und geheimnisvoll zu sein, nein, alles wirkte aggressiver, fast, als schrien ihn die Bilder an, als lauerte hinter einer ehedem harmlos wirkenden Verzierung ein Dämon, der im Begriff war, die zarten kunstvoll gezogenen Linien mit seinen Krallen auseinanderzureißen und mit wieherndem Lachen das dahinter liegende, alles verschlingende Höllenfeuer freizulegen.