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Zwei Romane von Terri Brisbin STÜRMISCHE KÜSSE DES HIGHLANDERS Sie soll Robbie Cameron heiraten? Niemals! Auf diesen arroganten, sturen Laird will sich die stolze Sheena nicht einlassen. Erst als sie gemeinsam mit Robbie seine Heimat erkundet, seine nachdenkliche Seite kennenlernt und seine stürmischen Küsse genießt, ändert sich ihre Einstellung. Zarte Gefühle erwachen in Sheena zum Leben – und gleichzeitig große Angst, denn von ihrem düsteren Geheimnis darf der Laird niemals erfahren! WIDER WILLEN VERLOBT MIT DEM LORD Auf Lord Bradens Familie liegt ein Fluch, den er nur brechen kann, wenn er noch dieses Jahr heiratet! Mit Lady Joanna hat er genau die richtige Kandidatin gefunden, doch dann ergreift seine Braut kurz vor der Hochzeit die Flucht. Nun muss der stolze Lord seine Verlobte überzeugen, dass sein schrecklicher Ruf nur auf Gerüchten basiert und er sehr einfühlsam und liebevoll sein kann …
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Seitenzahl: 408
Terri Brisbin
HISTORICAL BAND 391
IMPRESSUM
HISTORICAL erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© Deutsche Erstausgabe 2023 in der Reihe HISTORICAL, Band 391
© 2021 by Theresa S. Brisbin Originaltitel: „The Highlander’s Inconvenient Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Annkatrin von Roth
© 2005 by Theresa S. Brisbin Originaltitel: „The Claiming of Lady Joanna“ erschienen bei: Harlequin Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Mira Bongard
Abbildungen: Historical Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 12/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751516013
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Lairig Dubh, Schottland, Heimat des MacLerie-Clans, im Jahr des Herrn 1367
Sheena MacLerie starrte auf den Wandteppich. Doch das pfeifende Geräusch des Gürtels, der durch die Luft auf sein Ziel zusauste, ließ sie die Augen schließen.
Doch dann zwang sie sich, zuzusehen, wie ihr Vater den Jungen bestrafte, der sie in den Fluss gestoßen hatte. Sie zuckte zusammen, keuchte bei jedem Schlag laut auf. Der Junge hingegen gab keinen Ton von sich.
Sie wollte schreien, ihren Vater aufhalten. Sie war schuld an der schrecklichen Situation. Hätte sie sich von ihnen ferngehalten, wäre das alles nicht passiert. Hätte sie mit ihrer Schwester gespielt, wie ihre Mutter es gesagt hatte, müsste Robbie Cameron diese Tortur jetzt nicht durchmachen.
Oh, er hatte sie nicht einfach so in das Wasser geschubst. Nein, diesem Ereignis waren viele Tage vorausgegangen, an denen er versucht hatte, ihr klarzumachen, dass sie sich von ihm und ihrem Bruder fernhalten sollte.
Tränen liefen Sheena übers Gesicht, als ihr Vater sich entfernte.
Robbie richtete sein Gewand, bevor er sich umdrehte und sich vor ihrem Vater verbeugte. Als Anführer des Clans und Robbies Ziehvater war es das Recht und die Pflicht ihres Vaters, für die Disziplin seines Schutzbefohlenen zu sorgen.
„Ein Mädchen behandelt man nicht schlecht, Robbie. Selbst …“, er hielt inne und sah zu ihr hinüber, „… wenn du denkst, dass es gerechtfertigt sein könnte. Hast du das verstanden?“
„Aye, Mylord“, flüsterte Robbie.
„Ich kann dich nicht hören, Junge. Sprich lauter und sieh mich an.“
Diesmal hob Robbie tatsächlich den Kopf und begegnete dem Blick ihres Vaters. Robbie nickte und sprach lauter. „Aye, Mylord. Ich habe verstanden.“
„Sie ist noch ein Kind und kann einem lästig fallen. Aber ein Mann muss sich um die Schwächeren kümmern.“
Robbies Blick huschte nun für einen kurzen Moment zu ihr hinüber, bevor er ihrem Vater antwortete. Und in diesem kurzen Moment sah sie so viel Hass in seinen Augen, dass sie erneut zusammenzuckte. „Aye, Mylord.“ Robbie wartete, bis ihr Vater ihn mit einer knappen Kopfbewegung entließ. Er verließ erhobenen Hauptes den Raum, in dem der Mann, den man die Bestie der Highlands nannte, seine engsten Verwandten versammelt hatte, um diese Angelegenheit zu regeln. Sheena wollte Robbie hinterhereilen und ihn um Verzeihung bitten, aber die folgenden Worte ihres Vaters ließen sie innehalten.
„Sheena MacLerie, du bist nicht unschuldig an der Situation. Man hat dir mehr als einmal gesagt, du mögest die Jungen in Ruhe lassen.“
Angst und Scham raubten ihr den Atem. Wenn ihr Vater diesen Tonfall anschlug, verhieß das nichts Gutes. Sie nickte rasch und wandte den Blick ab.
„Jocelyn, kümmere dich um das Mädchen.“ Ihre Mutter erhob sich von ihrem Stuhl, ging zur Tür und wartete darauf, dass Sheena ihr folgte.
„Komm mit mir, Sheena.“
Wenn der Tonfall ihres Vaters ihr Angst machte, so brach der ihrer Mutter ihr das Herz, denn er verriet die Enttäuschung, die diese empfand. Sheena hasste es, ihre Eltern zu enttäuschen.
Ihre Mutter führte Sheena zu einer kleinen, ungenutzten Kammer und gab Sheena ein Zeichen hineinzugehen.
„Du wirst hierbleiben, bis ich dich rufe, Sheena. Vielleicht möchtest du in dieser Zeit um Vergebung für deinen Anteil an dem beten, was der Junge gerade ertragen musste, der für dich, Aidan und Lilidh so etwas wie ein Bruder ist. Der gerade vor denen, die ihm wichtig sind, bestraft und gedemütigt wurde, und das aus keinem anderen Grund als deiner Willkür.“
Sheena weinte jetzt laut, unfähig, die Scham und die Schuldgefühle zu unterdrücken, die sie bei den Worten ihrer Mutter nahezu überwältigten. Weil sie seine Aufmerksamkeit hatte erregen wollen. Weil er sie ihr verweigert hatte. Weil …
„Mutter, ich …“
„Nein, Sheena. Sprich jetzt nicht mit mir, oder ich sage Dinge, die ich bereuen werde. Geh in die Kammer. Du bekommst heute kein Abendessen, also frag nicht danach.“
Sheena konnte ihre Füße nicht bewegen.
„Geh. Hinein. Jetzt.“
Sie rannte, warf sich auf die kleine Pritsche in der Ecke der Kammer und schluchzte, als sie hörte, wie die Tür zugeschlagen und verriegelt wurde. Als ihre Tränen versiegt waren und ihr der Hals vom vielen Schluchzen schmerzte, setzte Sheena sich auf und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Mit dem Ärmel wischte sie sich die Tränen von Wangen und Kinn.
Sie saß da und dachte über die Worte ihrer Mutter nach, aber noch mehr dachte sie an den hasserfüllten Ausdruck in Robbies Augen. Dieser feurige Blick sagte ihr, dass er nie wieder etwas mit ihr zu tun haben wollte. Wahrscheinlich würde er für den Rest ihres Lebens kein einziges Wort mehr an sie richten.
Und das Schlimmste daran war, dass sie Robbie mochte. Die meiste Zeit über, wenn sie ihm nicht gerade auf die Nerven ging, war er freundlich zu ihr gewesen. Schon beinahe ein Mann, war er eifrig bemüht, von ihrem Vater zu lernen und stets höflich und respektvoll gegenüber ihrer Mutter zu sein. Bald würde er der Krieger sein, den sein Clan in ihm sah. Während sie das lästige Kind bleiben würde.
Die Sonnenstrahlen, die durch das einzige Fenster in dieser Kammer geradewegs auf die Pritsche fielen, auf der Sheena hockte, schienen sie zu verhöhnen. Sheena hatte ihre Aufgaben erledigt und hätte jetzt mit ihren Freunden spielen sollen. Sie stieg von der Pritsche und kletterte auf einen kleinen Schrank, um aus dem Fenster zu spähen.
Unten auf dem Hof ging das Leben auch ohne sie weiter.
Gerade als sie sich abwenden wollte, sah sie Robbie. Er stand allein im Schatten der Mauer, die den Burghof umgab. Sie konnte seinen Schmerz förmlich spüren, als er sein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerte, sein Gesicht schmerzverzerrt.
Bei seinem Anblick schluckte Sheena schwer. Sie wusste, dass sie die Schuld an diesem Schmerz trug und sich etwas einfallen lassen musste, um es wiedergutzumachen. Um ihn um Verzeihung und darum zu bitten, sie nicht zu hassen.
Drei Tage später durfte sie die Kammer verlassen. Ungeduldig wartete sie auf eine Gelegenheit, mit Robbie zu sprechen, doch es dauerte zwei weitere Tage, bis sie aufeinandertrafen.
Sheena striegelte gerade ihr Lieblingspferd, als Robbie eintrat und langsam an ihr vorbeiging, ohne ein Wort zu sagen oder sie auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Robbie“, flüsterte sie, „ich möchte mit dir reden.“ Als er sie weiterhin ignorierte, ging sie ihm nach. „Ich flehe dich an, mich anzuhören.“
„Ich muss mich um meine Aufgaben kümmern“, sagte er, ohne sich ihr zuzuwenden. „Lass mich in Ruhe.“
„Robbie, ich wollte nicht, dass du bestraft wirst!“
Nach kurzem Zögern wandte er sich endlich zu ihr um. „Ich habe dich nur gebeten, mich in Ruhe zu lassen. Und wie schon zuvor hast du es nicht getan. Mein Vater und mein Onkel werden erfahren, was passiert ist, Sheena, und sie werden mich mit Verachtung strafen.“ Er rieb sich mit einer Hand über die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich bin in Ungnade gefallen, habe versagt.“
Mit hängenden Schultern wandte er sich zum Gehen. Es brach ihr das Herz. Seine Worte hatten sie tief getroffen, denn sie wusste, wie es sich anfühlte, in den Augen des eigenen Vaters ein Versager zu sein.
„Aber es war meine Schuld, Robbie. Nicht deine.“
„Das spielt jetzt keine Rolle, Sheena. Denn dein Vater hat entschieden, dass ich eine Strafe verdiene, und meine Familie wird mich allein deswegen für schuldig halten.“
Sie sah ihm nach, wie er durch den Stall ging, und schwieg. Denn was hätte sie auch noch sagen sollen?
In den nächsten Jahren gelang es Sheena, Abstand zu halten. Bald hatte sie sogar sich selbst davon überzeugt, dass sie ihn nicht leiden konnte. Sie widmete sich den Pferden, bis sogar der erfahrene Stallmeister ihrem Vater gegenüber ihr Händchen für die Tiere und ihr Talent zum Reiten lobte.
Je älter sie wurden, desto weniger Berührungspunkte gab es zwischen ihr und Robbie. Sheena mied ihn so gut es ging, und wählte bei Tisch stets einen Platz so weit entfernt von ihm wie möglich.
Robbie seinerseits begegnete ihr stets mit einem Blick des Ekels auf dem Gesicht.
Als der Tag kam, dass er nach Achnacarry zurückkehren sollte, hatte sich ihr Verhältnis keineswegs gebessert. Doch statt dass er Lairig Dubh verließ und sie einander nie wiedersehen mussten, wurde eine Ankündigung gemacht.
Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft – der Zeitpunkt würde von ihren Eltern bestimmt werden – würde sie Robbie heiraten. Sheena hatte nie damit gerechnet, in Bezug auf ihren Ehemann ein Mitspracherecht zu haben. Als Tochter eines mächtigen Anführers lag ihr Wert in den Verbindungen, die durch ihre geschickte Vermählung geknüpft werden konnten, in den Bündnissen, die dadurch geschmiedet oder gestärkt würden. Doch diese Entscheidung ihrer Eltern zeigte ihr, wie gleichgültig sie ihnen war.
Einzig die Gewissheit, dass sie so nicht die Frau eines Clan-Oberhauptes werden müsste – als Neffe des Oberhauptes würde Robbie nie an die Spitze der Macht gelangen –, erleichterte sie, denn sie würde nie in der Lage sein, eine solche Position auszufüllen. Trotz allem, was zwischen ihnen stand, fand sich Sheena mit der Tatsache ab, ihre Pflicht zu tun und zu akzeptieren, einen Mann zu heiraten, der sie nicht liebte.
Dann traf die Nachricht aus Achnacarry ein, dass Robbies Vater berechtigten Anspruch auf den Thron des Cameron-Clans erhoben hatte. Nun würde sie durch ihre Heirat doch die Frau des Erben seines Titels werden. Verängstigt von dieser Aussicht betete sie jede Nacht darum, einem solchen Leben und der Schande zu entkommen, wenn ihre Geheimnisse aufgedeckt werden würden. Sie betete, dass Robbies Vater eine bessere Verbindung für seinen Sohn und Erben wünschte. Sie betete … und betete.
Sie wurde nicht erhört, denn alsbald war Sheena MacLerie offiziell mit Robbie Cameron verlobt. Zwei Jahre nach der Hochzeit ihrer Schwester Lilidh erhielt Sheena die Einladung, zur Vorbereitung der Hochzeit in Robbies Heimat zu kommen.
Achnacarry, Schottland, Heimat des Cameron-Clans, im Jahr des Herrn 1377
„Die MacLeries und ich wünschen, dass diese Heirat bald vollzogen wird.“
Die Worte, die Robbie Cameron zu hören erwartet und doch gefürchtet hatte, hallten in seinem Kopf wider. Seit dem Tag, an dem die Verlobung ohne seine Zustimmung und ohne sein Wissen beschlossen worden war, hatte er es vermieden, auch nur an Sheena zu denken.
„Muss das wirklich sein?“, fragte er.
Seine Mutter schnappte nach Luft. Er hatte nie über diese Hochzeit gesprochen. Vermutlich dachten seine Eltern, dass er sie befürwortete, doch nichts hätte weiter von seinen wahren Gefühlen entfernt sein können.
„Hast du Bedenken deswegen?“, fragte Robert Cameron, das Oberhaupt des Cameron-Clans, leise drohend. „Sohn?“
In der Tat hatte er Bedenken. Er konnte sich nicht vorstellen, mit Sheena MacLearie verheiratet zu sein. Auf keinen Fall. Seit dem Vorfall, der ihm vor all den Jahren Schande und Gürtelhiebe eingebracht hatte, war Robbie ihr aus dem Weg gegangen – er hatte nicht mehr mit ihr gesprochen, sie nicht einmal angesehen. Die letzte Frau auf der Welt, die er heiraten wollte, war seine Verlobte – Sheena MacLerie.
„Ich habe ernsthafte Bedenken, was sie betrifft, Vater“, sagte er. „Aber keine, die ernsthaft genug wären, um die Vereinbarung nicht einzuhalten und die Zugeständnisse zu gefährden, die du von den MacLeries erhalten hast.“
„Der MacLerie sprach von jugendlichem Unfug zwischen euch beiden, aber er hat nie ein ernsteres Problem angedeutet“, fügte sein Vater hinzu. Robbie war vollkommen überrascht. Der MacLerie hatte Robbies Schande und Demütigung nicht seiner Familie offenbart? Sein Vater runzelte die Stirn. „Hat irgendetwas anderes den Streit zwischen euch beiden ausgelöst?“
Jugendlicher Unfug? So hatte Connor MacLerie es seinem Vater gegenüber beschrieben? Hatte er den Rest nie verraten? Robbie konnte sich nicht mehr an den ersten Besuch zu Hause nach dem Ereignis erinnern. Sein Clan hatte sich damals im Umbruch befunden. Eine Auspeitschung wegen Fehlverhaltens wäre angesichts der Herausforderungen und Veränderungen in dieser Zeit eine Nebensächlichkeit gewesen.
„Nein, Vater“, sagte er, während ihm doch so viel mehr durch den Kopf ging.
„Robbie, wir möchten nicht, dass du in deiner Ehe unglücklich bist“, meinte seine Mutter. „Was ist es, das dir Sorge bereitet?“ Er hatte vor seinen Eltern noch nie schlecht über das Mädchen gesprochen, und ein Blick in ihre hoffnungsvollen und glücklichen Gesichter verriet ihm, dass er auch jetzt nicht damit anfangen würde.
„Ich werde meine Pflicht gegenüber dem Clan erfüllen“, erklärte Robbie. Er straffte die Schultern und nickte, als wollte er sich selbst ermutigen.
Das Schließen von strategisch vorteilhaften Ehen wurde erwartet, wenn man in seiner Position war – er würde eines Tages seinem Vater nachfolgen und Oberhaupt des Cameron-Clans sein.
Die Heirat mit Sheena MacLerie würde die Festigung und Vertiefung eines Bündnisses, Landgewinn und noch mehr Macht bedeuten. Robbie hatte gesehen, welch schweren Schaden sein Vater angerichtet hatte, als er sich von den Gefühlen für seine Mutter in seinen Entscheidungen beeinflussen ließ, und sich geschworen, niemals denselben Weg einzuschlagen. Zum Wohle des Clans.
Er nickte seinem Vater zu und wartete auf weitere Fragen. „Wünschst du noch etwas von mir, Vater?“
„Das Mädchen wird bald ankommen, um eine Weile hier zu leben und sich mit uns und unseren Gewohnheiten vertraut zu machen, bevor die Hochzeit stattfindet.“
„Und um sich wieder mit dir vertraut zu machen, Robbie“, ergänzte seine Mutter. Ein sanftes Schimmern in ihrem Blick verriet, wie sehr sie hoffte, dass diese Verbindung zustandekäme.
Sein Vater räusperte sich. „Die MacLeries werden in ein paar Wochen nachkommen, um die Vereinbarung zum Abschluss zu bringen und die Hochzeit zu bezeugen.“ Ernst stellte der Cameron die schicksalhafte Frage noch einmal: „Bist du damit einverstanden, Sheena MacLerie zu heiraten?“
Robbie wusste, dass dies die letzte Gelegenheit war, seine wahren Gefühle bezüglich der bevorstehenden Heirat zu offenbaren. Aber als er die Entschlossenheit im Blick seines Vaters sah, und weil er seine Pflicht kannte, sagte Robbie das Einzige, was sein Gewissen und seine Loyalität zuließen …
„Aye, Vater. Ich werde die Tochter der MacLeries heiraten.“
Nachdem er die gewünschte Antwort erhalten hatte, klopfte sein Vater ihm auf die Schultern und lächelte. „Gut! Ich bin erfreut über deine Zustimmung. Jetzt können wir in die Zukunft aufbrechen, den Clan stärken, unseren Besitz vergrößern und uns mit den MacLeries verbünden.“ Sein Vater nickte ihm zu und trat zu seiner Frau. „Elizabeth, hast du alles für ihre Ankunft vorbereitet?“ Bevor sie etwas erwidern konnte, lachte er. „Ich bin sicher, dass alles bestens ist, Liebes. Brauchst du noch mehr Bedienstete oder irgendetwas anderes?“
„Nein, mein Lieber, ich habe alles unter Kontrolle.“
Irgendetwas war hier ungesagt geblieben, und Robbie ließ das Gespräch Revue passieren, um herauszufinden, was es war. Ein Schauder des Unbehagens rieselte ihm über den Rücken.
„Vater?“ Er wartete darauf, dass sein Vater ihn ansah. „Wann wird Sheena erwartet?“
„Morgen.“
„Wie bitte?“
„Ich sagte, sie kommt morgen an. Ein Bote traf vor etwa einer Stunde mit der Nachricht von ihrer Ankunft ein.“
Die Zeit war abgelaufen, und er konnte nichts mehr daran ändern, sich nicht mehr an den Gedanken gewöhnen. Er war mit der Aussicht aufgewachsen, ein unbedeutendes Mitglied des Clans zu sein, aber der unerwartete Aufstieg seines Vaters zum Oberhaupt hatte alles verändert. Die Position seines Vaters hatte sie beide an die Spitze der Hierarchie katapultiert, und jetzt war es umso wichtiger, seine Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Clan zu erfüllen.
Robbie verabschiedete sich von seinen Eltern und ging davon. So viele Gedanken und Fragen wirbelten ihm durch den Kopf, dass er einfach den Bergfried verließ und sich zu den Ställen begab. Das letzte Mal, als er Sheena gesehen hatte, hatte sie ein neu erworbenes Jungpferd ihres Vaters eingeritten. Ohne zu zögern, hatte sie sich auf den Rücken des Pferds geschwungen, ohne Sattel oder Zaumzeug, nur mit Halfter und Strick, und war auf dem wilden Pferd durchs Dorf und zurück zum Bergfried geritten. Das Haar war ihr offen über die Schultern gewallt und hatte sie wie eine heidnische Göttin aus alter Zeit aussehen lassen. Ihre Augen hatten vor Vergnügen geglänzt, bis sich ihre Blicke begegnet waren und die Freude verflogen war.
Und wie immer tat sie nie, was man ihr sagte. Sie pfiff auf die Regeln ihres Vaters, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Egal, ob es sich dabei um die Arbeit mit den Pferden handelte oder darum, sich von dem Jungen in seiner Obhut fernzuhalten. Sie scherte sich nicht darum, was ihre Mutter ihr über gutes Benehmen einer jungen Frau beibrachte, die Frau eines Clan-Oberhauptes und Mutter von dessen Söhnen werden sollte.
Bald, zu bald, würde sie in Achnacarry auftauchen und ihm gewiss nichts als Ärger bereiten. Das „kleine Biest“, wie er sie mehr als einmal im Stillen genannt hatte, würde erwachsen werden und sich verändern müssen, um Frau des zukünftigen Anführers zu sein. Sie würde eine reife Frau werden müssen, die ihren Platz einzunehmen wusste und ihren Pflichten anstandslos nachkam. Sie durfte nicht länger die wilde Göre sein, die ihren eigenen Weg ging und alle Regeln ignorierte.
Sicherlich würde Sheena MacLerie versuchen, ihrem Vater und ihrer Mutter zu gehorchen, indem sie ihre Pflicht erfüllte. Sicherlich würde selbst ein widerspenstiges Mädchen irgendwann in ihrem Leben zu einer ehrbaren, verantwortungsbewussten Frau heranreifen.
Doch so sehr er dies auch hoffte, war ihm klar, dass es nicht so einfach werden würde, denn er kannte das wahre Gesicht von Sheena MacLerie und wusste, was auf ihn zukommen würde. Rücksichtsloses Verhalten. Verantwortungslosigkeit. Alles andere als gut vorbereitet auf die Rolle als Frau eines Anführers. Robbie wusste all das, und Grollen stieg in ihm auf, wenn er an den morgigen Tag dachte.
Sie waren nur noch etwa eine Stunde vom Anwesen der Camerons entfernt, hatte die Wache Sheena mitgeteilt. Der Morgen war klar und freundlich, und die Reise bislang ereignislos verlaufen. Niemand sonst schien die zunehmende Anspannung zu verspüren, die sie empfand, als sie sich Meile für Meile der Erfüllung ihres Schicksals näherte – der Heirat mit dem letzten Mann auf Erden, den sie heiraten wollte. Kaltes Grauen erfasste sie, während sie sich unerbittlich auf Achnacarry und … auf ihn zubewegten.
Nach stundenlangem Ritt in langsamem Tempo spürte Sheena, wie sich ihre eigene Unruhe auf das große Pferd unter ihr übertrug. Er wollte lospreschen, sein ganzer Körper schien vor Energie zu vibrieren. Sie musste ihn laufen lassen, er brauchte das. Sie lockerte die Zügel und winkte den anderen beruhigend zu, berührte mit den Fersen die Seiten des Pferdes und trieb es an.
Der Hengst galoppierte los und ließ ihre Begleiter in einer Wolke aus Staub zurück. Sheena drückte ihre Knie gegen die Seiten des Pferdes und beugte sich über dessen Hals. Wee Dubh verstand und galoppierte schneller und schneller die Straße entlang, bis Sheena ihr Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. Ein Gefühl der Verzweiflung durchströmte sie, als sie diesen letzten Moment der Freiheit genoss, bevor sie jemand anderes werden würde. Versunken in diese Gedanken, sah sie die Kurve zu spät, konnte nicht mehr rechtzeitig durchparieren und stürmte mit ihrem Pferd in die von Brombeerranken überwucherten Büsche.
Das schmerzerfüllte Wiehern des Pferdes, als sich ihm die scharfen Dornen in die Haut bohrten, verursachte ihr Übelkeit. Die Brombeeren griffen nach ihr und zerrten an ihren Röcken, während Wee Dubh versuchte, zu entkommen. So schnell sie konnte, gewann Sheena die Kontrolle über die arme Kreatur zurück, lenkte das Pferd auf eine Lichtung und sprang von seinem Rücken. Sie versuchte, ihn mit Flüstern und sanften Berührungen zu besänftigen, und wartete, bis ihre Begleiter sie erreichten und ihr halfen, das riesige Pferd so weit zu beruhigen, dass sie die Verletzungen untersuchen konnte. Die Wunden waren tief und bluteten und mussten schnell versorgt werden.
„Die Verletzungen sind nicht so schwer, dass er den Rest des Weges nicht mehr schaffen könnte, Mylady“, sagte einer der Krieger ihres Vaters, der sie auf der Reise als Wächter begleitete.
„Fergus, wir müssen uns beeilen, um nach Achnacarry zu kommen. Ich möchte mich schnell um ihn kümmern.“ Sie reichte ihm die Hand, und er zog sie hinter sich auf sein Reittier.
„Mylady, vergesst nicht, dass in Achnacarry andere Regeln gelten. Der Stallmeister wird sich um Euer Pferd kümmern“, sagte er und wandte sich, seinen Worten Nachdruck verleihend, zu ihr um. Einer der anderen Krieger reichte ihr die Zügel ihres Pferdes, als sie danach griff.
Sheena starrte den armen Wee Dubh an und begriff, dass diese Situation die Veränderungen spiegelte, die ihr bevorstanden. Ja, sie wusste, dass die Dinge in Zukunft anders sein würden, und ein Gefühl der Panik überkam sie. Sie verspürte den nahezu überwältigenden Drang, auf der Stelle nach Lairig Dubh zurückzukehren.
Sie würde nicht nur nicht mehr die Freiheit haben, sich um die Pferde zu kümmern und sie zu trainieren, wie sie es auf dem Hof ihres Vaters getan hatte, sondern sie würde auch andere Privilegien verlieren, die sie als Tochter der MacLeries genossen hatte. Sie konnte nur hoffen, dass Robbie und sein Vater verstehen würden, dass dies eine Ausnahmesituation war, und ihr erlauben würden, sich um ihr eigenes Pferd zu kümmern.
„Das werden wir sehen, wenn wir ankommen. Aber jetzt sollten wir uns erst einmal auf den Weg machen.“
Männer, Frauen und Kinder standen da und starrten sie neugierig an, als sie endlich auf das Tor der Burg zuritten. Keiner winkte ihr zu oder begrüßte sie freudig. Die kühlen Blicke folgten ihr einfach, als sie vorbeikam. Dachten sie, sie wüsste nicht, wie man das verletzte Pferd behandelte? Wussten sie, wer sie war? Was auch immer sie als Willkommensgruß erwartet hatte, das war es nicht. War ihr Bote mit der Nachricht ihrer Ankunft nicht angekommen?
Als die erste Wache zum Eingang des Bergfrieds geritten war, befahl sie dem Rest der Gruppe, stehen zu bleiben, während sie sich auf dem riesigen Hof umsah. Allerlei verschiedene Gebäude standen verteilt um den großen Platz herum, sie hielt Ausschau nach den Ställen.
„Dort drüben!“, rief sie schließlich. Fergus und sie saßen ab.
Er nickte seinen Kameraden zu und führte das verletzte Pferd gemeinsam mit Sheena über den Platz. Als sie die Stallungen erreicht hatten, trat ein hünenhafter Mann aus der Tür. Ohne ein Wort an sie zu richten, näherte er sich Wee Dubh und flüsterte leise, während er ihn streichelte, um das aufgeregte Tier zu beruhigen.
„Ich bin …“ Sie wollte sich vorstellen, aber er bedeutete ihr zu schweigen, bevor sie zu Ende sprechen konnte.
Der Mann führte den Hengst langsam ins Innere des Gebäudes, in dem einige Stallknechte ihre Arbeit verrichteten, streichelte ihn und flüsterte ihm unablässlig etwas zu. Er brachte ihn in eine Box, ohne dass ein lautes Wort gesprochen wurde. Erst als das Pferd im Stall stand und sicher angebunden war, erhob der Mann die Stimme.
„Mylady, ich bin Geordie, der Stallmeister vom Cameron. Ich werde mich jetzt um Euer Pferd kümmern.“
„Geordie, vielen Dank, aber ich werde mich selbst um mein Pferd kümmern.“
Die Anspannung war förmlich mit den Händen zu greifen, als alle Anwesenden bei Sheenas Worten zusammenzuckten. Sie stellten Geordies Kompetenz infrage. Aber Sheena hatte ihr ganzes Leben mit der Pflege von Pferden zugebracht und war nicht bereit, in dieser Sache nachzugeben.
„Die Wunden sind tief“, sagte sie, zog ihre Handschuhe aus und reichte sie ihrer Zofe Elen, die ihr in den Stall gefolgt war. „Schaut, dort … und vor allem hier.“ Sie wies auf die betroffenen Stellen. „Die kleineren Kratzer müssen mit einer Salbe behandelt werden, aber die tieferen Wunden müssen genäht werden.“
„Aye, Mylady“, sagte Geordie. „Hol meine Kiste“, befahl er einem der Stallknechte, die sich inzwischen alle um sie versammelt hatten. „Und zwei Eimer Wasser – einen mit warmem Wasser, einen mit kaltem.“
„Ich kann einen Trank zubereiten, der …“, begann Sheena.
„Nicht nötig, Mylady. Ich habe einen überaus wirksamen in meiner Kiste. Wann hat er das letzte Mal getrunken?“
„Vor dem Unfall“, antwortete sie und sah dem Mann, der so kühn war, Entscheidungen an ihrer Stelle zu treffen, direkt in die Augen. „Was werdet Ihr verwenden, um ihn zum Schlafen zu bringen?“, fragte sie neugierig.
„Verschiedenes, Mylady“, antwortete der Mann. Er zwinkerte ihr zu und nickte. „Dies und das.“ Trotz ihrer anfänglichen Beklemmung mochte Sheena seine lockere Art, und plötzlich verstand sie. Das hier war sein Reich. Sie hielt sich zurück, als er ein Gebräu für ihr Pferd zubereitete, sah genau zu, was er tat, und achtete auf die Zutaten und die Art und Weise, wie er sie mischte.
„Mylady, wenn Ihr seinen Kopf haltet, wird er ruhiger werden.“
Sie zögerte keinen Augenblick, trat zu ihrem Pferd und streichelte ihm die Nüstern. Dabei entging ihr nicht, wie ein Lächeln über das Gesicht des Mannes huschte. Ob er sich über sie lustig machte oder tatsächlich ihre Hilfe brauchte, war ihr gleichgültig. Er reichte ihr einen Eimer mit Wasser, dem er den soeben gebrauten Trank beigemischt hatte, den sie dem Pferd zum Trinken unters Maul hielt.
„Ihr müsste ihn dazu bringen zu trinken“, sagte Geordie.
„Komm jetzt, mein starker Junge“, flüsterte sie und streichelte dabei den Kopf des Pferdes. „Trink etwas.“
Kaum hatte der Hengst den Eimer leer getrunken, setzte die Wirkung ein. Gemeinsam mit Geordie half sie dem Pferd sich hinzulegen und bettete seinen Kopf auf ihren Schoß. Das war alles ihre Schuld, und sie würde den Stall nicht eher verlassen, bis sie wusste, dass das Pferd erfolgreich behandelt worden war.
Mit ruhiger und offensichtlich erfahrener Hand säuberte und nähte der Stallmeister die tiefen Wunden. Sie konnten nicht verbunden werden, also trug er eine dicke Salbe auf, um sie zu schützen und den Heilungsprozess zu fördern. Sheena merkte erst, dass sie weinte, als er ihr ein sauberes Stück Leinen hinhielt und ihr half, den Kopf des schlafenden Pferdes vorsichtig abzulegen und aufzustehen.
„Ich danke Euch, Geordie“, sagte sie und nickte dem Mann zu. „Für Eure Hilfe.“
„Gern geschehen, Mylady. Er ist ein feines Pferd. Allerdings ein bisschen zu groß für Euch, würde ich meinen.“
„Er ist bei mir, seit er geboren wurde. Ich habe ihn selbst eingeritten“, sagte sie und lächelte, während ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten.
„Dafür müsst Ihr aber gut mit Pferden umgehen können.“
„Aye, Geordie, die Lady kann gut mit Tieren umgehen.“ Sheena erkannte die Stimme, bevor er aus den Schatten in ihr Blickfeld trat. Sie schloss für einen Moment die Augen, rechnete fest damit, dass er noch etwas hinzufügen würde. Etwas wenig Schmeichelhaftes.
„Es sind Menschen, die sie nicht gut zu behandeln weiß.“
Obwohl die Worte milde gesprochen waren, war die Beleidigung für jeden, der sie hörte, deutlich zu erkennen, und ein leises Keuchen hallte im Stall wider. Mühsam verkniff sie sich die verschiedenen Antworten, die ihr auf der Zunge lagen, und schüttelte das Heu aus ihren Röcken, bevor sie sich ihm zuwandte.
„Robbie.“
„Sheena.“
„Komm“, sagte er und streckte ihr einen Arm entgegen. „Mein Vater, der Cameron, wartet in der Großen Halle, um meine Verlobte zu begrüßen.“
Sheena wandte sich noch einmal an Geordie. „Ich danke Euch für die ausgezeichnete Betreuung meines Pferdes. Ich werde später wiederkommen, um nach ihm zu sehen.“
„Nein, das wirst du nicht.“ Robbies Worte fühlten sich an wie der Hieb eines Gürtels. Unerschrocken lächelte sie Geordie an. „Ihr müsst Euch doch auch noch um Eure anderen Aufgaben kümmern.“
Sie widersprach Robbie nicht oder stritt gar mit ihm. Das hätte sie nur Kraft gekostet, die sie dringend noch benötigte. Sheena nickte einmal in die Runde, und legte widerwillig eine Hand auf Robbies Arm. Sie ging an seiner Seite, setzte einen Fuß vor den anderen, während sie die Stallungen verließen. Kein Wort kam über ihre Lippen.
Als der Bergfried vor ihnen auftauchte, räusperte sie sich. „Wie ich sehe, bist du immer noch derselbe unerträgliche Wichtigtuer, der du schon immer gewesen bist.“
Sheena musste fast lachen, als er bei ihren Worten ins Stolpern geriet. Nur sein Bestreben, seinen Vater nicht zu verärgern, hinderte ihn daran, zu antworten. Aber sie wusste, dass er später noch genug Zeit haben würde, um etwas zu erwidern.
Zu viel Zeit.
Nach der Beleidigung, die sie ihm wenig überraschend an den Kopf geworfen hatte, ging Sheena schweigend neben ihm her. Sie wirkte so angespannt, dass man hätte meinen können, sie würde jeden Moment die Flucht antreten.
„Willkommen in Achnacarry, Sheena“, sagte er und biss sich auf die Zunge, um nicht mit dem herauszuplatzen, was ihm eigentlich durch den Kopf ging. Die Respektlosigkeit, die sie gegenüber seinen Eltern an den Tag legte, sollte ihm zu denken geben, und doch hatte er gehofft, dass sie seit ihrem letzten Zusammentreffen an Reife gewonnen hatte.
Bei seinem letzten Besuch in Lairig Dubh hatte sie ihn gemieden und war aus der Halle verschwunden, obwohl sie als seine Verlobte an seiner Seite hätte bleiben müssen. Und immer wenn sich ihr die Gelegenheit bot, hatte sie wütende kleine Verwünschungen geflüstert, die nur er hörte. Sie hatte wohl ebenso wie er gehofft, dass die Ernennung seines Vaters zum Anführer die Verlobung aufheben würde. Stattdessen hatten die MacLeries und seine Mutter die bereits getroffenen Vereinbarungen bestätigt, und Robbie und Sheena waren weiterhin miteinander verlobt.
„Wie verlief die Reise?“, fragte er. Da nahm sie ihre Hand von seinem Arm und blieb stehen, ohne ihn anzusehen.
„Tu nicht so, als würde es dich interessieren, Robbie.“ Sie zupfte an den Ärmeln ihres Kleides, während sie es vermied, ihn anzusehen. „Das ist wirklich nicht nötig.“
„Ich sorge mich um die Respektlosigkeit, mit der du meine Eltern und den Rest meiner Familie behandelst, die dich hier bei uns zu Hause voller Freundlichkeit willkommen heißen werden.“ Er nickte in Richtung des Bergfrieds und stellte sich ihr gegenüber, die Hände in die Hüften gestemmt. „Stattdessen kümmerst du dich lieber um dieses Pferd.“ Er stieß einen wütenden Atemzug aus.
„Die Wunden könnten sich entzünden, und er könnte daran sterben.“ Aufgebracht ballte sie ihre Hände zu Fäusten. „Ich bin sicher, deine Eltern würden ihm nicht die nötige Pflege verweigern.“
Er ignorierte den Anflug von Sorge in ihrer Stimme. „Aber du hast sie nicht gefragt, nicht wahr, Sheena? Wieder einmal tust du, was du willst, und andere müssen zusehen, wie sie damit klarkommen.“ Die Worte waren heraus, bevor er sie sich hatte verkneifen können. Aber es war nun einmal das, was er dachte, was er selbst mit ihr erlebt hatte – und am eigenen Leib hatte büßen müssen.
Er hatte versucht, seinen Groll ihr gegenüber niederzuringen. Doch die Art, wie er auf ihren Anblick im Stall reagiert hatte, und auch die Gefühle, die jetzt, da er ihr gegenüberstand, in ihm tobten, gaben preis, dass er es nicht geschafft hatte, die Vergangenheit abzuschütteln. Er konnte sich nicht zurückhalten, noch eine Bemerkung hinzuzufügen.
„Und wie hat sich das Pferd verletzt, Sheena?“ Ihr entsetzter Gesichtsausdruck verriet ihm, dass er mit seinem Verdacht richtiglag – sie war auf irgendeine Weise für den Unfall verantwortlich, und ein anderer trug die Konsequenzen ihrer Handlungen, in diesem Fall das arme Tier. Auch wenn sie es sicher nicht mit Absicht getan hatte, so hatte sie vorher nur an sich gedacht. „Du hast dich also doch nicht verändert.“ Er wandte sich ab und streckte einen Arm aus. „Komm. Meine Eltern warten in der Halle auf dich.“
„Du gibst mir noch immer die alleinige Schuld an dem, was damals vorgefallen ist, nicht wahr?“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und richtete den Blick nach vorn. „Nichts als Pflichterfüllung bestimmt dein Leben, oder täusche ich mich?“
Robbie biss die Zähne zusammen, und zum ersten Mal gelang es ihm, seine Zunge im Zaum zu halten, als er den ersten Schritt tat und sie mit sich zog. Die Wachen öffneten ihnen die Türen zum Bergfried.
„Dann hat sich zwischen uns wohl nichts geändert.“
„Unausstehlicher Wichtigtuer“, flüsterte sie wieder, als sie eintraten.
Sie bahnten sich ihren Weg durch die zahlreichen und vollbesetzten Tische in der Großen Halle in Richtung des Podestes, auf dem seine Eltern saßen. Erst als er bemerkte, dass ihre Hand auf seinem Arm zitterte, blickte er zu seiner Verlobten.
In ihre Augen war Angst an die Stelle von Wut getreten, und das erschreckte ihn. In all den Jahren, die er sie nun schon kannte, hatte er die tapfere, eigensinnige und in der Tat nervtötende Tochter der mächtigen Bestie der Highlands noch nie schwanken gesehen. Oh, sie hatte gezittert, wenn ihr Vater seinen Zorn auf sie richtete – wer hätte das nicht? –, aber niemals in anderen Situationen. Selbst ihre wütenden Widerworte vorhin hatten ihn nicht überrascht. Aber das hier schon.
So schnell wie der Ausdruck auf ihrem Gesicht aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden. Sie reckte das Kinn und presste entschlossen die Lippen aufeinander.
Robbie blieb mit ihr vor den Stufen hinauf zum Podest stehen und wartete, bis sie vor seinen Eltern einen Knicks gemacht hatte. Er nutzte die Gelegenheit, sie zu mustern, und ihm fiel auf, dass sie sich zumindest äußerlich sehr wohl verändert hatte. Sie bewegte sich nicht länger wie ein unbeholfenes Kind, sondern elegant und anmutig wie eine echte Lady.
„Sheena, willkommen in unserem Haus und in unserer Familie“, sagte seine Mutter. Während sie sprach, stand sie auf und winkte sie zu sich. Sein Vater nickte. „Komm, setz dich zu uns an den Tisch.“
Robbie führte Sheena die Stufen hinauf und wartete auf irgendeine Reaktion von ihr, aber es kam keine. Ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos.
„Sheena“, flüsterte er. „Was ist los?“
Sie erschrak kurz und schenkte ihm ein schwaches Lächeln, als sie um den Tisch herum zu den beiden freien Plätzen gingen. Als sie seine Mutter erreichten, bewies Sheena einmal mehr, dass sie ihn überraschen konnte. Sie löste ihre Hand von seinem Arm und machte einen Knicks vor seiner Mutter, der jemandem von viel höherem Rang gebührt hätte. Obwohl seine Mutter Frau eines Clan-Oberhauptes war, wäre es an ihr gewesen, der Tochter eines sehr mächtigen und hochrangigen Adligen, der in der Gunst des Königs stand, Respekt zu erweisen.
„Ich bitte Euch um Verzeihung, Lady Elizabeth“, sagte Sheena und senkte den Blick. „Es war unhöflich von mir, Euch und Eure Gesellschaft nach meiner Ankunft hier warten zu lassen.“ Sie raffte ihr verschmutztes Kleid und fuhr fort: „Ich sollte auch nicht in diesem Zustand an Euren Tisch kommen. Ich würde verstehen, wenn Ihr wünschtet, dass ich mich zurückziehe.“
Für einen kurzen Moment wirkte seine Mutter wie betäubt und schwieg, was nur selten vorkam. Lady Elizabeth MacSorley war nie um Worte verlegen. Selbst Robbies Vater schien erschrocken zu sein, bis seine Mutter den Kopf schüttelte.
„Nein, Sheena. Du bist hier jederzeit willkommen. Du musst erschöpft und ausgehungert sein nach der langen Reise und dem Unfall.“
Die Spannung am Tisch löste sich, und auch Robbies Vater begrüßte Sheena nun.
Als alle Platz genommen hatten, brachten die Bediensteten Platten mit gebratenem Fleisch und Beilagen, und die Düfte erfüllten die Halle, und das leise Knurren von Sheenas Magen ließ ihn lächeln. Er füllte Sheenas Teller mit etwas von der gebratenen Wachtel, dem in dünne Scheiben geschnittenen Rindfleisch und anderen Köstlichkeiten, wie es von ihm erwartet wurde. Obwohl sie sich höflich bedankte, vermied sie es, ihm in die Augen zu schauen.
Seine Mutter schaffte es, während des Essens eine Reihe von Fragen zu stellen, ohne dabei aufdringlich oder neugierig zu wirken. Robbie hörte zu und beobachtete Sheena, jetzt ein wenig verunsichert darüber, was er über die junge Frau zu wissen glaubte, die an seiner Seite saß – die Frau, die er heiraten sollte.
Als sich das Essen dem Ende zuneigte, meldete sich seine Mutter noch einmal zu Wort. „Sheena?“ Sheena blickte zu seiner Mutter hinüber. „Ich habe unsere Cousine, Lady Glynnis MacLachlan, gebeten, dich ein wenig bei der Eingewöhnung zu unterstützen. Ihr seid beide ungefähr im selben Alter, und sie wird eine Bereicherung für dich sein, während du dich hier bei uns einlebst.“
Glynnis war mit ihrer sanften Art und ihren ausgezeichneten Manieren die perfekte Begleiterin für Sheena, die viel von ihr würde lernen können, wenn sie sich Mühe gab. Seine Mutter lächelte, als Glynnis Sheena zunickte. Robbie empfand nichts als Bewunderung für die junge Frau, die einem Adligen eine gute Ehefrau sein würde, hatte aber nie ein tiefergehendes Interesse für sie entwickelt. Glynnis blickte zufällig in seine Richtung, und er lächelte anerkennend.
Er wollte aufstehen, um Sheena zu ihrem Gemach zu bringen, als seine Mutter ihm eine Hand auf den Arm legte. „Glynnis, würdest du Sheena bitte zu dem Gemach führen, das wir für sie ausgewählt haben? Sheena, bitte gib Bescheid, wenn dir etwas nicht gefällt oder du etwas brauchst, damit du dich hier schon bald wohlfühlst.“
Wollte seine Mutter, dass die Tochter der Bestie ihr wahres Wesen zeigte, indem sie ihr anbot, Forderungen stellen zu dürfen? Sheena stand auf und wandte sich seinen Eltern zu. Robbies Magen verkrampfte sich. Er rechnete fest damit, sie würde etwas Unpassendes, etwas Undankbares erwidern – wie es nun einmal ihre Art war. Außerdem neigte Sheena dazu, erst zu sprechen und dann nachzudenken.
„Ich danke Euch noch einmal, Mylady, für Euer Wohlwollen und dafür, dass Ihr Euch um mein Wohlergehen sorgt. Ich bin sicher, dass das Gemach, das Ihr mir zugedacht habt, perfekt ist und dass Lady Glynnis mir eine gute Gefährtin sein wird.“ Sheena verbeugte sich vor seiner Mutter und nickte seinem Vater zu, bevor sie sich umwandte und Glynnis vom Podest und aus der Halle folgte.
Er war mit dem Mädchen aufgewachsen. Er hatte jahrelang bei ihrer Familie gelebt und kannte sie. Er kannte ihre guten Seiten, wenn sie derer auch nicht so viele hatte, und ihre schlechten – die im Übermaß vorhanden waren. Doch die Sheena MacLerie, die gerade die Halle verlassen hatte, war eine ganz andere Person als das Mädchen von damals.
Es spielte keine Rolle, dass sie ein eigensinniges Kind gewesen war. Es spielte auch keine Rolle, dass sie jetzt eine junge Frau geworden war. Alles, was zählte, war, dass er damit im Reinen war, seine Pflicht zum Wohle des Cameron-Clans zu erfüllen. Nun, wenn es ihm noch nicht gelungen war, seinen Frieden mit ihr zu schließen, dann würde es bald so weit sein. Es musste so sein. Die Pflicht war wichtig. Ehre war wichtig.
„Sie hat sich verändert, seit wir sie zuletzt gesehen haben“, sagte sein Vater leise. „Sie hat das Aussehen ihrer Mutter in diesem Alter.“
„Du kanntest ihre Mutter?“ Robbie beugte sich vor, um seinem Vater in die Augen zu schauen.
„Jocelyn MacCallum war eine adelige Dame im heiratsfähigen Alter, als mein Vater eine Braut für mich suchte“, antwortete der Cameron. Mit einem Blick auf seine Frau und dann auf Robbie fuhr er fort: „Sie war sehr einnehmend, wenn auch für den Geschmack meines Vaters zu arm. Sie war nicht schön im eigentlichen Sinne, aber sie hatte etwas in ihren Augen, das …“
„Besonders war?“, bot seine Mutter an. „Das von Intelligenz zeugte?“
Einen Moment lang dachte Robbie über die seltsame Natur dieses Gesprächs zwischen seinen Eltern nach. Aber Ehen waren geschäftliche Vereinbarungen, um Ländereien, Vieh und Gold dazuzugewinnen und Bündnisse zu schmieden oder Streitigkeiten zwischen Feinden beizulegen. Seine Eltern allerdings führten eine ganze besondere Beziehung, die sich durch ihre Tiefe von anderen Ehen zwischen Adligen unterschied. Dahinter steckte aber auch eine Geschichte, die nicht nur schön gewesen war.
„Etwas Außergewöhnliches“, schloss sein Vater. Mit einem Blick in die Richtung, in die Sheena und Glynnis davongegangen waren, nickte er. „Ihre Tochter hat es auch.“
Bevor seine Mutter die Worte aussprechen konnte, die ihr auf der Zunge lagen, schlüpfte Robbie selbst etwas über die Lippen, bevor er sich bremsen konnte. „Sie ist ein Satansbraten.“
„Still!“, warnte seine Mutter. „Es ist nicht gut, wenn andere hören, wie respektlos du über sie sprichst, Robbie.“ Sie faltete die Hände im Schoß und schüttelte den Kopf. „Egal, was früher geschehen ist, du hast dich mit ihr verlobt. Habe ich recht?“
Plötzlich fühlte er sich wie der sechsjährige Robbie Cameron, der von seiner Mutter dabei erwischt worden war, wie er sich danebenbenahm. Ihr Tonfall verwandelte ihn innerhalb eines Augenblicks von einem erwachsenen Mann in ein hilfloses Kind.
„Jawohl, Mutter. Vater. Ich habe zugestimmt, Sheena MacLerie zu heiraten.“
„Lass deinen alten Groll los und fang neu an. Gib ihr ein oder zwei Tage Zeit, sich einzugewöhnen und sich um ihr Pferd zu kümmern. Sie sorgt sich eindeutig um das Wohlergehen des Tieres. Die Dinge werden sich zwischen euch wieder beruhigen.“
„Ich habe ihr gesagt, dass sie sich nicht in den Ställen aufhalten darf und die Pflege ihres Pferdes Geordie überlassen soll.“
„Und die anderen hörten, wie du ihr diese Anweisung erteilt hast?“ Seine Mutter hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Er konnte sich nicht erklären, was er falsch gemacht hatte. Bevor er etwas sagen konnte, stand seine Mutter auf und sah ihren Ehemann an. „Ich überlasse es dir, mein Lieber.“
Und schon war sie weg. Robbie starrte ihr nach, während sie und ihre Zofe sich eilig aus der Halle entfernten. Sie waren so schnell, dass niemand Gelegenheit hatte, sich für einen angemessenen Abschied respektvoll zu erheben.
Als sein Vater nach einem Fläschchen Uisge Beatha statt nach mehr Bier rief, machte Robbie sich auf ein ernstes Gespräch gefasst. Nachdem sie beide einen großen Schluck des starken Getränks genommen hatten, klopfte der Cameron ihm auf den Rücken und lehnte sich näher an ihn heran.
„Vielleicht hätte ich dieses Gespräch mit dir schon vor einer Weile führen sollen …“
Robbie fragte sich bei diesen Worten, ob das Fläschchen ausreichen würde.
Wie sich herausstellte, war das nicht der Fall.
„Sollen wir Eure Truhen auspacken, oder möchtet Ihr nach der langen Reise Eure Ruhe haben, Mylady?“, fragte Glynnis. „Oder wollt Ihr Euch frischmachen?“
Die schöne, sanftmütige junge Frau hatte sie die Treppe hinauf und durch lange Gänge in dieses Gemach geführt und wartete nun darauf, ihr alle Wünsche zu erfüllen. Ein Dienstmädchen stand in der Nähe der Tür und wartete ebenfalls auf ihre Befehle.
Leider hatte sie bei der Versorgung ihres Pferdes das Kleid ruiniert. Warum Lady Elizabeth ihr erlaubt hatte, bei Tisch zu sitzen, konnte Sheena sich beim besten Willen nicht erklären. Und doch hatte Robbies Mutter kaum einen Blick an ihre Aufmachung verschwendet und sich jeglichen Kommentars darüber enthalten. Sheena atmete tief durch. Sie wusste, dass sie niemals so gnädig sein würde wie Lady Elizabeth oder Lady Glynnis.
„Isabel, bring heißes Wasser und frische Badetücher“, sagte Glynnis zu dem Dienstmädchen. „Ich werde Euch etwas heraussuchen, das Ihr anziehen könnt, und danach könnt Ihr entscheiden, ob Ihr möchtet, dass wir auspacken oder ob Ihr ins Bett fallen wollt.“ Diese Worte hatte sie an Sheena gerichtet.
Ohne eine Erwiderung abzuwarten, machten die beiden jungen Frauen sich an die Arbeit. Glynnis wusste, was sie tat, jeder Handgriff saß, und Sheena begann sich in ihrer Gegenwart ein wenig zu entspannen. Nachdem Glynnis Isabel entlassen hatte, damit die sich um das ruinierte Kleid kümmerte, blieb sie an der Tür stehen und wartete.
„Ich kann Euch allein lassen, wenn Ihr Euch zu Bett legen wollt“, sagte sie.
Sheena blickte in die großen dunkelbraunen Augen in dem herzförmigen Gesicht und fragte sich, woher diese Frau ihre Geduld und Güte nahm.
„Ich bin noch nicht bereit zu schlafen“, sagte sie und rutschte vom Bett. „Zu unruhig, fürchte ich.“
„Es gibt so viel, worauf Ihr Euch freuen könnt, Lady Sheena. Hierherzuziehen. Robbie zu heiraten. So viele neue Dinge zu erleben. Ich schwöre, das würde mich auch wachhalten!“
Sheena hatte weder das Verlangen noch den Willen, die andere über deren falsche Einschätzung der Lage aufzuklären. Und sie hatte in diesem Moment auch nicht die Kraft, herauszufinden, was Glynnis über ihr Verhältnis zu Robbie wusste oder nicht wusste.
„Würdet Ihr mir mit den Truhen helfen?“
Bald hingen ihre Umhänge an Haken neben der Tür, und die in den Truhen verbliebenen Kleidungsstücke waren sortiert.
Erst als sie innehielt, um sich im Gemach umzuschauen, spürte sie, wie erschöpft sie war. Als sie Glynnis ansah, lächelte diese und nickte.
„Ich danke Euch für Eure Hilfe. Eigentlich hätte die Dienerschaft sich darum kümmern können, aber ich weiß zu schätzen, dass Ihr es getan habt.“
„Es war mir ein Vergnügen, Mylady.“ Glynnis machte einen kleinen Knicks.
„Sheena. Bitte nenn mich bei meinem Vornamen und sag Du zu mir, schließlich werden wir einer Familie angehören.“
„Sehr gern, Sheena. Jetzt aber wünsche ich dir eine gute Nacht. Lady Elizabeth hat gesagt, du sollst dich von den Strapazen der Reise erholen, also wird dich niemand stören. Isabel wird dir ein Frühstück bringen, wenn du aufgestanden bist.“
Man hatte alles für ihren Komfort und ihr Wohlbefinden getan. So wie es ihre Mutter für ihre Gäste tat. So wie es ihre Schwester Lilidh im Haushalt ihres Mannes tat. Wie sollte sie das jemals schaffen? Einen so großen Haushalt wie diesen zu leiten, wenn sie nicht einmal …
„Brauchst du noch etwas, Sheena?“ Glynnis unterbrach ihre Gedanken, und Sheena schüttelte den Kopf. „Ich werde dich morgen aufsuchen und dir den Rest der Burg und des Geländes zeigen, wenn du bereit bist. Ich denke, du wirst es hier genauso lieben wie ich.“
Ohne ein weiteres Wort war die Frau verschwunden. Sheena konnte in der plötzlichen Stille nur noch ihren eigenen Atem hören. Bis auf eine in der Nähe ihres Bettes löschte sie alle Kerzen, bevor sie ihr Gewand auszog und es über das Fußende legte. Gerade als sie das Band um ihren Zopf löste und ins Bett steigen wollte, wurde sie von einem leisen Klopfen an der Tür aufgehalten.
Der Anblick eines leicht betrunkenen und schwankenden Robbie war völlig unerwartet.
„Sheena …“, sagte er. Er lallte ein wenig und musste sich mit einer Hand am Türrahmen abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Ich möchte dich nicht stören, aber …“
Erst jetzt betrachtete sie ihn genauer und bemerkte, dass er sein Haar länger trug als zu seiner Zeit in Lairig Dubh. Es reichte ihm bis zu den Schultern, wenn er es nicht wie beim Abendessen in einem Zopf trug. Er lächelte sie an, und in seinen hellblauen Augen spiegelte sich das flackernde Licht der Kerzenflamme hinter ihr. Er war gut aussehend, wenn er lächelte. Sie schüttelte den Kopf über diesen abwegigen Gedanken.
Robbie hatte seit jenem Tag vor langer Zeit in ihrer Gegenwart nur noch selten gelächelt, also konnte sie gar nicht wissen, wie sehr ein Lächeln seine Ausstrahlung zu verändern vermochte. Er war jetzt größer und überragte sie fast um einen Kopf.
Nach einigen Augenblicken ohne ein weiteres Wort öffnete Sheena die Tür ein wenig weiter und nickte.
„Brauchst du etwas, Robbie? Es ist schon spät, weißt du.“
Ein seltsamer Ausdruck trat in sein Gesicht, den Sheena nicht genau benennen konnte. Er schluckte mehrmals, schwankte erneut, bevor er sein Gleichgewicht wiederfand. Während sie ihn beobachtete, ließ er den Blick über sie wandern, vollkommen ungeniert. Als ihre Blicke sich wieder begegneten, stammelte er ein paar unverständliche Worte, bevor er sich räusperte und noch einmal von vorn anfing.
„Als Ehrengast … ähm … als Verlobte des Erben des Clans Cameron … ähm … gibt es keinen Ort in der Burg oder im Dorf, den du nicht betreten darfst.“ Seine Worte ergaben einen Sinn und doch auch wieder nicht.
„Robbie? Was redest du denn da?“
Er räusperte sich abermals, bevor er weitersprach. Zu tief ins Glas zu schauen, war offenbar etwas, was er nicht oft tat.
„Ich habe Geordie eine Nachricht geschickt, damit er sich mit dir über die Pflege deines Pferdes berät, Sheena.“
Und ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und ging den Korridor hinunter. Sie trat hinaus, sah zu, wie er sich im flackernden Schein der Fackeln entfernte, und fragte sich, ob er Hilfe brauchte, um sein Schlafgemach zu finden. Ein gedämpfter Fluch hallte von den Wänden aus Stein wider, bevor sie eine Tür zuschlagen hörte. Vermutlich war seine Suche erfolgreich gewesen.
Verwirrt und völlig erschöpft kehrte Sheena in ihr Gemach zurück und kletterte ins Bett. Sie genoss die Wärme der schweren Wolldecken und die gemütliche dicke Matratze, aber trotz ihrer Müdigkeit gelang es ihr lange nicht einzuschlafen. Ihre Gedanken hielten sie stundenlang wach, während sie die Ereignisse des Tages wieder und wieder Revue passieren ließ. Das Wiedersehen mit dem jungen Mann, mit dem sie verlobt war, weckte Gefühle in ihr, die sie lieber weiterhin unter Verschluss gehalten hätte.
Er war ein eigensinniger Junge gewesen, der immer den Nervenkitzel des Abenteuers rund um Lairig Dubh gesucht hatte. Zusammen mit ihrem älteren Bruder Aidan war er herumgetollt Unterricht bei einem Mönch genommen. Sie hatten gelernt zu kämpfen, mit ihren Händen und Waffen aller Art. Sie waren unzertrennlich gewesen.
Sheenas größte Sünde war gewesen, dass sie ihn mehr mochte, als sie sollte, und dass sie zu seinem Kreis gehören wollte.