Hochbegabung als pädagogische Herausforderung - Elena Stegemeyer-Senst - E-Book

Hochbegabung als pädagogische Herausforderung E-Book

Elena Stegemeyer-Senst

0,0
13,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2020 im Fachbereich Pädagogik - Begabtenpädagogik, Note: 1.0, MSB Medical School Berlin - Hochschule für Gesundheit und Medizin (Fakultät Gesundheit, Bachelorstudiengang Soziale Arbeit), Veranstaltung: Theorien und Konzepte der Pädagogik, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit gibt einen Einblick in das Thema Hochbegabung. Der Fokus der Arbeit liegt dabei auf der Gruppe der sogenannten hochbegabten Underachiever – Personen, die zwar nach allen wissenschaftlichen Kriterien eine Hochbegabung aufweisen, jedoch stark und dauerhaft hinter den von ihnen erwarteten Möglichkeiten bleiben. Im schulischen Kontext haben hochbegabte Underachiever mit Schwierigkeiten unterschiedlicher Art zu kämpfen – von miserablen Leistungen und Problemen mit Peers bis zur völligen Leistungs-verweigerung und Schulabbruch – und benötigen oft pädagogische und sozialpädagogische Unterstützung. Die Autorin diskutiert die Merkmale und mögliche Ursachen des Underachievement und stellt einige pädagogische Fördermethoden vor. Dabei wird stets vor Augen geführt, dass das Underachievement letztlich nur ein Konstrukt, ein Symptom ist und dass die Individualität eines jeden Menschen an der ersten Stelle stehen muss.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

 

Abstract

1 Einleitung

2 Begriffsbestimmung: was ist Hochbegabung?

2.1 Hochbegabung und Intelligenz

2.2 Außergewöhnliche Leistung und Expertise

3 Underachievement bei Hochbegabten

3.1 Merkmale und mögliche Ursachen des Underachievement

3.2 Persönlichkeit hochbegabter Underachiever

4 Das Motivations- und Selbststeuerungstraining für begabte Underachiever (MoST)

4.1 Die Vorgehensweise

4.2 Fazit

5 Résumé

Literaturverzeichnis

 

„In einer so hoch entwickelten Menschheit, wie die jetzige ist, bekommt von Natur Jeder den Zugang zu vielen Talenten mit. Jeder hat angeborenes Talent, aber nur Wenigen ist der Grad von Zähigkeit, Ausdauer, Energie angeboren und anerzogen, so dass er wirklich ein Talent wird, also wird, was er ist, das heißt: es in Werken und Handlungen entladet.“ (Nietzsche, 1988a)

Abstract

Die vorliegende Studienarbeit gibt einen Einblick in das Thema Hochbegabung. Der Fokus der Arbeit liegt dabei auf der Gruppe der sogenannten hochbegabten Underachiever - Personen, die zwar nach allen wissenschaftlichen Kriterien eine Hochbegabung aufweisen, jedoch stark und dauerhaft hinter den von ihnen zu erwartenden Möglichkeiten bleiben. Im schulischen Kontext haben hochbegabte Underachiever mit Schwierigkeiten unterschiedlicher Art zu kämpfen – von miserablen Leistungen und Problemen mit Peers bis zur völligen Leistungsverweigerung und Schulabbruch – und benötigen oft pädagogische und sozialpädagogische Unterstützung. In der Studienarbeit werden die Merkmale und mögliche Ursachen des Underachievement diskutiert und einige pädagogische Fördermethoden vorgestellt. Dabei wird stets betont, dass das Underachievement letztlich nur ein Konstrukt, ein Symptom ist und dass die Individualität eines jeden Menschen an erster Stelle stehen muss.

1 Einleitung

Das Forschungsvorhaben dieser Studienarbeit wird es sein, zu untersuchen, wie hochbegabte Underachiever im schulischen Kontext erkannt werden können und welche pädagogische Fördermethoden es gibt, um diese Schüler bei der Entfaltung ihrer Begabung und in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen.

In der Studienarbeit wird deduktiv vorgegangen: nach dem allgemeinen Umriss des Themenfeldes der Hochbegabung wird auf eine besondere Gruppe hochbegabter Schüler eingegangen und schließlich ein konkretes Programm zur Förderung dieser Kinder und Jugendlicher an einem Fallbeispiel vorgestellt.

Im theoretischen Teil der Arbeit werden die grundlegenden Erkenntnisse über das wissenschaftliche Konstrukt der Hochbegabung zusammengefasst. Dabei werden die zwei wichtigsten Komponenten des Phänomens der Hochbegabung - Intelligenz und Leistung – definiert und der Stellenwert beider Begriffe innerhalb des Themenfeldes im Lichte des aktuellen Forschungsstandes verifiziert.

Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Gruppe der hochbegabten Underachiever. Die Merkmale und mögliche Ursachen dieses Phänomens werden präsentiert und es wird die Persönlichkeit der betroffenen Kinder und Jugendlichen thematisiert.

Im letzten Kapitel geht es um ein Trainingsprogramm zur Förderung hochbegabter Underachiever. Am Beispiel eines hochbegabten Fünftklässlers, der nach dem Wechsel aufs Gymnasium plötzlich Schulprobleme bekommt, wird die Vorgehensweise im Trainingsprogramm beschrieben und diskutiert.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text für die Bezeichnung von Personen und Personengruppen überwiegend die männliche Form verwendet. Im Fall der Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise wird eine geschlechtsspezifische Unterscheidung vorgenommen.

2 Begriffsbestimmung: was ist Hochbegabung?

Das Thema der Hochbegabung ist im Alltag von Mythen umwoben. Man denkt in dem Zusammenhang möglicherweise an spektakuläre Fälle wie den des Protagonisten des Films „Rain Man“ mit seinen herausragenden Gedächtnisleistungen oder auch den des US-Amerikaners Michael Kearney, der bereits im Alter von vier Monaten in ganzen Sätzen sprechen, mit fünfzehn Monaten lesen und mit drei Jahren mathematische Gleichungen lösen konnte. (Preckel & Vock, 2013, S.12)

Dabei haben solche herausragenden Errungenschaften wenig mit dem wissenschaftlichen Verständnis von Hochbegabung zu tun: „Rain Man“ Kim Peek war ein sogenannter prodigious-Savant (Treffert, 2010) – so werden Personen genannt, die trotz mentaler Retardierung (im Falle von Kim Peek aufgrund des Fehlens des corpus callosum im Gehirn) außergewöhnliche Inselbegabungen vorweisen können (Stegemeyer-Senst, 2017, S.3). Der Fall des Wunderkindes Michael Kearney ist weltweit beinahe einmalig und lässt sich nach strengen wissenschaftlichen Kriterien kaum beurteilen.

Im Folgenden geht es um die Charakterisierung des Begriffes der Hochbegabung in der Wissenschaft. Dabei wird auf den Zusammenhang zwischen Hochbegabung und Intelligenz eingegangen und das Verhältnis zwischen Hochbegabung und Leistung analysiert.

2.1 Hochbegabung und Intelligenz

Hochbegabung steht für ein extrem hoch ausgeprägtes Entwicklungspotential in den Bereichen des allgemeinen Intellekts, spezifischer akademischer Fähigkeiten, Kreativität, Führungseigenschaften und Fähigkeiten im Bereich der Kunst, Musik und Psychomotorik. (Preckel & Vock, 2013, S. 13)

Intellektuelle Hochbegabung zeichnet sich durch ein sehr hohes Leistungspotential in der Informationsverarbeitung, der Wissensaneignung und dem abstrakten Denken aus. Wesentliches Merkmal intellektueller Hochbegabung ist die überdurchschnittliche Intelligenz. Aus diesem Grund werden bei der Hochbegabungsdiagnostik Intelligenztests eingesetzt. Die grundlegenden Kenntnisse aus der Intelligenzforschung sind daher unabdingbar für das Verständnis des wissenschaftlichen Konstrukts der Hochbegabung und werden im Folgenden kurz zusammengefasst. (Preckel & Vock, 2013, S. 27)

Im Jahr 1905 wurde von der Arbeitsgruppe um den Psychologen Alfred Binet und den Mediziner Theodore Simon der erste nach wissenschaftlichen Standards entwickelte Intelligenztest der Öffentlichkeit vorgestellt. Diesem folgten weitere Entwicklungen und Präzisierungen, unter anderem vom amerikanischen Psychologen Willam Stern in Zusammenarbeit mit Clara Stern, dem Psychologen Lewis M. Terman und schließlich dem Psychologen David Wechsler. Dieser schlug vor, als Mittelwert für den Intelligenzquotienten (IQ) 100 mit Standardabweichung 15 festzulegen. Seitdem gelten Personen mit einem IQ unter 70 als minderbegabt und mit einem IQ über 130 als hochbegabt. (Behrensen & Solzbacher, 2016, S.24)

Trotz mathematisch immer präziserer und stabilerer Testergebnisse warnten bereits die Entwickler selbst vor einer Überschätzung der Aussagekraft solcher Verfahren: „Die Skala erlaubt keine Messung der Intelligenz, da intellektuelle Fähigkeiten nicht addiert und somit nicht wie lineare Oberflächen gemessen werden können.“ (Binet & Simon,1905; zitiert nach Behrensen & Solzbacher, 2016, S. 25) Auch Willam Stern betonte, dass die Intelligenztests zwar als erste Orientierung bei Personen eingesetzt werden können, die man nicht kennt; diese Tests sind aber keinesfalls als von anderen Beobachtungen psychologischer, pädagogischer und ärztlicher Art losgelöste, „allein genügende Geistesproben“ zu betrachten. (Stern, 1912; zitiert nach Behrensen & Solzbacher, 2016, S. 25)

Obgleich es üblich und als erste Orientierung empfehlenswert ist, die Diagnose der Hochbegabung von einem hohen Wert des Intelligenzquotienten abhängig zu machen, sind die Begriffe der Hochbegabung und der Intelligenz wissenschaftlich klar voneinander zu trennen. (Behrensen & Solzbacher, 2016, S. 25) Demnach entspricht die Auffassung, ein hochbegabtes Kind sei ein „Kurzbegriff für ein Kind mit hohem Intelligenzquotienten“ (Torrance, 1982; zitiert nach Behrensen & Solzbacher, 2016, S. 26), nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand. Es kommt nicht nur auf eine günstige kognitive Ausgangslage an, sondern auch auf eine Reihe anderer Faktoren wie beispielweise Vorwissen, Abstraktionsniveau, Transformations- und Gedächtnisleistungen und andere Kompetenzen, die in einem Lernprozess zustandekommen und gefestigt werden. (Hoyer, Weigand, & Müller-Oppliger, 2013, S. 72).

Die Hochbegabung hat also nicht nur mit Kognition und Intellekt zu tun, sondern betrifft die ganze Persönlichkeit und die Begabungsentfaltung ist daher ein wichtiger Schritt im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung. Das pädagogische Handeln spielt hier eine zentrale Rolle.

Im schulischen Kontext ist die Hochbegabungsforschung eng mit dem Thema Schulleistung verbunden. (Greiten, 2013, S.33) Im Folgenden wird der Zusammenhang von Hochbegabung und Leistung diskutiert und es wird der Frage nachgegangen, unter welchen Bedingungen sich die Hochbegabung in überdurchschnittlichen Leistungen widerspiegeln kann.

2.2 Außergewöhnliche Leistung und Expertise

Was ist unter einer besonders guten Leistung zu verstehen? Geht es dabei um ein „Endprodukt“ wie überdurchschnittliche Zensuren in der Schule, einen exzellenten Schulabschluss und später ein durch ein Stipendium gefördertes Studium an einer renommierten Universität? Oder steht hier vielleicht doch nicht so sehr die Bewertung des Leistungsprodukts im Mittelpunkt, sondern vielmehr ein Prozess, der zu diesem Ergebnis führen kann, wie aus der folgenden Definition hervorgeht:

„Von Leistung sprechen wir immer dann, wenn eine Person die eigenen Kapazitäten mobilisiert, um eine Aufgabe zu bewältigen, für deren Ergebnis ein Gütemaßstab als verbindlich gesetzt ist.“ (Hany, 2012) Ein derartiger prozessorientierter Leistungsbegriff ist der Bestandteil vieler Begabungstheorien. Auch Willam Stern vertritt die Meinung, dass die Begabungen als Möglichkeitenzur Leistung verstanden werden, als „unumgängliche Vorbedingungen“, als Leistungspotentiale und daher vom „Leistungsprodukt“ zu unterscheiden sind. (Stern, 1916; zitiert nach Mönks, 2014). Die Schulzensuren als Leistungsergebnis können also „nicht der entscheidende Maßstab zur Identifikation Hochbegabter sein“. (Greiten, 2013, S. 34)

Auch die Expertiseforschung bestätigt, dass „die Leistung eines langen und systematischen Übens […] eine viel entscheidendere Rolle für das Ergebnis [einnimmt], als Sichtbarwerden der Begabung“. (Behrensen & Solzbacher, 2016, S. 39) Ein solcher Prozess des hochkonzentrierten und selbstvergessenen Übens, wie die Verfasserin ihn oft bei musikalisch hochbegabten Kindern beobachtet hatte, ist an sich schon eine erstaunliche Leistung – schließlich denken diese Kinder in den meisten Fällen nicht an eine brillante musikalische Karriere und sind ausschließlich intrinsisch motiviert. Sie tun einfach das, was für sie unverzichtbar ist.

Von welchen Bedingungen hängt die erfolgreiche Übersetzung einer Hochbegabung in Leistung ab und mit welchen Methoden können hochbegabte Schüler identifiziert werden? Eine Forschungsgruppe um den Psychologen Kurt Heller untersuchte diese Frage in den 1980er Jahren und begründete mit dem Ergebnis das Münchener Hochbegabungsmodell. (Behrensen & Solzbacher, 2016, S. 37)

Im Rahmen einer Studie wurden Entwicklungs- und Leistungsanalysen von als hochbegabt- und als nicht hochbegabt identifizierten Schüler verglichen. Das Forschungsvorhaben war, „das Dunkelfeld zwischen einer vermuteten und einer gezeigten Hochbegabung zu erhellen“. (Behrensen & Solzbacher, 2016, S. 40) Im Laufe der Forschung wurde festgestellt, dass für die Umsetzung der Hochbegabung in Leistung nicht nur eine spezifische Begabung bzw. eine überdurchschnittliche Intelligenz vorliegen muss, sondern auch die Kombination von persönlichen und sozialen Faktoren wie beispielweise Familienklima, kritische Lebensereignisse, Leistungsmotivation, Wille und Ausdauer, Stressbewältigung und Lernstrategien. (Behrensen & Solzbacher, 2016, S. 42)

So wurde ein multidimensionales Hochbegabungsmodell entwickelt, in dem das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen von Begabungskomponenten mit weiteren Persönlichkeits- und Umweltmerkmalen dargestellt werden. Dieses Modell kann auch für die Arbeit an der Schule eingesetzt werden, unter anderem auch für die Diagnostik und Förderung der sogenannten Underachiever – hochbegabter Kinder und Jugendlichen, deren schulische Performanz deutlich geringer ausfällt als ihre Begabung erwarten lässt.

Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die wichtigsten Merkmale des Underachievement vorgestellt und die möglichen Gründe für Diskrepanzen zwischen Performanz und Begabung sowie die Möglichkeiten der Förderung der betroffenen Schüler diskutiert.

3 Underachievement bei Hochbegabten

„Klassenarbeiten demonstrieren immer wieder schlechte Leistungen. Vor den Zeugniskonferenzen wird häufig die Frage gestellt: „Schaffe ich die Versetzung?“ Die Mitschüler unterhalten sich über Mädchen, die neusten Songs und die coolsten Klamotten, er aber interessiert sich eher für die Aufbau der DNA, darf dies jedoch nicht laut sagen, denn in der Klasse acht interessiert dies sonst niemanden.“ (Greiten, 2013, S. 15)

Vom Underachievement (auf Deutsch: erwartungswidrige Minderleistung) wird gesprochen, wenn aufgrund der Intelligenz davon ausgegangen werden kann, dass ein Schüler zu besseren Leistungen als den erbrachten fähig ist. (Greiten, 2013, S. 39)

In der Schulpraxis gibt es immer wieder Schüler, die trotz nachgewiesener Hochbegabung nur sehr niedrige Schulleistungen erbringen und zudem noch Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten zeigen. (Greiten, 2013, S. 45) Im folgenden Abschnitt geht es um die Kriterien, nach welchen das Underachievement charakterisiert wird und um seine möglichen Ursachen. Ferner werden die Eigenarten der Persönlichkeit der hochbegabten Underachiever erläutert.

3.1 Merkmale und mögliche Ursachen des Underachievement

Hanses and Rost (1996) verglichen Merkmale der Underachiever und normal leistender Hochbegabter und kamen zum Schluss, dass hochbegabte Underachiever

· ein ineffektives Arbeitsverhalten haben

· geringes Interesse an schulischen Aktivitäten zeigen

· stärker misserfolgsorientiert sind

· eine deutlich ausgeprägte Schulunlust haben

· ein eher negativ getöntes Selbstkonzept haben

· durch höhere Impulsivität und geringere Selbstkontrolle auffallen

· oft emotionale und soziale Anpassungsschwierigkeiten haben

Der Großteil der Begabungsforscher spricht von einem Konglomerat an Persönlichkeits- und Umweltfaktoren als Ursache von Underachievement. (Vohrmann, 2018, S. 42)

3.2 Persönlichkeit hochbegabter Underachiever

Wie bereits im theoretischen Teil der Arbeit diskutiert, spielen die Persönlichkeitsfaktoren in der Entwicklung der Hochbegabung eine große Rolle. (Greiten, 2013, S.47) Im Fokus der Betrachtung steht in diesem Zusammenhang der Begriff des Selbstkonzepts. Das Selbstkonzept umfasst emotionale und kognitive Dimensionen der Persönlichkeit sowie die Leistung und psychosoziale Kriterien. Viele Begabungswissenschaftler vermuten aufgrund der Ergebnisse verschiedener Studien eine negative Korrelation zwischen dem Underachievement der Hochbegabten und ihrem Selbstkonzept. Die Wissenschaftler bestätigen, dass hochbegabte Underachiever ein negatives Selbstkonzept haben können, das sich durch hohe Emotionalität, seelische Instabilität und soziale Unzufriedenheit äußert. (Greiten, 2013, S. 48) Auch in der bereits oben erwähnten Münchener Hochbegabungsstudie konnte bei hochbegabten Underachievern ein niedrigeres Selbstwertgefühl festgestellt werden, was auch mit einem negativen Selbstkonzept einhergeht. (Greiten, 2013, S. 49) Außerdem wurde in der Studie festgestellt, dass die Betroffenen durch niedrige Schulleistungen, Unsicherheit und das Anderssein-Gefühl oft misserfolgsorientierter und ängstlicher waren, was wiederum in Stresssituationen wie Prüfungen häufiger zur Störung der Denkabläufe sowie zu erhöhter Emotionalität, die sich durch das sogenannten „Lampenfieber“ äußerte, geführt hat.

Wie kann man diesen Teufelskreis durchbrechen und einen jungen, hochbegabten Menschen dabei unterstützen, ein positives Selbstkonzept zu entwickeln, um selbstsicherer und glücklicher zu werden? Wie bereits im theoretischen Teil der Studienarbeit diskutiert, hängt die Persönlichkeitsentwicklung entscheidend von der Entfaltung der Begabung ab. Es ist ein pädagogisches Konzept nötig, das beide Seiten berücksichtigt – sowohl die Förderung der Begabung als auch die Entwicklung der Persönlichkeit. Im nächsten Kapitel geht es um ein Förderkonzept, das speziell für Schüler entwickelt wurde, die ihr Potential nicht in Leistung umwandeln können. Dabei handelt es sich um das Motivations- und Selbststeuerungstraining für begabte Underachiever (MoST) des Internationalen Centrums für Begabungsforschung (ICBF) an der Universität Münster.

4 Das Motivations- und Selbststeuerungstraining für begabte Underachiever (MoST)

Das Motivations- und Selbststeuerungstraining für begabte Underachiever (MoST) ist ein lösungs- und ressourcenorientierter Ansatz. Mit dem Programm soll hochbegabten Schülern geholfen werden, die schulischen Anforderungen erfolgreich zu bewältigen und die Schule positiv zu erleben. (Fischer-Ontrup & Fischer, 2016)

Im folgenden Kapitel wird die Konzeption des Programms vorgestellt und der Ablauf der Beratung im Rahmen des Motivations- und Selbststeuerungstrainings an einem konkreten Beispiel erläutert.

4.1 Die Vorgehensweise

Das Motivations- und Selbststeuerungstraining für hochbegabte Underachiever (MoST) basiert auf klientenzentrierten und systemischen Ansätzen und geht von der Überzeugung aus, dass die Übersetzung von Hochbegabung in Leistung sowohl von Persönlichkeits- als auch von Umweltfaktoren abhängt. Zunächst werden im Rahmen des Programms die vorhandenen Motivation- und Selbststeuerungsressourcen geprüft und auf der Grundlage der Ergebnisse ein individuelles Förderplan für jeden Schüler zusammengestellt. Im Fokus eines jeden so entwickelten Förderplans stehen besondere Stärken des Schülers – diese sollen genutzt werden, um Schwierigkeiten zu verringern. (Fischer-Ontrup & Fischer, 2016, S. 2)

Im Folgenden wird am Beispiel eines hochbegabten Schülers namens Aaron die konkrete Vorgehensweise im Trainingsprogramm dargestellt. (Fischer-Ontrup & Fischer, 2016)

4.1.1 Fallbeispiel: Aaron

Allgemeine Angaben zum Kind

Soziale Situation: Aaron ist neun Jahre alt und lebt mit seinen Eltern, die beide Akademiker sind, und zwei Geschwistern in einem Einfamilienhaus.

Ausbildung: Aaron besucht zur Zeit der Anmeldung zum Motivations- und Selbststeuerungstraining die fünfte Klasse eines Gymnasiums; er wurde mit sechs eingeschult und hat die dritte Klasse übersprungen.

Freizeit: Aaron hat viele Hobbys – er spielt Handball, engagiert sich in der Kirche und bis vor kurzem hat er Klavier gespielt. Jetzt pausiert er mit dem Klavierspielen, nicht zuletzt aufgrund der Spannungen mit seiner Mutter, die sich wegen des täglichen Übens ereigneten.

Verhältnis zu den Eltern: Aarons Vater ist beruflich stark eingespannt, deshalb ist die Mutter für die schulischen Belange des Sohnes verantwortlich. Häufig ist sie, so wie in dem Fall des täglichen Klavierübens, sehr hinterher. Aaron fühlt sich von der Mutter stark kontrolliert und ist nach eigener Aussage aufgrund dessen „genervt“.

Der Beratungsanlass: Aarons Eltern haben den Eindruck, dass ihr Sohn mit dem Wechsel aufs Gymnasium nicht mehr so viel Freude an der Schule hat wie früher: er ist öfter unmotiviert, vergisst seine Schularbeiten und kann mit Kritik nicht umgehen. Seine schulischen Leistungen lassen nach, wodurch er häufig angespannt und traurig wirkt. Während der Grundschulzeit fiel ihm alles leicht und die heutige Situation setzt ihm sehr zu. Seine Unzufriedenheit mit sich selbst äußert sich durch aggressives Verhalten seinen Geschwistern gegenüber.

Testung: Vor dem Überspringen der dritten Klasse wurde Aaron getestet und sein Gesamt-IQ betrug 142 Punkte.

Resultate der Anamnese- und Diagnostikgespräche:

Bereits im ersten Gespräch wird Aarons Irritation deutlich: in grundlegenden schulischen Disziplinen, wie beispielweise Schreibgeschwindigkeit und schriftliche Darstellung eigener Gedanken, ist er deutlich unter dem Niveau seiner Klassenkameraden. Die Situation ist für Aaron völlig neu – an der Grundschule war er der Klassenbeste in allen Disziplinen. Auch die sozialen Rahmenbedingungen ändern sich dadurch: Aaron bekommt nicht mehr so viel Anerkennung von seinen Mitschülern.

Auch stellt Aaron hohe Ansprüche an sich selbst und ist frustriert, dass er diesen nicht gerecht wird. Da ihm während der Grundschulzeit alles so leichtgefallen ist, hat er nicht gelernt, die nötige Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen aufzubringen.

Auch wird in Anamnese- und Diagnostikgesprächen deutlich, dass Aarons Arbeitsgeschwindigkeit sehr niedrig ist und er deshalb versucht, Aufgaben wie das Niederschreiben von Texten zu umgehen und immer mehr in eine Arbeitsvermeidungshaltung verfällt.  

Die große Ressource, die Aaron an den Tag legt, sind seine hochentwickelten kognitiven Fähigkeiten und die Bereitschaft, die Situation zu reflektieren und nach einem Lösungsweg zu suchen.

Im Ergebnis wird klar, dass das Training sich auf die Veränderung von Aarons Arbeitshaltung konzentrieren soll. Außerdem soll Aarons Anstrengungsbereitschaft gegenüber schulischen Anforderungen verbessert werden.

4.1.2 Inhalt und Ablauf des Trainings

In diesem Abschnitt wird der Inhalt der ersten Trainingssitzung mit Aaron ausführlich dargestellt. Auf den Inhalt der weiteren Sitzungen wird exemplarisch eingegangen.

Im Laufe der individuellen Trainingseinheiten bzw. während der Trainingssitzungen in Kleingruppen, wie in der Weiterentwicklung des MoST-Programm von Vohrmann (2018), wird der Schwerpunkt auf die Ressourcen der teilnehmenden Schüler gelegt. In Aarons Fall geht man von seinem weit entwickelten Intellekt und seiner Fähigkeit, zu reflektieren und nach Antworten zu suchen, aus. Deshalb wird die Planung für das Training individuell auf der Grundlage des Anamnesebogens und in Absprache mit dem Kind durchgeführt.

In der ersten Sitzung des Trainings, im Rahmen eines leitfadengestützten Gesprächs, werden Ziele festgelegt. Motiviert vom Berater, überlegt sich Aaron, „was er von sich selbst erwartet und welchen Anspruch er an sich hat.“ (Fischer-Ontrup & Fischer, 2016, S. 4)

Dem Schüler gelingt es, die Anamneseergebnisse selbstständig mit seiner Arbeitshaltung in Beziehung zu setzen. Dabei fällt ihm auf, dass seine Testergebnisse mit der Meinung seiner Mutter übereinstimmen, dass er zu wenig für die Schule tue.

Daraufhin entwickelt Aaron, unterstützt vom Berater, eine realistische Erwartungshaltung seinen Leistungen gegenüber.

Am Ende der Beratung werden alle besprochenen Punkte schriftlich festgehalten. Als Hausaufgabe soll Aaron darüber nachdenken, was genau seine Bedürfnisse sind und was er ändern möchte.

An der Vorgehensweise des Beraters fällt sofort auf, dass er lösungsorientiert arbeitet: es werden keine fertigen Antworten vorgegeben, das Kind wird mit passenden Fragen dazu motiviert, seine Erfahrungen einzuordnen und seine Haltung sich selbst gegenüber zu überdenken.

In sieben Trainingssitzungen wird auf folgende Trainingsbausteine eingegangen:

1. „Vision“ – Motive erkennen und Ziele bilden

2. „Plan“ – Vision / Vorgehen planen

3. „Selbstmotivierung“ – Ressourcen finden

4. „Handlung“ – Vorgehen / Planung ausführen

5. („Ergebnis-)Kontrolle“ – Ausführungen kontrollieren

6. „Selbstberuhigung“ – Anspannung abbauen

7. „Reflexion“ – Bewährtes sichern und neue Version (Vohrmann, 2018, S. 76) (Fischer-Ontrup, 2011)

Dieses Schema wird als „ideal“ angenommen: da die Ursachen für Underachievement verschieden sind, wird der Ablauf des Trainings auf jeden Schüler individuell abgestimmt. (Vohrmann, 2018, S. 76) In Aarons Fall wird der Fokus auf Selbstmotivierung und Selbstberuhigung gelegt. So werden persönliche Kompetenzen des Schülers ausgebaut und seine Handlungskompetenz verbessert, „[…] um Underachiever zurück in die Handlungsfähigkeit zu begleiten“. (Fischer-Ontrup, 2011, S. 84)

4.2 Fazit

In dem Fallbeispiel kann man gut beobachten, dass der Schüler in nichtkognitiven Bereichen mangelnde Leistungsmotivation aufweist. Dieses Verhalten kommt öfter bei Kindern mit einer Hochbegabung vor und führt zu Anstrengungsvermeidung und Schulfrust, was diese Kinder wiederum am eigenen Selbstkonzept zweifeln lässt und zu massiven schulischen Schwierigkeiten führen kann.

In diesem lösungs- und ressourcenorientierten Trainingsprogramm lernte Aaron, die angemessenen Selbststeuerungsfähigkeiten einzusetzen, um mit frustrierenden Gefühlen umgehen zu können. Der Abschlusstest hat ergeben, dass Aarons Selbststeuerung in punkto Selbstkontrolle, Durchhaltevermögen, Selbstberuhigung und Stressbewältigung sich auf der Testskala um zwei Punkte und die Fähigkeit zur Selbstmotivierung sich sogar um drei Punkte verbessert hat. Die Schulnoten des Schülers haben sich ebenso verbessert und diese positiven Veränderungen haben direkte Auswirkungen auf Aarons Selbstkonzept. Durch die Maßnahme und den Rückhalt seiner Eltern konnte sich Aaron zu einem eigenständigen und handlungsorientierten Schüler entwickeln. (Fischer-Ontrup & Fischer, 2016, S. 12)

5 Résumé

Das Themenfeld rund um das Phänomen der Hochbegabung ist sehr umfangreich. Es existiert mittlerweile ein gewaltiger Schatz an Datenmaterial in Form von Langzeitstudien und Beobachtungen. Es ist kaum zu glauben, dass das Thema der Hochbegabung noch vor ein paar Jahren in Deutschland mehr oder weniger ein Nischendasein geführt hat, wahrscheinlich nicht zuletzt wegen der Berührungsängste mit dem Thema der Elitebildung. (Greiten, 2013, S. 33)

Auch die Thematik des Underachievement bei Hochbegabten ist in Deutschland relativ neu – erst Ende der 1990er Jahre haben sich Forscher diesem Thema verstärkt zugewendet. Ebenso wie in der wissenschaftlichen Hochbegabungsdiskussion wird der Fokus beim Thema hochbegabte Underachiever auf die psychologischen Problemstellungen und auf die Fragen der Intelligenzforschung gelegt. Dabei werden sozialpädagogische Konzepte nur am Rande berücksichtigt. Auch die schulpädagogische Forschung zeichnet sich erst allmählich ab. (Greiten, 2013, S. 278-279)

Die schulpädagogischen Problemstellungen sind jedoch für das Thema hochbegabte Underachiever entscheidend, da die mit Hochbegabung im Zusammenhang stehende Problematiken sich vorrangig im schulischen Umfeld ereignen und die schulische Bildung einen hohen Stellenwert in der Persönlichkeitsentwicklung der Schüler einnimmt. Anlagebedingtes Begabungspotential ist also vom individuellen Bildungsprozess nicht zu trennen, denn erst in dessen Verlauf wird der Mensch durch Auseinandersetzung mit der Umwelt zu dem, was er ist:

„Was ist denn Begabung Anderes, als ein Name für ein älteres Stück Lernens, Erfahrens, Einübens, Aneignens, Einverleibens, sei es auf der Stufe unserer Väter oder noch früher! Und wiederum: Der, welcher lernt, begabt sich selber […]“  (Nietzsche, 1988b, S. 309)

Literaturverzeichnis

 

Behrensen, B., & Solzbacher, C. (2016). Grundwissen Hochbegabung in der Schule. Weinheim, Basel: Beltz.

 

Fischer-Ontrup, C. (2011). Underachievement oder: Schlaue Köpfe mit schlechten Noten. Lern-und Leistungsschwierigkeiten bei besonders begabten Kindern: Entwicklung und Evaluation von Interventionsmaßnahmen zur Verbesserung der Handlungskompetenz–Eine empirische Analyse auf der Basis von Einzelfallstudien. Dissertationsschrift: Münster. Zugriff am 29.09.2020.

 

Fischer-Ontrup, C., & Fischer, C. (2016). Das Motivations-und Selbststeuerungstraining für begabte Underachiever. Lernen und Lernstörungen, 5(4), 219 - 231. doi:10.1024/2235-0977/a000151

 

Greiten, S. (2013). Hochbegabte Underachiever: Perspektiven und Fallstudien im schulischen Kontext (Vol. 16). Münster: LIT Verlag

 

Hanses, P., & Rost, D. H. (1996). Das" Drama der hochbegabten Underachiever:" gewöhnliche" oder" aussergewöhnliche" Underachiever? Marburg: Fachbereich Psychologie der Philipps-Univ.