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Niemand will einen Krieg. Weder Thomas Theisman, noch der Baron von High Ridge oder seine Kaiserliche Majestät Gustav von Anderman. Auch Protector Benjamin hat kein Interesse am Krieg. Die Mitgliedschaft in der Manticoranischen Allianz hat sein Volk einen zu hohen finanziellen und menschlichen Preis gekostet, als dass er nun riskieren will, den Frieden aufs Spiel zu setzen. Und Honor Harrington, die ganz genau weiß, was Krieg bedeutet, wünscht ganz sicher keinen neuen. Doch sie alle sind machtlos gegen das Netz aus Korruption, internem Machtgerangel und politischen Intrigen, die letztlich zum Unausweichlichen führen ...
Abschluss des zweiteiligen Romans.
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Seitenzahl: 801
HonorsKrieg
Roman
Ins Deutsche übertragenvon Dietmar Schmidt
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Deutsche Erstveröffentlichung
Titel der amerikanischen Originalausgabe: War of Honor, Teil 2
Copyright © 2002 by David M. Weber
Für die deutschsprachige Ausgabe
Copyright © 2004/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln
Published by arrangement with
BAEN PUBLISHING ENTERPRISE
This book was negotiated through the Literary Agency
Thomas Schlück GmbH; 30827 Garbsen
Lektorat: Ruggero Leò / Stefan Bauer
Titelillustration: Arndt Drechsler
Umschlaggestaltung: i-d werk, Elke Viehbeck
E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN: 978-3-8387-0968-0
Sie finden uns im Internet unterwww.luebbe.de
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»Von Ihnen hätte ich etwas Besseres erwartet, Edward.«
Michael Janvier, Baron von High Ridge und Premierminister von Manticore, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und blickte an seiner aristokratischen Nase entlang den Ersten Lord der Admiralität an. Seine Stimme troff vor Missfallen. Die smarte Wand des Konferenzraums war umprogrammiert worden und zeigte nun eine mondbeschienene Waldlichtung, doch der Regierungschef schien den bizarren Kontrast zwischen der gelassenen Ruhe des Bildes und seinem beinahe bockigen Gebaren nicht zu bemerken.
»Keine sieben Monate ist es her«, fuhr er in gemessenem Ton fort, »dass Sie uns versichert haben, die Republik Haven habe keine Lenkwaffen-Superdreadnoughts. Jetzt melden Sie mir, man hätte dort wenigstens sechzig dieser Schiffe in Dienst gestellt – nur vier weniger als wir besitzen. Und ich möchte hinzufügen, dass man es geschafft hat, diese Streitmacht aufzubauen, ohne dass wir auch nur das Geringste davon geahnt hätten.«
Er hielt inne und bedachte den Ersten Lord mit seinem patentierten enttäuschten Blick, und Sir Edward Janacek unterdrückte den sehr starken Drang, wütend zurückzustarren. Typisch High Ridge, mir die ganze Schuld zuzuschieben, dachte er. Aussprechen konnte er seinen Gedanken natürlich nicht. Und so sehr es dem Premierminister auch ähnlich sah, automatisch nach einem Sündenbock zu suchen, in diesem Fall bot sich nun einmal der Kopf der Admiralität dafür an, und deshalb musste Janacek in dieser Konferenz außerordentlich vorsichtig sein.
»Ich wüsste gern«, warf Lady Elaine Descroix ein, als die Sprechpause High Ridges sich hinzog, »wie schlimm die Lage nun wirklich ist.«
»Ja«, stimmte die Gräfin von New Kiev zu, »und nicht nur die militärische, bitte.« Sie bedachte die Außenministerin mit einem scharfen Blick, den zu übersehen Descroix sich größte Mühe gab.
»Ich glaube, Elaine spricht aus, was wir alle denken, Edward«, äußerte High Ridge in unverändert gemessenem Ton, und Janacek biss einen oder zwei Herzschläge lang die Zähne zusammen.
»Offensichtlich«, begann er, als er sich wieder sicher war, seine Stimme unter Kontrolle zu haben, »hat unser Nachrichtendienst auf ganzer Linie versagt, und dadurch ist es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, die Lage einzuschätzen. Ich habe die Natur und das Ausmaß des Schadens selbstverständlich mit Admiral Jurgensen besprochen und kann Ihnen versichern, dass wir jedes verfügbare Mittel nutzen werden, um ihn wieder zu beheben.«
»Ist Jurgensen der richtige Mann, um irgendetwas in Ordnung zu bringen?«, fragte Descroix und zuckte mit den Schultern, als Janacek sie anblickte. »Was auch immer geschehen ist, Edward, eins steht doch fest. Wie Sie gerade selbst zugegeben haben, haben wir ein gewaltiges Versagen unseres Geheimdienstes erlebt, und Admiral Jurgensen ist der Zweite Raumlord. Damit hat er die Verantwortung für das ONI, und mir kommt es ganz so vor, als hätte er dabei versagt.«
»Francis Jurgensen ist ein engagierter, gewissenhafter Offizier«, entgegnete Janacek. Er betonte seine Worte sorgfältig, mit jedem Zentimeter der Navyminister, der einen Untergebenen in Schutz nahm – und das, obwohl er innerlich ganz gewaltig seufzte vor Erleichterung, weil Descroix den anklagenden Finger auf jemand anderen als ihn gerichtet hatte. »Gegenwärtig bewerten wir die Leistungen des ONI grundsätzlich neu und glauben, schon einige Schwachpunkte entdeckt zu haben. Die meisten davon stammen noch aus der Zeit der Morncreek-Admiralität. Aber ich muss leider zugeben, dass wir es sind, die einen beträchtlichen Prozentsatz des Personals auf die jeweiligen Positionen gesetzt haben. Das Problem ist eben, dass jemand in den Akten einen sehr guten Eindruck machen kann und trotzdem einige entscheidende Schwächen hat. Solche Schwächen kommen leider erst dann an den Tag, wenn ein Versagen sie offenbart. Bei der Geheimdienstarbeit geschieht so etwas recht oft, fürchte ich, aber in diesem Fall war der Fehler weit … spektakulärer als sonst.
Ich halte es für unangemessen, Admiral Jurgensen zu diesem Zeitpunkt abzulösen, unter anderem, weil ich finde, dass er die Gelegenheit verdient, die Schwierigkeiten zu beseitigen, auf die er erst in jüngster Zeit aufmerksam geworden ist. Meiner Ansicht nach wäre es falsch, ihn zum Sündenbock für das Versagen zahlreicher Personen zu machen. Außerdem halte ich es für einen schweren Fehler, ›mitten im Rennen die Pferde zu wechseln‹. Egal wen wir auf die Position des Zwoten Raumlords setzen, er müsste bei null anfangen und sich erst einarbeiten, und diese Zeit wäre unvermeidlich eine Periode der Zerrüttung und Verwirrung. Admiral Jurgensen hingegen hat schon deutliche Hinweise darauf, was nun eigentlich falsch gelaufen ist. Mit diesem Wissen und dank seiner Vertrautheit mit den Mechanismen seines Bureaus, die er innerhalb der letzten T-Jahre gewonnen hat, ist er meiner Ansicht nach dazu imstande, Kontinuität und Effizienz zu bieten. Und das könnte ein Anfänger nur sehr schwer bieten.«
»Hm«, machte High Ridge stirnrunzelnd. Janacek wartete mit gelassener Miene ab, während er nachdachte. Dann nickte der Premierminister langsam.
»Ich bin mir nicht völlig sicher, ob ich Ihnen zustimme, Edward«, sagte er feierlich, »aber die Admiralität ist Ihr Ressort. Ihre Loyalität zu Ihren Untergebenen ist gewiss lobenswert. Ich rate Ihnen jedoch, aufgrund dieser Loyalität nicht die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Oder eine Situation zu erschaffen, in der die Unfähigkeit eines anderen Sie die Karriere kostet. Diesmal allerdings will ich noch einmal davon absehen, Ihre Entscheidung hinsichtlich Jurgensen zu überstimmen.«
»Danke, Michael. Das weiß ich zu schätzen«, sagte Janacek ernst, und das war die Wahrheit. Besonders wusste er nämlich zu schätzen, dass er dadurch, dass Jurgensen auf seinem Posten blieb, einen gebrauchsfertigen Sündenbock besaß, dem er die Schuld aufladen und den er – zu seinem höchsten Bedauern natürlich – feuern konnte, wenn noch weitere Katastrophen ans Tageslicht kämen.
»Nachdem ich also zugegeben habe«, fuhr der Erste Lord fort, »dass wir ein Geheimdienstversagen der obersten Kategorie erlitten haben, würde ich gern zwo Dinge klarstellen. Erstens, die einzige Quelle über Anzahl und Eigenschaften der neuen Schiffe der Volksflotte – der Republican Navy, meine ich – ist Theismans Presseverlautbarung. Von unabhängiger Seite ist noch nicht bestätigt worden, dass seine Behauptungen der Wahrheit entsprechen. Zwotens bedeutet allein der Umstand, dass die Havies jetzt Lenkwaffen-Superdreadnoughts haben, noch lange nicht, dass sie unseren Typen im Gefecht auch nur annähernd gleichwertig sind.«
»Wollen Sie wirklich behaupten, die Republik hätte gar nicht die Schiffe, die sie zu haben behauptet?« New Kiev gelang es, nicht allzu ungläubig zu klingen, dennoch schwang ihr automatischer Abscheu und ihr ebenso automatisches Misstrauen gegenüber allem Militärischen in ihrem Tonfall mit.
»Was die Anzahl der Schiffe betrifft, behaupte ich überhaupt nichts«, entgegnete er mit harten Augen. »Ich weise nur darauf hin, dass alle Zahlen, die wir haben, von Theisman stammen. Natürlich ist es möglich, dass er dabei übertrieben hat. Gleichzeitig wäre es selbstverständlich auch möglich, dass er sie herunterspielt.«
»Welchen Zweck verfolgt er damit – mit dem einen oder dem anderen?«, fragte Descroix.
»Ich habe nicht gesagt, dass er es getan hat.« Janacek bemerkte, wie sich ein gereizter Unterton in seine Stimme schlich, und er hielt inne und atmete tief durch. Dann fuhr er fort: »Ich habe nur gesagt, dass er es getan haben könnte. Warum er falsche Zahlen genannt haben sollte, nun, da fallen mir für beide Möglichkeiten mehrere Gründe ein. Wenn die Presseverlautbarung der erste Schritt zu einer aggressiveren und anmaßenderen Außenpolitik ist, dann wäre es sicherlich günstig für die Republik, wenn der Gegner ihr militärisches Potenzial überschätzt. In diesem Fall wäre es eine vernünftige Desinformationspolitik, uns weiszumachen, ihre Navy hätte mehr Schiffe, als es tatsächlich der Fall ist. Das würde auch gelten, wenn man von uns einen Präventivschlag befürchtet. Falls ihr Ziel andererseits darin besteht, uns mit einem falschen Sicherheitsgefühl einzulullen, wäre es sinnvoller, die eigentliche Stärke zu verschweigen, um uns nicht zu alarmieren. Haven könnte auch glauben, dass wir weniger besorgt sind und nicht so sehr zu einem Präventivschlag neigen, wenn sie ihre Stärke untertreiben. Das Problem besteht natürlich darin, dass wir überhaupt keine Mittel haben, um herauszufinden, welche dieser Möglichkeiten zutrifft – oder ob Havens Angaben eben doch zutreffen. Deshalb habe ich die Sache angesprochen. Wir müssen uns im Klaren sein – wir alle –, wie beschränkt unser Wissen im Moment tatsächlich ist. Nicht nur, was die neuen Schiffe Havens angeht, sondern auch die Absichten der republikanischen Regierung.«
Er hielt wieder inne, diesmal ohne mit den Zähnen zu knirschen, und blickte sich im Konferenzzimmer um. Die Gesichter, die ihn ansahen, waren während seiner Ansprache ein wenig nachdenklicher geworden, und er gestattete sich ein klein bisschen Genugtuung über diesen Beweis, dass sein vernünftiges Gebaren die gewünschte Wirkung zeigte.
»Welche Absichten Haven nun auch hat«, fuhr er fort, »der zwote Punkt, den ich ansprach, ist wahrscheinlich der wichtigere. Letztendlich sind Wallschiffe nur Plattformen für Waffensysteme. Entscheidend sind darum die Waffen auf diesen Plattformen, und im Augenblick haben wir keinen Hinweis darauf, dass die Republik die technische Lücke überwunden haben könnte, die zwischen ihr und uns klafft. Theisman und Pritchart ist es gelungen, irgendwo einen Werftkomplex zu errichten, von dem wir nichts wissen, doch allein die Existenz einer Werft sagt noch nichts über ihren technischen Stand aus. Informationen dieser Art zu erlangen wird ein wenig länger dauern, aber Admiral Jurgensens Technikexperten haben kontinuierlich Bedrohungsbewertungen über die republikanische Technologie angefertigt.«
Er achtete darauf, sich weder am Tonfall noch am Ausdruck anmerken zu lassen, dass er sich nun auf dünnes Eis begeben würde.
»Nach den pessimistischsten Annahmen dieser Experten ist die Forschung und Entwicklung der Republik noch Jahre hinter uns. In dieser Hinsicht ist wichtig anzumerken, dass Theisman nicht behauptet hat, LAC-Träger in Dienst zu stellen. Die Trägerschiffe zu konstruieren ist nicht schwieriger als einen Lenkwaffen-Superdreadnought zu entwickeln, sogar einfacher. Wenn Haven anscheinend keine LAC-Träger besitzt, kann man das durchaus als Zeichen werten: Der technische Stand der Republik reicht vielleicht noch nicht aus, um einen LAC-Typ zu konstruieren, dessen Leistungsfähigkeit den Bau von LAC-Trägern rechtfertigt.
Um es noch einmal festzuhalten, im Moment sind das alles nur Hypothesen. Auf Grundlage der uns bekannten Tatsachen können wir nichts beweisen oder entkräften. Wenn es stimmt, so ist es ein weiterer Hinweis auf die breite Lücke zwischen unserer und der havenitischen Militärtechnik, und das ist der entscheidende Punkt. Bevor sie Waffensysteme herstellen können, die genauso treffsicher sind wie unsere, die gleiche Reichweite haben – und vielleicht noch wichtiger, die Abwehrleistung unserer elektronischen Kampfsysteme erreichen –, ist das Tonnagenverhältnis verhältnismäßig unwichtig.«
»Unwichtig?«, wiederholte New Kiev. Das Wort kam so tonlos heraus, dass es, auf seine Weise, genauso nachdrücklich klang wie ein ungläubiges Schnaufen.
»Verhältnismäßig unwichtig«, verbesserte er sie in einem Ton, der gerade eben noch geduldig zu nennen war. »Offensichtlich nicht das Gleiche wie ›unerheblich‹ Marisa. Wie die Achte Flotte beim Unternehmen Butterblume bewiesen hat, ist das Leistungsvermögen wichtiger als reine Zahlen. Um es so einfach wie möglich auszudrücken: Wenn unsere Schiffe die doppelte Gefechtsreichweite der havenitischen Schiffe haben, dann spielt es keine Rolle mehr, ob Haven anfangs mehr Schiffe besitzt. Damit erreicht es nur, dass unsere Feuerleitoffiziere mehr Ziele haben.«
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte High Ridge, und seine Stimme klang beträchtlich wärmer als zu Beginn der Besprechung. Das lag, wie Janacek wohl wusste, vor allem daran, dass er die Beruhigungen seines Ersten Lords beruhigend finden wollte.
»Ich ebenfalls«, stimmte Descroix mit nachdrücklichem Nicken zu.
»Ich kann Ihrer Argumentation folgen«, räumte New Kiev ein, obschon ihr Ton und ihr Gebaren erheblich kühler waren als das der beiden anderen. Dann verharrte sie einen Augenblick lang, und Janacek hielt innerlich den Atem an, denn er fragte sich, ob sie auf die gewaltige Lücke hinweisen wollte, die in seinen Ausführungen klaffte.
»Ich kann Ihrer Argumentation folgen«, wiederholte sie, »aber selbst wenn ich alles berücksichtige, was Sie gerade angeführt haben, mache ich mir trotzdem schon allein wegen der Tatsache Sorgen, dass Haven den Besitz dieser Schiffe verkündet. Der Zeit zufolge, die für den Bau eines Wallschiffs nötig ist, hat man anscheinend die Existenz der Schiffe jahrelang streng geheim gehalten. Was also bewegt Haven dazu, sie aus heiterem Himmel zu offenbaren? Und warum ausgerechnet jetzt?«
Janacek atmete innerlich auf, und sein aufmerksames Gesicht verbarg seine Erleichterung: New Kiev hatte nicht darauf hingewiesen, dass das ONI, das sich der technischen Überlegenheit Manticores angeblich so gewiss war, auch fast sechsunddreißig Stunden vor dieser Besprechung noch jeden Eid darauf abgeleistet hätte, dass die manticoranischen Schiffe den havenitischen zahlenmäßig überlegen seien.
»Ich muss zugeben, dass ich mir in dieser Hinsicht ebenfalls Gedanken mache«, entgegnete er und wandte sich an die Außenministerin. »Mir ist kein dringender militärischer Grund für Theismans Verlautbarung bekannt«, sagte Janacek. »Daher vermute ich, dass es einen anderen Grund gibt, der diese Ankündigung für Theisman und Pritchart rechtfertigt – zumindest in ihren eigenen Augen. Haben Ihre Leute in dieser Hinsicht etwas herausgefunden, Elaine?«
Descroix erwiderte seinen nichts sagenden Blick mit einer Fassung, die Janacek für gekünstelt hielt. Offensichtlich hatte sie durchschaut, warum er erleichtert war, ein Ziel gefunden zu haben, auf das er vielleicht die Aufmerksamkeit seiner Ministerkollegen richten konnte. Zum Glück, dachte er, kann sie daran nicht viel ändern.
»Wir haben noch keine Gelegenheit erhalten, eingehend darüber nachzudenken, Edward«, sagte sie mit einsichtiger Miene. »Angesichts dessen, wie … unerwartet Theismans Verlautbarung kam, haben meine Fachleute bislang keinerlei Grund gesehen, dergleichen bei ihrer Einschätzung der republikanischen Verhandlungsposition zu berücksichtigen. Da niemand ihnen gegenüber auch nur angedeutet hat, dass solche Schiffe existieren, konnten sie das schließlich auch nicht in ihre Analysen mit einbeziehen, nicht wahr?«
Ihr süßliches Lächeln enthielt mehr als nur eine Andeutung von Boshaftigkeit, und Janacek verbarg, wie er sich innerlich zusammenkrümmte, als ihre schlagfertige Erwiderung ins Schwarze traf.
»Seit wir die Nachricht erhalten haben, habe ich etliche Stunden mit meinen Spitzenleuten konferiert«, fuhr sie in einem Ton fort, der ihrem Satz ein unausgesprochenes ›selbstverständlich‹ anhängte. »Im Augenblick sehen wir zwei wichtige Möglichkeiten, was die politischen und diplomatischen Erwägungen betrifft.
Die erste und einfachste Möglichkeit haben Sie bereits angesprochen. Seit einiger Zeit ist eines offensichtlich: Pritchart ist nicht sonderlich entzückt über unsere Weigerung, auf die lächerlichen Konzessionen einzugehen, die ihre Unterhändler von uns verlangen.« New Kiev verrutschte leicht auf ihrem Stuhl, erhob aber keinen Einwand, und Descroix sprach weiter: »Unserer Einschätzung nach ist Minister Giancola darüber noch weit weniger erfreut als sie. Unter den gegebenen Umständen wäre es absolut unvernünftig von uns, irgendetwas anderes zu erwarten. Eine der Realitäten der interstellaren Diplomatie lautet nun einmal, dass bei fast jeder Verhandlung einer der Partner in der schlechteren Position ist. Und da Saint-Just um einen Waffenstillstand nachgesucht hat, ist die Volksrepublik in der schlechteren Position.
Offensichtlich würden Pritchart und ihre Regierung das sehr gern ändern. Am Verhandlungstisch ist es ihnen nicht gelungen, und daher ist es sehr gut möglich – sogar wahrscheinlich –, dass sie mit dieser Verlautbarung das Gleiche auf anderem Wege erreichen wollen. Falls es Haven gelungen ist, unsere militärische Überlegenheit auszugleichen, oder auch nur den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, es wäre so, dann verschiebt sich das Machtgleichgewicht. In diesem Fall«, sie nahm ihr Augenmerk von Janacek und richtete es auf alle am Tisch Sitzenden, »leuchtet Edwards Gedanke, es könnte sich um den ersten Schritt auf dem Weg zu einer neuen, aggressiveren Außenpolitik handeln, wunderbar ein.«
»Verstehe.« High Ridge nickte nachdenklich und schürzte die Lippen. »Aber Sie sagten, das sei die eine Möglichkeit. Worin besteht die andere?«
»Die zweite«, antwortete Descroix, »wäre, dass diese Verlautbarung eine Eskalation innenpolitischer Streitigkeiten bedeutet.«
»Wie das?«, fragte New Kiev. Descroix sah sie scharf an, und die Lordschatzkanzlerin zuckte mit den Schultern. »Ich will die Möglichkeit ja nicht bestreiten, Elaine. Aber ich frage mich, wie eine Bekanntgabe größerer militärischer Leistungsfähigkeit irgendeine innenpolitische Frage beeinflussen sollte.«
Sie sprach in versöhnlichem Ton, obwohl die Antipathie zwischen Descroix und ihr immerfort zunahm, und die Außenministerin entspannte sich merklich.
»Die innere Dynamik der Republik ist uns längst nicht so klar, wie uns lieb wäre«, sagte sie. »Zum großen Teil liegt das daran, dass ihr System so neu ist. In vielerlei Hinsicht schaffen die Havies noch immer Präzedenzen und Autoritätssphären, wie sie sie gerade brauchen. Und wenn selbst die Havies nicht genau wissen, wo es langgeht, ist das für uns nur umso schwieriger. Auch so ist es ziemlich eindeutig, dass Pritchart und Giancola Rivalen sind, obwohl er ihrem Kabinett angehört. Wie Sie wissen, ist er bei den Präsidentschaftswahlen mit einer recht guten Kampagne gegen sie angetreten. Es gibt etliche Fingerzeige darauf, dass er die Außenpolitik als eine Frage betrachtet, auf die er eine noch effizientere Kampagne gründen wird, sobald die Wiederwahl ansteht.
Natürlich haben wir keinen offiziellen Botschafter auf Haven, aber über Dritte – mithilfe der Botschaften und Konsulate in anderen Sternnationen – besitzen wir ausgezeichnete Verbindungen zur havenitischen Regierung. Auf Grundlage dieser Kontakte erscheint es uns als gesichert, dass Giancola Pritchart schon seit längerem dazu drängt, in den Friedensverhandlungen mit größerer Bestimmtheit vorzugehen. Und nicht nur das, er scheint sich auch eine eigene Clique innerhalb des Kongresses und den oberen Verwaltungsebenen zu etablieren. Dazu nutzt er die allgemeine Unzufriedenheit über Pritcharts Haltung aus.«
»Ich nehme an, das weiß Präsidentin Pritchart selber, wenn wir es schon wissen.« New Kiev betonte ihre Feststellung als Frage und zog die Augenbraue hoch.
»Ganz gewiss«, stimmte die Außenministerin zu.
»Wenn das so ist«, fragte New Kiev, »warum feuert sie ihn dann nicht einfach als Außenminister?«
»Wahrscheinlich, weil sie es nicht kann«, entgegnete Descroix. »Sie muss das Machtgleichgewicht zwischen den politischen Parteien genauso sorgfältig berücksichtigen wie wir, Marisa. Wahrscheinlich sogar noch genauer, wenn man bedenkt, wie … ungeordnet die inneren Angelegenheiten der Republik gewesen sind. Offensichtlich besitzt Giancola eine beträchtliche Anhängerschaft, und Pritchart sagt sich wohl, dass sie es sich nicht leisten kann, diese Leute vor den Kopf zu stoßen. Besonders, wenn es ihm bereits gelungen ist, diese Anhängerschaft zu vergrößern.«
»Also gut.« New Kiev nickte. »Ich sehe es ein. Aber wenn Giancola einen härteren Kurs in der Außenpolitik verlangt und Pritchart ihn einschlägt, sieht es dann nicht so aus, als würde sie seinen Forderungen nachgeben?«
»So könnte man das natürlich sehen«, räumte Descroix ein. »Andererseits betrachtet sie es vielleicht als die große Chance, Giancolas Rückhalt zu untergraben, indem sie sich seine Position zu Eigen macht und ihn mit leeren Händen dastehen lässt. Deshalb meine ich ja, dass die Bekanntgabe der Existenz dieser neuen Schiffe eher auf innenpolitische als auf interstellare Spannungen zurückzuführen sein könnte. Es ist durchaus möglich, dass Pritchart in der Tat aggressiver verhandeln will – zumindest nach außen hin –, und dass sie Theismans Verlautbarung als Drohmittel gegen uns ansieht. Dann aber wäre ich außerordentlich überrascht, wenn sie wirklich willens wäre, uns allzu hart zu bedrängen.«
»Warum das?«, fragte High Ridge. »Nicht dass ich grundsätzlich widerspreche«, fügte er hinzu, als Descroix ihn ansah, »ich bin nur neugierig darauf, wie Sie es begründen.«
»Wie Edward schon ausgeführt hat«, antwortete die Außenministerin nach einem Moment, »weist die Tatsache, dass sie mehr Schiffe haben, als wir dachten, noch lange nicht darauf hin, dass sie wirklich militärisch mit uns gleichgezogen sind. Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger glaube ich daran, denn sonst wäre Pritchart in den Friedensverhandlungen bereits nachdrücklicher geworden. Ob wir nun von dem Flottenbauprogramm gewusst haben oder nicht, sie war mit Sicherheit die ganze Zeit über umfassend informiert. Wenn sie also glauben würde, dass diese neuen Wallschiffe das militärische Kräfteverhältnis wirklich beeinflussen, dann hätte sie in den Verhandlungen schon längst eine härtere Gangart angeschlagen. Erst recht, wenn das Herauszögern einer solchen Veränderung Giancola ermöglicht hat, sich eine Machtbasis innerhalb ihrer Regierung zuzulegen.
In Anbetracht all dessen glaube ich, dass das havenitische Außenministerium uns im Laufe der nächsten Monate mit etlichen scharf formulierten Noten aufwarten wird – und auch mit einigen außerordentlich deutlichen Presseverlautbarungen und -konferenzen. Dabei wird es sich aber höchstwahrscheinlich nur um Imponiergehabe handeln, das sich ebenso sehr an uns wie an die havenitische Öffentlichkeit richtet. Wenn Pritchart wirklich vorhätte, mehr Härte in die Verhandlungen einzubringen, dann müssten wir vorher noch andere Anzeichen dafür erkennen.«
»Ich muss sagen, dass mir das sehr einleuchtet«, warf Janacek ein. »Und wenn sie wirklich so verrückt ist, auch nur an eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen gegen uns zu denken, hätte Haven uns höchstwahrscheinlich nie freiwillig verraten, dass diese Schiffe existieren. Schon dass wir von ihrer Existenz wissen, reduziert die militärische Wirkung, die Haven damit erzielt haben könnte, ganz gewaltig.«
High Ridge nickte, offenbar überrascht, dass der Erste Lord einer Feststellung zustimmte, die die Geheimdienstpanne der Admiralität ein bisschen weniger verhängnisvoll wirken ließ.
»Letztendlich sagen Sie also, Elaine«, fasste der Premierminister zusammen, »dass wir Ihrer Meinung nach mit einer gewissen Agitation an der Oberfläche zu rechnen haben, ohne dass die zugrunde liegenden diplomatischen Richtlinien sich geändert hätten?«
»Ich weiß nicht, ob ich es so überspitzt formulieren würde«, wich sie vorsichtig aus. »Im Moment würde ich dem zwar zustimmen, aber mir erscheinen unsere Informationen über die Neuzugänge der havenitischen Flotte extrem unvollständig. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Havies die militärische Lücke tatsächlich verkleinert haben – oder das nur glauben, ob es stimmt oder nicht –, dann müsste ich meine Position neu überdenken.«
»Das klingt vernünftig«, stimmte er zu und wandte sich wieder Janacek zu.
»Angenommen, die Schiffszahlen, die Theisman bekannt gegeben hat, sind zutreffend, und angenommen, die Republik geht im Zuge dieser Ankündigung stärker auf Konfrontationskurs, dann ist es wohl unsere Pflicht, unsere Haltung gegenüber der Flotte neu zu überdenken«, sagte er. »Wie bald können Sie uns angemessene Veränderungen vorschlagen, Edward?«
»Das kann ich im Moment noch nicht sagen«, gab Janacek zu. »Wir werden Zeit brauchen, um Theismans Behauptungen zu verifizieren. Und noch länger wird es dauern, bis wir zuverlässige Erkenntnisse über die möglichen Fortschritte ihrer Waffensysteme haben. Ich wünschte, es wäre anders, aber so sieht es aus.«
»Könnten wir nicht bereits über Möglichkeiten nachdenken, während wir diese Informationen noch einholen?« Ausnahmsweise konnte man New Kiev ihre gewohnheitsmäßige Abneigung gegen das Militär nicht anhören. Sie stellte sich nur ihre Wahlmöglichkeiten zusammen, und Janacek zwang sich, sie anzulächeln.
»Gewiss kann ich meine Leute anweisen, Szenarien für den günstigsten und für den ungünstigsten Fall auszuarbeiten, Marisa – und das werde ich auch. Bestimmt bekommen wir detaillierte Vorschläge darüber, wie man mit beiden am besten umgeht. Das Problem dabei ist nur, dass solche Vorschläge, wenn sie einmal präsentiert und abgenommen sind, oft ein Eigenleben entwickeln. So wichtig es für uns auch ist, eine passende Reaktion auf die neue Lage zu formulieren, so wichtig ist es meiner Ansicht nach auch, jeden Frühstart zu vermeiden. Wir dürfen erst dann neue Richtlinien entwickeln, wenn wir sicher sein können, dass sie auch wirklich angemessen sind.«
»Ich stimmte Ihnen völlig zu, dass wir keinesfalls panisch reagieren dürfen«, entgegnete High Ridge. »Aber gleichzeitig können wir es uns nicht leisten, gar nichts zu tun, Edward. Denn eines steht fest: Wir können uns sicher sein, dass Alexander und White Haven und ihre Genossen lautstark darauf bestehen werden, dass diese Neuigkeit ihre fortwährende Kritik an unserer Flottenpolitik bestätigt.«
»Ich weiß«, brummte Janacek. Es klang mehr wie ein wütendes Knurren, denn der Premierminister legte mit untrüglicher Sicherheit den Finger auf den wunden Punkt, der ihm schon in dem Moment bewusst geworden war, als Jurgensen ihm die Neuigkeit am Com mitgeteilt hatte.
»Nun«, fuhr High Ridge fort, »dann müssen wir eben eine Erwiderung parat haben. Ich finde, wir müssen zeigen, dass wir unsere Politik im Lichte der neuen Erkenntnisse an die Realitäten anpassen können. Und genauso wichtig ist es, dass wir allen eines klar machen: Unsere augenblickliche Politik ist von Anfang an fundiert gewesen. Und das stimmt schließlich auch.«
Er blickte sich im Konferenzraum um, und niemand erhob einen Einwand gegen seine letzte Feststellung.
»Ich verstehe.« Janacek seufzte und ließ sich in den Sessel zurückfallen. »Ich fürchte, zuallererst müssen wir unser augenblickliches Flottenbudget überdenken«, sagte er ohne jede Freude. »Das widerstrebt mir, erst recht, nachdem die Opposition uns deswegen solche Scherereien gemacht hat. Ich bin noch gar nicht davon überzeugt, dass die gegenwärtige Lage eine Neubewertung rechtfertigt. Leider können wir uns aber darauf verlassen, dass zumindest White Haven sich auf jeden Vorwand stürzt, um genau das von uns zu verlangen. Die beste Antwort auf solche Angriffe wäre natürlich, dass wir sagen, wir hätten uns schon längst darum gekümmert. Wenn wir selbst die Initiative ergreifen, behalten wir viel besser die Kontrolle. Und wenn wir unsere Vorschläge vernünftig und gelassen präsentieren, gelingt es uns vielleicht sogar, ihn und seine Spießgesellen als so hysterisch erscheinen zu lassen, wie sie sind.«
Und Gott sei Dank, fügte er im Stillen hinzu, ist diese Irre Harrington nicht hier, um auch noch das Maul aufzureißen!
»Was für eine ›Neubewertung‹ haben Sie denn im Sinn, Edward?«, fragte New Kiev. Obgleich sie unverkennbar darauf aus war, Konfrontationen mit dem Ersten Lord zu vermeiden, hörte man ihr deutlich an, dass sie automatisch ihre Hätschelprogramme der ›Den-Frieden-aufbauen‹-Kampagne in Schutz nehmen wollte.
»Die Hysteriker werden eine Menge Druck ausüben und alle möglichen Notbauprogramme und Schwerpunktverlagerungen fordern«, antwortete Janacek ihr. »Jemanden wie White Haven interessieren die Tatsachen eigentlich nicht; er wird zu beschäftigt sein, sie zu seinem Vorteil zu verdrehen, um die Politik zu rechtfertigen, nach der er von Anfang an verlangt hat. Wenn wir verhindern wollen, dass diese Leute Erfolg haben, dann müssen wir willens sein, eine Reihe von rationaleren Alternativen vorzuschlagen – Alternativen, die auf jeden Fall die unausweichliche … Unruhe der Öffentlichkeit besänftigen können. Ich habe nicht mehr Verlangen als Sie, unsere augenblicklichen Haushaltsschwerpunkte zu verschieben, Marisa. Aber wir werden zumindest einige Änderungen vorschlagen müssen.
Wenn die tatsächliche Lage nicht viel schlimmer ist als alles, was Admiral Jurgensen bisher eruieren konnte, können wir die panischsten Forderungen sicher leicht abweisen. Mindestens müssen wir aber verkünden können, dass wir den Bau von einigen unfertigen Lenkwaffen-Superdreadnoughts und LAC-Trägern wieder aufnehmen. Immerhin basiert ein großer Teil unserer Ausgabeprioritäten auf der Tatsache, dass diese Schiffe dort sind und nur darauf warten, fertig gebaut und in Dienst gestellt zu werden, wenn die Umstände es verlangen. Wir sollten diesen Punkt wirklich unterstreichen, um jede ungerechtfertigte Panik im Keim zu ersticken.«
Und dabei zu zeigen, dass unsere Politik völlig fundiert gewesen ist, dachte er insgeheim.
»Selbst wenn wir annehmen, dass Theismans Zahlen richtig sind, können wir sie spielend übertreffen, indem wir schlicht alle im Bau befindlichen Schiffe fertig stellen«, fuhr er fort und schnaubte schroff. »Was das betrifft, würde es genügen, nur die Schiffe zu Ende zu bauen, die in Grendelsbane auf Kiel liegen. Dann hätten wir jedes moderne Wallschiff ausgeglichen, von dem Theisman gesprochen hat!«
Zu Janaceks Erleichterung entspannten sich seine Ministerkollegen bei diesen Worten sichtlich. Nun musste er sich nur noch den Rücken decken.
»Gleichzeitig«, fuhr er fort, »wird es eine Verzögerung geben zwischen dem Moment, in dem wir die Wiederaufnahme des Baus genehmigen, und dem Zeitpunkt, an dem die Schiffe tatsächlich fertig gestellt werden. Im Augenblick habe ich noch keine detaillierten Hochrechnungen, aber BuShips schätzt grob, dass es wenigstens sechs T-Monate dauern wird, wahrscheinlicher aber acht, bis die Bauslips reaktiviert und die nötigen Arbeitskräfte bereitgestellt sind. Davon abgesehen, müssen Professor Houseman, Admiral Draskovic und ich uns genau mit den Besatzungszahlen befassen. Denn uns nützen Schiffe nur wenig, wenn wir nicht die Crews haben, um sie zu bemannen.«
»Wie groß wird Ihre ›Verzögerung‹ denn werden, Edward?«, fragte Descroix.
»Es ist nicht meine Verzögerung«, erwiderte Janacek. »Es ist eine physikalische Grenze, mit der wir uns abfinden müssen.« Er blickte ihr in die Augen und zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt, dauert es sechs T-Monate bis zur Wiederaufnahme des Baus. Danach dauert es je nach Schiff zwischen sechs Monaten und einem Jahr bis zur Fertigstellung, je nachdem, wie weit fortgeschritten der Bau war, als wir ihn stoppten. Die Verzögerung beträgt also zwischen zwölf und achtzehn T-Monaten.«
Über den Konferenzraum senkte sich ein plötzliches, völliges Schweigen, als alle Anwesenden den unangenehmen Zahlen ins Gesicht sehen mussten. Janacek war kaum erstaunt, obwohl nichts von dem, was er gesagt hatte, auch nur einen von ihnen hätte überraschen dürfen. Die Zeitverzögerung war eine unausweichliche Folge ihrer Entscheidung, den Bau der Schiffe einzustellen, und sowohl Houseman als auch er hatten die anderen davor gewarnt. Gut, sie waren natürlich nicht darauf herumgeritten, aber erwähnt hatten sie es. Es stand schwarz auf weiß in ihren Etat-Beurteilungen, und das bedeutete immerhin, dass keiner, der jetzt überrascht war, ihnen die Schuld in die Schuhe schieben konnte.
»Das ist eine längere Periode der Verwundbarkeit, als mir gefällt«, sagte High Ridge schließlich. Wie Janacek feststellte, erkundigte High Ridge sich geflissentlich nicht danach, wie viele Schiffe die Republik Haven während dieser Zeit herstellen könnte. Dieser Punkt hatte jedoch während des zurückliegenden Tages einen beträchtlichen Einfluss auf die Denkprozesse des Ersten Lords ausgeübt. Aber wenn niemand diese Frage zur Sprache brachte, würde Janacek es ganz gewiss nicht tun.
»Mir gefällt es selber nicht besonders, Michael«, entgegnete er. »Leider können wir nicht viel tun, um sie zu verringern. Nicht, indem wir unsere eigenen Kräfte ausbauen, heißt das.«
»Was schlagen Sie vor?«, fragte Descroix.
»Ich schlage gar nichts vor … noch nicht«, antwortete Janacek. »Wir müssen uns aber über alle unsere Alternativen im Klaren sein, Elaine.«
»Und welche Alternative haben Sie noch nicht erwähnt?«, bohrte sie nach, während sie ihn durchdringend anstarrte.
»Wir könnten uns jederzeit für einen Präventivschlag gegen ihre neuen Schiffe entscheiden«, sagte er rundheraus.
»Das wäre eine kriegerische Handlung!«, protestierte New Kiev augenblicklich, undJanacek zügelte sich, damit ihm seine Verachtung nicht anzumerken war.
»Jawohl, das wäre es«, räumte er mit großer Selbstbeherrschung ein. »Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass wir rein rechtlich noch immer mit der Republik Haven im Krieg sind. Darauf hat Theisman selbst hingewiesen, als eine Reporterin ihn fragte, weshalb die Regierung Pritchart in Bezug auf den Flottenetat so geheimniskrämerisch sei – das müssten Sie wissen, wenn Sie die Niederschrift von Theismans Pressekonferenz gelesen haben. Nun, Theisman hatte Recht. Nach meinem besten Wissen hindert uns kein innenpolitischer oder interstellarer Grund daran, die Kampfhandlungen jederzeit wieder aufzunehmen.«
»Aber wir sind doch mitten im Waffenstillstand … und wir verhandeln, um aus diesem Waffenstillstand einen dauerhaften Frieden zu schaffen!«, erwiderte New Kiev scharf.
Sie loderte Janacek an. Ihre auf Einvernehmlichkeit bedachte Haltung trat eindeutig in den Hintergrund, als sich ihr mütterlicher Stolz auf die Waffenstillstandsvereinbarung regte, die sie in ihrer Zeit als Außenministerin in die Wege geleitet hatte.
»Dessen bin ich mir voll bewusst, Marisa«, sagte Janacek. »Und ich schlage auch keineswegs irgendeinen Angriff vor. Ich zähle lediglich unsere möglichen Reaktionen auf. Persönlich halte ich den Gedanken an eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen für am unappetitlichsten. Aber ich glaube nicht, dass wir es uns leisten können, ihn zu übersehen.«
»Besonders nicht, wenn es die Haveniten und nicht etwa wir für angeraten halten, das existierende militärische Kräfteverhältnis zu destabilisieren«, warf Descroix tugendhaft ein. New Kiev wandte sich der Außenministerin zu, die mit den Achseln zuckte. »Die Havies können nicht von uns erwarten, dass wir verhandeln, wenn wir bedroht werden, Marisa!«
Keiner ihrer Ministerkollegen wies darauf hin, dass sie alle von der Republik ganz natürlich erwartet hatten, zu Verhandlungen bereit zu sein … während sie von Manticore bedroht wurde.
»Trotzdem sind wir verpflichtet, die Bedingungen des existierenden Waffenstillstands einzuhalten«, entgegnete New Kiev.
»Dem stimmen wir alle im Grunde zu, Marisa«, sagte High Ridge beruhigend. Ihre Augen blitzten zornig auf, doch er fuhr im gleichen, besänftigenden Ton fort: »Wie Edward schon sagt, als Regierung Ihrer Majestät ist es unsere Pflicht, sämtliche Möglichkeiten und Alternativen zu bedenken, nicht wahr?«
New Kiev hatte den Mund geöffnet, aber nun schloss sie ihn wieder. Ihr Gesicht blieb umwölkt, doch sie atmete tief durch und nickte, obwohl man ihr ansehen konnte, wie unglücklich sie mit dem Gedanken war.
»Tatsächlich«, sagte Janacek dann, »dürfte eigentlich gar kein Widerspruch zwischen dem Waffenstillstandsabkommen und den operativen Voraussetzungen für einen Präventivschlag bestehen.«
Alle blickten ihm erstaunt an, und nun war es an ihm, die Schultern zu zucken.
»Aus offensichtlichen Gründen hat Admiralty House besonders genau auf die Bedingungen geachtet, die sich mit Kampfhandlungen befassen«, erklärte er. »Diese Bedingungen verpflichten beide Seiten, von feindseligen Akten abzusehen, solange die Verhandlungen im Gang sind. Sobald sie jedoch nicht mehr im Gang sind, tritt diese Bedingung außer Kraft.«
»Sie meinen …?« Descroix weitete spekulierend die Augen, während sie ihn ansah, und er lächelte schmal.
»Technisch könnten wir jederzeit entscheiden, die Verhandlungen abzubrechen und den Waffenstillstand zu beenden. Wir könnten auch feststellen, dass die Republik diesen Schritt bereits unternommen hat.«
»Inwiefern?«, fragte Descroix.
»Wie Sie schon sagten, Elaine, hat die Republik das Kräfteverhältnis destabilisiert, indem sie heimlich eine neue Flotte fertigte. Mit Sicherheit könnten wir anführen, dass so eine massive Eskalation ihres Kriegführungspotenzials einen feindseligen Akt‹ darstellt – zumal wir einseitig unsere Flottenstärke gesenkt haben, um Spannungen abzubauen und den Frieden zu fördern. Unter diesen Umständen hätten wir gewiss jedes Recht zu handeln, um diesem feindseligen Akt‹ zu begegnen.«
Er zuckte noch einmal mit den Schultern, und New Kiev starrte ihn mit einem Schrecken an, der an Entsetzen grenzte. Descroix und High Ridge hingegen erwiderten sein schmales Lächeln mit breitem Grinsen. Janacek war kaum erstaunt über die Reaktionen, die er hervorrief, seine Aufmerksamkeit aber ruhte ganz auf New Kiev.
»Ich schlage keineswegs einen solchen Schritt vor, Marisa«, redete er ihr gut zu. »Ich zeige nur auf, welche Möglichkeiten wir hätten, wenn Haven uns in die Ecke treibt. Und um ganz brutal offen zu sein, bin ich für einen Angriff ohne Vorwarnung, sobald unsere Situation so verzweifelt wird, dass ein solches Vorgehen gerechtfertigt wäre. Allerdings glaube ich im Augenblick nicht daran. Und ich würde etwas Derartiges niemals vorschlagen, wenn ich nicht der Meinung wäre, die Lage sei verzweifelt. Aber wie Michael sagt, ist es unsere Pflicht als Minister der Krone, alle möglichen Handlungsoptionen zu erwägen, so abstoßend wir die eine oder andere auch finden mögen.«
»Edward hat Recht, Marisa.« High Ridge gab sich Mühe, die gleiche Gelassenheit und Vernunft auszustrahlen wie Janacek. »Niemand bestreitet, dass wir verpflichtet sind, mit unserer diplomatischen Führung neue Maßstäbe für angemessenes Verhalten zu setzen. Ganz gewiss möchte ich nicht der Premierminister sein, der irgendein interstellares Abkommen verletzt, das vom Sternenkönigreich geschlossen wurde. Jede solche Tat muss jedem von uns abscheulich erscheinen, selbst wenn wir damit – wie Edward soeben ausgeführt hat – technisch keine Bestimmung verletzen würden. Gleichzeitig muss ich ihm Recht geben, dass militärische Notwendigkeiten jede Waffenstillstandsbedingung oder -klausel überstimmen, wenn die Umstände es erfordern.«
New Kiev stand kurz vor einer hitzigen Erwiderung, doch dann blickte sie in die Gesichter der anderen und zögerte. Und in diesem Augenblick des Zögerns verebbte ihr Drang zu rebellieren. Offensichtlich konnte sie sich nicht dazu überwinden, High Ridge zuzustimmen. Aber sie war auch nicht gewillt zu widersprechen. Nicht jedenfalls, solange die Frage hypothetischer Natur war.
»Also schön«, sagte der Premierminister beschwingt, als die Schatzkanzlerin sich unglücklich zurücksinken ließ. »Edward und Reginald werden augenblicklich beginnen, ein Budget aufzustellen, mit dem wir auf die neuen Wallschiffe der Republik reagieren. Edward, ich brauche sowohl Minimal- als auch Maximalhochrechnungen. Wie rasch geht das?«
»Ich kann Ihnen vermutlich morgen Abend vorläufige Zahlen vorlegen«, antwortete Janacek. »Bis es uns gelingt, die Richtigkeit von Theismans Behauptungen zu bestätigen oder zu widerlegen, können sie leider nicht mehr als ›vorläufig‹ sein«, warnte er.
»Verstanden.« High Ridge rieb sich die Hände, runzelte nachdenklich die Stirn und nickte. »Also gut. Während sich Edward damit befasst, müssen wir Übrigen uns auf die Vorarbeit konzentrieren, um die öffentliche Meinung vorzubereiten. Uns bleiben höchstens zwölf bis achtzehn Stunden, dann steht es in den Zeitungen. Zwischen jetzt und dann müssen wir eine Kabinettssitzung einberufen und eine offizielle Antwort auf die Neuigkeiten zurechtlegen. Etwas mit der richtigen Balance aus Ernst und Selbstvertrauen. Elaine, Sie sollten als Außenministerin eine separate Erklärung verfassen. Marisa, Sie kümmern sich mit Clarence um eine allgemeine Stellungnahme der Regierung.«
Er beobachtete New Kiev mit sorgfältig verborgener Aufmerksamkeit, während er seinen Wunsch äußerte. Einen Augenblick lang schien sie zu zögern, doch dann nickte sie, und er atmete innerlich auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie später aus dem Regierungskurs ausscherte, sank erheblich, wenn sie die offizielle Verantwortung für die Stellungnahme trug, in der dieser Kurs überhaupt erst erklärt worden war.
»Wenn das so ist«, sagte High Ridge ruhig, »dann schlage ich vor, dass wir uns vertagen und in die Gänge kommen.«
»Wie gut war unser Timing, Mylady?«, fragte Admiral Alfredo Yu. Rafe Cardones und er waren gemeinsam in Honors Arbeitszimmer gekommen, und nun grinste der schlanke Exil-Havenit seine Gastgeberin breit an, während James MacGuiness trinkbare Erfrischungen reichte. »Ich wollte Sie eigentlich nicht beim Frühstück stören.«
»Mercedes und ich waren tatsächlich fast mit dem Nachtisch fertig«, entgegnete Honor, während sie sein Lächeln erwiderte. Sie warf Brigham einen Blick zu, bei dem ihre mandelförmigen Augen schelmisch funkelten, und auf ihrer Schulter putzte sich Nimitz fröhlich die Schnurrhaare.
»Und war unsere Ankunft eine angenehme Überraschung?«, fragte Yu. Er wandte sich Brigham zu – die eine Division Lenkwaffen-Superdreadnoughts im Protector’s Own kommandiert hatte, bevor sie Honors Stabschefin geworden war.
»Nachdem wir den kollektiven Herzanfall überwunden hatten, den Ihre Hoheit und Sie bei uns allen verursacht hatten, schon«, entgegnete Brigham trocken und schüttelte den Kopf. »Ich kann es noch immer nicht fassen, dass mich niemand eingeweiht hatte!«
»Nun, es wäre nicht ganz fair gewesen, wenn ich es Ihnen gesagt und dem übrigen Stab verschwiegen hätte, oder?«, fragte Honor und lachte, als Brigham sie mit einem überaus missbilligenden Blick bedachte.
»Gab es einen besonderen Grund, weshalb Sie nicht den ganzen Stab informiert haben?«, fragte Brigham nach kurzem Zögern, und Honor zuckte mit den Schultern.
»Eigentlich nicht, denke ich«, räumte sie ein. »Aber da keiner von Alfredos Leuten wusste, wohin es ging, als sie ausliefen, hielt ich es einfach … ich weiß nicht, wie ich sagen soll – vielleicht für unangebracht, Ihnen etwas zu verraten, was auch Alfredos Leute nicht wussten. Außerdem« – ihr schiefes Lächeln wurde spitzbübisch –, »hatten Alfredo und ich lange vorher abgesprochen, dass Sie alle eine kleine außerplanmäßige Übung bräuchten, ein unangekündigtes Manöver, das nicht als solches zu erkennen ist. Und die Übung hat uns schließlich alle in Schwung gebracht, oder?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass jemand, der leidenschaftlich gern untertreibt, vielleicht zu dieser Ansicht gelangen könnte, Hoheit«, stimmte Cardones ihr in staubtrockenem Ton zu. »Das soll nicht etwa heißen«, fügte er hinzu, indem er sich Yu zuwandte, »dass wir nicht froh wären, Sie zu sehen, Admiral.«
»Ich glaube, Captain Cardones spricht aus, was wir alle denken, Sir«, warf Andrea Jaruwalski kopfschüttelnd ein. »Schließlich haben Sie unseren Bestand an Lenkwaffen-Superdreadnoughts und LAC-Trägern mehr als verdoppelt.«
»Und niemand weiß davon. Jedenfalls bis jetzt«, stellte Brigham mit tiefer Zufriedenheit fest.
»Das kommt uns so oder so zugute«, warf Jaruwalski ein. »Wenn die Andys auf Konfrontationskurs gehen, werden ihnen Admiral Yus Schiffe eine ausgesprochen böse Überraschung bereiten. Wenn sie aber wissen, dass er hier ist, könnte seine Gegenwart sie sehr wohl von irgendwelchen … riskanten Abenteuern abhalten.«
»Die Neuigkeit wird sich schnell herumsprechen«, versicherte Honor ihr und hielt inne, um von MacGuiness einen Krug mit Old Tilman entgegenzunehmen. Sie lächelte dem Steward dankend zu und wandte sich wieder an ihren Operationsoffizier.
»Ich kenne nur ein Kommunikationssystem in der Nähe, das hier auf interstellarer Ebene mit Überlichtgeschwindigkeit funktioniert, und zwar ist das die Gerüchteküche Silesias, Andrea«, fuhr sie fort. »Ich rechne fest damit, dass sich die Nachricht über unsere zusätzlichen Schiffe verbreitet – und offen gesagt bin ich gar nicht unglücklich darüber. Die Geheimhaltung von Admiral Yus Zielort war nicht in erster Linie gegen die Andys gerichtet.«
»Besorgt wegen der Opposition unter den Gutsherren, Hoheit?«, fragte Brigham scharfsinnig, und Honor nickte.
»Das bleibt unter uns«, warnte sie, und Jaruwalski, Brigham und Cardones nickten verstehend.
Jaruwalski blickte zwischen Honor und Yu hin und her. »Darf ich fragen, wie lange das Protector’s Own hier bleiben wird?«
»Bis die Gutsherrin von Harrington uns die Rückkehr befiehlt«, antwortete Yu mit Nachdruck. Jaruwalskis Gesicht verriet ihre Überraschung über die Heftigkeit seiner Erwiderung, und er schüttelte den Kopf. »Entschuldigen Sie, Captain. Es lag daran, dass meine Order von Hochadmiral Matthews und dem Protector ein wenig … bestimmt formuliert sind.«
»Ich weiß das zu schätzen, Alfredo«, sagte Honor. »Gleichzeitig wüsste ich nicht, wie ich es rechtfertigen könnte, das Protector’s Own auf Dauer hier zu behalten.«
»Zu rechtfertigen brauchen Sie gar nichts, Mylady«, entgegnete Yu. »Teil unserer Mission ist es zu demonstrieren, dass wir auf uns gestellt überdauern können. Deshalb haben wir unsere eigenen Versorgungs- und Wartungsschiffe mitgebracht. Im Augenblick haben wir alles, was wir benötigen, um unsere logistischen Anforderungen für wenigstens fünf T-Monate erfüllen zu können. Und der Hochadmiral hat mir persönlich gesagt, er rechne nicht damit, uns wiederzusehen, bevor das Ende der Fahnenstange erreicht ist.«
»Das ist sehr großzügig von ihm -«, setzte Honor an, doch Yu unterbrach sie höflich, aber bestimmt, bevor sie den Satz zu Ende sprechen konnte.
»Er hat mir vorhergesagt, dass Sie genau das antworten würden, Mylady. Nötig gewesen wäre es allerdings nicht. Ich soll Ihnen außerdem von ihm ausrichten, dass Sie eine treue und gehorsame Vasallin Protector Benjamins seien. Als solche müssten Sie die Ihnen gesandten Truppen annehmen und nutzen, um die Mission zu erledigen, über die Sie vor Ihrem Abschied von Grayson mit dem Protector gesprochen hätten. Dann fügte er etwas über das ›Erdulden des Zorns Ihres Lehnsherrn‹ hinzu, wenn Sie so töricht wären, die Verstärkung abzulehnen, die Sie, wie Sie beide wüssten, dringend bräuchten.«
»Er hat Recht, Hoheit, das wissen Sie«, sagte Brigham ruhig. Honor blickte sie an, und die Stabschefin zuckte mit den Achseln. »Ich weiß, Sie haben diesen besonderen Aspekt unseres Einsatzes mit niemandem von uns besprochen, aber ich glaube, ich war lange genug in graysonitischen Diensten, um zu wissen, wie der Protector denkt. Als Manticoranerin finde ich es demütigend, dass wir auf fremde Hilfe angewiesen sind. Als Grayson weiß ich genau, wieso der Protector willens ist, uns diese Hilfe zu leisten. Von allem könnten wir es wirklich am wenigsten brauchen, wenn die Lage in Silesia eskaliert und uns überfordert.«
»Ob die Regierung das nun begreift oder nicht«, fügte Cardones in ungewöhnlich düsterem Ton hinzu.
»Nun«, sagte Honor nach einem Augenblick milde. Trotz ihrer Fähigkeit, Gefühle zu spüren, war sie ein wenig verblüfft von der nachdrücklichen, einmütigen Übereinstimmung ihrer Untergebenen. »Ich plane ja keineswegs, Alfredo schon morgen wieder nach Hause zu schicken. Genauer gesagt plane ich überhaupt nicht, ihm die Rückkehr zu befehlen, bevor ich sicher bin, dass wir die Lage hier draußen in der Hand haben. Ich erwarte, dass die Lage sich auf die eine oder andere Weise im Laufe der nächsten drei bis vier T-Monate klärt. Die Andys werden Alfredos Gegenwart entdecken und nehmen sie entweder als schlüssigen Beweis, dass es der Allianz ernst ist, sodass sie alle Pläne zu den Akten legen, einen kriegerischen Zwischenfall zu provozieren, oder sie schießen trotzdem.«
»Und wofür werden sie sich Ihrer Meinung nach entscheiden, Mylady, wenn die Frage gestattet ist?«, erkundigte Yu sich leise.
»Ich wünschte, darauf wüsste ich eine Antwort«, erwiderte Honor.
»Und was tun wir jetzt?«
Arnold Giancola blickte vom Display seines Memopads auf, als sein Bruder ihm wehleidig diese Frage stellte. Er hatte Jason nicht hereinkommen hören und schnitt ein Gesicht, als er begriff, dass sein Bruder gerade vom Vorzimmer ins Büro getreten war – und dass die Tür sperrangelweit offen stand.
»Ich halte es für eine gute Idee, wenn du erstmal hereinkommst und die Tür hinter dir zumachen würdest«, entgegnete er gereizt. »Dienstschluss ist zwar schon vorbei, aber ich möchte trotzdem nicht, dass jeder, der gerade zufällig auf dem Korridor ist, unsere Gespräche mitbekommt.«
Jason errötete bei dem beißenden Tonfall, den er zu seinem Leidwesen ausgesprochen gut kannte. Arnold war noch nie ein besonders langmütiger Mensch gewesen und hatte im Laufe der vergangenen beiden T-Jahre gewaltig an Geduld eingebüßt. In diesem Fall jedoch musste sogar Jason zugeben, dass er nicht ganz Unrecht hatte, und hastig trat er vor, sodass er die Sensoren der Tür nicht mehr blockierte und sie sich schließen konnte.
»Entschuldigung«, brummte er, und Arnold seufzte.
»Nein, Jase«, sagte er und schüttelte reuig den Kopf. »Ich hätte dich nicht anfahren dürfen. Ich schätze, ich bin ärgerlicher als ich dachte.«
»Das würde mich nicht überraschen«, sagte Jason und grinste schief. »Anscheinend brauchen wir uns nur umzudrehen, und schon gibt uns jemand einen Grund, uns zu ärgern, was?«
»Manchmal«, stimmte Arnold zu. Er kippelte mit dem Stuhl zurück und zwickte sich in den Nasenrücken. Es wäre sehr schön gewesen, wenn er sich seine überwältigende Müdigkeit hätte wegzwicken können, doch das stand nicht zu erwarten.
Jason blickte ihn mehrere Sekunden lang an. Arnold war immer der Anführer gewesen. Zum Teil, weil er mehr als zehn T-Jahre älter war als Jason, doch war der Jüngere so ehrlich, sich einzugestehen, dass Arnold auch im umgekehrten Fall der Anführer gewesen wäre, denn er war klüger als Jason, und das war Jason klar. Schwerer allerdings wog, dass seine Persönlichkeit ein gewisses Etwas besaß, das Jason fehlte. Worin genau dieses ›Etwas‹ bestand, konnte Jason nicht genau sagen, doch er wusste, dass es Arnold einen Funken verlieh, eine Präsenz: einen geradezu Furcht einflößenden Magnetismus, den Arnold auf jeden in seiner Umgebung ausüben konnte, wenn er es wollte.
Nun ja, auf fast jeden. Eloise Pritchart und Thomas Theisman erschienen bemerkenswert widerstandsfähig gegen das, was etliche ihrer Verbündeten im Kongress als den ›Giancola-Effekt‹ bezeichneten. Und diese Überlegung führte Jason zum leidigen Grund für seinen Besuch zurück.
»Was tun wir jetzt?«, wiederholte er, und Arnold senkte die Hand und blickte ihn an.
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete der havenitische Außenminister schließlich. »Ich gebe es nur ungern zu, aber Pritchart und Theisman haben mich mit dieser Pressekonferenz völlig überfahren. Ich fürchte, sie waren sich weitaus klarer darüber, worauf ich hinauswollte, als ich geglaubt habe.«
»Bist du sicher? Ich meine, es kann doch auch ein echter Zufall gewesen sein?«
»Natürlich ist das möglich«, erwiderte Arnold Giancola beißend. »Aber wenn du das glaubst, hätte ich ein schönes Stück Schwemmland, das ich dir verkaufen würde. Besichtigung nur bei Ebbe.«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich an einen Zufall glaube«, entgegnete Jason würdevoll. »Ich sage nur, es könnte einer gewesen sein.«
»Wenn du ganz akademisch anführen möchtest, dass alles Zufall sein könnte, hast du wahrscheinlich Recht, Jase«, entgegnete Arnold ein wenig geduldiger. Nicht viel geduldiger, aber ein bisschen. »In diesem besonderen Fall aber muss es Absicht sein. Sie wussten, dass wir mit Leuten gesprochen haben. Bestimmt haben sie vermutet, dass wir kurz davor standen, selber die Existenz der neuen Schiffe bekannt zu geben. Pritchart hat Theisman die Verlautbarung befohlen, um uns den Wind aus den Segeln zu nehmen.«
»McGwire hat mich nach ihrer Rede gefragt«, sagte Jason, und Arnold ächzte. Die geheimnisumwitterte Ansprache, die sämtliche Nachrichtenagenturen am kommenden Abend live aus Eloise Pritcharts Amtssitz übertragen würden, lag ihm ebenfalls auf der Seele.
»Er wollte wissen, was sie erklären will«, fuhr der jüngere Giancola fort und zuckte mit den Achseln. »Ich musste ihm sagen, dass ich es nicht weiß. Ich glaube kaum, dass das die Antwort war, die er hören wollte.«
»Ja, da hast du sicher Recht«, stimmte Arnold zu. Zwei oder drei Sekunden lang wackelte er mit dem Stuhl von einer Seite auf die andere, blickte seinen Bruder nachdenklich an und zuckte mit den Schultern. »Ich habe nicht einmal einen Entwurf der Rede zu Gesicht bekommen, aber aufgrund von ein paar Dingen, die sie mir im Laufe der vergangenen Woche gesagt hat, ist mir ziemlich klar, was sie sagen wird. Ich kann nicht behaupten, dass ich davon besonders begeistert wäre.«
»Du glaubst also, sie wird über die Unterhandlungen mit den Mantys sprechen?«
»Ganz genau«, antwortete Arnold. »Ich nehme an, sie wird dem Kongress – und den Wählern – sagen, dass sie mit größerem Nachdruck auf einen echten Friedensvertrag hinarbeiten wird. Und darum ist es absolut unmöglich, dass Theismans Presseverlautbarung ein Zufall gewesen ist.«
»Ich hatte befürchtet, dass du das sagen würdest«, gab Jason zu und seufzte. »Sie macht sich deine Position zu Eigen.«
»Erzähl mir doch mal was Neues.« Arnold schnaubte. »Dahinter steckt auf jeden Fall Pritchart. Als politische Taktikerin ist sie um Klassen besser als Theisman. Davon abgesehen war Theisman unser bester Verbündeter, was das Timing der Verlautbarung über die neuen Flottenverbände angeht. Weil ihm so viel an der operativen Sicherheit liegt, konnten wir darauf zählen, dass er den Mund hält, bis wir so weit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nein, es war Pritchart. Sie hat ihn überstimmt, und jetzt plant sie, ganz wie du sagst, sich meine Position hinsichtlich der Unterhandlungen anzueignen.«
»Können wir irgendetwas dagegen unternehmen?«, fragte Jason.
»Nichts, was mir spontan einfiele.« Arnolds Stimme klang säuerlich. »Ich frage mich langsam, ob sie nicht vielleicht absichtlich gewartet hat, bis ich mich damit völlig festgelegt habe. Vielleicht hat sie mir gerade genug Leine gelassen, um mich vor allen Insidern von Nouveau Paris selber aufzuknüpfen. Jeder, mit dem wir gesprochen haben, weiß genau, wo ich stehe. Und indem sie mir jetzt öffentlich alles gibt, wonach ich verlangt habe, entzieht sie jedem Einwand, den ich haben könnte, die Grundlage.«
Er kippelte noch weiter mit dem Stuhl zurück und sah zur Decke. Sein Blick schweifte nachdenklich in die Ferne, und Jason beobachtete ihn schweigend. Er wusste, dass es besser war, seinen Bruder nicht zu unterbrechen, wenn er so angestrengt nachdachte, und setzte sich auf einen Stuhl, um abzuwarten.
Es dauerte eine Weile, doch schließlich kehrte Arnold Giancolas Blick in die Gegenwart zurück, und er grinste Jason an. Auch wenn es unfreundlich klingt, Jason war nun einmal nicht gerade das schärfste Messer im Besteckkasten; er war loyal, energisch und begeisterungsfähig, aber selbst an seinem besten Tag hätte ihm niemand vorgeworfen, klüger zu sein als gut für ihn sei. Manchmal ließ er sich von seiner Begeisterung hinreißen und benahm sich daneben, und er hatte eine ganz eigene Art, dumme Fragen zu stellen – sowohl von der Sorte, auf die es keine Antwort gibt, als auch von jener, bei der jeder Idiot die Antwort wissen sollte. Doch gleichzeitig hatte genau diese entnervende Art zu fragen etwas an sich, das in Arnolds Gedanken Funken anschlug. Es war, als bewirke die Notwendigkeit, sich zu überlegen, wie er seinem Bruder etwas am besten erklärte, dass seine Gedanken wie durch Zauberhand Gestalt annahmen.
Jason richtete sich auf, als Arnold ihn angrinste. Er kannte diesen Ausdruck, und sein ermatteter Kampfgeist erwachte von neuem.
»Jase, ich glaube, ich hatte mich völlig verrannt, seit Theisman den Mund aufgemacht hat«, sagte er nachdenklich. »Ich habe die ganze Zeit überlegt, wie Pritchart versucht, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen und mich auszuquetschen. Aber wenn man es sich genau überlegt, kann sie das gar nicht. Nicht, solange ich Außenminister bin. Sie kann versuchen, mir das Verdienst für jeden Erfolg abspenstig zu machen, den unsere Unterhandlungen erbringen. Und sie kann versuchen, der Öffentlichkeit weiszumachen, es wäre ihre Idee, den Mantys gegenüber eine härtere Gangart anzuschlagen. Doch am Ende bin ich es und niemand sonst, der diese Unterhandlungen führt.«
»Also muss sie dir wenigstens einen Teil des Verdienstes für irgendwelche Erfolge zugestehen«, sagte Jason und nickte langsam.
»Ja, genau, das muss sie«, stimmte Arnold ihm zu. »Aber darauf wollte ich eigentlich gar nicht hinaus.« Jason sah ihn erstaunt an, und Arnold grinste. »Ich habe mir überlegt«, erläuterte er, »dass jede Depesche zu den Mantys über meinen Schreibtisch laufen muss. Und das bedeutet, dass ich mich nur auf eben diese Gelegenheiten konzentrieren muss, um den Dingen meinen Stempel aufzudrücken.«
Jason machte noch immer nicht den Eindruck, als habe er begriffen, und Arnold beschloss, nicht ins Detail zu gehen. Noch nicht. Tatsächlich bereute er schon, überhaupt etwas gesagt zu haben, denn Jason neigte manchmal dazu, Dinge im denkbar schlechtesten Augenblick auszuplaudern.
Glücklicherweise war Arnold es gewohnt, die intellektuell schwierigen Dinge zu übernehmen. Darum war es eigentlich auch nicht erforderlich, zu diesem Zeitpunkt irgendetwas zu erklären. Vielleicht war es sogar noch besser, überhaupt nichts zu erläutern. Jason folgte Instruktionen sehr gut, solange sie genau formuliert und unkompliziert waren, und deshalb wäre es wahrscheinlich am klügsten, ihn nicht mit mehr zu belasten, als er unbedingt wissen musste.
Jason war es gewöhnt, dass Arnolds Gedanken oft abschweiften, und es störte ihn nicht, auf unbestimmte Zeit in geselligem Schweigen dazusitzen und abzuwarten, bis Arnold seine Überlegungen abgeschlossen hatte und ihn wieder wahrnahm. Und das war gut so, denn Arnold war im Moment sehr tief in seine Gedanken versunken.
Ja, wirklich. Die ganze Zeit über hatte er seinen größten Vorteil übersehen. Nein, ›übersehen‹ war nicht ganz korrekt ausgedrückt. Er hatte nur nicht begriffen, wie groß dieser Vorteil war, wenn er ihn richtig ausspielte. Nun aber, da ihm der Gedanke einmal gekommen war, erkannte er eine Unzahl von Möglichkeiten. Die Öffentlichkeit ließ sich vielleicht dazu bewegen, jede neue, wirkungsvolle Verhandlungsposition Eloise Pritchart zuzuschreiben und nicht Arnold Giancola. Doch was auch immer die Öffentlichkeit gern glauben wollte, Giancola wusste, dass es Pritchart – so selbstsicher sie sich in ihrer gespannt erwarteten Ansprache auch gäbe – letztendlich an der inneren Kraft mangelte, um mit den Mantys auf die Matte zu steigen, wenn der Erfolg davon abhinge. Wenn sich die Entscheidung näherte, ob man die Feindseligkeiten tatsächlich wieder aufnehmen sollte, würden Pritchart – und Theisman – blinzeln und sich von den verdammten Mantys erneut aufs Kreuz legen lassen.
Arnold Giancola hingegen hatte zu viel Zeit mit den manticoranischen Unterhändlern und durch persönliche Korrespondenz mit Elaine Descroix vergeudet. Er wusste genau, wenn die Republik den Mumm aufbrächte, die Manticoraner unter Druck zu setzen, dann wären sie es, die blinzelten. Baron High Ridge, Lady Descroix und Gräfin New Kiev waren innerlich moralisch so sehr gefestigt wie ein Floh und besaßen das Rückgrat einer Amöbe. Als Cromarty noch Premierminister war, wäre es anders gewesen, doch das war Vergangenheit; die manticoranische Regierung der Gegenwart bestand aus Nullen.
Das Geheimnis des Erfolgs bestand daher in der richtigen Inszenierung. Er musste die passende Stimmung erzeugen, den passenden Zusammenfluss der Ereignisse; eine Situation, in der jeder, der die Mantys nicht so gut kannte wie er, glauben würde, die Wiederaufnahme müsste der nächste logische Schritt sein – es sei denn, die Republik gab in allen Punkten nach. Wenn er eine Situation schaffen konnte, in der Pritchart zusammenbrach und dem Wahlvolk ihren Mangel an Schneid offenbarte, während sie ihm zugleich gestattete, in die Bresche zu springen und die Dinge trotzdem zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen …
O ja. Bei dieser verlockenden Aussicht lächelte er innerlich. Leicht wäre es freilich nicht. Er musste Pritchart irgendwie dazu verleiten, die Manticoraner zur gewünschten Reaktion zu provozieren, doch das würde wohl kaum besonders schwer sein, bedachte man, wie arrogant High Ridge und Descroix waren. Natürlich musste er jemand Verlässlichen finden, der als sein direkter Verbindungsmann mit Manticore fungieren konnte, besonders, da er hier und da sicherlich ein wenig … korrigierend eingreifen müsste. Wer immer diese Kommuniqués weitergäbe, musste dem Dienstweg angehören und bereit sein, den Außenminister zu unterstützen. Giancola glaubte, einen idealen Kandidaten für diese Aufgabe zu kennen.
Falls es natürlich notwendig wurde, Texte zu bearbeiten, musste er sorgfältig darauf achten, dass dieser neugierige Mistkerl Usher nichts davon merkte. Wenn die Präsidentin zu Haarspaltereien bereit war, konnte man das, was er vorhatte, durchaus als rechtswidrig bezeichnen. Das musste er unbedingt überprüfen. Vielleicht konnte Jeff Tullingham ihm einen Rat geben, wenn er seine Anfrage hinreichend hypothetisch formulierte? Legal oder illegal, auf jeden Fall wäre es sehr peinlich – nicht wieder gutzumachend peinlich! –, falls jemand herausfände, wie er die interstellare Situation beeinflusst hatte. Doch am Ende würde er aus der Angelegenheit als gewandter Staatsmann mit eisernem Willen hervorgehen, der getan hatte, was getan werden musste – trotz der widersprechenden Anweisungen der Null, die zufällig das Präsidentenamt innehatte.
Selbstverständlich war es auch sehr wichtig, sich rückzuversichern, indem er dafür sorgte, dass die Manticoraner die Feindseligkeiten auf keinen Fall wieder aufnahmen, wenn Pritchart damit rechtete. Es gab durchaus eine Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass sie anderswo hinreichend beschäftigt waren.
Also gut, dachte er. Als Allererstes esse ich mit dem andermanischen Botschafter zu Mittag …
»… die Aufregung, die wir in diesem historischen Augenblick ohne Ausnahme empfinden. Nicht oft wird einem Politiker die Ehre zuteil, bei einer solchen Gelegenheit für das gesamte Sternenkönigreich zu sprechen und den Stolz auf unsere unvergleichliche wissenschaftliche Gemeinschaft auszudrücken, den alle Untertanen Ihrer Majestät gleichermaßen verspüren. Ich gehe diese Herausforderung daher mit gemischten Gefühlen an, wohl mit Stolz, aber auch mit Beklemmung. Stolz, weil es mir zufällt auszudrücken, was wir alle in diesem Moment empfinden, und Beklemmung, weil ich weiß, wie unzureichend alles sein muss, was ich sagen kann. Trotzdem tröste ich mich mit dem Gedanken, dass am Ende alles, was ich sage, nur die ersten Worte sind, die ausgesprochen werden, aber lange nicht die letzten, und wenn die Stimmen der Bürger des Sternenkönigreichs einfallen und weit würdigeren Dank ausdrücken als ich, dann weiß ich, dass …«
»Mein Gott«, murmelte T. J. Wiggs aus dem Mundwinkel, »hört der denn nie auf?«
Jordin Kare und Michel Reynaud, zwischen denen er saß, schafften es irgendwie, ihn nicht tadelnd anzufunkeln. Außerdem konnten sie sich erfolgreich ein zustimmendes Grinsen verkneifen, und das war viel schwieriger, denn sein kläglicher Ton sprach ihnen aus dem Herzen. Sie saßen mit Wiggs auf dem Podium des Presseraums, hinter dem Rednerpult und der schmalen, hängeschultrigen Gestalt des Premierministers von Manticore, und hörten sich seine anscheinend niemals enden wollende Rede an. Nicht einer von ihnen hätte die Einladung zu diesem erlauchten Moment angenommen, wäre ihnen denn eine Wahl geblieben.
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