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Wir können nur denken, was wir denken. Was wir nicht denken, ist nicht da. Denken ist immer auch Fühlen. Es die Voraussetzung für freies und kreatives Handeln.
Ich bin, wie ich bin? Ein Irrtum. Wir Menschen werden. Wir sind nicht fertig.
Auch als Erwachsene können wir uns entwickeln. Die Richtung dieser Entwicklung folgt einem nachvollziehbaren Muster. Dieses zu kennen, ist für alle essenziell, die mit Change, Integration, Lernen und Entwicklung zu tun haben. Ob Coach oder Führungskraft: Dieses Buch schärft ihren Blick für Menschen. Sie erhalten Fragebögen und Übungen. Und lernen sich en passant auch selbst besser kennen.
Im Coaching gehen wir oft von einer falschen Grundannahme aus: Wir denken, wir hätten es mit gefestigten Persönlichkeiten zu tun, die einem eigenen Gewissen folgen und danach entscheiden können. Doch laut Expertenmeinungen sind weniger als die Hälfte aller Fach- und Führungskräfte in einer entsprechenden Ich-Entwicklungsphase. Coaching ist hier nicht hilfreich. Wir müssen deshalb die Form unserer Unterstützung auf die individuellen Voraussetzungen der Adressaten abstimmen.
Hofert beschreibt in diesem Buch ihre Erfahrungen aus mehr als einem Vierteljahrhundert Coaching und Beratung, in denen sie ein Muster erkannte. Sie spürte die Grenzen ihrer eigenen Ausbildungen. Als sie vor zehn Jahren dann das erste Mal in Berührung mit entwicklungspsychologischen Ansätzen kam, öffnete ihr das die Augen. Kein Ansatz war je so hilfreich und praxisrelevant gewesen. Zahlreiche Fallbeispiele, Übersichten und Checklisten in diesem Buch geben dazu wichtige Impulse und Denkanstöße.
In dieser überarbeiteten Neuauflage sind neben Aktualisierungen auch inhaltliche Erweiterungen vorgenommen worden, vor allem im Bereich Agile Coaching.
Aus dem Inhalt:
Die innere Reise des Menschen
Die wundersame Ich-Entwicklung
Coaching für Entwicklung und Veränderung
Über diese Brücken musst du gehen
Praxisteil: Phasenbewusst coachen (praktische Übungen und Reflexionsfragen)
Svenja Hofert bewegt und entwickelt Menschen, Teams & Organisationen. Sie ist Geschäftsführerin von Teamworks GTQ GmbH und Autorin von mehr als 30 Büchern.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Das Buch von Svenja Hofert »ist quasi eine Supervision für Coaches, um den eigenen Coachingweg zu finden und sich nicht an dogmatischen Regeln festzuhalten, die dem Coachee nichts bringen ... Ein hochinteressantes Buch für alle, die mit Menschen arbeiten!«Friederike Kämper
»Kein Buch für schnell mal zwischendurch. Vielmehr bedarf es, wie die Autorin es selbst auch beschreibt, eines ›sich Reinlesen und Verstehen‹. Nichtsdestotrotz lohnt es sich auf jeden Fall, in die Thematik einzutauchen, um die eigene Arbeitsweise als Coach zu hinterfragen und sich selbstkritisch mit der eigenen Denk- und Handlungsweise auseinanderzusetzen.«Andrea Schlösser, Coaching Magazin
Coaches gehen oft davon aus, dass sie es mit gefestigten Persönlichkeiten zu tun haben, die eigenen Werten folgen und selbst Lösungen für ihre Probleme finden können. Doch fast die Hälfte aller Fach- und Führungskräfte verharrt in einer frühen Entwicklungsphase. Sie sind von manchen Coachingansätzen schlicht überfordert. Das gilt selbst für gestandene Manager.
Entwicklungsphasen folgen einem festen Muster – es zu kennen, ist für alle essenziell, die mit Führung, Change, Integration und Lernen zu tun haben. Denn dieses Muster bestimmt, wie Anregungen, Impulse oder auch Fragen aufgenommen und verarbeitet werden.
Ob Coach oder Führungskraft: Dieses Buch schärft Ihren Blick für Menschen und ihre Entwicklungsphasen. Zahlreiche Fallbeispiele, Übersichten und Checklisten geben Ihnen dazu wichtige Impulse und Denkanstöße. Und Sie lernen sich en passant auch selbst besser kennen.
Aus dem Inhalt:
Die innere Reise des Menschen
Die wundersame Ich-Entwicklung
Coaching für Entwicklung und Veränderung
Über diesen Brücken musst du gehen
Praxisteil: Phasenbewusst coachen (praktische Übungen und Reflexionsfragen)
Svenja Hofert bewegt und entwickelt Menschen, Teams & Organisationen. Sie ist Autorin von mehr als 30 Büchern, Unternehmerin, Coaching-Ausbilderin und Keynote Speakerin.
Wie man Menschen wirklich weiterbringt
von Svenja Hofert
Überarbeitete Neuauflage
Vorwort zur Neuauflage
Vorwort
Prolog: Eine Diskussion über Coaching auf einer Party
Kapitel 1 Hört auf zu coachen!
Auf der Couch oder beim Coach
Kapitel 2 Die innere Reise der Menschen
Ein blinder Fleck im Coaching
Von Ego-Land nach Unbekannt
Bitte kein Coaching!
Die eigene Wahrheit neu deuten
Kapitel 3 Die wundersame Ich-Entwicklung
Die wissenschaftliche Entdeckung
Die Ich-Entwicklung
Die Entwicklungsphasen im Überblick
Was die Denk- und Handlungslogik prägt
Wie sich Unterschiede in der Handlungslogik zeigen
Was treibt Entwicklung?
Missverständnisse über Ich-Entwicklung
Ich-Entwicklung und andere Theorien
6Kapitel 4 Coaching für Entwicklung und Veränderung
Was wirkt im Coaching?
Coaching als Kunst
Die Ich-Entwicklung des Coachs
Was Coachingausbildung bräuchte
Phasenbewusst coachen
Kapitel 5 Über diese Brücken musst du gehen
Es geht um Seitenwechsel
Immer da: der Zwischenraum
Entwicklung braucht Krisen
Die 5 Entwicklungsbrücken
Sie selbst sind die wichtigste Intervention
Veränderungsresistenz
Kapitel 6 Praxisteil – phasenbewusst coachen
Nicht ohne eine Gruppe
Fragen vorm Start
Übersicht der Interventionen
Praktische Übungen
Reflexionsfragen
Eine Bitte zum Schluss
Literatur
Sachverzeichnis
»Du bist, wie du bist?«
»Nein, das bist du nicht. Du bist sehr lange nicht du selbst. Am Anfang bist du nur EINS, verschmolzen mit Mutter, Vater, egal. Dann wirst du dein Impuls, bevor du dann aufgehst in den anderen. Du erfüllst die nicht gelebten Träume, die nicht deine sind, die deiner Eltern und vielleicht sogar Vorfahren. Du verlernst das, was in dir liegt oder mal gelegen hat.
Irgendwann spürst du, dass du nicht das bist, was du zu sein scheinst. Dann beginnt deine Reise: Schritt für Schritt auf dich zu. Wenn dir gelungen ist, dich selbst zu entdecken, erst dann, wendest du dich wieder den anderen zu. Aber anders, mit mehr Ich im Wir. Dass du auf deiner Reise zu deiner eigenen Persönlichkeit angekommen bist, spürst du, wenn du dich öffnest: Du liebst alle Menschen, Wesen und die Welt, aber du tust nichts mehr, um geliebt zu werden. Irgendwann geht vielleicht auch das vorbei, und dann ist einfach nur alles so, wie es ist.«
Liebe Leserin, lieber Leser,
wir reisen: zu uns, von uns weg, zu anderen. Aber uns ist das nicht bewusst. Dieses Buch handelt von der spannenden Reise der Erwachsenen hin zu sich selbst.
Zu keinem meiner zahlreichen Bücher habe ich je so viele Zuschriften erhalten. Kein anderes hat so berührt. Ganz oft stand in den E-Mails, wie lebensverändernd mein Buch gewesen sei. Es habe völlig neue Perspektiven eröffnet.
Menschen, die eine Coachingausbildung absolviert hatten, fühlten sich befreit. Sie fanden bei mir Erklärungen, die sie woanders nicht fanden. Mein Buch entwickelte sich von einem Insidertipp zu einem Standardwerk. Dann erfuhr ich, dass der Verlag Kösel das Buch nicht mehr auflegen wollte. Zunächst wollte ich es darauf beruhen lassen.
Doch immer mehr Menschen in Coachingausbildung schrieben mir, ob ich nicht noch ein Exemplar hätte. Und wie unendlich schade sie den Entschluss meines Verlags fänden!
Die zahlreichen Mails motivierten mich schließlich, den Verlag Vahlen zu fragen, ob sie eine Neuauflage realisieren wollten. Ich fand Gehör: Vahlen plant zurzeit, sein Coaching-Segment aufzubauen. Und da bin ich nun.
Ich habe das Buch gründlich überarbeitet und aus meiner Sicht noch besser gemacht. Hier und da waren Anpassungen nötig. Denn zwischenzeitlich hat sich der Coachingmarkt noch einmal deutlich differenziert. Es gibt Agiles Coaching und Management Coaching.
Somit braucht es noch mehr Menschen, die sich selbst und andere besser verstehen sollten, um wirksam bei Veränderungen zu unterstützen.
Und nun wünsche ich viel Spaß beim Lesen!
Ihre
Svenja Hofert
Liebe Leserin, lieber Leser,
hört auf zu coachen – und fangt an, wirklich zu helfen.
Coaching ist ein Geschäft geworden, an dem viele verdienen. Jeder glaubt, das »goldene« Tool oder den ultimativen Ansatz gefunden zu haben. Solche Versprechungen verkaufen sich gut. Darüber geht oft aber das Menschliche verloren. Wir sind so darauf fixiert, mit unserem Coaching-Hammer Nägel in die Wand zu schlagen, dass wir nicht wahrnehmen, was unser Klient aufnehmen kann – und was nicht.
Wir sind so damit beschäftigt, die richtige Anwendung von neu erlernten Techniken und Tools zu üben, dass wir aus den Augen verlieren, wer uns gegenübersitzt: Menschen, die geprägt sind von ihrer Persönlichkeit, ihrer individuellen Reife und dem jeweiligen Kontext.
Das muss sich ändern. Wir müssen uns auf die Menschen einstellen, mit denen wir zu tun haben. Und damit meine ich mehr als aktives und geduldiges Zuhören – selbst, wenn bereits das eine Kunst ist, die nicht viele beherrschen.
Genauso wichtig ist ein tiefes Verstehen: Aus welchem Modus heraus fühlen, denken und handeln Menschen? Das ist eben nicht bei allen gleich! Es gibt erstaunlich klare Muster. Diese beziehen sich nicht nur auf das Kind- und Jugendalter, sondern auch auf Erwachsene. Völlig unabhängig von der Intelligenz. Das Fühlen, Denken und Handeln erweitern sich schrittweise, öffnet sich, wird breiter und weiter.
In meinen Jahrzehnten als Coach stieß ich auf Muster, lange bevor mir die Ich-Entwicklung die theoretische Erklärung dazu lieferte. Ich hörte auf, so zu coachen, wie ich es gelernt hatte.
Ich hätte mir gewünscht, früher über diese Dinge Bescheid zu wissen. Deshalb schreibe ich dieses Buch. Ich möchte nicht nur ein Modell, sondern vor allem meine Erfahrung mit Ihnen teilen.
Wir gehen im Coaching davon aus, dass alle Erwachsenen eine voll entwickelte Identität besitzen. Wir meinen, jeder hätte einen gesunden inneren Kern und ein eigenes, voll ausgebildetes Gewissen. Wir erwarten, dass Menschen alle Ressourcen haben, um sich ihren Herausforderungen zu stellen und Ziele zu erreichen. So habe ich es gelernt. Aber so ist es nicht.
Mit diesem Buch möchte ich Ihnen dieses komplexe Thema einfach und abwechslungsreich darbieten. Es soll auch eine Anregung zur Selbstreflexion bieten. Dafür gibt es viele Fragen an Sie. Übungen geben Ihnen eine Idee davon, was entwicklungsbezogenes Coaching beinhalten kann. Dazu zahlreiche Fallbeispiele, Impulse und Denkanstöße.
Mein besonderes Dankeschön geht an Dr. Thomas Binder, dessen Fachwissen mich immer wieder inspiriert hat.
Großartige Party. Das Buffet lecker, der Wein gut. Die meisten Gäste sind schon nach Hause gegangen. Theresa, Theo, Axel und Sabine diskutieren über Coaching.
Theresa: Kennt jemand einen guten Coach?
Sabine: Ich habe gerade eine schlechte Erfahrung gemacht. Mit einem Coach, der zu viel coacht.
Theo: Wie bitte? Was ist passiert?
Sabine: Ach, wisst ihr, nach der langen Auszeit ist mir bewusst geworden, dass kleine Korrekturen an meinem Leben nicht mehr reichen. Es ist etwas Neues dran! Ich habe Ideen, aber ist es das? Eigentlich wollte ich von der Coachin ein Feedback zu meinen Gedanken. Ich wollte diese einmal in ihrer Tiefe beleuchten, darüber reflektieren. Ich habe so viele Fragen! Warum gehen mir diese Dinge im Kopf herum? Warum handeln viele Menschen völlig anders als ich? Bin ich richtig so? Aber die Coachin hat gar nicht verstanden, was ich wollte. Sie verstehe sich als Prozessgestalterin – was immer das ist. Dann wollte sie mit mir eine Zielvereinbarung treffen. Sie zwang mit zu einer Aufstellung mit Bodenankern. Das fand ich richtig blöd! Ich suche nun nach einem neuen Coach. Kennt einer von euch jemanden, mit dem man einfach mal so sprechen kann, ohne dass er dich mit Zielen nervös macht und sofort seine Tools auspackt?
Theresa: Einfach nur sprechen kannst du auch mit mir. Wieso dann Coaching?
Sabine: Nein, mit dir ist es etwas anderes, du bist nicht neutral. Ich finde es auch cool, wenn jemand andere Perspektiven einbringt. Davon kann ich lernen.
Theo: Meine Frau hatte ein sogenanntes Coaching. Ihr wisst, sie ist Produktmanagerin. Sie nahm zehn Stunden. Sie erarbeitete mit dem Coach das Ziel aus, 12dass sie in einen Job bei der Kirche wechseln wolle. Was mit Integration oder so. Die Idee fand sie kurze Zeit gut, aber inzwischen denkt sie, das war Zeitverschwendung und herausgeworfenes Geld. Da verdient man doch nichts! Sie stößt da auch wieder auf die gleichen Themen, die sie jetzt hat. Sie hasst Konflikte, kann sich nicht abgrenzen. Mal ehrlich, es gibt doch keinen Job, in dem alle immer nur lieb zueinander sind. Der Coach hätte ihr das klarmachen müssen. Stattdessen haben die beiden Ponyhof-Fantasien entwickelt.
Sabine: Hat sie dem Coach gesagt, dass sie unzufrieden ist?
Theo: Nein, sie hat ihm sogar ein super Feedback gegeben. War ja zunächst auch alles gut. Und jetzt traut sie sich nicht mehr. Ich finde, ein Coach hat auch Verantwortung für das, was rauskommt. Er muss wissen, wovon er redet. Und klar sagen, wenn die Leute sich in Träumereien verlieren. Meine Frau ist jetzt noch viel mehr gefrustet als vorher.
Sabine: Na, da muss man sich nicht wundern. Der denkt ja, er hätte geholfen. Wenn alle so sind wie deine Frau …
Axel: Seid doch nicht so negativ. Mir hat es sehr geholfen, als der Coach mit mir konkret besprochen hat, was ich meinem Chef sagen soll, wenn der mich kritisiert. Die Übung hat viel gebracht.
Sabine: Das war doch kein Coaching! Coaches sagen dir doch nicht, was du machen sollst! Sie stellen dir gute Fragen. Dein Coach ist ein Trainer.
Axel: Ist mir doch egal. Der hat Psychologie studiert und eine Coaching-Ausbildung. Unsere Firma finanziert das als Business Coaching. Der Typ ist schon älter, arbeitet schon lange in dem Job. Er hat das gelernt! Mir hat es jedenfalls geholfen. Und wozu suchst du denn einen Coach, Theresa?
Theresa: Ich will wissen, ob noch mehr für mich drin ist. Das kann doch nicht alles gewesen sein.
Axel: Was?
Theresa: Na, mein Leben. Ich will mich selbst verwirklichen.
Theo: Kann es eigentlich sein, dass jeder von uns eine ganz andere Vorstellung von Coaching hat?
Axel: Ich will jemand, der mir konkret zeigt, wie etwas geht.
Theresa: Ich brauche wohl einfach nur ein neues Ziel.
Sabine: Für mich ist es ein Sparring auf Augenhöhe. Mir hilft es am meisten, wenn mir jemand kluge Fragen stellt. Wenn Raum für neue Gedanken entsteht, ist das großartig. Ich will aber auch ein klares Feedback. Ein Coach muss doch auch einen Standpunkt haben!
Der Dialog auf der Party ist erfunden, aber jede der Stimmen kenne ich. Ich will Ihnen jetzt eine echte Geschichte anbieten: meine eigene.
Meine ersten Ausbildungen haben mir nicht die Kenntnisse vermittelt, die ich gebraucht hätte, um Therapiefälle rechtzeitig zu erkennen. Sie haben mir auch nicht gesagt, wann es sinnvoll ist, die Vergangenheit mit einzubeziehen und wann nicht. Sie sensibilisierten auch nicht für die Anwendung von Testverfahren. Ich lernte auch nicht die spezielle Bedeutung von Gruppen und Kontext kennen, die ich heute für essenziell halte. Ich sensibilisierte mich selbst. Da war ein großes Bedürfnis, nicht nur intuitiv, sondern auch kompetent zu sein.
Ich habe viele Menschen über Jahre und Jahrzehnte begleitet. Es kamen Studenten zu mir, die es über verschiedene Führungsebenen bis zum Vorstand brachten. Moderatoren schickten mir ihre jugendlichen Kinder. Meine vielen Büchern sorgten für Vertrauen. Ich arbeitete mit Politikern und Fachkräften. Eine Zeitlang war ich auf Existenzgründung und Unternehmer spezialisiert. In dieser Zeit, etwa bis 2005, veröffentlichte ich auch viele Standardwerke und bis zu zehn Auflagen.
Um die Jahrtausendwende war ich als HR-Consultant in große Outplacement-Projekte involviert gewesen. Bei diesen Projekten war auch nie ganz klar, ob man berät, coacht, trainiert oder doch auch mal unfreiwillig therapiert. Damals verloren viele Menschen ihren Job. Der Arbeitsmarkt war noch ein ganz anderer. Ein Jobverlust ist vielfach ein Trauma. Wie man mit Traumata umgeht, habe ich da aber nicht gewusst. Heute gibt es viel, viel mehr Coachingausbildungen. Bessere, aber vermutlich auch schlechtere. Der Markt ist ja nicht reguliert, und kommerzielle Interessen herrschen vor.
Ich hatte immer und immer wieder das Gefühl, dass ich ein paar Dinge wissen müsste. Deshalb hängte ich spät ein Wirtschaftspsychologie-Master an meinen Magister Artium. Rückblickend hat mir das Kenntnisse in Statistik beschert. Die finde ich sehr wichtig. Ich habe aber auch gemerkt, dass mir das meiste längst bekannt war.
14Ich lernte mehr durch Reflexion meiner Erfahrungen. Fast ein Jahrzehnt war ich in gemeinsamer Praxis mit einer Psychotherapeutin. Meine Intervisionsgruppen mit Therapeuten, Beratern und Coaches gaben mir immer wieder neue Blickwinkel und öffneten blinde Flecken.
Ich lernte auch durch Grenzerfahrungen. Der erste Borderline-Fall etwa, für den ich einfach nicht gewappnet war. Als ein junger Mann mir vom Selbstmordplänen seiner Freundin erzählte, konnte ich darüber zum Glück mit meiner Kollegin reflektieren. Ich lernte am meisten, wenn ich mich mit anderen über meine Gedanken austauschen konnte. Etwa, ob es in diesem Fall besser war, nur an der Oberfläche zu arbeiten oder doch tiefer zu gehen. Oder ob es vertretbar sei, über drei Jahre und 90 Stunden mit einem Klienten an seiner Selbstständigkeit zu arbeiten.
Meine Zielgruppen veränderten sich immer wieder. Zeitweise arbeitete ich auch mit jungen Menschen, die gerade das Abitur gemacht hatten. Bei ihnen spürte ich diese »Uncoachbarkeit«. Sie konnten gar nicht selbst wahrnehmen, was sie wollten. Sie spürten ihre Bedürfnisse nicht. Und das ist kein Wunder: Auf welche Erfahrung bitte soll ein 18-Jähriger zurückgreifen? Sie stochern in Fantasien. Mein Fazit: Hier braucht es wirklich valide Testverfahren.
Ich hatte auch oft Professoren im Coaching. Da merkte ich, dass ein Professorentitel und ein IQ jenseits der 130 keine Garanten für gereifte Persönlichkeiten sind.
Was mich aber am meisten überraschte, war, dass gerade Topmanager oft gar keinen Bezug zu sich und ihren Emotionen hatten. Sie agierten in einer Art Automatenmodus. Sie hatten eine ausgefeilte Sprache und wirkten sehr eloquent, aber oft war das wie eine Hausfassade ohne Haus dahinter. Ich lernte viel, auch über Emotionen und Kognitionen, beschäftigte mich mit Neurowissenschaften. Es blieben Fragezeichen. Und ein Fremdeln mit dem, was unter dem Begriff Coaching immer breitere Bekanntheit erlangte.
Meine Erfahrungen haben mich später dazu gebracht, gemeinsam mit meinem Kollegen Thorsten Visbal eine eigene Ausbildung zu etablieren. Es ist bewusst keine Coachingausbildung. Davon gibt es genug, wenn nicht zu viel.
Unser besonderes Augenmerk gilt dem Gestalten von Teams. Hier fördern wir das Bewusstsein für unterschiedliche Rollen zwischen Moderation, Coaching und Beratung. Die Ich-Entwicklung spielt dabei eine besondere Rolle. Denn eins ist mir klar geworden: Wenn Menschen mit Menschen arbeiten, müssen Sie erst einmal auf sich selbst schauen.
Man lernt auch durch andere. Was ist deren Selbstverständnis?
Besonders in einer Lebensphase, in der ich Anfang, Mitte Vierzig war, nahm ich mehrere Stunden bei verschiedenen Coaches. Damals hatte ich die Idee, etwas ganz anderes zu machen. Ich wollte kein Coach mehr sein. Ich hatte alles gesehen, glaubte ich. Erst rückblickend verstehe ich, dass ich damals in einer Phase feststeckte, die Sie in den weiteren Kapiteln als Flexibel-Phase kennenlernen werden.
Teils stellte ich mich als Versuchskaninchen in Coachingausbildungen zur Verfügung, teils wandte ich mich an Profis. In den Coachings spürte ich dann bei mir selbst, was ich in der fiktiven Party-Diskussion beschrieben habe. Ich war da wie Sabine.
Das gab es die toughen und strukturierten Coaches. Sie wollten Ziele mit mir vereinbaren. Ich wollte das aber nicht. Ich wollte nicht an die Kette gelegt werden. Schon gar nicht wollte ich Ziele smart beschreiben, also spezifisch, messbar, aktiv, realistisch und »timeboxed«. Der Widerstand, der mir ins Gesicht geschrieben war, blieb bei den Toughen allerdings unbemerkt. Wenn ich es ansprach, waren sie beleidigt.
Auch die Variante mit strukturierter Prozesssteuerung an Flipchart & Co. empfand ich bei aller Empathie des Coaches als unangenehm. Das kann für einige genau richtig sein, aber eben nicht für alle.
Unter den Toughen erlebte ich auch »Mansplaining.« Ein älterer, männlicher Coach meinte, mir väterlich persönliches Feedback aufgrund eines Tests geben zu müssen. Ich hielt aber schon den Test nicht für aussagekräftigt. Der Coach verteidigte ihn wie sein Heiligtum, meine Bedenken wollte er wegargumentieren. Darauf reagierte ich allergisch.
Dem Strukturierten gegenüber steht die weiche, fürsorglich-mütterliche Coach-Variante. Eines dieser Coaching-Experimente fand im Life Coaching-Kontext statt. Der Coach kam aus dem NLP, dem Neurolinguistischen Programmieren. Hier wird Coaching anders definiert. Der Verband DVNLP e. V. schreibt in seiner Definition: »Coaching ist die individuelle Begleitung eines Menschen in beruflichen oder persönlichen Reflexions- und Veränderungsprozessen.« Das ist näher am Verständnis von Coaching als psychosoziale Beratung oder auch Counseling. Es zieht aus meiner Erfahrung etwas andere Leute an.
Meine Coachin war jedenfalls davon überzeugt, dass die Lösung in mir lag. Sie sagte: »Die Antwort liegt immer im Klienten selbst, du bist Expertin für dein Anliegen.« Sie mag recht haben. Aber damals reagierte ich trotzig, sah das nicht so. Ich wollte andere Meinungen, Gedanken und Gefühle zu meinem Anliegen kennenlernen. Ich sagte, »Sagen Sie mir doch einfach, was Sie dazu denken«.
Dann wollte sie mit mir mit Bodenankern arbeiten, auf die sie Begriffe schrieb, die mit meiner Frage zu tun hatten. Welche das waren, weiß ich nicht mehr genau. 16Vermutlich waren es die verschiedenen Möglichkeiten meiner eigenen Weiterentwicklung, die mich beschäftigten. Man kann alles so und so sehen, es gibt unendlich viele Perspektiven. Das mit der Flexibel-Phase teilweise einhergehende Thema »destruktiver Relativismus« kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut. Mit Bodenankern kam ich da jedenfalls gar nicht weiter.
Heute kann ich das einordnen. Ich war damals von einer verbreiteten »Nebenwirkung« befallen. Ich hatte meinen Standpunkt verloren. Es gab keine übergeordnete Orientierung. Der Metablick hätte mir damals mehr geholfen. Es ging nicht um Entscheidung für das eine oder andere, wie es die Coachin interpretierte. Das Thema war nicht das Thema.
Mir liegt es fern, die Arbeit mit Bodenankern als falsch zu deklarieren. Sie kann sehr wirksam sein, aber es muss passen und der Klient muss es wollen.
Meine Reise durch die Coaching-Landschaft war danach noch nicht zu Ende. Ich habe auch Klopftechnik, Transaktionsanalyse und Wingwave® ausprobiert.
Aber es geht nicht um den Ansatz – der ist (meist) unschuldig. Es geht um denjenigen, der ihn oft zu wenig differenzierend anwendet. Nehmen wir Wingwave®. Die Methode arbeitet mit der Reaktion des Körpers und impliziert, dass die Antworten im Körper gespeichert sind. Zunächst wird der Coachee durch Handbewegungen in einen traumähnlichen Zustand versetzt. Dann folgt ein sogenannter »Myostatiktest«. Der Coachee bildet mittels Daumen und Zeigefinger einen festen Muskelring. Der Coach hält diesen dann mit maximaler Kraft. Ein schwacher Muskeltest, also ein schnelles Auflösen der Kraft zwischen Muskel und Zeigefinger deutet auf Stress hin. Das lässt sich beispielsweise nutzen, um Fragen zu beantworten wie: »Soll ich mit meinem Kollegen eine GmbH gründen oder nicht?« Es ist eine großartige Methode, die ausgesprochen nützlich sein kann. Das stelle ich nicht in Abrede. Aber mein damaliger Coach wandte es an, als würde er mir ein Designerkleid verkaufen. Er war so überzeugt von der Methode, dass bei mir vor allem Werbetext ankam.
Ganz bestimmt war ich eine schwierige Klientin. Erstens braucht es Souveränität, um mit jemanden wie mir zu arbeiten. Ich war damals schon als Buchautorin bekannt. Zweitens war ich nicht nur Klientin, sondern auch Kollegin, von der man sich beobachtet fühlt. Und drittens habe ich meine eigenen Vorstellungen. Und dass dann noch im unklaren Flexibel-Modus!
Ich suchte keine Ziele, keine Antworten, stöberte nach neuen Perspektiven, Beobachtungen, Empfindungen und verdeckter Symbolik. Mir ging es um Zusammenhänge, den Metablick und um tiefe Reflexion.
Mein Großvater studierte Theologie und wurde Dominikanermönch. Dann lernte er meine Großmutter kennen. Sie verliebten sich, meine Mutter kam auf die Welt; er verließ den Orden und heiratete meine Großmutter. Das war während des Zweiten Weltkriegs.
Für manche Ohren hört sich das nach einer bezaubernden Liebesgeschichte an. Doch für meine Familie war es eine große Schande. Ich kann erst jetzt darüber schreiben, da ich weiß, dass niemand mehr lebt, der unter der Veröffentlichung leiden könnte. Mein Opa empfand sein Tun als Sünde. Das Leben meiner Großeltern war durch das Ringen um die Anerkennung ihrer Ehe gekennzeichnet. Bis zu ihrem Tod ging es vor allem um eines: die Anerkennung durch die Kirche. Das war die Gruppe, der sie sich zugehörig fühlten. Die Regeln der Kirche wurden nie hinterfragt. Man ging sonntags in die Kirche. Man betete den Rosenkranz.
Der Tod meiner Großmutter veränderte meinen Großvater. Er begann sich von Konventionen zu lösen. Mir verzieh er eine Schwangerschaft außerhalb der Ehe. Er entwickelte sich von einem durch die Konventionen seiner Bezugsgruppe geprägten Menschen zu einem Mann, der seine eigenen Werte über die der Kirche stellen konnte. Was für ein Wandel!
Mich hat meine Familiengeschichte sehr geprägt. Die Veränderungen von Menschen faszinierten mich früh. Und so arbeite ich heute ganz besonders gern mit Menschen, die auf ihrer inneren Reise nicht stehen bleiben möchten.
Einer dieser Menschen ist Sabine, die Sie im Party-Gespräch kennengelernt haben. Sie hat sich in ihrem Leben mehrmals »transformiert«. Heute verfügt sie über ein großes Netzwerk und fühlt sich vielen Menschen verbunden. Früher spielten sich ihre Beziehungen oft an der Oberfläche ab. Sie mochte es, wenn ihre Bekannten ähnlich dachten wie sie. »Gleich und gleich gesellt sich gern«, war lange ihr Motto. Mittlerweile findet sie Menschen bereichernd, die vollkommen anders ticken als sie.
Alles hat sich verändert, auch ihr Kritikverhalten. Früher war es ihr peinlich, 18wenn jemand sie korrigierte oder Fehler aufdeckte, und sei es nur ein fehlendes Komma. In Diskussionen hat sie nicht auf andere Standpunkte gehört, sondern nur an sich gedacht, ist entweder stumm geworden oder hat sich verteidigt. Sabine kommuniziert nun viel klarer und ohne in einer permanenten Verteidigungshaltung zu sein. Sie ist beim anderen und zugleich bei sich. Sie hört zu, ohne schon nach einer Antwort zu suchen. Sie stellt viele Fragen und muss nicht immer für alles eine Lösung finden. Privat und beruflich sorgt sie für sich selbst, aber auch für andere. Es ist noch gar nicht lange her, da konnte sie weniger Grenzen ziehen. Es fiel ihr schwer, »Nein« zu sagen.
Als junge Frau, in der ehemaligen DDR aufgewachsen, tat Sabine alles, um von ihren Eltern und den Lehrern anerkannt zu werden. Sie strebte danach, dem kleinen, elitären Kreis der Turner anzugehören. Der Sport gab ihr Heimat, Zugehörigkeit. Ihr Vater, Lehrer und Sportfanatiker, hatte die große Karriere nicht geschafft und hoffte, seiner Tochter gelänge dies an seiner Stelle. Was er wollte, fühlte sie als wären es ihre eigenen Wünsche.
In jener Zeit war Sabine zierlich und zart. Mit 1,58 Metern hatte sie die ideale Turnergröße. Eine Lehrerin lobte ihre besondere Begabung. Sie übte noch mehr. Olympia winkte. Die damit verbundenen Regeln – Trainieren, keine Freizeit, keine Freunde – hinterfragte sie nicht. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen wäre der größte Lohn, die maximale Anerkennung für Sabine gewesen. Doch so weit kam es nicht. Die DDR und die Bundesrepublik vereinigten sich. Und alles, alles war auf einmal anders.
Die Zeit der Wende veränderte sie. Sie rebellierte gegen das strenge Sportregime. Sie trainierte von einem Tag auf den anderen ab. Sie löste sich abrupt vom Sport, dem sie sich bisher so zugehörig gefühlt hatte, und stieß damit auch ihren Lebensinhalt ab. Es blieb das Gefühl, keine Identität mehr zu haben, ein Niemand zu sein. Sie fiel in ein tiefes Loch. Neue Freunde richteten sie auf. So gestärkt, wollte sie herausfinden, was sie konnte.
»Was interessiert mich?«, war eine Frage, die sie nun sehr beschäftigte. Der Mauerfall lag zwei Jahre zurück. Sabine hatte das Abitur in der Tasche. »Was kann ich gut außer Turnen?« Sabine wollte etwas finden, womit sie glänzen konnte, um es den anderen zu beweisen. Sie war gut in Mathe, sie war fleißig, sie konnte reden. Das war sie!
Der Vater bezahlte eine Studienberatung. Sie habe eine überdurchschnittliche mathematische Begabung. Außerdem sei sie extrovertierter als andere. Die Beraterin empfahl ein Wirtschaftsstudium. »Die ist ja kompetent und wird es wissen«, dachte Sabine und folgte dem Rat.
So studierte Sabine Wirtschaftswissenschaften. Die Karriere im Vertrieb war ein Selbstläufer. Sie wollte alles richtig machen. Sie war sich ihrer Stärken bewusst, etwa ihrer Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft. Leidenschaftlich stritt sie dafür, die besten Lösungen für die Kunden zu finden. Statt 100 gab sie täglich 150 Prozent. Das erkannte sie als eine Art Lebensmuster. Schon als 19Turnerin war sie so gewesen: keine halben Sachen! Als sie zur Vertriebsleiterin aufstieg, erwartete sie den gleichen Einsatz auch von ihren Mitarbeitern. Nie war sie zufrieden. Die Leute ächzten. Dass andere sich weniger anstrengten als sie, bereitete ihr Magenschmerzen. Die Firma bezahlte ihr ein Business Coaching, damit sie ihre Führungsfähigkeiten ausbauen und Ziele besser erreichen könne. Tatsächlich verbesserte es ihr Selbstmanagement. Sie verstand auch, dass nicht jeder so viel leisten kann wie sie, und wurde sich der Führungsrolle bewusster.
Doch nach einigen Jahren verstärkte sich das Gefühl, dass irgendetwas fehlte. »Im Grunde war ich nach wie vor ein von anderen beschriebenes Blatt Papier. Ich hatte keine eigene Identität. Ich glaubte, meine Stärken zu kennen, fühlte aber auch, dass man viel in mich hineinprojizierte, was gar nicht ich war. ›Wer bin ich und was macht mich aus?‹ Darüber grübelte ich ergebnislos.« So analysiert Sabine heute ihre damalige Situation.
Sie krachte in ein Burn-out. Die erzwungene Auszeit von einem Jahr war ein Leben im Zwischenraum. Da war das Alte und da waren diese neuen Erfahrungen, die sie etwa mit Yoga machte. Die inspirierenden Gedanken durch das Lesen von Selbsthilfebüchern. Oder die Gespräche mit anderen Menschen, die sie auf Weiterbildungen kennenlernte.
Sabine musste sich selbst herunterfahren wie einen Computer, sich »ausmachen«, wie sie es nennt. Eine Therapie verlangte, den Blick nach innen zu richten. Sie musste sich mit sich selbst beschäftigen, mit Mustern der Vergangenheit und vor allem mit der Frage »Wer bin ich wirklich?« und »Was will ich eigentlich von diesem Leben?« Sabine bohrte tiefer:
»Was ist mein Kern, meine Identität? Was bleibt, wenn ich die Prägungen meiner Familie und meines Umfeldes abschüttele wie ein Hund das Wasser nach einem Regenschauer? Was, wenn ich Dinge nur mache, weil ich sie möchte, aus eigenem Antrieb – egal, was andere sagen, denken, wünschen, erwarten?« Das war für sie ein neuer Gedanke. Egal, was andere sagen? Nach etwas suchen, das vor allem sie selbst wollte? Was »Sinn« ist, war für sie immer klar gewesen. Eine gute Arbeit, Freunde, Sicherheit. Plötzlich stellte sie diesen Sinn infrage. Konnte es mehr geben? Das eigene Ding? Ihr eigenes Ding!
In jener Zeit absolvierte sie ein Coaching zur beruflichen Orientierung. Erst hatte sie den Eindruck, dass es viel brachte, doch am Ende war sie verwirrt. »Ich hatte das Gefühl, der Coach wollte mich aus der schlimmen Arbeitswelt befreien«, sagt sie. »Der Coach hat gar nicht verstanden, dass ich eigentlich mich selbst suchte.« Sie nahm sich einen anderen Coach. Dieser brachte sie auf den Gedanken, in die Selbstständigkeit zu gehen.
Endlich frei! Nach einigen Anlaufschwierigkeiten arbeitete sie ein paar Jahre erfolgreich als Vertriebstrainerin. Dabei konnte sie ihre Vorstellungen von nachhaltigem Verkauf einbringen. Doch auf die Anfangseuphorie folgte Ernüchterung. Irgendwann kam ihr das, was sie tat, leer und hohl vor. Es gab keine Impulse mehr. Selbstverwirklichung war gar nicht mehr so wichtig.
20Sie nahm sich ein Jahr Auszeit und reiste mit ihrem neuen Partner um die Welt, um den Kopf leer zu bekommen. Danach kamen die Ideen wieder. Die wollte sie nun sortieren, schärfen. Wieder suchte sie Unterstützung.
Der erste Coach in dieser Phase wollte sie auf Ziele festlegen, der nächste bearbeitete sie mit einer »Wink-Technik«, bei der man mit scheibenwischerartigen Bewegungen vor den Augen Blockaden lösen soll. Der dritte stellte ihr lauter Fragen, sodass sie sich wie bei einem Verhör fühlte. Und dann gab es noch einen, der sie auf verschiedene Stühle setzte.
Nun sitzt Sabine bei mir und weiß genau, was sie nicht will: Zielvereinbarungen, Übungen mit Stühlen, Winken, inquisitorisches Fragen. Sie will ihre Gedanken ordnen, nicht mehr und nicht weniger. Sie möchte auch meine Perspektive auf ihre Ideen kennenlernen: Ich soll mich bloß nicht »Coach-mäßig« zurückhalten.
Als Sabine über ihr Leben spricht, sagt sie, sie habe bisher »drei Leben« gelebt und suche nun das vierte: Ihr erstes Leben war die Sportkarriere, dann kam der Vertrieb und schließlich die Selbstständigkeit. Den Übergang von einem Leben ins nächste beschreibt sie wie eine dunkle Nacht, die langsam heller wird. Jetzt ist es wieder so weit: Sie spürt, dass etwas Neues kommt.
Menschen, die innerlich an neue Orte reisen, können oft markante Ereignisse und Symbole benennen: einen Traum, eine Begegnung, ein Ereignis. Vor unserem ersten Termin hat Sabine mehrmals geträumt, sie könnte fliegen. Sie musste sich nur hinstellen und sich bewusst entscheiden. Sie hatte auch viel über die Vergangenheit nachgedacht. So war das Bild mit den »drei Leben« in ihr entstanden.
Die Geschichte zeigt, dass wir Coaches oft nicht verstehen, was unsere Klienten brauchen. Gerade am Anfang sind wir oft zu methodengläubig. Wir konzentrieren uns mehr auf uns als auf das Gegenüber.
Der Werkzeugkoffer gibt Sicherheit. So machen wir uns nicht selten zu Coaching-Sklaven. Wir vergessen dabei die Menschen. Wir sollten ihnen helfen – und nicht bloß irgendwelche Tools einsetzen. Dazu müssen wir das Werkzeug beiseitelegen und uns auf die Logik unseres Gegenübers einstellen.
Der Party-Dialog zeigt zum einen, dass jeder Klient unter Coaching etwas anderes versteht. Und zum anderen, dass dahinter eine jeweils andere Denk- und Handlungslogik steht. Axel erwartet, dass der Coach konkret mit ihm übt. Er möchte lernen, was richtig ist. Theresa will wissen, was für sie »drin« ist. Für sie scheint es wichtig zu sein, etwas zu erreichen. Theos Frau hat mit ihrem Coach ein neues berufliches Ziel ausgearbeitet, das sich dann als »falsch« herausstellte. Sie wollte beim Coach eine Lösung »kaufen«. Sabine schließlich sucht neue Gedanken und Orientierung auf der Metaebene.
21Nur Axel hat bekommen, was er wollte. Und sein Coach wäre wahrscheinlich bei einigen Coach-Zertifizierungen durchgefallen, da er Ratschläge gegeben hat.
Machen wir uns nichts vor: Wir haben es beim Coaching mit einem bunten Korb aus unterschiedlichsten Hilfsangeboten zu tun. Seit einigen Jahren betätigen sich auch Führungskräfte in der Coachingdisziplin. Und nun ist auch noch agiles Coaching hinzukommen. Das macht das alles noch diffuser.
In unseren Ausbildungen sitzen oft 70 Prozent Teilnehmende mit systemischer Coachingausbildung. Es hört sich einheitlich an, ist es aber nicht. Das merke ich spätestens, wenn ich frage, was denn »systemisch« genau bedeute. Kaum jemand kann es erklären. Schon gar nicht zeigt sich ein gemeinsamer Nenner.
In der Abteilung »Coaching« findet sich ein Supermarkt an Dienstleistungsangeboten. Daran sind nicht nur die Anbieter Schuld, sondern auch die Konsumenten, die sich von werbewirksam ausgezeichneter Ware und Versprechungen besonders leicht reizen lassen.
Die Abteilung Coaching? Jetzt muss ich kurz erklären, was ich unter Coaching verstehe. Coaching bedeutet für viele erst einmal »Hilfe zur Selbsthilfe«. Es gibt im Wesentlichen zwei Richtungen. Die eine Richtung – nennen wir sie das Coaching-Verständnis A – interpretiert Coaching als Prozessgestaltung zur Zielerreichung und Leistungssteigerung. Oft wird dabei zwischen Prozess- und Fachberatung unterschieden. Coaching wird der Prozessberatung zugeschrieben.
Das bedeutet, der Coach gibt dem Klienten einen Rahmen, der ihm hilft, seine Ziele zu erreichen oder Probleme zu lösen. Es gibt einen amerikanisch angehauchten Zweig, der Motivation à la »Du schaffst das« dazu deutet. Dieses unterschiedliche Verständnis spiegelt sich auch in den verschiedenen Verbänden.
Die andere Richtung – nennen wir sie Coaching-Verständnis B – interpretiert Coaching (auch) als therapienahe Form für leichtere »Dysfunktionalitäten« wie etwa geringes Selbstbewusstsein. Eine Variante davon nennt sich im angloamerikanischen Raum »Counseling«. Ziele sind hier nicht so wichtig. Somit gibt es mindestens zwei große Abteilungen in unserem Supermarkt, die wenig miteinander zu tun haben. Hinzu kommen immer mehr Akzentuierungen etwa positive Psychologie, Embodiment oder Neurowissenschaften. Und zu all dem gesellt sich die Unmöglichkeit einer scharfen Trennung zu verwandten Tätigkeiten wie Training, Moderation und Beratung – neuerdings auch zu Facilitation und Sparring sowie Mentoring.
Coaching wirkt, das lässt sich aus der Wirksamkeitsforschung sicher sagen. Es wirkt auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Der Neurobiologe Gerhard Roth verortet Coaching auf der oberen limbischen Ebene. Dort geht es um Anpassung an gesellschaftliche Normen und Regeln. Dieser Bereich ist besonders stark sprachlich geprägt.
Für Coaching ebenfalls zugänglich hält er die mittlere limbische Ebene, wo der Kern der Persönlichkeit sitzt. Auf dieser tieferen Ebene unterscheidet sich Coaching kaum von Therapie. Nur dass die Patienten Klienten oder Kunden 22heißen und nicht unter einer Störung leiden, sondern entweder ein Problem haben oder nicht ihre volle Leistung abrufen können.
Das Coaching-Verständnis A bildet sich also eher auf der oberen limbischen Ebene ab, das Coaching-Verständnis B auf der mittleren limbischen Ebene. Beide verbindet die Überzeugung, dass die Lösung eines Problems im jeweiligen Menschen selbst liegt. In letzter Zeit setzt sich zunehmend der Gedanke durch, dass der Mensch nicht losgelöst von seinen sozialen Gruppen gesehen werden kann.
Ich arbeite seit mehreren Jahrzehnten in Beratung und Coaching und habe im Laufe der Zeit viele unterschiedliche Theorien, Methoden, Ansätze und Tools kennengelernt. Die agile Welle hat sich vieler dieser Ansätze bemächtigt. Vieles ist immer bunter geworden und leider auch oberflächlicher. Auch gibt es einen Trend zu rezeptiven Ansätzen. Ich erlebe das Coaching immer öfter mit Absichten verbunden wird. Aber genau die Absichtslosigkeit braucht es, um Selbstlösungskräfte zu aktivieren.
In meiner Arbeit sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Ich habe immer mehr Einseitigkeit bemerkt, habe mich an blinden Flecken bei Interessengruppen im Coaching gestört, die fast verzweifelt um »ihren Ansatz« kämpften. Ich habe mich bemüht, durch viele Gespräche mit ganz unterschiedlichen Menschen meine eigenen Fenster zu öffnen, und mich mit unterschiedlichen Denkschulen beschäftigt. Dabei merkte ich, dass es oft egal ist, ob man aus dieser oder jener Richtung auf etwas schaut – es geht um das Gleiche mit anderen Worten.
Mir ging ein Licht nach dem anderen auf, und ich habe meine Vorgehensweise nach und nach individualisiert. Von verschiedenen Klienten habe ich gehört, wie unterschiedlich sie mich und die Art meiner Unterstützung wahrnahmen. Eine Frau sagte mir einmal, wenn sie mit anderen spreche, die bei mir waren, sei das so, als würde jeder von ihnen über einen völlig anderen Menschen sprechen; ich sei wie ein Chamäleon.
Aus meiner Sicht ist die Erklärung eine andere: Ich habe gelernt, mich intuitiv auf unterschiedliche Logiken und die entsprechenden Verhaltensweisen – die zuweilen auch auf den Coach projiziert werden – einzustellen. Einfach, weil ich spürte, dass ich auf diese Weise nützlicher sein kann. Die Entwicklungspsychologie, die im deutschsprachigen Raum so wenig beachtet wird, hat mir schließlich das passende Erklärungsmodell für meine Herangehensweise geliefert.
Es hilft mir auch jetzt – in einer beruflichen Phase, in der ich Menschen darin ausbilde, Menschen, Teams und Organisationen zu begleiten.