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Für Lexi könnte es nicht besser laufen. Der Podcast, den sie zusammen mit ihrer besten Freundin moderiert, geht durch die Decke, ihr Freund hat ihr einen Antrag gemacht. Doch passt dieses Leben überhaupt noch zu ihr? Joanne ist einsam. Sie hat gerade ein Baby bekommen, und ihre Freundinnen verstehen nicht, dass die langen Partynächte nun vorbei sind. Claire fühlt sich ausgeschlossen. Im Whatsapp-Chat mit ihren alten Schulfreundinnen ist es seltsam ruhig. Was nur eines bedeuten kann: Es gibt eine neue Gruppe, ohne sie. Als sich die Wege der drei Frauen kreuzen, müssen sie entscheiden: Um welche Freundschaft lohnt es sich zu kämpfen? Und welche lassen sie für immer los?
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Seitenzahl: 692
Für Lexi könnte es nicht besser laufen. Der Podcast, den sie zusammen mit ihrer besten Freundin moderiert, geht durch die Decke, ihr Freund hat ihr einen Antrag gemacht. Doch passt dieses Leben überhaupt noch zu ihr? Joanne ist einsam. Sie hat gerade ein Baby bekommen, und ihre Freundinnen verstehen nicht, dass die langen Partynächte nun vorbei sind. Claire fühlt sich ausgeschlossen. Im Whatsapp-Chat mit ihren alten Schulfreundinnen ist es seltsam ruhig. Was nur eines bedeuten kann: Es gibt eine neue Gruppe, ohne sie. Als sich die Wege der drei Frauen kreuzen, müssen sie entscheiden: Um welche Freundschaft lohnt es sich zu kämpfen? Und welche lassen sie für immer los?
Sophie White lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Dublin. Sie schreibt regelmäßig für verschiedenen irische Magazine und Zeitungen, darunter auch ihre wöchentliche Kolumne Nobody Tells You im LIFE Magazin des Irish Independent. Sie ist Co-Host zweier Podcasts, in denen sie humorvoll über Mutterschaft (Mother of Pod) und bizarre Fakten hinter den Schlagzeilen spricht (The Creep Dive).
Übersetzung aus dem irischen Englisch vonAlexandra Kranefeld
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der irischen Originalausgabe:
»My Hot Friend«
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2023 by Sophie White
First published in Ireland in 2023 by HACHETTE BOOKS IRELAND
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für dasText- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Ilona Jaeger, Berlin
Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille
Umschlagmotiv: © Lori Mehta
Cover Design: © Colleen Reinhart
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7596-0002-8
luebbe.de
lesejury.de
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr auf Seite 574 eine Triggerwarnung. Achtung, sie enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das beste Leseerlebnis.
Euer pola-Verlag
»Claire, du bist ja wieder im Bett! Es ist fast vier! Kannst du mal für zwei Sekunden das Handy weglegen? Wenn wir deine Mutter besuchen wollen, müssen wir langsam los.« Jamie stand mit einem leicht genervten Lächeln an der Tür ihres Schlafzimmers.
»Sorry, sorry! Bin fast fertig.« Claire krabbelte aus dem Bett, das Smartphone noch in der Hand, WhatsApp wie immer geöffnet.
Jamie war es nicht entgangen. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja!« Claire rang sich ein beruhigendes Lächeln für ihren Freund ab, war in Gedanken aber noch immer bei der Bitch Bubble. Nicht eine der Freundinnen hatte auf ihren launigen Silvesterpost geantwortet. Nicht mal ein Emoji oder ein GIF. Und es war jetzt achtzehn Minuten her, seit sie die Nachricht im Gruppenchat gepostet hatte.
Jamies große graue Augen waren noch immer zweifelnd auf sie gerichtet. Er sorgte sich jetzt ständig um sie – verständlicherweise.
Claire unterdrückte ihre Schuldgefühle und überlegte panisch, wie sie ihn ablenken konnte. »Alles gut, ich kann’s kaum erwarten! Das Weihnachtsessen, zweiter Teil.«
»Weihnachten an Silvester nachfeiern … Deine Mutter hat auch echt ’nen Knall.« Er verzog das Gesicht. »Sorry, nein. Keinen Knall. Ich meine nur, sie war schon immer ein bisschen speziell. Und etwas … äh, anstrengend.«
Jamie strich sich die dunklen Locken zurück und schlängelte sich zu Claire durch. Das Schlafzimmer ihrer Wohnung in der City war winzig, und das Bett nahm so viel Platz ein, dass er sich nur seitlich in der schmalen Lücke zwischen Bett und Wand bewegen konnte, in der zusätzlich meistens noch Claires achtlos hingeworfene Klamotten lagen. Er setzte sich zu ihr und legte den Arm um sie.
»Tut mir leid, dass die Trennung meiner Eltern die Feiertage beherrscht.« Claire schnitt eine Grimasse.
In ihrer Familie hatte man dieses Jahr per Münzwurf entschieden, bei wem Claire die Feiertage verbrachte, und David, Claires Vater, hatte gewonnen. Daraufhin hatte ihre Mutter Marian kurzerhand beschlossen, Weihnachten zweimal stattfinden zu lassen.
»Es braucht dir nicht leidzutun.« Jamie gab ihr einen leichten Kuss auf den Hals und drückte sie kurz an sich, bevor er wieder aufstand und übers Bett kletterte, um zu dem verspiegelten Einbauschrank zu gelangen, der die gesamte Länge der gegenüberliegenden Wand einnahm. Hier war so wenig Platz, dass man sich aufs Bett knien musste, wenn man die Schranktüren weiter als nur einen Spaltbreit öffnen wollte.
Claire sah, wie Jamie ein kariertes Hemd und dunkle Jeans herausnahm, sich wieder seitlich Richtung Tür bewegte und seine Kleider ins Wohnzimmer warf, wo sie sich normalerweise anzogen, weil es im Schlafzimmer einfach zu eng war. Mit Jamies Gehalt bei Google hätten sie sich wahrscheinlich eine etwas größere Wohnung leisten können, dachte Claire zerknirscht, aber ihr war es wichtig gewesen, die Miete genau zur Hälfte unter ihnen aufzuteilen. Und als Tagesmutter verdiente sie eben längst nicht so viel wie Jamie, auch wenn Norah und Sean Sweeney sie ziemlich gut bezahlten.
»Immerhin möchten deine Eltern dich noch sehen«, stellte Jamie nüchtern fest. »Meine Mutter hat bloß ein paar Fotos von ihrer Alaska-Kreuzfahrt geschickt und ›Noch nie so tolle Feiertage gehabt!‹ dazugeschrieben. Subtext: Wir hätten euch schon viel früher rausschmeißen sollen.«
Jamie war der mittlere von fünf Brüdern, die alle außerordentlich liebenswert waren. Aber auch nach drei Jahren, die sie jetzt schon mit Jamie zusammen war, hatte Claire noch immer Probleme damit, sie auseinanderzuhalten. Sie hatten alle sehr englische Namen wie Edward und Colin und waren sich in ihrer netten, verbindlichen Art so ähnlich, dass Claire die Hoffnung längst aufgegeben hatte, jemals Edward von Colin unterscheiden zu können. Jamie war, mit Claire im Schlepptau, nur ein paarmal nach Tunbridge Wells zurückgekehrt, seit er die Stelle in Dublin angenommen hatte. Inzwischen hatten seine Brüder einer nach dem anderen geheiratet, pflanzten sich in rasantem Tempo fort und verbrachten die Feiertage bei der angeheirateten Verwandtschaft. Also hatten Jamies Eltern beschlossen, die Weihnachtstraditionen aufzugeben und sich stattdessen einen ausgedehnten Urlaub zu gönnen.
Das Timing hätte nicht besser sein können, denn so konnte Jamie Claire während dieses ersten, quälenden Weihnachtsfestes mit ihren frisch getrennten Eltern beistehen. Wobei ihre Eltern nicht wirklich getrennt waren. Sie lebten beide noch im selben Haus, weil sie sich einfach nichts anderes leisten konnten. Selbst in dem kleinen Dubliner Vorort Shanganagh, in dem Claire aufgewachsen war, waren die Mieten mittlerweile unbezahlbar. Deshalb war ihr Vater nun ins Gästezimmer gezogen, das immerhin am anderen Ende des Flurs lag. Trotzdem war Claire sich sicher, dass ihre Eltern irgendwann wieder zusammenkommen würden. Zumindest hoffte sie das.
»Deine Eltern wissen wenigstens, wie man Grenzen setzt.« Sie seufzte. Am liebsten hätte sie wieder ihre Nachrichten gecheckt, wollte aber nicht obsessiv wirken, weil sich Jamie nur sofort wieder Sorgen machen würde. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich so kurz hintereinander eine weitere Folge vom David-und-Marian-Shitshow ertrage. Dad, wie er leise Tränen auf seinen Truthahn vergießt, während Mum zwei Zimmer weiter Last Christmas aufdreht, das zählt jetzt nicht gerade zu meinen schönsten Weihnachtserinnerungen.«
»Hm.« Jamie nickte mitfühlend. »Aber denk dran, wir haben einen Plan. Wir gehen rein, wir liefern, und dann verschwinden wir wieder. Mitternacht sind wir wieder hier, Silvester auf der Couch.«
Sie hatten beschlossen, das Ende des bislang apokalyptischsten Jahrs ihrer Beziehung damit zu feiern, sich Katastrophenfilme anzuschauen. Claire lächelte etwas angestrengt, wenn sie daran dachte. War das wirklich eine gute Idee gewesen?
»Ist das Teil jetzt schon mit deiner Hand verwachsen?« Jamie hob Claires rechte Hand, mit der sie noch immer das Handy umklammerte.
»Leider nicht, das wäre so praktisch«, witzelte sie und versuchte, wieder wie die alte Claire zu klingen.
»Wir werden es sicher noch erleben«, sagte Jamie und schüttelte den Kopf, als wären es düstere Aussichten. Er nahm Claire das Telefon aus der Hand und zog sie zu sich auf die hellblaue Tagesdecke. Sie fingen an, sich zu küssen, und Claire versuchte, ganz im Moment zu bleiben, aber ihre Gedanken kehrten immer wieder zum Schweigen ihrer WhatsApp-Gruppe zurück, in der noch immer niemand auf ihre Nachricht reagiert hatte.
Warum antwortet mir keiner? Es ist immerhin Silvester. Da könnte man doch wenigstens ein einfaches »Guten Rutsch« in der Gruppe erwarten!
Jamies Kuss wurde fordernder, und obwohl sie es schön fand, konnte Claire sich nicht darauf konzentrieren.
Warum meldet sich überhaupt KEINER? Es ist Silvester, verdammt, wo sind die denn alle?
Das Telefon surrte in Jamies Hand. Claire musste sich beherrschen, um ihn nicht von sich zu stoßen und es ihm wegzureißen.
»Ich schau lieber mal nach«, sagte sie und versuchte, sich ihre Ungeduld nicht anmerken zu lassen.
Jamie stand lächelnd auf und warf Claire das Handy zu. »Wahrscheinlich besser so, sonst kommen wir heute gar nicht mehr los. Du hast fünfzehn Minuten, um dich fertig zu machen.«
Claire lächelte und wartete, bis er weg war, bevor sie sich auf ihr Smartphone stürzte. Die Vorfreude verpuffte schlagartig, als sie sah, dass es keine Antwort in der Bitch Bubble war, sondern eine Sprachnachricht von ihrer Mutter. Siebzehn Minuten lang.
Ergeben schnappte sie sich die Ohrstöpsel von ihrer Seite des Betts. Anders als manch anderen Eltern fiel Marian der Umgang mit modernen Kommunikationstools nicht schwer. Tatsächlich kannte sie sich besser damit aus als viele junge Leute, da sie in der PR gearbeitet hatte, bis sie letztes Jahr in Vorruhestand gegangen war. Jetzt, wo sie mehr Freizeit hatte, waren ihre Sprachnachrichten noch länger geworden, und Claire hatte insgeheim den Verdacht, dass sie WhatsApp nutzte, um ihre Memoiren zu diktieren.
Claire verband die EarPods mit dem Smartphone, wählte doppelte Geschwindigkeit und spielte die Nachricht ab. Währenddessen rutschte sie übers Bett zu ihrer Seite des Kleiderschranks, schlüpfte aus Pulli und Jogginghose und begann sich in das silbern schimmernde Kleid mit den schmalen Trägern zu kämpfen, das sie herausgehängt hatte. Dabei hörte sie sich die wütende Tirade ihrer Mutter an.
»Claire, Liebes, ich weiß, dass wir uns nachher sowieso sehen, aber du wirst es nicht glauben, was sich diese Punkt, Punkt, Punkt Darina jetzt schon wieder geleistet hat …«
Marian fluchte nicht, sondern zensierte jedes böse Wort mit Auslassungspunkten. Doch die Bedeutung war stets unmissverständlich.
»… weißt du, sie wollte morgen Nachmittag zum Neujahrstee bei Noleen Baisers mitbringen, und jetzt kündigt sie in letzter Minute an, dass sie ihren blöden Zitronenkuchen machen will, den sie wirklich immer macht.«
Claire schnürte ihre Docs und zog sich eine schwere schwarze Wollstrickjacke über, eins der vielen Projekte, die sie letztes Jahr in Angriff genommen hatte, um ihre innere Unruhe zu kanalisieren. Stricken beruhigte sie und stoppte das ewige Gedankenkarussell fast noch besser als die Vielzahl verschreibungspflichtiger Medikamente, die sie nehmen sollte. Mist. Die sie heute hätte nehmen sollen.
Sie krabbelte zurück auf ihre Seite des Betts, wo die Tablettenbox auf einem Stapel Bastelbücher im Regal lag. Sie nahm sich das Medikamententrio für Freitag heraus und stellte fest, dass die zwei Fächer davor auch noch voll waren. Offenbar hatte sie schon den Mittwoch und den Donnerstag vergessen. Ja und, das kann doch mal vorkommen, sagte sie sich. Es ist nicht immer leicht, eine verantwortungsbewusste Erwachsene zu sein. Sie nahm die Tabletten heraus und ließ sie in dem Beutel mit ihren Stricksachen am Bettpfosten verschwinden. Jamie brauchte nicht mitzukriegen, dass sie zwei Tage ausgelassen hatte, wenn sie am Sonntagabend ihre Box gemeinsam wieder auffüllten. Bis dahin hätte sie die überzähligen Tabletten auch längst zurück in die Packung getan, und niemand würde etwas merken.
Derweil steigerte ihre Mutter sich noch immer in die Kuchenfrage hinein. »Und wie stehe ich jetzt da, wenn ich Beerenkompott und Sahne mitbringe, wir aber keine Baisers dazu haben? Das ist so typisch für sie.«
Es war unglaublich, wie sehr Marian sich über solche Kleinigkeiten aufregen konnte. Manchmal hatte Claire Angst, dass dieser Charakterzug erblich war. Natürlich ging es bei ihr um etwas anderes als darum, wer welchen Kuchen wohin mitbrachte, aber selbst Claire musste einsehen, dass die ständige Beschäftigung mit realen oder vermeintlichen Verschwörungen und Kränkungen im Freundeskreis ihren eigenen Befürchtungen nicht ganz unähnlich war. Dass es ein Muster gab.
»Und dann erfahre ich noch, dass Darina Sonntagabend eine Dinnerparty gibt, und außer mir sind alle eingeladen. Natürlich kannst du dir denken, warum sie mich übergangen haben.« Marian, die bislang ohne Punkt und Komma gesprochen hatte, holte tief Luft.
Claire wusste, was jetzt kommen würde. Sie merkte, wie sie sich anspannte.
»Weil ich mich von deinem Vater getrennt habe. Glaub mir, ich weiß so was. Diese Spießerbande! ›Oh‹, sagen sie sich, ›Marian können wir nicht mehr einladen. Wenn sie nicht mehr mit David zusammen ist, hätten wir bei Tisch ja eine ungerade Zahl!‹«
Jamie hatte schon recht, Marian konnte anstrengend sein. Besonders anstrengend war es, ihr einziges Kind zu sein, zumal nach der Trennung, als Marians Sprachnachrichten irgendwann eskalierten.
Aber wer war Claire, dass sie anderen Eskalation vorwarf, nach allem, was letztes Jahr passiert war?
Sie schloss WhatsApp und hörte die aktuelle Folge von Your Hot Friend weiter, ihrem Lieblingspodcast. Das Konzept war simpel: zwei Freundinnen, Lexi und Amanda, die sich seit Ewigkeiten kannten und einfach drauflosquatschten, wie beste Freundinnen das eben machten. Claire verpasste keine einzige Folge.
Jamie verstand nicht, was sie daran gut fand. »Reden sie wenigstens über relevante Themen?«, hatte er wissen wollen. »Nein, eben nicht. Es geht total wild durcheinander, aber es macht Spaß«, hatte Claire erwidert.
Sie setzte sich vor der verspiegelten Schranktür auf die Bettkannte und griff nach ihren Schminksachen. Lexi erzählte gerade von dem Abend, als sie und Jonathan sich kennengelernt hatten. Claire musste lächeln, weil sie an den Abend vor drei Jahren dachte, als Jamie und sie sich getroffen hatten, und das ausgerechnet in einem Töpferkurs. Es war Claires achtundzwanzigster Geburtstag, und sie war ziemlich down, weil Aifric, ihre beste Freundin seit der Grundschule, sie kurz vorher versetzt hatte. Claire hatte keine große Lust, allein hinzugehen, aber sie hatte den Kurs schon bezahlt. Rückblickend betrachtet war es eine glückliche Fügung, denn wäre Aifric auch dabei gewesen, wäre Claire niemals mit diesem großen, schlaksigen Typen mit den dunklen Locken ins Gespräch gekommen. Jamie hatte den Kurs als teambildende Maßnahme für sein Verkaufsteam gebucht.
Claire verteilte etwas getönte Feuchtigkeitscreme auf ihrer blassen, sommersprossigen Haut und musste grinsen, als sie daran zurückdachte, wie Jamie seine Kollegen dann sich selbst überlassen hatte, als sein Blick auf Claire gefallen war. Er schien sich seiner Sache so sicher, dass er Claire schon zum Essen eingeladen hatte, noch ehe ihre auf den Töpferscheiben kreisenden Teller und Schalen Form angenommen hatten.
Während Lexi und Amanda weiterplauderten, beugte Claire sich vor und trug den dunkelvioletten Lippenstift auf, der perfekt zu ihrem roten Haar passte. Dann noch zwei dezente Striche Eyeliner an den Lidrändern ihrer braunen Augen, und fertig war sie.
Claire näherte sich ihrem Elternhaus neuerdings mit einer gewissen Vorsicht. Es war immer schwer einzuschätzen, wie die Lage war. An manchen Tagen nahmen sich ihre Eltern überhaupt nicht zur Kenntnis, an anderen schrien sie sich von ihren jeweiligen Seiten des Hauses an, dass die Wände wackelten. Nach jedem Besuch hatte Claire eine Art emotionales Schleudertrauma.
In den Straßen der Siedlung standen viele Autos von auswärts, die Silvesterpartys schienen in vollem Gange. Die mit Raureif überzogenen Grünflächen schimmerten in der einsetzenden Dämmerung. Die weißen, noch weihnachtlich geschmückten Bungalows säumten den kleinen Park, in dem sie und Aifric früher erst Verstecken, dann Kussjagd gespielt und später ganze Sommernachmittage lang auf der Wiese gelegen, in Zeitschriften geblättert und Eissandwiches gegessen hatten.
Vor der Einfahrt von Dundeela Crescent 14 blieb Claire stehen, um mit Jamie das jüngste Zeugnis der kindischen Scharmützel ihrer Eltern zu begutachten: einen dicken Kreidestrich, der die Einfahrt in zwei Hälften teilte. »Du parkst hier!«, stand auf der einen Seite, die mit einem dicken Pfeil markiert war. Der in die Jahre gekommene Volvo-Kombi ihrer Mutter stand links der Linie, der rote Fiat ihres Vaters rechts, oberhalb des Pfeils. Claire sah Jamie an und verdrehte die Augen, bevor sie sich an den Autos vorbei zur Tür schoben.
Claire wollte gerade klingeln, als sie hinter sich die Stimme ihrer Mutter hörte.
»Was macht ihr denn schon hier?«
Sie drehten sich zu Marian um, die aus einem Taxi stieg.
»Wir sind nur eine Viertelstunde zu früh!«, verteidigte sich Claire und musterte Marians schicken Aufzug: eine Smokingjacke aus schwarzem Samt mit passender Hose und einen schwarzen Haarreif mit Glitzersteinen im kunstvoll zerzausten, leicht ergrauten dunklen Haar.
Marian beugte sich vor, um dem Fahrer zu danken, bevor sie die Tür mit sanftem Nachdruck schloss.
»Tja«, sagte sie und strahlte verlegen, als sie zum Haus heraufkam. »Ihr habt mich erwischt! Ich war gestern aus und bin gerade erst nach Hause gekommen.«
»Schön für dich«, sagte Claire. »Die Details kannst du dir sparen.«
Marian dachte gar nicht daran. »Er heißt Peter und ist zweiundvierzig, ein richtiger kleiner Feger.«
»Mum!« Für einen Moment war Claire ehrlich beeindruckt, aber dann fiel ihr Blick aufs Fenster des Gästezimmers, in dem ihr Vater jetzt untergebracht war. Armer Dad. Marian war vierundfünfzig, sie hatte Claire mit Anfang zwanzig bekommen, aber David ging steil auf die sechzig zu. Mit einem Vierzigjährigen konnte er nicht mithalten.
»Ich meine, wer will schon Sex mit einem alten Mann haben?«
»Ich nicht unbedingt«, sagte Jamie und grinste.
»Überhaupt, Männer …« Marian rümpfte die Nase. »Selbst in jungen Jahren hängt da ja ziemlich viel schrumpelige Haut herum, aber wenn sie erst mal …«
»Okay«, fiel Claire ihr ins Wort. »Bitte keine weiteren Infos auf nüchternen Magen.«
Marian zog Claire in ihre Arme, und Claire sog den tröstlichen, seit einunddreißig Jahren unveränderten Duft ihrer Mutter ein – Coromandel, ein teures Parfum, mit dem David sie jedes Jahr zu Weihnachten und zum Geburtstag beglückte – eine Aufgabe, die, wie Claire plötzlich bewusst wurde, in Zukunft wahrscheinlich sie übernehmen musste. In ihrem Kopf begann es zu rattern. Der Geburtstag ihrer Mutter war im September, also noch ein bisschen hin, aber wenn ihre Eltern sich bis dahin nicht wieder versöhnten, würde das ihre eigenen Ausgaben empfindlich in die Höhe treiben.
»Dann mal rein mit euch beiden. Wir müssen auch bloß noch den Ofen anwerfen. Ich war so vorausschauend, alles gestern Abend vorzubereiten, bevor ich ausgegangen bin.«
Während ihre Mutter in der Küche den Tisch deckte, betrachtete Claire den neu erstellten Plan am Kühlschrank, der mit farblich markierten Zeitfenstern regelte, wer die Küche wann wie lang nutzen durfte. Gelb stand für David, Grün für Marian. Seit Claire denken konnte, hatten ihre Eltern sich gestritten, so oft, dass sie geglaubt hatte, das sei in allen Familien so. Und trotzdem fiel es ihr immer noch schwer zu glauben, dass die beiden sich jetzt tatsächlich trennten. Der Zeitpunkt schien ihr verdächtig, auch wenn beide beteuerten, dass es rein gar nichts mit ihr und letztem Jahr zu tun hatte.
Nach über drei Jahrzehnten, in denen sie einander ertragen hatten, schliefen sie plötzlich in getrennten Zimmern und sagten nicht mal, warum. Jedes Mal, wenn Claire eine Erklärung verlangte, wiegelten ihre Eltern ab, dass es nur sie beide etwas angehe und sie sich deshalb keine Sorgen machen solle.
Claire nahm eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank, in dem alles mit gelben und grünen Post-its markiert war.
»Wie geht es dir?«, fragte Marian und stellte drei Teller in den Ofen, wo bereits ein Blech Röstkartoffeln bräunte.
»Super!«, verkündete Claire strahlend.
»Prima.« Marian nickte mit einem resoluten Lächeln.
Ein bisschen tat sie Claire leid. Da hatte sie bloß ein Kind und dann so eine Niete gezogen.
»Und dir, Jamie?«
»Auch gut.« Er verteilte die Knallbonbons an ihren Plätzen. »Ich habe im ersten Quartal einige Schulungen für die europäischen Teams und werde recht viel unterwegs sein.«
Ein kurzes Zucken um Marians Mundwinkel verriet ihre Sorge, doch ihr Ton blieb unverändert. »Wie schön! Und du kannst jederzeit zu uns kommen, Claire, wenn du dich … äh, einsam fühlst oder einen kleinen Tapetenwechsel brauchst.«
»Danke, Mum. Es wäre von hier bloß ziemlich weit zur Arbeit für mich, aber mal sehen.«
Sie hatte nicht vor, auf das Angebot zurückzukommen. Wenn sie von ihren Eltern zu den Sweeneys nach Stoneyhill pendelte, würde sie jeden Tag mehr als zwei Stunden im Zug sitzen. Es müsste ihr schon sehr schlecht gehen, damit sie sich das antat.
Wer sagt dir, dass es nicht wieder so kommt? Wie aus dem Nichts fiel der Gedanke sie an, und Claire versuchte, ihn sofort wieder zu verdrängen. Und selbst wenn, es ist anders als beim letzten Mal. Ich weiß jetzt, was mit mir los ist. Ich kann damit umgehen.
»Und Dad?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln. »Ist er … ist er da und kommt mal kurz Hallo sagen?«
»Nein«, sagte Marian spitz. »Ich war an seinem Weihnachten ja auch nicht erwünscht.«
»Wir haben dir Nachtisch angeboten.«
»Und ich habe abgelehnt«, erwiderte ihre Mutter schroff.
»Stimmt«, gab Claire sich geschlagen.
»Und, was gibt’s Neues? Wie geht es Aifric? Ich habe kürzlich Connie getroffen.« Marian wandte sich an Jamie. »Aifrics Mutter und ich spielen noch immer ab und an Bridge, obwohl sie schon lange nicht mehr hier wohnen. Sie sind wieder Richtung City gezogen, als die Mädchen alle auf dem College waren. Aber was ich sagen wollte: Connie hat mir erzählt, dass Aifric gerade am Rebranding für einen großen Getränkehersteller arbeitet. Das freut mich für sie, sie war schon immer sehr umtriebig.«
»Ja, sie hat gerade echt viel um die Ohren.«
Zu viel, um auf meine Nachricht zu antworten, dachte Claire düster. Das Schweigen ihrer WhatsApp-Gruppe fühlte sich allmählich ziemlich vielsagend an.
Bis Mitternacht hatten Claire und Jamie sich längst vom verspäteten Weihnachtsessen losgeeist und es sich mit The Day After Tomorrow auf der schwarzen Kunstledercouch gemütlich gemacht. Manchmal fragte sich Claire, ob es ein Gesetz gab, dass in allen Dubliner Mietwohnungen eine dieser Scheußlichkeiten aus Lederimitat zu stehen hatte. Sie hatte schon oft den fatalen Fehler gemacht, sich mit nackten Beinen draufzusetzen. Wenn man beim Aufstehen nicht höllisch aufpasste, zog es einem die Haut ab. Wir sollten uns einen dieser schicken Couchbezüge besorgen, das würde das Ambiente aufwerten, dachte sie und setzte es im Geiste auf ihre stetig länger werdende To-do-Liste. Sie sah sich in dem trostlosen Zimmer um. Als wäre der Dubliner Mietmarkt nicht deprimierend genug, kamen auch noch klar lackiertes Kiefernholz und grelle Deckenstrahler on top. Ein paar Lampen brauchen wir auch, notierte sie weiter.
Nadia hat doch grad erst erwähnt, dass sie Lampen gekauft hat …
Und damit war sie in Gedanken wieder beim Gruppenchat, in dem besagter Lampenkauf Thema gewesen war. Mittlerweile müsste doch eigentlich jemand auf ihre Nachricht geantwortet haben? Claire entsperrte ihr Handy und schaute nach. Nichts. Kein Wort. Sie seufzte. Jamie sah zu ihr herüber.
»Was ist? Findest du auch, dass Dennis Quaid an diesen Film verschwendet ist?« Er grinste.
»Guter Punkt, aber … Nein, ich … Keiner von der Bitch Bubble hat bislang auf meine Silvesterwünsche reagiert. Und ich hab sie schon vor Stunden geschickt. Aber nicht ein beschissenes Wort, von keinem. Ich denke langsam, dass …« Sie zögerte, denn es sollte nicht so erbärmlich klingen, wie es war. Aber Jamie kam ihr zuvor und brachte ihre Sorge auf den Punkt.
»Du denkst, sie sind alle ohne dich unterwegs?«, sagte er sanft.
Claire starrte zum Fernseher, wo gerade eine gigantische Flutwelle durch New York pflügte. Ah, eine Metapher, dachte sie.
»Aber, Claire …« Jamie strich ihr übers Haar. »Hast du ihnen gesagt, dass du deine Mutter besuchst? Vielleicht haben sie dich nicht gefragt, weil sie wussten, dass …« Er verstummte. Vielleicht weil ihm eingefallen war, dass es nicht das erste Mal wäre, dass die Bitch Bubble Claire im Stich ließ.
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Stimmt, das wird es sein«, sagte sie, aber nur, um das Thema zu beenden. Damit Jamie sich nicht ihretwegen aufregte.
Sie versuchte, sich auf den Film zu konzentrieren, aber ihr Gehirn spuckte im Sekundentakt neue Vermutungen aus, was ihre Freundinnen gerade ohne sie machten. Vielleicht waren sie zusammen essen. Oder bei einem Konzert. Bei einer Party? Das Schlimmste war die Ungewissheit.
Ob schon jemand was gepostet hat? Claire griff nach ihrem Handy. Alle müssen alles auf Insta teilen, wo bleibt sonst der Spaß? Erst durch die Likes deiner Follower machen die Dinge richtig Spaß. Und wer wüsste das besser als sie, dachte Claire verbittert. Denn meistens war sie doch das Publikum. Und wenn sie mal zusammen weggingen, war sie es, die es genoss, gesehen zu werden, die Gruppenselfies, das warme Gefühl dazuzugehören.
Sie öffnete Instagram und klickte auf Aifrics Profil.
Denn Aifric war die Anführerin, schon seit der Montessorischule. Selbst die Lehrer schienen sich diesem ungeschriebenen Gesetz zu beugen und einfach zu wissen, dass Aifric den anderen voraus war. Sie war einfach besser als sie. Als sie beim Krippenspiel darauf bestand, sowohl Maria als auch den Erzengel Gabriel zu spielen (weil sie die Hauptrolle wollte, aber trotzdem schöne Flügel tragen), bekam sie ihren Willen, was diesem durch und durch irisch-katholischen Initiationsritus ein avantgardistisches Flair verlieh, von dem in Shanganagh noch lange die Rede war.
Jamie, der nicht nur englisch, sondern auch jüdisch war, hatte Claire nicht glauben wollen, dass man an irischen Grundschulen jedes Jahr zu Weihnachten Jesu Geburt inszenierte. Claire spielte immer einen Hirten. Sie hatte einfach diesen Vibe. Es gab Leute, die waren Hirten oder Engel, und es gab jene, die Hauptrollen bekamen. Und wieder andere – Aifric – durften einen Engel UND die Hauptrolle spielen. Als sie noch Kinder waren, hatten Aifrics blonde Haare, ihre blauen Augen und ihre Coolness die anderen magisch angezogen. Aifric war in Shanganagh auch Pionierin der Ripped Jeans gewesen und hatte zwei Jahre später als erste Juice Couture getragen.
In der Grundschulzeit war durch ihre Nähe zu Aifric etwas von deren strahlendem Glanz auch auf Claire übergegangen. Auf der weiterführenden Schule scharte Aifric dann neue Gesichter um sich. Plötzlich waren da Nadia, Helena und Gillian, die sie umkreisten wie Planeten die Sonne, und Claire war jetzt bloß noch ein Satellit unter vielen. Im Laufe der Jahre entfernte sich ihre Umlaufbahn immer weiter von Aifric, vor allem als Claire sich nach dem Abi zur Montessorilehrerin ausbilden ließ, während die anderen alle ans College gingen.
Jetzt, als Erwachsene, war Aifric fast wieder so blond wie als Kind, das lange Haar war aufwändig geföhnt, ihre Kleidung war figurbetont und schick. Dagegen trug Claire immer einen Dutt, und ihre Klamotten waren nach einem Tag mit Lila, Frankie und Sonny oft voller Glitzer und Farbe. Sie führten nun einfach unterschiedliche Leben.
Aifrics Insta-Story flimmerte vorbei. Sie war definitiv unterwegs. Aber es sah eher nach einem romantischen Dinner mit Paul aus, ihrem langjährigen Partner, der genau so ein Alphatier war wie sie.
Claire ging zurück zum Bitch-Bubble-Chat und hielt ihre Guten-Rutsch-Nachricht gedrückt, die noch immer so einsam und verloren im Raum stand wie ein schlechter Geruch, und klickte dann »Info« an.
Gelesen
Nadia
Heute, 20:02
Helena
Heute, 19:51
Gillian
Heute, 19:46
Zugestellt
Aifric
Heute, 15:50
ALLE hatten sie gelesen! Unfassbar. Also alle bis auf Aifric.
Und irgendwie war es auch typisch Aifric. Etwas so Banales wie das Lesen von Nachrichten war unter ihrer Würde, sie hatte Besseres zu tun. Aber die anderen. Konnten die vielleicht endlich mal antworten?
Claire ging wieder auf Insta, und sofort sprang sie ein frisch gepostetes Bild an. Aifric. Eine makellos mainkürte Hand. Und ein Diamantring.
»Oh mein Gott!«, kreischte Claire. Sie empfand Freude, Aufregung und Erleichterung, denn: Aifric konnte gar nicht antworten, weil sie sich gerade verlobt hatte!
Jamie zuckte zusammen. »Was ist los?«
»Aifric hat sich verlobt!«
»Ahhh.« Jamie lächelte, wenn auch etwas verkrampft. Er hatte seine eigenen Ansichten zu Aifric und der Bitch Bubble.
»Ist das nicht unglaublich, dass eine von uns heiratet? Ich war noch nie Brautjungfer. Oh mein Gott, ist das aufregend!«
»Hat sie dich schon gefragt, ob du das machen willst?« Jamie wählte seine Worte sehr vorsichtig.
»Nicht direkt gefragt, aber ich bin, keine Ahnung, ihre älteste Freundin?« Das Handy vibrierte jetzt nur so vor neuen Benachrichtigungen, wahrscheinlich die Bitch Bubble, die sich kollektiv über Aifrics Neuigkeiten freute. »Es gibt so viel zu planen. Das Kleid! Der Junggesellinnenabschied. Meine Rede als erste Brautjungfer!«
»Hmmm.« Jamie schenkte ihr ein halbherziges Lächeln, aber Claire ignorierte es. Sie fügte der allgemeinen Freude eine ganze Kaskade freudiger Emojis hinzu.
»Das gibt dem neuen Jahr doch gleich einen ganz anderen Vibe. Wir gehen Kleider shoppen und ganz viel Prosecco trinken. Das wird mega!«
»Hey, wenn das mal nicht meine berühmte Schwester ist, der neue Star der irischen Podcast-Szene!« Abi, ihr jüngster Bruder, ließ sich auf den Beifahrersitz ihres verbeulten grauen Saabs plumpsen.
»Wenn du dich über mich lustig machen willst, kannst du auch zu Fuß zu Dad gehen.« Lexi strich sich die langen dunklen Haare hinter die Ohren und ließ mit einem Blick in den Seitenspiegel die wenig attraktive Hausgemeinschaft in Inchicore hinter sich, in die Abi kurz vor Weihnachten gezogen war, nachdem er sein Studium der Meeresbiologie in Glasgow beendet und seine Zelte dort abgebrochen hatte.
»Ich mach mich nicht lustig, ich zitier nur aus dem Artikel.«
Lexi bog hinter der Siedlung links ab und fuhr am Kanal entlang zur Naas Road und weiter Richtung Hereford, einem anderthalb Stunden von Dublin entfernten Ort, in dem sie aufgewachsen waren. Auf den Straßen herrschte noch immer verkaterte Neujahrsstimmung, aber in einer Woche würde hier schon wieder das Leben toben. Wenn alles nach Plan lief, würde dies das bislang arbeitsreichste Jahr ihres Lebens. Aber es gab viel, worauf sie sich freuen konnte. Vor allem, wenn man dem Artikel in The Cut glauben durfte.
Aber erst mal musste sie den heutigen Tag hinter sich bringen. Denn der fünfte Januar stellte sie jedes Jahr vor eine Herausforderung. Eigentlich sollte ich längst drüber hinweg sein. Sie ist seit achtzehn Jahren tot.
»Lexi?« Abi sah fragend zu ihr herüber.
»Sorry! Der Artikel, ja! Ich hab ihn ehrlich gesagt noch immer nicht gelesen, du weißt ja, wie es ist, die Leute können so verdammt kritisch sein.« An ihrem wöchentlichen Podcast Your Hot Friend schieden sich die Geister. Es gab entweder einen Stern oder fünf, nichts dazwischen. Einmal hieß es, sie würden »den Feminismus locker hundert Jahre zurückwerfen«, dann wieder waren sie das »Witzigste und Ehrlichste, was das Internet derzeit zu bieten hat« und sprächen aus, was alle dachten.
Lexi war erstaunt, dass der Artikel jetzt so wohlwollend ausgefallen war. Sie hatte sich über die Feiertage ganz umsonst verrückt gemacht. Ständig fragte sie sich, wie die Journalistin, mit der sie das Gespräch geführt hatten, eine gewissenhafte junge Gen-Z-lerin, ihre oft kontrovers und problematisch genannte Show zerpflücken würde.
»Sie hat euch den weiblichen Joe Rogan genannt.« Abi grinste. »Was ich nicht unbedingt als Kompliment werten würde, aber sie schreibt auch, dass ihr«, er las vom Handy ab, »›der wohl letzte authentische Podcast des Planeten‹ seid.«
»Im Ernst? Oh Gott.« Lexi war wirklich kein Fan davon, Kritiken über ihren Podcast zu lesen, denn in der Regel kamen sie nicht gut dabei weg, und kontrovers und problematisch war eigentlich auch nur Amanda, ihre Podcast-Partnerin und/oder beste Freundin, wobei das eine das andere bedingte und beides längst nicht mehr voneinander zu trennen war. Amanda war ein schwer zu kalkulierendes Risiko. Was in der Community kein Problem war, im Gegenteil, Amandas spaltende Kommentare stießen dort auf ein begeistertes Echo. Die »Hotties«, wie sich ihre Fans nannten, applaudierten Amanda für ihren Mut zu sagen, was sie dachte, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Liste derer, die sie dabei vor den Kopf stieß, war lang. Sie reichte vom Wettermoderator des öffentlich-rechtlichen irischen Fernsehens bis zum Staatlichen Auschwitz-Museum. Die einen nannten sie ignorant, die anderen menschenverachtend.
»Die Jane Rogans!« Abi schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber ich fürchte fast, ihr habt es so gewollt.«
Lexi streckte die Hand aus und zerstrubbelte ihm die dunklen Locken. »Danke für dein Mitgefühl.« Abi war mehr als nur ein Bruder für sie, er war kaum ein Jahr jünger, und sie hätten Zwillinge sein können. Sie waren die jüngsten von fünf Geschwistern, ihre drei älteren Brüder waren seit dem Studium in alle Welt verstreut: Andrew in London, Paulie in Kanada und Tristan in Melbourne. Bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen sie noch alle zusammenkamen, waren sie mittlerweile wie Fremde. Selbst Zoomcalls waren wegen der verschiedenen Zeitzonen jedes Mal ein Riesenaufwand, den sie sich zunehmend sparten.
»Du brauchst kein Mitgefühl, Lexi. Laut The Cut bist du eine der Newcomerinnen dieses Jahres. Also du und Amanda. Wollte sie heute nicht mitkommen?« Er zeigte hinter sich auf den leeren Rücksitz.
Lexi lächelte. »Doch, sie kommt. Wir haben gestern noch bis spät gefeiert, sie hat bei uns übernachtet und kommt mit Jonathan nach. Zum Essen wollten sie da sein.«
»Sei ehrlich, ihr habt doch so eine Dreierbeziehung.«
Lexi lachte. »Mir kommt es manchmal eher so vor, als wäre Amanda unser missratenes Kind.«
»Oh Gott«, murmelte Abi, der mittlerweile auf dem Handy Tetris spielte. »Die Vorstellung, dass du und Jonathan ein Kind habt …«
Abi war noch nie ein großer Fan von Jonathan gewesen. Lexi hatte ihn vor fünf Jahren bei einem Medienevent kennengelernt, als Your Hot Friend noch in den Kinderschuhen steckte. Sie und Amanda hatten sich den ganzen Abend über die Freigetränke hergemacht, und zu fortgeschrittener Stunde waren Lexi und Jonathan dann ins Gespräch gekommen.
»Das ist also deine Podcast-Partnerin?« Er hatte mit dem Kinn auf Amanda gedeutet, die sich halb weggetreten neben ihr auf der Couch fläzte.
»Ja, Amanda. Eigentlich ist sie nicht so«, hatte Lexi gelogen, denn Amanda war immer so – ein Drink, eine Line, eine Pille, und Amanda war weg. »Sie hat vorher nichts gegessen.«
»Klar.« Jonathan grinste. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Und sie soll so bleiben, wie sie ist. Sie ist euer Kapital. Kontrovers, heiß, chaotisch. So was wollen die Leute.«
Lexi war ein bisschen beleidigt, aber er sagte schnell: »Natürlich nicht so heiß wie du«, und fixierte sie mit einem langen Blick. Sie war gekleidet wie immer – abgeschnittenes Band-Shirt, keinen BH, schmuddelige Trainingshose. Diese ungeteilte Aufmerksamkeit war ein gutes Gefühl gewesen. Jonathan war nicht im konventionellen Sinne gut aussehend – die graue Haartolle, die scharfen Gesichtszüge –, aber sein Selbstvertrauen war anziehend. Er war damals vierunddreißig, also neun Jahre älter als sie, und gab ihr das Gefühl, umwerfend zu sein.
Noch am selben Abend hatten sie eine schnelle Nummer auf dem Klo geschoben, während Amanda wie abgeschossen in der Lounge lag und draußen die Musik dröhnte.
»Wäre ein Baby denn so schwer vorstellbar?«, fragte sie Abi gereizt und starrte auf die Autobahn, die sich in schier endloser Gleichförmigkeit vor ihr erstreckte. »Ich bin dreißig, er fast vierzig. Wir suchen gerade zusammen ein Haus. Ich wüsste nicht, was daran so abwegig sein sollte.«
Obwohl ein Toilettenfick ein etwas schäbiger Anfang war, hatten sie bald erstaunlich viele Gemeinsamkeiten entdeckt. So waren sie beide ohne Mutter aufgewachsen, auch wenn seine, im Gegensatz zu Lexis, noch lebte. Sie hatte die Familie verlassen, als Jonathan neun war, und er hatte sie in den Jahren danach nur noch selten gesehen. Lexi nahm an, dass es dieses frühe Trauma war, das ihn fürs Leben abgehärtet hatte. Hinter seinem forschen Auftreten verbarg sich allerdings eine unerwartet fürsorgliche Seite. Nachdem sie sich ein paarmal getroffen hatten, begann er sich langsam zu entspannen, und Lexi merkte, wie sie sich in ihn verliebte. Er nahm sie ernst und ermutigte sie in ihrer Karriere, für die sich in ihrer Familie nie jemand interessiert hatte. Im ersten Jahr war er noch ständig unterwegs, er managte Touren für einige große Pop-Acts, aber als Your Hot Friend ein immer größeres Publikum fand, schlug er ihr vor, ihr Manager zu werden. Er bräuchte nicht mehr ständig unterwegs zu sein, sie könnten zusammenziehen und eine ganz normale Beziehung führen. Vor allem könnten sie richtig mit dem Podcast durchstarten, in dem Jonathan auch international großes Potenzial sah. Er unterbreitete Lexi und Amanda praktisch ein Angebot zur Erlangung der Weltherrschaft. Sie schlugen ein, und damit erweiterte sich seine Rolle in Lexis Leben von Freund und Partner zu Freund, Manager und Geschäftspartner.
»Was war das gerade?« Abi fuhr herum und sah sie mit großen Augen an. »Nicht dein Ernst – ein Baby? Oh, Lex …«
»Reg dich ab, ich bin nicht schwanger. Und wir haben auch nichts in der Hinsicht geplant.« Lexi schüttelte den Kopf. »Es wäre außerdem nicht gut für die Show. Schlimm genug, dass ich schon so lange in einer Beziehung bin …«
Abi lachte. »Immer die Wünsche des Publikums im Blick behalten! Und eigentlich verbindet dich ja schon genug mit Jonathan: Er ist dein Freund, dein Manager …«
Abi hatte schon früh infrage gestellt, ob es klug war, so viele Lebensbereiche mit seiner Person zu verquicken. Aber da Amanda, für die sich bei dieser Konstellation doch viel eher Nachteile ergäben, kein Problem damit zu haben schien, hatte Lexi seine Bedenken abgetan. Außerdem war Jonathan das Beste, was dem Podcast passieren konnte, den sie eigentlich bloß aus Spaß gestartet hatten, um nach einer durchfeierten Nacht ihre betrunkenen Gespräche aufzuzeichnen. Niemand, sie selbst am wenigsten, war davon ausgegangen, dass das irgendwen interessieren könnte oder sie so bald schon eine treue Fangemeinde haben würden. Damals hatten sie noch ziemlich improvisiert – sie machten kein Geld damit und hätten auch gar nicht gewusst, wie. Aber sobald Jonathan mit an Bord war und die ersten Sponsorenverträge aushandelte, konnten Lexi und Amanda ihre regulären Jobs an den Nagel hängen. Lexi hatte nach ihrem Abschluss im Marketing gearbeitet, Amanda in einem Restaurant namens »Chez Sandrines« und nebenbei gemodelt, was seinerzeit in Irland jedoch meist auf recht peinliche Fototermine hinauslief, bei denen man sich im Bikini auf der Grafton Street ablichten ließ und mit wechselnden Objekten posierte. Jonathan hatte für sie Kooperationen an Land gezogen, organisierte Live-Touren und Auftritte. Er kümmerte sich sogar um ihre Steuer, nachdem ihre Einkünfte von ein paar mickrigen hundert Euro im Monat in den fünfstelligen Bereich geschossen waren.
Auf halber Strecke nach Hereford hielt Lexi, um zu tanken, während Abi sich etwas zu essen besorgte. Sie holte den mit »Donnerstag, nachmittags« gelabelten grünen Saft aus der Kühltasche auf dem Rücksitz und versuchte, den verführerischen Geruch von Abis Hähnchenbrustsandwichs zu ignorieren. Vor Weihnachten hatte Amanda festgestellt, dass Lexi nach so viel Pärchenglück mit Jonathan langsam Liebesspeck ansetzte, und sie beide für ein Diätprogramm angemeldet. Jeden Tag durfte man sich zwei Säfte gönnen und eine Mahlzeit.
»Krank«, hatte Lexi noch gespottet, als Amanda mit der Idee ankam. Wobei ihre Freundin im Prinzip nicht unrecht hatte: Attraktivität war mehr als Einstellungssache, man musste schon auch an sich arbeiten, wie sie im Podcast nie müde wurden zu betonen. Lexi wusste, dass Amanda es nicht böse meinte, sie war einfach nur pragmatisch. Weshalb Lexi sich jetzt jeden Tag im Voraus überlegte, welche Mahlzeiten sie trinken wollte und welche essen. So schlimm war es eigentlich gar nicht. Jeder Job hatte seine Schattenseiten. Und heute Abend würde sie bei Dad essen. Ich könnte mich schon jetzt darauf freuen, sagte sie sich, es wird meine Mahlzeit des Tages.
Wenn sie in Gesellschaft waren, legten sie und Amanda beide Wert darauf zu essen. Das hatten sie gar nicht extra absprechen müssen, es verstand sich von selbst. Diäten lagen nicht mehr im Trend. Lexi und Amanda waren heiß, obwohl sie aßen! Auf Instagram sah man sie Milchshakes schlürfen und an zuckrigen Doughnuts lecken. Natürlich wurde nichts davon jenseits der Kamera konsumiert, und seit Amanda irgendwo gelesen hatte, dass einige Influencer:innen ein Diabetesmedikament zur Gewichtsreduktion verwendeten, drängte sie Lexi, es doch auch mal damit zu versuchen.
Dabei hatte Lexi die Nase so voll. Nie genug zu essen, hieß bei ihr nichts anderes, als ständig an Essen zu denken, und an den Abenden, an denen Jonathan nicht zu Hause war, fraß sie sich dann richtig voll.
Lexis Hände vibrierten. Eine WhatsApp. Sie grinste über das Foto ihrer zwei Lieblingsmenschen, die in Jonathans Auto in die Kamera schauten und Grimassen schnitten.
Wir sind so was von durch, fahren aber jetzt los, weil wir dich lieben! (Denk bitte noch daran, den Artikel zu teilen!!!)
Lexi entfernte sich ein Stück vom Auto, um schnell noch eine Insta-Story zu machen.
»Hey, Leute, superaufregende News! Your Hot Friend wurde von The Cut zu den Aufsteigern des Jahres 2023 gekürt! Ich glaub’s nicht, echt! Das muss unbedingt gefeiert werden, wundert euch also nicht, wenn die Folge heute Abend noch viel chaotischer wird als sonst!!«
Sie beendete die Aufnahme und verlinkte den Artikel. Vor dem Posten sah sie sich die Story noch mal an und legte nach kurzem Zögern einen Filter über ihr in die Kamera strahlendes Gesicht. Besser so. Und feiern würden sie, wenn sie zurück in Dublin wären. Ihrem Vater noch Alkohol frei Haus zu liefern, wäre eher keine so gute Idee.
Er hatte über die Feiertage wieder angefangen zu trinken. Zum Glück hatte sie Abi, Jonathan und Amanda – ohne sie wäre die Aussicht, an diesem Wochenende nach Hause zu fahren, noch trostloser. Es fiel ihr mit jedem Jahr schwerer, diesen ewigen Kreislauf aus trinken und trocken werden, trocken und rückfällig werden auszuhalten. Mit vier Brüdern hätte sie sich theoretisch die Verantwortung für ihren Vater teilen können, aber Andrew, Paulie und Tristan waren entweder zu weit weg oder beruflich zu eingespannt oder beides, weshalb Lexi in den letzten Jahren meistens allein nach Hereford fuhr. Und da ihre drei älteren Brüder alle ihren finanziellen Beitrag leisteten, seit Eamon, der jetzt siebzig war, sich als Lehrer in den vorzeitigen Ruhestand hatte versetzen lassen, hatte Lexi eigentlich keinen Grund, sich zu beschweren.
Wenigstens war Abi jetzt wieder im Lande. Sie waren an Weihnachten zusammen runtergefahren und hatten Dad dann dabei zusehen dürfen, wie er sich vor dem Fernseher volllaufen ließ und immer rührseliger wurde.
»Trefft du und Amanda euch eigentlich noch mit den alten Freunden aus der Schule?«, riss Abi sie aus ihren Gedanken. »Ich frag nur, weil Eddie und Deano heute Abend im Malloy’s ihre Verlobung feiern.«
»Doch, da wollte ich schon hin. Wir müssen heute Abend eben die neue Folge für den Podcast aufnehmen, aber später schauen wir definitiv noch vorbei. Es ist ewig her, dass ich irgendwen von früher gesehen habe.«
Um kurz vor vier gingen sie an der Schmalseite des Bungalows entlang zur Hintertür. Drinnen kroch die Dämmerung durch die beengten Räume, in denen ihr Vater jetzt ganz alleine hauste. Lexis Brust zog sich zusammen. Als ihre Mutter noch lebte, war es ein schönes Zuhause gewesen, obwohl immer etwas zu klein für ihre siebenköpfige Familie. Nach Angelas Tod war alles verkommen, und Lexi hatte sich geschämt, Schulfreund:innen mit nach Hause zu bringen. Irgendwann war dann eigentlich auch nur noch Amanda gekommen.
Die Mietwohnung, die sie sich mit Jonathan in Dún Laoghaire teilte, war dagegen ein absoluter Traum – alles in Weiß mit Blick auf den Hafen –, aber Lexi konnte es kaum erwarten, endlich etwas Eigenes zu haben. Wenn sie und Jonathan sich ein Haus kauften, ging es für Lexi um mehr, als den Fuß in die Tür des völlig überhitzten Immobilienmarkts zu bekommen. Es wäre das erste Mal seit ihrer Kindheit, dass sie wieder ein richtiges Zuhause hätte. Bislang waren sie allerdings bei jedem Objekt, für das sie sich interessiert hatten, überboten worden, und ihre eigentlich ganz ansehnlichen Ersparnisse reichten kaum für das erforderliche Eigenkapital. Letzten Sommer stand dann auf einmal ein Deal mit Podify im Raum, der großen Podcasting-Plattform, der ihre Finanzierungsprobleme auf einen Schlag gelöst hätte, aber irgendwie war dann doch nichts draus geworden. Doch Jonathan hatte angekündigt, sich nun im neuen Jahr noch mal verstärkt dahinterzuklemmen.
Im Wohnzimmer zog Lexi ihre dicke Daunenjacke aus und beugte sich über ihren Vater, der nicht mal aufgestanden war, um sie und Abi zu begrüßen. »Hi, Dad.« Sie umarmte ihn.
Schnell ließ sie den Blick durch den Raum wandern. Obwohl alles gewohnt schmuddelig war und der Aschenbecher schier überquoll, konnte sie nirgends leere Flaschen oder Bierdosen entdecken, auch an ihrem Vater nahm sie nur Seifen- und Tabakgeruch wahr. So weit also alles in Ordnung.
Abi schob sich an ihr vorbei, um seinen Vater ebenfalls zu umarmen, wobei sie diesen flüchtigen Blick wechselten, mit dem Kinder von Alkoholikern gelernt hatten, sich wortlos Entwarnung zu geben – wenn auch immer unter dem Vorbehalt, dass die Situation jederzeit kippen könnte.
»War auf den Straßen viel los?«, fragte Eamon steif.
»Wir sind gut durchgekommen, Dad.« Abi warf seine Jacke auf die abgewetzte Cordcouch und begann die Post der letzten Tage zu sortieren.
»Ich fange schon mal mit dem Abendessen an«, verkündete Lexi, und ihr munterer Ton stand in keinem Verhältnis zu dem bleiernen Gefühl, das sich jedes Mal über sie senkte, wenn sie dieses Haus betrat, und das erst auf der Rückfahrt langsam wieder verschwinden würde.
Und so groß die Erleichterung auch war, sich mit der Vorbereitung des Abendessens ablenken zu können, war es auch jedes Mal wieder unsagbar traurig, in der Küche zu kochen, die einmal die unangefochtene Domäne ihrer Mutter gewesen war. Nichts hatte sich in den achtzehn Jahren seit ihrem Tod verändert. In den Schubladen lagen noch immer dieselben Küchenutensilien, die Lexi aus ihrer Kindheit kannte, dieselben Küchengeräte standen auf den beigebraunen Arbeitsflächen.
Und obwohl es auf den ersten Blick aussah, als hätte sich nichts verändert, als wäre die Zeit stehen geblieben, war alles mit einem hartnäckigen Film aus Fett und Staub überzogen, der von einer schleichenden Verwahrlosung zeugte.
Der Fettfilm hatte sich in Lexis frühen Teenagerjahren gebildet und war seither nicht mehr wegzubekommen. Am Anfang hatte sie noch tapfer dagegen angeputzt, aber es brachte einfach nichts, solange ihr Vater nicht wenigstens mal einen Lappen zur Hand nahm. Lexi war insgeheim überzeugt, dass der Raum durch die Fettablagerungen an den Wänden jedes Jahr kleiner wurde. Bei jedem Besuch versuchte sie, zunehmend halbherzig, den Dreck zurückzudrängen, und beim nächsten Mal hatte er schon wieder neuen Boden gewonnen.
Lexi packte die Einkäufe aus, die sie aus dem Auto mit hereingebracht hatte. Es gab Lammkeule mit Knoblauch und dazu Rosmarinkartoffeln und Erbsen mit frischer Minze. Sie stellte den Ofen zum Vorwärmen an, und während sie die Kartoffeln schälte, musste sie daran denken, wie sie Amanda mal erzählt hatte, dass die Arbeitsfläche so schmierig sei, dass Küchentücher daran kleben blieben. »Wisch sie einfach ab, Lex!«, hatte Amanda verständnislos gesagt, und Lexi hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihr zu erklären, dass man über die Jahre angesammelten Dreck nicht einfach so wegwischen konnte. Amanda kam aus einer netten, ganz normalen Familie, die keinen Sandstrahler brauchte, um ihre Küche zu reinigen.
Lexi füllte gerade den großen Kochtopf mit Wasser, als ihr ein leicht fauliger, verbrannter Geruch aus dem Ofen in die Nase stieg. Ihr war sofort klar, was es war. Mit angehaltenem Atem öffnete sie die Ofentür, und ihr Verdacht bestätigte sich: Ihr Vater hatte die Reste des Weihnachtsessens dort vergessen. Sie knallte den Backofen zu und stellte ihn aus, riss die Tür zum Garten auf und schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende. Gott, ist das widerlich, dachte sie wütend. Ich hab ihm gesagt, wenn das Fleisch abgekühlt ist, soll er es einpacken und in den Kühlschrank stellen, dann hat er am nächsten Tag noch was davon. Er ist wie ein Kind. Weihnachten ist fast zwei Wochen her!
»Was ist das für ein Gestank?« Abi war hinter ihr an der Tür aufgetaucht und hielt sich den Arm vor Mund und Nase.
»Er hat die Fleischreste von Weihnachten im Ofen stehen lassen.«
»Oh shit.« Abi verzog das Gesicht. »Aber immerhin«, er senkte die Stimme, »habe ich bisher noch keine Bierdosen gesichtet.«
Lexi war nicht in der Stimmung, der Situation etwas Positives abzugewinnen. »Wir müssen das in Ordnung bringen, bevor Jonathan und Amanda kommen.« Obwohl die beiden über ihren Vater Bescheid wussten, wollte sie ihn nicht auf diese Weise bloßstellen. Es war beschämend, auch für sie.
»Hast du was anbrennen lassen?« Ihr Vater steckte den Kopf aus dem Wohnzimmer.
»Ja, Dad – das vergammelte Fleisch, das du zwei Wochen im Ofen hast stehen lassen!«, schnauzte Lexi ihn an.
Sein Gesicht erstarrte, dann fiel es in sich zusammen. »Ach herrje. Lexi, ich …«
Lexi wollte es nicht hören. »Ist gut, Dad, ich räum das schon auf. Ihr beiden könnt nachher in die Stadt fahren und uns was vom Inder besorgen. Ich hab sicher nicht vor, diesen Herd heute noch mal zu benutzen.«
Nachdem Lexi die verdorbenen Fleischreste entsorgt, den Ofen zweimal gereinigt und gründlich Durchzug gemacht hatte, um den Gestank aus dem Haus zu bekommen, warf sie einen Blick auf ihren Kontostand und beschloss auf der Stelle, in eine professionelle Grundreinigung zu investieren. Wenn sie ihrem Vater in der Vergangenheit vorgeschlagen hatte, doch einfach einmal die Woche eine Reinigungskraft kommen zu lassen, hatte er stets abgewunken, das sei doch nicht nötig, aber diesmal hatte sie alle Argumente auf ihrer Seite. Er konnte nicht mehr so tun, als käme er allein klar.
Sie fand einen Anbieter, der seine Dienste als »Traumareinigung« anpries und auch Häuser wieder bewohnbar machte, in denen Tote tagelang herumgelegen hatten. Genau das brauchen wir, dachte Lexi. Ihre Mutter war längst aus diesem Haus verschwunden, aber das Trauma ihres Todes war geblieben.
Angela hatte Krebs gehabt und war zu Hause gestorben, im Kreis ihrer Lieben. Einen endlosen, grau verregneten Herbst lang war sie dahingesiecht. Man hatte sie nicht mehr in der Küche hantieren und zur Musik im Radio mitsingen hören, die Krankheit hatte sie in das Pflegebett verbannt, das im Wohnzimmer aufgestellt worden war. Nach ihrem Tod stand statt des Betts dort ihr Sarg, an dem sie einen klaren, aber bitterkalten Januartag lang Totenwache gehalten hatten. Das schöne Wetter war Lexi wie Hohn erschienen.
Warum muss das ausgerechnet heute passieren?, hatte sie sich gefragt. Freund:innen, Nachbarn und Verwandte hatten sich unablässig an der Tür und um die Tote gedrängt, sodass Lexi kaum eine Chance bekam, sich noch mal in Ruhe von ihrer Mutter zu verabschieden.
»Was wollen diese Leute hier?«, beschwerte sie sich bei Tante Joan, die ihr bedeutete, still zu sein, schließlich sei sie zu alt, um nicht zu wissen, was sich gehöre.
Am nächsten Morgen hatten die Bestatter den Sarg zur Kirche gebracht. Trotzdem wurde Lexi das Gefühl nicht los, dass ihre Mutter noch immer im Haus war. In der dritten Nacht als Halbwaise ging sie um zwei Uhr morgens nach unten und hielt im Wohnzimmer Wache, wo in jeder Ecke dunkle, unergründliche Schatten lauerten. Doch statt ihre Mutter dort zu finden, weckte die leere Stelle, wo zuvor ihr Krankenbett und zuletzt ihr Sarg gestanden hatten, eine immer stärker werdende Panik in ihr.
Am Ende war sie keuchend in die Küche geflüchtet, wo sie einen Moment brauchte, bis ihre Augen sich an das helle Licht gewöhnt hatten. Und dann sah sie etwas sehr Seltsames. Eine Schublade der alten Anrichte stand weit offen. Als sie hinging, um sie zu schließen, fiel ihr Blick auf die Sammlung von Küchenutensilien, mit der ihre Mutter jeden Tag gekocht hatte. Und sie dachte: Ah, hier bist du also.
Ein bisschen hatte sie sich dafür geschämt, das Leben ihrer Mutter auf einen verbeulten Schneebesen und ein paar Holzlöffel zu reduzieren. Aber Kummer und Zeit raubten einem die Erinnerungen, und jetzt war sie froh, mit diesen Dingen etwas zu haben, das sie mit ihrer Mutter verband.
Als Lexi das Online-Buchungsformular für den Reinigungsservice ausgefüllt hatte, ging sie zur Anrichte, nahm Schneebesen und Holzlöffel aus der Schublade und steckte sie in ihre Tasche. Zwar hasste sie die alte, eklige Küche, doch es tat gut, mit denselben Utensilien zu hantieren wie ihre Mutter.
In meinem ersten eigenen Zuhause sollen die in der Küche ihren festen Platz bekommen, nahm sie sich vor, und es war wie ein Versprechen.
Eine Stunde später war von der Küchenkrise kaum noch was zu merken. Ein Kaminfeuer im Wohnzimmer hatte geholfen, den letzten Rest des in den Räumen hängenden Gestanks zu vertreiben, und Lexi saß mit Abi, Eamon, Jonathan und Amanda bei leckerem Lammragout und Butterhuhn fast behaglich auf dem Sofa.
Das Haus schien wie verwandelt durch die Anwesenheit von Jonathan und Amanda. Selbst Eamon ließ sich vom fröhlichen Geplauder der beiden aus seiner Lethargie reißen.
»Wir sind ganz aufgeregt wegen dem Artikel.« Als Jonathan nach Lexis Hand griff und sie drückte, taute sie noch ein wenig mehr auf. Ein Großteil ihrer schlechten Laune kam vermutlich daher, dass sie sich schuldig fühlte. Ich hätte an Weihnachten länger bleiben sollen. Ich sollte Dad öfter besuchen, mich mehr um alles kümmern.
»Deine Mutter wäre so stolz auf dich«, sagte ihr Vater mit einem melancholischen Lächeln.
»Klar wäre sie das – auch wenn sie nicht die leiseste Ahnung hätte, was ein Podcast ist.« Abi grinste.
»Hab ich doch auch nicht.« Eamon schmunzelte und hob sein Glas mit Fanta. »Aber deshalb kann ich trotzdem stolz auf euch sein.«
»Dann lasst uns auch auf Mum anstoßen.« Lexi hob ebenfalls ihr Glas. »Wir vermissen dich, Mum, und wir werden dich immer lieben.«
Nach dem Essen schnappten Lexi und Amanda sich ihre Mikros und ließen die Männer vor dem Fernseher bei The Late Late Show sitzen.
In Lexis Zimmer machten sie einen kurzen Soundcheck.
»Oder vielleicht in der Kammer?« Amanda zeigte auf den Wandschrank, in der sich noch immer die Klamotten stapelten, die Lexi als Teenager getragen hatte.
»Hm. Wir müssten uns auf den Boden hocken, aber durch die Kleider dürfte wenigstens der Hall weg sein.«
Bevor sie loslegten, packte Amanda erst mal den Wodka aus und goss ihnen beiden ein. Dann bemerkte sie Lexis Miene. »Oder lieber nicht, wegen …« Sie nickte Richtung Tür.
Lexi zögerte, dann griff sie nach dem Glas. »Hier drin sollte es kein Problem sein. Bis wir fertig sind, wird Dad schon im Bett sein. Und wir müssen uns ja noch in Stimmung bringen nachher für den Pub!«
»Also …« Amanda beugte sich vor und stöpselte ihr Mikro ins Aufnahmegerät. »Ich hatte Deano geschrieben, dass wir es wegen der Aufnahme heute wohl eher nicht mehr schaffen.«
»Aber es ist gerade mal neun.« Lexi checkte ihr Handy. »Bis zehn sind wir doch locker durch.«
»Ja schon, aber …« Amanda sah wenig begeistert aus. »Hast du da wirklich Bock drauf? Die werden den ganzen Abend über nichts anderes als Kinder, Gärten und Hauskredite reden. Ehrlich, da geh ich lieber früh schlafen.«
»Aber …«
»Und …«, fiel ihr Amanda ins Wort, und ihre gelangweilte Miene wich heller Begeisterung. »Wir haben morgen Abend noch die Eröffnung im Club Electra! Dafür müssen wir in Form sein. Bezahlter Auftritt UND mal wieder so richtig schön mit allen Medienschlampen netzwerken. Der Produzent, der die Your Hot Friend-Doku machen will, wird auch da sein.«
Lexi lachte. »Wetten, dass daraus sowieso nichts wird? Fernsehmenschen hören sich einfach gerne reden. Und lenk nicht vom Thema ab. Ich finde, wir sollten hingehen. Wir sehen überhaupt keinen mehr von früher …«
»Können wir ja nachher spontan entscheiden.« Amanda nahm das Mikro und schaltete auf ihre Podcast-Stimme um. »Hey, Hotties, Happy New Year, bla, bla, bla, hier sind Lexi und Amanda, die hottesten eurer hotten Friends, mit einer neuen freidrehenden, schonungslosen Folge eures Lieblingspodcasts! Und wenn ich mich entscheiden müsste zwischen schonungs- und schamlos, würde ich …«
Jetzt wechselte auch Lexi mühelos in den Your-HotFriend-Modus. »Würdest du dich immer für schonungslose Schamlosigkeit entscheiden. Nichts anderes haben wir von dir erwartet.«
»Warum nicht beides und worauf noch warten? Und jetzt zieht euch warm an, Hotties, oder zieht euch besser gleich aus, denn heute bekommt ihr unser Neujahrsspecial. New Year, New Me! Bei uns bekommt ihr Selbstoptimierung, aber anders. Wir lassen uns von euch, liebe Fans an den mobilen Endgeräten, gern eines Besseren belehren. Sagt uns, was euch nervt, was wir hätten besser machen können, was euch so richtig angekotzt hat.«
»Yay«, nahm Lexi den Faden auf. »Wir gehen gleich die Kommentare auf Rants.ie durch, um den Input unserer liebsten Hater zu beherzigen. Absolutes Gefühlsroulette, und ich hab fast schon ein bisschen Angst!« Sie lachte.
»Dann fangen wir am besten gleich mit dir an, Lexi.« Amanda scrollte auf ihrem Handy. »Hier haben wir schon was Feines. @CameForTheTea schreibt: ›Ist euch mal aufgefallen, wie lame und öde Lexi geworden ist? Sie macht jetzt auf erwachsen, und weil sie nichts Falsches sagen will, redet sie bloß noch von Pärchenurlaub mit Jonathan. Alles wahrscheinlich gesponsert, auch wenn sie es nie sagt. Und habt ihr den Typen mal gesehen? Kann mir nicht vorstellen, dass die beiden jemals Sex haben.‹
»Autsch, das ist böse!« Lexi lachte und hoffte, dass es überzeugend klang.
Du bekommst das Publikum, das du verdienst, dachte sie oft, vor allem, wenn nach ein paar Wodkas die Selbstzweifel kamen. Aber Your Hot Friend finanzierte ihr nun mal Wodkas und überhaupt alles in ihrem Leben. Und wer hatte schon einen Job, bei dem man die ganze Zeit mit seiner besten Freundin abhängen und zwei Stunden die Woche irgendwie wirres Zeug reden konnte? Im Prinzip lebten sie den Traum.
Und was die Zuhörerzahlen in Irland und UK anging, waren sie und Amanda unschlagbar. Dank ein paar Promi-Fans mit Reichweite aus Amandas alter Modelagentur hatten sie auch den britischen Markt geknackt, ein Erfolg, der ihnen so bald kein anderer irischer Podcast streitig machen würde.
»Na, Lexi?« Amanda zwirbelte ihre wasserstoffgebleichten Haare und grinste hämisch. »Bist du erwachsen geworden, aka voll lame?«
»Ja und? Nur weil ich nicht ewig fünfundzwanzig sein will?«, verteidigte sich Lexi. »Irgendwann will man halt nicht immer darüber reden, wie man irgendwelchen Typen auf der Rückbank einen bläst.«
»Entspann dich, hier haben wir eine Hottie, die dich und dein ödes Leben verteidigt«, sagte Amanda und las vor: »@LisaC schreibt: ›Lexi ist nicht lame, sie hält den Laden am Laufen. Ohne sie wäre Amanda nämlich aufgeschmissen. Mit zwei Amandas wäre der Podcast nur noch Chaos. Nur noch Provokation.‹ Das hört man doch gern. Deine Langeweile ist jetzt ein Qualitätsmerkmal.«
»Danke, solche zweideutigen Komplimente liebe ich ja.« Lexi begann nun auch zu scrollen. »Jetzt zu dir. @SeeyouNever schreibt: ›Amanda ist eine Katastrophe mit Ansage, und man kann trotzdem nicht wegschauen. Habt ihr gesehen, wie sie letzte Woche vor diesen Jungs, die auf der Grafton Street Spenden gesammelt haben, mit dem Arsch gewackelt hat? Sie ist dreißig und einfach nur peinlich.‹ Irgendwelche Gedanken dazu, Amanda?«
»Die kleinen Scheißer haben es geliebt. Und ich habe sogar vorher gefragt.«
»Es waren Achtklässler!«, rief Lexi. »Du hättest das schriftliche Einverständnis ihrer Eltern gebraucht.«
»Oh shit!« Amanda kicherte. »Okay, halten wir unsere guten Vorsätze für 2023 fest: Weniger langweilig sein für dich und viel langweiliger werden für mich. Ehrlich, Leute, euch kann man es auch nie recht machen!«
Lexi lachte mit, konnte aber das ungute Gefühl nicht ignorieren, das sich in ihrem Bauch ausbreitete wie ein ganzer Schwarm Zitteraale.
»Amanda, vielleicht sollten wir das rausschneiden«, warf sie ein. »Ich hätte nicht sagen sollen, dass es Achtklässler waren, das ist echt grenzwertig.«
»Was?« Amanda wirkte genervt. »Oh mein Gott, das war so offensichtlich ein Joke, du Weichei. Unsere Hotties verstehen das schon. Wen kümmern die verklemmten Bitches, die wegen so was Schaum vor dem Mund kriegen? Wir lassen uns von denen nicht den Spaß verderben.«
»Okay, lassen wir’s drin.« Lexi warf einen Blick aufs Aufnahmegerät und merkte sich den Zeitstempel: fünf Minuten und acht Sekunden. Meistens machte sie die Bearbeitungen, und Amanda hörte danach nicht noch mal rein, sie würde also gar nicht merken, dass Lexi es rausgenommen hatte.
Und im Prinzip hatte Amanda recht: Es war ja wirklich nur ein Joke gewesen, und wenn man zweimal die Woche einen ungefilterten, authentischen Podcast sendete, musste man damit leben, dass irgendetwas, das man locker-flockig ins Mikro sagte, einem später um die Ohren flog. Nur leider passierte das jetzt andauernd, seit ihre Fangemeinde stetig wuchs und Amanda sich immer weniger zurückhielt.
»Ich glaube, die Leute haben diesen banalen Bullshit langsam satt«, machte Amanda weiter. »Die Hotties sind nicht hier, weil wir nett sind, Lexi. Wenn sie nett wollten, könnten sie sich schwurbelige Wellness-Podcasts anhören, davon gibt’s genug. The Holistic Hole oder Schröpfen bis zum Erschöpfen, ihr wisst, was ich meine.« Amanda verdrehte die Augen, und Lexi schielte wieder auf den Zeitstempel.