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***Endlich Spaß am Trend: Vom Zufall zum entspannten Lebensglück!*** Vegan leben? Was isst, auf was verzichtet man? Bettina Hennig wagt das Experiment und verbannt Fleisch, Fisch, Milch, Eier und Honig aus der Küche, trinkt ihre erste vegane Sojalatte und diskutiert mit ihrem Freund über den Veggieday. Sie geht zu einer Tierdemo, wühlt mit einer Freeganerin im Müll nach verwertbaren Lebensmitteln und lädt zu TV-Abenden mit Filmen wie »Nie wieder Fleisch« ein. Sie enttarnt Ernährungslügen und spricht Wahrheiten aus, die keiner hören will. Sie kontaktiert sogar Bill Clinton, der auch Veganer ist. Und: Sie verliert jeden Tag an Falten und Gewicht und gewinnt an Vitalität. ›Ich bin dann mal vegan‹ ist das Protokoll eines Experiments, das auf vier Wochen angelegt war und nun ein Leben lang andauern wird. Denn: Bettina Hennig wurde jeden Tag glücklicher und fitter und rettet seither ganz nebenbei auch noch die Welt!
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Seitenzahl: 338
Bettina Hennig
Ich bin dann mal vegan
Glücklich und fit und nebenbei die Welt retten
FISCHER E-Books
Für Gudrun und Schatzi
Wie alles anfing? Natürlich mit einem Mann. Genau genommen waren es sogar drei Männer, die meine Entscheidung, mich vegan zu ernähren, beeinflussten. Attila Hildmann, Jonathan Safran Foer und ein Mann, dessen Namen ich hier besser nicht erwähne. (Sie werden dann schon sehen, warum.)
Alle drei haben ihren Teil dazu beigetragen: Durch den Mann, dessen Namen ich nicht erwähnen will, wurde ich von einer Fleischesserin zur Vegetarierin, Foer verdarb mir den Appetit auf Fisch, Hummer, Langusten, Muscheln und Austern, und Attila half mir, auf Milch, Käse, Eier und Honig zu verzichten. Da Attila der wichtigste der drei Männer war, fange ich mit ihm an.
Als ich ihn traf, belegte er mit seinen Kochbüchern »Vegan for Fit« und »Vegan for Fun« die Toppositionen der Amazon-Bestsellerliste. Mal Platz 1, mal Platz 3, mal Platz 5 – aber nie im zweistelligen Bereich und immer vor »Shades of Grey«. Das will etwas heißen, die drei Teile von »Shades of Grey« haben sich weltweit über 100 Millionen Mal verkauft.
Ich arbeitete zu dieser Zeit bei einem ziemlich jungen und hippen Lifestyle-Magazin in Hamburg, obwohl ich selbst gar nicht mehr so jung und auch nicht besonders hip bin, und war ständig auf der Suche nach neuen Trends und Themen. Attilas Erfolg war für mich, na ja, ein gefundenes Fressen. Ich schlug ihn in der Redaktionskonferenz vor, aber die Kollegen hatten ihre Zweifel: Ist das nicht ziemlich spaßfrei, so vegan zu leben?
Veganer – das sind doch diese Spielverderber, die so berauscht sind von ihrer eigenen Rechtschaffenheit, dass sie uns die schicken Isabel-Marant-Schuhe ausreden wollen. Das sind doch die, die einem jeden Bissen in den Mund zählen und dann gleich anfangen, von den armen Schweinen zu reden und den armen Hühnern. Und wenn es nicht um ein armes Tier geht, dann reden sie über den Methanausstoß bei Kühen, womit sie eigentlich nur sagen wollen, dass Kühe verdammt viel rülpsen und furzen, was den Treibhauseffekt befördert, und es dann auf der Erde viel zu warm wird und wir alle sterben müssen. Da es viele Kühe gibt, da viele Kühe gegessen werden. Ich gebe zu, meine Kollegen sind etwas extrem.
Aber dann zeigte ich ihnen ein Foto von Attila, und alle sagten: »Ooooh, der ist aber süß! Zum Anbeißen!«
In einer jungen und hippen Lifestyle-Redaktion, die täglich Fotos von Ryan Gosling, Bradley Cooper und Prinz Harry in höchst erfreulichen Posen (am Strand, bei einer Party, oben ohne) zu sehen bekommt, bedeutet das schon was. Man sah förmlich, wie alle dachten: Gibt es eigentlich auch Oben-ohne-Fotos von Attila? Aber keiner sprach es aus.
Kurzum: Meine Chefin sagte »Go!«.
Zwei Minuten später hatte ich Attilas Agentin am Telefon, zwei Stunden später hatte ich mein Interview. Doch damit war ich beim nächsten Problem: Ich trug ein Leder-Top und Wildlederstiefel, die über die Knie reichten. Im Lederlook einen Veganer interviewen? Geht gar nicht! Mist, dachte ich. Was tun? Ich hatte keine Zeit mehr, mich umzuziehen, und die Damen aus dem Moderessort konnten mir auch nicht aushelfen. Größe 32, Einheitsgröße aller Models, hatte ich zuletzt mit zwölf.
Um meinen Fauxpas zu vertuschen, schlug ich Attila als Treffpunkt das »Fairy Food« vor, einen veganen Imbiss in der Hamburger Innenstadt, der gerade neu eröffnet hatte (und inzwischen leider schon wieder dichtgemacht hat).
Und was mein Leder-Top betrifft? Ich drapierte großzügig ein Tuch darüber.
Als Attila aus dem Taxi stieg, fiel mir sofort auf: Auch er trägt Lederschuhe. Sah zumindest so aus, ich will ihm ja nicht unrecht tun. Ich war jedenfalls erleichtert.
Im Interview erzählte er dann erst mal das, was er eigentlich immer erzählt. Er sprach über seinen Vater, der von den Ärzten wegen seiner schlechten Blutwerte gewarnt worden war und dann im Jahr 2000 an einem Herzinfarkt starb, weil ihm das Frühstücksei, die Wurst und das Schnitzel wichtiger waren als seine Gesundheit. Er erzählte von sich selbst, wie er durch den Tod seines Vaters erst zum Vegetarier, dann aber, weil seine Cholesterinwerte immer noch zu hoch waren – als Vegetarier isst man eben viel Käse –, schließlich zum Veganer wurde. Und wie sich seine Werte, sein Leben, sein Lebensgefühl seitdem verändert hatten.
Und dann erzählte er von den anderen Veganern, die ihn für inkonsequent hielten, weil er nicht ständig über furzende Kühe spricht – und auch, weil er anfangs noch Lederschuhe getragen hat. Die Schuhe, die er beim Interview trug, waren übrigens aus Imitat, wie sich herausstellte.
Und da wurde es für mich interessant.
»Ich bin halt kein Dogmatiker«, sagt er. »Ich bin schon froh, wenn die Leute nur einen Tag in der Woche mal Fleisch weglassen. Deshalb geht meine Challenge ja auch nur über 30 Tage. Dann kann es jeder einmal ausprobieren und gucken, wie es ihm bekommt.«
Aha. Challenge ist natürlich ein klug gewähltes Wort. Es hört sich nach »Germanys Next Topmodel« an oder nach Stefan Raabs Stock-Car-Rennen. Ganz normale Dinge werden so zu immerwährenden Abenteuern, die es in Dschungelmanier zu bestehen gilt. Anziehen, Auto fahren – alles gerinnt zum Überlebenskampf. Wie kaufe ich in zwei Stunden ein komplettes Abendoutfit ein? Wie komme ich als Erster ins Ziel, ohne abgedrängt zu werden? Attila überträgt dieses Prinzip auf das Alltäglichste der Welt, das Essen. In seiner Versuchsanordnung geht es nur darum, alle tierischen Produkte vom Speiseplan zu streichen und regelmäßig Sport zu treiben. Und das 30 Tage lang.
Schön und gut, aber eine Challenge? Ist das wirklich eine Herausforderung? Da sollte man mal ein paar orthodoxe Christen oder praktizierende Hindus fragen, was sie von so einer Challenge halten! Es gibt religiöse Splittergruppen, die trinken einmal pro Woche nur heißes Wasser – ohne Ingwer. Ein paar Tage nur Gemüse essen, und davon so viel man will? Wo ist denn da die Challenge, dachte ich bei mir.
Jedenfalls hat Atilla den richtigen Ton für das gefunden, was viele als Verzicht empfinden.
Ich frage ihn: »Und wenn man danach wieder Lust hat auf Schinken?«
»Dann nur zu! Ich bevormunde die Menschen nicht.«
Stimmt. Er hatte noch nichts zu meinem Leder-Top gesagt.
Ein Veganer also, der die anderen nicht missionieren wollte, sondern einfach nur vorlebte, wie gut es ihm mit seiner Entscheidung ging – das gefiel mir. Das war der Moment, an dem ich das erste Mal dachte: Sollte ich es vielleicht auch einmal probieren? 30 Tage sind ja überschaubar.
Allerdings: Ich bin nicht der Typ, der sich lange in der Küche aufhält. Kochshows halte ich für Banane, weil man das ja ohnehin nie nachkocht, und wenn man es doch tut, sieht es nie so lecker aus wie im Fernsehen. Ich mache mir meist irgendwelche Gemüsepfannen oder große Schüsseln mit Salat, die ich dann – ich lebe allein – ganz unelegant in mich reinstopfe.
Ich guckte mir Attilas Rezepte an, sie waren mir zu kompliziert. Sie sehen sehr lecker aus, aber auch nach viel Zeit, die man in der Küche verbringt. Das sprach dagegen.
Aber dann erzählte er mir, dass er gemeinsam mit 100 Leuten seine Challenge gemacht hätte und sie innerhalb von 30 Tagen zusammen eine halbe Tonne Fett verloren hätten – ohne zu hungern. Ganz einfach durch die Ernährungsumstellung. Das ganze Projekt sei in einem Extraheft zu »Vegan for Fit« dokumentiert.
Eine halbe Tonne Fett? Ich rechnete schnell nach: Das sind fünf Kilo pro Person oder – Moment … 500 Kilo geteilt durch 250 Gramm – 2000 Pakete Butter. Wow! Nicht schlecht! Damit hatte er mich. Absolut.
Ich kenne keine Frau, die nicht pausenlos auf Diät ist, ich gehöre auch dazu. Seit ich aus der Schule raus bin, kämpfe ich mit meinem Gewicht, obwohl mir viele versichern, dass das nicht unbedingt nötig sei. Aber was heißt das schon? Auf Diät zu sein gehört wohl zum Leben einer modernen Frau.
Als ich nach dem Interview nach Hause komme, verschaffe ich mir einen Überblick über die Lage in meinem Kühlschrank: Milch, Joghurt, ein halbvolles Glas Honig, Pizza … Was soll ich jetzt damit machen? Wegwerfen? Puh.
Ich bin noch so erzogen worden, dass man Lebensmittel nicht wegwirft. Ich habe sofort ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht weiß, was ich mit den Sachen machen soll. Dann denke ich: Ach, das entscheide ich morgen. Heute habe ich schon entschieden, mich vegan zu ernähren. Eins nach dem anderen. Dann gehe ich zu Bett.
Zu dem Zeitpunkt, als ich Attila traf, war ich schon seit einem Jahr Vegetarierin. Auch diese Entscheidung hatte ich, wie bereits erwähnt, wegen eines Mannes getroffen.
Ich war ja eigentlich überall als Fleischesserin bekannt. Als leidenschaftliche Fleischesserin. Mein Credo war: Alles unter 400 Gramm ist Carpaccio – das hatte ich von Horst Lichter übernommen, der das oft in seinen Kochsendungen sagt. Betrat ich meine Lieblings-Fleischerei Beisser (Schlachtruf: »in Hamburg seit 1836«) am Eppendorfer Baum, stritten sich die Gesellen darum, mich bedienen zu dürfen. Welcher Frau kann man denn sonst so ungehemmt die besten Stücke aus der Kühltheke präsentieren! Es waren junge Männer, und natürlich machten sie es sich zum Sport, mich zu einem ihrer Grillfeste einzuladen, die sie anlässlich der Fußball-EMs oder -WMs veranstalteten. Ich weiß, wie junge Männer sind, sie machen aus allem einen Sport. Daran sind wohl die Hormone schuld. Es war ein kleiner Flirt, wie man das eben so macht, über die Theke hinweg. Mir gefiel es, von jungen Männern umschwärmt zu werden und keine Vegetarier-Zimtzicke zu sein, die dauerfrustriert auf ihrem Salatblatt herumkaut und mit saurer Miene ihren Mitmenschen das Leben vermiest. Das kann ja ganz schnell gehen, dass man so ein Image weghat.
Ich denke da zum Beispiel immer an die arme Hiltrud Schwetje, die zweite Frau von Gerhard Schröder. Ich habe es noch sehr gut in Erinnerung: Die fanden damals alle ziemlich heiß, und Schröder hatte ein echtes Problem, als er sie loswerden wollte, um sich Doris Köpf (damals noch ohne »Schröder« im Namen) zu nähern. Das konnte nicht gutgehen.
Als Schröder aber herumerzählte, dass Hillu Vegetarierin (!) sei, zu Hause kein Fleisch auf den Tisch (!!) käme und sie ihm obendrein noch seine Currywurst verbot (!!!), war sie doch komplett durch. Sofort. Landesweit. Dass Hillu den dauergestressten Politiker vielleicht nur vor dem einen oder anderen gesundheitlichen Problem bewahren wollte, kam niemandem in den Sinn. Der deutsche Mann braucht sein Fleisch! So ist das nun mal.
Nun, ich bin jetzt anderer Meinung, aber damals war mir die Sache mit Hillu eine Lehre. Ich kostete mein Image als superlebensfrohe und superlustige Fleischesserin voll aus, und wenn ich schon nicht auf die Avancen der Schlachtereigesellen einging, machte ich mir die Vorzüge dieser Außenwirkung auf Facebook zunutze. Da, dachte ich, bekäme ich die Sache besser in den Griff.
Mit einem dieser Männer entspann sich ein freundlicher Chat. Er ging über Stunden, über Wochen, über Monate, spontan, freundlich, lustig. Manchmal hörten wir über Wochen nichts voneinander, dann hatten wir uns stundenlang etwas zu erzählen. Irgendwann verabredeten wir uns zum Frühstück, und da ich gerade in München war, wo er auch war, gingen wir ins Traditionslokal »Weisses Bräuhaus« in der Nähe des Viktualienmarktes. Als Fleischliebhaberin war ich neugierig und wollte auch nicht kneifen.
Bayerische Küche ist nicht gerade bekannt für Zurückhaltung in Sachen Fleisch, aber das »Weisse Bräuhaus« legt noch einen drauf. Es bietet traditionelle Kronfleischküche an. Kronfleisch ist gekochtes Zwerchfell von Rind, Kalb und Schwein, und wo es Kronfleisch gibt, gibt es auch andere Innereien. Im »Weissen Bräuhaus« liest sich das so: Hirnschmarrn, Kalbszüngerl, Kalbskopf, Stierhoden, Milzwurst, Beinfleisch, Rinderherz, Schweinskron, Kälberfüße, Lungenragout, saurer Magen. Dazu gängige bayerische Traditionsgerichte wie Leberkäs und Weißwurst.
Ich gebe zu, dass mir diese Karte insofern imponierte, als sie nicht leugnet, woher das Fleisch kommt – im Gegensatz zu den sorgfältig gesäuberten, in zarte Tranchen zerlegten Stücken, die an den Supermarkt-Frischfleischtheken landauf, landab feilgeboten werden und denen ihre animalische Herkunft weggeschnitten und wegdeklariert wurde. Der Name Filet verschleiert so einiges, Hirnschmarrn aber nennt die Sache beim Namen. Aber will man das? Nun, vielleicht hilft diese ungewöhnliche Aufzählung bayerischer Spezialitäten zu verstehen, was im Folgenden in mir vorging.
Meine Facebook-Bekanntschaft, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, bestellte (zum Frühstück) eine Metzgerplatte mit fünf verschiedenen Wurstspezialitäten.
Ich muss vorwegschicken: Facebook ist ein Potemkin’sches Dorf, es verspricht mehr, als es hält, und die meisten Begegnungen, die man von der virtuellen Ebene in die Realität zu holen versucht, sind enttäuschend. Aber diese Begegnung erwies sich als besonders enttäuschend. Der kultivierte Chatpartner verwandelte sich angesichts des Fleischbergs, der vor ihm stand, in ein gieriges, schlingendes Monster. Er bestand nur noch aus Mund, Zähnen, Schmatzen, Kauen und Wurstfingern. Jedes Mal, wenn er zubiss, knackte es, Wurstwasser wässerte seinen Mund. Er saugte es durch die Zähne und schluckte, ohne zu kauen.
Er sprach dabei von baltischer Literatur. Ich starrte nur auf die Fetttropfen, die sich in seinen Mundwinkeln bildeten.
Der Ekel vor diesem Anblick schlug in Ekel auf Fleisch um. Es war das erste Mal, dass ich mich vor Fleisch, das ich bislang so geliebt hatte, ekelte. Es war nicht nur das Kauen, Schmatzen und Schlurfen meiner Facebook-Bekanntschaft, es war auch, dass es mir nicht mehr gelang, das, was hier serviert wurde, von seinem Ursprung zu abstrahieren. Das, was wir aßen, hatte einmal geschmeckt (Kalbszüngerl), geatmet (Lungenragout), gesehen, gerochen, gefühlt (Kalbskopf), Sex gehabt (Stierhoden), Blutkörperchen produziert (Milzwurst), gegessen und verdaut (saurer Magen) und einfach das Blut durch seine Adern gepumpt, und es hatte gelebt und vielleicht auch ein wenig geliebt (Rinderherz). Es war ein lebendiges Wesen gewesen, und es war nun tot und lag auf meinem Teller. Ich schob ihn angewidert beiseite.
Mit einem Mal dachte ich: Was esse ich hier eigentlich? Was essen wir alle überhaupt? Wir essen Tiere, das sagt sich so leicht, aber in Wahrheit heißt es doch: Wir verleiben uns andere Lebewesen ein, die wir vorher getötet haben. Wir essen totes Fleisch, wir essen den Tod. Es waren viele Gedanken, die mir plötzlich durch den Kopf schossen, und ich gebe zu, das war alles noch ziemlich wirr, aber für mich ergab es in diesem Moment Sinn.
Verzweifelt drehte ich Kügelchen aus meiner Laugenbrezel, nicht einmal die bekam ich herunter. Ich bezwang den Wunsch, mich zu übergeben, und atmete tief durch. Aber die Wurstdämpfe stiegen mir in die Nase. Es half nichts. Ich musste doch losrennen.
Als ich mir Hände und Mund wusch, beschloss ich zwei Dinge:
Ich will diesen Mann nie wiedersehen.
Ich will nie wieder Fleisch essen.
Ich habe mich daran gehalten.
Der dritte Mann, der meine Entscheidung, mich vegan zu ernähren, beeinflusste, war Jonathan Safran Foer. Er hat dafür gesorgt, dass bei mir kein Fisch mehr auf den Tisch kommt und auch keine Meeresfrüchte. Diese Geschichte ist sentimentaler und hat mit meiner Liebe zu Seepferdchen zu tun. Ich liebe Seepferdchen, seit ich denken kann. Es gibt Kinderbilder von mir, die Seepferdchen zeigen, da war ich vier.
Meine Mutter ging oft mit mir in den Frankfurter Zoo. Da muss ich die Seepferdchen wohl das erste Mal gesehen haben. Die meisten Kinder mögen den Streichelzoo, mich zog es ins gluckernde Halbdunkel des Aquariums. In meiner Erinnerung sehe ich mich, wie ich stundenlang nach oben ins wässrige Blau beleuchteter Kästen starre. Ich mochte die Schwerelosigkeit, mit der die Seepferdchen durchs Wasser gleiten. Sie sahen so stolz aus, so majestätisch, anmutig und voller Würde. Es war schwer, mich da wegzuholen, und oftmals verpassten meine Mutter und ich die Straßenbahn zurück nach Hause. Es gab Schimpfe, aber für Seepferdchen nahm ich das gerne in Kauf.
Später erfuhr ich, dass Seepferdchen eigentlich Fische sind, was mich noch mehr faszinierte. Denn dafür, dass sie Fische sind, sehen sie doch sehr hübsch aus. Auch ihr Sozialverhalten machte ordentlich Eindruck auf mich: Seepferdchen leben monogam, sie gehen lebenslange Partnerschaften ein. Das ist schon für Menschen ziemlich ungewöhnlich – aber für Fische unfassbar. Sie paaren sich im Morgengrauen und schwimmen dabei synchron durch einen Wald von Seegras, wobei sie ihre Schwänze ineinander verschlingen. Sie geben – von wegen stumm wie ein Fisch – singende Laute von sich, die natürlich nur andere Seepferdchen hören oder Meeresbiologen mit ihren technischen Hochleistungsgeräten. Was mögen die Seepferdchen sagen? Singen sie sich gegenseitig Liebeslieder vor?
Das Ungewöhnlichste an ihnen aber ist: Bei Seepferdchen werden die Männchen schwanger. Ich habe mich immer gefragt, woher man dann weiß, dass es Männchen sind, da es doch eher typisch für Weibchen ist, die Brut auszutragen. Ich habe nie eine Antwort gefunden, aber das war mir auch egal.
Aber was hat das jetzt mit Jonathan Safran Foer zu tun? Offenbar mag auch er Seepferdchen, denn in seinem Buch »Tiere essen« widmet er ihnen ganze zwei Seiten. Aber warum schreibt er in einem Buch über Tiere, die man isst oder eben nicht essen soll, über Seepferdchen? Werden die vielleicht irgendwo auf der Welt gegrillt oder in einen Wok geschmissen? Man hört ja so einiges, und auch ich habe schon Ungewöhnliches ausprobiert: In Südchina habe ich einmal Qualle (schmeckt wie feiner Tintenfisch) und Schlange (schmeckt wie Hühnchen) gegessen. In Burma empfahl man mir Fledermäuse. Ich habe abgelehnt.
Aber gibt es irgendwo auf der Welt jemanden, der Seepferdchen isst?, fragte ich mich und las Foers Buch weiter. Nein, aber das war kein Grund aufzuatmen. In einem Buch, in dem es um Tiere und ihre Ausbeutung geht, kam es naturgemäß noch schlimmer.
Foer dokumentiert, dass 20 von rund 35 klassifizierten Seepferdchenarten vom Aussterben bedroht sind. Sie werden – neben übrigens 100 anderen Arten – als Beifang getötet und durch den Garnelenfang quasi ausgerottet.
Foer schreibt: »Garnelenfang wirkt sich auf die Seepferdchenpopulation verheerender aus als alles andere, was der Mensch auf See veranstaltet.«[1] Er spielt damit auf die Grundschleppnetze an. Grundschleppnetze sind wahre Vernichtungsmonster. Sie sind bis zu 120 Meter hoch und 50 Meter breit, und in ihrem 70 Meter langen Schlund verschwindet alles, was auf dem Meeresboden lebt. Große, kleine, dicke und dünne Fische. Und Jungfische, was besonders fatal ist, weil damit die Fortpflanzung gefährdet ist. Garnelen, Thunfisch, Barsch, Hering, Scholle, Seezunge und und und. Und eben auch Seepferdchen. Die Netze werden flankiert von Scherbrettern, die den Meeresgrund planieren. Wenn die Netze hochgezogen werden, haben sie eine Schneise auf dem Meeresboden hinterlassen, die an einen gerodeten Regenwald erinnert. Da wächst so schnell kein Seegras mehr, und wo kein Seegras ist, können sich Seepferdchen nicht paaren.
Das ist grausam, aber grausamer ist, dass diese Netze völlig ineffektiv sind. Die Fische ersticken und erdrücken sich gegenseitig wie bei einer Massenpanik. 90 Prozent eines solchen Fanges werden nicht für den Konsum gebraucht, und dann tot, halbtot oder mehr tot als lebendig wieder ins Meer geworfen. Beifang nennt man das. Was für ein Euphemismus!
Als ich das alles recherchierte, verging mir schlagartig der Appetit: auf Garnelen, auf Thunfisch, auf alle Fische.
Es mag albern klingen, aber es gibt Menschen, die lieben Delphine so sehr, dass sie keinen Thunfisch essen, weil Delphine als Beifang im Netz landen und getötet werden. Mir ging es bei Seepferdchen so: nie wieder Fisch.
Als ich am nächsten Tag das Interview mit Attila abtippe, schaut mir meine Kollegin Kathrin über die Schulter. Eigentlich will sie wissen, wie weit ich bin, denn es muss alles ganz schnell gehen, und Kathrin ist dafür verantwortlich, dass es auch wirklich ganz schnell geht und das Heft rechtzeitig in den Druck geht.
»Wie war es denn?«, fragt sie.
»Ging lange. Statt einer halben Stunde haben wir knapp drei Stunden gequatscht. Bin voll heiser.«
Ich tippe weiter, während sie immer noch hinter mir steht und sich das Layout für den Artikel ansieht.
»Und was hat er zu deinem Leder-Top gesagt?«
Mist, denke ich, ich hatte gehofft, dass das niemand in der Redaktion gemerkt hat.
»Er hat mir sogar ein Kompliment gemacht. Aber kurz bevor wir losgelegt haben, hat er gesagt: ›Schickes Top. Sieht gut aus.‹«
»Das hätte ich von so einem niemals gedacht.«
»Ich auch nicht. Ich dachte immer, Veganer sind so intolerant und sprühen einem gleich die Klamotten mit Farbe voll, wenn man etwas anhat, was vom Tier kommt.«
»Das sind wohl eher die Tierschützer.«
»Sind die nicht auch alle vegan oder zumindest Vegetarier?« Ich lasse das Rechtschreibprogramm über das Interview laufen. »Aber der ist nicht so. Im Gegenteil. Er hat sogar selbst Stress mit diesen Leuten, habe ich gelesen. Da gibt es wohl echte Kämpfe zwischen diesen Tierschutzveganern und ihm. Und die nennen ihn einen Gesundheitsveganer.«
»Echt? Ist das nicht egal, warum man vegan ist?«
»Dachte ich auch.« Ich drucke das Interview aus, damit ich es Korrektur lesen kann. »Vielleicht fühlen sich die Veganer, die schon ganz lange vegan sind, von Attilas Erfolg überrannt und sind beleidigt, weil man ihm zuhört und nicht ihnen. Kann man ja verstehen: Da hast du so eine Herzenssache, für die du kämpfst, und alle stecken dich in so eine Spinnerecke, und dann kommt einer und sieht gut aus und hat Charme, und alle hören dem zu, weil er nicht über furzende Kühe spricht. Würde mir, glaube ich, auch nicht so gut schmecken.«
»Apropos: Wie sieht es denn aus mit der Mittagspause?«
Kathrin und ich gehen wie so oft ins »Waku Waku« um die Ecke. Das »Waku Waku« bietet einen biologisch korrekten Mittagstisch an, und überhaupt ist das ganze Ambiente so super korrekt, dass man hier in der Mittagspause sein Öko-Karma voll auflädt. Besteck und Teller sind aus nachhaltigen Materialien wie Birkenholz und Betelnusspalme, die Servietten sind kompostierbar und das Essen bio und frisch zubereitet. Es gibt Vollkorn- oder Basmatireis, den man mit verschiedenen Gemüse- oder Fleischgerichten kombinieren kann. In den Kühlregalen stehen Obstsäfte und Limos aus regionalem Anbau, und die Schokoladenriegel, die man sich hier als Nachtisch holen kann, sind fair trade und – was mir jetzt auffällt – tatsächlich rohvegan.
Als mich die volltätowierte Studentin, die hinter der Ausgabe steht, fragt, was ich haben möchte, achte ich zum ersten Mal darauf, dass ich weder Ei noch Milch in meinem Gericht habe – Fleisch esse ich als Vegetarierin ja sowieso nicht mehr –, und wähle ein Möhren-Weißkohl-Gericht mit Tofu, obwohl ich nicht so ein Tofu-Fan bin. Aber ich will das mit dem Veganen einfach mal ausprobieren. Kathrin kommt gerne hierher. Sie ist Yoga-Lehrerin und hat sich viel mit Ernährungslehre und so beschäftigt und achtet, obwohl sie Fleisch isst, viel mehr auf gesunde Ernährung als ich, die ich als Vegetarierin doch eigentlich die besseren Voraussetzungen habe. Aber bei mir verdirbt die Schokolade die Bilanz.
»Na«, fragt Kathrin, als wir uns an einen der unbehandelten Holztische setzen und sie auf meinen Teller guckt, »bist du jetzt auch vegan?«
»Bietet sich hier an. Kann man ja mal machen. Weiß aber nicht, ob ich dabei bleibe. Diese Ökonummer turnt mich so ab.«
Wir lachen, weil dieser Laden zwar ziemlich politisch korrekt daherkommt, aber die Innenausstattung von einem Ólafur-Elíasson-Schüler stammen könnte. Edel-Öko, denke ich.
»Aber du isst doch immer öko«, sagt sie. »Selbst deine Schokolade ist öko.« Sie zeigt auf den Riegel, den ich mir gekauft habe.
»Ja, aber … ach, egal.«
Ich schiebe etwas Gemüse auf meine Gabel, und Kathrin nimmt einen Schluck von ihrem Roibusch-Passionsfrucht-Tee, von dem ein Teil des Umsatzes an Schulen in Bolivien geht und einen Bambus-Fahrradladen in Berlin.
»Also von wegen vegan«, sagt Kathrin. »Mir fällt gerade ein, weil ich über deren Verlobung schreibe: Ist Brangelina nicht auch vegan? Also, bei Brad Pitt weiß ich es ganz bestimmt. Wenn du wüsstest, was die angeblich alles für die Hochzeit auffahren. Für jedes der Kinder wollen die auf ihrem Chateaux einen Elefanten aus Buchsbaum schneiden lassen.«
»Ich finde die so wahnsinnig angestrengt. Kann gar nicht sagen, warum, eigentlich coole Leute, aber das sind doch so zwei Menschen, die immer alles richtig machen. Soziales Engagement und so. Kann man immer alles richtig machen? Ich schaffe es noch nicht einmal, meine Spende für Greenpeace zu überweisen. Wenigstens fahre ich kein Auto.«
Aber Kathrin lässt nicht locker, sie hat sich schon öfter mit diesem Thema auseinandergesetzt.
»Gut, aber was ist mit Gwyneth Paltrow? Sie ist auch vegan.«
»Oje. Ich bin neulich nur in einen Film mit ihr gegangen, weil sie in den ersten Minuten an ihrer Kotze erstickt. Das wollte ich unbedingt sehen.«[2]
Ich mag die Paltrow nicht. Das hat Kathrin verstanden. Sie ist zum Glück schon fertig mit ihrem Essen (sie nimmt im Gegensatz zu mir immer nur eine halbe Portion und dazu auch noch Low Carb, also alles ohne Reis), sonst wäre das mit der Kotze jetzt etwas unappetitlich gewesen. Damit ihr nicht noch einmal so etwas passiert wie mit der Paltrow, haut sie nun gleich eine ganze Riege mit Hollywoodpromis raus, die vegan leben. Irgendjemand wird schon dabei sein, den ich mögen könnte.
»Pam Anderson. Natalie Portman. Avril Lavigne. Jessica Alba. Alicia Silverstone. Es gibt bestimmt noch mehr, aber die fallen mir jetzt nicht ein.«
Pam Anderson mag ich. Ich hatte einmal ein Interview mit ihr. Sie ist so herrlich selbstironisch. Aber ich will es Kathrin nicht so einfach machen.
»Aber da waren jetzt keine Männer dabei, und das macht die Sache so unsexy.«
»Doch, doch. Männer gibt es auch. Joaquín Phoenix.« Sie schiebt ihren Teller zur Seite. »Und … Mike Tyson.«
Wir lachen. Das ist ein Punch.
»Der hat auch etwas wiedergutzumachen«, sage ich und erzähle von meinen beruflichen Anfängen bei der Morgenpost, als ich eine kleine Klatschkolumne hatte. »Ich habe mal Evander Holyfield getroffen, und sein Ohr sieht total ausgefranst aus.«
Schon blöd, denke ich. Keiner kann sich mehr an die Kämpfe von Tyson erinnern, alle nur an das abgebissene Ohr. Ich muss zugeben, dass mir das schon imponiert, dass so ein Kerl von Mann sich vegan ernährt.
»Also, siehst du: Das ist doch in Hollywood voll trendy und total unöko. Christel war gerade in L.A., und sie hat erzählt, dass man nirgendwo mehr ein normales Steak oder einen Burger bekommt.«
»Aber da ist doch viel Show dabei.«
»Ja, mag sein. Aber Hollywood setzt die Trends. Da kannste mehr erreichen als mit einem schlauen Buch.«
Auch wieder wahr. Wir bringen unsere Reste zum Mülleimer, auf dem steht, dass alle Sachen, auch die Teller, kompostiert werden, und ich frage mich: Wird der Reis, den ich gerade gegessen habe, mit den Resten der Mahlzeit, die ich vor ein paar Monaten gegessen habe, gedüngt? Oder ist das nicht alles eine ziemliche Farce? Vielleicht sollte man lieber noch eine volltätowierte Hipster-Küchenhilfe zum Spülen anstellen.
Draußen scheint die Sonne. Ich horche auf mein Bauchgefühl: Mein veganes Essen hat mich satt gemacht, es hat geschmeckt, aber irgendwas nervt mich an der Sache. Vielleicht will ich einfach kein Mode-Lemming sein.
Im Büro mache ich schnell das Attila-Interview fertig und schicke es zur Freigabe an sein Management. Dann surfe ich im Netz herum, um Material für einen riesigen Infokasten zusammenzustellen und auch um zu gucken, ob ich noch jemanden anrufen oder anschreiben muss, der zu diesem Veganbericht noch etwas beiträgt. Ich lerne viel.
Die englische »Vegan Society« ging aus einem Hardcore-Flügel der englischen vegetarischen Bewegung hervor, in der es immer schon Leute gab, die auch Eier und Milch von ihrem Speisezettel verbannten. Donald Watson schuf den Begriff »vegan«, indem er aus dem Wort »Vegetarian« einfach die Mitte rauskürzte, um den Verzicht symbolisch zu verdeutlichen. Am 1. November 1944 gründete er die »Vegan Society«, der 1. November wird seit 1995 als Internationaler Weltvegantag gefeiert.
Ich frage mich, wie jemand im Jahr 1944, als Europa in Schutt und Asche lag und auch England schwerst getroffen war, auf die Idee kommt, eine vegane Gesellschaft zu gründen. Aber dann lese ich, dass Watson sehr liberal erzogen worden war und er während des Zweiten Weltkriegs offen als Pazifist gewirkt hat und dafür ordentlich eins auf die Mütze bekam. Vielleicht war die Gründung seiner Gesellschaft ein kleiner Protest. Ich sehe, dass er 2005 gestorben ist. Schade, ihn hätte ich sehr gerne gesprochen.
Dann lese ich, dass auch eine Menge deutsche Promis vegan leben, und überlege, ob man da vielleicht mal jemanden fragen könnte: Christoph Maria Herbst, Ariane Sommer, Thomas D., Renan Demirkan, die das wegen ihrer Krebserkrankung gemacht hat und der es nun bessergeht.
Ich lese weiter, dass es in Deutschland zwischen 400000[3] und 800000[4] Veganer gibt – je nachdem, welcher Studie man glauben will – und dass man weltweit die Zahlen nicht kennt, dass aber in Asien, Afrika und Südamerika die meisten Menschen keine Milch trinken und dass es in Indien fast 500 Millionen religiös motivierte Vegetarier gibt, die auch keine Eier essen und Milch nur in Maßen trinken. Gilt nicht ganz, denke ich und wundere mich, warum diese Zahlen im Zusammenhang mit Veganern genannt werden. Aber es geht schon in die richtige Richtung, denn den religiös motivierten Indern ist es wichtig, den Tieren kein Leid zuzufügen, weil das schlecht ist für ihr Karma.
Das erinnert mich ein wenig an die burmesischen Mönche, die ich im Hof der Shwedagon-Pagode gesehen habe und die beim Gehen immer mit einem Besen vor sich herwedelten und beim Atmen die Hand vor den Mund hielten, damit sie nicht zufällig ein Tier töten.
Überhaupt, lese ich weiter, sind die meisten Menschen aus ethischen Motiven vegan, was heißt, dass sie keine Tiere ausbeuten und quälen und töten möchten. Außerdem spielt ein Bewusstsein für Umwelt, Nachhaltigkeit, Klimawandel (da sind sie wieder, die furzenden Kühe) und Welternährung eine Rolle, weil, wenn man die angebauten Lebensmittel direkt isst und nicht an Nutztiere verfüttert, um dann deren Fleisch zu essen, die Ressourcen besser genutzt werden. Edward O. Wilson sagt sogar, dass man 10 Milliarden Menschen ernähren könnte, wenn alle geschlossen auf vegetarische Ernährung umstellen würden.[5] Bei strikt veganer Ernährung wären es sogar 17 Milliarden.[6] Wir sind zurzeit bei 7,1 Milliarden Menschen auf der Welt. Da wäre also noch richtig Luft.
Natürlich macht Brad Pitt bei so was mit, denke ich. Der ist doch immer dabei, wenn es darum geht, etwas Gutes zu tun. Wenn man den nur einmal zu einem Interview bekommen könnte, denke ich, und dazu befragen könnte. Aber das ist wohl aussichtslos.
Ich surfe weiter und gucke, wer noch vegan ist, und dann stoße ich tatsächlich auf Bill Clinton. So ein Macho-Mannsbild isst nur Gemüse? Das ist doch mal einen Versuch wert. Ich rufe Kathrin an, obwohl sie im Nebenraum sitzt und ich eigentlich nur die Tür aufmachen müsste, und sage, ohne mich mit Namen zu melden, in den Hörer: »Bill Clinton.«
»Echt? Der auch?«
»Ja.«
»Dann versuche doch mal, ein Interview mit ihm zu bekommen.«
»Ja, klar. Mach ich sofort. Ich habe schon nach seiner Stiftung …«
»Scherz.«
Ich lege auf. Ich muss zugeben, dass mich das mit Bill Clinton schon interessiert, auch wenn Kathrin das jetzt für zu aufwendig hält. Aber mir ist das egal.
In den nächsten Tagen recherchiere ich, warum Bill Clinton vegan ist, und erfahre, dass er es am Herzen hat und ihm seine Ärzte vegane Kost verschrieben haben. Bemerkenswert finde ich, dass er sich dran gehalten hat. Wer hört bei so was schon auf den Arzt? In einem Interview erzählt er, dass er sich so gut fühlt wie noch nie. Er sieht sehr schlank aus in dem Video, und das ist ungewöhnlich, weil man ihn ja immer ein bisschen zu füllig in Erinnerung hat. Er wirkt agil und beweglich. Er erzählt, dass er sich vegan ernährt, weil er noch seine Enkelkinder kennenlernen und mit ihnen eine gute Zeit haben möchte, und er sagt das so sibyllinisch, dass man nicht weiß, ob er seine leiblichen Enkelkinder meint oder die Generation aller Enkelkinder und ob er mit seiner veganen Ernährung jetzt nur sein Leben retten möchte oder gleich die ganze Welt.
Vielleicht sollte ich ihn doch anschreiben, denke ich. So ein Mann wie er hat Einfluss, der kann doch etwas bewirken. Wenn der sagt, vegan ist super, dann hat das doch richtig Wucht. Außerdem möchte ich gerne wissen, wie das so ist, im Land der T-Bone-Steaks und Burger, ob er ein Auge zudrückt, wenn er mit seinen alten Buddys essen geht, und wie sich sein Leben durch diese Entscheidung verändert hat.
Tatsächlich finde ich auf der Website der Clinton-Foundation Informationen zu einer Allianz für eine gesündere Generation. In den USA ist jedes dritte Kind übergewichtig, steht da. Hierzulande sieht es ja auch nicht unbedingt besser aus, denke ich, obwohl ich das natürlich nicht so genau weiß. Aber mich erschreckt es schon, wenn ich an der Uni, wo ich ab und zu noch etwas zu tun habe, so viele übergewichtige junge Menschen sehe, viel mehr als zu meiner Zeit.
Es ist bereits nach Mitternacht, als ich alle Fragen ausformuliert habe und sie an Bill Clintons Stiftung schicke. Außerdem maile ich sie noch an seine Bibliothek in Arkansas und, doppelt genäht hält besser, an den Bürgermeister von Chappaqua, dem Kaff, wo Bill mit Hillary wohnt. Das sollte reichen.
Am kommenden Tag gucke ich gleich nach dem Aufwachen in mein Postfach. Am nächsten Tag auch. Die ganze nächste Woche ebenso.
Als ich wieder einmal mit Kathrin essen gehe, fragt sie: »Hat Bill Clinton eigentlich schon geantwortet?«
»Wie kommst du darauf?«, frage ich, und das frage ich mich wirklich, weil ich nichts davon erzählt hatte.
»Du hattest mir die Fragen versehentlich zugeschickt.«
Ich merke, dass ich rot werde.
In den kommenden Tagen gucke ich dann mal, was ich so alles in meinem Kühlschrank habe und ob ich davon auf die Dinge verzichten könnte, die nicht vegan sind. Es ist ohnehin nicht viel drin. Das ist normal. Ich entdecke, wie so oft, eine angebrochene Tüte Milch, die nur da ist, weil mein Mann gerne Milch im Kaffee trinkt, und die, wie immer, sauer geworden ist. Ich schütte sie in die Spüle. Dann finde ich eine Kante Parmesan. Der Käse ist hart und schwitzig und ebenfalls nicht mehr zu gebrauchen. Auch ihn schmeiße ich weg. Die Mayonnaise enthält Ei, und deshalb sortiere ich sie erst einmal aus. Die Gemüsepizza, die ich im Tiefkühlfach finde – natürlich mit Käse –, bekommt mein Mann aufgetischt, denke ich. Die Erbsen und die Himbeeren, die ebenfalls im Kühlfach liegen, dürfen bleiben. Ebenso die drei Senfsorten (körnig, mittelscharf und Feigensenf von meiner Freundin Nea), die ich in der Tür finde. Ich liebe Senfsoßen über meinen Salaten, und ich esse oft Salat. Im Gemüsefach sind noch ein paar Paprika, eine halbe Gurke und ein paar Möhren, die etwas schrumpelig aussehen. Aber die sind noch gut. Daraus mache ich mir einen Salat, beschließe ich. Morgen, nehme ich mir vor, werde ich meine Vorratskammer nach unveganen Resten durchstöbern. Für heute ist Schluss.
Als Nachtlektüre studiere ich eines von Attilas Kochbüchern. Schon lecker, denke ich, aber ich bin jetzt nicht so der Typ, der Auberginenscheiben auftürmt oder Möhren schnitzt. Ich kann kochen, das habe ich von meiner älteren Schwester gelernt, bei der ich immer am Herd gestanden und gestaunt habe, wie sie das alles so zusammenrührt. Sie war eine hervorragende Köchin, und von ihr weiß ich auch, dass man am besten alles frisch kauft und auch frisch zubereitet. Das kannte ich schon aus meiner Kindheit, hatte es aber lange vergessen.
Meine Mutter war alleinerziehend. Das ist heute kein Spaß, und damals, als ich klein war, war es noch weniger ein Spaß. Denn es gab zum einen kaum Kitas, zum anderen musste sich meine Mutter immer rechtfertigen und allen erzählen, dass sie verwitwet war, weil sie alle auf den ersten Blick für eine Frau hielten, die zu viel zugelassen und dabei nicht aufgepasst hat – ich gehöre zu den Babyboomern, da gab es noch keine Pille. Um sich ihr Leben ein wenig leichter zu gestalten, kam ich noch in der Vorschulzeit in ein pädagogisches Reformprojekt im Hochschwarzwald. Das Gebiet steht heute unter Naturschutz. Es war ein Paradies für Kinder. Es gab einen Bach, Kühe auf der Weide, Schweine, eine alte Mühle und immer gutes Essen. In dieser Region ist man es nämlich gewohnt, nicht nur gut, sondern sehr gut zu kochen. Sie hat die größte Dichte an Michelin-Sternen in Deutschland.
Ich weiß nicht, ob die Sterneköche die Kochambitionen der Menschen dort beeinflussten oder die Kochambitionen der Menschen die Sterneköche anzog, jedenfalls nahm man es auch im Alltag mit dem Essen sehr ernst dort. In dem pädagogischen Reformprojekt wurde jeden Tag frisch gekocht. Man beauftragte also keinen Großcaterer, wie das heute oft üblich ist, der seine Erdbeeren aus China bezieht. Das Gemüse war marktfrisch, und es gab immer drei Gänge. Eine klare Suppe (meist mit Flädle) vorweg, einen Hauptgang und zum Nachtisch ein Stück Obst von den Bäumen, auf die wir nach den Hausaufgaben immer kletterten. Zur Vesper gab es Brot mit hausgemachter Marmelade.
Das Beste daran aber war, dass wir Kinder der Küche unser Gemüse verkaufen konnten. Jeder von uns hatte ein Stück Land, das so groß war wie ein Handtuch und das wir nach Lust und Laune bepflanzen durften. Von unserem Taschengeld kauften wir uns Gemüsesamen und gossen ordentlich, und die geernteten Möhren, Radieschen oder Rettiche brachten wir dann in die Küche, wo wir nach den tagesaktuellen Marktpreisen bezahlt wurden. Mit dem Geld rannten wir natürlich gleich zum Kiosk am Dorfplatz und kauften uns Süßigkeiten. Auch heute muss bei mir alles frisch sein. Ich mag keine Konserven.
Am Wochenende bekomme ich das gut hin mit den frisch gekochten Gerichten, aber unter der Woche reduzieren sich meine Kochkünste meist darauf, dass ich frisches Gemüse zu einem Salat oder zu einer Gemüsepfanne zusammenrühre. Das darf höchstens zehn Minuten dauern, sonst werde ich ungeduldig. Ich esse dann gerne vor dem Fernseher.
Als ich noch Fleisch aß, kam da immer noch Geschnetzeltes rein, und weil ich dazu meist Reis esse, heißen diese Gerichte einfach »Reis mit Scheiß«. Ganz Asien lebt von »Reis mit Scheiß«. Dazu brauche ich kein Kochbuch, denke ich.
Ich nehme also einfach die Zutaten von Attilas Gerichten und reformuliere die nach meinem Reis-mit-Scheiß-Prinzip zu einer Gemüsepfanne, was, glaube ich, genauso schmeckt, denn es kommt ja auf die Kombination an und nicht unbedingt darauf, ob man jetzt schichtet, schnitzt, türmt oder raspelt. Jedenfalls bin ich voll zufrieden und glücklich und satt.
»Na, hat Bill Clinton sich schon bei dir gemeldet?«, fragt mich Kathrin.
»Ja, er hat sogar …«
»Wirklich?« Kathrin wirkt überrascht. Ich merke, dass sie schon ein paar Seiten für das Interview einplant und überlegt, welche Fotos man nehmen könnte. Das Attila-Hildmann-Interview hatte eine große Resonanz, und nun ist man ganz heiß auf gesunde Ernährungstrends, weil es kurz nach dem Pferdefleischskandal nun auch noch einen Eierskandal gab und man da jetzt tolle »Food«-Alternativen bieten möchte. Man sagt in unserem jungen und hippen Lifestyle-Magazin »Food« – nicht Ernährung.
Ich koste Kathrins Freude ein wenig aus und sage genüsslich: »Scherz.«