Ich bin eine Prinzessin - Inken Weiand - E-Book

Ich bin eine Prinzessin E-Book

Inken Weiand

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Beschreibung

Mellani und ihre jüngeren Geschwister kennen kein heiles Familienleben. Die Eltern betrinken sich regelmäßig und neigen zu Gewaltausbrüchen. Die Kinder leben in ständiger Angst: vor dem gewalttätigen Vater, vor dem Hunger, vor der Schule, vor der Mutter, um die Mutter. Aus Angst schlägt Mellani auch alle Hilfsangebote aus und flüchtet in eine innere Welt, in der sie eine Prinzessin ist, die geachtet wird und sich verantwortungsvoll um ihr Volk kümmert. Als die Situation eskaliert, sind es eben diese inneren Bilder, die Mellani den Weg weisen. Der Roman "Ich bin eine Prinzessin" wurde 2012 mit dem Kinder- und Jugendliteraturpreis des Landes Steiermark ausgezeichnet.

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Inken Weiand

Ich bin eine Prinzessin

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

Erste Auflage 2014

ISBN 978-3-88509-108-0 ePUB

ISBN 978-3-88509-109-7Mobipocket

Copyright © Ruhland Verlag, Bad Soden 2014

Inken Weiand, Ich bin eine Prinzessin

Lektorat: Gabriele Pässler, Görwihl, www.g-paessler.de

Umschlagbild: © Hannah Weiand

Alle Rechte vorbehalten.

www.ruhland-verlag.de

Manchmal ist die Flamme der Fantasie der einzige Lichtschein, der im Dunkel der Hoffnungslosigkeit noch wahrnehmbar ist.

1

Boing, boing, boing.

Mellanis Kopf schlägt gegen die Heizung. Boing, boing, boing.

Ich bin eine Prinzessin. Ich bin eine Prinzessin. Die Prinzessin von Wunderland.

Boing, boing, boing.

„Du miese Schlange! Du miese Schlange! Du bist wie dein Vater!“

Ich bin eine Prinzessin. Eine Prinzessin, wie mein Vater König ist. König von Wunderland.

Rums. Mellani fällt noch einmal gegen die Heizung.

Sie stöhnt leise. Nur leise. Prinzessinnen stöhnen nicht.

Die Mutter geht raus. Verlässt das Zimmer, immer noch wutschnaubend.

Mellani bleibt liegen. Einfach liegen. Wenn die Mutter wiederkommt, soll sie sehen, was sie getan hat. Sie soll es ruhig sehen. Wenn sie wiederkommt, sieht sie Mellani auf dem Boden liegen und bluten.

Das hat sie dann davon.

Mellani bleibt einfach liegen. Sie starrt in die Luft.

Ich bin eine Prinzessin. Wenn jemand mich sieht, dann wird er auf einmal ganz höflich. „Eure ehrwürdige Majestät“, sagen die Leute. Und ich sage: „Danke, nein. Das ist zu höflich. Prinzessin reicht.“

Mellani liegt immer noch auf dem Boden. Sie hört die Tür gehen. Die Mutter kommt herein.

„Kind!“

Mellani sagt nichts.

„Kind! Du blutest ja! Zu Hilfe! Mein Kind verblutet!“

Die Mutter stürzt sich auf Mellani. Sie weint und kreischt durcheinander.

Ich bin eine Prinzessin. Um mich sorgen sich die Leute. Das ganze Königreich sorgt sich um das Wohlergehen der Prinzessin. Nur die Prinzessin selber, die kümmert sich vor allem um ihre Leute. Ich bin eine Prinzessin.

Mellani sitzt im Wartezimmer. Die Mutter hat beim Arzt angerufen. Hat Mellani an den Bus gebracht. Jetzt sitzt sie da, zwischen lauter Erwachsenen.

Auf den Tischen liegen Zeitschriften. Mellani nimmt eine davon. Irgendeine Schauspielerin hat irgendwelche Probleme.

Wie kann so jemand Probleme haben?

Können Erwachsene überhaupt Probleme haben?

Die Schauspielerin hat Probleme wegen ihrer Nase. Sie will sich die Nase operieren lassen, damit sie bessere Rollen bekommt.

Mellani will die Zeitung weglegen. Dann aber lässt sie die Zeitung, wo sie ist. Wenigstens sieht es nun aus, als ob sie lesen würde.

Ich bin eine Prinzessin. Eine Prinzessin darf tun, was sie will. Die Leute jubeln mir zu. Da stehen sie alle. Einer ist neugierig. Er glotzt mich an. Da kommt einer von meinen Rittern und führt ihn ab. Ich bin eine Prinzessin. Keiner darf mich anglotzen.

Die Sprechstundenhilfe ruft Mellani. Mellani geht durch, ins Doktorzimmer. Sie blutet immer noch an der Stirn.

Der Doktor sieht Mellani an.

„Was hast du gemacht?“ Mellani guckt auf den Boden.

„Gegen den Schrank gestolpert.“

„So. Deine Mutter hat gesagt, du seiest die Treppe hinuntergefallen.“

„Ja genau. Die Treppe hinuntergefallen und dann gegen den Schrank gestolpert.“

Der Doktor sagt nichts. Guckt sich die Wunde an.

„Ich muss nähen.“ Mellani steht ganz still.

Eine Prinzessin lässt sich nichts anmerken. Eine Prinzessin weint nicht. Nein, Prinzessinnen weinen nicht. Und Prinzessinnen lassen sich nicht ausfragen.

„Hast du Probleme zu Hause?“

Mellani schüttelt den Kopf. Sie sieht den Doktor nicht an. Wenn man jemanden anguckt, kann man so schlecht lügen.

„Willst du mir irgendetwas erzählen?“

Mellani schweigt. Natürlich will sie nichts erzählen. Wenn man erzählt, dann erfahren die Leute alles Mögliche, was sie nicht erfahren sollen. Dann passiert Entsetzliches.

Es gibt Kinderheime. Dort schlafen die Kinder in Schlafsälen mit fünfzig Kindern. Der Vater hat Mellani ein Bild davon gezeigt. Ein Bild von einem Schlafsaal mit fünfzig Kindern.

Die liegen alle nebeneinander in Metallbetten. Nichts haben sie, was ihnen selber gehört. Und nie, nie kommen sie aus dem Heim wieder heraus. Hat der Vater gesagt.

Und darum darf man nichts sagen. Nie.

„Wenn du mir sagst, was dein Problem ist, kann ich dir vielleicht helfen.“

Helfen? Der Doktor will Mellani ausfragen, das ist klar!

Wer darf eine Prinzessin ausfragen? Prinzessinnen sind Prinzessinnen. Die herrschen. Die Leute knien vor ihnen nieder. Aber sie dürfen sie nicht ausfragen.

Wenn einer unangenehme Fragen stellt, muss er raus. Dann winkt die Prinzessin mit einem Finger. Es kommen Pagen und Leibwachen und alle und schmeißen ihn raus. Niemand kann einer Prinzessin etwas tun.

Mellani geht nach Hause. Die Mutter hat ihr nur für die Hinfahrt Geld gegeben. Vielleicht hatte sie nicht mehr Geld. Vielleicht hat sie sich auch nur vertan.

Mellani geht durch die Straßen. Ihr ist schwindelig. Und die Leute gucken so komisch. Vielleicht, weil Mellanis ganzes T-Shirt voller Blut ist. Vielleicht auch nur wegen der geflickten Hosen, die auch noch viel zu kurz sind.

Einmal muss Mellani sich auf ein Mäuerchen setzen. Aber da kommt so ein fremder Mann und setzt sich dazu. Da geht Mellani schnell weiter.

Eine Prinzessin leidet nicht. Zumindest zeigt eine Prinzessin es nicht, wenn sie leidet. Würde. Eine Prinzessin hat Würde. Würdevoll erträgt sie alle Qualen und alles Ungemach.

Mellani geht nach Hause. Es ist nicht einfach, vom Doktor nach Hause zu kommen. Erst am Fußballplatz vorbei und über die Eisenbahnbrücke. Dann muss man diese Straße hochgehen. Dann durch die Haustür. Die steht meistens offen. Oder das Schloss ist wieder einmal herausgebrochen worden. Die Haustür ist kein Problem.

Aber dahinter kommt das Treppenhaus. Im Treppenhaus sitzt die Gang. Die Gang raucht und spritzt und will ständig Geld und sonst etwas von einem haben. Die Gang bettelt. Die Gang ist ein Problem.

Merkwürdigerweise lässt die Gang Mellani meistens in Ruhe.

Mellani geht vorbei an den Typen, an den Jungen und Mädchen, die zu einem guten Teil deutlich älter sind als sie. Sie geht an ihnen vorbei.

Ich bin eine Prinzessin. Einer Prinzessin kann keiner etwas. Sie hat keine Gangs, sondern Untertanen. Und die Untertanen müssen gehorchen. Respekt. Respekt haben die Leute vor ihr.

Als Mellani an die Tür klopft, öffnet die Mutter. Wenigstens sie hat sich Sorgen gemacht. Wenigstens.

Ist eigentlich meistens so. Der Vater schlägt, ja, und trinkt und das alles. Dem Vater werden die Kinder wohl egal sein.

Die Mutter, die trinkt auch, und manchmal schlägt sie auch. Aber der Mutter sind die Kinder nicht egal. Sie heult, wenn sich eines verletzt. Sie macht sich Sorgen, wenn eines zu spät kommt. Und wenn der Vater die Kinder verhaut, dann geht sie dazwischen und fängt die Schläge ab, die für das Kind bestimmt sind. Die Mutter ist anders.

Ich bin eine Prinzessin. Ich bin wichtig. Für mein Volk bin ich wichtig. Das ganze Volk macht sich Sorgen um mich. Ich bin eine Prinzessin.

Abends gibt es Tiefkühlpizza. Mit Salami. Drei Stück. Eins für den Vater. Die Mutter teilt sich eins mit dem ganz Kleinen, und Mellani mit der Kleinen. Mellani merkt, dass die Mutter ihr extra eine große Portion gibt. Der Mutter tut die Sache mit der Heizung leid. Vermutlich.

Nach dem Essen müssen die Kleinen ins Bett. Mellani darf noch aufbleiben. Sie hat die Hausaufgaben noch nicht gemacht. Soll sie die Hausaufgaben machen? Ist ohnehin schon spät. Die werden nichts Ordentliches mehr.

Mellani legt sich auf den Boden. Irgendwie ist ihr immer noch schwindelig.

Nach einer Weile geht sie ins Bett. Aber sie schläft nicht.

Wie soll sie auch schlafen? Der Vater schreit die Mutter an, die Mutter schreit den Vater an. Wie soll man dabei schlafen?

Ich bin eine Prinzessin. Wenn ich da bin, werden die Leute höflich und still. Alle sind sie höflich und still. Sonst kommen meine Ritter und alle meine Pagen und Bediensteten und verhaften die Leute. Ich bin eine Prinzessin.

Später, viel später erst schläft Mellani ein. Sie träumt diesen wirren Traum, den sie immer wieder träumt. Aus dem sie früher schreiend aufgewacht ist. Den Traum, in dem sie dasteht und sich nicht rühren kann. Und dann kommt der Vater auf sie zu. Er hat glasige Augen. Gleich wird er sie erreichen, sie schlagen, sie … „Mellani! Mein geliebtes Kind!“

Mühsam reißt sich Mellani aus dem Schlaf.

Die Mutter steht an ihrem Bett, tränenüberströmt. Mellani sieht sie an. Was ist schon wieder los?

Hat der Vater die Mutter geschlagen?

„Kannst du mir noch einmal verzeihen? Vergib mir, oh, vergib mir! Wie konnte ich dich nur gegen die Heizung werfen! Bitte, bitte verzeih mir!“

„Ist schon gut.“

Ich bin eine Prinzessin. Eine Prinzessin ist großmütig. Großmütig ihrem Volk gegenüber. Natürlich ist sie das. Eine Prinzessin ist großmütig und edel. Ich bin eine Prinzessin.

Die Schule ist vorüber. Schlecht und recht, ehrlich gesagt. Aber immerhin ist sie vorüber.

Mellani geht zu Fuß nach Hause. Sie geht immer zu Fuß nach Hause. Gerade so, wie sie morgens zu Fuß zur Schule geht. Fahrkarten sind teuer. Mellani geht zu Fuß nach Hause, und sie geht zügig und geübt.

Die Straßen entlang, fast eine Stunde lang. Die Straßen entlang, schließlich den Berg hoch, durch die Haustür. Das Schloss ist herausgebrochen, Mellani braucht nicht zu klingeln.

Es wäre auch schwierig zu klingeln, die Klingel ist defekt. Schon seit Wochen. Hinter den Namensschildern hängen die Kabel heraus.

Schön sieht das nicht aus. Aber das ganze Hochhaus, die ganze Siedlung sieht nicht schön aus.

Kahler Beton mag schön aussehen, wenn er sauber ist. Wenn überall die schwarzen Stockflecken an den Wänden zu sehen sind, dann ist er es nicht. Betonkübel mögen nett aussehen, wenn sie schön bepflanzt sind. Wenn darin nur Zigarettenkippen, leere Coladosen und Spritzen liegen, dann sind sie gewiss nicht schön.