Ich bin nicht tot - Anne Frasier - E-Book
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Ich bin nicht tot E-Book

Anne Frasier

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Beschreibung

Sein Gesicht zu lesen war ihre gesamte Existenz

Drei Jahre lang wurde Detective Jude Fontaine von der Außenwelt ferngehalten. Eingesperrt in einer unterirdischen Zelle hatte sie zu niemandem Kontakt außer ihrem sadistischen Entführer. Nach ihrer Flucht bleibt ihr nur ein unstillbares Verlangen nach Gerechtigkeit. Obwohl ihre Kollegen an ihrer psychischen Gesundheit zweifeln, nimmt sie ihre Arbeit in der Mordkommission wieder auf. Ihr neuer Partner, Detective Uriah Ashby, traut ihrer Zurechnungsfähigkeit nicht, doch ein Killer ist unterwegs und ermordet junge Frauen. Die Detectives haben keine Wahl: Sie müssen zusammenarbeiten, um den Psychopathen zu stellen, bevor er sein nächstes Opfer findet. Und niemand kennt sich mit Psychopathen so gut aus wie Jude Fontaine ...

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Das Buch

Drei Jahre lang wurde Detective Jude Fontaine von der Außenwelt ferngehalten. Eingesperrt in einer unterirdischen Zelle hatte sie zu niemandem Kontakt außer ihrem sadistischen Entführer. Nach ihrer Flucht bleibt ihr nur ein unstillbares Verlangen nach Gerechtigkeit. Obwohl ihre Kollegen an ihrer psychischen Gesundheit zweifeln, nimmt sie ihre Arbeit in der Mordkommission wieder auf. Ihr neuer Partner, Detective Uriah Ashby, traut ihrer Zurechnungsfähigkeit nicht, doch ein Killer ist unterwegs und ermordet junge Frauen. Die Detectives haben keine Wahl: Sie müssen zusammenarbeiten, um den Psychopathen zu stellen, bevor er sein nächstes Opfer findet. Und niemand kennt sich mit Psychopathen so gut aus wie Jude Fontaine …

Die Autorin

Anne Fraiser ist eine New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin. Sie teilt ihre Zeit zwischen der Stadt Saint Paul in Minnesota und ihrem Schreibstudio im länd­lichen Wisconsin auf.

Anne Frasier

Ich bin nicht tot

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Anu Katariina Lindemann

Wilhelm Heyne Verlag München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel The Body Reader bei Thomas & Mercer, Seattle.Dieses Werk erscheint mittels einer Lizenzvereinbarung mit Amazon Publishing.
Copyright © 2016 by Theresa Weir Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Dr. Katja Bendels Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München, unter Verwendung von © plainpicture/Bobo Olsson und FinePic®, München Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN 978-3-641-21537-8V002
www.heyne.de

Die Geschichten der Toten klingen in ihren Gesichtern nach.

Kapitel 1

Irgendwann hörte sie auf zu schreien. Es war derselbe Tag, an dem sie aufgab, über die Welt außerhalb der fensterlosen Kammer nachzudenken. Diese Welt existierte nicht mehr. Zumindest nicht mehr für sie. Jetzt gab es nur noch die Teller mit Essen, die in unregelmäßigen Abständen in ihr Verlies gebracht und dann in völliger Dunkelheit von ihr leer gegessen wurden – ohne jeg­liche visuelle Anhaltspunkte und ohne dass ihre Ge­­schmacksnerven hätten feststellen können, was in ihren Mund wanderte.

Ihr Leben bestand jetzt daraus, auf das Geräusch seiner Schritte auf der Treppe zu achten. Ihr Leben bestand daraus, auf das Schlurfen seiner Füße über den Zementboden zu horchen und darauf zu warten, seine Stimme zu hören. Möge Gott ihr beistehen, aber es war schon so weit gekommen, dass sie sich auf seine Stimme und auf seine Besuche irgendwie sogar freute. Alles war besser als diese Stille in ihrem Kopf.

Dann gab es die Tage, an denen er sie aus der Zelle in den Kellerraum zerrte, sie aus der Dunkelheit herauszog.

Sie blinzelte in die grelle Helligkeit der einzigen Glühbirne, die von der Kellerdecke herunterhing. Wenn sie versuchte zu sprechen – ihre Stimme klang kratzig, fremd und hohl –, schlug er ihr ins Gesicht.

Und das war okay.

Heute führte er sie zu der Abflussstelle in einer Ecke des Kellers, drehte den Wasserhahn auf, richtete die Brause auf ihren nackten Körper und bespritzte sie mit eiskaltem Wasser.

Selbst da schrie sie nicht. In ihr waren keine Schreie mehr übrig geblieben.

»Du bist ekelhaft.«

Ja, vermutlich war sie das. Vielleicht hatte er ja deshalb aufgehört, sie anzufassen. Ekelhaft war gut.

Als er damit fertig war, sie abzuduschen, stellte er das Wasser ab. Sie zitterte vor Kälte – sonderbar, dachte sie mit einer gewissen Distanziertheit.

»Los, zurück in die Kammer.«

Anfangs hatte sie noch versucht, ihr Ich zu bewahren. Eine Zeit lang hatte sie sich darum bemüht, sich selbst daran zu erinnern, wer sie war. Sie hatte versucht, sich ihre Haarfarbe und ihre Gesichtsform ins Gedächtnis zu rufen. Aber eines Tages hatte sie es aufgegeben. Das hier war jetzt ihr Leben, und ihre Haare und ihr Gesicht waren nicht mehr wichtig. Wenn man sich nichts mehr wünschte, wurde das Überleben einfacher. Sobald man aufgab und sein Schicksal akzeptierte, wurde das Dasein erträg­licher, weil nicht jeder Tag ein Wiedereinsetzen des nie mehr endenden Albtraums war.

In der Kammer kauerte sie sich auf dem Boden zu­­sammen und zog ihre Knie bis an die Brust, während sie weiterzitterte.

Jetzt würde er die Tür verriegeln.

»Kannst du nicht noch ein Weilchen hierbleiben?«, fragte sie. Ihre Stimme war schwach wie ein Windhauch. »Ein bisschen mit mir reden?«

Erstaunt starrte er sie an. Unrasiert. Mit grausamen, verwirrt dreinblickenden Augen. Auf dem Kopf ein Gewirr aus braunen Haaren. Er dachte nicht über sie nach. Sie war für ihn zu einer lästigen Pflicht geworden – so wie ein Hund, von dem er sich jetzt wünschte, er hätte ihn sich nie angeschafft, aber den er jetzt notgedrungen füttern musste. Wenn er denn überhaupt daran dachte, ihr etwas zu essen zu geben.

Hinter ihm flackerte die Glühbirne auf, dann erlosch sie. Im ganzen Haus wurde es mit einem Mal mucksmäuschenstill. Er fluchte leise in der Dunkelheit.

Das schwärzeste Schwarz. Aber schwarz war ihr Freund. In dieser dunklen Welt, in der sie nicht sehen konnte, war ihr Gehörsinn scharf geworden. Sie war dar­an gewöhnt, durch die Dunkelheit hindurchzusehen, um sich im Kopf ein Bild von ihrer Umgebung zu machen – die Entfernung zu den Wänden und die Höhe der Decke.

Nur wenige Augenblicke, nachdem das Licht erloschen war, fühlte sie etwas Seltsames. Etwas, das sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gefühlt hatte.

Hoffnung.

Sie kannte die Maße seines Körpers. Sie wusste, wie groß er war und wie viel er wog. Sie kannte die Schwielen an seinen Händen und die lange, breite Narbe auf seinem Bauch. Sie kannte den Umfang seiner Oberarme und wusste, dass sein Atem nach Zigaretten und Bier stank.

Seltsam, dass ihr jetzt Gedanken an eine Flucht kamen, obwohl sie so etwas doch schon vor langer Zeit aufgegeben hatte. Aber vielleicht hatte sie ja auch in einer Art Winterstarre gelegen und unbewusst auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Auf genau diesen Moment, wenn das Universum die Waagschale zu ihren Gunsten neigte. Auf diese eine Sekunde, in der sie im Vorteil war.

Sie konnte im Dunkeln sehen.

Nicht auf unerklär­liche, mystische Weise, sondern eher wie ein Nacktmull, der sein ganzes Leben in absoluter Dunkelheit verbracht hatte. Irgendwann war die Dunkelheit kein Hindernis mehr.

An der linken Hüfte des Mannes hing ein Elektroschocker. Kein geläufiges Modell, aber die zahlreichen Male, in denen er das Gerät bei ihr angewendet hatte, hatten sie alles gelehrt, was sie wissen musste. In der Dunkelheit, im Dunkelsten des Dunklen, kalkulierte sie die Entfernung. Dann sprang sie auf, stürzte sich auf ihn und riss den Elektroschocker aus der Halterung heraus.

Sie presste ihren Daumen auf den ON-Knopf, woraufhin sich die Waffe mit einem Surren einschaltete. Ein Luftzug streifte ihr Gesicht, als der Mann nach ihr griff.

Wie jemand, der mit einem Schwert zum Schlag ausholte, zielte sie dorthin, wo sie seine Brust vermutete. Der Elektroschocker traf auf seinen Körper, und aus der Kehle des Mannes ertönte ein unfreiwilliges, gurgelndes Geräusch, als er zu Boden ging und zu ihren Füßen wie wild zuckte.

Schnell schlüpfte sie an ihm vorbei, stolperte vorwärts, bis sie das Geländer und die hölzernen Treppenstufen erreichte, die nach oben führten.

Tage, Wochen und Monate hatte sie damit verbracht, ganz genau hinzuhören, was über ihrem Kopf vor sich ging – wie er über den Boden schlurfte, das Holster abnahm und die Pistole auf dem Tisch ablegte.

Mit ausgestreckten Armen stolperte sie nun blindlings die Treppe hoch. In der Küche angekommen, suchten ihre Finger fieberhaft den Tisch ab und fanden schließlich das, wonach sie gesucht hatten.

Sie ließ den Elektroschocker fallen, öffnete das Holster und zog die Waffe heraus. Was Gewicht und Form betraf, fühlte sie sich an wie eine .40 Smith & Wesson – eine Standardausgabe für Polizisten.

Hinter sich hörte sie Schritte die Treppe heraufstampfen.

Es blieb keine Zeit, um das Magazin zu überprüfen. Sie stabilisierte die Pistole mit beiden Händen, horchte ganz genau auf das Geräusch der Bewegung, das von unten kam, hörte sein krebsartiges Schlurfen und seine stoßweise Atmung und spürte förmlich seinen Zorn, der immer näher kam.

Dann drückte sie ab. Drei Mal. Jeder Schuss erzeugte einen Funken in der Dunkelheit, während heiße, leere Patronenhülsen über ihre nackten Füße hüpften und ihr der Geruch von Schießpulver in die Nase stieg.

Der Mann ließ ein Grunzen ertönen, dann stürzte er die Treppe hinunter.

Jetzt kann ich nach Hause gehen.

Sie drehte sich um, tastete sich langsam zur Hintertür vor und öffnete sie.

Winter.

Mit Winter hatte sie nicht gerechnet. Die Kälte raubte ihr schier den Atem.

Ihr Kopf schrie: »Lauf weg!« Aber stattdessen zwang sie sich, wieder zurück in die Küche zu gehen. An der Garderobe neben der Tür fand sie eine schwere Canvas-Jacke. Diese streifte sie sich über ihren nackten Körper, zog den Reißverschluss von den Knien hoch bis zum Hals, kramte eine Mütze aus einer der tiefen Taschen und zog diese über ihr nasses Haar.

Alles roch nach dem Mann, und plötzlich wurde sie von einer unerwarteten Welle der Reue überspült. War es richtig gewesen, ihn zu töten?

Sie schob ihre Füße in ein Paar Stiefel, die zu groß für sie waren, stopfte die Pistole in die Jackentasche und rannte los, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Nach Hause.

Nach Hause zu einem anderen Mann – einem Mann, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnern konnte. Aber an sein Gesicht. Sie erinnerte sich an sein Gesicht und an seine Berührung und an sein Lächeln.

Die Häuser, an denen sie vorüberlief, waren dunkel. Und selbst die Straßenlaternen waren aus. Keine Sterne. Kein Mond. Stromausfall – ein Begriff aus ihrem alten Leben.

Um die Stiefel nicht zu verlieren, musste sie mit den Füßen über den Boden schlurfen. Sie scherte sich nicht darum, dass ihre Beine von der Kälte schon ganz taub waren. Es fühlte sich sogar irgendwie gut an.

Scheinwerfer strahlten die Schneewehen auf der Straße an, als sich ein Fahrzeug von hinten näherte. Sie zog die Jacke noch enger um sich und stapfte weiter.

Als das Fahrzeug an der Straßenkreuzung stoppte, sah sie, dass es sich um ein Taxi handelte.

Sie rannte los, holte das Auto ein, öffnete die hintere Tür und schlüpfte ins Wageninnere.

Und dann überschlugen sich ihre Gedanken. Denn es gab durchaus Dinge, die sie von ihrem alten Leben noch wusste. Sie wusste, dass sie die Polizei verständigen sollte, und überlegte, ob sie sich dem Mann hinter dem Steuer anvertrauen und ihm von ihrer Flucht erzählen sollte. Zugleich aber wehrte sie sich innerlich dagegen, mit einem anderen Menschen in Kontakt zu treten, ihm irgendetwas über sich zu erzählen. Sie wollte einfach nur nach Hause.

Der Fahrer ließ einen Würgelaut des Ekels ertönen, blickte sie über die Schulter hinweg an und sagte: »Oh, nein! Raus! Raus hier! Ich nehme keine Obdachlosen mit!«

Aber sie hatte nicht vor, wieder aus diesem Taxi auszusteigen. Auf keinen Fall.

»Ich habe ein Zuhause. Und da möchte ich jetzt hin.«

Ihre Stimme klang im Inneren des Taxis irgendwie seltsam. So anders als im Keller, in ihrem Verlies, wenn sie Selbstgespräche geführt hatte. Dort hatte ihre Stimme hohl geklungen. Hier im Auto konnte sie fast schon sehen, wie die Schallwellen von der Innenverkleidung des Taxis abprallten, und sie konnte ein Echo hören, das ihrer Stimme – auch wenn sie krächzend und heiser klang – Resonanz verlieh. Die Kammer war schalldicht gewesen, und hier im Taxi schien nichts mehr ihre Sinne zu dämpfen. Es war unerträglich, wirklich, wenn sie darüber nachdachte. Wie konnten die Leute das nur aushalten? Die Schwingungen der Welt. Die Gerüche. Die Art, wie sich der Sitz an der Rückseite ihrer Beine anfühlte – klebrig, weil ihn schon zu viele Menschen angefasst hatten. Der Wunderbaum, der vom Rückspiegel herunterhing, ließ ihre Lungen brennen und ihre Augen tränen.

Sie zog die Pistole aus der Jackentasche und richtete sie auf den Mann. »Fahren Sie.« Sie nannte ihm die Adresse, die ihr ohne Weiteres einfiel, so als ob sie sie erst gestern jemandem genannt hätte.

Er fuhr los.

Als sie die Doppelhaushälfte sah, brannten ihre Augen, und das Gleiche galt für ihre Kehle. Dieses Mal jedoch vor lauter Freude und weil sie so unsagbar erleichtert war. Er würde da sein, seine Arme um sie schlingen und sie festhalten. Vielleicht würde er auch weinen, und sie würde ihm versichern, dass nun alles in Ordnung sei. Sie würden einander einfach nur festhalten. Und dann würde er etwas für sie kochen und sie die ganze Zeit über glücklich und voller Liebe ansehen.

Sie konnte diesen Traum abrufen, weil sie ihn schon so viele Male geträumt hatte. Fast jeden Tag hatte sie ihn wie einen Film in ihrem Kopf abgespielt, oft mit leichten Abweichungen, aber im Wesent­lichen war es immer gleich abgelaufen.

Der Fahrer hielt mitten auf der Straße an. In ihrem Kopfkino hatte es nie ein Taxi gegeben, weshalb sie etwas unschlüssig war, was sie als Nächstes tun sollte. Sie stieg aus dem Wagen und überlegte, dem Taxifahrer vorzuschlagen, ihr eine Rechnung zu schicken, aber er fuhr bereits mit quietschenden Reifen davon. Kaum war er verschwunden, hatte sie ihn auch schon vergessen.

Sie stand mitten auf der Straße und ließ das Haus auf sich wirken, dessen dunkler Umriss sich inmitten einer Reihe von anderen Häusern vor ihr abzeichnete.

Zuhause.

Es war seltsam, den vertrauten Fußweg und die vertrauten Treppenstufen hinaufzugehen. An der Tür angekommen, griff sie zuerst nach dem Türknauf, überlegte es sich dann aber anders und klopfte. Als die Tür sich öffnete, beleuchteten Kerzenflammen die Gesichter eines Mannes und einer Frau.

Jetzt erinnerte sie sich auch wieder an seinen Namen.

Eric.

Sie wartete darauf, dass er sie wiedererkennen und die Szene sich auf genau die Art und Weise abspielen würde, wie sie sich immer in ihrem Kopf abgespielt hatte. Aber Eric sagte überhaupt nichts. Er stand einfach nur da und sah sie fragend an.

»Ich bin’s«, sagte sie schließlich, so als ob das alles erklären würde. Und eigentlich hätte es auch alles erklären sollen.

Im Freien klang ihre Stimme sogar noch fremder. Als ob ihre Worte in der kalten Luft einfach davontreiben könnten. Genauso müsste sich ein Außerirdischer fühlen, wenn er zum ersten Mal auf die Erde kam.

Eric starrte sie gefühlte Minuten lang an. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Nacheinander spiegelte es mehrere Emotionen wider und mündete schließlich in Schock.

Befangen berührte sie eine lange Strähne ihres nassen Haars und fragte sich zum ersten Mal seit Monaten, wie sie wohl gerade aussah.

»Jude?« Seine Stimme klang ungläubig.

Jude war der Name, mit dem die Menschen sie früher gerufen hatten. Sie selbst hatte es ganz vergessen. Wie dumm. So etwas einfach zu vergessen.

Ihr Name hing in der Luft und brachte ein Flüstern der Tage mit sich, an die sie sich in den letzten drei Jahren verzweifelt geklammert hatte. Tage, die ihr die Kraft gegeben hatten weiterzumachen. Tage voller Sonnenlicht und Cafés und gemeinsamen Milchkaffees am Sonntagmorgen nach zerwühlter Bettwäsche und langem Liebemachen.

»Ich bin wieder zu Hause«, sagte sie, wie um etwas zu erklären, das eigentlich gar keiner Erklärung bedürfen sollte. Sie war weg gewesen, und jetzt war sie wieder zurück.

Er warf einen flüchtigen Blick auf die Frau, die neben ihm stand.

Über Wochen und Monate hinweg hatte sie gelernt, den Mann in dem Keller wie ein offenes Buch zu lesen. Da seine Stippvisiten die einzige Abwechslung in ihrem Leben gewesen waren, fiel es ihr irgendwann leicht, Signale von jedem Wimpernschlag, jedem Atemzug, jedem Drehen seines Kopfes aufzunehmen. Und jetzt, genau in diesem Augenblick, las sie den Mann, der vor ihr stand. Nicht nur seinen Gesichtsausdruck, sondern noch mehr – etwas, das tief in seinem Inneren lag. Und sie begriff, dass der Film, den sie so lange in ihrem Kopf wieder und wieder abgespielt hatte, nicht wahr werden würde.

Die beiden sind zusammen.

Diese Frau schlief vermutlich in Judes Bett und trug vielleicht sogar ihre Kleidung.

»Du hast ja nicht lange gebraucht, um eine Neue zu finden.« Genau das sagte Jude. Wenn sie auf das hier vorbereitet gewesen wäre, dann hätte sie sich vielleicht etwas Besseres einfallen lassen.

Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und zwang schließlich die Worte förmlich heraus. »Es waren drei Jahre …«

Sie schloss die Augen und reiste in Gedanken zurück in ihr Verlies. Sie hatte gedacht, dass sie vielleicht Monate dort gewesen wäre, aber doch nicht Jahre. Er log. Er hatte eine neue Freundin, deshalb versuchte er jetzt seinen Treuebruch zu vertuschen. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. Die Bewegung war abgehackt, das Wort klang zittrig. Am liebsten hätte sie die Augen vor der Wahrheit verschlossen, aber tief in ihrem Herzen wusste sie, dass er recht hatte und sie sich irrte.

Seine Augen glänzten traurig im Kerzenlicht. Tränen.

»Doch.«

Er war immer ein guter Mann gewesen, ein einfühlsamer Mann. »Wie lange hast du auf mich gewartet?«

Sie sah, dass er sich schämte. Er schien einem Zusammenbruch nahe zu sein. Sie wollte das nicht sehen.

»Ein Jahr«, antwortete er schließlich.

Weil sie nicht mit seiner Traurigkeit umgehen konnte, suchte sie nach Worten, um ihn zu trösten. »Das ist okay.« Dann fügte sie hinzu: »Ich will sowieso nie wieder von einem Mann angefasst werden.«

Die Bedeutung hinter ihren Worten erschütterte ihn noch mehr. »Es tut mir so unsagbar leid, Jude.«

Nun sah sie noch etwas mehr als nur Traurigkeit in seinen Augen. Der Mann, der sie einst voller Liebe angesehen hatte, betrachtete sie nun mitleidig und angeekelt.

Mit dem Mitleid wäre sie vielleicht noch fertiggeworden, aber nicht mit dem Ekel.

»Ich habe heute Nacht einen Menschen getötet«, sagte sie. »Ich habe jemanden umgebracht, um zu dir zurückkehren zu können.« Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte davon.

Ihr ehemaliger Freund mit dem Namen, an den sie sich eben erst erinnert hatte, rief etwas hinter ihr her, aber sie lief einfach weiter. Zurück in die Dunkelheit. Und Gott mochte ihr beistehen, aber für ein paar kurze Augenblicke dachte sie tatsächlich darüber nach, zu dem Keller zurückzukehren – zu dem Verlies und zu dem toten Mann, bei dem sie sich fast schon wünschte, ihn nie erschossen zu haben.

Es gab nur einen einzigen anderen Ort, an den sie gehen konnte. Nur einen einzigen anderen Ort, der sich fast so anfühlte wie ein Zuhause.

Als wäre es in ihrem Kopf einprogrammiert, bog sie um die Ecke und eilte Richtung Innenstadt – zum Polizeipräsidium von Minneapolis.

Kapitel 2

»Hier ist eine Frau, die behauptet, bei uns zu arbeiten.« Officer Myra Nettles stand im Türrahmen der Mordkommission im Polizeipräsidium von Minneapolis. »Sie wollte vorne einfach durchspazieren!«

Detective Uriah Ashby fehlte wirklich die Zeit, um sich noch mit einer weiteren Verrückten auseinanderzusetzen. Es war eine verdammte Apokalypse da draußen! Normalerweise gehörte das Delegieren von Aufgaben nicht zu Uriahs Job, aber seine Chefin Vivian Ortega hatte ihm diese Verantwortung übertragen, weil jeder andere Polizist, der dafür infrage gekommen wäre, ge­­rade Außendienst hatte. »Ich bin mir sicher, dass du allein damit fertigwirst«, sagte er zu Nettles.

Die Notbeleuchtung war wieder einmal im Einsatz, so wie auch schon bei den letzten Stromausfällen, die es in der Stadt gegeben hatte – Stromausfälle, die vor etwa einem Jahr begonnen hatten, als eine Hauptstromversorgungsquelle explodiert und in Flammen aufgegangen war, was die Bewohner mit einer Energiequelle weniger zurückgelassen hatte. Die Folgen waren verheerend, denn aufgrund der überlasteten verbliebenen Stationen wiederholten sich die Stromausfälle von da an regelmäßig, und jeder Ausfall war wie eine offene Einladung zu Plünderung oder Brandstiftung. Ein ähn­liches Verhalten hatte man im Laufe der Jahre landesweit gesehen – die schlimmsten Stromausfälle hatte es in New York City im Jahr 1977 gegeben, und in jüngerer Zeit in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina. Die Dunkelheit lockte kriminelle Opportunisten aus ihren Löchern, und in Minneapolis ging man davon aus, dass die neue Stromversorgungsquelle frühestens in sechs Monaten funktionstüchtig war.

»Sie behauptet, ihr Name sei Jude Fontaine.«

Das weckte allerdings seine Aufmerksamkeit. »Fontaine? Bist du dir ganz sicher?«

Achselzucken. »Ich bin nur die Botin.«

»Bring sie her.«

Als Myra mit besagter Frau im Schlepptau zurückkehrte, sagte sie zu ihrem Kollegen: »Sie war mit einer Smith & Wesson bewaffnet.«

Uriah war Fontaine noch nie zuvor begegnet, aber er hatte Fotos von ihr gesehen und genug über die Medien mitbekommen. Deshalb genügte auch nur ein einziger Blick, um zu erkennen, dass es sich bei dieser Person, die ihm gerade gegenüberstand, nicht um die vermisste und mittlerweile totgeglaubte Kriminalbeamtin handelte. »Das ist nicht Detective Fontaine«, erklärte Uriah.

Fontaine wäre jetzt ungefähr so alt wie er – um die fünfunddreißig. Aber diese Frau hier musste wesentlich älter sein. Außerdem waren ihre Haare weiß und nicht braun.

Dann wohl eher eine mental labile Obdachlose. Und da sie immerhin versucht hatte, das Gebäude bewaffnet zu betreten, sagte er zu Myra: »Bring sie in eine Zelle und besorg ihr was zu essen und eine Decke. Ich kümmere mich später darum.« Er würde sie noch einmal befragen müssen, um zu entscheiden, ob sie wirklich in Gewahrsam genommen werden musste, denn das Gefängnis von Hennepin County war komplett überfüllt – eine völlig neue Situation für die Stadt und eine Begleiterscheinung der vielen Stromausfälle. Zumal mehr als die Hälfte der Inhaftierten eher in psychiatrische Behandlung gehörten als in den Knast. Aber nachdem man schon vor Jahren zahlreiche staat­liche psychiatrische Kliniken geschlossen hatte, würde es wohl nie dazu kommen.

Myra zog der Frau die Arme auf den Rücken und legte ihr Handschellen an. Die Frau starrte Uriah nachdenklich an und fragte schließlich: »Wurde ich durch Sie ersetzt?«

Er gab Myra ein Zeichen, sie wegzubringen. Da draußen gab es schließlich noch genug andere Gestörte, um die er sich kümmern musste. Im Moment erhielten die Polizisten regelmäßig Berichte von Brandstiftungen in Wohngegenden – zu viele, als dass die Feuerwehr damit allein hätte fertigwerden können. Mittlerweile ging es sogar schon um die Frage, bei welchen Häusern man zulassen konnte, dass sie niederbrannten – eine Entscheidung, die allzu alltäglich geworden war.

»Warte!« Es war kein Geheimnis, dass Entführungsopfer sich drastisch verändern konnten. Wenn sie wieder in die Zivilisation zurückkehrten, sahen sie oft völlig anders aus als zuvor, und manchmal erkannte sogar ihre eigene Familie sie nicht wieder. »Bring sie noch mal zurück.«

Myra drehte die Frau um und schob sie vor sich her wieder zurück ins Büro.

»Wo war denn Ihr Schreibtisch?«, fragte Uriah. »Zeigen Sie mal.«

Jude marschierte stampfend und schlurfend in viel zu großen Stiefeln an ihm vorbei.

Das Büro ihrer Chefin war vom Rest des Raums abgetrennt und bot eine gewisse Privatsphäre – sofern das bei einem Büro aus Glas überhaupt möglich war, während die Schreibtische der anderen Polizisten aus der Abteilung sich über das Großraumbüro verteilten, in dem es keine Trennwände gab. An sonnigen Tagen strömte viel Licht durch die Reihe von Fenstern herein, durch die man die Straße darunter überblicken konnte, und wenn einer der Kollegen einen grünen Daumen hatte, dann gediehen dessen Pflanzen hier ganz wunderbar. Tatsächlich bauten einige der Beamten ihre eigenen Kräuter an, die neben der typischen Aufreihung von Bilderrahmen standen.

Jude wies mit dem Kopf in die Richtung eines aufgeräumten Schreibtisches, auf dem keine Bilderrahmen herumstanden, und sagte: »Grant Vang – mein Partner.« Dann nickte sie in die andere Richtung. »Jenny Carlisle.« Sie ging weiter und blieb dann stehen. »Genau hier.«

Der Schreibtisch gehörte Detective Caroline McIntosh. Sie war noch ziemlich neu in der Abteilung – eine alleinerziehende Mutter und jemand, den sie vermutlich überhaupt nicht eingestellt hätten, wenn es gerade nicht so einen Personalengpass gegeben hätte. Nachdem Uriahs Partner in Rente gegangen war, hatte seine Chefin vorgeschlagen, dass Caroline dessen Platz einnehmen könnte. Aber Uriah hatte sich strikt geweigert, denn Caroline war nie richtig bei der Sache. Ständig hatte sie irgendein Date und erschien oft zu spät zur Arbeit. Mit ihrer Unzuverlässigkeit kam er überhaupt nicht zurecht. Und manchmal beschlich ihn das Gefühl, dass sie mit ihm flirtete – womit er ebenso wenig umgehen konnte.

»Hast du schon jemanden kennengelernt?«, fragte seine Mutter jedes Mal, wenn sie miteinander telefonierten. Aber eine Beziehung war im Moment wirklich das Allerletzte, was ihm vorschwebte.

Eine Obdachlose von der Straße wäre niemals in der Lage gewesen, ihm Fontaines Schreibtisch zu zeigen. Uriah betrachtete die Frau vor ihm jetzt genauer und setzte im Geiste die Puzzleteilchen eines anderen Szenarios zusammen, während er ihren schlecht sitzenden Mantel und ihre Stiefel auf sich wirken ließ, nebst dem Schmutz und ihrem Gestank. Oh mein Gott, der Gestank war wirklich furchtbar. Es war der süßsaure, strenge Geruch einer Person, die nicht mehr gebadet hatte – seit … Jahren.

Die Augen. Leer und besiegt. Abgeschaltet. Innerlich tot.

»Nimm ihr die Handschellen ab.«

Überrascht schaute die Frau zu ihm auf, und er bemerkte, dass sie einen Hauch von Emotionen in seiner Stimme bemerkt haben musste. Aber das war lächerlich. Er war gut darin, keine Emotionen zu zeigen. Er zeigte schon seit einer sehr langen Zeit keine Emotionen mehr.

Als ihr die Handschellen abgenommen worden waren, zog Uriah sein Handy aus der Tasche und öffnete eine App. »Strecken Sie die Hand aus.«

Abgebrochene Fingernägel. Jede Linie ihrer Handfläche war schmutzverkrustet. Die Knochen ihres Handgelenks wurden von dünner, transparenter Haut bedeckt, und wo mehr Fleisch war, sah man Spuren der Misshandlung – tiefe, rote, angeschwollene Striemen. Zudem gab es Anzeichen von Entzündungen. Als er aufschaute, erkannte er, dass er dem Hunger geradewegs ins Gesicht starrte.

Er drückte ihren Finger auf den Bildschirm, erfasste den Fingerabdruck, tippte ein wenig herum, und innerhalb weniger Minuten hatte er auch schon die Übereinstimmung. Entsetzt und fasziniert starrte er auf das Foto einer dunkelhaarigen, attraktiven Frau. Es war keines der typischen Personalbilder: Die Frau auf dem Bildschirm wirkte lebhaft und ein wenig verschmitzt – Detective Jude Fontaine.

Er kannte ihre Geschichte. Eines Abends hatte sie das Haus verlassen, um joggen zu gehen, und war nicht wieder zurückgekehrt. Ein ganzes Team von Detectives – viele von ihnen mittlerweile schon nicht mehr im Dienst – hatte es damals nicht geschafft, den Fall zu lösen.

Er blickte zurück auf ihre eingefallenen Wangen, die rissigen Lippen und die blasse Haut.

Blinzelnd, so als ob die schwache Notbeleuchtung ihr in den Augen brannte, fragte sie: »Und? Was sagt das Ding?« Ihre Worte klangen belegt und atemlos, als bereite es ihr Schmerzen zu atmen und zu sprechen. Er sah ihren angeschwollenen Kiefer, und als er wieder zurück auf ihre Hände blickte, fiel ihm auf, dass einige ihrer Finger leicht krumm waren – vermutlich von Knochenbrüchen, die nie richtig verheilt waren. Ein Hinweis auf Folter. Er musste schlucken.

»Nicht«, flüsterte sie.

Wieder las sie ihn wie ein offenes Buch. Aber natürlich wäre seine Reaktion selbst für eine blinde Person offensichtlich gewesen.

Ich will kein Mitleid.

In seiner Branche war Uriah schon des Öfteren Zeuge unbeschreib­licher Brutalität geworden, und auch der Anblick dieser Frau, die gerade vor ihm stand, war nichts Neues für ihn. Genau genommen ging es ihr sogar besser als vielen anderen, denn sie war zumindest noch am Leben.

Vielleicht lag es daran, dass sie eine von ihnen war. Eine Polizistin. Vielleicht machte es ihm deshalb so zu schaffen, sie in diesem erbärm­lichen Zustand zu sehen. Vielleicht fühlte er deshalb etwas, obwohl er sich schon so lange nicht mehr erlaubt hatte, überhaupt irgendetwas zu fühlen.

Sie hatte gefragt, ob er sie ersetzt hatte, was der Wahrheit ziemlich nah kam. Er war ein paar Monate nach ihrem Verschwinden mit ins Boot geholt worden. Grant Vang war damals für ihren Fall verantwortlich gewesen, aber Uriah war über die ganze Geschichte informiert worden – gut genug, um zu wissen, dass es nur wenige Anhaltspunkte gab – von einem einzigen Zeugen einmal abgesehen, der ausgesagt hatte, eine Frau gesehen zu haben, die auf Fontaines Beschreibung passte, und die angeblich in einen Kleinbus gezerrt worden war. Die Aussage hatte allerdings nirgendwo hingeführt. Hinweise wie diese waren meist weit hergeholt, aber eine Entführung war immer das Szenario gewesen, das am wahrscheinlichsten erschien. Uriah war – wie alle anderen auch – davon ausgegangen, dass Jude Fontaine tot war. Der Fall erweckte den Eindruck, dass ein Profi am Werk gewesen sein musste, und man war davon ausgegangen, dass sie vermutlich noch in der Nacht ihrer Entführung ermordet und ihr Körper fortgeschafft worden war. Vermutlich handelte es sich um einen Rachemord. Leider nichts Ungewöhn­liches, wenn es um Polizisten ging.

»Wie sind Sie hierhergekommen?«

»Der Strom ist ausgefallen und ich konnte fliehen. Ich bin hergelaufen.«

Er hatte noch eine Million weitere Fragen, die ihm auf der Zunge brannten. Wer, wie, warum. Aber das hier war nicht der richtige Zeitpunkt. Genau jetzt brauchte sie erst einmal medizinische Hilfe und keine weiteren Fragen. »Ich werde Officer Nettles bitten, Sie ins Hennepin County Medical Center zu bringen, damit man sie medizinisch versorgt. Ich komme dann später vorbei, um mit Ihnen zu reden, okay?«

»Kann ich mich dort in ein Bett legen?«

Ein Krankenhaus, etwas, vor dem sich die meisten Menschen fürchteten, klang in ihren Ohren verlockend, weil es dort ein Bett geben würde. Und er spürte schon wieder, wie sich seine Kehle zuschnürte. »Ja«, antwortete er leise.

Kapitel 3

»Was für Verletzungen hat sie?«, fragte Uriah. »Von den offensicht­lichen mal abgesehen.«

Er stand mit einer Ärztin des Krankenhauses auf dem Gang. Die Frau vergrub ihre Hände tief in den Taschen ihres Arztkittels. »Ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht, wo ich anfangen soll.«

Sechs Stunden waren vergangen, seitdem Jude Fontaine völlig unvermittelt auf dem Polizeirevier aufgetaucht war. Der Strom funktionierte wieder, und auf den Straßen war es ruhig. Man hatte Jude untersucht, gewaschen und ihr ein eigenes Zimmer gegeben. In der Zwischenzeit hatte Uriah genug Zeit gehabt, um zu Hause ein paar Stunden zu schlafen und zu duschen. Zudem hatte er Chief Ortega kontaktiert, die ihm die Verantwortung für den Fall übertragen hatte. Sie ging davon aus, dass es Jude leichterfallen würde, mit jemandem über die Sache zu sprechen, den sie nicht kannte, und Uriah hatte ihr zugestimmt.

Die Nachricht von Judes Flucht hatte Ortega tief er­­schüttert, und die Schuldgefühle würden schwer auf dem gesamten Department lasten.

Ja, seit Jude Fontaines Verschwinden waren Jahre vergangen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie eine Kollegin aufgegeben und im Stich gelassen hatten.

»Sie hatte einige Knochenbrüche, die vermutlich nie behandelt wurden«, sagte die Ärztin. »Prellungen. Narben, die sich über einen großen Teil ihres Rückens und Oberkörpers erstrecken. Weniger ernst, aber etwas, das dennoch schnellstmöglich angegangen werden sollte: einige problematische Zähne. Ein Zahnarzt wird sich darum kümmern, wenn wir sie erst einmal stabilisiert haben. Ihre Blutwerte sind schlecht, und sie leidet unter extremen Mangelerscheinungen – absolut verständlich bei jemandem, der hungern musste. Sie haben gesagt, dass sie ganz allein geflohen und zum Polizeirevier gelaufen ist?«

»Ja, sieht ganz danach aus.«

»Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wie sie das geschafft hat.« Die Ärztin machte eine kurze Pause. »Sie können jetzt zu ihr, aber regen Sie sie bitte nicht auf.«

Uriah nickte. »Ich muss herausfinden, wo man sie festgehalten hat und was genau passiert ist. Ihr Leben könnte immer noch in Gefahr sein.«

»Ich will damit nur sagen, Sie sollten behutsam mit ihr umgehen und sie nicht drängen, wenn sie noch nicht bereit ist, mit Ihnen zu reden. Es könnte sie psychisch überfordern, und dann stehen Sie letzten Endes mit leeren Händen da.«

»Ich verstehe.«

Die Ärztin ging weiter, und Uriah klopfte an die geöffnete Tür des Krankenzimmers, bevor er eintrat.

Nun, da sie gewaschen war und ein Krankenhaushemd anstelle des schweren Mantels trug, sah sie sogar noch schlimmer aus als vorher – wenn das überhaupt noch möglich war. Er konnte alte und neue Blutergüsse auf ihren nackten Armen sowie Narben und Verletzungen auf ihren dünnen Handgelenken erkennen. Es sah aus, als ob jemand versucht hätte, ihr die Haare zu waschen, irgendwann aber aufgegeben hatte. Uriah verspürte den Drang, sich eine Schere zu schnappen und die verfilzten Stellen aus ihrem Haar herauszuschneiden.

»Hi.« Er zog einen Stuhl neben ihr Bett. »Erinnern Sie sich noch an mich?«

Sie drückte eine Taste auf der Fernbedienung ihres Krankenbettes, um das Kopfende etwas hochzufahren. »Mein Ersatz.«

»Das würde ich so nicht sagen.«

»Detective Ashby, richtig?«

»Ja, richtig.« Es überraschte ihn, dass sie sich noch an seinen Namen erinnern konnte. »Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«

Das seichte Morgenlicht fiel auf ihr Gesicht und enthüllte Augen von intensiver, blauer Farbe, aus denen sie ihn so direkt ansah, dass ihm unbehaglich wurde. Ihre Augenbrauen waren so dunkel, dass sie fast schon schwarz wirkten. Er durchquerte den Raum und streckte seine Hand nach den Vorhängen aus.

»Nicht.«

Mit dem Arm in der Luft hielt er inne.

»Lassen Sie sie bitte auf.«

»Die Sonne scheint Ihnen direkt in die Augen.«

»Ich möchte sie in meinen Augen haben.«

Er ließ die volle Bedeutung ihrer Aussage in sein Bewusstsein dringen. Aber natürlich. Ihrer Blässe nach zu urteilen, hatte sie vermutlich schon sehr lange kein natür­liches Licht mehr zu Gesicht bekommen.

Ein wenig überrumpelt von ihrer unerwarteten Gefasstheit und Wachsamkeit, setzte er sich neben sie. Aber er hatte es hier auch nicht mit jemandem zu tun, der nur für kurze Zeit gefangen gehalten worden war. Sie hatte immerhin Jahre gehabt, um zu lernen, ihre Gefühle gänzlich abzuschalten, Jahre, um ihr Gehirn neu zu vernetzen und um das zu akzeptieren, was mit ihr geschah. Selbst ihre neu erlangte Freiheit.

»Sie müssen kein Mitleid mit mir haben«, sagte sie.

War er denn so leicht zu durchschauen? Uriah war stets stolz darauf gewesen, dass er zumindest nach außen hin gelassen blieb, aber nicht auf kalte, sondern auf kontrollierte Art und Weise. Das hatte ihm schon durch so manche schwierige Situation hindurchgeholfen – das letzte Jahr mit inbegriffen. Sein persön­licher Schmerz war zwar ganz anderer Natur als der Horror, den Fontaine durchgemacht hatte, aber vielleicht nicht ganz so anders, wenn es um die Bewältigung ging.

»Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben wegen der Fragen, die Sie mir stellen müssen«, sagte sie. »Und auch nicht wegen dem, was ich durchgemacht habe. Darüber zu sprechen wird die Dinge nicht schlimmer machen. Es ist ja nicht so, als hätte ich alles verdrängt und es würde wieder hochkommen, wenn ich darüber rede.«

»Nun, ehrlich gesagt … genau das habe ich gerade überlegt«, gab er zu.

»Ich werde es Ihnen ein bisschen leichter machen: Ich habe keine Ahnung, wo sich das Haus befindet.«

»Aber es handelt sich um ein Haus.« Feststellung. »Nicht um ein verlassenes Gebäude oder eine Lagerstätte oder irgendwas in der Art?«

»Nein, ein Haus. In einer Wohngegend.«

Und dann begann sie, über ihre Flucht zu sprechen. Wie es abgelaufen war. Sie erzählte ihm, dass sie den Mann, der sie drei Jahre lang in einem dunklen Keller eingesperrt hatte, getötet hatte.

»Mit dem Revolver, den Sie bei sich trugen, als Sie auf dem Revier auftauchten?«

»Ja.«

Die Seriennummer der Waffe wurde bereits nachverfolgt. Revolver, Mantel, Mütze und die Stiefel, die sie getragen hatte, waren schon zum Kriminallabor geschickt worden.

Uriah hoffte nun auf einen Fingerabdruck oder eine genetische Übereinstimmung. »Der Mann … sind Sie sich ganz sicher, dass Sie ihn getötet haben?«

»Ich bin mir sicher.« Aber ihre Augen verdüsterten sich zweifelnd, als sie das sagte. »Es war dunkel …«

Wieder verspürte Uriah das starke Bedürfnis, den Vorhang zuzuziehen. Das Sonnenlicht war zu grell und offenbarte zu viel – angefangen bei Judes hervorstechendem Brustbein bis hin zu ihrer transparenten Haut und der kahlen Stelle an ihrem Kopf. Entweder hatte sie sich dort selbst die Haare ausgerissen, oder jemand anderes hatte das getan.

Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie sich irrte und ihr Entführer immer noch am Leben war. Schließlich war es ein hochemotionaler Moment gewesen, in dem ihr ihre Sinne einen Streich gespielt haben konnten. Ohne Zweifel war sie in Panik gewesen und hatte automatisch und ohne lange nachzudenken gehandelt.

»Würden Sie das Haus wiedererkennen, wenn Sie es sehen würden?«, fragte er.

Sie schaute ihn nicht an, während sie überlegte, sich zu erinnern versuchte. »Nein. Ich habe das Haus nie von außen gesehen. Keine Ahnung, wie es aussieht.«

»Und nach Ihrer Flucht sind Sie sofort zum Polizeirevier marschiert?«

Sie zögerte. An einem gewissen Punkt geschah so etwas immer. Hier kam sie also. Die Lüge. Er war schon lange genug bei der Polizei, um so etwas zu erkennen. Aber dann sah er, wie sie die Lüge verwarf und sich entschied, etwas anderes zu sagen – etwas, von dem er hoffte, dass es zumindest annähernd der Wahrheit entsprach.

»Ich bin nach Hause gegangen.«

»Nach Hause.« Er runzelte die Stirn und füllte die Lücken mit dem, was er über ihr Leben wusste. Sie war ledig, hatte aber einen Freund gehabt, als sie damals verschwand. »Was ist passiert, als Sie nach Hause kamen?«

Sie schluckte. »Ich möchte im Moment lieber nicht darüber reden.«

»Okay. Dann werden wir später darauf zurückkommen.« Er erinnerte sich an die Warnung der Ärztin, sie nicht zu früh zu etwas zu drängen. »Wie wär’s, wenn wir ganz von vorn beginnen? Mit dem Tag, an dem Sie entführt wurden?«

Das schien etwas zu sein, über das sie gewillt war zu sprechen.

»An die Entführung selbst kann ich mich nicht erinnern«, erklärte sie.

Verständlich. Von dem emotionalen Trauma einmal abgesehen, konnte es ja durchaus sein, dass sie an jenem Tag eine massive Gehirnerschütterung erlitten hatte.

»Ich bin erst auf einem Kellerboden wieder zu Bewusstsein gekommen – in einem Raum, in dem es kein einziges Fenster gab. Und die Zelle war nicht einmal groß genug, um darin ausgestreckt liegen zu können. Zum Schlafen musste ich mich zusammenrollen. Ich habe nie jemand anderen zu Gesicht bekommen als den Mann, den ich letzte Nacht getötet habe. Und ich hatte ihn auch noch nie vor dem Moment gesehen, als er vor drei Jahren zum ersten Mal die Tür zu meiner Zelle öffnete.« Sie schwieg, und er realisierte, dass sie nun wieder an einem Punkt angelangt war, über den sie nicht sprechen wollte. Aber letztendlich musste er alles erfahren, was in jenem Keller passiert war, damit der Kerl, der sie dort gegen ihren Willen festgehalten hatte, verfolgt werden konnte – sofern er überhaupt noch am Leben war.

»Ich werde heute noch einen Phantombildzeichner zu Ihnen schicken. Ist das in Ordnung?«

»Ja.«

Sie war ganz schön tough, aber sein kurzer Besuch hatte sie emotional ziemlich mitgenommen. Er würde mehr aus ihr herausbekommen, wenn sie ausgeruhter war. »Lassen Sie uns morgen weitermachen.« In der Zwischenzeit würde er mit ihrem Exfreund reden und einige Kollegen in den Gegenden, durch die sie gekommen sein könnte, Klinken putzen schicken – selbst wenn die Chance, dass irgendjemand sie während des Stromausfalls gesehen hatte, ziemlich gering war. Relevante Informationen über ihren Fall würden an alle Polizeidienststellen von Minneapolis weitergeleitet werden. Und wer weiß, vielleicht hatte ja doch ein Nachbar Schüsse gehört. Oder der Phantombildzeichner würde ihnen etwas liefern, mit dem sie weiterarbeiten konnten.

Jetzt, da die Befragung vorbei war – zumindest fürs Erste –, entspannte sie sich ein wenig.

»Wenn Sie lieber mit einer weib­lichen Kriminalbeamtin über die Details Ihres Martyriums sprechen möchten, kann ich das veranlassen.«

»Meine offizielle Aussage werden Sie ohnehin zu Ge­­sicht bekommen, oder?«

»Richtig.«

»Und Sie sind auch derjenige, der für diesen Fall verantwortlich ist?«

»Ja.«

»Dann würde ich lieber mit Ihnen sprechen.«

Er stellte den Stuhl wieder zurück und wandte sich bereits zum Gehen, als es plötzlich an der Tür klopfte.

Uriah war überrascht, als er einen Mann sah, den er aus den lokalen Medien kannte: Adam Schilling. Teure Lederjacke. Hosen, die ein ganzes Monatsgehalt kosteten, strahlende Haut und Bartstoppeln, die er absichtlich hatte stehen lassen, sowie gezupfte und in Form gebrachte Augenbrauen. Er war der typische Playboy und einer der begehrtesten Junggesellen der Stadt. Dann erinnerte sich Uriah an etwas, das er in diesem ganzen Durcheinander völlig vergessen hatte: Jude Fontaine war Gouverneur Philipp Schillings Tochter, und dieser Mann hier war ihr Bruder.

Uriah selbst stammte nicht aus den Twin Cities, und er verfolgte normalerweise auch keinen Promiklatsch, aber trotzdem konnte er sich daran erinnern, irgendwo gelesen zu haben, dass Fontaine sich mit sechzehn Jahren komplett von ihrer Familie distanziert und sogar einen neuen Nachnamen angenommen hatte. Ihrem entsetzten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schienen sich ihre Gefühle gegenüber ihrer Sippe auch nach all den Jahren nicht allzu sehr geändert zu haben.

»Was zur Hölle machst du denn hier?«, fragte sie ihren Bruder.

Schilling runzelte die Stirn. »Ich wollte dich sehen. Chief Ortega hat uns kontaktiert und von deiner Flucht berichtet. Und Dad wollte, dass ich mich vergewissere, ob bei dir alles in Ordnung ist.« Er schluckte und starrte sie unverhohlen an. »Oh mein Gott, du siehst schrecklich aus.«

»Raus hier«, flüsterte sie.

Sie aufzuregen wäre für seine Ermittlungen nicht ge­­rade förderlich, deshalb sagte Uriah zu Judes Bruder: »Sie gehen jetzt besser.«

Schilling hob die Hände und gab sich geschlagen. »Okay, okay.« Er wich zurück, drehte sich um und verschwand durch die Tür.

Jude tastete nach der Fernbedienung für das Bett, gab aber schließlich auf und schloss erschöpft die Augen. Ihre Arme lagen schlaff neben ihrem Körper, ihr Gesicht war kreidebleich.

Aus Angst, sie könnte ohnmächtig werden, griff Uriah nach der Fernbedienung, drückte auf eine Taste und senkte dadurch das Kopfende des Bettes.

»Vorhang«, flüsterte Jude atemlos.

Uriah zog die Gardine vor das Fenster und verdunkelte den Raum. »Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich. Was für eine däm­liche Frage.

Ganz vorsichtig, wie jemand, der Angst hatte, sich bei einer zu heftigen Bewegung übergeben zu müssen, nickte sie.

»Möchten Sie einen Schluck Wasser?«

»Nein.«

Es war eindeutig, dass sie jetzt ihre Ruhe haben wollte. Er war sowieso schon viel zu lange hier gewesen. »Ich komme morgen wieder.«

Im Gang stieß Uriah auf Schilling, der gegen eine Wand lehnte und sich aufrichtete, als er die Schritte des Polizisten hörte.

Uriah stellte sich vor und zeigte ihm kurz seinen Dienstausweis.

»Sie sieht aus, als wäre sie ein komplett anderer Mensch«, murmelte Schilling, ganz offensichtlich immer noch geschockt von dem, was er gerade gesehen hatte. »Mir war zwar klar, dass sie wahrscheinlich ziemlich heftig aussehen würde, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Wow …«

»Kann ich Sie zu einem Kaffee einladen?«, fragte Uriah. Es war als höf­liche Geste gedacht, um sich ein wenig zu unterhalten.

Fünf Minuten später saßen sie mit zwei Porzellanbechern an einem Ecktisch in der Cafeteria.

»Ich kann Ihnen wirklich nicht besonders viel erzählen.« Schilling gab zwei Teelöffel Zucker in seinen Kaffee und rührte geräuschvoll um – Edelstahl gegen Keramik. »Ich hatte mit Jude keinen Kontakt mehr, seit sie sechzehn war. Nichts. Ich glaube, es war ganz schön dumm von mir, hierherzukommen. Ich dachte, dass sie froh wäre, jemanden aus der Familie zu sehen … Und ich dachte, sie braucht vielleicht jemanden, der ihr zur Seite steht.«

»Ganz offensichtlich nicht Sie.«

Schilling warf ihm einen irritierten Blick zu und begann dann, ihre Situation genauer zu erklären. »Als sie ein Kind war, wurde bei ihr eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Und um ehrlich zu sein … wenn sie heute nicht so schlecht ausgesehen hätte, dann wäre ich felsenfest davon überzeugt gewesen, dass sie diese Entführung nur vorgetäuscht hat.« Er zuckte mit den Achseln. »Um uns das heimzuzahlen, was wir ihr – ihrer Meinung nach – angeblich angetan haben. Aber sie so zu sehen … dann muss es tatsächlich wahr sein. Und ich fühle mich schrecklich, weil wir uns damals nicht mehr Mühe gegeben haben, sie zu finden.«

Das war das erste Mal, dass Uriah etwas über Jude Fontaines mentale Instabilität hörte. Um bei der Polizei aufgenommen zu werden, hatte sie schließlich einen psychologischen Einstellungstest absolvieren müssen, aber Schilling hatte sie schon als Kind gekannt, als Teenager, und nicht nur die erwachsene Jude. Aber Teenager waren für gewöhnlich ja ziemlich schwankungsanfällig. »Gibt es irgendein Familienmitglied, zu dem sie Kontakt gehalten hat? Irgendjemanden, der ihr dabei helfen kann, das hier durchzustehen?«

Schilling schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Als sie damals entführt wurde, lebte sie mit einem Mann zusammen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er eine neue Frau hat. Ich hab ihn mal mit einer anderen gesehen. Und wer könnte ihm daraus auch schon einen Vorwurf machen?«

Uriah befiel ein unangenehmer Gedanke. »Der Mann, mit dem sie zusammen war? Lebt er immer noch in dem Haus, in dem sie damals zusammen wohnten?«

»Keine Ahnung.«

Wie bitter musste es sein, wenn man nach drei Jahren Gefangenschaft endlich entkommen konnte und dann eine andere Frau in seinem eigenen Haus vorfindet?

»Behalten Sie bitte nur eines im Hinterkopf«, sagte Schilling. »Sie war bereits labil, bevor das alles passierte, und Sie haben sie ja gerade selbst da drin gesehen. So reagiert doch kein normaler, gesunder Mensch.«

Jeder gescheite Detective wusste, dass man sich nicht nur auf die Version einer einzigen Person verlassen durfte. »Sind Sie jünger als ihre Schwester? Älter? Gibt es noch andere Geschwister?«

»Nein, es gibt nur uns zwei. Ich bin vier Jahre älter als Jude. Unsere Mutter starb bei einem Schießunfall, als Jude acht war und ich zwölf. Jude stand zwar nicht direkt daneben, als es passierte, aber sie war vor Ort. Wir waren damals alle in unserer Hütte oben im Norden. Sie hat also alles mitbekommen. Alle haben es mitbekommen. Mein Dad war wie von Sinnen. Es ist für ein Kind ganz schön heftig, wenn es hautnah miterlebt, wie Erwachsene austicken und der eigene Vater psychisch zusammenbricht. Ich denke, dass das auch der Zeitpunkt war, an dem sie begann, seltsam zu werden. Verständlich, oder? Kurz nachdem das Unglück passierte, wurde sie paranoid. Wahnhaft. Sie hat behauptet, dass unser Vater unsere Mutter umgebracht hätte, und sie hat sich auch nicht davon abbringen lassen.«

Als Adam Schilling von dem tragischen Verlust ihrer Mutter berichtete, musste Uriah noch an etwas anderes denken: Adam Schilling selbst war es nämlich damals gewesen, der aus Versehen seine Mutter erschossen hatte. Das Weglassen dieses kleinen Details sagte einiges über seinen Charakter aus – auch wenn es ein dunkles Ereignis in seinem Leben gewesen war, über das selbst er sicherlich nicht gerne sprach, erst recht nicht mit einem Fremden.

»Ich komme mir vor wie das letzte Klatschmaul«, sagte Schilling. Seine Augen blickten traurig, was den Eindruck von Aufrichtigkeit erweckte. »Aber es ist ein Teil ihres Lebens, von dem ich denke, dass Sie darüber informiert sein sollten. Damit Sie wissen, womit Sie es zu tun haben.«

»Je mehr Infos ich habe, desto besser.«

»War sie in der Lage, Ihnen irgendetwas zu erzählen?«, fragte Schilling. »Über den Tag, an dem sie entführt wurde? Oder wo sie gewesen ist? Wer sie entführt hat? Wie ihr die Flucht gelungen ist?«

»Bis jetzt wissen wir überhaupt nichts. Und selbst wenn ich mehr wüsste, dürfte ich nicht mit Ihnen dar­über reden.« Uriah zog eine Visitenkarte hervor und schob sie über den Tisch. »Falls Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte – ganz egal, wie unwichtig es Ihnen erscheinen mag –, rufen Sie mich an.«

Schilling las die Karte und steckte sie dann ein. »Passen Sie bitte gut auf sie auf, ja? Denn ganz egal, was sie von mir halten mag, so bin ich doch der festen Überzeugung, dass sich in einer Familie die Leute umeinander kümmern sollten. Wenn ich also irgendwie helfen kann, lassen Sie es mich bitte wissen.« Er machte eine flüchtige Handbewegung. »Geld oder was auch immer sie brauchen sollte … Sie muss es ja nicht mitbekommen.«

Jude Fontaine schien nicht zu den Menschen zu gehören, die gerne die Hilfe anderer annahmen, erst recht die eines Familienangehörigen, mit dem sie sich zerstritten hatte. Aber eins konnte Uriah tun, und zwar dafür sorgen, dass sie diesen Scheißkerl, der ihr das angetan hatte, fanden – tot oder lebendig. Und dass sie Jude nicht noch einmal im Stich ließen.

Kapitel 4

Als Detective Ashby am nächsten Tag in Judes Krankenzimmer trat, hatte er ein paar Kleidungsstücke für sie dabei.

»Ich habe gehört, dass Sie morgen entlassen werden«, sagte er. »Und ich bin davon ausgegangen, dass Sie vermutlich etwas zum Anziehen brauchen. Die Größe hab ich geraten.«

Als die im Krankenbett liegende Jude aufschaute, legte der Detective eine weiße Plastiktüte auf einen der Stühle, die an der Wand standen. Dann setzte er sich neben Judes Bett auf einen Stuhl und holte Papier, Stift und ein Diktiergerät hervor.

Er trug Anzug und Krawatte, und sein verhältnismäßig langes dunkles, gelocktes Haar war ein bisschen zerzaust. Jude schätzte ihn auf Ende dreißig, aber in dieser Branche war es oft schwierig, das Alter eines Menschen richtig einzuschätzen. Verbrechen ließen einen Menschen vorzeitig altern, das wusste sie selbst am besten. Vielleicht war er erst zwölf.

Drei Jahre in Einsamkeit mochten eventuell dazu geführt haben, dass ihr Hirn etwas eingerostet war, aber ihren Sinn für Humor hatte sie trotzdem nicht verloren.

»Gerüche sind so eindringlich«, bemerkte sie.

Uriah runzelte die Stirn und versuchte zu begreifen, was sie gerade gesagt hatte. Dichte Augenbrauen über dunkelbraunen Augen.

»Ich rieche alles«, erklärte sie ihm. »Den Stoff Ihres Jacketts. Den Kaffee, den Sie getrunken haben. Die Plastiktüte. Das Essen am anderen Ende des Gangs. Es kommt mir vor, als hätte ich vorher noch nie etwas gerochen. Ist das nicht seltsam?« Sie erwähnte nicht, dass er ein bisschen nach Alkohol roch, den er vermutlich letzte Nacht oder vielleicht sogar erst an diesem Morgen getrunken hatte, und noch nach etwas anderem – vielleicht Seife –, sie war sich nicht ganz sicher.

Er rieb sich mit dem Handrücken über den Mund. »Das bringt die Isolation mit sich.«

Und nicht nur Gerüche. Sie konnte einfach nicht aufhören, ihn anzustarren. Und sie entschuldigte sich nicht einmal dafür, dass sie jede Pore seines Gesichts, jedes Haar auf seinem Kopf und jede Krümmung seiner Wimpern inspizierte. Sie entschuldigte sich selbst dann nicht bei ihm, als er vor lauter Unbehagen unruhig auf seinem Stuhl herumzurutschen begann.

Die Befragung dauerte circa eine Stunde. Nicht allzu lange in Anbetracht dessen, dass sie über die letzten drei Jahre ihres Lebens berichtete, aber sie hätte genauso gut eine Einkaufsliste herunterleiern können, so emo­tionslos war ihr Bericht. Irgendwann in den vergangenen drei Jahren hatte etwas in ihr dichtgemacht. Wenn das nicht passiert wäre, hätte sie wahrscheinlich den Verstand verloren. Übrig geblieben war eine Person, die von den erlebten Gräueltaten berichten konnte, ohne dabei etwas zu spüren. Als sie fertig war, blickte sie zu ihm hoch und sah, dass er kreidebleich geworden war. Und das war noch nicht alles.

»Ihre Hand«, murmelte sie.

Er blickte hinunter, und ihm rutschte ein leises Geräusch des Entsetzens heraus. Nervös klickte er mit dem Kugelschreiber, um durch die Bewegung das Zittern seiner Hand zu überspielen.

Seine Reaktion gefiel ihr überhaupt nicht. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, und seltsamerweise fühlte sie sich schmutzig, als sie sein Entsetzen sah. Es war, als hätte das, was sie durchgemacht hatte, ihr auf irgendeine Weise ihre Menschlichkeit geraubt. Vielleicht war das ja auch der Grund, warum Frauen Missbrauch oft nicht zur Anzeige brachten. Nicht aus Angst vor Rache oder vor der Zukunft oder davor, allein zu sein, oder aus Zuneigung dem Täter gegenüber, sondern aus einem ganz anderen Grund. Wenn die Öffentlichkeit erst einmal von der Tat erfahren hatte, dann raubte der Missbrauch seinen Opfern ihre Würde, und sie litten zweimal – einmal durch die Handlungen des Täters und einmal durch die Reaktion der Außenwelt.

Ashby schaltete das Diktiergerät aus. »Was ist mit morgen?«, fragte er, während er sein Notizbuch zuklappte.

Er würde sich ihre Aussage später noch einmal anhören, wenn er allein war, da war sie sich absolut sicher. Für einen kurzen Moment dachte sie darüber nach, sich sein Aufzeichnungsgerät zu schnappen und es zu zertrümmern.

»Was ist mit morgen?«, fragte sie.

»Gibt es einen Platz, wohin Sie gehen können?«

»Ich werde einen finden.«

»Was ist mit Geld? Brauchen Sie etwas?«

»Chief Ortega war vorhin hier und hat mir einen Scheck gegeben. Sie meinte, es sei eine Nachzahlung.« Jude vermutete, dass ihre ehemalige Chefin den Scheck durchgeboxt hatte, um sicherzugehen, dass Jude genug zum Leben hatte – zumindest für eine gewisse Zeit. Ortega war erst sechs Monate vor Judes Entführung zu ihnen aufs Revier gekommen. Zu wenig Zeit, um eine solide Arbeitsbeziehung aufbauen zu können, aber Zeit genug für Jude, um Ortegas fürsorg­lichen Charakter kennenzulernen.

»Und ich habe meine Bank angerufen. Mein Konto ist immer noch aktiv, und ich hatte ein bisschen was gespart.« Bevor ich gestorben bin. Moment. Das stimmte nicht. Nicht gestorben. Auch wenn die letzten drei Jahre dem Tod sehr nah gekommen waren und sie sich jetzt wie ein Geist fühlte, der sich durch das vertraute und unbekannte Terrain eines neuen Lebens bewegte, inklusive einer neuen Personalbesetzung. Kein Zuhause, kein Freund, kein Job. »Nicht viel, aber ich kann eine Weile davon leben.«

Ashby schien erleichtert zu sein, dass sie nicht völlig mittellos war. »Ich kann Sie morgen abholen, und wenn Sie sich stark genug fühlen, können wir ein bisschen rumfahren. Vielleicht sehen Sie ja was, das Ihnen bekannt vorkommt. Vielleicht finden wir sogar das Haus, in dem Sie gefangen gehalten wurden.«

Sie nickte. »Okay.« Eine Lüge.

»Ich werde Ihnen auch helfen, eine Unterkunft zu organisieren. Und ein Telefon oder was Sie sonst noch so brauchen.«

»Nicht nötig.«

»Ortegas Anweisungen.«

»Okay, danke.«

Der Nachmittag war extrem kräftezehrend. Die Phantombildzeichnerin erschien mit Zeichenkohle und Block. Als sie mit ihrer Arbeit fertig war, ließ Jude sich erleichtert und erschöpft in die Kissen sinken. In den letzten zwei Tagen hatte sie mehr geredet als in den vergangenen drei Jahren. Wie lange hatte sie sich danach gesehnt, das Gesicht eines anderen Menschen zu sehen – abgesehen von dem Gesicht des Mannes, das die Phantombildzeichnerin gerade gemalt hatte –, aber jetzt wollte Jude nur noch alleine sein. Zumindest für eine gewisse Zeit. Damit sie sich an die neue Situation gewöhnen und endlich ihre Freiheit genießen konnte.

Obwohl sie todmüde war, fiel es ihr schwer, bei dem grellen Licht, den fremden Gerüchen und dem ganzen Lärm zur Ruhe zu kommen. Das Gebäude selbst schien einen Herzschlag aus Motoren, Ventilatoren, Getrieben und Aufzügen zu besitzen, und beinahe schien es, als ob das Krankenhaus atmete.

Als es erneut an der geöffneten Tür klopfte, ließ Jude die Augen geschlossen. Nicht mehr reden müssen. Keine weiteren Fragen. Aber dann roch sie Kaffee und schaute schließlich doch hin.

Detective Grant Vang stand im Türrahmen – in einer Hand hielt er eine weiße Papiertüte, in der anderen einen Kaffeebecher. »Vanilla Latte und ein Cranberry Scone«, sagte er und hielt die Tüte hoch.

Grant war etwa ein Meter achtzig groß, schlank und muskulös. Er trug einen dunklen Anzug, und sein glattes, schwarzes Haar fiel ihm in die Stirn. Alarmierender als sein unangekündigter Besuch war jedoch die Tatsache, wie wenig er sich in der Zwischenzeit verändert hatte. Es erschien ihr irgendwie unfair – aber was hatte sie denn erwartet?

Vielleicht eine ältere Version von Grant. Vielleicht ein paar graue Haare und Stressfältchen. Er war der lebende Beweis dafür, dass drei Jahre einer Ewigkeit gleichkamen, wenn man gequält wurde, aber nicht lang waren, wenn man einfach sein Leben lebte.

Sie fragte sich, ob er wohl eine Freundin hatte oder noch Single war. Sie fragte sich, ob er wohl immer noch auf sie stand, und hoffte, dass es nicht der Fall war. Es war nicht leicht gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten, nachdem er ihr seine Gefühle gestanden und sie ihn zurückgewiesen hatte.

»Du solltest mal den Zirkus da draußen sehen«, sagte er und trat in den Raum. »Draußen stehen mindestens hundert Reporter, die darauf hoffen, einen Exklusivbericht über dich zu bekommen.«

Zu früh.

Jemanden aus ihrem alten Leben zu sehen, besonders jemanden, mit dem sie so eng zusammengearbeitet hatte, drohte, ihr Gehirn aussetzen zu lassen. Sie gab ihr Bestes, jetzt nicht abzuschalten, während er den Kaffee und die Tüte auf einen Rolltisch stellte und diesen näher zu ihnen heranzog. Doch dann schaute er sie einen Augenblick zu lange an, und sie wusste ganz genau, was ihm gerade durch den Kopf schoss: Er versuchte, diese gräss­liche Person in dem Krankenbett mit der attraktiven Frau in Verbindung zu bringen, die er einst gekannt hatte.

»Ich habe nach dir gesucht.« Mit flehenden Augen blickte er sie an. »Ich will, dass du das weißt. Monatelang.«

Jeder wollte Vergebung. Und wieder einmal fand sie sich in der Rolle wieder, einen anderen Menschen wegen ihrer Gefangennahme emotional auffangen zu müssen. Wieder einmal war sie diejenige, die einen anderen Menschen tröstete und beruhigte. »Ist schon okay«, sagte sie.

»Ich habe darum gebeten, dass man mir deinen Fall überträgt.« Er zog einen Stuhl an ihr Bett und setzte sich. Eine bunte Mischung aus verschiedenen Gerüchen drang zusammen mit dem des Baumwollstoffs und des Krankenhausessens in ihre Nase. »Aber Ortega scheint zu denken, dass du dich mit Ashby als Ansprechpartner wohler fühlen würdest.«

»Stimmt.« Das war alles, was sie erwiderte. Und es war auch alles, was sie sagen musste.

Er nickte und schaute hinunter auf seine Hände. »Kannst du dich noch an irgendetwas erinnern, was an dem Tag, an dem du entführt wurdest, passiert ist?«

Sie fühlte sich in die Enge getrieben, erdrückt durch den Raum und Vangs Anwesenheit und seine Erwartungen – angefangen bei einer einfachen Unterhaltung bis hin zu einer emotionalen Verbundenheit. Sie wusste ja noch nicht einmal, wie sie ihm am besten sagen konnte, dass sie jetzt alleine sein wollte.

Zu früh.

»Nein. Nichts.« Sie drehte ihr Gesicht zur Wand und tat so, als würde sie schlafen, bis er schließlich ging.

***

Am nächsten Morgen zog Jude sich an. Die Sachen, die ihr Detective Ashby am Tag zuvor mitgebracht hatte, passten ziemlich gut, hauptsächlich weil er ihr eine Jogginghose – in Schwarz – besorgt hatte sowie einen Kapuzenpulli und eine weite, blaue Jacke, die nach Kaufhaus roch. Sie konnte sogar sagen, welches Kaufhaus: Target. Der Geruch war ihr so vertraut, dass sie sich selbst nach drei Jahren immer noch daran erinnern konnte. Sie drückte die Jacke an ihre Nase, schloss die Augen und atmete tief ein. Dabei versuchte sie sich vorzustellen, wie der Detective für sie Klamotten kaufen gegangen war – für eine Person, die er gar nicht wirklich kannte.

Dann schlüpfte sie in die Jacke, schob ihre Hände tief in die Taschen und fand darin Handschuhe und eine Mütze, ebenfalls in einem schönen Blauton. Alles war sauber und neu. Bei den Schuhen verließ sie allerdings das Glück. Es waren nütz­liche, braune Schnürstiefel, die ein bisschen zu eng waren, aber fürs Erste genügen würden.

»Fertig?«, fragte eine Krankenschwester, die ein Papierklemmbrett in der Hand hielt.

»Ja.«

»Kommt Sie jemand abholen?«

»Ich nehme ein Taxi.«

»Dann brauche ich nur noch Ihre Unterschrift.« Die Krankenschwester überreichte ihr das Klemmbrett mit den Entlassungspapieren, und Jude unterzeichnete das Formular.

Sie versuchte, nicht allzu gehetzt zu wirken, obwohl sie unbedingt weg sein wollte, bevor Detective Ashby aufkreuzte. Sie wollte nicht schon wieder seinen mitleidigen Blick sehen, und erst recht nicht diesen Ausdruck auf seinem Gesicht, der ihr sagte, dass er sich ihre Aussage noch einmal angehört hatte.

Der Lift brachte sie hinunter zum Eingang an der 8th Street, und dann war sie auch schon durch die automatischen Türen und stand auf dem breiten Fußgängerweg des Haltebereichs für die Patienten und deren Angehörige. Die Kälte brannte in ihren Augen, und der Himmel … er war so blau!