Ich habe dich vermisst - Katharina Lang - E-Book

Ich habe dich vermisst E-Book

Katharina Lang

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Beschreibung

Georg Reuter, der größte Obstbauer im Dorf, versäumt es in seiner Sturheit, seinen Betrieb den Gegebenheiten der modernen Zeit anzupassen. Er tyrannisiert seine Familie und seine Landarbeiter und führt seinen Betrieb mit harter Hand. Sein älterer Sohn Andreas verlässt nach einem heftigen Streit und der Uneinsichtigkeit des Vaters von einem Tag zum anderen das Gut und lässt seine Jugendliebe Eva ohne ein Wort des Abschieds zurück. Eva fühlt sich alleine gelassen und verliert auch noch ihre Arbeit. Es muss viel passieren, bis das Schicksal Andreas nach Hause ruft. Schnell holt ihn die Vergangenheit ein, und er merkt, wie sehr er Eva noch liebt. Ob sie ihm verzeihen kann? Eine bewegende Geschichte rund um die Gefühle der Liebe in einer ländlichen Umgebung.

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Inhaltsverzeichnis

Ich habe dich vermisst

Über das Buch

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Impressum

Ich habe dich vermisst

Ein bewegender Roman um eine Jugendliebe

aus der Romanheftreihe „Fleur – Landromantik“

Katharina Lang

Über das Buch

Georg Reuter, der größte Obstbauer im Dorf, versäumt es in seiner Sturheit, seinen Betrieb den Gegebenheiten der modernen Zeit anzupassen. Er tyrannisiert seine Familie und seine Landarbeiter und führt seinen Betrieb mit harter Hand.

Sein älterer Sohn Andreas verlässt nach einem heftigen Streit und der Uneinsichtigkeit des Vaters von einem Tag zum anderen das Gut und lässt seine Jugendliebe Eva ohne ein Wort des Abschieds zurück. Eva fühlt sich alleine gelassen und verliert auch noch ihre Arbeit.

Es muss viel passieren, bis das Schicksal Andreas nach Hause ruft. Schnell holt ihn die Vergangenheit ein, und er merkt, wie sehr er Eva noch liebt. Ob sie ihm verzeihen kann?

Eine bewegende Geschichte rund um die Gefühle der Liebe in einer ländlichen Umgebung.

1

»Karsten!«, tönte es laut und wütend durch das Haus.

Der junge Mann hielt sich die Ohren zu, weil die Stimme des Vaters wie immer unerbittlich klang. Aber sie duldete keinen Widerspruch. Immer der gleiche dunkle Ton, wie eine längst vergessene Schallplatte, die einen Kratzer hatte. Er würde nie verstehen, warum diese Stimme so intensiv durch das ganze Haus dröhnen konnte, obwohl sich sein Vater draußen auf dem Hof aufhielt.

»Was ist denn nun schon wieder«, flüsterte Karsten mit einem Seufzer der Verzweiflung, der ihm laut über die Lippen kam. Er ahnte natürlich, dass ihn sein Vater suchte, weil er sich erlaubt hatte, auf sein Zimmer zu gehen. Müde erhob er sich und ging mit schleppenden Schritten die Treppe hinunter. Er musste antworten und hören, was der Vater ihm zu sagen hatte. Nur so konnte er einem größeren Streit aus dem Weg gehen. Eigentlich sehnte er sich nur nach einer kurzen Pause, weil er den ganzen Vormittag hart gearbeitet hatte und sowieso gleich das Mittagessen anstand. Ihn jetzt noch zu rufen, empfand er als Schikane. Seine Mutter würde ohnehin gleich zum Essen bitten.

»Ich bin doch da, was willst du von mir, Vater?«, fragte er ängstlich.

Sein Vater, der mächtige Obstbauer Georg Reuter, war ein böser, verbitterter Mann, der seine Familie und seine Landarbeiter mit harter Hand führte. Alle zuckten zusammen, wenn er rief, wenn seine laute, grollende Stimme plötzlich lospolterte. Breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt, stand er im Hof und wartete auf seinen Sohn, der mit langsamen Schritten auf ihn zuging.

»Hast du schon wieder in deinem Zimmer gehockt und mit der Fiedel gespielt?«, schrie er mit hochrotem Kopf. Natürlich erwartete er keine Antwort von Karsten. Er wusste auch so, dass er Recht hatte, und fuhr fort: »Du bist und bleibst ein Waschlappen und begreifst einfach nicht, dass harte Arbeit zum täglichen Leben gehört! Du denkst, du kannst mit deiner merkwürdigen Musik Geld verdienen. Aber das wird bei dir nicht gehen. Du bringst es niemals zu etwas!«

Karsten zuckte unter den harten Anschuldigungen seines Vaters zusammen und senkte verschämt den Blick. Er hatte dem nichts entgegenzusetzen. Möglicherweise hatte der Vater ja Recht. Woher sollte er wissen, ob es ihm seine große Liebe zur Musik irgendwann ermöglichen würde, damit sein Geld zu verdienen. Er hatte keine Ausbildung, und die Aussicht, eine Musikschule besuchen zu können, war so weit weg wie der Eiffelturm.

»Scher dich in die Obstpresse, dort wird jede Hand gebraucht!«, schrie Georg. Mit dem ausgestreckten Arm und blitzenden Augen zeigte er die Richtung an, die Karsten ohne Widerrede einzuschlagen hatte. »Mach schon, setz endlich deine Beine in Bewegung und tu was!«

Andreas kam gerade vom Keller und hörte, wie sein Vater den kleinen Bruder anschrie. »Lass ihn doch, es ist ja ohnehin gleich Mittag«, sagte er zu seinem Vater. Sein Bruder tat ihm leid, aber Verständnis hatte er nicht gerade. Zur Erntezeit mussten alle zusammenhelfen, das sollte auch Karsten wissen.

Behäbig und mit hängenden Schultern machte sich Karsten auf den Weg. Er wusste, dass es sinnlos war, dem Vater zu widersprechen. In der Obstpresse stellte er sich traurig neben die anderen Arbeiter. Sie nahmen Saftflaschen vom Band und stellten sie in Kisten, die anschließend in den Keller gefahren wurden. Er war mit sich selbst unzufrieden und ärgerte sich über seine Feigheit, seine Mutlosigkeit, sich gegen seinen Vater aufzulehnen. Mit dieser Unzufriedenheit schwand auch das letzte bisschen Selbstvertrauen, das er sich in seinem Körper bewahrt hatte.

Inzwischen hatte Georg Reuter die Küche betreten, wo seine Frau Bärbel damit beschäftigt war, das Mittagessen zu kochen. Der Schweiß lief ihr über die Stirn, weil die großen, sprudelnden Töpfe und der riesige alte Holzherd eine ungeheure Hitze ausstrahlten. Sie hatte schon oft diesen Zustand verflucht, eigentlich tat sie das fast täglich, und trotzdem war ihr Mann nicht dazu zu bewegen, einen neuen, modernen Herd zu kaufen. Im Sommer, wenn draußen die Sonne vom Himmel brannte und das Obst geerntet werden musste, hatten sie bis zu dreißig Helfer am Tisch sitzen. Diese Situation belastete sie extrem, denn sie verlangte ihr alle Energie ab und brachte sie täglich an den Rand ihrer körperlichen Kräfte. Es war nur noch eine einzige Plage, doch sie hatte keine Wahl.

Bärbel strich sich mit der Hand über die Stirn, um die Schweißtropfen wegzuwischen. Ihr vom Wind und Wetter gegerbtes Gesicht war krebsrot, und die schon leicht ergrauten Haare klebten ihr am Kopf, als wäre sie soeben aus einem Schwimmbecken gestiegen. Sie war ein Meter siebzig groß und mehr als nur korpulent. Im Laufe der Jahre hatte sie gewaltigen Kummerspeck angesetzt. Pfund um Pfund hatte sich auf ihre Hüften gesetzt und die verschiedenen Körperreifen gebildet, die sie als junge Frau schon gehasst hatte und die sie eigentlich nie hatte haben wollen. Aber es war ihr inzwischen völlig egal. Georg interessierte sich nicht mehr für sie. Von einer richtigen Beziehung zwischen Mann und Frau konnte man schon lange nicht mehr reden, wenn es diese überhaupt schon einmal zwischen ihr und Georg gegeben hatte. Er hatte noch nicht einmal die einfachsten Höflichkeitsregeln gelernt, was ihr aber erst nach der Hochzeit so richtig bewusst geworden war. Vorher hatte sie in ihm nur den stolzen Bauern mit seinem Gut gesehen, und sie war dem Druck und dem Zuspruch ihrer Eltern gefolgt, die ihr eingeredet hatten, dass Georg, der viele Jahre älter war als sie selbst, eine gute Partie war und sie für ihr ganzes Leben ausgesorgt haben würde. Doch im Nachhinein hatte sie sich nicht erst einmal gefragt, ob es richtig war, dem Drängen der Eltern nachzugeben.

Bärbel hatte eine blaue Wickelschürze mit Blümchen an und darüber eine weitere Küchenschürze gebunden. Ihre dicken, wulstigen Beine steckten ohne Strümpfe in Holzlatschen. Ihren verklebten Haaren sah man an, dass sie schon lange nicht mehr vernünftig geschnitten worden waren. Sie hatte sie einfach nach hinten gekämmt und mit einem Gummiband zusammengehalten. Ihre stattlich ausladende Figur ließ sie heftig atmen, und sie sah an solchen Tagen abgearbeitet und mindestens zehn Jahre älter aus. Und so fühlte sie sich auch.

»Warum schreist du denn schon wieder auf dem Hof herum?«, fragte sie Georg und würdigte ihn keines Blickes, sondern rührte ohne Unterbrechung weiter in ihren Töpfen. »Kannst du denn keinen normalen Ton anschlagen? Musst du immer so schreien?«

»Dein lieber Sohn hatte sich gemütlich in seinem Zimmer vergraben, während drüben in der Obstpresse die Arbeit auf ihn wartete«, polterte Georg. Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf die Eckbank fallen.

Andreas war vor einer halben Stunde vom Feld zurückgekommen und hat den Hänger abgeräumt. Er hatte sich vor der Tür die dreckigen Schuhe ausgezogen und war in Strümpfen in die Küche gekommen. Während er sich ein Glas Limonade eingoss, blickte er zu seinem Vater, der am Küchentisch saß und mit seinem Auftragsbuch beschäftigt war. Andreas setzte sich zu ihm und schwieg zunächst für ein paar Minuten.

»Vater, wir müssen reden«, begann Andreas schließlich das Gespräch. Er sah seinen Vater fragend an und wartete darauf, dass dieser sein Auftragsbuch zur Seite schob, um sich mit ihm zu unterhalten. Doch Georg rührte sich nicht und blickte noch nicht einmal zu Andreas auf, sondern blätterte seelenruhig durch die Seiten.

Langsam, aber sicher wurde Andreas wütend, und seine Zornesader, die er übrigens an derselben Stelle wie sein Vater hatte, schwoll an. Gut für Bärbel zu sehen, pochte sie an seiner linken Schläfe auf und ab. Schließlich begann er auch, mit den Füßen zu scharren und mit dem Daumen und dem Zeigefinger der rechten Hand auf den Tisch zu trommeln. »Nimmst du mich überhaupt ernst, oder warum lässt du mich hier sitzen wie einen Hanswurst?«, fragte er seinen Vater und versuchte, ruhig zu bleiben.

Nach einem kurzen Zögern sah Georg von seinem Buch auf: »Es gibt nichts Wichtigeres als das Auftragsbuch, das solltest du eigentlich wissen. Du warst doch in den Plantagen, da kann ja nichts sein, was ich nicht schon weiß. Ich habe meine Augen überall, das ist doch bekannt.«

Er war gerade dabei, sich wieder in sein Buch zu vertiefen, als Andreas aufsprang.

»Überall hast du deine Augen, nur nicht da, wo sie gebraucht werden. Hast du schon mal die Bäume angeschaut mit deinen Augen, die angeblich überall sind?« Andreas stand auf der anderen Tischseite seinem Vater gegenüber, krebsrot im Gesicht, mit hervorstechenden Augen und wirren Haaren.

Wie der Vater so der Sohn, dachte Bärbel. Und in diesem Fall wie der Sohn so auch der Vater. Denn Georg stellte sich wie ein Gockel auf und starrte in das Gesicht seines Sohnes. »Was fällt dir eigentlich ein, du Rotznase?«, rief er aufgebracht.

»Du begreifst gar nichts, Vater! Die Bäume sind bald kaputt, sie brauchen eine andere Behandlung, und wir hätten schon längst neue Sorten züchten müssen!«

»Blödsinn, unsere Ernte ist sehr gut. Wir haben seit Jahrzehnten immer die besten Sorten, und ich sehe keine Veranlassung, das zu ändern. Du immer mit deinem modernen Zeug!«

»Warum bist du nur so stur, Vater? Merkst du denn nicht, dass so wenig bestellt wird, dass wir keine Großkunden mehr bekommen, dass es immer weniger wird?«

»Ja, und? Wir haben genug Kunden. Die großen brauchen wir nicht, die sind mir ohnehin längst zuwider mit ihrem Preisdiktat.«

»Aber du musst doch sehen, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann. Die Genossenschaft nimmt uns auch nichts mehr ab.«

»Weshalb sollten die uns nichts mehr abnehmen? Die Genossenschaft ist auf den größten Obstbauern angewiesen, sie würde uns nie fallen lassen.«

»Das glaubst aber auch nur du, Vater. Die Genossenschaft kommt nicht mehr, weil unser Obst zu klein ist. Du kannst nicht alles in Flaschen füllen. Die Industrie produziert Säfte und Schnäpse viel billiger als wir.«

Nun hatte Georg genug, er wollte nichts mehr hören und glaubte das alles nicht, was ihm Andreas vorwarf. Obwohl er es als Hirngespinst eines jugendlichen Heißsporns wertete, fühlte er sich wie ein in die Enge getriebenes Tier. Er duldete nun einmal keine Widerrede und schon gar keine Belehrungen.

Andreas wollte aber auch nicht zurückrudern. Für ihn stand zu viel auf dem Spiel, nicht weniger als der Hof seiner Vorfahren, auf den er immer stolz gewesen war und um den er sich sorgte. Er konnte und wollte nicht zulassen, dass sein Vater sich gegen Veränderungen und Anpassungen sperrte.

»Vater, die Lage ist ernst, das Obst an den Bäumen ist mickrig, verschrumpelt und voller brauner Flecken. Bitte höre auf mich. Gemeinsam schaffen wir das. Ich habe mich schon erkundigt, woher wir neue Bäume bekommen könnten.«

Georg, der sich mittlerweile wieder hingesetzt hatte, raste noch einmal von der Eckbank hoch und schrie: »Was fällt dir ein? Was willst du eigentlich? Das ist doch alles nichts, was du da vorhast, nur modernes Gehabe. Unsere Eltern haben gewusst, wie man das macht, und sie hatten Recht. Hier wird nichts geändert, ist das klar?« Georg stand vor seinem Sohn wie ein aufgeblasener Pfau, mit seiner ganzen Körperlichkeit und seiner unbeugsamen Härte und ließ noch nicht einmal eine ganz normale Diskussion zu.

Blitzschnell überlegte Andreas, ob er wieder einmal nachgeben sollte. Nein, entschied er sich, jetzt musste er stur sein und seinen Vater zu einem Gespräch zwingen. »Du ruinierst unsere Heimat und unsere Existenz, und deshalb sage ich dir, dass du dich ändern musst. Tust du das nicht, dann suche ich mir eine andere Arbeit.« Andreas wusste, dass er ihn damit reizte. Hopp oder Topp, nun hatte er keine andere Wahl. Innerlich stöhnte Andreas und hoffte, dass sein Vater nicht alles kaputtmachen würde, was sie verband.

»Was, du drohst deinem Vater? Du willst mich erpressen? Nur über meine Leiche, das sage ich dir. Hau ab, verschwinde, ich will dich hier nicht mehr sehen. Ab heute bist du nicht mehr mein Sohn. Geh mir aus den Augen!« Georg ließ sich auf die Eckbank fallen und stützte den Kopf in die Hände.

Andreas hingegen war für einen Moment sprachlos, nein, eigentlich setzte für einen Augenblick sein Herz aus und hörte auf zu schlagen. Sein Vater hatte ihn gerade verstoßen, ihn von seinem geliebten Hof verjagt. Nie in seinem Leben hätte er gedacht, dass sein Vater zu so etwas fähig sein würde. Ausgerechnet sein Vater, der ihn von Kindesbeinen an mitgenommen hatte, ihm die Obstplantagen näher gebracht, seine Liebe zum Obstbau entfacht und gefördert hatte – er nahm ihm jetzt seine Heimat. Andreas verließ die Küche, ging auf sein Zimmer, kam nach einer Weile mit einem Koffer wieder herunter und verließ wortlos und ohne Abschied das Haus.

Was hatte sich der Junge nur eingebildet, fragte sich Georg nun doch. Er war noch grün hinter den Ohren, und was über Generationen richtig gewesen war, konnte doch jetzt nicht auf einmal falsch sein. Georg hatte sich ihm nicht gebeugt.

2

Vier Jahre später saßen Bärbel und Georg nach dem Essen noch ein wenig am Tisch, der wie ein Schlachtfeld aussah. Berge von schmutzigen Tellern, Schüsseln, Töpfen und Pfannen standen in der Küche und warteten darauf, gesäubert zu werden. Müde blickte Bärbel über das Chaos und hätte sich am liebsten ins Bett gelegt. Seit einigen Tagen ging es ihr gar nicht gut, sie hatte Schmerzen am ganzen Körper, die Knochen, ihr Kopf und der Magen taten weh. Sie stöhnte auf, sagte aber nichts zu ihrem Mann, denn der hatte überhaupt kein Verständnis für irgendwelche Zimperlichkeiten.

»Willst du nicht endlich anfangen und aufräumen?«, blaffte er sie da auch schon unsanft an. »Du musst dich beeilen und heute Nachmittag zur Kirschenernte mitkommen. Wir können das Obst nicht an den Bäumen verfaulen lassen, da muss jetzt jeder mit anfassen! Das müsstest du doch schon bemerkt haben. Dass ich immer alles predigen muss und niemand in diesem großen Haus versucht, mitzudenken!«

»Ist ja schon gut. In einer Stunde kann es losgehen«, antwortete Bärbel mit einem Seufzer, zog langsam ihren schlappen Körper hoch, schleppte sich an den uralten Spülstein und begann stöhnend mit dem riesigen Abwasch.

Georg hingegen stopfte sich seine Pfeife und goss sich noch ein Bier in den Steinkrug. Wie jeden Tag setzte er sich auf die Bank unter dem Küchenfenster und genehmigte sich eine Pause, um das Essen in aller Ruhe sacken zu lassen und über seine Situation nachzudenken, die alles andere als gut war.

In einem der Keller stapelten sich Körbe mit Schnapsflaschen, in einem anderen war es auch nicht besser, dort hortete er unzählige Kisten Apfelsaft. Bald würde dort kein Platz mehr sein, wenn er nichts verkaufen konnte. Sein Obst entsprach nicht mehr den Normen und wurde deshalb nicht angenommen. Zwei Supermärkte hatte er inzwischen aufgesucht, aber die hatten ihn an einen Chefeinkäufer im Rheinland verwiesen, und als er dort angerufen hatte, war er mit wenigen Worten abgefertigt worden: Man brauche kein Obst mehr und habe schon genug Lieferanten. Also musste er die Ernte erneut zu Schnaps und Saft verarbeiten. Dass ihm Andreas damals genau das prophezeit hatte, verdrängte er tunlichst.

Seit Wochen schon musste er die Gehälter und die laufenden Kosten vom Sparbuch bezahlen. Er hatte den Eindruck, als ob ihn die Angestellten der Sparkasse deswegen vor ein paar Tagen mit mitleidigen Blicken gemustert hatten, aber sicher war er sich dieser Vermutung natürlich nicht.

Das würde schon wieder werden, sagte er sich immer und immer wieder, die würden schon noch kommen, um bei ihm einzukaufen. Über die Jahre war es immer wieder mal besser, mal schlechter gegangen. Doch noch nie war aus einer kleinen Krise eine große geworden. Immer hatte er sein Lager früher oder später räumen können. Damit tröstete er sich.

Schließlich erhob er sich und rief laut in die Küche: »Ich gehe mal schnell zur Bank.« Zielstrebig fuhr er mit seinem Auto ins Dorf zur Sparkasse.

»Grüß dich«, sagte Georg zu Karl hinter dem Schalter, nahm seinen Strohhut ab und drehte ihn verlegen in den Händen. Es fiel ihm, dem stolzen Obstbauern, doch nicht so leicht, um Geld zu bitten. Zu Hause auf der Bank vor dem Küchenfenster erschien ihm der Gang zur Sparkasse ganz leicht. »Kannst du mir ein bisschen Kredit auf mein Konto geben? Ich brauche noch ein paar Wochen, um meinen Schnaps und meine Säfte zu verkaufen.«