Ich koch dich tot & Mach mir den Garten, Liebling! - Ellen Berg - E-Book
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Ich koch dich tot & Mach mir den Garten, Liebling! E-Book

Ellen Berg

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Beschreibung

Zwei Romane von Bestsellerautorin Ellen Berg in einem E-Book.

Ich koch dich tot.

Schmeckt’s dir nicht, Schatz? Beim ersten Mal ist es noch ein Versehen: Statt Pfeffer landet Rattengift im Gulasch – und schon ist Vivi ihren Haustyrannen Werner los. Als sie wenig später vom schönen Richard übel enttäuscht wird, greift sie erneut zum Kochlöffel. Fortan räumt Vivi all jene Fieslinge, die es nicht besser verdient haben, mit den Waffen einer Frau aus dem Weg – ihren Kochkünsten.

Dann trifft sie Jan, der ihr alles verspricht, wovon sie immer geträumt hat. Vivi beschließt, dass jetzt Schluss sein muss mit dem kalten Morden über dampfenden Töpfen. Als ihr aber mehrere Unfälle passieren, keimt ein böser Verdacht in ihr. Sollte Jan ihr ähnlicher sein als gedacht? Zu dumm, dass sie sich ausgerechnet in diesen Schuft verliebt hat. Doch Vivis Kampfgeist ist geweckt ...

Mit todsicheren Rezepten fürs Jenseits!

Mach mir den Garten, Liebling.

Zur Hölle mit dem Job! Statt der überfälligen Beförderung bekommt Luisa einen arroganten Fiesling vor die Nase gesetzt. Sie ist frustriert. 14-Stunden-Arbeitstage und Bürointrigen – wofür das alles? Ausgerechnet jetzt muss sie sich um den Schrebergarten ihrer Tante Ruth kümmern. Komposthaufen statt Karriere, geht ja gar nicht. Doch dann stellt Luisa fest, dass Gärtnern sogar glücklich machen kann. Wenn nur nicht dieser rasend charmante Mann im Nachbargarten wäre, der so gar nicht in ihr Leben passt …

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Informationen zum Buch

Zwei Romane von Bestsellerautorin Ellen Berg in einem E-Book!

Ich koch dich tot:

Schmeckt’s dir nicht, Schatz? Beim ersten Mal ist es noch ein Versehen: Statt Pfeffer landet Rattengift im Gulasch – und schon ist Vivi ihren Haustyrannen Werner los. Als sie wenig später vom schönen Richard übel enttäuscht wird, greift sie erneut zum Kochlöffel. Fortan räumt Vivi all jene Fieslinge, die es nicht besser verdient haben, mit den Waffen einer Frau aus dem Weg – ihren Kochkünsten. Dann trifft sie Jan, der ihr alles verspricht, wovon sie immer geträumt hat. Vivi beschließt, dass jetzt Schluss sein muss mit dem kalten Morden über dampfenden Töpfen. Als ihr aber mehrere Unfälle passieren, keimt ein böser Verdacht in ihr. Sollte Jan ihr ähnlicher sein als gedacht? Zu dumm, dass sie sich ausgerechnet in diesen Schuft verliebt hat. Doch Vivis Kampfgeist ist geweckt ... Mit todsicheren Rezepten fürs Jenseits!

Mach mir den Garten, Liebling:

Die Lust am Gärtnern – und am Gärtner … Zur Hölle mit dem Job! Statt der überfälligen Beförderung bekommt Luisa einen arroganten Fiesling vor die Nase gesetzt. Sie ist frustriert. 14-Stunden-Arbeitstage und Bürointrigen – wofür das alles? Ausgerechnet jetzt muss sie sich um den Schrebergarten ihrer Tante Ruth kümmern. Komposthaufen statt Karriere, geht ja gar nicht. Doch dann stellt Luisa fest, dass Gärtnern sogar glücklich machen kann. Wenn nur nicht dieser rasend charmante Mann im Nachbargarten wäre, der so gar nicht in ihr Leben passt …

Über Ellen Berg

Ellen Berg, geboren 1969, studierte Germanistik und arbeitete als Reiseleiterin und in der Gastronomie. Heute schreibt und lebt sie mit ihrer Tochter auf einem kleinen Bauernhof im Allgäu. Ihre Romane „Du mich auch. (K)ein Rache Roman“, „Das bisschen Kuchen. (K)ein Diät-Roman“, „Den lass ich gleich an. (K)ein Single-Roman“, „Ich koch dich tot. (K)ein Liebes-Roman“, „Gib’s mir, Schatz! (K)ein Fessel-Roman“, „Zur Hölle mit Seniorentellern! (K)ein Rentner-Roman“, „Ich will es doch auch! (K)ein Beziehungs-Roman“, „Alles Tofu, oder was? (K)ein Koch-Roman“, „Blonder wird’s nicht. (K)ein Friseur-Roman“, „Ich schenk dir die Hölle auf Erden. (K)ein Trennungs-Roman, „Manche mögen’s steil. (K)ein Liebes-Roman“ und „Wie heiß ist das denn? (K)ein Liebes-Roman“ liegen im Aufbau Taschenbuch vor und sind große Erfolge.

Besuchen Sie die Autorin auch auf www.ellen-berg.de.

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Ellen Berg

Ich koch dich tot

&

Mach mir den Garten, Liebling!

Zwei Romane in einem E-Book

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Ich koch dich tot

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Epilog

Mach mir den Garten, Liebling!

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Epilog

Impressum

Ellen Berg

Ich koch dich tot

(K)ein Liebes-Roman

Allen Heldinnen am Herd, die mit Hingabe schnippeln, rühren, brutzeln, backen, kochen – und der Versuchung widerstehen, Dinge ins Essen zu mischen, die nun wirklich nicht hineingehören.

Kapitel eins

Als Vivi das Dessert ins Esszimmer trug, ein Orangenparfait mit frischen Erdbeeren, ruhte der Kopf ihres Gatten in einem See aus Bratensauce. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Werners Oberkörper lag nach vorn gekippt über der Tischkante, sein Gesicht war seitlich auf dem Teller gelandet. Ein paar Saucenspritzer hatten das Tischtuch besprenkelt. Nanu, war Werner etwa eingeschlafen? Auf Zehenspitzen näherte sie sich ihm. Beugte sich über die reglose Gestalt. Sah die starren, weit aufgerissenen Augen. Dann ließ sie die Dessertschüssel fallen. Scheppernd zerbrach sie auf dem Natursteinboden. Werner atmete nicht. Er würde nie wieder atmen. Werner war tot.

Vivi rang nach Luft. Das konnte doch nicht sein. Werner war ein Baum von einem Mann, vital, kräftig und erst Mitte fünfzig. Da gab man nicht einfach mitten beim Essen den Löffel ab. Panisch musterte sie sein Gesicht. Es hatte sich bläulich gefärbt und wirkte eigentümlich verzerrt. Kein Zweifel: Er hatte sich lautlos aus dem Leben verabschiedet, das sie nun schon seit fast fünfzehn Jahren miteinander teilten.

Heiße Tränen schossen ihr in die Augen. Noch vor zehn Minuten hatten sie gestritten, weil Vivi endlich einmal wieder ausgehen wollte. In ein schönes Restaurant zum Beispiel. Werner hingegen wühlte in Chipstüten, als wären Diamanten drin, und meinte allen Ernstes, dass stundenlanges Fernsehen und literweise eisgekühltes Bier die genialsten Erfindungen der modernen Zivilisation seien. Seine Vorstellung von einem gelungenen Abend war simpel: vorher keinen Plan, hinterher keine Erinnerung.

Das war Vivi mächtig auf den Zeiger gegangen. Sie wollte auch mal was erleben, ins Kino oder essen gehen, Spaß haben. Deshalb der Streit. Die letzten Worte, die Werner gehört hatte, waren gewesen: »Ich hänge hier nicht jeden Abend auf der Couch rum und kraule dir die Klöten!« Erbittert hatte Vivi ihm den Satz entgegengeschleudert. Nun war Werner damit ins Jenseits gesegelt.

Schuldbewusst sank sie auf einen Stuhl. Mit zitternden Fingern griff sie zu ihrem Rotweinglas und stürzte den Rest darin auf einen Zug hinunter. Hatte der Streit ihn getötet? Hatte er sich womöglich so aufgeregt, dass sein chronischer Bluthochdruck zu Herzversagen geführt hatte? War er sozusagen an gebrochenem Herzen gestorben?

»Wo nix ist, kann auch nichts brechen«, flüsterte sie vor sich hin.

Nein, ein Herz, das diesen Namen verdiente, konnte man Werner beim besten Willen nicht nachsagen. Er war in den vergangenen Jahren immer mehr zum Haustyrannen geworden – schimpfend, missgelaunt und völlig charmefrei. Woran also war er dann gestorben?

Eine siedend heiße Welle überlief sie, als sie den Pfefferstreuer auf dem Tisch entdeckte. Vivi war eine exzellente Köchin, Salz und Pfeffer duldete sie nicht an ihrer Tafel. Mehr als ein Gast hatte ihre eisige Verachtung zu spüren bekommen, wenn er auf eigene Faust nachwürzen wollte. Kochen ist Kunst, sagte sie immer. Man nimmt ja auch keinen Kugelschreiber und malt damit auf der Mona Lisa rum.

Doch es war nicht gekränkte Köchinnenehre, die ihr jetzt das Blut in den Adern stocken ließ. Noch am Morgen hatte sie den alten Pfefferstreuer, den sie schon länger durch eine Hightech-Pfeffermühle ersetzt hatte, gefüllt – allerdings nicht mit Pfeffer, sondern mit Rattengift. Eine Maus hatte sich in die Küche verirrt, und sie hatte dem ungebetenen Tier das finale Festmahl bereitet: ein Stückchen Brot, eine Käserinde und ein paar Nüsse. Das Ganze hatte sie großzügig mit Rattengift gewürzt. Aus dem Pfefferstreuer. Genau dem Pfefferstreuer, der jetzt neben Werner stand.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Fausthieb in den Magen: Sie hatte Werner vergiftet! Sie hatte ihren eigenen Mann umgebracht!

Vivi fing an zu schluchzen. Das war eine Katastrophe. Wenn alles mit rechten Dingen zuging, würde sie den Rest ihres Lebens im Gefängnis zubringen. Wer würde ihr schon glauben, dass dies ein bedauerlicher Unfall war? Die Indizien sprachen gegen sie. Das hier sah nach Mord aus, nach kaltblütig geplantem Mord. Ihre Hände krallten sich am Tischtuch fest.

»Ich bin verloren«, murmelte sie mit Grabesstimme.

Schon fast eine Stunde hockte Vivi nun am Esstisch, unfähig, auch nur einen kleinen Finger zu bewegen. Inzwischen war es fast dunkel geworden. Wie im Dämmerschlaf lag das Esszimmer da. Man konnte kaum den Tisch erkennen, eingedeckt mit feinstem Damast, edlem Silberbesteck und geschliffenen Kristallgläsern. An den Wänden hingen scheußliche Ölgemälde, wie überall im Haus, Erbstücke ihres Mannes. Der Kronleuchter über dem Tisch funkelte matt im letzten Abendlicht, das durchs Fenster fiel.

Noch immer lag Werners Gesicht im Teller. Dies war ohne Frage der schlimmste Moment in Vivis Leben – gefolgt von der Hochzeitsnacht und der letzten Krampfaderverödung. Und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es weitergehen sollte.

Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihrer Erstarrung. Sie zuckte zusammen. Was jetzt? Sollte sie abheben? Oder zuerst einen Notarzt bestellen? Das hättest du sofort machen müssen, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht wäre Werner ja noch zu retten gewesen. Warum hatte sie nichts unternommen?

Das Telefon hörte gar nicht mehr auf zu klingeln. Und falls nun jemand ihren Mann sprechen wollte? Was sollte sie dann sagen – »Sorry, den habe ich gerade vergiftet, rufen Sie später noch mal an«?

Denk nach, ermahnte sie sich. Wenn du jetzt einen Fehler machst, kannst du den Rest deines Lebens die Gitterstäbe einer Einzelzelle zählen. Du brauchst einen Schutzengel. Oder besser, einen Schutzteufel.

Sie gab sich einen Ruck. Dann rannte sie ins Wohnzimmer, wo das Telefon stand. Eilends machte sie Licht, bevor sie abhob und sich steif auf die Couch setzte.

»Sylvia Bernburg«, sagte sie so kontrolliert wie möglich. »Wer ist da, bitte?«

»Hallo Vivi«, hörte sie die fröhliche Stimme ihrer besten Freundin Ela. »Ich bin gerade in der Stadt. Was hältst du von einem Aperol Spritz in Hugos Bar? Oder hält dich dein Werner wie üblich im Eheknast gefangen?«

Beim Wort Knast spürte Vivi einen Stich im Magen.

»Ähäää, i-ich, w-wir«, stotterte sie, »wir haben’s uns gerade gemütlich gemacht. Ein andermal vielleicht. Und nur, damit das mal klar ist: Ich bin hier nicht im Knast.« Sie schluckte. »Ich liebe meinen Mann.«

Das hatte sie seit Jahren nicht mehr gesagt. Auch deshalb, weil es nicht die geringste Veranlassung dazu gab. Sie hatte Werner irgendwie gemocht. Vertraut waren sie gewesen, eingespielt. Na gut, im Grunde hatte sie ihn zuletzt nur noch ertragen. Doch man konnte nicht vorsichtig genug sein. Am Ende würde man auch Ela befragen, wenn es zum Prozess kam. Da machte sich eine Liebeserklärung gut.

Am anderen Ende der Leitung war ein Kichern zu hören.

»Allerliebste Vivi«, gluckste Ela. »Nach drei Ehemännern kann ich es dir schriftlich geben: Die Ehe ist ein Gefängnis. Der einzige Vorteil besteht darin, dass man Sex mit dem Gefängniswärter haben kann.«

Vivi runzelte die Stirn. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihr bei weitem zu heikel war.

»Hm. Sehr lustig«, sagte sie. »Ich schmeiß mich dann später weg. Tut mir leid. Heute passt es nicht.« Damit legte sie auf.

Für Ela war das Leben eine einzige Party. Für Vivi dagegen fühlte sich das Leben eher wie eine Tupperparty an: außen spießig, innen hohl. Ihre Freundin lebte in Frankfurt, gut fünfzig Kilometer entfernt von dem Wiesbadener Vorort, wo Vivi hängengeblieben war. Mit Werner.

Seufzend lehnte sie sich auf der Couch zurück. Im dunkelbraunen Samt der Sitzfläche zeichneten sich zwei Kuhlen ab, eine tiefere und eine flachere. Hier hatten sie Abend für Abend gesessen. Stumm, den Blick auf den Fernsehschirm gerichtet. Die einzige Abwechslung hatte darin bestanden, dass Werner ab und zu »noch ’n Bier« grunzte. Vivi hatte es immer betreutes Fernsehen genannt.

Die Couch fliegt als Erstes raus, durchfuhr es sie plötzlich. Und dann sind die grässlichen Ölgemälde dran. Jetzt richte ich das Haus so ein, wie ich es will!

Einen Augenblick später erschrak sie über ihre Gedanken. War sie wirklich so gefühllos, dass sie schon über eine neue Inneneinrichtung nachdachte, obwohl Werner noch nicht einmal kalt war? Angestrengt horchte sie in sich hinein. Nein, da waren keine Gefühle. Keine Trauer, kein Bedauern. Hm, da war doch etwas: grenzenlose Erleichterung. Sie konnte es selbst kaum fassen.

Hätte man sie noch am Morgen gefragt, ob sie glücklich sei, so hätte sie vermutlich geantwortet: ja, irgendwie. Jetzt wurde ihr bewusst, dass die letzten zehn Jahre ihrer Ehe nur noch ein staubtrockenes Grauen gewesen waren. Die übliche Mischung aus Bequemlichkeit, Gedankenlosigkeit und Desinteresse. Ein Leben ohne Zärtlichkeit. Und ohne Sex. So viel zum Thema Gefängniswärter.

Vivi schaute an sich herab. Unter ihrer Kochschürze trug sie eine Caprihose aus grüner Seide und ein weit ausgeschnittenes weißes T-Shirt. Für ihre fünfunddreißig Jahre war sie noch ganz ansehnlich. Gut, sie war vielleicht ein wenig in die Breite gegangen, aber nicht schlecht proportioniert. Ihr volles dunkles Haar trug sie schulterlang. Und sie hatte noch immer die intensiv leuchtenden grünen Augen, die Werner einst den Kopf verdreht hatten.

Das war lange her. Obwohl Werner selbst zu Leibesfülle neigte, hatte er dauernd an Vivis Figur rumgemeckert. »Du, das Geschwabbel kann man neuerdings auch mit Strom wegzappen« oder »Nicht alles, was wächst, ist gutartig« waren noch die netteren Kommentare gewesen. Männer eben. Konnten vor lauter Bierbauch ihre eigenen Füße nicht mehr sehen, stellten aber Ansprüche, als hätten sie eine Miss Universum verdient.

Sie stöhnte auf. Unter ihrer Schürze verbarg sich ein verwaister Körper. Werner hatte sie irgendwann nicht mehr angerührt. Und sie hatte die ehelichen Pflichtübungen auch nicht sonderlich vermisst. Wie denn? Das bisschen Gerödel zwischen Spätnachrichten und Schnarchkonzert war nicht gerade das gewesen, was eine Frau insgeheim erträumt. Die Wahrheit hätte niederschmetternder nicht sein können: Sie war Mitte dreißig und seit Jahren ein erotisches Neutrum.

Nachdenklich betrachtete sie die bräunlich tapezierten Wände, die Nussbaumschrankwand, die Stehlampe mit den Troddeln, den Ohrensessel, in dem Werner immer Zeitung las. Gelesen hat, korrigierte sie sich innerlich. Entsetzt sprang sie auf. Im Zimmer nebenan lag eine Leiche! Die Leiche ihres Mannes!

Vivis Magen krampfte sich zusammen, als sie zurück ins Esszimmer ging. Sie schaltete den Kronleuchter an, und nun traf sie der Anblick des Desasters in aller Schonungslosigkeit. Werners Augen standen immer noch weit offen. Die Augäpfel waren zur Zimmerdecke hin verdreht, als hätte er im Moment seines Ablebens nachgeschaut, ob sich auch die Himmelstür für ihn öffnete. Es sah grässlich aus.

Sie hatte mal irgendwo gelesen, dass man Toten mit sanfter Geste die Augen schließt. Aber sie war nicht in der Lage dazu. Fassungslos musterte sie das verzerrte Gesicht, den reglosen Körper, die schlaff herunterhängenden Arme. Dieser Mann, der aussah, als wäre er in seiner eigenen Bratensauce ertrunken, war ein völlig Fremder. Sein Anblick gruselte sie. Um nichts in der Welt hätte sie ihn angefasst.

Während ihr ein Schauer nach dem anderen über den Rücken lief, wanderte ihr Blick zum Pfefferstreuer. Den musste sie schleunigst entsorgen, so viel stand fest.

Missbilligend schüttelte sie den Kopf. Hätte Werner sich an ihre Regel gehalten, bei Tisch nicht nachzuwürzen, säße er jetzt vor seinem geliebten Fernseher. Aber er hatte die Regel gebrochen. Hatte heimlich den ollen Pfefferstreuer aus der Küche stibitzt, eine Extraportion Sauce nachgeladen und sich ins Nirwana gebeamt. Was für eine grausame Strafe.

Vivi zog die Gardinen zu. Die Nachbarn in der Reihenhaussiedlung starben vor Langeweile und deshalb vor Neugier. Nicht selten hatte Vivi erlebt, dass jemand draußen auf dem Weg stehen blieb und ungeniert durch ihre Fenster starrte. Viel Abwechslung gab es ja auch nicht hier. Der Baumarkt nebenan, der Supermarkt ein paar Straßen weiter, davor eine trostlose Imbissbude, das war alles. Ein typischer Vorort eben.

Nachdem sie noch die Jalousien heruntergelassen hatte, nahm Vivi den Pfefferstreuer, ging damit in die Küche und warf ihn in die Abfalltonne. Die Dose mit Rattengift flog gleich hinterher. Dann nahm sie den Müllbeutel und öffnete die Verbindungstür, die direkt von der Küche zur Garage führte. Zögernd blieb sie stehen. Werners dunkelblauer Mercedes war sein Allerheiligstes. Tja  – gewesen. Er liebte Dumpfsprüche über Frauen, die nicht einparken können, deshalb hatte er Vivi den Wagen immer nur unter größtem Protest überlassen.

»Sorry, Werner, ich brauch die Karre«, flüsterte sie, als sie einstieg.

Sie war ein bisschen aus der Übung. Deshalb brüllte der Motor wie ein angeschossenes Tier auf, als sie mit einem Kavalierstart aus der Einfahrt rauschte.

Wie wohltuend es doch war, nicht von Werners üblichen Kommentaren belästigt zu werden: »Wusstest du, dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren dürfen? Na, die Saudis werden schon wissen, warum.« Oder: »Wieso guckst du zu Hause dauernd in den Spiegel, und beim Autofahren vergisst du es?« Sie konnte Werners entnervte Stimme förmlich hören. Die Krönung war gewesen: »Man sollte nicht schneller fahren, als man denken kann. Also schööön langsam.«

Vivi gab Gas. Heute saß Werner nicht auf dem Beifahrersitz. Er würde nie wieder dort sitzen, und diese Erkenntnis überwältigte sie wie ein Sechser im Lotto. Vielleicht war dieser tragische Unfall ja ein Wink des Schicksals. Vielleicht hatte eine gute Fee beschlossen, dass sie nicht bis ans Ende ihrer Tage verkümmern sollte wie eine Topfpflanze, die man vergessen hatte zu gießen. Wenn alles gutging, wartete die absolute Freiheit auf sie. Es fühlte sich himmlisch an.

»Über den Wolken«, fing sie an zu singen, »muss die Freiheit wohl grenzenlos sein!«

Singen im Auto war bei Werner streng verboten gewesen, doch Vivi liebte es. Überhaupt sang sie gern, nein, sie war besessen davon. Sie besaß eine umfangreiche Sammlung von CDs mit Schlagern, Songs und Chansons für alle Lebenslagen, für Trauer, Freude, Langeweile. Sogar für diesen sehr speziellen Anlass. Und sie konnte die meisten Texte auswendig.

»Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen, und dann ...« Sie klopfte den Rhythmus auf dem Lenkrad mit und ließ alle Scheiben herunter. Ihr Haar flatterte im warmen Fahrtwind des Sommerabends. »... würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und –«

Nur eine Vollbremsung bewahrte sie davor, einen älteren Herrn umzunieten, der seelenruhig mit seinem Rollator über die Kreuzung zuckelte. Die Fußgängerampel zeigte Rot, was diesen Mann allerdings überhaupt nicht störte.

Erschrocken schlug sich Vivi an die Stirn. Fast wäre die nächste Leiche fällig gewesen! Offenbar war sie neuerdings eine Gefahr für die Menschheit. Sie sah dem älteren Herrn nach, der, ohne aufzublicken, die Straße überquerte. Er erinnerte sie an jemanden. Vivi kam nicht gleich darauf, dann aber fiel es ihr ein: Der Mann ähnelte Doktor Köhnemann, dem leicht zerstreuten Hausarzt, auf den Werner immer geschworen hatte. Doktor Köhnemann war bereits jenseits der siebzig. Er konnte nicht mehr richtig sehen, hörte schwer und hatte seine Blase nicht immer im Griff, trotzdem praktizierte er noch.

Wie ein flammender Blitz zuckte eine Idee in Vivis Hirn auf. Eine ziemlich gute Idee, wie sie fand. Nachdem sie die Mülltüte am anderen Ende der Stadt in einem Abfalleimer versenkt hatte, raste sie mit Höchstgeschwindigkeit nach Hause.

Als Vivi die Haustür aufschloss, flogen ihre Hände. Was sie vorhatte, war gewagt, möglicherweise sogar Wahnsinn. Doch besondere Umstände erforderten eben besondere Maßnahmen. Sie hatte keine Wahl. Eilig lief sie ins Wohnzimmer, wo der Schreibtisch stand, und blätterte in Werners Notizbuch. Der Schweiß brach ihr aus, während sie nach dem Namen suchte. Katzenbach, Kehlmann – Köhnemann. Da war er. Mit klammen Fingern griff sie zum Telefonhörer und wählte die Nummer.

Das Tuten des Freizeichens dröhnte in ihren Ohren wie eine Totenglocke. Geh ran, beschwor sie den Arzt innerlich. Oder wach auf, wenn du schon schläfst! Immerhin war es schon fast zehn Uhr abends.

»Kööööhnemann?«, meldete sich endlich eine mürbe Altmännerstimme.

Vivi musste sich gar nicht verstellen. Ihre Aufregung hatte sich zu nackter Angst gesteigert. Alles hing jetzt von diesem greisen Mediziner ab.

»Herr Doktor!«, sprudelte es aus ihr heraus. »Sylvia Bernburg hier! Es geht um Leben und Tod! Mein Mann ist zusammengebrochen. Vielleicht ein Herzinfarkt! Ich weiß, dass es spät ist, doch Sie müssen unbedingt kommen! Ich bin völlig verzweifelt!«

Stille. Offenbar musste der alte Herr die brisanten Informationen erst einmal sortieren. Er räusperte sich.

»Gnädige Frau, sind Sie sicher, dass es sich nicht einfach um eine Ohnmacht handelt? Bei dieser schwülen Wetterlage kommt das häufiger vor.«

Vivi hätte ihn am liebsten angebrüllt. Doch sie zügelte sich.

»Herr Dok-tor Köh-ne-mann!« Sie sprach jede Silbe überdeutlich aus. »Dies ist kein falscher Alarm. Wenn Sie nicht auf der Stelle herkommen, könnte es vielleicht zu spät sein. Ich will keinen Notarzt, verstehen Sie? Das sind dann irgendwelche Gynäkologen, die einen mit Aspirin abspeisen. Ich vertraue Ihnen, nur Ihnen. Und mein Mann hat Ihnen auch immer vertraut, wie Sie wissen.«

»Tja.« Es folgte eine quälende Pause. »Dann muss ich mich ja wohl auf den Weg machen.«

Eine halbe Stunde später klingelte Doktor Köhnemann an der Haustür. Sein schütteres weißes Haar stand nach allen Seiten ab, das blauweißgestreifte Hemd unter der verfilzten Strickjacke war zerknittert. In seiner rechten Hand schwenkte er eine altmodische Arzttasche aus braunem Leder.

»Wie ist sein Zustand?«, fragte er statt einer Begrüßung.

Vivi nahm ihm die Tasche ab. »Unverändert.«

Sie führte den Arzt ins Esszimmer. Noch immer lag Werner so da, wie Vivi ihn gefunden hatte. Als sei er infolge des Essens und des schweren Rotweins nur kurz eingenickt. Sobald Doktor Köhnemann die Bescherung sah, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen.

»Um Himmels willen, Frau Bernburg!«, rief er vorwurfsvoll.

Vivi setzte ihre unschuldigste Unschuldsmiene auf. »Wieso? Was habe ich denn getan?«

»Na, eben nichts! Sie haben ihn einfach so liegen lassen! Schon mal was von stabiler Seitenlage gehört?«

»Vor hundert Jahren vielleicht«, druckste Vivi herum. »Als ich für meinen Führerschein den Erste-Hilfe-Kurs gemacht habe.«

Ungehalten kniff der Arzt die Augenlider zusammen. »Also gut, dann wollen wir uns den Patienten mal näher ansehen.«

Mit umständlichen Bewegungen holte er ein Stethoskop aus seiner Tasche. Als Nächstes ging er zu Werner und fühlte den Puls. Nachdem er eine Weile vergeblich getastet hatte, wurde er bleich.

»Ogottogott ...«

Vivi schlang ihre Finger ineinander. »Wie geht es ihm? Muss er in eine Klinik? Soll ich einen Krankenwagen bestellen?«

»Wohl besser ein Beerdigungsunternehmen«, sagte der Arzt dumpf. »Ihr Mann ist tot.«

Zu ihrer eigenen Überraschung brach Vivi in Tränen aus. Werner leblos aufzufinden, war das eine. Doch die offizielle Bestätigung, dass er wirklich tot war, mausetot sozusagen, erschütterte sie mehr, als sie erwartet hatte.

»Nun beruhigen Sie sich doch«, sprach Doktor Köhnemann ihr gut zu. Väterlich legte er einen Arm um ihre Schulter. »Mein Beileid, gnädige Frau. Ich weiß, das ist ein entsetzlicher Verlust für Sie.«

»Ja, ist es«, schniefte Vivi. »Er war mein Alles, mein Leben. Ohne ihn ist alles so sinnlos ...«

Das war eine ziemlich dreiste Lüge, aber Vivi hoffte, dass man sie ihr dereinst vergeben würde. Schließlich musste sie jetzt ihre Haut retten. Und das ging nur, wenn sie die untröstliche Witwe gab.

Der Mediziner ächzte, als er aus seiner Tasche ein Formular holte. »Ich werde jetzt den Totenschein ausstellen. Am besten, ich gebe in der Tat einen Herzinfarkt an. Was auch immer die Todesursache war, jetzt ist das nicht mehr von Bedeutung. Ich habe Respekt vor den Toten. Eine Obduktion ist eine scheußlich blutige Angelegenheit, glauben Sie mir ...«

»Das möchte ich auf keinen Fall«, sagte Vivi schnell. Keine Obduktion, durchfuhr es sie, bloß nicht! Ich könnte Sie küssen, Doktor Köhnemann!

Der Arzt setzte sich auf den nächstbesten Stuhl und begann, das Formular auszufüllen. Vivi sah, dass seine Hände bebten. Mit zerknirschter Miene blickte er auf.

»Falls es Nachfragen gibt ... Ich meine, wir sind natürlich der Wahrheit verpflichtet ... aber Sie sollten besser nicht ...«

Vivi hörte ihm irritiert zu. Was meinte er bloß?

»Na jaaa«, sagte der Mediziner gedehnt, als Vivi nicht reagierte. »Sie wissen ja, diese Rezepte. Ihr Gatte hatte darauf bestanden. Er wurde von mir über die Risiken aufgeklärt, jedoch ...«

Noch immer verstand Vivi kein Wort. »Risiken?«

Nun sah Doktor Köhnemann richtig unglücklich aus. »Tja, es ist bekannt, dass Viagra einige Nebenwirkungen hat. Kreislaufprobleme zum Beispiel, Schwächung des Herzmuskels. Deshalb haben wir ja vorher die Untersuchungen gemacht – Kreislauftest, EKG, Blutbild. Rosig sind die Werte nicht gewesen, aber Ihrem Gatten war das egal. Als Mann«, er hüstelte verlegen, »als Mann konnte ich ihn natürlich verstehen. Und Sie haben, wenn ich so sagen darf, ja auch von seiner wiedererstarkten Manneskraft profitiert.«

Wie Geschosse rasten die Worte durch Vivis Hirn. Herzmuskel? Viagra? Äh – Manneskraft?

Doktor Köhnemann hob die Augenbrauen. »Ich würde vorschlagen, dass das unser kleines Geheimnis bleibt, gnädige Frau. Wir sollten keine schlafenden Hunde wecken. Die Ärztekammer ist äußerst streng, was die Verschreibung von Viagra betrifft. Und im Grunde habe ich mir ja auch nichts zuschulden kommen lassen.«

Noch hatte sich Vivi nicht ganz von dem Schock erholt. Fieberhaft versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. Punkt eins: Werner hatte sich Viagra verschreiben lassen. Punkt zwei: Also war er sexuell aktiv gewesen. Punkt drei: Fragte sich nur, wo. Im ehelichen Schlafzimmer jedenfalls nicht.

»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Wecken wir keine schlafenden Hunde. Und danke noch mal für das Viagra. Werner war wie ausgewechselt, wissen Sie. Wir standen uns sehr nahe, bis zuletzt. Auch im ...« Sie schluckte. »... na ja, im Bett.«

Der Arzt nickte verständnisvoll. »Lassen wir die Toten ruhen und die Lebenden leben.«

Er überreichte Vivi den Totenschein. Ihr Ticket in die Freiheit. Keine Polizei, kein Prozess, kein Gefängnis. Sie wäre dem älteren Herrn am liebsten um den Hals gefallen.

»Danke!«, rief sie mit einem Schluchzer der Erleichterung. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? In der Küche habe ich noch einen Rest Rinderfilet mit einer vorzüglichen Sauce.«

Sprachlos sah Doktor Köhnemann erst Vivi, dann den Toten an, dessen Gesicht noch immer in der Bratensauce ruhte. Er verzog den Mund.

»In Anbetracht der Todesumstände würde ich lieber davon absehen. Rufen Sie mich jederzeit an, wenn Sie Beistand brauchen. Meine Nummer haben Sie ja.«

Vivi hob entschuldigend die Hände. »Oh, Verzeihung, wie pietätlos von mir. Und herzlichen Dank für Ihr Angebot. Ich komme gern darauf zurück.«

Sie begleitete den Arzt zur Tür und schaute ihm nach, wie er schweren Schritts zu seinem Auto ging. Viagra, dachte sie. Verdammt, wofür hat Werner Viagra gebraucht?

Ungewohnt still war es im Haus. Werner war eine nie versiegende Geräuschquelle gewesen. Den Fernseher hatte er immer so laut gestellt, dass Vivi fast der Knorpel aus dem Ohr gefallen war. Und wenn er nicht gerade wie hypnotisiert vor irgendeiner Serie hing, hatte er gehustet, gerülpst, geschnarcht oder Vivi mit seinen Wünschen auf Trab gehalten. Jetzt war Ruhe.

Sie beschloss, systematisch vorzugehen. Als Erstes durchsuchte sie die Schubladen seines Schreibtischs. Allerdings fand sich darin nur uninteressantes Zeugs: Quittungen, Zeitungsausschnitte, sinnfreier Krempel. Typisch Werner, dachte sie. Musste alles aufheben.

Die unterste Schublade war verschlossen, ein Schlüssel blieb unauffindbar. Vivi holte ihr größtes Fleischmesser aus der Küche und hebelte ein bisschen damit herum. Splitternd gab das Holz nach.

»Ach, so hast du dir das gedacht«, zischte sie, als sie das Dokument las, das in der Schublade gelegen hatte.

Es war der Ehevertrag, säuberlich getippt. Vivi erinnerte sich dunkel daran, dass sie ihn einst unterschrieben hatte, einen Tag vor der Hochzeit. Gelesen hatte sie ihn damals nicht. Wozu auch? Sie waren verliebt gewesen, und Werner hatte ihr versichert, es sei alles nur zu ihrem Besten. Jetzt dämmerte ihr, dass sie schnöde ausgetrickst worden war. Der Vertrag regelte Werners Hinterlassenschaft in einer Weise, die einfach nur empörend war. Das meiste sollte nämlich an seine beiden erwachsenen Kinder gehen, die sich schon seit Jahren nicht mehr hatten blicken lassen. Ihretwegen hatte Vivi sogar auf eigene Kinder verzichten müssen, Werner hatte es so gewollt. Eine Entscheidung, die Vivi zutiefst verletzt hatte.

Sie las weiter. Ein nicht geringer Teil des ehelichen Vermögens sollte an seinen Kegelclub gespendet werden, damit Werner posthum in den Genuss einer Ehrenplakette im Vereinslokal kam. Dabei war er seit vielen Jahren nicht mehr dort erschienen, aus purer Antriebsschwäche. Der Gipfel jedoch war, dass er auch das Reihenhaus seinen Kindern vermacht hatte.

Es war Vivis Elternhaus. Unvorsichtigerweise hatte sie es mit dem verdammten Ehevertrag auf Werner überschreiben lassen, als sie geheiratet hatten. Über Werners Motive konnte sie nur spekulieren. Vermutlich hatte er ihr das Haus abgeluchst, weil er ein Kontrollfreak war und nicht wollte, dass sie als finanziell unabhängige Frau auf dumme Gedanken kam. Deshalb hatte er ihr auch verboten, einen Job anzunehmen. Vivi hätte sich gern etwas dazuverdient, aber Werner hatte immer getönt, seine Frau müsse nicht arbeiten. Wobei die Hausarbeit in seinem Universum natürlich nicht zählte.

Bleich wie die Wand überflog Vivi den Rest. Nur Werners lachhaft geringe Rente war für sie vorgesehen. Er war der Meinung gewesen, dass man die Rentenversicherung nicht unnötig mästen sollte, weil man ja nicht sicher sein konnte, was später dabei herauskam. Als selbständiger Steuerberater hatte er auf private Vorsorge gesetzt. Ha, Vorsorge! Nun stand Vivi quasi ohne einen Cent da! Mit der mickrigen Rente konnte sie kaum die Butter fürs Frühstücksbrötchen bezahlen.

Entrüstet tippte sie sich an die Stirn. Frechheit! Und dafür hatte sie ihn all die Jahre bedient wie seine persönliche Sklavin? Seine Hemden gebügelt, seine Schuhe geputzt? Und das exquisiteste Essen gekocht? Sie war vielleicht nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber solch eine bodenlose Ungerechtigkeit ließ sie sich nicht gefallen.

Wütend zerriss Vivi den Ehevertrag. Dann legte sie die Schnipsel in einen Aschenbecher und hielt ein brennendes Streichholz daran.

»So nicht«, flüsterte sie. »Nicht mit mir, Werner Bernburg!«

Zufrieden sah sie zu, wie sich der schändliche Schrieb in ein Häufchen Asche verwandelte. Nun war sie schon mal einen bedeutenden Schritt weiter. Das Viagrageheimnis jedoch hatte sie noch immer nicht gelüftet.

Sie stand auf. Vielleicht half Werners Handy ja weiter. Er hatte es immer in der Hosentasche getragen und nachts sogar mit ins Bett genommen. Weil es etwas zu verbergen gab? Möglich war’s.

Es kostete Vivi allergrößte Überwindung, sich dem Toten zu nähern. Wie ein nasser Sack hing er über dem Tisch, eingezwängt in seine unvermeidliche graue Strickweste. Ihr Herz klopfte laut, als sie eine Hand in seine Hosentasche steckte. Immer tiefer wühlte sie darin herum. Werners massiger Körper begann zu schwanken. In Zeitlupe rutschte er vom Stuhl und plumpste mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden.

Unwillkürlich schrie Vivi auf. Sie schloss die Augen und schlug die Hände vors Gesicht. Erst als sie sich ein wenig beruhigt hatte, wagte sie, die Augen wieder zu öffnen. Jetzt ruhte ihr Gatte in etwa so, wie sie sich die stabile Seitenlage vorstellte. Noch immer waren seine Augen weit aufgerissen. Es roch streng nach postmortaler Darmentleerung. Aber in ihrer Hand lag Werners Handy.

Sie wechselte auf die Couch im Wohnzimmer. Dann klickte sie die Anrufliste an. Aufs Geratewohl entschied sie sich für die Nummer, die Werner zuletzt gewählt hatte. Gebannt wartete sie, wer sich wohl melden würde.

»Wernerchen«, gurrte eine heisere Frauenstimme. »Na, mein geiler Hase? Bleibt es bei morgen früh, wie immer um Viertel nach sieben? Aber vergiss nicht: Bargeld lacht.«

Es war schon weit nach Mitternacht, aber Vivi brauchte jetzt dringend einen kleinen Imbiss. Sie holte eine Packung Krebsfleisch aus dem Kühlschrank, schnitt mit geübten Bewegungen eine Avocado in kleine Stücke, pellte eine Grapefruit und löste das Fruchtfleisch aus den Häutchen. Eine Vinaigrette war schnell gerührt.

Sie richtete den Salat auf einem tiefen Teller an und setzte sich an den Küchentisch. Wie ein Corpus Delicti lag Werners Handy darauf. Vivi hatte das Gespräch völlig entgeistert weggedrückt. In ihre Verblüffung hatte sich erst Abscheu gemischt, dann kalte Wut.

Mechanisch begann sie zu essen. Schon länger hatte sie sich gewundert, warum Werner manchmal so früh zur Arbeit fuhr. Seine Steuerberatungskanzlei war nicht gerade das gewesen, was man als Stress bezeichnete. Doch nicht im Traum wäre Vivi auf die Idee gekommen, dass er zwischen Frühstücksei und Aktenbergen eine schnelle Nummer schob – noch dazu mit einer Professionellen.

»Du Schuft«, presste sie kauend hervor. »Du mieser, elender Schuft. Hast mir das Haushaltsgeld centweise abgezählt. Und bist dann fröhlich zu einer Prostituierten spaziert, die wahrscheinlich so viel kostet wie eine Kiste Champagner! Oder hundert Gramm weiße Trüffel!«

Grimmig gabelte sie den Salat in sich hinein, während sie durch die offene Küchentür ins Esszimmer schaute, wo Werner friedlich auf dem Boden lag. So einen angenehmen Tod hat er eigentlich gar nicht verdient, überlegte sie. Rattengift wirkte schnell, wie der Verkäufer im Baumarkt ihr versichert hatte. Ein Bissen, und schon werden die Lichter ausgeknipst. Ein langsamer, qualvoller Tod wäre weit angemessener gewesen, fand Vivi.

Nachdem sie den Salat verspeist hatte, wählte sie zwei weitere Nummern aus dem Speicher an. Beide Male meldeten sich aufreizende Frauenstimmen mit eindeutigen Angeboten. Offenbar hatte Werner über einen ganzen Harem williger Damen verfügt. Aber jetzt war Schluss mit lustig.

Nachdenklich drehte Vivi das Handy hin und her. Was sollte sie damit tun? Falls es doch noch zu einer polizeilichen Untersuchung kam, würde man es sicher konfiszieren. Und die Anrufliste checken. Das würde einige unangenehme Fragen aufwerfen, die zu beantworten sie überhaupt keine Lust hatte.

»Abschied ist ein scharfes Schwert«, summte sie vor sich hin. Der alte Roger-Whittaker-Song passte wie Deckel auf Topf. »Du bist getroffen und kannst dich nicht wehren«, sang sie etwas lauter, »Worte sind sinnlos, du willst sie nicht hören.«

Sie ließ ihren Blick durch die Küche schweifen, bis er an der Brotschneidemaschine hängenblieb. Es war ein Hightech-Gerät, mit dem man sogar tiefgekühltes Fleisch zersäbeln konnte. So sahen sie aus, die Waffen einer Frau.

»Abschied ist ein scharfes Schwert«, schmetterte Vivi aus Leibeskräften. Zwei Sekunden später durchschnitt ein kreischendes Geräusch die Stille des Hauses, und das Handy war Geschichte.

Kapitel zwei

Die Beisetzung von Werners sterblichen Überresten wurde mit allem gebührenden Pomp begangen. Ein Berg weißer Lilien lag auf dem geschnitzten Eichensarg, mit dem sich sechs schwarzgekleidete Männer abschleppten. Dahinter bewegte sich eine umfangreiche Trauergemeinde über den Friedhof.

Heiß schien die Sonne auf Buchsbaumhecken und Blumenschmuck, als sie das frisch ausgehobene Grab erreichten. Vivi hatte bereits ein Marmordenkmal mit einem süßlichen Engel aufstellen lassen, in das Werners Name eingemeißelt war. Daneben saß eine Harfenistin. Sie klimperte eine getragene Version von Ein Stern, der deinen Namen trägt. Vivi hatte das passend gefunden. Auf der Harfe gespielt, war es ein echter Tränendrücker.

Sie trug ein schwarzes Kostüm und dazu einen kleinen Hut mit Schleier. Ihre Augen wurden zusätzlich von einer riesigen dunklen Sonnenbrille verdeckt. Das war auch nötig, um die eine oder andere Lachträne zu verbergen. Sie musste nämlich feststellen, dass nirgends so schamlos gelogen wird wie bei einer Beerdigung.

Hätte man den Nachrufen am Grab geglaubt, wäre Werner ein selbstloser Freund, ein geistreicher Gesprächspartner und ein hingebungsvoller Ehemann gewesen. Keiner erwähnte, dass Vivis Mann in den letzten Jahren unausstehlich geworden war. Und keiner gab zu, dass sich alle deshalb systematisch von Werner ferngehalten hatten.

Längst vergessene Kegelbrüder waren aufgetaucht, einige Freundinnen von Vivi, dazu ein paar entlegene Verwandte, die das Ereignis als willkommene Abwechslung betrachteten. Auch Werners Kinder hatten sich eingefunden. Mit erwartungsvoller Miene sprachen sie Vivi ihr Beileid aus. In ihren Augen standen Dollarzeichen. Wie Aasgeier umkreisten sie das Grab, in denen ihr Erzeuger seine letzte Ruhe finden sollte.

Als der Sarg in die Grube hinuntergelassen wurde, brachte Vivi einen filmreifen Schluchzer fertig. Sofort eilte Doktor Köhnemann ihr zur Seite und hakte sie unter.

»Wenigstens hatten Sie noch ein paar sinnliche Stunden«, raunte er ihr verschwörerisch zu.

»Ja, es ging rund bis zuletzt. Das ist ein echter Trost, Herr Doktor Köhnemann.« Vivi schnäuzte sich. »Sie bleiben doch zum Essen?«

»Selbstverständlich«, erwiderte der Arzt.

Das war nicht weiter erstaunlich. Vivi hatte in das beste Restaurant Wiesbadens eingeladen. Niemand sollte sagen, dass sie ihren geliebten Werner stillos unter die Erde brachte. Und niemand wollte diesen exquisiten Leichenschmaus verpassen.

Gerade näherte sich der Sarg dem Boden des Grabs, begleitet von schmachtenden Harfenklängen. Die Träger schwitzten jämmerlich in ihren schwarzen Anzügen. Gut hundertfünfzig Kilo Körpermasse und der schwere Eichensarg waren selbst für sechs ausgewachsene Männer eine Herausforderung.

Durch die schweigende Beerdigungsgesellschaft drängte sich jetzt Ela heran. Vivis Freundin trug ein großzügig dekolletiertes gelbes Kleid und schwindelerregend hohe Lackpumps in Pink. Auf ihrem roten Haar schwebte eine neckische cremefarbene Pillbox.

»Sag mal, Ela, musste es zur Beerdigung ausgerechnet ein gelbes Kleid sein?«, raunte Vivi ihr zu.

»Die grünen waren gerade aus«, erwiderte Ela schelmisch. »Sorry, Schwarz steht mir nun mal nicht.«

Typisch Ela, dachte Vivi. Die würde auch zum Großreinemachen ein Ballkleid anziehen. Aber genau das mochte sie an ihrer Freundin.

»Du bist sooo tapfer, mein armer Hase«, sagte Ela leise. »Dabei kam alles ja ziemlich plötzlich.«

Vivi beschränkte sich auf einen weiteren Schluchzer.

»Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«, salbaderte Doktor Köhnemann. »Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Unbegreifliches Schicksal ...«

Der hat es nötig, dachte Vivi. Verschreibt Werner Viagra bis zum Penisbruch und spricht dann von Schicksal.

»Ich habe einen Freund mitgebracht«, flüsterte Ela. »Ich hoffe doch, du hast nichts dagegen?«

Sie winkte einem Mann zu, der in seinem schwarzen Anzug einfach nur hinreißend aussah. Vivi erspähte ein attraktiv gealtertes, gebräuntes Jungsgesicht, funkelnde Augen hinter einer schweren Hornbrille, dunkle Haartolle, breite Schultern. Genau der Typ Mann, an den man sich auf der Stelle anlehnen wollte. Was ihr als trauernder Witwe natürlich verboten war.

»Ist es ernst mit euch beiden?«, erkundigte sie sich.

»Nö, der ist nur zum Üben – und zwar für dich.« Ela grinste. »Wenn ich es richtig sehe, ist er der ideale Witwentröster.«

Das war ein starkes Stück. Werners Sarg war noch in Sichtweite, und Ela wollte sie schon verkuppeln? Gut gemeint, aber voll daneben, fand Vivi. Unauffällig boxte sie ihrer Freundin den Ellenbogen in die Seite.

»Hallo? Schon mal was von Trauerzeit gehört? Ich muss den Verlust erst mal verwinden. Und vielleicht werde ich nie wieder ...«

»Spar dir den Betroffenheitsquark«, wurde sie von Ela unterbrochen. »Mir brauchst du nichts vorzumachen. Werner war ein Ekel auf zwei Beinen. Jetzt solltest du dir mal was Nettes gönnen.«

Was Nettes? Vivi wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Stumm sah sie zu, wie der Pfarrer eine Schaufel Erde auf den Sarg rieseln ließ. Zum Glück war Doktor Köhnemann so schwerhörig, dass er nichts von diesem reichlich frivolen Gespräch mitbekommen hatte.

»Jetzt sind Sie dran«, sagte er zu Vivi.

Sie schrak zusammen. Was meinte er bloß? Verhaftung? Witwenverbrennung? Oder sollte sie gleich zu Werner ins Grab springen?

»Ich meine, mit der Schaufel«, erklärte er. »Soll ich Sie stützen?«

»Das wäre mir eine große Hilfe«, hauchte sie. »Ohne Sie hätte ich das Ganze sowieso nicht durchgestanden.«

Und das war zur Abwechslung mal die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Das Bona fide war ein elegantes Restaurant in einem weitläufigen, gepflegten Park. Die Küche wurde ebenso gerühmt wie das edle Ambiente und der perfekte Service. Ein einziges Mal war Vivi heimlich mit Ela hierhergegangen, um sich kulinarische Anregungen zu holen. Werner hatte sich nämlich geweigert, »in so einem überteuerten Neppdings Geld zu verbrennen«, wie er es formulierte. Wenn er seine Frau überhaupt einmal ausgeführt hatte, dann in irgendwelche rustikalen Eckkneipen, wo man unförmige Jägerschnitzel mit Fertigsauce für eine Delikatesse hielt.

Heute wurde nach Vivis Regeln gespielt. Zufrieden betrachtete sie die festlich gedeckte Tafel mit den silbernen Kandelabern. Mattgrau gewischte Wände und dunkelgraue Seidengardinen bildeten einen aparten Kontrast zum lila Teppich. Beflissen huschten Ober mit langen weißen Kellnerschürzen umher.

Vivi staunte nicht schlecht über ihre Gäste, denn deren pietätvolle Zurückhaltung verwandelte sich schon während des Aperitifs in lärmende Schwatzhaftigkeit. Gerade noch Trauerstimmung und schon wieder im Feiermodus, dachte sie, das ging aber schnell.

Alle redeten aufgekratzt durcheinander. Sogar ihre vierundneunzigjährige Tante Elfriede, die eigens aus Koblenz angereist war, amüsierte sich prächtig. Sie saß neben Doktor Köhnemann, der Anekdoten aus seinem langen Arztleben zum Besten gab. Kegelbrüder, die sich kaum noch an Werner erinnerten, erzählten von seinen Heldentaten. An manchen Abschnitten des Tisches hörte man sogar Gelächter. Von Trauer keine Spur. Wie auch? Werner vermisste hier keiner. Im Gegenteil. Er hätte nur gestört.

Vivi residierte an der Stirnseite der Tafel. Rechts und links von ihr saßen Werners Kinder, so wie es sich gehörte, was bedeutete, dass sie sich die spitzen Kommentare von Inge-Gundula und die nervtötenden Fachsimpeleien von Hans-Peter anhören musste.

Werners Tochter Inge-Gundula war Ende zwanzig, eine früh verhärmte Buchhalterin in einem verfilzten schwarzen Wollkleid. Ihre Theorien über den Vorteil verschiedenfarbiger Heftklammern übten eine ausgesprochen einschläfernde Wirkung auf Vivi aus. Hans-Peter, ein früh vergreister Dreißiger, war übergewichtig wie sein Vater und hatte wie dieser eine Laufbahn als Steuerberater eingeschlagen. Gnadenlos langweilte er Vivi mit den neuesten Entwicklungen des Steuerrechts.

Sie aß stumm ihre Vorspeise, einen Salat aus Wildkräutern mit gerösteten Haselnüssen und gebratenen Wachtelbrüsten. Ab und zu sah sie zu Richard hinüber. So hieß Elas Bekannter. Er saß am anderen Ende der Tafel, doch sie konnte deutlich seine sonore Stimme hören, mit der er die Umsitzenden unterhielt. Es schien amüsant zu sein, was er erzählte. Immer wieder brach man dort in Lachen aus.

»Hörst du mir überhaupt zu?«

Die vorwurfsvolle Miene von Inge-Gundula war so erfreulich wie eine Darmspiegelung und appetitanregend wie Fußpilz.

»Verzeihung, ich bin noch ganz durcheinander«, zirpte Vivi. »Wo waren wir stehen geblieben?«

»Bei der erbärmlichen Bezahlung von Buchhaltern«, giftete Werners Tochter. »Ich denke doch, dass Vater uns großzügig in seinem Testament bedacht hat. Das hat er jedenfalls bei unserem letzten Telefonat angedeutet.« Sie musterte Vivi mit einem abschätzigen Blick. »Blut ist dicker als Saft. Du warst nur eine Episode.«

Eine Episode, die immerhin fast fünfzehn Jahre gedauert hatte. Vivi war außer sich. So also wurde sie gesehen? Wie eine nützliche Idiotin, die Werner den Rundum-Service geboten hatte? Und nun abserviert werden sollte?

Hans-Peter legte sein Besteck beiseite. »Tja, meine Liebe, man muss den Tatsachen ins Auge sehen. Wir Kinder kamen immer an erster Stelle, daran hat sich nie etwas geändert. Wann wird denn das Testament eröffnet? Meine Verpflichtungen erlauben es nicht, länger als bis zum Abend zu bleiben.«

Ihr gierigen Geier, grollte Vivi. Habt euren Vater nie besucht und wollt jetzt absahnen. Sie hob ihre Sonnenbrille an, die sie auch im Lokal aufbehalten hatte, und strich sich mit einer müden Geste über die Augen.

»Ach, herrje«, ächzte sie. »Müssen wir denn wirklich jetzt schon über solche Dinge sprechen?«

Sie hatte angenommen, dass diese feine Brut wenigstens das Kresseschaumsüppchen mit Garnelen, den Kalbsrücken an geschmortem Radicchio und das Champagnersorbet nebst frischen Feigen abwarten würde. Doch weit gefehlt.

»Ich muss wissen, was auf mich zukommt, zumal die Erbschaftssteuer empfindlich erhöht wurde«, erklärte Hans-Peter. Seine ölige Stimme erinnerte Vivi unangenehm an ihren verflossenen Gatten.

»Nun«, erwiderte sie, »wenn ihr darauf besteht, können wir gleich im Anschluss ans Essen zum Notar gehen. Ich werde ihn fragen, er ist hier. Entschuldigt ihr mich einen Augenblick?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, stand sie auf, steuerte jedoch zunächst die Toilette an. Im goldgerahmten Spiegel über dem Waschbecken begutachtete sie ihr blasses Gesicht. Sie nahm die Sonnenbrille ab, holte einen Lippenstift aus der Handtasche und tupfte ein wenig Rot auf ihre Lider. Vorsichtshalber. Nun sah sie aus, als hätte sie eine Woche lang durchgeheult.

Heute also war der Showdown. Danach würde sie erst einmal zwei Tage durchschlafen, denn die Beerdigungsvorbereitungen hatten ihre letzten Energien verschlungen. Es war ungewohnt, alles allein meistern zu müssen. Fünfzehn Jahre Ehe, das waren fünfzehn Jahre Bevormundung gewesen. Werner hatte immer alles geregelt. Sosehr sein plötzliches Verschwinden Vivi auch befreite – irgendwie fühlte sie sich schutzlos ohne ihn.

Als sie zurück ins Restaurant ging, kam Elas Begleiter ihr entgegen. Ausgerechnet Richard. Ob das Zufall war? Es sah nicht danach aus. Zielstrebig marschierte er auf sie zu und blieb mit ausgebreiteten Armen vor ihr stehen. Als wollte er sie an sich drücken wie einen Welpen, der sich verlaufen hatte. Und genau das tat er auch.

»Gnädige Frau, darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen?« Er deutete rechts und links Wangenküsschen an, wobei seine warmen Lippen wie absichtslos ihre Haut streiften. »Und darf ich Ihnen meine Bewunderung für Ihre untadelige Haltung zu Füßen legen?«

Vivi lächelte gezwungen. Die Umarmung und die flüchtige Berührung seiner Lippen hatten sie in einen Zustand versetzt, der nicht recht zu einer verzweifelt trauernden Witwe passte. Richard war ein Knaller, wie Ela gesagt hätte. Und so sexy, dass er ihr den Atem nahm.

»Verbindlichsten Dank«, murmelte sie. »Es freut mich sehr, dass meine Freundin Ela einen so sensiblen Bekannten hat.«

Es klang saudämlich, und das sollte es auch. Schließlich konnte sie ihm schlecht sagen, dass sie ihn am liebsten zwischen Salat und Suppe vernascht hätte. Aber war es nicht bekannt, dass ausgerechnet im Angesicht des Todes erotische Begierden aufflammten?

Er holte eine Visitenkarte aus der Innentasche seines Jacketts. Sie hatte einen zarten Fliederton. »Hier, nehmen Sie. Bestimmt brauchen Sie in der nächsten Zeit einen Gesprächspartner. Man sagt, ich sei ein guter Zuhörer.«

Nun kam auch noch Ela angestöckelt. Wie peinlich! Hastig steckte Vivi die Visitenkarte ein und stürzte auf ihre Freundin zu.

»Es ist alles so hoffnungslos«, rief sie.

Ungerührt löste sich Ela aus Vivis Umklammerung. »Das finde ich ganz und gar nicht. Ihr beiden solltet euch treffen. Ich glaube, ihr hättet euch eine Menge zu erzählen.«

Vivi schoss das Blut ins Gesicht, dann lief sie einfach davon. Sie fühlte sich schuldig. Hatte sie denn komplett den Verstand verloren, die Visitenkarte anzunehmen? Egal, wie dumpfbackig Werner gewesen war, sie würde sich eisern zurückhalten, was Männer betraf. Wie eine Nonne. Das war sie ihrem Gatten schuldig. Und ihrem Ruf.

Als sie zu Berthold Seitz ging, dem Rechtsanwalt, Notar und langjährigen Kegelbruder von Werner, hatte sie das Gefühl, auf Zuckerwatte zu laufen. Ob das am Wein lag oder an diesem verwirrend attraktiven Richard, war nicht mit Sicherheit zu sagen.

Berthold Seitz war ein rüstiger Herr Anfang sechzig, der sich ein paar schüttere Resthaare über die Halbglatze geklebt hatte. Wie immer war der Jurist die Würde in Person. Kein Stäubchen bedeckte seinen gut geschnittenen schwarzen Anzug, eine perlgraue Krawatte schimmerte mit seinem Siegelring um die Wette.

Er erhob sich und deutete einen Handkuss an, als Vivi ihn ansprach. Nun ja, unter Umständen sei er bereit, die Familie des teuren Verblichenen noch am selben Tag zur Testamentseröffnung zu empfangen, sagte er leicht herablassend. Falls sein wohlgefüllter Terminkalender es erlaube, fügte er blasiert hinzu.

Er zog ein Notizbuch mit einem Einband aus Krokoleder hervor und blätterte eine Weile darin. Schließlich klappte er das Notizbuch zu. Um vier Uhr, aber bitte pünktlich, seine Zeit sei kostbar. Vivi war alles recht. Hauptsache, sie brachte diese Dinge schnell hinter sich.

»Ich hoffe, es schmeckt Ihnen?«, fragte sie, weil sie sich immer für das leibliche Wohl ihrer Gäste verantwortlich fühlte, selbst hier, im Restaurant.

»Nun ja«, Berthold Seitz verzog den Mund. »Das Lokal entspricht in etwa meinem kulinarischen Niveau.«

Hallo? In welchem Universum lebt der denn?, dachte Vivi. Tafelt der sonst in Sterneschuppen, oder was?

»Auf den Genuss der Vorspeise musste ich jedoch verzichten, denn es waren Haselnüsse darin«, fuhr der Anwalt fort und hob leicht theatralisch die Hände. »Ich leide unter einer schweren Haselnussunverträglichkeit, ein allergischer Schock könnte mich töten!«

Vivi war perplex. »Wie furchtbar! Hätte ich das geahnt ...«

»Nun, darüber müssen Sie sich nicht Ihr hübsches Köpfchen zerbrechen«, versicherte Berthold Seitz. »Dank meiner Geistesgegenwart habe ich mich zurückgehalten.«

»Gott sei Dank«, seufzte Vivi. »Dann muss ich mir also keine Sorgen machen?«

Der Notar betrachtete sie leicht von oben herab. Er war bekannt für seine Arroganz, denn er bildete sich mächtig was darauf ein, Abkömmling einer ebenso alteingesessenen wie vermögenden Wiesbadener Familie zu sein. Da trug man die Nase eben etwas höher als Normalsterbliche.

»Durchaus nicht, meine Liebe. Also um vier, man sieht sich.«

Vivi nickte ihm zu, dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Platz. Komischer Kauz, dieser Seitz. Ziemlich abgehoben. Er war einer der ältesten Freunde von Werner gewesen. Fragte sich nur, wie belastbar diese Freundschaft war, wenn es um das Testament ging. Soweit Vivi wusste, war die Kumpanei mit Werner eher eine Zweckgemeinschaft gewesen, die Berthold Seitz eine Menge Steuern erspart hatte. Damit war es nun vorbei.

Bevor sie sich setzte, machte sie halt bei ihrer Tante Elfriede. Die alte Dame wirkte leicht exzentrisch mit ihren lilafarbenen Haaren und dem schwarzen Spitzenkleid, das mit mehreren Perlenketten behängt war. Sie hatte rote Bäckchen vor Aufregung.

»Danke für die Einladung, mein Kind«, sagte sie und tätschelte Vivis Wange. »Sehr bedauerlich, Werners Tod – auch wenn er mir, wie du weißt, nie sonderlich sympathisch war. Aber du wirst darüber hinwegkommen. Schau mich an: Ich habe vier Männer überlebt und bin erst mit dem fünften glücklich geworden. Auch auf dich wartet das Glück. Du musst es nur beim Schopfe packen.«

Vivi fragte sich zum ersten Mal, ob Tante Elfriedes Männer wohl alle eines natürlichen Todes gestorben waren. Selbst jetzt, mit vierundneunzig, sah sie aus, als hätte sie es faustdick hinter den Ohren.

»Geht es dir gut?«, fragte Vivi.

Ihre Tante lächelte wehmütig. »Du weißt ja, in meinem Alter hat man nicht mehr viel Abwechslung. Besuch mich doch einmal, wenn du Lust hast. Koblenz ist nur einen Katzensprung entfernt.«

»Mach ich, ganz bald«, versprach Vivi.

Tante Elfriede war immer ihre Lieblingstante gewesen. Werner hatte sie nicht gemocht, und so war der Kontakt über die Jahre fast eingeschlafen. Das würde sich jetzt ändern, beschloss Vivi. Wie so vieles, was sie längst schon hätte ändern sollen.

»Und?«, empfing sie Hans-Peter am Kopfende des Tisches, der sich inzwischen seine Serviette in den Kragen des Oberhemds gestopft hatte. Schlürfend löffelte er das Kresseschaumsüppchen in sich hinein.

Vivi schlug die Augen nieder, um nicht in Versuchung zu kommen, zum anderen Ende des Tisches zu schielen. Dahin, wo Richard wieder Platz genommen hatte.

Sie nahm ihre Brille ab. »Der Testamentseröffnung steht nichts entgegen«, sagte sie matt. »Um vier.«

Dann widmete sie sich der Suppe. Die Garnelen waren köstlich, sie harmonierten bestens mit dem zarten Kressearoma. Vivi beschloss, dieses Gericht in ihr Repertoire aufzunehmen. Aber für wen sollte sie eigentlich kochen, jetzt, da Werner tot war?

»Werte Familie Bernburg, wir haben uns aus traurigem Anlass versammelt, um die Erbschaftsangelegenheiten in Sachen Werner Karl Horst Bernburg zu regeln«, verkündete Berthold Seitz.

Sein Büro atmete die gediegene Atmosphäre schwerer Bücherregale aus Palisanderholz. Wandlampen aus Messing und Stühle mit Sitzflächen aus rotem Leder vervollständigten den Eindruck größter Seriosität.

»Schön, dass Sie so kurzfristig einen Termin ermöglichen konnten«, sagte Hans-Peter. Aufgeregt fingerte er an seinen Manschettenknöpfen herum. »Vermutlich wird alles schnell vorbei sein, oder?«

»Nun, eine Testamentseröffnung folgt gewissen Regeln«, antwortete Berthold Seitz ungehalten. Er warf einen vernichtenden Blick auf Hans-Peters schlecht sitzenden Anzug, dann deutete er ein Lächeln in Vivis Richtung an. »Zunächst bitte ich um die Ausweispapiere. Beginnen wir mit Ihnen. Sie sind also Sylvia Maria Gerlinde Bernburg?«

»Höchstpersönlich«, antwortete Vivi und reichte ihm ihren Ausweis.

»Muss das sein?« Inge-Gundula hielt es kaum auf ihrem Stuhl. Wie eine Dreijährige rutschte sie hin und her und kratzte sich aufgeregt am Schienbein. Ein Aroma von Imbissbude und schlechter Laune ging von ihrem struppigen Strickkleid aus, während ihr Bruder penetrant nach Rasierwasser aus dem Schnäppchenmarkt duftete.

Der Gesichtsausdruck des Anwalts wurde noch etwas strenger. »Das sind mehr als Petitessen. Ich lege größten Wert auf Korrektheit, das erfordert schon meine Berufsehre.«

Nachdem die Formalitäten erledigt waren, setzte er sich sehr gerade hin. Mit abgezirkelten Bewegungen holte er seine randlose Brille aus einem Futteral, putzte sie eine Weile und setzte sie schließlich auf. Inge-Gundula platzte fast. Ein eisiger Blick von Hans-Peter genügte, um sie vorerst ruhigzustellen.

»Werner Bernburg war ein ganz besonderer Mensch«, erklärte Berthold Seitz. »Er wird mir immer in allerbester Erinnerung bleiben. Als guter Kamerad. Als fröhlicher Kegelbruder. Als ...«, seine Stimme brach fast, »Freund.«

Hans-Peter sah auf seine Armbanduhr. »Äh, wenn wir dann zur Sache kommen könnten ...«

Berthold Seitz räusperte sich. »Ich muss doch sehr um die Einhaltung der juristischen und nicht zuletzt auch der gesellschaftlichen Konventionen bitten. Zumal Sie es hier mit Ihrem verstorbenen Herrn Vater zu tun haben. Er hat mit sehr viel Liebe von seinen Kindern gesprochen, mit sehr viel Stolz.«

»Ja, das hat er«, bestätigte Vivi seufzend. »Es sind ja auch wahre Prachtexemplare. Und ihrem Vater so ähnlich.«

Das stimmte sogar. Sie waren genauso geldgierig, genauso geizig und genauso rücksichtslos wie Werner. Wegen dieser beiden hatte sie keine eigenen Kinder haben dürfen. Das war eine Wunde, die nie heilen würde.

»Bestimmt hat er uns nicht vergessen in seinem Testament«, krähte Inge-Gundula, die unverwandt zu dem großen weißen Umschlag starrte, der auf dem Schreibtisch lag.

Darin befand sich das Testament. Vivi hatte es in den frühen Morgenstunden auf Werners Computer getippt. Seine Unterschrift zu fälschen war eine Kleinigkeit gewesen. Gleich nach dem Frühstück hatte sie es Berthold Seitz gebracht, mit der Bitte um absolute Diskretion. Sie freute sich schon auf die Gesichter der Aasgeier, wenn der Notar ihnen eröffnete, dass Werner Karl Horst Bernburg die gesamte Hinterlassenschaft seiner über alles geliebten Frau vermacht hatte.

Mit monotoner Stimme verlas Berthold Seitz nun das Dokument. Je länger er las, desto blasser wurde Inge-Gundula. Hans-Peter dagegen lief puterrot an, als er erfuhr, dass er den verpupsten Ohrensessel erben würde und seine Schwester die scheußlichen Ölgemälde. Sonst nichts.

»Verehrte Frau Bernburg«, schloss der Notar, »abgesehen von den persönlichen Erinnerungsstücken, die Ihr Gatte seinen Kindern zugedacht hat, sind Sie damit Alleinerbin des Reihenhauses sowie des Barvermögens. Das mag Ihnen im Moment unwichtig erscheinen angesichts des unwiederbringlichen Verlustes, den das Hinscheiden Ihres Ehemanns bedeutet. Doch seien Sie gewiss: Ihre Existenz ist damit gesichert.«

»Nein!«, kreischte Inge-Gundula. Mit ihrem mageren Zeigefinger stach sie in Vivis Richtung. »Du Hexe! Wie hast du ihn dazu gebracht?«

»Das wird ein juristisches Nachspiel haben«, erklärte Hans-Peter hasserfüllt. »Ein sehr unerfreuliches Nachspiel.«

Berthold Seitz faltete das Testament zusammen. »Dies ist der Letzte Wille Ihres Herrn Vaters, den es zu respektieren gilt.«

»Ich respektiere ihn«, hauchte Vivi. »Werners Wunsch ist mir Befehl, auch über den Tod hinaus.«

Kapitel drei

Die Beerdigung war schon zwei Wochen her, aber Vivi war weit davon entfernt, ihre neue Freiheit zu genießen. Manchmal schreckte sie abends auf, weil sie dachte, dass Werner gleich nach Hause käme. Dann wieder brütete sie stundenlang vor sich hin, ob sie seinen Tod hätte verhindern können.

Nachts plagten sie Alpträume. Dann erschien Werner in seiner verfusselten Strickweste und jagte ihr einen Schrecken nach dem anderen ein. Ganze Salven von Schuldgefühlen feuerte ihr Unterbewusstsein auf sie ab und erfand immer neue, perfide ausgeklügelte Horrorfilme. Wenn sie dann schweißgebadet hochschreckte, weinte sie sich erst nach Stunden in den Schlaf und wachte am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen auf.

Erschwerend kam hinzu, dass sie unter permanenter Beobachtung stand. Seit der Trauerfeier klingelten dauernd unangemeldete Gäste an der Tür, um ihr einen Beileidsbesuch abzustatten. Unablässig kochte sie Kaffee, servierte Schnittchen und ließ jede Menge verlogener Geschichten über Werner über sich ergehen. Er genoss mittlerweile den Ruf eines Heiligen. Vermutlich würde man ihr demnächst erzählen, dass er über Baggerseen gelaufen war und Wasser in Wein verwandelt hatte.

Stoisch nahm sie alles hin. Die Rolle der untröstlichen Witwe war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Niemand zweifelte daran, dass sie einen schweren Schicksalsschlag erlitten hatte, von dem sie sich nur langsam erholen würde, wenn überhaupt. Niemand ahnte, was Werner wirklich mit Anlauf ins Jenseits gekickt hatte.

Vivi war auf der sicheren Seite. Dennoch fühlte sie sich wie ein Vogel, der aus dem Nest gefallen war. Sie hatte keinerlei Erfahrung mit dem Alleinleben, dafür hatte sie zu früh geheiratet. Auf Werners Schreibtisch stapelten sich Briefe von Versicherungen, Anwälten und Banken. Das meiste schickte Vivi ungeöffnet an Berthold Seitz weiter. Sie war schlicht überfordert.

Einmal in der Woche besuchte sie den Notar, der Vivi in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt auch in dem Prozess vertrat, den Hans-Peter inzwischen losgetreten hatte. Beklommen stellte sie fest, dass der reichlich arrogante Jurist ein Auge auf sie geworfen hatte. Nie verließ sie die Kanzlei, ohne dass er ihr ein Glas Sherry aufgedrängt hätte. Die Gespräche mit ihm dauerten länger und länger, und je ausgiebiger Berthold Seitz ihr die Rechtslage erläuterte, desto weniger verstand Vivi. Sie begriff nur, dass er weit mehr als ein professionelles Interesse an ihr hatte, dem sie betont kühl begegnete.

Durch diese Besuche wurde ihr allerdings klar, dass sie keinen Schimmer von der Realität hatte. Das machte ihr Angst. Anfangs hatte sie gedacht, ein Leben ohne Mann sei wie ein Hochseilakt ohne Netz. Jetzt stellte sie fest, dass es nicht einmal ein Seil gab. Ihre einzige Strategie bestand darin, sich zu verbarrikadieren. Sämtlichen Freunden, Verwandten und Bekannten schickte sie vorgedruckte Karten mit der Bitte, von weiteren Beileidsbesuchen freundlichst abzusehen. Telefonate beschränkte sie auf ein Minimum. Nur mit Ela sprach sie von Zeit zu Zeit.

Immerhin hatte Vivi sich nach und nach die Umgestaltung des Reihenhauses erlaubt. Statt der durchgesessenen braunen Couch stand mittlerweile ein lachsfarbenes Ledersofa mit passenden Sesseln im Wohnzimmer. Die Ölgemälde hatte sie Inge-Gundula schicken lassen und durch duftige Blumenaquarelle ersetzt. Auch das Ehebett war rausgeflogen. Jetzt stand im Schlafzimmer ein Himmelbett, das einer Prinzessin würdig gewesen wäre. Na ja, eher einer Barbiepuppe. Aber genau das war immer Vivis Traum gewesen: ein rosa Bett mit einer halbmeterhohen Matratze, rosa Bettwäsche, einem geblümten Vorhang und mindestens zwanzig kleinen Kissen aus rosa Satin.

Und schließlich hatte sie sich einen männlichen Mitbewohner ins Haus geholt. Er hieß Tiger, stammte aus dem städtischen Tierheim und war ein kastrierter Kater mit schwarzgraugetigertem Fell. Tiger schien heilfroh zu sein, ein Frauchen mit Zärtlichkeitsbedarf erwischt zu haben. Schnurrend schmiegte er sich an Vivi, wenn sie sich auf die Couch setzte, maunzend strich er um ihre Beine, wenn sie kochte – wobei er Vivis selbstgemachte Thunfischmousse bevorzugte –, und sobald sie ins Bett ging, rollte er sich neben ihr zusammen.

Das Tier tröstete Vivi über manche Stimmungsschwankung hinweg, auch wenn Tiger gleich am ersten Tag eine Gardine zerfetzt hatte und ihre Nerven mit halsbrecherischen Akrobatikeinlagen um ihre besten Blumenvasen herum auf die Probe stellte. Doch wenn sie sein weiches Fell streichelte, fühlte sie sich nicht ganz so allein. Sie wollte für jemanden da sein, ein fühlendes Wesen um sich haben. Mit Tiger verstand sie sich ohne Worte. Er schien es bislang nicht besonders gut gehabt zu haben, schreckhaft, wie er war. Schon beim kleinsten Geräusch stob er davon und versteckte sich. Ein Grund mehr, ihn nach Strich und Faden zu verwöhnen.

Das war’s dann aber auch an Neuerungen. Vivi hatte keinen Plan. Ihre Zukunft war ein einziges großes Fragezeichen. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass sie langsam, aber sicher in ein tiefes, schwarzes Loch kippte.

Zum Zufluchtsort wurde ihre Küche. Kochen war im Grunde das Einzige, was sie am Leben erhielt, obwohl es überhaupt keinen Spaß machte, nur für sich selbst zu brutzeln und dann mutterseelenallein am Esstisch zu sitzen. Da half es auch nichts, dass Tiger artig auf einem Stuhl Platz nahm und seine Milch vom Teller leckte, während sie ihr Essen in sich hineingabelte. Zwar hatte Berthold Seitz sie schon mehrfach überreden wollen, gemeinsam mit ihm auszugehen, doch sie weigerte sich standhaft.

»Allein, allein  – allein, allein«, summte sie manchmal vor sich hin. Mit der Männerwelt hatte sie vorerst abgeschlossen.

Der einzige Ausflug, den sie sich gestattete, war der versprochene Besuch bei ihrer Tante Elfriede. Zwei Tage verbrachte sie in Koblenz, im stillen Haus ihrer Tante, in dem die meisten Möbel mit Tüchern verhängt waren und wo es penetrant nach Mottenpulver roch. Den größten Teil der Zeit hielten sie sich im Wohnzimmer auf, das Tante Elfriede »Salon« nannte, und stöberten in alten Fotoalben. Nicht weniger als fünf Hochzeitsfotos befanden sich darin.

»Ja, fünfmal habe ich mir einen Ring anstecken lassen, und erst beim fünften Mal war es der Richtige«, seufzte Tante Elfriede.

Vivi nahm einen Schluck vom Holunderblütensekt, den ihre Tante zum Mandelgebäck auf den Tisch gestellt hatte. »Und was hast du mit den anderen vier gemacht?«

Die alte Dame lächelte unergründlich. »Manche gehen von selber, und wenn sie es nicht tun, muss man eben ein bisschen nachhelfen.«

»Tante Elfriede!« Vivi richtete sich kerzengerade auf. Hatte sie richtig gehört?

»Kein Grund zur Aufregung«, beschwichtigte Tante Elfriede ihre Nichte. »Ich gehöre einer Generation an, für die Emanzipation – so sagt man doch? – ein Fremdwort war. Aber man hat ja immer noch die Waffen einer Frau.«

Verständnislos sah Vivi sie an. »Was soll das denn heißen?«

»Mein Kind, mir ist nicht entgangen, dass deine Ehe mit Werner nicht sonderlich glücklich war. Auch zu mir war er mehr als abweisend. Was immer du getan hast – du hast das Richtige getan.«

»Ich habe gar nichts getan!«, protestierte Vivi. Stimmte ja auch. »Aber, Moment mal, was meintest du vorhin, mit ›nachhelfen‹?«

Das Lächeln der alten Dame erstarb. »Sei auf der Hut, meine Kleine. Sonst nehmen dir die Männer erst die Butter vom Brot und essen dann den Rest auf.« Mehr verriet sie nicht.

Als Vivi wieder abfuhr, stand Tante Elfriede winkend vor ihrem Haus und wirkte plötzlich sehr, sehr einsam. So wirst du auch enden, dachte Vivi, während sie im Rückspiegel einen letzten Blick auf ihre Tante warf. Du wirst als einsame alte Frau sterben, und du hast es nicht besser verdient, nach allem, was passiert ist.

Am folgenden Nachmittag pürierte Vivi gerade ein Forellenfilet für ihre berühmte Fischpastete, als ihr Handy klingelte. Bis sie es endlich aus ihrer Handtasche herausgeangelt hatte, war es verstummt. Dafür fiel eine fliederfarbene Visitenkarte aus der Tasche. Richard von Hardenberg, las Vivi, Unternehmensberater. Sie drehte die Visitenkarte in ihren Händen hin und her. Der zarte Fliederton war ziemlich ungewöhnlich  – so wie der Mann, der ihr die Karte überreicht hatte. Heldenhaft warf sie das Ding in den Abfalleimer. Eine Affäre konnte sie sich nicht leisten.

Eine Stunde, zwei Portionen Forellenpastete und drei Gläser Weißwein später wühlte sie die Visitenkarte wieder aus dem Müll heraus. Vorsichtig entknitterte sie das Stückchen Pappe.

»Richard von Hardenberg«, las sie flüsternd. »Richard.«