Ich passe nicht in diese Welt - Christel Petitcollin - E-Book

Ich passe nicht in diese Welt E-Book

Christel Petitcollin

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  • Herausgeber: Arkana
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Wie Menschen, die zu viel denken, schwierige Situationen im Alltag und Job mühelos meistern

Gelungenes Miteinander statt sozialer Burn-out – das unverzichtbare Kommunikations-Coaching für mental hocheffiziente Menschen von der Autorin des Erfolgsbuchs: »Ich denke zu viel«.

Menschen, die zu viel denken und grübeln, stehen sich oft selbst im Weg, verheddern sich in ihren Gedankenschleifen und stoßen in ihrem Umfeld auf Unverständnis. Dabei besitzen gerade diese hochsensiblen Grüblernaturen enorme Fähigkeiten: ob den Sinn fürs Detail, ein überragendes Vermögen der Mustererkennung oder die Begabung zu einzigartigen kreativen Lösungen. Die Kehrseite dieser Disposition: Sie empfinden es als herausfordernd, wenn im sozialen Miteinander Small Talk oder Dresscodes gefragt sind. So gelten sie denn auch bei ihren Mitmenschen als schwierig, überernst und prätentiös. Umgekehrt haben sie oft das Gefühl, als ob sie einfach nicht in diese Welt passten. Hier schafft Christel Petitcollin mit ihrem Verständigungs-Guide Abhilfe, indem sie eine Brücke zwischen den Welten der »Normdenker« baut und jenen, die zu viel denken: Durch anschauliche Fallgeschichten, ermutigende Leitsätze und gezielte Techniken hilft sie den Betroffenen, die eigene Kommunikation in konstruktive Bahnen zu lenken. So entsteht ein wertschätzendes Zusammengehörigkeitsgefühl mit anderen, ohne sich verstellen oder verstecken zu müssen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 291

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CHRISTEL PETITCOLLIN

Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl

Die französische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »J’ai pas les codes! – Comprendre enfin le monde qui nous entoure« bei Éditions Albin Michel, Paris.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Die hier vorgestellten Informationen sind nach bestem Wissen und Gewissen geprüft. Dennoch übernehmen Autor und Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich direkt oder indirekt aus dem Gebrauch dieser Informationen, Tipps, Rezepte, Ratschläge oder Übungen ergeben. Im Zweifelsfall holen Sie sich bitte ärztlichen Rat ein.

Deutsche Erstausgabe

© 2022 Arkana, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Originalausgabe Copyright © Éditions Albin Michel – Paris 2021

Lektorat: Dr. Pascal Frank

Umschlaggestaltung: ki 36 Editorial Design, München, Bettina Stickel

Umschlagmotiv-Illustration: © Bettina Stickel / ki 36

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29538-7V001www.arkana-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Einführung

1. Die Segnungen des Small Talk

Man vermeidet Streit

Man vermiest niemandem die Stimmung

Man entgeht der emotionalen Ansteckung

Wir haben alle unsere Probleme

Man verliebt sich nicht mal eben so

Klatsch und Tratsch als soziales Schmiermittel

»Müßige« Gespräche aus Sicht der Transaktionsanalyse

2. Sind Probleme wirklich dafür da, um gelöst zu werden?

Zen im Mahlstrom der Probleme

Probleme liefern reichlich Gesprächsstoff

Akute Meetingitis

Machtspiele

Die Kunst, Probleme nicht zu lösen

3. Der Homo sapiens und sein Riesenhirn

Der Homo sapiens: vernunftbegabtes Wesen oder intelligenter Primat?

Die kognitive Revolution und ihre Folgen

Eine virtuelle Welt jenseits aller Vorstellungskraft

4. Existenzielle Ängste

Held oder Herdentier

Die Angst vor dem Tod

Die Angst vor der Einsamkeit

Die Angst vor der Freiheit

Das Bedürfnis nach Sinn

5. Geschichten erzählen

Ich bin die Geschichten, die ich mir erzähle

Das kollektive Narrativ

6. Gruppenzusammenhalt um jeden Preis

Das Reich als einende Kraft

Die Bedeutung der Pose verstehen

Die stillschweigende Übereinkunft

Die Normkrankheit

7. Die Zu-viel-Denker und ihr Freestyle

Die Gefahren außerhalb der Pisten

Rahmen und Codes nach Maß

Wie man seinen Rahmen absteckt

Intime Beziehungen und andere

Alle Fragen rund um den Flirt

8. Wie der Normdenker die Hocheffizienten sieht

Hocheffizienz als Geisteskrankheit

Sie wollen unbedingt im Mittelpunkt stehen

Sie wollen mit geringen Mitteln Eindruck schinden

Sie sind durchweg Aufwiegler

Der laminare Hochbegabte – einfach perfekt!

Der Zerrspiegel

Der ein oder andere Misston …

Schweigen lernen

Schlusswort

Anhang

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Sachregister

Vorwort

Liebe Leser,

vor einiger Zeit hatte ich Sie um Mitarbeit gebeten und zu diesem Zweck folgenden Aufruf in den sozialen Medien gepostet:

»Liebe Leser, für meine nächste Studie benötige ich Ihre Mithilfe. Angenommen, es gäbe jemanden, der Ihnen erklären kann, wie die Welt der Normaldenker funktioniert. Welche Fragen würden Sie dieser Person stellen? Bitte antworten Sie mir mit der Privatnachrichtenfunktion.«

Das Echo war groß, und Ihre Antworten waren höchst aufschlussreich. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen. Und ich hoffe, dass dieses Buch Ihre Erwartungen erfüllt, dass es Ihre Fragen beantwortet und Sie vielleicht sogar auf überraschendes Neuland begleitet.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Lektüre.

Nachricht an die »Rosinenpicker« unter meinen Lesern

Dieses Buch ist so strukturiert, dass die einzelnen Kapitel logisch aufeinander aufbauen. Dies ermöglicht Ihnen, die dort vorgestellten Informationen problemlos miteinander zu verbinden und zu verinnerlichen. So können Sie sich die jeweiligen Zusammenhänge ebenso einfach wie gründlich bewusst machen. Daher empfiehlt es sich, die Kapitel in der Reihenfolge zu lesen, wie ich sie geschrieben habe.

Einführung

»Ich stoße mitunter auf so viel Unverständnis vonseiten meiner Mitmenschen, dass mich ein schrecklicher Zweifel plagt: Stamme ich wirklich von diesem Planeten? Und wenn ja: Heißt das nicht, dass die anderen von wer weiß woher kommen?«1

Pierre Desproges, französischer Satiriker

Es sind mittlerweile gut 15 Jahre, dass ich während meiner Coachingsitzungen immer wieder Klienten klagen höre, sie würden »einfach zu viel denken«. Die Betreffenden hatten vieles gemeinsam: Sie waren hypersensibel, kreativ, nonkonformistisch und in sozialen Beziehungen eher ungeschickt. Sie empfanden sich als empathisch, wohlwollend und liebevoll, wurden aber von ihrer Umwelt eher als zu gefühlig, ja aufdringlich und provokant wahrgenommen. Sie galten sozusagen als »Glücksbärchis«. Ihre Freundlichkeit wurde für Dummheit gehalten, ihre Hochsensibilität für Schwäche. Als ich mir allmählich ihr Profil erarbeitete, habe ich bewusst darauf verzichtet, Begriffe wie »hochbegabt« oder »Überflieger« zu verwenden, wie sie in der einschlägigen Literatur mittlerweile gängig sind. Irgendwie wurden sie immer mit einer Art »überlegener Intelligenz« in Verbindung gebracht. Meine Klienten fanden sich in diesen Begriffen ebenfalls nicht wieder.

Intelligenz ist nur ein Aspekt dieses speziellen Profils, das, wie sich mehr und mehr herausstellt, einfach durch bestimmte neurologische Besonderheiten charakterisiert ist: eine Verknüpfung von Hyperästhesie2 und komplex organisiertem Denken, das sich immer weiter und weiter verästelt. Glücklicherweise hat sich in Kanada eine Neurodiversitätsbewegung herausgebildet, die die Begriffe »neurotypisch« und »neuroatypisch« geprägt hat. Ich hoffe sehr, dass sich diese Begrifflichkeit weiter durchsetzen und Vokabeln wie »hochbegabt« ersetzen wird. Denn was wäre denn das Gegenstück dazu: »niedrigbegabt«?

Um diese Problematik, die sich indirekt mit dem Begriff »Hochbegabung« stellt, gar nicht erst aufkommen zu lassen, habe ich Begriffe geprägt wie »mental hocheffizient« und »Normdenker« und werde sie weiterhin benutzen. In meinen Augen ist damit keinerlei Werturteil verbunden. »Mental hocheffizient« heißt einfach nur, dass es unter Ihrer Schädeldecke ganz schön brodelt. Und der »Normdenker« denkt einfach nur so, wie es üblich ist. Die mental Hocheffizienten werden nie zu dieser Kategorie gehören. Sie stoßen hier ständig an Grenzen.

Alle mental Hocheffizienten klagen, dass sie die sozialen Codes nicht verstehen, nie begreifen, was implizit mitgemeint ist. In ihren Beziehungen zu anderen Menschen erleben sie immer wieder Unbehagen, Scham und Missverständnisse, die sie nicht einordnen können. Sie merken, wenn sie ins Fettnäpfchen treten, wenn sie Anstoß erregen oder andere zur Verzweiflung treiben … Das ist sowohl anstrengend als auch entmutigend.

Als ich meine Idee erwähnte, ein Handbuch über die Codes der Normdenker zu schreiben, haben viele meiner Klienten mich beinahe angefleht, mich bald an die Arbeit zu machen. Und als sich meine Gedanken dazu immer klarer herauskristallisierten, leuchteten ihre Augen, wenn ich sie ihnen vorstellte. Immer wieder hörte ich: »Ach, ich bin schon so gespannt, wie es weitergeht.« Es ist einmal mehr Ihre Begeisterung, die mich motiviert hat, wieder zur Feder zu greifen.

Bei meiner Arbeit an Ich denke zu viel hatte ich die Vorstellung, eine einfache Gebrauchsanweisung für dieses komplexe und brodelnde Gehirn zu schreiben, die sowohl den Betroffenen als auch ihrem Umfeld zugutekommen sollte. Ich habe also gleichermaßen für die Hocheffizienten geschrieben wie für die Normdenker. Ich glaubte, dass alle sich freuen würden, eine einfache und rationale Erklärung für diese atypische Funktionsweise zu bekommen. Naiv wie ich war, glaubte ich, dass die Neurotypiker begeistert wären, wenn sie diese merkwürdigen und emotionalen Typen endlich in ihrer Eigenart verstehen und mit ihnen ein partnerschaftliches Verhältnis eingehen könnten. Ich wurde schnell eines Besseren belehrt.

Schon wenige Tage nach Erscheinen des Buches erhielt ich eine Nachricht, die mir zeigte, dass dem nicht so war. Ein Leser berichtete mir, wie empört ein paar Normdenker waren, als er das Thema anschnitt. Und diese Reaktion wiederholte sich. Viele Leser haben das Buch ihren Partnern oder Eltern geschenkt, um sich besser verständlich zu machen. Vergeblich. Das Buch schlummerte bald unter einer dicken Staubschicht auf dem Nachttisch. Und wenn unsere Zu-viel-Denker nachhakten: »Na, hast du es denn jetzt gelesen?«, war die Antwort nur ein Schulterzucken und ein eiliger Themenwechsel.

Nur wenige Normdenker haben Ich denke zu viel gelesen. Und wenn sie es getan haben, dann nur aus Liebe zu ihrem Kind oder ihrem Partner. Aber sie haben verstanden, dass dieses merkwürdige Wesen an ihrer Seite nicht absichtlich hypersensibel, emotional, ängstlich, verpeilt etc. war. Vor allem aber haben sie verstanden, dass ein mental Hocheffizienter nicht einfach seine Natur ändern kann. Heraus kam, was ich mir gewünscht hatte: mehr Verständnis, mehr gegenseitige Akzeptanz, die die Bindung ebenso stärkt wie den Zusammenhalt und die Liebe, die man sich entgegenbringt. Viele Paare erlebten sogar ein Wiederaufflammen ihrer Gefühle. Zum Beispiel die beiden, die seit mehr als 30 Jahren zusammen waren, wobei diese Zeit aber durch wechselseitiges Unverständnis und hitzige Debatten geprägt gewesen war. Nun ergänzen sie einander, und das ist sehr schön! Diese wenn auch seltenen Zeugnisse zeigten mir, dass das Buch durchaus den Effekt haben konnte, den ich mir erhofft hatte.

Ich hatte irrtümlicherweise angenommen, dass es auch den Normdenkern ein Anliegen wäre, die Atypischen zu verstehen. Diesen Irrtum teilen viele Hocheffiziente. Sie träumen davon, von den Neurotypikern endlich verstanden zu werden. Im Großteil der Fälle bleibt die Hoffnung vergeblich. Sie bringen eine enorme Energie auf, um anderen zu erklären, wie sie »ticken«, nur um am Ende zu hören: »Aber das Buch ist doch nur eine einzige Marketingmasche. Da steht einfach nur drin, was du hören willst. In diesen Beschreibungen erkennt sich doch jeder wieder.« Was nicht stimmt, aber jedes Gespräch zuverlässig abwürgt. Und den Menschen, der zu viel grübelt, einmal mehr in Selbstzweifel stürzt, weil er nicht mehr weiß, was er nun glauben soll oder nicht.

Das spricht auch aus der E-Mail von Simon:

Guten Tag,

Ihr Buch Ich denke zu viel hat mir sehr geholfen, meine Probleme besser zu verstehen. Vielen Dank für Ihren positiven Ansatz. Ich möchte Sie nur um einen Gefallen bitten: Ich wäre begeistert, wenn ich meinen Bekannten ebendieses Buch schenken könnte, nur aus der Perspektive der »Normdenker« geschrieben. Zum Beispiel: »Der Mensch an Ihrer Seite denkt zu viel.« Natürlich müsste der Inhalt für diese Menschen verständlich sein, aber ich bin sicher, dass Sie das schaffen. (Wichtig wäre, dass sie das Buch nicht schon auf Seite zwei wieder weglegen.) In der Hoffnung, dass ich Sie mit meinem »Brief an den Weihnachtsmann« nicht allzu sehr genervt habe. Immer noch herzlichen Dank und alles Gute für die Zukunft.

Simon

In Simons E-Mail fand ich viele Themen wieder, die auch Sie und andere Leser mir gegenüber bereits angesprochen hatten:

den Wunsch, dass die anderen Sie endlich verstehen mögen; das Gefühl, dass die Normdenker sich vermutlich nicht aktiv um ein Verständnis bemühen werden; das Bewusstsein, dass sie das Buch möglicherweise »schon auf Seite zwei weglegen« könnten; die ein wenig blauäugige Vorstellung, dass es reicht, die Normdenker mit all den nötigen Informationen zu versorgen, und vor allem die intuitive Einsicht, dass diese Hoffnung so utopisch ist wie ein Geschenk vom Weihnachtsmann.

Meine Antwort an Simon ist letztlich für Sie alle gedacht:

Lieber Simon,

herzlichen Dank für Ihre E-Mail. Ihr Brief an den Weihnachtsmann ist also Ausdruck der Hoffnung, dass die Normdenker daran interessiert sein könnten, mental hocheffiziente Menschen zu verstehen! Sie befürchten, dass die Normdenker das Buch nicht schon auf Seite zwei weglegen, sondern es gar nicht erst aufschlagen. Weil ihre Devise lautet: »Der Mensch muss sich an die Gesellschaft anpassen, nicht die Gesellschaft an das Individuum. Tritt zurück ins Glied, und alles wird gut.«

Aus ebendiesem Grund schreibe ich nun ein Buch, das den Zu-viel-Denkern die Werte und die Funktionen der Welt der Normdenker erklärt, und nicht umgekehrt. Bestimmt kennen Sie Sätze wie diese: »Ich blicke da nicht durch.« Oder: »Ich tappe dauernd ins Fettnäpfchen.« Ich muss immer wieder schmunzeln, während ich daran arbeite. Ich weiß nicht, ob dieses Buch den Hocheffizienten Freude macht, aber ich bin sicher, dass es ihnen nützen wird.

In den letzten Jahren habe ich Ihnen mithilfe meiner Bücher meine Gedanken und meine Entdeckungen, wie ich sie Schritt für Schritt gemacht habe, offenbart. Als Aufklärerin und Forscherin, als große Schwester, die Ihnen auf dem Weg zum Verständnis ein Stückchen voranging, während ich meine Informationen an Sie weitergab. Sie haben also schon in meinem ersten Buch Tipps gefunden, wie Sie die Welt der Normdenker besser begreifen können.

Da ich immer wieder die Erfahrung gemacht habe, dass Sie unglaubliche Zusammenhänge entdecken, wenn Sie erst die nötigen Informationen besitzen, dachte ich, dies würde Ihnen genügen, um sich besser anpassen zu können, vor allem in der Arbeitswelt. Ich glaubte, dass meine Leser ihr Anderssein verstehen und so künftig vermeiden könnten, immer wieder anzuecken.

Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass das so nicht stimmt. Auch für Sie ist es nicht leicht, die Welt der anderen zu begreifen. Schließlich sind die hochsensiblen Grüblernaturen auf ihre Weise ebenfalls Gefangene ihrer Mentalität. So wie die Normdenker auf der anderen Seite. Und sie begehen den gleichen Fehler: Sie wenden ihre Kriterien auf eine Menschengruppe an, die nach einem völlig anderen Paradigma denkt, funktioniert und handelt.

Heute sehe ich die ganze Sache so: Bücher, die versuchen, den Normdenkern die Welt der Neuroatypischen nahezubringen, sind mittlerweile Legion, haben aber kaum etwas bewirkt. Nur in Schule und Unternehmen gibt es leichte Verbesserungen. Ich bin hier vorsichtig und warte lieber noch ab: Haben die Unternehmen wirklich den Wunsch, Diversität zu fördern, oder ist dies nur eine andere Darstellung nach außen, um diesen Eindruck zu erwecken? Das wird uns die Zukunft zeigen.

Aber ist es denn wirklich Aufgabe der Neurotypiker, Sie zu verstehen? Simons Frage und die Literatur zum Thema unterstreichen das immer wieder: den Atypiker begreifen, den Hochbegabten, den Hypersensiblen etc. Beim Neurolinguistischen Programmieren heißt es: »Wenn das, was Sie tun, nicht klappt, machen Sie etwas anderes.« Weiter Dinge zu tun, die nicht funktionieren, wäre in der Tat idiotisch.

Also habe ich die folgende Überlegung angestellt: Diejenigen, die am meisten unter mangelndem Verständnis auf beiden Seiten leiden, sind ganz klar die Zu-viel-Grübler, die außerdem noch in der Minderheit sind. Daher obliegt es einmal mehr ihnen, nach Verständnis zu streben. Meinen Ansatz zu ändern heißt für mich: Ich zäume das Pferd von der anderen Seite her auf, indem ich versuche, Ihnen, die Sie Lösungen brauchen, die Codes der Normdenkerwelt zu erklären. Jene implizit mitgemeinten Dinge, die Ihnen immer entgehen. (Und die ein Normdenker nie in Worte fassen könnte, weil sie ihm so selbstverständlich vorkommen.) Um Ihnen die Bedeutung Ihrer Irrtümer vor Augen zu führen.

Die Kultur der Normdenker hat ihre Codes, aber auch ihre Logik und ihr Wertesystem. Wie alle Kulturen hat auch diese ihre Stärken und Schwächen und ihre (unerschütterlichen) Gründungsmythen. Sie hat ihre Weisheit, wie sie auch ihre Grenzen und Absurditäten hat. Hocheffiziente fühlen sich häufig verletzt oder abgestoßen durch die Welt der Normdenker, zumindest von der für sie sichtbaren Spitze dieses Eisbergs. Diese Codes zu kennen und zu verstehen heißt ja nicht, dass wir sie gutheißen oder übernehmen müssen. Es erlaubt uns einfach nur, uns in dieser Welt zu bewegen, ohne dass wir ständig auf dem Riff der Verständnislosigkeit auflaufen. Es erlaubt uns, neue Möglichkeiten des Denkens anzunehmen und für gut zu befinden, während wir andere als unbrauchbar aussortieren. Denn einige Aspekte der Normdenkerwelt verdienen es, dass man sie übernimmt. Und wenn bestimmte Dinge, die ich Ihnen vorschlage, Ihnen widerstreben, dann wissen Sie jetzt zumindest, was Sie an dieser Welt gern ändern würden.

Ich bin selbst eine Grüblernatur. Es tut mir leid, dass ich das in Ich denke zu viel nicht hinreichend deutlich gemacht habe. Ich wollte so neutral wie möglich bleiben, und ich hätte mir auch nicht vorstellen können, dass das bei diesem Abenteuer von Bedeutung sein könnte. Ich ging davon aus, dass meine Leser das ohnehin merken würden. Denn um sie wirklich gut verstehen zu können, musste mein Gehirn doch zwangsläufig genauso funktionieren wie das ihre. Als ich schrieb, dass man eine weit geöffnete Trichterschale nicht in einen engen Schlauch quetschen könne, schien mir dies für sich selbst zu sprechen: Um eine breite Trichterschale zu fassen, musste man eine ebenso weite Schlauchöffnung haben. Und tatsächlich lag das für einige meiner Leser auf der Hand: Um dieses mäandernde Denken so gut verstehen zu können, musste ich zur Familie der Hocheffizienten gehören.

Für andere war das dagegen nicht so offensichtlich. Was ich mir wiederum nicht hatte vorstellen können. Ganz im Gegenteil. Dann kamen E-Mails, in denen stand, »für eine Normdenkerin« hätte ich großartige Arbeit geleistet. Das unverdiente Lob ließ mich vor Scham erröten. Erst viel später begriff ich, welche unbeabsichtigten Schattenseiten meine Zurückhaltung hatte: Meine Pseudoneutralität hat Sie wie Simon in dem Glauben bestärkt, dass eine Normdenkerin Sie vollkommen verstehen könnte. Schlimmer noch: dass es ihr Freude machen könnte, Sie zu studieren. Unglücklicherweise weiß ich heute, dass dem nicht so ist. Und dieses Buch soll Ihnen verständlich machen, warum ich das so formuliere.

Da ich also selbst zu den Zu-viel-Denkern gehöre, entzogen sich mir lange Zeit die Codes und stillschweigenden Voraussetzungen der Normdenkerwelt, die ich Ihnen hier vorstellen werde. Und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich wirklich alles verstanden habe! Aber ich glaube nicht, dass die Normdenker Ihnen Dinge besser erklären könnten, die aus ihrer Sicht völlig klar oder ihnen im Gegenteil nicht bewusst sind. Einmal mehr werde ich mich als Aufklärerin betätigen.

Diese Suche nach Verständnis hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Es war tatsächlich eine Art Schatzsuche, bei der ich von Überraschung zu Überraschung geeilt bin. Ich freue mich diebisch auf die Streiche, die ich Ihnen spielen will, weil ich für Sie die gleiche Bewusstwerdung anstrebe, die mir so oft die Augen öffnete. Ich habe mein Köfferchen mit den schönsten Informationen gefüllt. Und wie es meine Gewohnheit ist, werde ich alles mit Ihnen teilen, was ich habe beobachten, verstehen und folgern können. Ich habe all diese Entdeckungen zusammengetragen und in einem geordneten gedanklichen System zusammengefasst, das mir der neurotypischen Logik am nächsten zu kommen scheint.

Beim Neurolinguistischen Programmieren sagt man »Kommunizieren bedeutet, dem anderen in seinem Weltmodell zu begegnen«. Genau das möchte ich Ihnen jetzt vorschlagen. Brechen wir also auf zu unserer Entdeckungsreise durch die Welt der Normdenker.

1. Die Segnungen des Small Talk

Als ich meine kleine Umfrage durchführte, um herauszufinden, welche Aspekte der Neurotypikerwelt Sie gern verstehen würden, kehrte ein Punkt regelmäßig wieder: endlich zu begreifen, warum die üblichen Unterhaltungen immer derart langweilig sind!

Sie haben mir geschildert, was Ihnen am meisten auf die Nerven geht und was Sie am allerwenigsten begreifen: warum manche Menschen so viel Zeit mit ödem Gequatsche zubringen, mit hohlem Geplapper über triste Themen. Diese ebenso fruchtlosen wie klischeehaften Gespräche über Nichtigkeiten schienen Ihnen unerträglich. Sie haben mir geschrieben: »Ich kann einfach nicht reden, ohne etwas zu sagen. Mir ist so sterbenslangweilig dabei, dass ich am liebsten schreien würde.« Daher schien es mir angemessen, unseren Ausflug in die Welt der Normdenker mit diesem Aspekt der Kommunikation zu beginnen.

Die Vokabeln, die Sie am häufigsten verwendeten, um solche Gespräche zu beschreiben, waren: langweilig, nervtötend, ermüdend, sinnlos, hohl und vor allem unerträglich! Ich möchte Sie einladen, das mal anders zu sehen, nämlich als: ruhig, friedlich, beruhigend, entspannend und vor allem harmlos! Von allem und jedem zu reden und stets an der Oberfläche zu bleiben, erspart so manchen Kummer. Lassen Sie mich im Folgenden die Vorteile einer solchen unverbindlichen Gesprächskultur aufzählen.

Man vermeidet Streit

Anlässlich eines Abendessens bei Freunden fing ein normalerweise ganz leidlicher Zeitgenosse an, einen bekannten Chansonnier zu kritisieren, weil er zwar schon sehr reich war, aber immer noch damit »Kohle machte«, dass er unglaublich schmalzige Chansons sang. Dieses süßliche Geträller sei doch nichts anderes als »Publikumsverarsche«. Dummerweise berücksichtigte ich nicht, wie hoch der Alkoholspiegel bei meinem Gesprächspartner schon war, und ließ mich auf eine Diskussion ein: Chansons seien doch schließlich dafür da, angenehme Gefühle zu erzeugen. Er beharrte auf seinem Standpunkt: Das Ganze sei nur kommerzieller Mist. Je mehr Argumente ich vorbrachte, desto mehr redete er sich in Rage. Schließlich ging unser Gastgeber mit einem Witz dazwischen, um die aufgeladene Stimmung zu entschärfen. Dann wechselte er geschickt das Thema. Mein Gegenüber beruhigte sich sofort wieder, während ich ihn immer nur weiter auf die Palme getrieben hatte. Diese Lektion habe ich gelernt: Es bringt gar nichts, recht zu haben.

Nun überlegen Sie mal, wie so ein Gespräch über ein wichtigeres Thema enden könnte: Bildung, Politik, Klimawandel, Verteilung von Reichtümern etc. Können Sie sich vorstellen, wozu das führt? Jeder von uns hat seine persönliche Meinung und steht den meisten Fragen eher emotional als rational gegenüber. Natürlich bestehe ich auf meiner Ansicht. Es ist schließlich meine Meinung! Aber die anderen haben nun einmal auch ein Recht auf die ihre! Da müssen nur wenige Worte hin- und herfliegen, und schon steht man vor einem Faustkampf. Glauben Sie tatsächlich, dass wir uns so gegenseitig überzeugen können? Falls ja, dann täuschen Sie sich: Die Wissenschaft hat bewiesen, dass jeglicher Widerspruch die Menschen nur in ihrer ursprünglichen Meinung bestärkt.3 Was für einen Sinn hat eine solche Debatte dann? Außer natürlich, Sie wollen Ihrer Umwelt ordentlich die Meinung sagen und die Bande zwischen den Menschen zerreißen. Also ist es durchaus sinnvoll, in seichten Gewässern zu plätschern und kontroverse Themen zu vermeiden. Es ist ja nichts Verwerfliches daran, dass jener Chansonnier mit seinen schmalzigen Songs jede Menge Geld verdient hat!

Abgesehen davon: Wer regt sich denn als Erster auf über Hatespeech im Internet? Wenn man nur hübsche Kätzchen und andere süße Bildchen postet, dann sind die Besucher Ihrer Seite schnell ein Herz und eine Seele, und Sie treten niemandem auf die Füße. Genau das ist der Sinn und Zweck von Gesprächen über neutrale Themen.

Man vermiest niemandem die Stimmung

Da Menschen, die zu viel denken, triviale Unterhaltungen verschmähen, bringen sie immer Themen aufs Tapet, die wirklich »sehr wichtig« sind, um eine »echte« Debatte über das Ende des Lebens, den Umweltschutz oder die Korruption der Eliten loszutreten … Und schon ziehen Wolken am Himmel auf. Wer einfach nur gekommen ist, um Spaß auf einer Grillparty zu haben, dem ist nun die Stimmung verhagelt.

Wenn man mich fragt, was ich beruflich denn so mache, und ich ehrlich antworte, dann macht mich das unweigerlich zur Spaßbremse: Das Gespräch wird sich nur noch um Manipulatoren drehen und um das Leid, das sie ihrer Umwelt verursachen. Ich muss dann den lieben langen Abend den anderen Partygästen kostenlose Ratschläge erteilen, denn jeder von uns kennt ja mindestens einen Manipulator, der uns das Leben vergällt: Also mache ich Überstunden!

Ich habe lange gebraucht, um das zu verstehen. Mittlerweile gehe ich dem Thema aus dem Weg: »Ach, aber ich habe so gar keine Lust, jetzt über die Arbeit zu reden! Schließlich sind wir doch hier, um uns zu entspannen!« Und dann wechsle ich ganz schnell das Thema. Eine Freundin hat mir einmal einen anderen Rat erteilt: »Du musst nur sagen, dass du Buchhalterin bist. Damit ist das Thema todsicher vom Tisch.« Ausprobiert habe ich es aber noch nicht.

Man entgeht der emotionalen Ansteckung

Einige Jahre lang hielt ich Seminare für Führungskräfte. Ich gab Kurse in ganz Frankreich, und immer für Menschen, die sich bereits kannten und gut verstanden. Diese Managerseminare mochte ich wirklich gern. Erstens, weil die Teilnehmer einen gemeinsamen Wertekanon teilten – sie fühlten sich einem humanistischen Managementstil verpflichtet. Und sie waren zweitens auch persönlich ganz honette Menschen. Was mich aber am meisten verblüffte, war der Zusammenhalt, der diese Gruppen verband. Ich habe sie während der Kaffeepausen beobachtet, weil ich hoffte, das Geheimnis dieses sozialen Zusammenhalts zu lüften. Die Gespräche schienen mir banal, uninteressant, aber freundlich. Ein absolutes Rätsel!

In einer dieser eng verflochtenen Gruppierungen bat man einmal eine Teilnehmerin zu berichten, was es Neues gäbe von ihrem politischen Engagement. Am Wochenende zuvor hatten die Kommunalwahlen stattgefunden, und sie hatte sich in ihrem Ort um das Amt der Bürgermeisterin beworben. Sie erzählte, dass sie verloren hatte und dass der Wahlkampf ihres Gegners vor allem in einer gegen sie gerichteten Schmutzkampagne bestanden habe. Offensichtlich hatte sie eine wirklich schwere Erfahrung hinter sich und war davon ehrlich erschüttert. Doch die Gruppe kommentierte die ganze Angelegenheit mit ein paar flüchtigen Bemerkungen, wünschte ihr mehr Glück für das nächste Mal und ging dann zu einem anderen Thema über. Ich konnte sehen, wie die Frau mit ihren Gefühlen kämpfte, ihre Tränen hinunterschluckte und sich bald wieder ins Gespräch mischte, trotz dieser schwierigen persönlichen Erfahrung.

Ich fand es damals von den Beteiligten grausam, die Arme einfach so ihrem Schicksal zu überlassen. Sie hätten es vermutlich genauso empfunden! Wären Sie dabei gewesen, hätten Sie sich aufopfernd um die Ärmste gekümmert, sie getröstet, sie ermutigt, sich das Erlebnis von der Seele zu reden. Sie hätten ihr den Rücken gestärkt und vermutlich einige höchst kritische Worte über den unverschämten Wahlkampfgegner verloren … Aber dafür war das Seminar nicht der richtige Ort. So ein Verhalten hätte den ganzen Seminartag scheitern lassen. Aber das habe ich erst später verstanden. Es gehörte zu den Stärken dieser Managergruppen, dass sie persönliche Sorgen außen vor ließen und berufliche Probleme auf das beschränkten, was sie »die Werkstatt der Lösungen« nannten. Tatsächlich achteten alle sehr genau darauf, dass das Seminar in einer ruhigen, heiteren und entspannten Atmosphäre stattfand.

Christophe Maé, ein französischer Chansonnier, singt in seinem wunderbaren Lied La Vie d’artiste(Das Künstlerleben):

»Das Leben ist eine Bühne, daher spiele ich Theater.

Sage, alles sei super, trotz aller Hindernisse.

Mama hat mir immer gesagt, Junge, du darfst nicht alles erzählen.

Nicht weinen, das heißt Manieren zeigen.

Also lächelt man, um nicht mehr traurig zu sein.

Man kann sich verstecken, wir sind ja alle Künstler …«4

In die gleiche Kategorie fällt die Frage: »Na, wie geht’s denn?« Das ist einer der klassischen Stolpersteine zwischen Normdenkern und Hocheffizienten. Letztere kritisieren an den Normdenkern gern, dass sie auf diese Frage hin nicht mal die Antwort abwarten, vor allem, wenn es eben nicht läuft. Tatsächlich muss man sich klarmachen, dass dies keine ernst gemeinte Frage ist, wie Christophe Maé dies tut. Es ist eher eine Redensart, mit der man ein Gespräch einleitet. Man fällt ja schließlich nicht einfach mit der Tür ins Haus. Nein, es ist keine Heuchelei, sondern schlicht und einfach Höflichkeit. Und diese verlangt, dass wir darauf mit einem »Gut, danke der Nachfrage!« antworten. Und nicht die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und vor dem anderen unser ganzes Leben ausbreiten.

Da jeder Mensch schließlich Probleme hat, sollten wir andere nicht mit unseren persönlichen Sorgen belasten. Christophe Maés Mama hat absolut recht: Man kann nicht immer große Wäsche machen. Es ist durchaus angebracht, seine Tränen zurückzuhalten. Das ist eine Frage des Takts. Wenn man Sie also das nächste Mal fragt: »Na, wie geht’s denn?«, dann nehmen Sie das als Zauberwort und Anstoß, um sich zu sagen: »Ich kann durchatmen, mich strecken, meine Seelenzustände Seelenzustände sein lassen und dieses Gespräch freundlich und neutral angehen.«

Eines der Hilfsmittel, das jene Managergruppen einsetzten, um ihre Emotionen vor der Tür zu lassen, ist der »emotionale Wetterbericht«. Am Morgen, bevor das Seminar losging, beschrieb jeder in der Runde kurz seine seelische Wetterlage. »Bei mir herrscht heute eitel Sonnenschein.« Oder: »Leicht bewölkt.« Und: »Recht neblig.« Oder: »Blitz und Donner, weil …« Nur wenige Worte, um die eigene Stimmung zu beschreiben, und dann zu anderen Dingen überzugehen. Der emotionale Wetterbericht ist ein wirkungsvolles Instrument, das man schon im Kindergarten einsetzen kann und das dort ebenso gute Ergebnisse bringen wird wie im Berufsleben.

Die emotionale Ansteckung5 in einer Gruppe ist im Negativen (Trübsinn, Angst, Panik oder Wut, die zu kollektiven Gewalttaten führt) ebenso schädlich wie im Positiven (Euphorie oder Jubel). Denn sie kann zu unkontrollierten Massenbewegungen führen mit dem Ergebnis, dass in Sportstadien Tribünen einstürzen, dass an Engstellen Menschen zu Tode getrampelt werden oder noch schlimmer: dass fanatisierte Massen den rechten Arm ausstrecken und laut »Sieg Heil« brüllen. Also hören wir doch auf, uns gegenseitig emotional anzustecken. »Wie geht’s denn?« »Danke, gut! Und Ihnen?«

Wir haben alle unsere Probleme

Das ist die Geschichte des Mannes, der von einem Hochhaus stürzt. Als er am zehnten Stock vorbeikommt, sagt er sich: »Puh! Bis jetzt ist ja alles gut gegangen.« Wenn wir uns fragen, wie es uns geht, können wir davon ausgehen, dass es uns objektiv gut geht, wenn wir uns auf die positiven Aspekte konzentrieren (die es in jedem Fall gibt). Oder wir können uns sagen, dass es uns ganz und gar nicht gut geht, wenn wir unser Augenmerk auf vorübergehende Schwierigkeiten richten, auf unsere momentane emotionale Befindlichkeit.

Mir scheint, unsere Neurotypiker verfügen über ebenjene Weisheit und Distanz, die ihnen sagen, dass Schwierigkeiten und Glück kommen und gehen. Und dass die Dinge nicht so bleiben, wie sie sind, auch wenn alles gut läuft. Das ist der berühmte »mittlere Weg« des Buddhismus. Er besteht darin, Freud und Leid mit derselben Einsicht bzw. Distanz hinzunehmen. »Was wird davon bleiben in fünfzig Jahren?«, sang Raphaël. Was ist morgen noch da von all dem, was mir heute Freude oder Leid bereitet?

Es steht also eine ganze Philosophie hinter diesem Mechanismus, der darin besteht, in der Öffentlichkeit nicht von seinen Schwierigkeiten zu reden, sondern das Gespräch auf andere Dinge zu lenken. Gehen wir davon aus, dass wir alle Probleme haben und dass es wenig Sinn hat, andere Menschen damit zu belasten. Schließlich hat unser Gegenüber seine eigenen Sorgen und macht uns das Geschenk, sie uns nicht aufzudrängen. Daher ist jedes Mitglied einer Gruppe mitverantwortlich für die emotionale Stimmungslage aller.

Es wäre gut, wenn Sie verstehen, dass Sie den emotionalen Gesamtton mitbestimmen, wenn Sie Ihre Emotionen in eine Gruppe hineintragen. Daher empfinden die Normdenker Sie häufig als Spaßbremse oder Störenfried. Andere Menschen nicht mit den eigenen Problemen zu behelligen ist ein Geschenk, das man ihnen macht. Damit vermeiden wir jede emotionale Ansteckung, selbst wenn wir gerade recht guter Laune sind.

Man verliebt sich nicht mal eben so

Wussten Sie, dass wir uns in 45 Minuten verlieben können, wenn wir uns nur 36 Fragen stellen? Das hat Arthur Aron, Professor für Psychologie an der Stony Brook University in New York, im Jahr 1997 entdeckt. Er forscht über Nähe in zwischenmenschlichen Beziehungen. Was ihn beschäftigt, ist die Frage, wie man Nähe herstellen kann, wenn zwei Menschen sich überhaupt nicht kennen. Zu diesem Zweck hat er einen Fragebogen entworfen, dessen durchschlagender Erfolg ihn selbst überraschte. Seine Versuchspersonen verliebten sich sozusagen systematisch.

Natürlich gibt es auch kritische Stimmen dazu: Der Fragebogen bewirke nur, dass Menschen sich ineinander verlieben, die auch zueinanderpassen, ob sie das nun wissen oder nicht. Und nach diesem ersten Prickeln bleibt noch einiges zu tun, um es in echte Gefühle zu übersetzen. Klar doch. Aber der durchschlagende Effekt des Fragebogens lässt sich kaum bestreiten. Er erzeugt menschliche Wärme zwischen zwei Personen, die ihn gemeinsam ausfüllen. Auch für Ehepaare, die schon sehr lange zusammen sind, leistet er gute Dienste.

Auf welchen Mechanismen beruht er also? Man schafft einen Raum der Nähe, in dem sich jeder ehrlich für den anderen interessiert und sich vollkommen authentisch äußern kann. Die Fragen führen dazu, dass man wieder eintaucht in die Kindheit, seine Eltern beschreibt, die eigenen Erfolge und Ängste, die persönlichen narzisstischen Schwachstellen. Gleichzeitig gibt man dem anderen narzisstische Bestätigung: Man sagt der Person, was einem an ihr gefällt, welche Gemeinsamkeiten man hat etc.

Mandy Catron hat daraus ein Buch gemacht: Verliebe dich, in wen DU willst.6 Darin berichtet sie unter anderem davon, wie der Fragebogen sie dazu gebracht hat, sich in einen Kollegen zu verlieben, den sie kaum kannte. Sie macht deutlich, dass die Inhalte dieser Fragen letztlich nicht so wichtig sind, ja dass man sie auch durch andere ersetzen könnte. Der entscheidende Punkt ist, dass diese Fragen einen Prozess in Gang bringen, bei dem man sich wechselseitig offenbart.

Diese Art der Kommunikation, bei der man sich ernsthaft für den anderen interessiert und sich auf sehr persönliche Weise offenbart, ist eine Ihrer besonderen Gaben. Das ist einer der Gründe, warum Sie aller Welt ein unbehagliches Gefühl bereiten. Viele Ihrer Gesprächspartner glauben nämlich, dass Sie mit ihnen flirten wollen. Stellen Sie sich nur mal vor, was los wäre, wenn die Leute sich bei jedem Gespräch am Grillabend massenhaft ineinander verlieben würden! Und dann die Grabenkriege zwischen den betrogenen Partnern! Oder eine Wahnsinnsorgie! Einmal mehr: Es ist besser, über das Wetter zu reden, über das letzte Fußballspiel, über die Vor- und Nachteile der neuesten Automarken oder über mein Rezept für Erdbeerkuchen. (Natürlich ohne alle Zutaten zu verraten. Man muss es ja nicht gleich übertreiben!)

Klatsch und Tratsch als soziales Schmiermittel

»Der Mensch besitzt als einziges Lebewesen die Gabe der Sprache. Und er hat diesen Vorteil genutzt und gelernt zu reden, ohne etwas zu sagen. Seitdem hält er sein Maul nur noch bei einer einzigen Gelegenheit: dann, wenn er Zeuge eines Unrechts wird.«7

Frédéric Dard, französischer Schriftsteller

Mit der »kognitiven Revolution« (die ich später noch genauer erklären werde) setzte eine Entwicklung ein, in deren Verlauf der Homo sapiens seine Fähigkeit zum abstrakten Denken immer stärker ausbaute und seine Sprache mehr und mehr verfeinerte. Nun stand ihm die Möglichkeit zu Klatsch und Tratsch offen, welche allmählich die wechselseitige Fellpflege ablösten, die bei Primaten den sozialen Zusammenhalt sichert.

Eine typische Schimpansengruppe zählt zwischen zwanzig und fünfzig Tiere. Sehr selten hat man auch Gruppen beobachtet, die bis zu hundert Mitglieder umfassen. Sobald aber die Population zu groß wird, teilt sich die Gruppe: Mehrere Tiere spalten sich ab und schließen sich zu einer neuen Einheit zusammen, die von nun an ihre eigenen Wege geht.

Klatsch und Tratsch ermöglichten es dem Homo sapiens nun, ausgedehntere und stabilere soziale Bande zu knüpfen. Soziologische Untersuchungen konnten zeigen, dass es manchmal nicht mehr braucht als triviale Gespräche, um Gruppen von bis zu fünfhundert Personen zusammenzuhalten. Jenseits der Fünfhundertergrenze jedoch reichen Klatsch und Kumpanei nicht mehr aus, um den Zusammenhalt der Gruppe sicherzustellen. Dann braucht es einen Anführer, ein Gemeinschaftsprojekt, ein gemeinsames Narrativ etc. Aber fünfhundert Personen, das ist doch schon eine recht große Gruppe!

Klatsch und Tratsch haben also wesentlichen Anteil an dem außergewöhnlichen Grad von Zusammenarbeit, der den Homo sapiens auszeichnet. Daniel Tammet, der am Asperger-Syndrom leidet und mehrere Bücher geschrieben hat, darunter Wolkenspringer,8 hat festgestellt, dass Gehässigkeiten nur knapp 10 Prozent des Klatsches ausmachen. Während der übrigen 90 Prozent der Zeit erzählt man sich einfach, was der ein oder andere so tut: »Meine Schwiegermutter ist an der Blase operiert worden … Mein Cousin hat sich ein neues Auto gekauft und ist recht zufrieden damit … Der Sohn unserer Nachbarin hat jetzt eine neue Freundin …« Was Sie als unerträgliches Geschwätz empfinden, ist nicht mehr als freundliches Geplauder, das einen unverfänglichen und sicheren Kontakt ermöglicht. Der »Trick« am Ganzen ist, sich in keines der Themen zu verbeißen, sondern geschickt von einem zum nächsten überzugehen.

Bei genauerer Betrachtung stellt sich ohnehin heraus, dass wir alle reden, ohne wirklich etwas zu sagen, und das gilt auch für Zu-viel-Denker. Sie stehen auf tiefschürfende Diskussionen und große Worte, daher bringen sie gern Themen aufs Tapet, die sie als sinnvoller empfinden. Letztlich aber bleibt das Gesagte genauso im Unverbindlichen wie der übliche Small Talk. Seien wir doch ehrlich: Selbst wenn wir uns die »großen Fragen des Lebens« vornehmen, bringen uns diese Gespräche in Wirklichkeit kein Stück weiter. Was dagegen vertraute Gespräche von Mensch zu Mensch angeht: Diese könnten sich für den Hocheffizienten als zu gefährlich herausstellen. Zu groß ist die Gefahr, wie wir oben gesehen haben, dass man sich zu nahe kommt. Zu groß ist auch die Gefahr, dass man sich eine Blöße gibt in einem Umfeld, wo einem das nur schaden kann. Wie oft haben Sie schon das Gefühl gehabt, zu viel von sich preisgegeben zu haben?

»Müßige« Gespräche aus Sicht der Transaktionsanalyse

Der amerikanische Psychiater Eric Berne, der Vater der Transaktionsanalyse (TA), gab einem seiner Bücher den Titel