Ich sehe was, was du nicht siehst - Lena Diaz - E-Book

Ich sehe was, was du nicht siehst E-Book

Lena Diaz

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Beschreibung

Das Böse lauert überall Madison McKinley glaubt, dass sie von einem Unbekannten verfolgt wird. Die Polizei ist jedoch mit der Suche nach einem Serienmörder beschäftigt und hat keine Zeit für sie. Hilfe erhält Madison von dem attraktiven FBI-Agenten Pierce Buchanan, mit dem sie einmal eine Affäre hatte. Da rückt Madison plötzlich ins Zentrum der Polizeiermittlungen - als Verdächtige ...

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LENA DIAZ

ICH SEHE WAS,

WAS DU NICHT SIEHST

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Frauke Lengermann

Zu diesem Buch

Angst hat eine ganz bestimmte Duftnote – scharf, streng, leicht stechend –, ganz ähnlich wie Schweiß, doch der Duft ist stärker, intimer, und er macht abhängiger als jede Droge. Simon war süchtig danach, und es war lange her – viel zu lange –, seit er seinen letzten Schuss bekommen hatte. Aber das würde sich jetzt ändern…

In Savannah treibt ein perfider Serienmörder sein Unwesen, der sich selbst als der »Simon-sagt-Killer« bezeichnet. Ihm sind bereits mehrere Menschen zum Opfer gefallen, während die Polizei im Dunkeln tappt. Zur gleichen Zeit taucht plötzlich vor Madison McKinleys Haus ein unheimlicher Mann auf, der sie zu beobachten scheint. Mit jedem Besuch, den der Fremde ihr abstattet, wird er aufdringlicher – bis er sich eines Tages direkt Zugang zu Madisons Heim verschaffen will. Hat es der »Simon-sagt-Killer« auf Madison abgesehen, soll sie Teil seines grausamen Spiels werden? Von der Polizei kann Madison keine Hilfe erwarten, da diese ihre Notrufe bisher als Hirngespinste abtat. Doch da erhält Madison überraschend Unter-stützung von ihrem Exfreund, dem FBI-Agenten Pierce Buchanan.Gemeinsam versuchen sie, Madisons Stalker auf die Schliche zu kommen. Aber dabei wirbeln sie mächtig Staub auf und geraten in tödliche Gefahr…

Prolog

Angst hat eine ganz bestimmte Duftnote – scharf, streng, leicht stechend –, ganz ähnlich wie Schweiß, doch der Duft ist stärker, intimer, und er macht abhängiger als jede Droge.

Simon war süchtig danach, und es war lange her – viel zu lange –, seit er seinen letzten Schuss bekommen hatte.

Aber das würde sich jetzt ändern.

Er stand neben dem Computertisch und nahm den Papierstapel vom Drucker. Mit dem Finger fuhr er über das Profil der Frau, deren Foto auf der ersten Seite zu sehen war, strich über die blasse Haut ihrer Arme und die Wölbung ihres Brustansatzes. Ihr dunkles Haar glänzte seidig und berührte kaum die Schultern. Die dunkelblauen Augen lachten ihn an, wobei sich in ihren Augenwinkeln kleine Fältchen abzeichneten. An wen dachte sie, wenn sie so lächelte? An jemanden, der ihr etwas bedeutete? An jemanden, dem auch sie etwas bedeutete?

»Simon, möchtest du, dass ich dir noch etwas anderes ausdrucke?«

Widerwillig löste er den Blick von der Aufnahme und sah hinüber zu der leicht übergewichtigen Blondine, die am Computer saß. Sie hatte ihre schlammbraunen Augen mit Lidschatten und Mascara geschminkt, vermutlich zum ersten Mal seit Jahren, und trug ein neues, knallgelbes Kleid. Wahrscheinlich hatte sie sich die ganze Woche auf diesen Abend gefreut, weil sie glaubte, dass sein Besuch bei ihr zu Hause den nächsten Schritt in ihrer Beziehung signalisierte, nämlich seine Bereitschaft, ihr Liebhaber werden.

Oh ja, er war definitiv bereit, den nächsten Schritt zu tun.

Erwartungsvoll starrte sie ihn an, ihre Finger schwebten bereits über der Tastatur.

»Nein, ich habe bekommen, was ich wollte.« Er legte den Papierstapel zurück auf den Tisch. »Bist du sicher, dass niemand herausfindet, dass du diejenige warst, die sich in die Internetseite gehackt hat?«

Sie grinste. »Ich musste mich gar nicht in das System hacken. Ich habe einfach ein gefälschtes Profil angelegt und mich mit ein paar der anderen Nutzer angefreundet. Danach war es einfach, Zugriff auf die übrigen Profile und die dort gespeicherten Informationen zu bekommen.«

Dämliches Weib. »Lösch dein Profil.«

Jetzt lächelte sie nicht mehr. »Stimmt was nicht?«

Ihr Blick war so skeptisch geworden, dass er sich zwang, sich zu entspannen und ihr ein charmantes Lächeln zu schenken, um sie zu beruhigen. »Ich möchte einfach nicht, dass sie misstrauisch werden. Noch nicht. Es macht doch keinen Spaß, wenn sie zu schnell herausfinden, was dahintersteckt.«

Ihr Lächeln kehrte zurück, wenn auch nicht ganz so unbeschwert wie zuvor. »Äh, sicher, du hast recht.«

Dieses Mal beobachtete er aufmerksam, was sie tat; wie sie alle Schritte ungeschehen machte und ihr Profil wieder löschte.

Als sie fertig war, rückte sie ihren Stuhl nach hinten und stand auf, um ihm in die Augen zu sehen. »Du hast mich neugierig gemacht. Was ist das für ein Streich?«

»Zu viel Neugier kann einen in große Schwierigkeiten bringen, meine Liebe.«

Sie lachte leicht. »Was meinst du?«

Er legte den Kopf schief. »Kennst du das Spiel Simon sagt?«

»Simon sagt?« Sie lachte wieder, dieses Mal klang es eindeutig nervös. »Das ist ein Kinderspiel. Ist das nicht ein bisschen zu albern für Erwachsene?«

»Nicht, wenn ich es spiele.« Seine Stimme klang kehlig, verführerisch.

Als er hinter sie trat, drehte sie sich halb zu ihm um und blickte zu ihm auf. Ihre Muskeln spannten sich, als ihr Unterbewusstsein die Gefahr witterte, die ihr Verstand noch nicht zu akzeptieren bereit war.

Er legte ihr die Hände auf die Schultern.

Unwillkürlich zuckte sie zusammen und versuchte, sich seinem Griff zu entziehen. »Hör auf damit. Das macht mich nervös.«

»Psst, sei still«, flüsterte er. »So wird dieses Spiel nicht gespielt. Du darfst dich nicht rühren, bis Simon dir sagt, was du tun sollst.«

Sie schluckte so heftig, dass er es hörte, und riss den Kopf herum. Ihr Blick jagte durch das Zimmer, als würde sie erst in diesem Moment begreifen, dass sie allein mit ihm und ihm somit völlig ausgeliefert war. »U-und was will Simon? Was soll ich tun?«, krächzte sie mit zittriger Stimme.

Er beugte sich über ihre Schulter, um ihr ins Gesicht zu schauen. Wie ein verschrecktes Kaninchen, das in die Augen der angriffsbereiten Schlange starrt, verharrte sie regungslos, als wäre sie gelähmt. Er holte tief Luft, schloss kurz die Augen und schwelgte in dem Angstgeruch, der aus ihren Poren trat.

Oh ja, dieses Mal würde er es ganz besonders genießen.

Außerordentlich genießen.

Mit der einen Hand drückte er ihre Schulter, während er gleichzeitig mit der anderen an ihrem Rückgrat entlangfuhr, wobei er das unwillkürliche Erschaudern genoss, das ihren Körper erbeben ließ. Dann schob er die Hand in seine Jacke und zog das Messer heraus.

Das arme kleine Kaninchen versuchte nicht einmal, zu fliehen. Stattdessen stand sie wie versteinert da, ihr Atem ging in flachen, kurzen Stößen. Sein Griff um ihre Schulter wurde fester.

Wieder erschauerte sie, ihre Muskeln spannten sich … als wollte sie doch noch die Flucht ergreifen.

Zu spät.

Hinter ihrem Rücken strich er liebevoll über den kalten Stahl der Klinge, bevor sich seine Finger um den Griff schlossen. Er beugte sich vor und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Die Angst in ihren Augen ließ nach, an ihre Stelle trat ein Hoffnungsschimmer, der fast mitleiderregend wirkte.

»Simon?« Ein zögerliches Lächeln ließ ihre Mundwinkel nach oben wandern.

Seine Lippen pressten sich jetzt gegen ihr Ohr. »Simon sagt … Stirb.« Die Klinge sank in das weiche Fleisch ihres Rückens.

1

In den Augen von FBI-Sonderermittler Pierce Buchanan gab es nur wenige Situationen, die noch erbärmlicher waren, als auf der Vorderveranda seiner früheren Geliebten zu stehen und darauf zu warten, dass diese einem die Tür öffnete. Es war, als würde die Frau, die man liebte, einen abservieren – und zwar in dem Moment, in dem man in die Hosentasche griff, um den Verlobungsring herauszuziehen. Und genau das hatte die Frau, auf deren Veranda er nun stand, getan.

Jep. Erbärmlich war das richtige Wort.

Wenn sein bester Freund ihn nicht gebeten hätte, nach seiner kleinen Schwester zu sehen, dann stünde er bestimmt nicht hier.

Er hob gerade die Hand, um noch einmal an Madisons Haustür zu klopfen, als ein Mann aus dem Garten des Hauses um die Ecke schoss und zur Straße rannte. Eine Frau mit schulterlangem, dunklen Haar sprintete hinter ihm her.

Pierce biss die Zähne zusammen. Klopfen war sinnlos. Madison war nicht zu Hause.

Stattdessen jagte sie einem Mann über die Straße hinterher.

Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, um besser sehen zu können. Stammte die deutlich sichtbare Wölbung unter dem Jackett des Mannes etwa von einer Pistole? Was zur Hölle hatte Madison vor? Wollte sie unbedingt sterben?

Mit einem Satz sprang er über das Verandageländer und kam mit schmerzenden Knien und in kauernder Haltung auf dem tiefer gelegenen, gepflasterten Weg auf. Seine Knie pochten und erinnerten ihn unsanft daran, dass ein fünfunddreißigjähriger Bundesagent sich nicht mehr die Stunts erlauben konnte, zu denen ein Zwanzigjähriger in der Lage war, der gerade seine Ausbildung an der Akademie abgeschlossen hatte.

Er rief Madison wegen der Pistole eine Warnung zu, doch sie reagierte nicht. Entweder sie hatte ihn nicht gehört, oder sie war zu starrköpfig, um seinen Worten Beachtung zu schenken.

Er tippte auf das Letztere.

Unten an der Straße parkte sein Pontiac, und im Handschuhfach lag seine Neun-Millimeter-Pistole. Leider rannte Madison in die entgegengesetzte Richtung.

Zu weit. Nicht genug Zeit.

Er stieß ein frustriertes Seufzen aus und sprintete über den Rasen von Madisons Vorgarten. In etwa fünfzig Metern Entfernung rannte sie über einen der gepflegten Pfade des Forsyth Park dem bewaffneten Unbekannten hinterher.

Touristen kletterten aus einer hellblauen Straßenbahn. Wie eine chaotische Gänseschar stoben sie vor Madison auseinander und äußerten schnatternd ihr Missfallen, während Madison und der Mann hinter einer Baumgruppe verschwanden.

Pierce setzte über eine Bank mit einem Rentnerpaar und brüllte eine Entschuldigung. Der Himmel vor ihm füllte sich mit einem weißgrauen Nebel, als eine Taubenschar direkt vor ihm aufflog. Er ruderte mit den Armen, um sie zu verscheuchen, und stürmte durch die Touristengruppe, die Madison nur wenige Sekunden vor ihm gesprengt hatte. Er rief eine weitere Entschuldigung und sprintete den Pfad hinunter, auf dem Madison verschwunden war.

Panik überflutete ihn, als er ein Eichenwäldchen umrundete und plötzlich ein leeres, winterbraunes Feld vor ihm lag. Unwillkürlich blitzte vor seinem inneren Auge das Bild von Madisons zierlichem Körper auf, wie er mit gebrochenen Knochen, blutend und von Schüssen durchsiebt vor ihm lag. Bei dem Gedanken an eine Welt ohne diese attraktive kleine Besserwisserin durchzuckte ein scharfer, stechender Schmerz seine Brust.

Sehr zu seinem Missfallen.

Er verlangsamte seine Schritte und stählte sich gegen die neugierigen Blicke der über die Spazierwege flanierenden Passanten. Jede Wette, dass sie noch nie einen Mann gesehen hatten, der im Straßenanzug durch den Park sprintete. Das war auch ganz bestimmt nicht das, was er sich an diesem Morgen für den Tag vorgenommen hatte.

Von der gegenüberliegenden Seite der Rasenfläche, hinter einer Reihe zweistöckiger Häuser, hörte er gedämpftes Rufen. Er rannte auf das Geräusch zu und erreichte die Straße hinter der Häuserreihe gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Madison und der Mann in einer Seitenstraße verschwanden.

Pierce bog in die Parallelstraße, um den Weg abzukürzen. Er hoffte, Madison einholen zu können, ehe sie den Unbekannten erreichte. Als er beinahe am Ende des Straßenblocks angekommen war, rannte er in eine Querstraße, die zwischen zwei Häusern hindurchführte, und kam schließlich auf einer engen Gasse heraus – erleichtert stellte er fest, dass Madison sich mehrere Meter hinter ihm befand.

Seine Erleichterung war jedoch nur von kurzer Dauer, da Madison im nächsten Moment stolpernd zum Stehen kam und kreidebleich wurde. Doch ihr erschrockener Blick galt nicht ihm. Ihr Blick richtete sich auf einen Punkt hinter seiner rechten Schulter.

Er wirbelte herum. Der Mann, den Madison verfolgt hatte, flüchtete nicht länger. Stattdessen stand er nun mitten auf der Straße, das Gesicht von der Kapuze seiner Jacke verborgen.

Und zielte mit einer Pistole auf Madison.

Böses ahnend krampfte sich Pierce’ Magen zusammen. Warum hatte er ausgerechnet heute darauf verzichtet, seine kugelsichere Weste anzulegen?

Erbärmlich.

Mit einem Hechtsprung warf er sich genau in dem Moment vor Madison, als der Schuss krachte.

Madison stand neben dem Krankenwagen und beobachtete Pierce, der im Inneren des Wagens auf einer Tragbahre lag, während ihm ein Sanitäter eine Mullbinde gegen die Brust drückte. Ihr stockte der Atem, als sie sah, wie die Bandage sich sofort hellrot verfärbte. Sie presste die Hand gegen die Brust, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Zum Glück handelte es sich um einen glatten Durchschuss, der keine lebenswichtigen Organe verletzt hatte.

Was hatte er sich nur dabei gedacht, einfach so sein Leben aufs Spiel zu setzen? Für sie! Was hatte er überhaupt in Georgia zu suchen? Er sollte eigentlich zu Hause in Jacksonville sein, statt hier in Savannah den Helden zu spielen.

Ihr Magen hob sich, als der Sanitäter eine frische Mullbinde gegen das aufgerissene Fleisch drückte. Sie hielt sich den Mund zu und versuchte, die Übelkeit zurückzudrängen. Bisher hatte der Anblick von Blut ihr nie etwas ausgemacht, aber das hier war Pierce’ Blut. Der Gedanke daran, dass er verletzt war – und das auch noch, weil er sie hatte beschützen wollen –, drehte ihr den Magen um.

Wie in einem Horrorfilm lief vor ihrem inneren Auge noch einmal in Zeitlupe ab, was passiert war – das Krachen der Pistole, das Pfeifgeräusch der durch die Luft sausenden Kugel, das abscheuliche, dumpfe Geräusch, mit dem Pierce zu Boden gegangen war.

Er musterte sie mit gerunzelter Stirn. »Alles in Ordnung mit dir?«

»Wie kannst du dir jetzt Sorgen um mich machen? Du bist der, der angeschossen wurde.«

Ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht.

»Das ist überhaupt nicht witzig«, sagte Madison. »Warum trägst du nicht deine kugelsichere Weste? Normalerweise trägst du sie doch immer. Du solltest nicht … du solltest wirklich nicht … du …« Die Stimme versagte ihr.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich dich eines Tages sprachlos erleben würde. Wer hätte gedacht, dass es so gefährlich sein würde, dich wiederzusehen? Beim nächsten Mal ziehe ich mir eine Panzerweste an.«

»Hör auf, so zu tun, als wäre das hier witzig. Du könntest tot sein.«

Sein Lächeln verflüchtigte sich und er warf ihr einen überraschten Blick zu. »Mir geht’s gut. Hör auf, dich deswegen fertigzumachen.«

Sie ballte die Hände zu Fäusten und sah hinüber zu den blitzenden Blau- und Rotlichtern der Streifenwagen, die hinter dem Krankenwagen parkten. Lieutenant Hamilton stand dort mit drei uniformierten Beamten und sprach mit gesenkter Stimme zu einem Polizisten in einem der Streifenwagen. Obwohl er Madisons Aussage bereits aufgenommen hatte, blieb sein skeptischer Blick die ganze Zeit an ihr haften, während er mit seinen Männern sprach.

Als er sie wenige Minuten zuvor befragt hatte, hatte er ihr ebenso wenig geglaubt wie bei dem Gespräch, das sie vor ein paar Tagen geführt hatten. Dabei hatte sie ihm die Wahrheit gesagt.

Wenn auch nicht dieses Mal.

Und wenn sie ihm die Wahrheit erzählte, würde er ihr ohnehin nicht glauben. Sie war nicht einmal sicher, ob sie sich selbst glaubte. Der Schütze konnte nicht derjenige sein, für den sie ihn hielt. Das war einfach nicht möglich.

Oder doch?

Sie drehte sich in dem Moment wieder zu Pierce um, als der Sanitäter die Bandage mit Klebeband an seinem rechten Arm fixierte. Pierce’ Lippen wurden weiß.

»Das muss schrecklich wehtun«, sagte Madison.

»Ach, das ist nur ein Kratzer.«

»Ein bisschen schlimmer ist es schon, Special Agent Buchanan.« Der Rettungssanitäter half Pierce, sich aufzusetzen und fing an, seine Brust zu verbinden. »Sie haben ein paar gebrochene Rippen.«

Madisons Magen verkrampfte sich erneut. Das war sicher nicht das erste Mal, dass Pierce sich eine Rippe brach oder angeschossen wurde. Sein Körper war von Narben gezeichnet, die er sich in all den Jahren im Polizeidienst zugezogen hatte, in denen er damit beschäftigt war, die schlimmsten Gewaltverbrecher zu bekämpfen.

Sie hatte von ihm wissen wollen, wie er zu all den Verletzungen gekommen war, doch leider konnte man Pierce genauso wenig dazu überreden, über sich selbst zu sprechen, wie man ihre Mutter bewegen konnte, sich von einem Schlussverkauf bei Macy’s fernzuhalten.

Ihr Blick glitt von seinem kurz geschnittenen, schwarzen Haar in tiefere Regionen, und sofort begann ihr Puls aus einem gänzlich anderen Grund zu rasen. Im Geist folgte sie dem Pfad, den ihre Fingerspitzen so viele Male erforscht hatten – über seine harte, nackte Brust hinunter über das Sixpack seiner durchtrainierten Bauchmuskeln bis zum oberen Rand des Hosenbunds. Jähes Verlangen, das sie sofort zu unterdrücken versuchte, stieg in ihr auf.

Sie sah hoch und stellte fest, dass die Leidenschaft, die sie mühsam im Zaum hielt, sich in seinen whiskyfarbenen Augen spiegelte. Sie atmete hörbar aus, wandte den Blick ab und merkte erst in diesem Moment, dass der Sanitäter seine Arbeit unterbrochen hatte und sein Blick neugierig zwischen ihr und Pierce hin- und herwanderte. Madison erwiderte sein Starren, bis sich sein Nacken rot verfärbte und er nervös an dem Verband herumnestelte.

Pierce grinste und schüttelte den Kopf.

Das wohlvertraute, sexy Lächeln entfachte erneut Madisons Begehren. Ihr Unterleib zog sich sehnsüchtig zusammen, als eine Erinnerung in ihr aufstieg – sie dachte daran, dass er sie genauso angelächelt hatte, als er sich in ihrer letzten gemeinsamen Nacht im Bett über sie gebeugt hatte.

»Ist dir nicht kalt?«, fragte sie etwas harsch und in dem vergeblichen Bemühen, die Frustration in ihrer Stimme zu unterdrücken. Am liebsten hätte sie nach einer der Decken gegriffen, die neben ihm lagen, und damit alle seine verführerischen, durchtrainierten Muskeln bedeckt. »Du solltest nicht so halb nackt herumliegen.«

»Meinst du nicht, dass der Sanitäter dann Probleme hätte, meine Rippen zu bandagieren?«

Sein feixender Unterton sagte ihr, dass ihm nicht entgangen war, welche Wirkung der Anblick seines beinahe nackten Körpers auf sie hatte, nämlich denselben wie eh und je.

Und er genoss es.

Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. »Was machst du eigentlich hier in Savannah? Und warum bist du mir gefolgt?«

»Also hast du doch bemerkt, dass ich hinter dir hergerannt bin. Hast du meine Warnung nicht gehört? Dass er eine Pistole hat?«

Ihre Wangen röteten sich. »Ich habe gehört, dass jemand mir etwas hinterhergeschrien hat, aber ich war nicht sicher, was es war.«

Er zog die Augenbrauen hoch, es war offensichtlich, dass er ihr nicht glaubte.

»Ich bin nicht leichtsinnig.« Wie sie dieses Gefühl hasste, sich rechtfertigen zu müssen! »Wenn ich gewusst hätte, dass er bewaffnet war, dann wäre ich nicht hinter ihm hergerannt.«

Zumindest nicht, ohne zurück ins Haus zu gehen und sich ihre eigene Waffe zu holen.

»Dein Verhalten ist also nicht leichtsinnig? Bist du nicht auf die Idee gekommen, dass der Mann, den du gejagt hast, der Mörder sein könnte, über den die Zeitungen schreiben? Der Mörder, der bisher zwei Frauen ermordet hat und der die ›Simon sagt: Stirb!‹-Botschaften bei den Leichen hinterlassen hat?«

Madison errötete noch stärker. »Nein, ehrlich gesagt nicht.« Das offen zuzugeben, verletzte ihren Stolz und trug nicht dazu bei, ihre schlechte Laune zu verbessern. »Hör auf, das Thema zu wechseln. Warum bist du hier?«

»Warum hast du diesen Mann verfolgt?«, konterte er.

Sie deutete auf die Streifenwagen. »Wie ich bereits Lieutenant Hamilton gesagt habe: Er hat unbefugt mein Grundstück betreten. Ich bin hinausgegangen, um ihn zur Rede zu stellen, und er ist weggerannt. Ich habe nicht nachgedacht, sondern einfach nur reagiert, und bin ihm nachgelaufen.«

»Warum hast du nicht die Polizei gerufen?«

»Das habe ich«, erwiderte sie spitz. »Und zwar, als ich ihn das erste Mal dabei erwischt habe, wie er mich beobachtet hat. Und beim zweiten Mal. Und beim dritten Mal. Aber bis die Polizei sich die Mühe gemacht hat, vorbeizuschauen, war er jedes Mal wieder weg.«

Seine Augen wurden groß. »Dann hat dieser Mann dich zum vierten Mal belästigt? Und da dachtest du, es wäre eine gute Idee, ihn zur Rede zu stellen?« Er fluchte und schüttelte den Kopf. »Warum hast du Logan heute Morgen, als du mit ihm telefoniert hast, nicht gesagt, dass du belästigt wirst?«

Madison saß regungslos da. »Woher weißt du, dass ich heute Morgen mit ihm gesprochen habe?«

Er warf dem Sanitäter einen unbehaglichen Blick zu, ehe er antwortete. »Logan hat mich angerufen und mir erzählt, dass du aufgeregt und verstört geklungen hättest. Er hat mich gebeten, bei dir vorbeizuschauen, um nachzusehen, ob bei dir alles in Ordnung ist.«

»Ha! Du meinst wohl, um nachzusehen, ob ich mich in Schwierigkeiten gebracht habe«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Flitterwochen oder nicht, ihr Bruder würde was zu hören bekommen. Sie hätte wissen müssen, dass es keine gute Idee war, ihn anzurufen. Aber als der Mann schon wieder in ihrem Garten gestanden hatte, hatte sie sich nach dem Rat ihres Bruders gesehnt, der immerhin Polizeichef war. Als sie jedoch seine fröhliche Stimme gehört hatte, hatte sie sich nicht dazu überwinden können, ihm von ihren Sorgen zu erzählen. Er und Amanda hatten so viel durchgemacht. Sie verdienten unbeschwerte Flitterwochen.

Jetzt, da sie über Pierce’ Worte nachdachte, kam ihr plötzlich ein furchtbarer Verdacht. »Warte mal. Es ist kaum eine Stunde her, dass ich mit Logan telefoniert habe. Und die Fahrt von Jacksonville hierher dauert mindestens drei Stunden. Bist du etwa wegen eines Falls nach Savannah gekommen?«

Er sah aus, als würde er ihre Frage nur ungern beantworten. Die Fältchen um seine Augen herum vertieften sich, und er presste die Lippen zusammen. »Ich wohne nicht mehr in Florida, sondern hier, in Savannah.«

Sie atmete hörbar ein.

Pierce lebte in derselben Stadt wie sie.

Der Gedanke ließ sie nicht los, es fühlte sich an, als würde eine Hand ihr Herz zusammendrücken und ihr die Luft aus der Lunge pressen.

Eigentlich konnte es ihr egal sein.

Es konnte ihr egal sein, dass er in ihrer Nähe lebte. Es brauchte sie nicht zu interessieren, dass sie ihm jederzeit im Supermarkt über den Weg laufen oder ihm auf der Straße begegnen konnte. Und auch, dass sie in diesem Moment die Hand ausstrecken und mit den Fingern über seine goldene Haut fahren könnte.

Das alles müsste ihr vollkommen gleichgültig sein.

Aber zur Hölle, das war es nicht.

Sie musste sich zweimal räuspern, ehe sie wieder ein Wort herausbrachte. »Wie lange bist du schon in Savannah?«

Der Sanitäter warf ihr einen kurzen Blick zu und legte dann den Verbandsmull weg. »Sie können die Arme jetzt herunternehmen, Mr Buchanan.«

Pierce senkte die Arme und musterte sie mit einem wachsamen Ausdruck im Gesicht. »Seit zwei Monaten.«

Zwei Monate? Als sie sich auf der Hochzeit ihres Bruders gesehen hatten, hatte er sich nicht die Mühe gemacht, ihr von seinem Umzug zu erzählen. Sie hatte ihn allerdings ebenso wenig darüber informiert, dass sie umgezogen war; vor allem deshalb, weil sie keine Lust gehabt hatte, mit ihm zu reden, als sie sah, wie beschäftigt er mit seiner Begleiterin, einer lächerlich jungen, schönen Rothaarigen gewesen war.

Vermutlich hatte der Rotschopf gegen sein elterliches Ausgehverbot verstoßen, um Pierce zum Hochzeitsempfang begleiten zu können.

Aber Logan musste gewusst haben, dass Pierce nach Savannah gezogen war. Pierce war für Logan so etwas wie der Bruder, den er nie gehabt hatte, insbesondere angesichts der Ereignisse des vergangenen Jahres, als er und Pierce Amanda aus den Händen eines Serienmörders gerettet hatten. Und er hätte Pierce ganz bestimmt nicht gebeten, nach ihr zu sehen, wenn dieser sich mehrere Autostunden entfernt in Jacksonville aufgehalten hätte.

»Logan weiß, dass du hier lebst, stimmt’s?« Sie machte sich nicht die Mühe, seine Antwort abzuwarten, sie kannte sie bereits. »Das hätte er mir sagen müssen, bevor er mich dazu überredet hat, mir ein Haus in Savannah zu kaufen. Du hättest es mir sagen müssen.«

»Hätte es denn einen Unterschied gemacht, wenn du es gewusst hättest?«, fragte er. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und bildeten eine dunkle Linie. »Hättest du dich dann wieder aus dem Staub gemacht?«

Sie blinzelte verblüfft, weil er ins Schwarze getroffen hatte, und machte unwillkürlich einen Schritt nach hinten. Wenn es nur ebenso leicht wäre, der Wahrheit aus dem Weg zu gehen. Er hatte recht. Sie war vor ihm davongelaufen.

Aber nicht aus dem Grund, den sie ihm genannt hatte.

»Mrs McKinley?«, rief eine Stimme hinter ihr.

Verblüfft wirbelte sie herum und stolperte dabei über die Bordsteinkante.

»Huch, seien Sie vorsichtig.« Der Polizist, der sie angesprochen hatte, griff nach ihrem Ellenbogen und half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden. »Alles in Ordnung, Ma’am?«

Bei dem Versuch aufzutreten, schnitt sie eine Grimasse.

»Vielleicht wäre es besser, wenn der Sanitäter sich Ihren Fuß einmal ansieht.«

»Nein, nein, das ist nicht nötig.«

Der Polizist warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Brauchen Sie wirklich keinen Arzt? Ich bin gekommen, um Sie zum Revier zu begleiten. Lieutenant Hamilton hat noch ein paar Fragen an Sie. Auf diese Weise sind Sie auch vor den Schaulustigen sicher.« Er deutete mit dem Kinn auf die neugierigen Zuschauer, die sich hinter dem Absperrband versammelt hatten. »Soll ich jemanden für Sie anrufen, damit er zum Revier kommt? Ihren Mann?«

»Das ist nicht nötig. Meine Familie lebt nicht in der Nähe. Und mein Mann ist … tot.«

Madison versuchte noch einmal, ihren Knöchel zu belasten, doch bei dem Versuch durchzuckte ein scharfer Schmerz ihr Bein und sie musste sich auf den Arm des Polizisten stützen.

»Lass das lieber in der Notaufnahme untersuchen, Madison.«Pierce rutschte zur Seite, um auf der Tragbahre für sie Platz zu machen. »Die Polizei kann deine Aussage später zu Protokoll nehmen.«

Sie zögerte. Sie wollte nicht zusammen mit Pierce in einem Krankenwagen eingeschlossen sein, schon gar nicht mit einem neugierigen Pierce, der sie den ganzen Weg bis zum Krankenhaus mit Fragen löchern würde.

Andererseits konnte sie die Gelegenheit nutzen, ihn davon zu überzeugen, Logan nichts von den morgendlichen Ereignissen zu erzählen. Falls der Schütze wirklich der war, für den sie ihn hielt, dann war das Leben, das sie sich seit eineinhalb Jahren aufzubauen versuchte, dabei, in sich zusammenzufallen. Sie brauchte Zeit, um sich darüber klar zu werden, was zu tun war und wie sie ihre Familie schützen konnte.

Sie machte einen wackligen Schritt nach vorn und hielt sich an dem Metallgriff der Krankenwagentür fest.

Der Sanitäter öffnete den Mund, als wolle er protestieren, machte ihn aber sofort wieder zu, als Madison ihm einen herausfordernden Blick zuwarf. Sie hievte sich ins Innere und ließ sich auf die Bank gegenüber von Pierce fallen. Der Sanitäter sagte durch die Glasscheibe etwas zu dem Fahrer und begann damit, die Schiebetüren zuzuziehen.

»Eine Minute noch«, rief der Polizist, ehe er die andere Tür schließen konnte. »Buchanan, ich soll Ihnen von Hamilton ausrichten, dass er Ihren Chef angerufen hat – so, wie Sie es gewünscht hatten. Matthews sagte, er trifft Sie und Ihre Verlobte im Krankenhaus.«

2

Pierce saß in der Notaufnahme und umklammerte angespannt die Seiten des Untersuchungstischs, auf dem er saß. Madison wiederzusehen – noch dazu, während sie mit einer Waffe bedroht wurde – war ein Schlag in die Magengrube gewesen, von dem er sich noch nicht richtig erholt hatte. Als er auf der Straße gelegen und sie sich über ihn gebeugt hatte, da hätte er sie angesichts der Sorge und der Angst in ihren tiefblauen Augen am liebsten in die Arme genommen und fest an sich gedrückt. Gern hätte er die Hände in ihrem dichten Haar vergraben und den Jasminduft eingeatmet, den ihre weiche Haut stets ausströmte.

Aber dann hatte sich sein Verstand zu Wort gemeldet und ihn daran erinnert, wie es zwischen ihnen geendet hatte. Und ihm wurde klar, dass sie jeden, der angeschossen worden wäre, so besorgt angesehen hätte. Ihr Blick bedeutete ganz bestimmt nicht, dass sie sich noch etwas aus ihm machte.

Er sah hinüber zu dem grünen Vorhang, hinter dem Madison vor einer halben Stunde mit einer Schwester verschwunden war. Aber warum war sie dann so blass geworden, als sie von seiner Verlobten gehört hatte? Schließlich war Madison diejenige gewesen, die Schluss gemacht hatte. Warum sollte es ihr etwas ausmachen, wenn er eine neue Liebe gefunden hätte?

»Special Agent Buchanan.«

Unwillig wandte er sich wieder dem jungen Arzt zu, der soeben seine Wunde genäht hatte. Viel zu jung. Wahrscheinlich ein Wunderknabe, der mit dreizehn Jahren die Highschool abgeschlossen hatte. Noch dazu ein Wunderknabe, der ihm bereits mehr als genug von seiner Zeit gestohlen hatte. Er musste unbedingt seinen derzeitigen Fall zum Abschluss bringen, und außerdem hatte er wegen der Schießerei noch ein Dutzend Fragen an Madison.

Zum Beispiel, warum sie ihn angefleht hatte, Logan nichts von den morgendlichen Ereignissen zu erzählen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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