Sonst brennst du lichterloh! - Lena Diaz - E-Book

Sonst brennst du lichterloh! E-Book

Lena Diaz

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Beschreibung

Savannah, Georgia. Im Büro des FBI gehen anonyme Briefe ein. Darin finden sich die Namen von Menschen, die einem kranken Verbrechen zum Opfer fielen - und die Zeile eines Kinderlieds. Special Agent Tessa James beginnt fieberhaft zu ermitteln, um den wahnsinnigen Brandstifter aufzuhalten. Doch alle Hinweise deuten auf Tessa selbst als die Täterin ...

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Prolog

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Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Lena Diaz bei LYX

Impressum

LENA DIAZ

Sonst brennst du

lichterloh!

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Frauke Lengermann

Zu diesem Buch

Ringel, Rangel, Rosen, schöne Aprikosen,

Feuer, Asche, Sonnenblum, alle fallen tot um.

Die Macht zu brennen. Die Macht zu zerstören. Die Macht zu bestrafen.

Seit drei Jahren erhält das FBI in regelmäßigen Abständen Briefe, die nur jeweils einen Namen und den Reim »Feuer, Asche, Sonnenblum, alle fallen tot um« enthalten. Bei Nachforschungen konnten jedoch keine Opfer mit den Namen die in den Briefen genannt wurden, ausfindig gemacht werden, und die Briefe wurden als billige Streiche abgetan. Trotzdem ist sich die FBI-Agentin Tessa James sicher, dass ein Serientäter am Werk ist, der bereits dreiundzwanzig Menschen das Leben genommen hat. Sie bekommt sieben Tage Zeit, dies gemeinsam mit dem Privatermittler Matt Buchanan zu beweisen. Zusammen versuchen sie herauszufinden, was hinter den Briefen steckt. Die Spur führt in den Süden der USA zu einem Serienbrandstifter. Dabei geraten auch Tessa und ihre Vergangenheit – an die sie selbst keinerlei Erinnerungen hat – mehr und mehr in den Fokus der Ermittlungen. Doch ihr und Matt läuft die Zeit davon, denn, wenn sie sich nicht bald wieder erinnert, wird im nächsten Brief ihr Name stehen …

Prolog

Heiße Flammenzungen leckten gierig am Dachfirst, spielerisch, genüsslich, wie ein Liebhaber, der sich nach der ersten Berührung verzehrte und danach lechzte, sich mit dem verführerischen Körper der Frau in dem Haus zu vereinen.

Das flammende Inferno zog ihn magisch an, und er ging weiter auf das Haus zu, bis er wegen der unerträglichen Hitze zurückweichen musste. Als der erste Ascheregen niederging, reckte er das Gesicht dem Feuer entgegen, um die Flocken wie einen warmen Atemhauch, wie einen zarten Kuss auf der Haut zu spüren.

Mit den Händen fing er ein paar der rußigen Flöckchen auf, und der vertraute, ätzende Geruch drang ihm in die Nase. Das tröstliche Knistern des Feuers veränderte sich, und er legte den Kopf schräg, um zu lauschen. Nein, die Veränderung hatte nichts mit dem Feuer zu tun. Was er hörte, waren Sirenen, ein schrilles Heulen in der Ferne, das sich in das Brausen der Feuersbrunst mischte.

Er zerrieb die Ascheflöckchen zwischen den Fingern, hob den Benzinkanister vom Boden auf und machte sich auf den Weg zu seinem Lieferwagen. Zu spät. Sie waren immer zu spät. Schon bald würde er sich endlich rächen.

Feuer, Asche, Sonnenblum, alle fallen tot um.

1

Zahllose Briefe lagen auf dem Konferenztisch verstreut, jeder einzelne eine düstere Grabinschrift, die an ein gestohlenes, ein verlorenes, ein zerstörtes Leben gemahnte. FBI-Agentin Tessa James griff nach einem der Briefbögen und fuhr vorsichtig mit ihrem durch einen Latexhandschuh geschützten Finger über die Worte, die dort standen. Ein Name – Sharon Johnson. So schlicht. So kurz. So unpassend. Darunter der höhnische Schriftzug des Mörders »Feuer, Asche, Sonnenblum, alle fallen tot um«, gefolgt von einem seltsamen kleinen Schnörkel, der wie bedeutungsloses Gekritzel gewirkt hätte, wenn er sich nicht auf jedem der Briefe befunden hätte. Dass diese Worte und das Zeichen des Mörders auf demselben Papier wie die Namen der Opfer standen, erschien Tessa geradezu obszön.

Selbst im Tod konnten sie ihm nicht entrinnen.

Die Tür ging auf, und eine Brise klimatisierter Luft drang in den Konferenzraum, sodass die Briefe über den braunen Tisch flatterten wie Blätter über ein Grab. Schnell schlug Tessa mit den flachen Händen darauf, um die Blätter festzuhalten, und sah hoch. Vor ihr stand ihr Vorgesetzter Casey Matthews.

Na toll.

Früher einmal war er ihr ein verlässlicher Mentor gewesen, ein Freund.

Aber damit war es nun vorbei.

Mit eisigem Blick musterte er den mit Briefen übersäten Tisch. Dann presste er die Lippen zusammen und schloss die Tür hinter sich. Das Geräusch klang unheilvoll.

»Irgendwelche neuen Spuren?«, fragte er.

Aber sein sachlicher Tonfall konnte sie nicht täuschen. Sein kerzengerader Rücken und sein grimmiges Gesicht signalisierten, dass er kurz vor der Explosion stand. Im Geiste schlängelte sie sich durch das Minenfeld der möglichen Antworten auf seine Frage. Eine geschickte Lüge hätte sie vielleicht gerettet, aber dafür respektierte sie ihn zu sehr.

»Keine neue Spur. Es ist mir immer noch nicht gelungen, die Namen mit irgendwelchen Verbrechensmeldungen in Verbindung zu bringen – mal abgesehen von den beiden bekannten Fällen, bei denen wir bereits wussten, dass sie nicht miteinander in Zusammenhang stehen.«

Jetzt war er es, der sie beobachtete, ihre Worte überdachte und sich eine Antwort zurechtlegte.

Entschlossen hielt sie seinem Blick stand. Sie hatte nie vorgehabt, gegen seine Anweisungen zu verstoßen. Deswegen hatte sie die verbotenen Briefe auch wieder in die Asservatenkammer schaffen wollen, bevor er von seinem Termin am anderen Ende der Stadt zurückkehrte. Entweder war er früher fertig gewesen als gedacht, oder er misstraute ihr mehr, als sie vermutet hatte, und war extra zurückgefahren, um zu überprüfen, ob sie seine Anweisungen befolgte.

Was leider nicht der Fall war.

Wenn sie sich doch einfach nur an seine Anweisungen halten könnte! Aber an dieser Situation war überhaupt nichts einfach. Hinter den Namen in den Briefen steckten reale Menschen, Opfer, die Gerechtigkeit verdienten. Ihre Kollegen hatten den Fall schon vor langer Zeit zu den Akten gelegt, aber das konnte sie nicht. Wenn es in ihrem Leben auch nur halbwegs fair zugegangen wäre, dann müsste sie nicht heimlich ermitteln, um Menschen zu helfen, die sie nicht einmal kannte. Aber das Leben war eben nicht fair, und das FBI war nicht nachsichtig gegenüber Bundesagenten, die gegen die Regeln verstießen.

»Das Ganze ist sicher nur ein dummer Streich«, sagte er schließlich. »Wie lange geht das jetzt schon so – drei Jahre? Wenn jemand all diese Menschen tatsächlich umgebracht und diese Briefe an das FBI geschickt hätte, um uns mit seinen Taten zu verhöhnen, dann könnten wir wenigstens einen dieser Namen einem ungelösten Mordfall zuordnen.«

Es lief immer auf die gleiche Diskussion hinaus. Casey hielt das Ganze für einen schlechten Scherz – Tessa dagegen war sich sicher, dass er sich irrte. Verzweifelt wünschte sie sich, dass er richtig lag, denn das würde bedeuten, dass diese Menschen noch am Leben waren. Aber aus irgendeinem Grund wusste sie, dass es kein harmloser Streich war. Sie war sich da genauso sicher wie bei der Tatsache, dass sie ein Abzugsgewicht von 5,5 Pfund auf den Auslöser ihrer Glock 17 ausüben musste, um eine Kugel abzufeuern. Für sie bestand kein Zweifel daran, dass der Briefeschreiber es todernst meinte und dass er ein gefährlicher Mörder war, der unschädlich gemacht werden musste.

»Tessa?«

Widerwillig riss sie ihren Blick von der traurigen Namensliste los. Es wäre klüger gewesen, ihm recht zu geben – und auch einfacher.

Aber es war falsch.

Was immer in den nächsten Minuten passierte, sie würde sich nicht einschüchtern lassen und sich entschuldigen. Sie war schließlich nicht diejenige, die lieber Geld und Mittel sparte, als Leben zu retten.

»Das ist kein harmloser Streich«, beharrte sie. »Dafür geht das alles schon viel zu lange. Wir haben die Medien nicht über die Briefe informiert, also erhält der Briefeschreiber auch keine Aufmerksamkeit. Nicht einmal die Genugtuung, dass das FBI sich mit dem Fall abgibt. Er hat doch gar nichts davon.«

Casey ließ sich halb auf dem Tisch nieder. Seine Anspannung ließ etwas nach, und er schien tatsächlich über ihr Argument nachzudenken. »Wenn der Briefeschreiber normal wäre, dann würde ich Ihnen zustimmen. Aber es kann genauso gut sein, dass er – oder sie – geistesgestört ist und sich auf diese Weise einen Kick verschafft. Davon abgesehen dürfen Sie die andere Seite nicht vergessen. Denken Sie doch mal logisch. Wir haben dreiundzwanzig Briefe bekommen, was bedeutet, dass es in weniger als sechsunddreißig Monaten dreiundzwanzig Opfer gegeben haben muss, und das wiederum heißt, dass er alle sechs bis sieben Wochen jemanden ermordet haben müsste. Wenn das stimmen würde, müsste seine Vorgehensweise inzwischen irgendjemandem aufgefallen sein. Es wäre einfach unsinnig, dass es dann noch niemandem gelungen wäre, eine Verbindung zwischen den verschiedenen Morden herzustellen.«

Das klang logisch. Bei jedem anderen Fall hätte sie ihm auch nicht widersprochen. Aber dieser schien aus einem Grund, der ihr selbst ein Rätsel war, irgendwie anders zu sein. Sie musste Casey einfach davon überzeugen, dass sie recht hatte, sonst würden noch mehr Menschen sterben.

Sie griff nach dem ersten Brief, den der Killer geschickt hatte, und hielt ihn hoch, als wäre er ein Beweisstück vor Gericht.

»Anna Davidson. Sie hat eine Mutter, vielleicht auch Kinder oder einen Mann. Wollen Sie nicht herausfinden, was ihr zugestoßen ist? Was ist mit ihrer Familie? Wissen ihre Angehörigen überhaupt, dass sie tot ist? Können Sie sich vorstellen, wie quälend das für die Familien der Opfer sein muss? Sich jeden Tag zu fragen, was ihren Liebsten zugestoßen ist und ob sie sie jemals wiedersehen?«

»Sie gehen davon aus, dass es wirklich eine Anna Davidson gibt. Aber dafür gibt es keinen Beweis.«

Tessa seufzte genervt, schob den Brief zurück in den dazugehörigen Umschlag und legte ihn wieder auf den Stapel.

»Kann ich beweisen, dass es diese Menschen gegeben hat und dass sie ermordet wurden? Nein. Noch nicht. Aber ich brauche nur einen einzigen Anhaltspunkt, der einen Toten mit einem der Namen in Verbindung bringt. Eine einzige heiße Spur, der ich folgen kann, um dem raffinierten Plan dieses Monsters auf die Spur zu kommen.«

Casey ging hinüber zum Fenster. Er schob die Gardine beiseite, aber Tessa wusste, dass er nicht die Aussicht bewunderte. Es gab keine – es sei denn, man fand den Blick auf die Seitengasse und ein Betongebäude interessant. Das Bürohaus des FBI lag nach hinten versetzt einen Block hinter dem Reynolds Square, ganz so, als hätte der Erbauer Wert darauf gelegt, dass das Gebäude nicht Savannahs historisches Stadtviertel verschandelte und auf diese Weise die Touristenfotos ruinierte. Nein, ihr Chef dachte nach und versuchte zu entscheiden, was er mit der widerspenstigen Bundesagentin anstellen sollte, die sich einmal zu oft seinen Befehlen widersetzt hatte.

Casey drehte sich zu ihr um und lehnte sich gegen das Fensterbrett. »Wir haben andere Fälle.«

Nicht schon wieder.

»Und wir haben eine Einheit, die sich mit ungeklärten Kriminalfällen befasst«, fuhr er fort, »eine Einheit, die diesen Fall bereits vor Monaten aufgegeben hat. Als Sie mich gebeten haben, an diesem Fall arbeiten zu dürfen, war meine Antwort eindeutig: Nein. Sie haben andere Aufgaben. Trotzdem machen Sie heimlich weiter und ermitteln in diesem Fall, anstatt sich um Ihre eigentlichen Aufgaben zu kümmern.«

Sie versteifte sich. »Meine übrige Arbeit wurde in keinster Weise beeinträchtigt. Ich habe mich ausschließlich in meiner Freizeit mit diesem Fall beschäftigt, während der Mittagspause und nach Dienstschluss.«

Demonstrativ blickte Casey zuerst auf seine Armbanduhr und dann auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand. Es war erst Vormittag.

Sie errötete. »Na schön, ich gebe zu, dass ich heute – erstmals – meine reguläre Arbeitszeit genutzt habe, um mir die Briefe genauer anzusehen. Aber nur, weil ich gerade einen Fall abgeschlossen und noch keinen neuen übernommen habe.«

Er verdrehte die Augen. »Ja, klar. Als ob Sie nicht ganz genau wüssten, welche ungelösten Fälle wir haben, in die Sie sich einarbeiten könnten. Das wissen wir beide doch besser. Das ist doch nicht der Grund, weshalb Sie sich heute die Briefe aus der Asservatenkammer geholt und sie hierhergebracht haben.«

Es verdross Tessa, dass er keine Einsicht zeigte, aber sie musste ihn besänftigen. Sie schluckte heftig und bemühte sich um einen respektvollen Tonfall, auch wenn ihre Worte keineswegs respektvoll waren. »Ich gebe zu, dass ich es teilweise deswegen getan habe, weil ich von Ihrem Termin am anderen Ende der Stadt wusste.«

Er lachte kurz und harsch auf. »Sie werden es nicht lassen, habe ich recht? Und wenn ich Sie noch so oft anweise, diese Sache fallen zu lassen, Sie werden weitermachen und heimlich ermitteln.« Mit einer Handbewegung schnitt er ihr das Wort ab, ehe sie antworten konnte. »Sagen Sie lieber nichts dazu, sonst rege ich mich nur noch mehr auf.«

Mit wenigen großen Schritten durchquerte er das kleine Zimmer, aber statt sich zu setzen, ging er weiter auf und ab. Schließlich blieb er direkt vor Tessa stehen, stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte und beugte sich vor.

»Aber ich will eine Erklärung. Warum bedeutet dieser Fall Ihnen so viel, dass Sie deswegen eine achtjährige erfolgreiche Karriere beim FBI aufs Spiel setzen? Wir beide wissen doch, dass Sie doppelt so hart wie die meisten Männer in dieser Einheit gearbeitet haben, um sich zu bewähren und in dieser Männerdomäne erfolgreich zu sein. Sie gelten mittlerweile als eine der besten Agentinnen meines Teams, und trotzdem sind Sie bereit, das alles wegzuwerfen. Warum? Warum sind Sie so … besessen … von diesem Fall?«

Angesichts der Unnachgiebigkeit in seinem Blick und seiner harschen Bemerkung darüber, wie sie ihre Karriere wegwarf, sank ihr der Mut so schnell wie eine mit Steinen beschwerte Leiche im Savannah River. War sie zu weit gegangen? War dies hier das Ende ihrer beruflichen Laufbahn?

Sie versuchte sich ein Leben vorzustellen, in dem sie nicht mehr Special Agent James, sondern nur noch Miss Tessa James war. Seit sie zum ersten Mal in einer Fernsehserie gesehen hatte, wie ein FBI-Agent einen Verbrecher jagte und festnahm, um andere Menschen zu schützen, war für sie klar gewesen, dass sie später einmal genau das tun wollte. Sie würde niemals auf jemanden angewiesen sein, der sie beschützte, sondern würde vielmehr diejenige sein, die die anderen rettete. Wenn sie versuchte, sich eine Zukunft auszumalen, in der sie keine FBI-Agentin mehr war, tat sich eine schreckliche Leere vor ihr auf.

»Nun?«, bohrte er. »Was ist so besonders an diesem Fall, dass Sie dafür alles andere aufs Spiel setzen wollen?«

Unter dem Tisch krampfte Tessa die Hände ineinander. Warum zog er das Ganze so in die Länge? Warum machte er nicht einfach kurzen Prozess und feuerte sie? Bei jedem anderen hätte sie dieser demütigenden Situation ein Ende gemacht und wäre einfach gegangen, aber hier handelte es sich um Casey. Sie hatten schon so oft bei schwierigen Einsätzen zusammengearbeitet. Er verdiente es, von ihren Beweggründen zu erfahren. Außerdem hatte er zum ersten Mal wirklich danach gefragt, warum ihr dieser Fall so wichtig war. Vielleicht war es ihm ja ernst, vielleicht wollte er es wirklich wissen.

Aber wie sollte sie ihm etwas erklären, das sie selbst nicht verstand?

Der Kampfgeist verließ sie, und ihre Schultern sackten nach unten. »Ich weiß es nicht, Casey. Ich wünschte, ich wüsste es. Vielleicht … vielleicht hat es etwas mit den Namen der Opfer zu tun. Oder es ist dieser ›Feuer und Asche‹-Spruch. Irgendetwas an diesem Vers kommt mir so seltsam … bekannt vor.«

Casey griff sich einen der Stühle und nahm rittlings darauf Platz. »Natürlich kommt es Ihnen bekannt vor. Das ist ein Kinderreim, oder vielmehr eine Verballhornung davon. Deshalb klingt es vertraut.«

Beide schwiegen, und das Bewusstsein, ihre Zukunft zerstört zu haben, ließ Tessa tausend Tode sterben. Casey dagegen, der mit den Fingern auf der Laminattischplatte herumtrommelte, wirkte eher verwirrt als wütend.

Unvermittelt hörte er mit dem Trommeln auf. Die plötzliche Entschlossenheit in seinem Blick machte Tessa nervös. Ganz offensichtlich war er zu einem Entschluss gekommen, und noch ehe er zu sprechen begann, wusste sie, dass dieser Entschluss ihr nicht gefallen würde.

»Ich will die alte Tessa James zurück«, sagte er. »Die Tessa, bei der ich mich darauf verlassen kann, dass sie Anweisungen befolgt und mit mir zusammen statt gegen mich arbeitet. Die vielversprechende Agentin mit der Aussicht auf eine glänzende Karriere. Daher kündige ich Ihnen auch nicht. Sie bekommen nicht mal eine Verwarnung, auch wenn Sie die verdient hätten. Aber ich will eine Gegenleistung. Wir treffen eine Abmachung.«

Zu Beginn seiner kleinen Ansprache war Hoffnung in Tessa aufgekeimt, doch diese erstarb rasch wieder. Casey war nicht der Typ für Deals, daher gab es für sie hier wohl nichts zu gewinnen.

Sie musterte ihn argwöhnisch. »Was für eine Abmachung?«

Er deutete auf den Briefstapel auf dem Tisch. »Ich gebe Ihnen eine Woche – sieben Tage – Zeit für den Beweis, dass es sich bei den Briefen nicht um einen schlechten Scherz handelt, und um einen handfesten Ermittlungsansatz zu erarbeiten. Und wenn ich ›handfest‹ sage, dann meine ich damit wirklich hieb- und stichfest. Wenn Sie mich nach dieser Woche nicht davon überzeugen können, dass es sich um mehr als einen dummen Scherz handelt, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie diese Sache zu den Akten legen und nie wieder ein Wort über diese Briefe verlieren.«

Wortlos starrte sie ihn an, verblüfft darüber, dass er ihr noch eine Chance gab. Was sie noch mehr erstaunte, war die Tatsache, dass er sie genau das tun ließ, was sie die ganze Zeit gewollt hatte.

»Sie lassen mich an dem Fall arbeiten?«

Er nickte. »Sie haben sieben Tage. Die Zeit läuft ab morgen, Tag eins. Am siebten Tag ist das Spiel aus. Und Sie müssen meinen Bedingungen schriftlich zustimmen.«

Der Punkt mit dem schriftlichen Einverständnis kränkte sie, aber schließlich hatte sie ihn im Hinblick auf die Briefe hintergangen. Es würde einige Zeit dauern, bis er ihr wieder vertraute.

»Einverstanden. Ich unterschreibe alles, was Sie wollen.« Grenzenlose Erleichterung durchströmte sie. Sie wusste zwar nicht, warum er so entgegenkommend war, aber sie würde ihm keinen Anlass geben, seine Entscheidung zu überdenken. »Das werden Sie nicht bereuen, Casey. Wenn ich an nichts anderem arbeiten muss, dann schaffe ich es bestimmt …«

Er hob die Hand. »Ich bin noch nicht fertig.«

Erneut sank ihr der Mut.

»Es gibt noch eine Bedingung. Sie sollen alle Unterstützung bekommen, die Sie brauchen, damit Sie sich hinterher nicht beschweren, ich hätte Ihnen nicht alle Mittel an die Hand gegeben, um den Fall zu lösen. Aus diesem Grund organisiere ich jemanden, der Ihnen hilft, sobald ich wieder in meinem Büro bin.«

Ihr helfen? Na toll. Ein neuer Partner. Der letzte, mit dem sie zusammengearbeitet hatte, war Pierce Buchanan gewesen. Sie waren ein Superteam gewesen, zumindest, bis sie zusammengekommen waren. Dann war plötzlich seine alte Flamme Madison auf der Bildfläche erschienen, und Tessa war so dumm gewesen, zu glauben, dass sie Pierce dazu bringen könnte, sich für sie zu entscheiden. Tatsächlich hatte sie sich ihm richtiggehend an den Hals geworfen und ihn geküsst, während seine zukünftige Frau sie durch ein Fenster beobachtet hatte.

Kein Moment in ihrem Leben, auf den sie besonders stolz war.

Danach war es mit ihrer Zusammenarbeit vorbei gewesen, und es hatte eine Weile gedauert, bis sie es nicht mehr unangenehm gefunden hatte, bei derselben Behörde wie er zu arbeiten. Eine Zeit lang hatte sie sich wie ein Dummkopf gefühlt. Und sicher war es keine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, wenn sie einen neuen Partner bekam, der von Casey dazu gezwungen wurde, mit ihr an einem ungelösten Fall zu arbeiten, für den er sich nicht interessierte.

»Vielen Dank für das Angebot«, erwiderte sie und versuchte, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen. »Aber ich habe den Fall bereits mit den Kollegen besprochen. Ich bin jedem Vorschlag der anderen gefolgt, aber nichts von alldem hat uns auf eine Fährte gebracht. Es führt zu nichts, wenn Sie mich zur Zusammenarbeit mit einem der anderen Agenten zwingen. Es würde nichts Neues herauskommen.«

Caseys Augen verengten sich, und zu spät ging ihr auf, dass sie sich verplappert und ihre Kollegen in Schwierigkeiten gebracht hatte, die von ihrer Arbeit an dem Brief-Fall gewusst hatten, ohne ihrem Vorgesetzten etwas davon zu sagen.

Casey verschränkte die Arme über der Stuhllehne. »Ich hatte auch nicht vor, die Arbeitszeit der anderen Agenten zu vergeuden. Ich ziehe einen Fachmann hinzu, einen Privatdetektiv aus der Gegend, der sich darauf spezialisiert hat, mit der Polizei an ungelösten Kriminalfällen zu arbeiten. Treffen Sie sich mit ihm und machen Sie ihn mit den Einzelheiten des Falles vertraut. Bringen Sie ihn dazu, dass er Sie bei dem Fall unterstützt. Er heißt Matt Buchanan.«

Sprachlos blinzelte Tessa und setzte einige Male zum Sprechen an, ehe sie etwas herausbrachte. »Der kleine Bruder von Pierce? Das ist doch wohl ein Scherz. Wie alt ist er … sechzehn, siebzehn?«

Ihr Chef umklammerte die Stuhllehne so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.

Augenblicklich bereute Tessa ihren Ausbruch, aber der Schock hatte jede Zurückhaltung weggeblasen.

»Es spielt zwar keine Rolle, aber er ist – glaube ich – vierundzwanzig«, sagte Casey schließlich. »Er ist ein erstklassiger Ermittler, der bereits mit mehreren Agenten dieser Behörde erfolgreich zusammengearbeitet hat. Er hat nicht nur einen Master in Kriminologie, sondern auch in Mathematik und einen Bachelor in Informatik. Und was noch wichtiger ist – er hat es geschafft, in weniger als drei Jahren zusammen mit sieben verschiedenen Strafverfolgungsbehörden, einschließlich unserer, über dreißig Fälle zu lösen. Seine Aufklärungsquote liegt bei fünfundachtzig Prozent. Wie hoch ist noch gleich die Aufklärungsquote unserer Einheit für ungelöste Kriminalfälle?«

»Eher um die zwanzig Prozent«, räumte sie widerwillig ein.

»Genau.«

Er schwieg kurz, als erwartete er, dass sie sich bei ihm bedankte und bekundete, wie sehr sie sich darauf freute, mit einem Teenie zusammenzuarbeiten. Sie hatte sich bereits mit Matts arroganten Übergriffen herumschlagen müssen, als dieser noch aufs College gegangen war. Damals, vor drei Jahren, hatte Tessa wegen Madison McKinleys Entführung ermittelt – derselben Madison, die am Ende Pierce geheiratet hatte. Matt zu ertragen, weil er Pierce’ Bruder war, war eine Sache. Aber wenn Tessa gezwungen war, mit ihm zusammenzuarbeiten, und zwar eine ganze Woche lang, Tag für Tag, dann konnte sie genauso gleich freiwillig ins Gefängnis gehen.

Denn höchstwahrscheinlich würde es damit enden, dass sie ihn mit bloßen Händen erwürgte.

Casey schlug mit der Faust auf den Tisch. »Hören Sie zu, ich weiß, dass Sie etwas gegen Matt haben. Deswegen zwinge ich Sie auch nicht, mit ihm zusammenzuarbeiten.«

Tessa räusperte sich unbehaglich. Es war ihr unangenehm, dass man ihr die Antipathie so deutlich ansah, aber sie würde sie auch nicht abstreiten.

»Es liegt bei Ihnen«, sagte Casey. »Aber Buchanan gehört zu unserer Abmachung. Arbeiten Sie mit ihm zusammen und stellen Sie innerhalb einer Woche einen Ermittlungsansatz auf die Beine. Wenn Sie das schaffen, dann bewillige ich eine vollwertige Ermittlung, die ich nach Kräften unterstützen werde. Ohne eine Spur ist der Fall gestorben, und falls ich Sie dann je wieder erwische, wie Sie auch nur an die Briefe denken, dann ist Ihre Karriere vorbei.«

2

Tessa schmollte immer noch wegen des Ultimatums, das Casey ihr gestellt hatte. Und während sie vorsichtig über den seitlichen Hof von Madison Buchanans Haus in der Gaston Street stöckelte, bereute sie außerdem, dass sie nach der Arbeit nicht zuerst nach Hause gefahren war und ihre Pumps gegen praktischeres Schuhwerk getauscht hatte.

Sie sah sich auf dem Anwesen um. Mehrere hohe Eichen standen auf dem großen Doppelgrundstück. Das Lousianamoos, mit dem sie bewachsen waren, reichte bis hinunter zum Boden. Aber statt sich angesichts der traditionellen Südstaaten-Gartengestaltung heimisch zu fühlen, empfand Tessa nichts als bedrückende Bösartigkeit, als verstecke sich ein Mörder hinter den Bäumen, der sich jeden Moment auf sie stürzen würde.

Sie schüttelte den Kopf über ihre krausen Gedankengänge. In den vergangenen Jahren hatte sie zahllose Tatorte gesehen. Eigentlich hätte diese Erfahrung sie gegen die Wirkung dieser Orte immun machen müssen. Aber als sie das letzte Mal hier gewesen war, hatte man hinter Pierce’ und Madisons riesigem viktorianischen Haus zwei Leichen ausgegraben, und irgendwie konnte sie das unheilvolle Gefühl nicht abschütteln, das sie hier unwillkürlich befiel.

Genau wie vor drei Jahren standen auch heute mehrere weiße Transporter der Firma Buchanan & Buchanan vor dem Haus, auf deren Seiten der hellrote B&B-Schriftzug prangte. Lautes Gehämmer und das Heulen elektrischer Kettensägen verrieten ihr, wo sich die Arbeiter befanden – im Garten hinter dem Haus, dort, wo man die Leichen damals entdeckt hatte. Trotz der warmen Sommersonne konnte sie ein Frösteln nicht unterdrücken.

»Hey, Tessa!«

Als sie sich umdrehte, entdeckte sie die hochschwangere Madison, die vom Haus her durch den Garten auf sie zueilte. Tessa blieb stehen, nicht besonders begeistert von der Aussicht, sich mit Madison unterhalten zu müssen. Der Umgang mit einer Frau, der sie einmal unterstellt hatte, ihre eigene Entführung inszeniert zu haben, fiel ihr nicht leicht. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Madison den Mann geheiratet hatte, mit dem Tessa sich selbst gern eine gemeinsame Zukunft aufgebaut hätte.

Madison blieb schwankend stehen, die eine Hand auf ihrem ausladenden Bauch, die andere in den Rücken gepresst, als hätte sie dort Schmerzen. Sie lächelte Tessa freundlich an, und diese hatte wegen ihrer ablehnenden Gefühle der anderen Frau gegenüber augenblicklich Schuldgefühle.

»Wie geht es Ihnen, Madison?«

»Kugelrund und launisch. Und gelangweilt. Ich hoffe, das Baby kommt bald. Pierce lässt mich nicht einmal aus den Augen, um nachzusehen, wie es mit dem Bau des Kinderzimmers vorangeht. Wegen jeder Kleinigkeit macht er sich Sorgen.« Mit einem Blick über Tessas Schulter seufzte sie laut auf. »Wenn man vom Teufel spricht … da kommt er auch schon. Wahrscheinlich schickt er mich wieder rein, damit ich mich ausruhe.«

Als Tessa sich umdrehte, sah sie Pierce auf sie beide zukommen, der immer noch einen dunkelblauen Anzug und ein weißes Hemd trug – dieselbe Kleidung wie vorher im Büro. Er musste direkt nach seiner Heimkehr in den Garten gegangen sein, um sich die Baustelle anzusehen. Nicht einmal die Krawatte hatte er abgelegt.

Das Hämmern war immer noch zu hören. Außerdem piepste irgendwo ein Gerät. Von ihrem Standort aus sah Tessa nur ein paar Männer, die an der Hausecke standen und eine Reihe Kanthölzer festhielten, die sie nebeneinander in den Boden schlugen.

Pierce schüttelte Tessa zur Begrüßung die Hand. »Ist etwas passiert?« Er legte Madison den Arm um die Schulter und drückte seine Frau an sich. »Braucht Casey mich im Büro?«

»Oh nein, gar nicht. Eigentlich bin ich überhaupt nicht wegen dir hier. Casey hat Matt gebeten, sich einen Fall anzusehen, an dem ich arbeite. Mir wurde gesagt, dass er hier mithilft, deswegen wollte ich kurz vorbeischauen, um einen Termin mit ihm zu vereinbaren.«

»Die Briefe?«, fragte Pierce.

Tessa nickte.

»Welche Briefe?«, erkundigte sich Madison neugierig.

»Müsstest du nicht im Haus sein und dich ausruhen?«, fragte Pierce sie mit gerunzelter Stirn.

»Sehen Sie, genau, wie ich gesagt habe.« Madison warf Tessa einen gereizten Blick zu. »Die ganze Zeit scharwenzelt er um mich herum. Er führt sich auf wie eine Glucke.«

»Einer muss ja dafür sorgen, dass du auf dich achtgibst«, meinte Pierce. »Wenn es nach dir ginge, wärst du den ganzen Tag auf der Baustelle, würdest die Leute herumkommandieren und im Weg herumstehen. Geh bitte wieder rein. Ich komme nach, sobald ich Tessa zu Matt gebracht habe.«

Madison brummte etwas, aber Tessa hatte nicht den Eindruck, dass Pierce’ Besorgnis ihr etwas ausmachte. Als er auf sie zugekommen war, hatten ihre Augen vor Freude geleuchtet, und als er den Arm um ihre Schultern gelegt hatte, hatte sie sogar geradezu gestrahlt.

Pierce gab ihr einen flüchtigen Kuss und schob sie dann sanft in Richtung Haus. Sie winkte ihnen zum Abschied zu und watschelte davon.

»Erstaunlich, dass sie so schnell nachgegeben hat«, bemerkte Tessa, während sie zusammen nach hinten in den Garten gingen.

»Glaub mir, sie hat nur nachgegeben, weil sie tatsächlich müde ist. Das Baby kommt schon in wenigen Wochen, und die meiste Zeit über ist sie völlig erschöpft.« Aus dem Augenwinkel warf er ihr einen Blick zu. »Ist im Büro wirklich alles in Ordnung? Du hast doch irgendwas.«

Wie immer bekam er mehr mit, als ihr lieb war.

»Nein, alles bestens.«

»Ja, alles bestens, außer dass Casey gesagt hat, du sollst mit Matt zusammenarbeiten, was dir gewaltig gegen den Strich geht … hab ich recht?«

Na toll. Wusste denn wirklich jeder, wie sie zu Matt stand?

Am hinteren Ende des Gartens blieben sie neben dem Zaun stehen, ein gutes Stück von der Baustelle entfernt. Tessa wandte den Männern, die an der Hauswand arbeiteten, den Rücken zu, um den Moment, in dem sie Matt entgegentreten musste, noch möglichst lange hinauszuzögern.

Pierce wartete immer noch geduldig auf ihre Antwort.

»Ist das denn so offensichtlich?«, wollte sie wissen.

»Für mich schon. Für Casey ebenfalls, schließlich hat er mit uns zusammen an dem ›Simon sagt‹-Fall gearbeitet und hat mitbekommen, wie du auf ihn reagiert hast.«

Sie verzog das Gesicht. »Tut mir leid. Er ist bestimmt ein toller Bruder und überhaupt ein netter Kerl. Er hat nur irgendetwas an sich, das …«

»… dich stört?«

»Ja, so ähnlich.«

»Verständlich.«

Sie musterte ihn mit scharfem Blick. »Ach ja?«

»Natürlich. Als du ihn kennengelernt hast, hast du gerade wegen Madisons Stalker ermittelt und warst fest davon überzeugt, dass sie selbst hinter allem steckte. Dann hat sich Matt eingemischt – für dich nicht viel mehr als ein Collegestudent, auch wenn er einen gigantischen IQ hat – und deine Überlegungen in Zweifel gezogen. Ich kann gut verstehen, dass er dir damals großspurig und arrogant vorkam. Wegen mir musst du dir keine Gedanken zu machen, weil du dich nicht mit meinem Bruder verstehst, mir macht das nichts aus.« Er grinste. »Und dass du meine Frau nicht magst, ist auch okay. Sie ist etwas gewöhnungsbedürftig. Wichtig ist nur, dass ich sie mag. Und das tue ich zufälligerweise – sehr sogar.«

Tessa stieg die Röte in die Wangen, aber sie kam zum Glück um eine Antwort herum, denn Pierce winkte jemandem hinter ihr und bedeutete ihm, näherzukommen.

»Da kommt Matt schon. Ich lasse euch beide mal allein, damit ihr in Ruhe über den Fall reden könnt.«

»In Ordnung, vielen Dank.«

Er marschierte zurück zum vorderen Teil des Hauses; ganz offensichtlich brannte er darauf, wieder zu seiner Frau zu kommen.

Tessas Besuch bei den Buchanans hatte sich bereits jetzt als genauso unangenehm erwiesen, wie sie befürchtet hatte. Und nun musste sie sich noch mit einem weiteren Buchanan herumschlagen, bevor sie nach Hause in ihr Apartment fahren konnte. Warum konnte der Privatdetektiv der Familie nicht Matts Zwillingsbruder Austin sein? Austin war zwar ein Besserwisser, steckte aber voller Schalk, und sie kam gut mit ihm zurecht. Und immerhin hatte er, im Gegensatz zu seinem Bruder, sie nicht in aller Öffentlichkeit bloßgestellt, indem er vor allen Leuten ihr Urteil angezweifelt hatte. Sie straffte die Schultern und drehte sich um.

Der Anblick von Matt Buchanan, der mit großen Schritten und nackter, schweißüberströmter, goldbrauner Brust auf sie zumarschiert kam, verschlug ihr den Atem. Sie griff nach dem Zaun, um sich festzuhalten, und konzentrierte sich darauf, ruhig zu atmen. Wann war er denn so groß geworden? Und woher kamen all diese Muskeln?

Er blieb direkt vor ihr stehen, viel zu nah, sodass sie gezwungen war, den Kopf in den Nacken zu legen, um ihm in die blauen Augen zu schauen. In seine erstaunlich blauen Augen, wie ihr auffiel, wobei sie sich im selben Moment dafür beschimpfte, dass sie es überhaupt bemerkt hatte.

Er zog eine dunkle Augenbraue hoch. »Alles in Ordnung? Sie sind so rot im Gesicht.«

Na toll.

Sie bemühte sich, sich gerade zu halten, ohne sich am Zaun festzuklammern wie ein liebestoller Teenager, der in den Quarterback der Highschool verknallt war. Das Ganze war einfach lächerlich. Sie war mindestens sechs Jahre älter als er. Eigentlich hätte ihr gar nicht auffallen dürfen, was für ein attraktiver Mann inzwischen aus ihm geworden war.

»Wie warm ist es heute, mindestens dreißig Grad, stimmt’s?« Sie fächelte sich Luft zu, damit ihre Wangen weniger brannten. Hoffentlich fiel ihm nicht auf, dass sie nur ein leichtes Leinenkostüm trug. Und in einem Rock hatte sie wirklich schon gar keinen Grund zu schwitzen, aber das war die einzige Erklärung, die ihr für ihre roten Wangen einfiel.

Dieses Mal zog er beide Brauen hoch. »Ich bin zwar ziemlich sicher, dass es eher fünfundzwanzig Grad sind, aber ich nehme an, in einem Kostüm …« Er zuckte mit den Achseln und lehnte sich gegen den Zaun, wobei er die Arme vor dem Oberkörper verschränkte. Die Bewegung ließ die Oberarmmuskeln unter seiner gebräunten Haut hervortreten, eine Bräune, um die sie ihn heftig beneidete. Sie hatte nicht nur rotes Haar, sondern auch eine milchweiße Haut, die zu Sonnenbränden und Sommersprossen neigte, statt unter Sonneneinstrahlung einen goldenen Hautton wie den seinen anzunehmen.

Sie kopierte seine Haltung, indem sie ebenfalls die Arme vor der Brust verschränkte. »Falls Sie sich erst etwas überziehen wollen, ich kann warten.« Wenn er all diese aufreizende Haut verhüllte, würde sie sich vielleicht auf etwas anderes konzentrieren können als auf den Anblick seiner abgeschnittenen Jeans, die ihm tief auf den schmalen Hüften saß. Dieser Mann war wirklich unglaublich durchtrainiert. Seine Bauchmuskeln bildeten ein verlockendes V, das ihren Blick trotz ihres Widerstands nach unten lenkte. Sie schluckte mühsam und zwang sich, ihm in die Augen zu sehen.

»Falls es Sie nicht stört – mir ist es gleich«, sagte er und bedachte sie mit einem wissenden Blick.

Tessas Finger begannen unwillkürlich zu zucken. Am liebsten hätte sie sie ihm um die Gurgel gelegt und zugedrückt.

»Wissen Ihre Dozenten eigentlich, dass Sie heute den Unterricht schwänzen, Matthew?« Sie klimperte mit den Wimpern und ließ ihre Stimme honigsüß klingen.

Ein paar Sekunden lang musterte er sie eisig. Dann schien er eine Entscheidung zu treffen, denn er richtete sich auf und verhakte beide Daumen in den Gürtelschlaufen seiner Shorts.

»Mein Collegeabschluss liegt drei Jahre zurück, Special Agent James, aber das wissen Sie natürlich bereits. Und ich habe es lieber, wenn man mich Matt nennt, nicht Matthew. Aber das wissen Sie natürlich ebenfalls. Ich bin heute nur hier draußen, um im Familienunternehmen auszuhelfen, weil ein Mitarbeiter fehlt. Normalerweise kümmere ich mich um meine eigene, und zwar ziemlich erfolgreiche Firma. Es gibt keine Dozenten, vor denen ich mich rechtfertigen müsste.«

Eins zu null für Matt.

Ihr Chef wusste nicht, dass Matt mit ihr hatte ausgehen wollen – sogar mehrmals, nachdem sie den »Simon sagt«-Fall abgeschlossen hatten. Beim letzten Mal hatte sie ihm eine ziemlich herbe Abfuhr erteilt und durchblicken lassen, dass sie kein Interesse daran hatte, mit einem »Teenager« auszugehen.

Danach hatte er sie nie wieder um ein Date gebeten, und sie konnte sich absolut nicht vorstellen, dass er mit ihr zusammenarbeiten würde, nachdem sie so abweisend zu ihm gewesen war. Sobald ihm klar wurde, dass sie es war, mit der er zusammenarbeiten sollte, würde er garantiert ablehnen. Das bedeutete, dass sie sich zusammenreißen und ihre Antipathie verbergen musste. Irgendwie musste sie ihn dazu bringen, den Fall dennoch zu übernehmen.

Sie rief sich ins Gedächtnis, dass es darum ging, einen Mörder zu stoppen und Leben zu retten. Ihre persönlichen Vorlieben oder Abneigungen spielten bei diesem Gespräch keine Rolle. Sie zog ein Blatt Papier aus der Jacketttasche ihres Kostüms.

»Casey wollte, dass ich Ihnen das hier zeige und Ihnen ein paar Hintergrundinfos zu dem Brief-Fall gebe, den er am Telefon erwähnt hat. Das hier ist eine Kopie des ersten Briefes, den wir erhalten haben.«

Er nahm das Blatt Papier und studierte es.

»Der Brief wurde vor drei Jahren ganz normal mit der Post zugestellt«, fuhr sie fort. »Er war ausdrücklich an das FBI-Büro in Savannah adressiert.«

»Wie viele Briefe waren es insgesamt?«

»Dreiundzwanzig. Der letzte kam vor einem Monat. Ich habe die Datenbanken sämtlicher Strafverfolgungsbehörden durchkämmt, um festzustellen, ob die Namen in den Briefen auf Vermisstenmeldungen oder Mordfälle passen, aber ich habe nichts gefunden.«

»Sieht so aus, als hätte der Schreiber einen Drucker benutzt, keine altmodische Schreibmaschine. Da das hier nur eine Kopie ist, kann man allerdings kaum sagen, um was für eine Art Drucker es sich handelt. Laser? Tintenstrahl?«

»Ein Laserdrucker. Ich habe anhand der Metadaten im Druckbild ermittelt, von welcher Firma der Drucker ist. Ich konnte feststellen, an welchen Großmarkt das Geräte geliefert wurde, und offenbar ist das Gerät vor über fünf Jahren in Columbus, Ohio, verkauft worden. Aber das Geschäft hat keine detaillierten Kundendaten, die so weit zurückreichen, und natürlich gibt es auch keine Überwachungsbänder mehr aus der Zeit.«

Er nickte, nicht sonderlich überrascht. »Die Poststempel?«

»Von überall aus dem Süden – Florida, Alabama, vier aus Georgia, drei aus Tennessee, ein paar aus den beiden Carolinas. Nur drei Umschläge hatten dieselbe Postleitzahl – sie kamen aus Miami, Florida, wurden aber auf verschiedenen Postämtern aufgegeben.«

»Er ist vorsichtig.«

»Sehr.«

»Fingerabdrücke?«

»Schwache Teilabdrücke auf mehreren Briefen, aber keiner von ihnen reicht für einen Abgleich aus.«

Er gab ihr das Blatt zurück.

»Casey ist überzeugt, dass es sich bei den Briefen um einen harmlosen Streich handelt«, sagte sie.

»Und Sie glauben das nicht?«

Sie schüttelte den Kopf und verstaute den Brief wieder in ihrer Brieftasche. »Ich glaube, wir haben es mit einem extrem aktiven Serienkiller zu tun. Casey hat mir eine Woche Zeit gegeben, um zu beweisen, dass es sich lohnt, dem Fall nachzugehen. Da unsere Einheit für ungelöste Kriminalfälle bisher keinen Ermittlungsansatz finden konnte, hat er Sie angerufen. Ich leite die Untersuchung. Sie müssten mit mir zusammenarbeiten und meine Anweisungen befolgen.«

Matt verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Wollen Sie mich vergraulen, oder wollen Sie meine Hilfe? Es ist schwer zu sagen.«

Unwillkürlich ballte sie die Hände zu Fäusten. »Wir würden Ihre Hilfe bei diesem Fall sehr zu schätzen wissen.« Es fühlte sich an, als hätte jemand die Worte mit Gewalt aus ihr herausgequetscht.

Seine Augen verrieten ihr, dass ihm ihr Mangel an Begeisterung nicht entgangen war.

Erneut rief sie sich in Erinnerung, wie wichtig seine Hilfe für sie war. Ohne ihn musste sie den Fall zu den Akten legen, sonst würde sie ihren Job verlieren. In diesem Punkt war Casey sehr deutlich gewesen.

»Bitte«, fügte sie hinzu und zwang sich zu einem Lächeln.

Matt zog eine weiße Visitenkarte aus seinem Portemonnaie. »Hier ist meine Adresse. Meistens arbeite ich zu Hause. Kommen Sie morgen früh um acht, und bringen Sie die restlichen Briefe mit. Alles, auch die Umschläge. Wenn möglich die Originale, aber ich habe Verständnis, wenn Sie nur Kopien mitbringen können.«

Damit wandte er sich ab, aber Tessa packte ihn am Arm und hielt ihn auf. »Moment mal – Sie übernehmen den Fall?«

Über die Schulter hinweg warf er ihr einen Blick zu. »Natürlich.«

Sie ließ ihn los, verwirrt und verärgert wegen der angenehmen Gefühle, die sie bei der Berührung seines nackten Arms durchzuckt hatten.

Warum war er bereit, den Fall zu übernehmen, obwohl er wusste, dass sie seine Gegenwart kaum ertragen konnte?

Als er sich zu ihr umdrehte, wurde ihr klar, dass sie den letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Na toll.

Er beugte sich zu ihr hinunter und kam ihr dabei so nahe, dass sie die blaugrünen Sprenkel in seiner Pupille sehen und den verlockenden männlichen Geruch, eine Mischung aus Aftershave und Deodorant, riechen konnte, der von seinem erhitzten Körper aufstieg.

Sie musste an sich halten, um nicht zurückzuweichen. Das hätte sie nur schwächlich wirken lassen. Oder noch schlimmer – womöglich hätte er gemerkt, dass sie in Wirklichkeit am liebsten einen Schritt auf ihn zugegangen wäre, um ihm noch näher zu sein. Am liebsten hätte sie mit den Händen seinen durchtrainierten Oberkörper erkundet und sie dann weiter nach oben gleiten lassen, bis zu seinem Hals, um mit den Spitzen seines dunklen, leicht feuchten Haars zu spielen.

Sie bohrte die Fingernägel in die Handflächen, damit der Schmerz sie von dieser lächerlichen, unerwünschten und völlig unerwarteten Faszination für Matt Buchanan ablenkte.

»Als Sie mir den Brief gezeigt haben, wollte ich eigentlich schon ablehnen«, erwiderte er. »Ich habe momentan alle Hände voll zu tun, und es hört sich so an, als hätten Sie die Kleinarbeit bereits erledigt, die ich in so einem Fall empfehle. Ich wüsste nichts, was Sie hier noch unternehmen könnten. Was wohl bedeutet, dass es sich bei dieser Sache um eine verdammt harte Nuss handelt.«

»Aber … dann … wieso … warum?« Uff. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren, wenn er so dicht vor ihr stand. Gegen ihren Vorsatz trat sie einen Schritt zurück. Dann noch einen. »Warum haben Sie es sich anders überlegt?«

Matt verzog die Lippen zu einem Grinsen, als wüsste er ganz genau, warum sie vor ihm zurückgewichen war. »Ich hab’s mir anders überlegt, weil …« Er trat näher und beugte sich zu ihr hinunter, bis seine Lippen beinahe ihr Ohr berührten. »… weil Sie nicht wollen, dass ich den Fall übernehme.«

Sein warmer Atem strich über die empfindliche Haut an ihrem Hals und ließ Tessa erbeben. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihm unwillkürlich das Gesicht entgegenhob, und zog rasch den Kopf zurück.

Matt richtete sich auf. Und zwinkerte ihr zu.

Zur Hölle mit ihm.

»Morgen früh, Punkt acht, bei mir. Seien Sie pünktlich.« Mit federnden Schritten ging er wieder zur Baustelle und ließ Tessa in einer Mischung aus Selbstverachtung, Abneigung und Sehnsucht zurück.

Als die B&B-Arbeiter Feierabend machten, war Matt völlig erschöpft, aber Madison hatte darauf bestanden, dass er zum Abendessen blieb. Er duschte, schlüpfte in ein Hemd und eine Jeans, die er sich von Pierce geliehen hatte, und setzte sich hin, um die Pizza zu essen, die Madison bestellt hatte. Eigentlich war er etwas besorgt gewesen, als sie ihn zum Bleiben aufgefordert hatte, da er wusste, was für eine miserable Köchin sie war. Aber eine Bestellung beim Pizzaservice bedeutete, dass er nicht gezwungen sein würde, etwas halb Verbranntes oder Rohes herunterzuwürgen und gleichzeitig so tun musste, als würde es ihm schmecken. Es war ihm völlig schleierhaft, wie sein Bruder Madisons Kochkünste überlebte.

Nach dem Essen verabschiedete er sich von seiner Schwägerin und ging hinaus auf die Straße. Pierce begleitete ihn, aber als sie Matts am Bordstein geparkten Wagen erreichten, blieb Pierce stehen und lehnte sich gegen das Auto.

»Stimmt was nicht?«, fragte Matt.

»Der Brief-Fall. Du hast zugesagt?«

»Hätte ich das nicht tun sollen?«

Pierce schien darüber nachzudenken. Er betrachtete die Eiche neben ihnen, deren lange knorrige Äste über die Straße hingen und unheimliche Schatten unter den Straßenlampen warfen.

»Ich weiß, dass Casey und die meisten anderen Agenten die Briefe für einen dummen Streich halten, den man nicht ernst nehmen muss«, erwiderte Pierce. »Aber ich bin mir da nicht so sicher. Drei Jahre sind eine lange Zeit für einen Streich. Und irgendetwas an dieser ›Feuer und Asche‹-Sache kommt mir komisch vor.« Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht ist es ja nichts weiter, aber seit ich weiß, dass du daran mitarbeitest, habe ich ein ungutes Gefühl.«

Jahrelang hatte Matt als unbeteiligter Beobachter miterlebt, wie sein älterer Bruder Pierce an einigen der härtesten, schwierigsten und gefährlichsten Ermittlungen des FBI beteiligt gewesen war. Matt hatte genug gesehen, um viel Respekt vor den Instinkten seines Bruders zu haben. Was den berüchtigten sechsten Sinn anging, den manche Cops für die Gefahr hatten, lag Pierce selten falsch.

»Und was genau sagt dir dieses ungute Gefühl?«

Stirnrunzelnd sah Pierce hinüber zum Haus. »Dass ich darauf bestehen würde, den Fall selbst zu übernehmen – wenn die Geburt nicht so kurz bevorstünde.« Er legte Matt die Hand auf die Schulter. »Sei bitte vorsichtig. Ich meine das ernst. Vergiss nicht, dass du Privatdetektiv bist, kein Cop, auch wenn du eine Neunmillimeter mit dir herumträgst. Wenn es gefährlich wird, dann steig lieber aus. Überlass den gefährlichen Kram lieber jemand anderem.«

»Ich passe auf mich auf. Versprochen.«

Pierce nickte und ging zurück ins Haus.

Beim Wegfahren fragte sich Matt, ob die Warnung seines Bruders ein schlechtes Omen war. Denn selbst wenn er Tessa gegenüber behauptet hatte, den Fall nur zu übernehmen, weil er sie ärgern wollte, hatte er noch einen anderen Grund dafür gehabt.

Als er den Brief mit dem ›Feuer und Asche‹-Spruch in der Hand gehalten hatte, hatte er dieselbe Vorahnung drohender Gefahr gehabt, die Pierce ihm beschrieben hatte. Und auch wenn Tessa sich nichts aus ihm machte – er hatte immer eine Schwäche für sie gehabt. Wenn sie sich kopfüber in einen Fall stürzte, der gefährlich genug war, um sowohl ihn als auch seinen Bruder in Alarmbereitschaft zu versetzen, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als hinterherzuspringen.

3

Tag eins

Bei Matts Haus handelte es sich um ein Holzhaus, eine waschechte Blockhütte. Tessa stand auf der überdachten Veranda, die sich um das ganze Gebäude herumzog. Die schlichte Schönheit des Blockhauses und die Anmut der Landschaft, die es umgab, erfüllte sie beinahe mit Ehrfurcht.

Sie selbst war eine eingefleischte Städterin, und zwar schon immer. Alles Ländliche war ihr nicht recht geheuer. In ländlicher Umgebung hatte sie immer das Gefühl, in einem Horrorfilm gelandet zu sein, wo sie stets damit rechnen musste, dass hinter dem nächsten Baum ein fieser Axtmörder auf sie lauerte. Selbst ihre Träume wurden häufig von bösartigen Schemen bevölkert, die sich versteckten, sie beobachteten und nur darauf warteten, sich auf sie zu stürzen. Und obwohl es ihr gegen den Strich ging, so weit aus der Stadt hinauszufahren, um zu der Adresse auf Matts Visitenkarte zu gelangen, bewunderte sie unwillkürlich die honiggoldene Farbe der Baumstämme, aus denen die Hütte erbaut worden war, wie auch die Schönheit des sanft abfallenden Hangs, der zu einem dichten Wald hinter dem Haus führte.

Pierce besaß ebenfalls ein Blockhaus, allerdings war sie niemals dort gewesen. Hatte er sein Haus an seinen jüngeren Bruder weitervererbt, als er Madison geheiratet und zu ihr in die Stadt gezogen war?

Als sie jemanden laut lachen hörte, ging Tessa über die Veranda und warf einen Blick durch die Fliegengittertür. Durch das Gitter blickte sie in einen großen, offenen Raum mit einer kleinen Küche in der rechten Ecke. Links befand sich eine Nische, die kaum als Flur bezeichnet werden konnte. Dem Umriss der Blockhütte nach zu urteilen lagen dahinter vermutlich zwei Schlafzimmer und ein Bad, vielleicht auch noch eine kleine Kammer. Insgesamt war das Haus eher klein, doch durch die hohe Decke des Hauptraumes wirkte das Zimmer gleich viel größer.

Wieder hörte sie Gelächter, konnte aber immer noch niemanden im Haus entdecken. Sie griff nach ihrer Aktentasche und hob die Hand, um zu klopfen, erstarrte dann aber mitten in der Bewegung.

Aus einer der Türen stolperte eine blonde Frau in einem Männerhemd in den Flur. Sie bog sich so sehr vor Lachen, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte.

Hinter ihr trat Matt Buchanan aus dem Zimmer, nur mit einer Boxershorts bekleidet.

Er packte die Blondine. Selbst aus der Entfernung konnte Tessa sehen, dass die Frau sich keine besondere Mühe gab, ihm zu entkommen. Sie kicherte wie ein Schulmädchen und kreischte vor Lachen, als Matt sie hochhob und ins Zimmer zurücktrug.

Die Tür fiel zu. Tessa ließ die Hand sinken. Offenbar hatte Matt ihre frühmorgendliche Verabredung vergessen.

Bei dem Gedanken daran, dass sie sich mit ihrem Chef angelegt hatte, nur um die Originale mitzubringen, und trotz ihrer Angst – ob diese nun berechtigt war oder nicht – in diese Wildnis hinausgefahren war, umklammerte sie den Griff ihres Aktenkoffers so fest, dass es schmerzte.

Sie machte auf dem Absatz kehrt, um zu ihrem Auto zurückzugehen.

Am Fuß der Verandatreppe stand Matt Buchanan und musterte sie. Neben ihm stand laut hechelnd ein wunderschöner, zimtfarbener Golden Retriever, dessen Zunge zwischen seinen gewaltigen Zähnen heraushing, wodurch er aussah, als würde er lächeln.

Matt entfernte eine kleine Klammer mit einem Schaumstoffring von seinem Ohr und wiederholte den Vorgang auf der anderen Seite. Tessa hatte keine Ahnung, worum es sich dabei handelte, hörte allerdings leise Musik. Waren das etwa Kopfhörer? Solche hatte sie noch nie gesehen – sie waren offenbar drahtlos und nicht miteinander verbunden.

Die Musik verstummte, und er steckte die neumodischen Dinger in die Hosentasche, wobei er einen Blick auf die Uhr warf. »Es ist doch erst acht. Sie wollen schon wieder gehen?«

Über die Schulter warf sie einen Blick zurück zu der Fliegengittertür und sah dann wieder zu Matt hin – einem vollständig bekleideten Matt, der ein dunkelblaues Hemd mit Kragen trug, das er in die Jeans gesteckt hatte. Der Hund an seiner Seite wirkte ermattet, ganz so, als hätte er einen ausgiebigen Spaziergang hinter sich.

»Tessa?«

Ihr dämmerte etwas, und sie errötete, was ihr in letzter Zeit leider allzu häufig passierte.

Vermutlich, weil sie sich zurzeit dauernd zum Narren machte.

»Ihr Bruder ist im Haus, stimmt’s?«, fragte sie. »Ihr Zwillingsbruder? Austin?«

»Ja, aber warum …?« Sein Mund verzog sich zu einem amüsierten Grinsen. »Lassen Sie mich raten. Sie haben ihn mit seiner neuesten Eroberung gesehen und mit mir verwechselt?«

»Das ist nicht witzig. Sie beide gleichen einander aufs Haar. Und als ich Austin zum letzten Mal gesehen habe, saß er in einem Rollstuhl. Ich dachte, seine neurologische Erkrankung hätte sich so sehr verschlechtert, dass er nie wieder würde gehen können.«

Matt joggte die Stufen hinauf und blieb vor ihr stehen. »Seine Krankheit ist so selten, dass die Ärzte sich bei der Prognose nicht sicher sind. Aber offenbar hat ihm die letzte neurologische Studie, an der er teilgenommen hat, unglaublich geholfen. Er braucht schon seit Monaten keinen Rollstuhl mehr. Allerdings schlägt er zurzeit ein wenig über die Stränge, weil er nicht weiß, ob die Verbesserung anhalten wird. Er verbringt viel Zeit hier draußen, vor allem, um den Standpauken unseres Dads zu entgehen, der sich über sein sündiges und verruchtes Leben aufregt.«

Zu ihrer Überraschung steckte er die Hand aus, um ihr eine Locke aus dem Gesicht zu streichen. Seine warmen Finger verweilten einen Moment lang auf ihrem Gesicht, bevor er die Hand wieder wegzog. »Und Sie wollten gerade gehen, weil Sie – was, eifersüchtig waren? Sind sie deshalb rot geworden?«

Sie schnaubte, damit er nicht merkte, wie durcheinander sie war. Hoffentlich sah er nicht die Gänsehaut, die seine Berührung auf ihren Armen hervorgerufen hatte.

»Bilden Sie sich bloß nichts ein. Wenn ich rot geworden bin, dann nur, weil ich geglaubt habe, Sie hätten unsere Verabredung vergessen. Ich war wütend, weil ich dachte, ich wäre den ganzen weiten Weg aus der Stadt umsonst hierhergefahren.«

»Ah ja.« Es klang nicht überzeugt. Er öffnete die Fliegengittertür und wartete auf sie, wobei er eine Augenbraue in die Höhe zog.

Verärgert, weil er sie offenbar mühelos durchschaute, bemühte Tessa sich um Ruhe und Gelassenheit, als sie das Haus betrat. Der Hund quetschte sich neben ihr durch die Türöffnung. Tessa konnte ihm nur einmal kurz über das flauschige Fell fahren, dann raste er aufgeregt an ihr vorbei. Seine Krallen schabten über den Holzfußboden, als er in Richtung Küche schlitterte. Kurz darauf hörte man, wie er laut Wasser schlabberte.

Als Matt die Tür hinter sich schloss, erklang lautes Gelächter aus einem der Zimmer jenseits des Gangs. Jetzt war er es, der ein wenig verärgert wirkte. »Vielleicht sollten wir Austin und seinem Gast etwas Privatsphäre gönnen. Ich habe ein Arbeitszimmer hinter dem Haus, da können wir hingehen.«

»Gute Idee.« Tessa war nur allzu froh, aus dem Blockhaus herauszukommen. Sie wollte lieber nicht hören, was im Schlafzimmer vor sich ging – besonders, während sie sich in Matts Nähe aufhielt.

Nachdem er sich einen Laptop von dem Schreibtisch genommen hatte, der neben einer braunen Couch stand, ging er wieder hinaus auf die Veranda, wobei er den Hund im Haus zurückließ. Ohne sie zu fragen, nahm er Tessas Aktentasche. Die Tasche war nicht besonders schwer, er hätte sie ihr nicht tragen müssen. Im Büro hätte sie das niemals zugelassen, aber jetzt, da sonst niemand da war, fand sie es sinnlos, deswegen einen Streit anzufangen. Auch wenn sie das vor ihren Kollegen niemals zugegeben hätte – sie mochte es, wenn man ihr hin und wieder die Tür aufhielt oder etwas für sie trug. Das war zwar altmodisch, aber trotzdem … ganz schön.

»Ist das hier das Blockhaus, in dem früher Pierce gewohnt hat?« Zum Glück hatte sie sich für flache Schuhe und eine Hose entschieden, nur so schaffte sie es, mit Matt Schritt zu halten, ohne sich sorgen zu müssen, dass ihre hohen Absätze in der Erde stecken blieben.

»Nein. Ich habe es selbst gebaut, letzten Sommer. Natürlich mithilfe von Buchanan & Buchanan.«

»Es ist toll.«

Er hob eine Augenbraue. »Ich hätte nicht gedacht, dass es Ihnen gefällt.«

»Warum nicht?«

»Ich hätte Sie eher für eine Stadtpflanze gehalten, so wie Madison. Ich hätte nie gedacht, dass Sie sich auf dem Land wohlfühlen könnten.«

Na wunderbar, dann hatte sie also etwas mit Madison gemeinsam. Und so, wie Matt sie musterte, wusste er wohl ganz genau, wie sehr sie das ärgerte. Sie ging nicht weiter darauf ein und wechselte das Thema. »Gehört der Golden Retriever Ihnen oder Austin?«

Seine Augen fingen an zu leuchten, und sein sinnlicher Mund verzog sich zu einem sexy Grinsen. »Das ist Ginger. Sie gehört mir, und sie war auch der Hauptgrund, warum ich mir dieses Grundstück gekauft habe. So bekommt sie viel Auslauf. Ich habe sie aus einem Tierheim geholt, wo man die Tiere einschläfert.« Bei diesen Worten presste er die Lippen zusammen, als wäre allein schon der Gedanke an einen solchen Umgang mit Tieren eine unverzeihliche Sünde.

Am liebsten hätte Tessa laut gestöhnt. Er hatte sich dieses Grundstück wegen eines Hundes gekauft? Wegen eines Hundes, den er aus einem Tierheim gerettet hatte? Wie sollte sie über die unerwünschte Anziehung hinwegkommen, die von ihm ausging, wenn er sich so anständig verhielt und so … perfekt war?

Aber dann fiel ihr wieder ein, was Casey gesagt hatte – wie hart sie gearbeitet hatte, um von ihren Kollegen in einem von Männern dominierten Job anerkannt zu werden. Er hatte recht. Sie hatte tatsächlich hart gearbeitet, und ihre Kollegen respektierten sie. Das durfte sie nicht wegwerfen, indem sie sich in einen Mann verliebte, der so viel jünger war als sie selbst. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was sie sich im Büro würde anhören müssen, wenn ihre Kollegen dahinterkamen. Vermutlich würden sie ihren Schreibtisch mit ausgestopften Silberlöwinnen dekorieren, dem Symbol für Frauen, die auf jüngere Männer standen, und alles, wofür sie gearbeitet hatte, wäre dahin.

Zum Glück gab es keine weiteren Enthüllungen, die ihren Entschluss ins Wanken bringen konnten, ehe sie Matts Büro erreichten. Bei diesem handelte es sich um ein Gebäude in der Größe einer Doppelgarage, das etwa fünfundvierzig Meter von dem Blockhaus entfernt stand. Die Türen sahen aus wie Scheunentore, besaßen allerdings keine Türangeln, sondern waren Schiebetüren auf Schienen. Matt klemmte den Laptop unter den Arm und stellte Tessas Aktentasche ab, um die Türen zu öffnen.

Tessa nahm die Aktentasche wieder an sich, ging hinein und überließ es Matt, die Türen hinter ihnen zu schließen. Das Wort »Arbeitszimmer« beschrieb das Innere des Gebäudes perfekt. Es war ein großer, offener Raum. In die rückwärtige Wand war eine große Glasschiebetür eingelassen, die den Rahmen für einen mit Seerosen bewachsenen Teich im Garten dahinter bildete – es war, als betrachtete man ein Gemälde. Auf einem kleinen Kühlschrank in der einen Zimmerecke stand eine Mikrowelle, und hinter einer offenen Tür in der anderen Ecke war ein kleines Badezimmer zu sehen.

Die Mitte des Raumes wurde von einem riesigen Tisch dominiert, auf dem ein Computerbildschirm stand. Regale, die an der hinteren Wand vom Boden bis zur Decke reichten, bogen sich unter dem Gewicht von Büchern und Kartons. Abgesehen von ein paar Stühlen, die um den Tisch herum standen, gab es in dem Raum kein weiteres Mobiliar.

»Ich gebe zu, dass es im Blockhaus gemütlicher ist.« Mithilfe eines Kabels schloss Matt den Laptop an den Computerbildschirm an und schaltete beide Geräte ein.

»Äh, nein. Ich meine, es gefällt mir hier.«

»Sie lügen nicht besonders gut.« Lächelnd nahm er ihr die Aktentasche ab und stellte sie auf den Tisch.

Sein gelassenes Lächeln überraschte sie. In ihrer Erinnerung war Matt immer sehr ernst gewesen und hatte nie viel gesagt. Aber der Matt, den sie nun vor sich hatte, schien sich in seiner eigenen Haut deutlich wohler zu fühlen, er wirkte selbstbewusst und gelassen.

»Darf ich?« Er hatte sich hingesetzt, und seine Hände schwebten über den Verschlüssen ihres Aktenkoffers.

»Natürlich, machen Sie nur«, erwiderte sie und nahm neben ihm Platz.

Er zog die Klarsichthüllen aus dem Koffer, die jeweils einen Brief und den dazugehörigen Briefumschlag enthielten.

»Sie haben die Originale mitgebracht?« Er klang überrascht.

»Ich habe Casey gesagt, dass Sie sie sehen wollen und dass wir Ihnen so weit wie möglich entgegenkommen sollten, nachdem Sie sich schon bereit erklärt haben, uns zu helfen. Solange ich auf die Briefe aufpasse, ist die Beweismittelkette intakt.«

»Das hat sicher mehr Überzeugungskraft gekostet, als Sie zugeben. Es kann nicht leicht gewesen sein, ihn zu überzeugen – also vielen Dank. Ich weiß das zu schätzen.«

Tessa, die sich angesichts seines Lobs unbehaglich fühlte, nickte nur. Sie war daran gewöhnt, mit ihm zu streiten, nicht an ein fast freundlich zu nennendes, höfliches Gespräch, das sie gerade miteinander führten.

»Können wir die Briefe aus den Klarsichthüllen nehmen?«, fragte er.

»Immer nur einen auf einmal, damit wir die Umschläge nicht durcheinanderbringen. Ich habe sie in der Reihenfolge beschriftet, in der wir sie erhalten haben. Auf dem letzten steht der Name ›Sharon Johnson‹.« Sie holte zwei Paar Latexhandschuhe aus der Aktentasche.

Matt studierte die Briefe genauer, und Tessa tat bei ihm dasselbe. Für einen über einen Meter achtzig großen Mann, dessen durchtrainiertem Körper man ansah, dass er durch die harte Arbeit auf den Baustellen des Familienunternehmens gestählt und geformt worden war, ging er erstaunlich behutsam mit den Briefen um. Er sah sich jeden einzelnen gründlich an, wobei er auch die Textur des Papiers einer genauen Untersuchung unterzog, als würde sie genauso viele Informationen enthalten wie der Wortlaut des Briefes.

»Haben Sie die Papiersorte bestimmt oder das Material irgendwie analysiert?«, fragte er.

»Mein Chef will keine kostspielige Untersuchung im FBI-Labor bewilligen, die uns mehr über den Ursprung des Papiers verraten würde. Ohne einen Beweis dafür, dass es sich um ein ›reales Verbrechen‹ handelt, ist er nicht bereit, das FBI-Budget zu belasten. Daher haben wir die Briefe nur auf Fingerabdrücke untersucht.« Sie deutete auf einige kleine, dunkle Flecken, die auf einem der Briefe zurückgeblieben waren. »Da ist noch etwas von dem Grafitstaub davon zu sehen.«

»Mir fällt auf, dass in den Briefen sowohl männliche als auch weibliche Namen genannt werden.«

»Stimmt. Ich weiß, dass das für einen Serientäter ungewöhnlich ist, falls wir es denn mit einem zu tun haben. Normalerweise bleiben sie bei einem bestimmten Opfertyp, entweder nur Frauen oder nur Männer. Aber es gibt auch Ausnahmen. Richard Ramirez, der sogenannte Night Stalker, hat sowohl Männer als auch Frauen umgebracht. Und es gab noch mehr Mörder, bei denen das so war.«

»Es wirkt fast so, als wollte er erwischt werden, indem er dem FBI Briefe mit Hinweisen schickt«, meinte Matt. Tessa schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Bisher kam es nur äußerst selten vor, dass ein Serienmörder erwischt werden wollte. So ticken diese Täter nicht. Viel wahrscheinlicher schickt er uns die Briefe, um mit seinen Morden anzugeben. Er will uns verhöhnen und verschafft sich dadurch einen Kick.«

Matt nickte und blätterte die übrigen Briefe durch. »Fällt Ihnen irgendwas zu dem ›Feuer und Asche‹-Vers ein?«

»Meiner Meinung nach ist der Mörder fasziniert von Feuer. Möglicherweise handelt es sich um einen Serienbrandstifter.«

Er sah zu ihr herüber. »Würden Sie in diesem Fall nicht erwarten, die Namen der Opfer in Brandstiftungsakten zu finden? Sie haben doch gesagt, Sie hätten die Datenbanken nach so etwas durchsucht.«

»Datenbanken sind nur so viel wert wie die Daten, die sie enthalten. Ich konnte nicht sämtliche Polizeireviere im Land kontaktieren. Wenn er Menschen in abgelegenen, dünn besiedelten, ländlichen Gebieten tötet, sind die entsprechenden Reviere technisch möglicherweise nicht in der Lage, ihre Ergebnisse in das System des FBI einzuspeisen. Deshalb suche ich ja auch nach einer Spur. Wenn ich einen Hinweis hätte, wo ich mit der Suche anfangen muss, könnte ich diesen Typen kriegen.«

Er hielt einen der Umschläge gegen das Licht. »Ich verstehe, was Sie mit den Poststempeln meinten. Die sind über das ganze Land verteilt. Es gibt kein geografisches Muster, abgesehen davon, dass sie allesamt aus dem Gebiet zwischen dem Mississippi und südlich der Mason-Dixon Linie kommen.«

»Genau, und deshalb ist es so wichtig, ihn einzukreisen und herauszufinden, wo er sitzt. Sein Zuhause.«

»Falls er überhaupt eines hat.«

»Stimmt. Er könnte auch ein Nomade sein, der mit einem Wohnmobil durch die Gegend fährt oder in Hotels logiert. Aber selbst wenn er nur in den billigsten Absteigen haust, wäre so ein Lebensstil auf die Dauer zu teuer. Es ist viel wahrscheinlicher, dass er nur dann auf Reisen geht, wenn er nach einem neuen Opfer sucht, und ansonsten einen Ort hat, den er als sein Zuhause betrachtet. Und einen Job.«

Matt hob eine Augenbraue. »Sie meinen, Leute, die genug Geld haben, um ständig zu reisen, können nicht zu Serienkillern werden?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich gehe nur vom wahrscheinlichsten Szenario aus.«

Er deutete auf einen der Briefe. »Was ist mit dem kleinen Schnörkel am Ende des ›Feuer und Asche‹-Verses? Der findet sich in allen Briefen. Irgendeine Idee, was der bedeuten könnte?«

»Nein. Wir konnten das Zeichen nicht identifizieren, obwohl es uns irgendwie bekannt schien. Aber vielleicht kommt das ja nur daher, dass es so gewöhnlich ist, wie ein Schnörkel, den man macht, wenn man auf einem Zettel herumkritzelt.«

»Möglich.«