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Unter dem Titel "Im Auto durch Persien" veröffentlicht Annemarie von Nathusius einen Reisebericht von einer 1924 unternommen Reise von Bremen mit dem Schiff bis Buschehr und dann weiter mit einem Mercedes über Land bis nach Teheran. In Persien trifft sie mit Männern der persischen Oberschicht zusammen und erhält sogar eine Einladung zu einem Treffen mit Premierminister Reza Khan, des späteren Reza Schah Pahlavi. Reza Khan muss Gefallen an Annemarie von Nathusius gefunden haben, denn er lud sie zu einem Polospiel und dann später in sein Haus ein. Annemarie von Nathusius hat viele Gespräche geführt. Unter anderem mit einer Gruppe persischer Frauen, einem Frauenclub, die sich gegen die Verschleierung, den Tschador und gegen die von der Familie arrangierte Ehe aussprach. Sie, die sie selbst gegen die Moral- und Ehevorstellungen ihrer Zeit angeschrieben hat, berichtet ausführlich von dieser Begegnung. Sie ermuntert die Frauen, Widerstand zu leisten und sich mit den persischen Männern zusammenzuschließen, die in Europa das Leben freier Frauen kennengelernt haben und sich als Ehepartnerin eine selbstständige, unverschleierte Frau wünschen. Am Ende wird dieser Reisebricht zu einer Anklageschrift gegen die Unterdrückung der Frauen in Persien. Annemarie von Nathusius ruft den persischen Frauen zu: "Ihr Frauen Persiens, ihr Trauernden, ich trage euer Schicksal und eure Wünsche mit mir in die Welt hinaus. Auf dem Morgenrot meiner Hoffnung für euch sandte die Scheidende euch letzte Grüße. Eure Schleier werden sinken, ihr werdet berauscht die Freiheit wie einen köstlichen Reif um eure Stirnen binden. Denn sie ist das höchste Gut auf Erden! Sie ist der Preis des Leidens, die Krone der Kraft, eure Schleier werden sinken, ihr Trauernden, die roten Blüten der Freiheit werdet ihr an euren Gürtel stecken. Eure verwaisten Hände werden diese Blüten des Glücks voll Jubel halten, Blumen des Kampfes, Blumen des Sieges. Auf dem Morgenrot meiner Hoffnungen werfe ich euch diese Blumen zu."
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Seitenzahl: 195
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Annemarie von Nathusius
Im Auto durch Persien
Reise einer adligen Rebellindurch ein Land im Aufbruch
Herausgegeben und bearbeitet von
Wolfgang von Keitz
Berlin 2022
Dieser Text erschien erstmals in: Annemarie von Nathusius: Im Auto durch Persien. Carl Reissner Verlag, Dresden 1926. Die in Originalausgabe vorhandenen Fotos wurden durch weiteres Bildmaterial aus Max Kirsch: Im Lastkraftwagen von Berlinnach Ispahan, Berlin 1927 und aus Wikipedia ergänzt. Der Text wurde an die neue deutsche Rechtschreibung angepasst.
Impressum
© Copyright by Wolfgang von Keitz
Umschlag: Annemarie von Nathusius und Reza Schah als Zuschauer bei einem Polospiel
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Lektorat: Bärbel Mäkeler
Printed in Germany
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
CHRISTIAN KRAFT
FÜRST ZU HOHENLOHE-OEHRINGEN
IN FREUNDSCHAFT UND DANKBARKEIT
Euch, den kühnen Suchern, Ver-suchern und wer je sich mit listigen
Segeln auf furchtbare Meere ein-schiffte – Euch bin ich ein Freundwie allen solchen, die weite Reisentun und nicht ohne Gefahr lebenmögen …
Zarathustra
FATA MORGANA
Du Pilger im Wüstensande,
Ich spiegle Wälder und Kluft,
Der Heimat blühende Lande
Dir wunderbar in der Luft.
Wer hielte in dieser Wüste
Das einsame Wandern aus,
Wenn ich barmherzig grüßte
Mit Frühlingsdüften von Haus?
Und ob’s auch wieder verflogen,
Und schien doch so nah –
Nur frisch durch die sengenden Wogen,
Wer weiß, wie bald bist du da.
Eichendorf
An Bord
Juli, 1924
Ich hörte den Ruf der Ablösung am Steuer, den mir seit Tagen vertrauten Ruf: Ost ‒ Süd-Ost ‒ 1/4 Ost. Blaue Ferne, blauer Himmel, blaues Meer. Eine gewaltige Orgie von Licht und Duft. Die Himmelskugel wölbte sich bis zu den Fluten hinab, die an ihr emporzusteigen schienen. In der azurnen Unendlichkeit tönte die Sonne wie das brutale Lied eines sagenhaften Königs auf gewaltiger Harfe. Und im Traum schlugen die Wellen die Planken des Schiffes, das leise bebte vom Pulsschlag seiner Maschine.
Ich ging in das Kartenzimmer hinter dem Steuerhaus. Der Erste Offizier gab mir einen Hörer in die Hand. Ganz leise klang eine kleine Glocke. Er erklärte: Unterwasserschallsignal-Empfänger, um die auf Feuerschiffen angebrachten Glöckchen, welche automatisch in Betrieb gesetzt werden, zu hören. Nun sah ich durch das Fernrohr ein Feuerschiff liegen. Sie sind im Kanal zur Warnung da, um bei nebligem Wetter festzustellen, wo das Schiff sich befindet.
Tannenfels (1924)
Vor Dover trafen wir das Bruderschiff der „Tannenfels“1, die „Hohenfels“. Er kam von da,wo wir hinfuhren, vom Persischen Golf. Die Sirenen heulten als Begrüßungszeichen und die Flagge wurde gehisst. Dann fuhr er an uns vorüber. Wir winkten uns zu ‒ das große eiserne Preußenkreuz hob sich am Schornstein schwarz im weißen Felde ab, unter dem ein breiter roter Streifen lief. Ganz wie bei uns.
So zeichnet die Hansalinie ihre Schiffe. Ich finde das sehr schön. Es war ein mir unvergesslicher Augenblick, diese zwei Schiffe, die sich im Unendlichen trafen und jubelnd grüßten. Der Kapitän aber, ein Seemannstyp, wie wir ihn uns gern denken, sagte: „Langsam kämpfen wir uns nun wieder hoch.“
Das klang gut und trostreich, aber wenn man aus der Stadt der Shimmy-Jünglinge, politischen Schwätzer und galizischen Schieber kommt ‒ Berlin, du Stadt Bismarcks, Menzels und Fontanes, wie hast du dich geändert! ‒ dann denkt man etwas skeptischer.2
Eine schlimme Nacht hatten wir im Kanal, Die Nebelhörner brüllten unaufhörlich. Ich fror bei dieser wilden Musik bis ins Innerste. Stumm saß ich auf dem Sofa meiner Kabine und wartete auf schreckliche Begebenheiten.
Am nächsten Tage waren wir in der Spanischen See. Das Schiff rollte, aber die Seekrankheit wurde niedergekämpft. Schwarzblau mit bösen weißen Kämmen kam das Meer angerollt. Es hatte keine guten Gedanken, wenn es seinen Schaum über Deck schickte und ich mich am Geländer der Treppe halten musste. Unheimlich tief und wild, wie böse Dämonen, lachten die Wogen von überall grausam über unsere Angst. Dann wurde es wieder ruhiger. Man sah Schloss Sintra3 auf den Bergen der portugiesischen Küste und die Felsen Spaniens in das Wasser tauchen. Das Blau des Himmels wurde kräftiger, die Nacht tiefer, die Sterne rückten näher, waren groß und leuchtend, wie ich sie noch nie gesehen. Aber alles Glück des Himmels ergoss sich in die Seele, wenn die Sonne wie ein purpurnes Phantom in den Fluten versank. Dann waren alle Farben vertreten, vom blassesten, keuschesten Rosa bis zum wildesten Rot. Die Flammen setzten sich auf meinem Gesicht, meinen Kleidern, in meinem Herzen fort. Sie erfassten meine Fantasie, meine Gedanken, meine Sehnsucht und meinen Schmerz. Man verging in Licht und fühlte plötzlich, dass man es noch nie gekannt, dass man eigentlich immer im Nebel lebte. In diesem unwahrscheinlichen Rauschgefühl eines neuen Genusses, dem des Lichts, der Sonne, der Farben, deutete der Kapitän hinunter nach Süden und sagte: „Da drüben das Land ist Afrika.“
Sintra ‒ Nationalpalast
Graublau tauchte die felsige Küste auf, zuckend lief letztes Rot über sie hin: Afrika. „Heute Nacht sehen wir die Feuer von Gibraltar und morgen kommen wir nach Algier“, erzählte der Kapitän.
Die Matrosen unten spielten und sangen. Vorne am Bug des Schiffes tanzten weiße Figürchen einen richtigen Walzer. Melancholisch klangen Lied und Harmonika zu mir herauf. Wenn Deutsche irgendwo in der Fremde singen, lieben sie ihre Heimat über alles. In der fremden Schönheit wurden meine Augen feucht. Deutschland, geliebte Heimat, geschlagenes und verwundetes Land, in tropischen Sternennächten will ich deinen Liedern lauschen und mich heiß sehnen nach deiner smaragdenen Einsamkeit. Im vorigen Sommer entzückte mich ein Schwarzwaldtal mit Quellenrauschen und Amselsang, goldenes Licht fiel durch die Buchen und ein Förster kam seines Weges daher. Aber über die kleine stille Wiese schritt das Mädchen mit blondem Haar und großem Blick. Der blasse Silberreif der Sehnsucht umspannte seine Stirn und ich presste die Hände an mein Herz: Heimat, wie weh und wohl war mir! Der Schmerz um deine Niedrigkeit fraß an meinen Träumen … Doch jetzt fuhr ich stolzer Ferne, stolzem Wagnis entgegen. Ich wollte einen Kranz pflücken, einen Kranz von Ferne und Mut wollte ich zu deinen Füßen legen, liebe Heimat, blauer Edelstein.
Ich war beim Ersten Ingenieur des „Tannenfels“ zu Gast. Er erzählte von den Haien. Kleine Fische, Lotsen genannt, führen den großen Räuber der Meere zu seinen Opfern. Schauerliche Geschichten wurden aufgetischt, von Menschen, die badeten oder sich irgendwie unvorsichtig dem feuchten Gebiete der Haie näherten, um halb oder ganz verschlungen zu werden.
Gerät einmal der Hai in die Gewalt der Seeleute, so rächen sie sich an diesem Feinde mit großer Grausamkeit.
Dann zeigte er mir sein Gebiet, den heißen Raum mit den gewaltigen Maschinen. Triefend in Dampf und Glut, schütteten die Heizer Kohle unter die Kessel. Eine Hölle. Ein teuflisches Geschäft. Meine Angst vor der Hitze des Roten Meeres versank. Ich werde in bequemen Stühlen unter dem Sonnensegel träumen ‒ aber die armen Teufel im Heizraum der Maschinen müssen sich in ihrem Schweiße baden. Dieser Gedanke trübte mir den Genuss der Bequemlichkeit. Ich habe zwar dem Sozialismus ein für alle Mal abgeschworen ‒ o Gott, nein, er war kein Erlöser, der den Reichtum der Welt unter uns arme Schlucker verteilte, ‒ aber etwas von seinem Denken ist in mir sitzen geblieben. Die Heizer taten mir leid, ihr Geschäft schien mir fürchterlich! Als man mir einen dänischen Dampfer ohne Schornsteine zeigte, der mit Motoren betrieben wird, freute ich mich, denn es war so unerträglich im Heizraum, dass wir in Indien Eingeborene als Heizer an Bord bekamen.
Ost ‒ Süd-Ost ‒ 3/4 Ost ‒ Ablösung am Steuer. In der Kabine des Telegrafisten begann es zu sausen. Mitten auf dem Meere telegrafierte ich an den Freund4 in Konstantinopel, damit er rechtzeitig Buschehr erreichen sollte. Aus der Tiefe der Gedanken tönte Musik der Worte auf, schimmernde Perlen, reihten sie sich aneinander:
„Ach, um deine feuchten Schwingen, West, wie sehr ich dich beneide, Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide!“
Immer größer und näher kamen die Sterne auf mich zu. Sie klangen wie die Worte des „Westöstlichen Diwans“, dieses Buches der Unendlichkeit, das meine Hände zärtlich streichelten.
„Will mich unter Hirten mischen, An Oasen mich erfrischen. Jeden Pfad will ich betreten
Von der Wüste zu den Städten.
Bösen Felsweg auf und nieder, Trösten, Hafis, deine Lieder.“
Ich sah mein Zelt im rötlichen Sande stehen. Fern tönte Glockenklang ziehender Karawanen und mein persischer Diener, mit einer Lammfellmütze auf dem Kopfe, bereitete den Tee.
Doch das alles lag noch fern. In heißer Sonne tauchte Algier auf. Die Stadt überkrönt von der runden Kuppel der arabischen Moschee. Schon winkte der Orient mir zu in Farben und Formen. Bald sollte ich den Kanal durchqueren, der Arabiens Wüsten vom Lande versunkener gigantischer Menschheitsträume, von Ägypten, trennt.
Und nun schrieb ich an den Freund5, der zurückblieb in seinen großen Wäldern: „Senden Sie mir Ihre Wünsche, senden Sie mir Ihre zärtlichsten Wünsche nach in die Ferne. Ich glaube, dass sie mich besser schützen werden als die Waffe, die auf meinem Bett in der Wüste ruhen wird. Wir sprachen einmal von der Abenteuerei; sagte ich nicht, sie sei Geist, sei Fantasie? Frau Aventiure, deine Knappen sind geschändet in der Spießerwelt, doch wir Poeten grüßen sie, denn sie sind Blut von unserm Blut, Geist von unserm Geist, sie stehlen gern dem lieben Gott die Zeit, lieben die Weinkeller mehr als die Kirchen, kennen das Joch der Gewohnheit nicht und verachten die Tretmühle der moralinsauren Leute.
Blick auf Algier (1925)
Der sichere Hafen und der kleine Nutzen locken sie nicht, ihnen winkt die fremde Weite voll Gold und Rausch, sie wollen alles haben oder Bettler sein. Wir sprachen davon in meinem grünen Raum, fern von allen Menschen. Wenn diese Worte Sie erreichen in Ihren tiefen, einsamen Wäldern, fern von allen Menschen, werden Sie lächeln, denn dann bin ich Ihnen so nahe, als ob wir uns gegenübersäßen, keine Ferne wäre und kein schimmernder Kahn der Fantasie, der uns zu unbekannten Küsten treibt.
Wenn ich als Mädchen durch den sommerlichen Park meines Vaters hinaus auf die Felder lief, sehnte ich mich unbeschreiblich nach dem, was hinter den Wäldern lag und was ich noch nicht kannte. Wenn meine Freundinnen heirateten, wenn die Orgel klang und die Braut, im Duft von Schleier und Spitzen, neben einem stolzen Mann im Kürass oder Ulanka ging, träumte ich von einer dämonischen und furchtbaren Leidenschaft, die mich niederbeugen und ganz besitzen sollte. Alles Erleben blieb stets blass und farblos hinter meinen Träumen zurück. Das Kleine-Leute-Glück hat mich nie besessen und ich habe über die gelacht, die ein italienisches Seebad als den Begriff einer Reise priesen. Nun trägt mich das Schiff nach Indien und weiter, die große Reise gehört mir. Wird auch sie hinter meinen Träumen als ein Nichts versinken? Im Geruch des Meeres ist etwas vom Geruch der Unendlichkeit. Einmal ganz ausgefüllt werden vom Erleben, lieber Freund, das wünschen Sie mir!“
Karachi
Zuweilen hatte ich auf dieser langen Fahrt die alabasterne Schale beiseitegestellt, die Schale mit dem blassen Trunk von Meer, Himmel und Einsamkeit. Ich ging an Land, Port Said ist nur eine Hafenstadt, aber zum ersten Male enthüllte sie mir den Orient, ein wenig vom Orient, der dem Mond und den Sternen näher ist als wir, der trotz aller europäischen Aufgeregtheit träumt und seit tausend Jahren stille steht.
Port Said ‒ Büro der Suezkanalverwaltung
Überall Farben und Gestalten aus der Bibel meiner Kindheit, halb verwischt und doch so ergreifend erkenntlich. Aber wenn mir eine schwarz verschleierte Frau begegnete, erschrak ich und sah mich um. Ratlos blickte ich der einen nach, die in Lackschuhen und seidenen Strümpfen an mir vorbeischritt, ihre großen schwarzen Augen sahen zwischen den Mauern ihrer Schleier auf mich. Was dachte sie? Verachtete sie meine Freiheit oder neidete sie mir dies mein kostbarstes Gut? Werde ich dies einmal erfahren?
Ich habe schon in all der Lauheit, Buntheit, dem Farbenrasen, der Sonnengewaltsamkeit etwas von dieser alten, geschlagenen und ausgebeuteten Kultur gesehen, das sich vor mir verhüllte, wohl immer verhüllen wird.
Alles drängte sich an mich, um zu verkaufen. Enge Gassen, offene Basare. Man ertrug mein heftiges Danken mit stoischer Ruhe. Nichts trieb die geduldigen Anpreiser ihrer Waren fort, weder mein Lachen noch mein Zorn. Trotz ihrer Aufdringlichkeit atmeten sie eine mir fremde Ruhe, waren ihre Augen schön und voll von weltfremdem Entzücken über Dinge und Gefühle, die ich wahrscheinlich niemals kennenlernen werde.
Neger und Araber, oft Bronzegestalten von edelsten Formen, kamen auf unser Schiff, um zu löschen. Sie verkauften den Matrosen alles, von Melonen bis zu Korallenketten. Sie hatten die Geduld ihrer traurigen kleinen Esel, lächelten demütig und gelassen, wenn sie mit Püffen fortgetrieben wurden. Sie schienen unendlich viel Zeit zu haben, alle diese Menschen. Nein, niemals werden wir Macht über sie gewinnen, weder über ihr Lächeln noch ihre Gedanken. Sie sind uns gegenüber aus Stein, unbeweglich und verhüllt, wie ihre Mumien in den Gräbern, die wir schänden, An ihrer Ruhe und Undurchdringlichkeit gleiten westliche Neugierde und Unruhe ab, wieWasser an einer Marmorwand.
Die Lotsen kamen und gingen. Der uns durch den Suezkanal brachte, sagte: „Auch hier kann man leben“, als ich mich über kleine Ansiedlungen in der Wüste wunderte. Zu beiden Seiten des schmalen Kanals Wüste, Wüstengebirge. Aber am Abend erglühte selbst dieser gelbe Sand in blauen, grauen, violetten und rosenfarbenen Tönen, so zart, so unendlich durchsichtig und blass, wie kostbare Gobelins in vergessenen Sälen.
Die Erhabenheiten biblischer Sagen bekamen seltsames Traumleben: Dort die Spitze von Sinai, hier führte Moses die Kinder Israel durch das Rote Meer und bald kamen wir in die Nähe von Mekka, der heiligen Stadt. Der Kapitän erzählte, dass sich oft genug schwarze Heizer an dieser Stelle in das Meer stürzen, weil sie dann nahe bei den Segnungen Mohammeds der Zeitlichkeit entfliehen.
Ich war eng zwischen Asien und Afrika. Große Geschichte tauchte wie an einem Transparent auf. Gigantische Menschen, für die wir kein Maß mehr haben, wuchsen empor, Pharaonen in ihrer göttlichen Unersättlichkeit, ihrer Ehrfurcht vor Ungemessenem und ihrem Hunger nach dem Wahnsinn höchster Macht, Königinnen in Netzen von Gold, aus denen es von Topasen leuchtet, gehen in Pfauenfederpantöffelchen die Stufen aus Sandstein und Porphyr empor. Ihre gefärbten Augenlider senken sich geblendet unter dem blauen, golddurchwirkten Baldachin, um sich gleich wie eine Fanfare zu heben, mit kühlem Blick über Tausende von Sklaven hin.
Und der Siegesfestzug beginnt: voran die Posaunenbläser mit hohen, grünen Mützen und den geweihten Instrumenten aus Schildpatt und Elfenbein. Und dann die nackten Tänzerinnen des heiligen Nils mit ihren Gazeschleiern, blau wie die Farben des Stromes, und ihren Riesenketten aus Lapislazuli. Die kleinen goldenen Täfelchen mit den unzüchtigen Bildern schlagen die nackten Brüste im Gehen. Und dann die Krieger aus Nubien, Arabien und Afghanistan … unter ihren Tritten bebt die Erde, scheinen die Treppen zu zittern, auf denen die schmalen, feinen, edelsteinbeladenen Königinnen stehen.
Vorüber …
Europäer in Khaki haben Eisenbahnnetze über das fantasiedurchglühte Land gelegt ‒ die Könige starben, die Sagen verblassten und die unterjochten Völker schwiegen.
Auf der anderen Seite lag Asien, Arabiens Küste. Im Mondschein lag sie da, fremd und schweigend. Ich sah vergeblich nach den Reitern aus, deren Burnus wie Schnee in der Sonne leuchtet und deren Hengste schneller sind als der Sandsturm.
Nein, ich täuschte mich nicht. Dieser schöne, große Neger in Port-Sudan, der Aufpasser über die anderen, die löschen halfen, sah uns kaum an. In seinen Augen schlief Verachtung, ja noch mehr, schlief unser Tod. Wie ein entthronter König stand er da, edel, kühn und beherrscht.
Am meisten aber ergriff mich der alte Jude im weißen Kaftan, weißen Turban, unter dem sich die weißen Locken ringelten, der alte Federjude in Aden. Er stand wohl eine Stunde mit seinem großen Sack voll Straußenpracht an der Tür zur Messe. Höflich zeigte er, ohne zu sprechen, auf seine Schätze. Er lächelte kaum, sein schönes Greisenantlitz war wie verklärt von Demut. Er hätte mich gewiss mit Wonne betrogen. Aber das war ja diesen lauten, aufgeregten Fremden gegenüber sein Recht, brausten sie nicht mit ihren Schiffen an und ab, verflucht vom Gott Israels, den sie verachteten? Brutal stieß ihn endlich der Steward hinaus. Er ging mit einem Blick, vor dem ich mich schämte. Gelassen trat er ans Fenster und zeigte mir seinen Sack. Ich war geschlagen, kaufte ihm weiße und schwarze Federn ab, und immer, wenn er mir eine vorlegte, sagte er kindlich lächelnd: „a very big one.“
Hinter Aden bekamen wir den berüchtigten Monsunsturm, einen heftigen Wind, der den Regen nach Indien bringt. Aber man überwand ihn leichter als die Glut des Roten Meeres, die wie ein schrecklicher Fiebertraum auf mir gelegen hatte. An einem Sonntagmorgen dann kam der Lotse an Bord und wir fuhren in den Hafen von Karachi ein. Eine Stunde später betrat ich den Boden des Märchenlandes Indien.
Karachi (1889)
Tagelang durchstreifte ich im Auto Karachi und Umgebung. Auch unser schwarzer Chauffeur hatte seinen „boy“, der vorn auf dem Kotflügel hockte, blütenweiß angezogen, mit rotem Fes auf dem Rabenhaar. Indien ist sicher das einzige Orientland, das eine kultivierte und verwöhnte Frau dauernd zu ertragen vermag. Ich machte den Engländern mein Kompliment.
Karachi ist unglaublich sauber, breit angelegt, luftig und von Bequemlichkeit durchzogen. Was alles gar keinen Abbruch tut dem fantastischen Heimatbilde Indiens.
Der Farbenreichtum dieser Stadt war ein Rausch in duftigstem Pastell. Ich sah einen jungen Mann ganz in hellem Blau, vom Turban bis zu den Pantoffeln, eine schöne Frau in einem Aprikosenrot so zart, so hingehaucht wie eine Wolke, in der das dunkle, träumende Gesicht fast erschreckte. Und so waren die Farben der Gebäude, sie schimmerten in Rosa, Grau und Blau, mit sehr wenig Grün dazwischen; rosa, grau, blau, so schimmerte der Weg zum Meere, wo die große Promenade mit Säulenhallen und Pavillons sich lang am Strande hinzog. Wieder so blass, so duftig, so zart in dem matten Blau des Himmels, rosa, grau, rosa, grau. Diese Farben hatten etwas Unirdisches, Weltentrücktes und ich verstand alle die Menschen, die überall herumhockten, die braunen Gesichter, den braunen Körper in Weiß gehüllt, und träumten. Sie hatten alle nichts zu tun, die rasenden Autos hinderten sie nicht, am Wege zu hocken, in dieser merkwürdigen Stellung und mit nach innen gekehrtem Blick vor sich hinzusehen ‒ stundenlang.
Um das Meer zitterte derselbe perlenmatte Hauch, selbst die Riffe waren in diese sterbenden, schönen Farben getaucht. Sie verklärten das große, gestrandete Schiff, einen deutschen Dampfer, den die Engländer auf Grund setzten und der nun dalag in einem sehnsüchtigen Blau, um langsam zu zerfallen, zu sterben.
Welch’ schöne, stolze, kindliche Menschen sind diese Hindus. Welche Bescheidenheit, welche Höflichkeit, welche feinen, graziösen Bewegungen! Die Vornehmheit und Geschmeidigkeit einer uralten Rasse umgab sie wie ein kostbarer Mantel.
Im Carlton-Hotel, wo ich vorzüglich soupierte, bedienten mich lautlos auf nackten Sohlen gehende Boys, alle ganz weiß, in blendendem Weiß, das den Eindruck allergrößter Sauberkeit machte. Ich hörte sie nicht, diese echten Diener, von denen wir keine Ahnung mehr haben, aber ich fühlte ihre fabelhafte Geschicklichkeit. Sie schienen stumm zu sein und wenn sie etwas fragten, geschah es hauchartig, unpersönlich, verwischt. Eine wundervolle Ruhe umgab mich bei diesen Tees und Soupers im indischen Hotel, wo die Punkahs Luft fächelten und das herrliche Eisgetränk im Glase Kühlung versprach. Boys sprengten mit Ziegenschläuchen die Kieswege, eine Ente schnatterte, draußen in der Sonne zogen Zebukarren vorbei ‒ aber das war schon weit, weit um die grüne Ecke dieser Oase herum.
Hotel Carlton Karachi
Die weißen Turbane der Boys, ihre lautlosen Bewegungen, ihre roten Schärpen schläferten mich ein. Süße, traurige Melodien schienen von irgendwo auf mich einzudringen. Es war die Melodie der Fremde, die mich umgab. Es war die Melodie eines Landes, in dem etwas wachte, das ich nicht kannte, niemals kennenlernen werde. Eine fremde Melancholie, ein fremder Schmerz, eine fremde Seele, die mit der meinen rangen. Wie sagt doch Ku-Hung-Ming in seinem schönen Buch vom Geist des chinesischen Volkes: „Ein Europäer sieht im Chinesen nur den Asiaten mit einem Zopf; von der unendlichen Melodie in seiner Seele, dem Geiste Kon-Fu-Tses, weiß er nichts.“ Das ist etwa der Sinn. Nein, wir wissen nichts von der unendlichen, von der tausendjährigen Melodie in diesen Seelen, religiöser, tiefer, stärker als die unseren.
Ich fühlte mich als Eindringling, leerte rasch meinen Eisbecher und ging. Plötzlich war die Fremde eine Kluft geworden, etwas Unheimliches, das sich erhob und nach mir griff. Ich freute mich, als ich die bekannten Violinentöne an Bord hörte und ging zur Kabine des Ersten Ingenieurs, meines Freundes, der mir Heimweh in die Seele spielte. Die Offiziere kamen und der gute Steward kannte den Durst deutscher Seelen. Was tut der Deutsche, wenn er kühles Nass durch die Kehle rinnen lässt? Er singt. Und so klang denn ein deutsches Lied nach dem andern über die schlafenden Wasser hin, alle die lieben, guten Weisen unserer Kindheit woben uns in Schleier von Heimweh und Schwermut. Mitten in der indischen Welt erstand Heimatboden, Heimatland.
Die fremden Arbeiter blieben wohl tatenlos bei den Kränen stehen, um diesem Gesang zu lauschen, dieser weichen und kräftigen Melodie, wie nur wir sie haben von allen Völkern der Erde. Lied um Lied, das die Sterne hörten und weitertrugen, der Heimat zu.
Überall fühlte ich ihren unvergänglichen Glanz, überall fühlte ich den kühlen Kranz von Grün und Mondschein auf meiner vom Süden fiebernden Stirn.
Buschehr
August 1924
Taubenschwärme, die nach Norden zogen, waren meine Gedanken. Im Park meines Vaters gab es eine Lindenallee, durch die die Sonne selten drang, Steinbänke standen auf dem Rasen zwischen den hohen Bäumen und ganz am Ende sandte ein Springbrunnen seinen kühlen Wasserstrahl in die Luft. Kühle, Kühle, das ist der Gedanke dieses Bildes ‒ unendlich süße, erfrischende Sommerkühle. Wie weit war ich davon entfernt. Hier brannte die Sonne hernieder, als ob ein wüster Gott dieses wahnsinnige Licht gesammelt hätte, um mich zu vernichten.
Ich mietete ein großes, luftiges Haus weitab der Stadt. Mein Blick ging über Palmen auf den Golf, das grünblaue Persische Meer, doch die wahnsinnige Sonne blendete mich. Sich ihr ohne Kopfbedeckung auch nur am Morgen auszusetzen, bedeutete Tod. Doch ich musste mich in Geduld fassen, denn der Hafen von Buschehr war kein englischer Hafen. Die Schiffe mussten auf Seereede löschen und mühsam wurden die großen Kisten an Land gezogen ‒ mühsam an Stricken, ohne jede moderne Einrichtung. Wie lange sollte es noch dauern, bis mein Mercedes für die gefährliche Fahrt über drei- und viertausend Meter hohe Pässe bereit war! „Inshallah“, sagt der Perser und wartet, während ich in der Glut verging und nur noch von schattigen Wäldern daheim träumte.
Buschehr (1925)
Sodann wartete ich auf den Freund, der den Mercedes fahren sollte und von dem mich keine Nachricht erreichte. ‒