Im Bann des Bösen - Alexandra Przyrembel - E-Book

Im Bann des Bösen E-Book

Alexandra Przyrembel

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Beschreibung

Die Nachkriegsprozesse gegen Ilse Koch, die Ehefrau des Kommandanten von Buchenwald Ilse Koch war die Ehefrau des SS-Kommandanten von Buchenwald und eine der wenigen verurteilten NS-Täterinnen. Die Historikerin Alexandra Przyrembel skizziert in einer fundierten Spurensuche ihren Lebensweg, beschreibt den Prozess und die internationale Berichterstattung sowie die Zeit im Frauengefängnis in Aichach und die Unterstützung durch das Netzwerk der »Stillen Hilfe«.  Bereits 1932 wurde Ilse Koch (1906–1967) Mitglied der NSDAP, 1936 heiratete sie den späteren Kommandanten von Buchenwald. 1947 stand sie in Deutschland vor einem US-Gericht, 1950/51 vor einem deutschen Gericht, das sie zu lebenslanger Haft verurteilte. Ausgiebig berichtete die internationale Presse über die als besonders grausam geltende »Hexe von Buchenwald«. Von der Zeit des Nationalsozialismus über den Prozess bis zum Suizid 1967 in der Haft rekonstruiert Alexandra Przyrembel die unterschiedlichen Erzählungen über Ilse Koch. Dabei zeigt sie, welche Vorstellungen von Gewalt, Geschlecht und Schuld sich darin kristallisieren und warum.  Für die Nachkriegsgesellschaften wird klar: Je grausamer Ilse Koch geschildert wurde, desto mehr konnten Deutsche sich von ihr distanzieren und sich selbst entschulden. Eine kluge, erhellende Studie über das personalisierte Böse, das außerhalb der menschlichen Sphäre verortet wird.

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Seitenzahl: 583

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Alexandra Przyrembel

Im Bann des Bösen

Ilse Koch – ein Kapitel deutscher Gesellschaftsgeschichte 1933 bis 1970

 

 

Über dieses Buch

 

 

Ilse Koch war die Ehefrau des SS-Kommandanten von Buchenwald und eine der wenigen verurteilten NS-Täterinnen. Die Historikerin Alexandra Przyrembel skizziert in einer fundierten Spurensuche ihren Lebensweg, beschreibt den Prozess und die internationale Berichterstattung sowie die Zeit im Frauengefängnis in Aichach und die Unterstützung durch das Netzwerk der »Stillen Hilfe«. 

Bereits 1932 wurde Ilse Koch (1906–1967) Mitglied der NSDAP, 1936 heiratete sie den späteren Kommandanten von Buchenwald. 1947 stand sie in Deutschland vor einem US-Gericht, 1950/51 vor einem deutschen Gericht, das sie zu lebenslanger Haft verurteilte. Ausgiebig berichtete die internationale Presse über die als besonders grausam geltende »Hexe von Buchenwald«. Von der Zeit des Nationalsozialismus über den Prozess bis zum Suizid 1967 in der Haft rekonstruiert Alexandra Przyrembel die unterschiedlichen Erzählungen über Ilse Koch. Dabei zeigt sie, welche Vorstellungen von Gewalt, Geschlecht und Schuld sich darin kristallisieren und warum. 

Für die Nachkriegsgesellschaften wird klar: Je grausamer Ilse Koch geschildert wurde, desto mehr konnten Deutsche sich von ihr distanzieren und sich selbst entschulden. Eine kluge, erhellende Studie über das personalisierte Böse, das außerhalb der menschlichen Sphäre verortet wird.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Alexandra Przyrembel, geboren 1965, ist Professorin für die Geschichte der Europäischen Moderne an der Fernuniversität in Hagen. Nach einer Ausbildung im Rowohlt Verlag studierte sie Geschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg und an der Cornell University. 2001 promovierte sie an der TU Berlin zum Thema  »›Rassenschande‹. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation«. 2010 habilitierte sie sich an der Universität Göttingen mit einer kolonialen Wissensgeschichte. Mit der Figur Ilse Koch hat sie sich schon vor vielen Jahren ausführlich beschäftigt.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

Einleitung

Die Geschichtswissenschaft und die Frauen im NS-Staat

Umkämpfte Bedeutungen

Chronologie der Ereignisse: Zur Struktur des Buches

Lokale und Transnationale Perspektiven: Der Fall Ilse Koch und die Archive

Erster Teil Peinigen

Spurensuche

1 Das Jahr 1932 und die NSDAP

Frauen in der Bewegung: NS-Frauen als Kampfgefährtinnen

Kampfgefährtin: Politische Emotionen und Selbstentwürfe nationalsozialistischer Frauen

Die SS, die Ehe und die Familie: Ilse und Karl Koch heiraten

2 Idylle und Gewalt: Leben im Buchenwald

Weimar, die »Stadt der SS« und die Villen der Elite

Idylle und Familienglück: Eine Spurensuche und ein Sonntagsspaziergang

Luxus und Exzess: Bereicherung und Gewalt

Gedächtnistexte und Grausamkeit: Der ›böse Geist‹ von Buchenwald

Tätowierte Haut als kriminologisches Forschungsobjekt und als Reliquie

Zweiter Teil Konfrontieren

3 Weimar, Buchenwald und die amerikanische Armee: Nachkriegsgesellschaft und NS-Verbrechen

Unter Schock: Gewaltverbrechen in den Konzentrationslagern, die amerikanische Armee und Weimar

Weimarer in Buchenwald

Ilse Koch, Lampenschirme und das Wissen über die nationalsozialistischen Verbrechen

4 Vor Gericht in Dachau: Die Vereinigten Staaten und die Ahndung der ›mass atrocities‹

Der Military Court in Dachau: Zielsetzung und Anklagepunkte des Buchenwald-Prozesses

Ilse Koch vor Gericht in Dachau

5 Von der Urteilsrevision zum Skandal: Die Debatte über die ›gerechte‹ Bestrafung Ilse Kochs

Der Senatsausschuss und die Revision des Dachauer Urteils

6 ›Doing‹ Democracy? Die amerikanische Presse und die NS-Verbrechen

Die amerikanische Presse und die ›atrocities‹ der Konzentrationslager

Ilse Koch und das Böse

Demokratie vermitteln

Dritter Teil Verantworten

Juristische Wissenskulturen und die Vorstellungen von ›Wahrheit‹

Kriminalität erzählen

7 Extreme Gewalt und die Nachkriegsjustiz

Konjunkturen der Strafverfolgung

8 Wolfsgesellschaft: Die deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte und der Fall Ilse Koch

Ilse Koch, ein ehrgeiziger Staatsanwalt und der Kalte Krieg: Weimar oder Augsburg

Das Buchenwald-Komitee: Antifaschismus und Kontrolle

9 Strafen: Die ›Kommandeuse‹ von Buchenwald in Augsburg

Das Gericht: Juristische Akteure und andere Männer im Hintergrund

Zeugen, Bezeugen, Objekte: Überlebende und Täter

Im Gerichtssaal: Kriegsschauplatz im Nachkrieg

»Grausamkeitsroboter«: Ilse Koch vor Gericht und in der Psychiatrie

Urteil: Ilse Koch und die anderen Frauen

10 Der Prozess und die Gesellschaft: Reaktionen auf den Augsburger Prozess

Individuen fordern Rache

Deutsch-deutsche Berichterstattung: Die ›Kommandeuse‹ von Buchenwald und die ›Schmach‹ aller Deutschen

Vierter Teil Leugnen

11 Im Gefängnis: Die Strafgefangene Ilse Koch

Aichach

Reformierung des Strafvollzugs

Amerikanische Gefängnisse als Anschauungsobjekte: Strafvollzug als Erziehungsarbeit und die Gefangene Ilse Koch

Das Netzwerk ›Stille Hilfe‹

Gnadengesuche und die ›schwarze Legende‹ der Ilse Koch

12 Sichtbare, unsichtbare Gegenwart: Ilse Koch und andere Frauen erinnern sich an das ›Dritte Reich‹

Nationalsozialistinnen erzählen über ihr Leben im ›Dritten Reich‹: Selbststilisierung und das Sterben der anderen

Briefe schreiben: Antisemitismus, Kinder und die Schuld der anderen

Schluss: Das ›Böse‹ erzählen – Phantasmagorien und die Nachkriegsgeschichte

Dank

Quellen und Literatur

Archivalien

Gedruckte Quellen

Forschungsliteratur

Abbildungen

Personenregister

Einleitung

»Es geht um ein Stück Geschichte des deutschen Volkes und um die Geschichte eines Systems, das Verbrechen zeugte, weil es sich auf die Anbetung der Unwissenheit, auf den Rassismus, auf den künstlich hochgepeitschten reaktionären Nationalismus gründete. Denn, so frage ich: Wieso konnte eine kleine Stenotypistin aus Dresden, der es keineswegs vorherbestimmt war, in die Unterwelt des Verbrechens zu geraten, zur ›Bestie von Buchenwald‹ werden? Wieso ist ein strafrechtlich vorbelasteter Bankangestellter zum Kommandanten eines Konzentrationslagers, zu einem Dieb und Mörder geworden?«

Pierre Durand (1985)[1]

Das Jahr 1967 ist in der deutschen Geschichte ein besonderes Jahr. Die Bundesrepublik steht am Vorabend der studentischen Revolution. Es ist das Jahr, in dem in West-Berlin die Kommune 1 gegründet wird. Im April ruft Martin Luther King zu Protesten gegen den Vietnamkrieg auf. Der Besuch des Schahs Mohammad Reza Pahlavi und seiner Frau in Berlin führt im Juni zu Demonstrationen und Protesten, wobei der Student Benno Ohnesorg von der Polizei erschossen wird. Ein paar Tage später beginnt der ›Sechstagekrieg‹ zwischen Israel und den arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien. Im September findet die erste große Retrospektive von Joseph Beuys in Mönchengladbach statt. Hinzufügen ließe sich vielleicht noch, dass im Jahr 1967 ebenso der Altbundeskanzler Konrad Adenauer im Alter von 91 Jahren verstarb und die beiden westdeutschen Fernsehsender, ARD und ZDF, zum ersten Mal Sendungen in Farbe ausstrahlten. Kurzum: Das Jahr 1967 markierte in nationaler wie auch globaler Dimension eine gesellschaftliche Zäsur.

In diesem bewegten Jahr 1967, am 5. September, versammelten sich auf dem Friedhof der oberbayerischen Stadt Aichach knapp ein Dutzend Menschen, um Ilse Koch zu beerdigen. Ihr Tod war unter großer Geheimhaltung nur den engsten Familienmitgliedern bekannt gegeben worden. Die Tochter Gisela sowie deren Ehemann waren dem Begräbnis aus Furcht vor der Presse ferngeblieben. Ilse Koch, SS-Ehefrau und Gattin des ersten Kommandanten von Buchenwald, hatte bis zu ihrem Suizid aufgrund einer lebenslangen Haftstrafe knapp 20 Jahre in der Frauenstrafanstalt Aichach verbracht, nun fand in diesem kleinen Kreis ihre Beisetzung statt.[2]

Für die einen war die SS-Ehefrau Koch die »Kommandeuse von Buchenwald«, den anderen galt sie als »meistgehasste Frau der Welt«. In anderen Worten – die Nachwelt des nationalsozialistischen Deutschlands stilisierte die Gattin des ersten Kommandanten von Buchenwald zu einer Ikone des Grauens.[3] Tatsächlich lassen sich an ihrem Beispiel die Verflechtungen von Frauen in das NS-Regime untersuchen. Doch es gelang weder der amerikanischen noch der deutschen Anklagebehörde zu belegen, dass Ilse Koch die ihr zugeschriebenen monströsen Verbrechen zu verantworten hatte, die »kognitives Entsetzen« (Dan Diner) über die von der NS-Gesellschaft zu verantwortenden Gewaltakte auslösten. Diese waren symbolisiert durch den Ilse Koch nachgesagten Besitz von Gegenständen aus tätowierten menschlichen Häuten.[4]

Die Rekonstruktion dieses doppelten Bildes ist Gegenstand dieses Buches. Es setzt sich erstens mit der Frage auseinander, was Frauen dazu bewogen haben mag, den Nationalsozialismus zu unterstützen, in die NSDAP einzutreten und innerhalb des NS-Systems eine Karriere anzustreben. Und es beschäftigt sich zweitens mit dem Negativmythos Koch im Nachkriegsdeutschland und den Vereinigten Staaten. In diesem Buch argumentiere ich, dass die mit ihr nach dem Zweiten Weltkrieg verknüpften Verbrechen wenig mit der historischen Person Koch zu tun hatten. Gerhard Mauz, der berühmte Gerichtsreporter beim Spiegel, bilanzierte anlässlich ihres Suizids im Jahr 1967, dass Ilse Koch zum »Opfer eigener Schuld«, aber »wohl mehr noch ein Opfer kollektiven Willens zur Selbstentschuldigung« der beiden Nachkriegsgesellschaften wurde.[5] Mauz’ Begriff des Opfers erscheint angesichts ihrer Rolle während des Nationalsozialismus allerdings mehr als unangemessen.

Es geht hier um einen vergleichsweise kurzen, aber für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts entscheidenden Zeitraum: die Jahre 1932 bis 1967. Die Figur Ilse Kochs hat dabei die Funktion einer Sonde, durch die einzelne Phasen der deutschen Geschichte genauer in den Blick genommen werden: das Ende der Weimarer Republik, als Ilse Koch in die NSDAP eintrat, sowie ihr Leben als SS-Ehefrau im Konzentrationslager Buchenwald zu einer Zeit, in der sich das nationalsozialistische Regime konsolidierte. Schließlich richtet sich der Blick auch auf die unmittelbare Nachkriegsgeschichte, als das deutsche Konzentrationslager Buchenwald von amerikanischen Truppen befreit und in den Jahren 1947 und 1950/51 der amerikanische und der deutsche Prozess gegen Ilse Koch geführt wurden. In diesem Zeitraum formierten sich die unterschiedlichen politischen Systeme in Ost und West – während zugleich eine grundsätzlichere Weichenstellung in der Frage stattfand, wie die Nachkriegsgesellschaft die von Deutschen in der NS-Zeit begangene Ermordung von Millionen Männern, Frauen und Kindern ahnden würde.

Die historische Akteurin Koch ist für eine solche Analyse ein besonders interessantes Fallbeispiel, da sie – obwohl bereits 1932 Mitglied der NSDAP – als Ehefrau Karl Otto Kochs, Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald, keine offizielle Funktion ausübte, als Beobachterin und Antreiberin jedoch in den Gewaltraum des Konzentrationslagers eingebunden war. Im Juli 1932, wenige Wochen nachdem Ilse Koch Mitglied der NSDAP geworden war, hatte die Partei Hitlers bei den Reichstagswahlen bedeutende Zuwächse zu verzeichnen. Nach einer erneuten Wahl im November verzeichneten die Nationalsozialisten wieder Verluste, jedoch war Hitler nach einer kurzen Phase des Übergangs unter Reichskanzler Kurt von Schleicher schließlich am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt worden. Im Jahr 1967, in dem Ilse Koch – nahezu vergessen von der seit dem Dachauer Prozess im Jahr 1947 an ihr sehr interessierten medialen Öffentlichkeit – in der Frauenvollzugsanstalt Aichach ihr Leben beendete, kündigten sich bereits die studentischen Proteste an, bei denen auch eine stärkere Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit durch die deutsche Gesellschaft eingefordert wurde. In diesen Jahren zwischen 1932 und 1967 durchlief die deutsche Gesellschaft mehrere Metamorphosen: Es erfolgten die Anpassung vieler Deutscher an das NS-Regime, die Beteiligung der deutschen Bevölkerung an extremster Gewalt seit Kriegsbeginn, die deutsche Kapitulation am 8. Mai 1945 sowie die Neuordnung der beiden deutschen Staaten nach 1945 unter westalliierter bzw. sowjetischer Besatzungsherrschaft.

Im Vordergrund dieses Buches steht die Frage, wie eine ›normale‹ Deutsche, die nach bisherigem Wissen vor ihrem Eintritt in die NSDAP nicht politisiert war, vermutlich allein aus dem Wunsch nach sozialem Aufstieg zur Nationalsozialistin wurde. Nach dem Krieg wurde sie zu einer Ikone des Bösen, zur ›Bestie von Buchenwald‹ stilisiert.[6] Es war ein Aushandlungsprozess auf drei Ebenen, der im Zentrum dieser Betrachtung steht: Zum einen geht es darum, wie die Nachkriegsgesellschaft die NS-Verbrechen einordnete, zum anderen darum, wie die Figur Ilse Koch von einer internationalen Öffentlichkeit skandalisiert wurde und schließlich – die dritte Ebene – von Teilen der deutschen Gesellschaft für die eigene Entlastung instrumentalisiert wurde.

Die Geschichtswissenschaft und die Frauen im NS-Staat

Die Rolle von Frauen, die sich der politischen Ordnung des NS-Regimes eingliederten – die also weder Jüdinnen waren, noch aufgrund ihrer politischen Überzeugungen, etwa als Kommunistinnen oder Sozialdemokratinnen aus der ›Volksgemeinschaft‹ ausgeschlossen wurden –, ist allem Anschein nach ein sensibles Thema für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft. Die Frage, ob und in welcher Form Frauen das NS-Regime unterstützten, beschäftigt Historiker und Historikerinnen nunmehr seit mehreren Jahrzehnten. Bereits 1944 legte Ruth Kempner gemeinsam mit ihrem Mann Robert, einem der Hauptankläger bei den Nürnberger Prozessen, die vierbändige Studie »Women in Nazi Germany« vor.[1] Bereits bei Kempner findet sich ein Topos, der sich hartnäckig in der Forschungsliteratur zum Nationalsozialismus hält: »Die deutschen Hausfrauen mit ihrem angeborenen Sinn für Unterwerfung wählten Hitler an die Macht« und seien eifrig dem Slogan gefolgt, »ihr ganzes Leben Volk und Vaterland zu widmen«.[2] Nachdem sich die ersten beiden Bände mit den nationalsozialistischen Frauenorganisationen bzw. den Arbeitsverhältnissen beschäftigten, wandte sich Kempner im dritten Band den sozialen und moralischen Folgen zu, die der Nationalsozialismus für Frauen nach dem Ende des Krieges haben würde. Sie interessierte sich unter anderem für die Frage, wie Frauen nach der Überwindung des Nationalsozialismus wieder ihren »Alltag zu Hause und am Arbeitsplatz als sozial angepasste Personen« bestehen könnten.[3] Auch bescheinigte Kempner den deutschen Frauen ein besonderes Aggressionspotenzial, auf das der Nachkriegsstaat unter anderem mit finanziellen Kompensationen (Witwenrente, Hilfe für die Waisen) reagieren sollte.[4]

Bemerkenswert für die Fragestellung ist, dass sich Kempner bereits zu diesem frühen Zeitpunkt mit den »Ausgestoßenen unter den Frauen« beschäftigte. Hier widmete sie den SS-Ehefrauen als Angehörigen der nationalsozialistischen Elite ein eigenes Kapitel und resümierte: »Das Schicksal der SS-Frauen wird nach der Zerstörung des NS-Staates ein ernstes Problem darstellen.«[5] Diese Frauen stellten, so bilanzierte Kempner 1944, deshalb ein ernsthaftes Problem dar, weil ihre Ehen und Familien auf der Ordnung des NS-Regimes beruhten und sie die Elite des zukünftigen nationalsozialistischen Staates darstellten, weshalb ihnen die städtischen Kommunen besonders große Aufmerksamkeit schenken müssten.[6] Die vier als vertraulich klassifizierten Bände waren an die zukünftige amerikanische Militäradministration adressiert. Vor allem im letzten Band »Readjustment« finden sich zahlreiche Hinweise (wie etwa die Einrichtung von Familienzentren) zum zukünftigen Umgang mit der weiblichen Bevölkerung, die schließlich die Mehrheit der Bevölkerung darstelle.

In seinem Handbuch »Deutsche Gesellschaftsgeschichte« beschreibt Hans-Ulrich Wehler anschaulich, wie Frauen dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler geradezu in körperlicher Hingabe verfielen.[7] Bereits in den siebziger Jahren wurde diese generalisierende Deutung zurückgewiesen, während die »aktive Komplizenschaft einiger Frauen und das passive Wegducken der Majorität der Frauen« unterstrichen wurde.[8]

Das Paradoxon, dass Frauen einerseits keine politischen Ämter innerhalb des NS-Regimes bekleideten, sie aber als Wählerinnen und Aktivistinnen in NS-Frauenorganisationen eine solide Basis der NS-Gesellschaft stellten, löste wie die Frage nach ihrem Wahlverhalten zahlreiche historiographische Debatten aus. Diese Kontroverse spitzte sich in den 1990er Jahren im Rahmen des sogenannten »Historikerinnenstreits« zu, in dem die Kontrahentinnen Frauen entweder in ihrer Rolle als Täterinnen oder als Opfer wahrnahmen.[9]

Seit einigen Jahren ist Ruhe in diese Auseinandersetzung eingekehrt: Mittlerweile liegt eine Vielfalt unterschiedlicher Forschungen vor, die Handlungsoptionen sowie Karrierechancen von Frauen innerhalb des NS-Regimes beschreiben und einordnen.[10] An den Rändern dieser Historisierung von Frauen als handelnde Akteurinnen bewegen sich diejenigen Beiträge, die sich mit SS-Ehefrauen oder SS-Aufseherinnen in Konzentrationslagern beschäftigen.[11] In jüngerer Zeit wurde das Verhältnis der Geschlechter während des ›Dritten Reiches‹ vor dem Hintergrund der Sexualpolitik neu interpretiert, wobei die bis in die sechziger Jahre währenden Klischeevorstellungen eines durchweg sexualfeindlichen ›Dritten Reiches‹ hinterfragt wurden.[12]

Vielleicht liegt es in der Wirkungsmacht des ›Bildes Ilse Koch‹ begründet, dass auch die historische Geschlechterforschung die in den Konzentrationslagern eingesetzten Frauen als »bemerkenswert brutale und machtbesessene« »Minderheit unter den Frauen« wahrnahm und lange Zeit nicht nach den Spezifika ihrer Macht und schon gar nicht nach der Geschichte ihrer Rezeption nach 1945 fragte.[13] Auch die (wenigen) vorhandenen historischen Arbeiten zum Thema changieren zwischen der differenzierten sozialhistorischen Aufarbeitung einerseits und moralischer Beurteilung andererseits.[14] Dieser ›blinde‹ Fleck in der historischen Auseinandersetzung mit ›rechten‹ Frauen ist auch international vorhanden, so etwa in Bezug auf Frauen, die sich Reinheitsorden (wie etwa dem Ku-Klux-Klan) anschlossen und diese zumindest ideell, oft aber auch aktiv handelnd unterstützten.[15]

Im Gegensatz zu dieser zögerlichen Annäherung der Geschichtswissenschaft an die Frau als Kämpferin steht der mediale Erfolg literarischer Verarbeitungen. Der Roman »Der Vorleser« von Bernhard Schlink wurde beispielsweise in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt. Darin schildert Schlink die Begegnung zwischen einem Jurastudenten und einer zu lebenslänglicher Haft verurteilten ehemaligen Wärterin des Konzentrationslagers Auschwitz.[16] Auch die Geschichte Ilse Kochs selbst stieß – und stößt – auf ein ausgesprochen breites mediales Echo: So liegen beispielsweise zahlreiche, darunter auch internationale Fernsehdokumentationen zu Ilse Koch vor.[17]

Noch zu ihren Lebzeiten traten immer wieder Autorinnen und Autoren mit der Bitte an die Gefängnisleitung in Aichach heran, die Strafgefangene Ilse Koch interviewen zu dürfen. Ihm gehe es darum, so schrieb der Schriftsteller Heinrich Fraenkel in seiner Anfrage an die Direktion der Strafanstalt, die »psychologischen Hintergründe« des Falls zu klären.[18] Ilse Koch selbst sprach davon, dass ein amerikanischer Reporter ihr für ihre Memoiren zehntausend Dollar angeboten habe, was sie abgelehnt habe, da »noch mehr« dazukäme und sie darüber hinaus eine eigene Biographie plane.[19] Auch nach ihrem Tod riss das Interesse nicht ab. Eine andere Autorin zeigte sich bereits wenige Tage nach dem Tod Ilse Kochs interessiert daran, im Rahmen einer Veröffentlichung »die seelischen Mechanismen« bloßzulegen, »welche zu dem fürchterlichen Phänomen Ilse Koch« geführt haben.[20] Selbst ein Ingenieurbüro für biorhythmische Forschung interessierte sich für die Hintergründe ihres Suizides.[21] Die wenigen vorliegenden Biographien über Ilse Koch, die einen wissenschaftlichen Anspruch verfolgen, zeichnen sich durch ihre Skandalisierung aus, rücken die mit ihrer Person verknüpften Sexualstereotype (wie Promiskuität) und vor allem Vorstellungen einer bestialischen Grausamkeit ins Zentrum.[22]

Demgegenüber provozierte umgekehrt der Sachverhalt, dass die ihr zugeschriebene Grausamkeit in den Nachkriegsprozessen nicht bewiesen werden konnte, immer wieder auch rechtsextreme Autoren zu Polemiken gegen die ›Vergangenheitsbewältigung‹ durch die Justiz der Bundesrepublik. Diese Art des Schrifttums verfolgte per se das Ziel, NS-Prozesse nachträglich zu delegitimieren.[23]

Kurzum: Die Wahrnehmung Ilse Kochs bewegte sich zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite herrschte eine geradezu ›ikonische‹ Faszination an der Figur Ilse Kochs als pathologischer nationalsozialistischer Einzeltäterin vor. Zum anderen beschäftigte sich die Nachkriegsdeutung Ilse Kochs auch mit der Frage, wie ihr Gewalthandeln während ihrer Zeit als SS-Ehefrau und Gattin des Kommandanten von Buchenwald mit Hilfe des juristischen Instrumentariums zu deuten sei. In diesen Debatten ging es um den Nachweis von Schuld im strafrechtlichen Sinne.

Das vorliegende Buch löst sich von den beschriebenen Konstruktionen: Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, die Deutungen Ilse Kochs als ›Kommandeuse von Buchenwald‹ zu historisieren und vor dem Hintergrund des in zahlreichen deutschen und internationalen Archiven vorliegenden Materials neu zu interpretieren. Im Anschluss an Methoden der historischen Anthropologie soll der »andauernde Kampf um Bedeutungen« in den Blick genommen werden, der Ilse Kochs Wahrnehmung in den Vereinigten Staaten und den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften, in der medialen Öffentlichkeit und im Gerichtssaal geprägt hat.[24] Zwei Fragen, so schlicht wie kompliziert, stehen im Zentrum: Wie lässt sich die Grausamkeit Ilse Kochs im Konzentrationslager Buchenwald beschreiben? Und welche Verarbeitungsstrategien bildeten die Vereinigten Staaten und die beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften angesichts ihres Wissens über die nationalsozialistische Gewalt heraus, für die Ilse Koch zum Symbol wurde?

Umkämpfte Bedeutungen

Dieses Buch rekonstruiert die ›umkämpften‹ Bedeutungen der Figur Ilse Koch und ihrer Biographie im Nachkriegsdeutschland. An diesem Aushandlungs- und Deutungsprozess waren unterschiedliche historische Akteurinnen und Akteure beteiligt: die amerikanische Armee, die das Konzentrationslager Buchenwald im April 1945 befreite, die deutsche Bevölkerung, die Medien, die Justiz, die NS-Täter und die ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald. Für letztere muss die Unsicherheit darüber, ob Ilse Koch für die von ihnen im Rahmen von Zeugenaussagen und Memoiren beschriebenen brutalen Gewalthandlungen juristisch überhaupt zu belangen war, angesichts der erlittenen Qualen eine Grenzerfahrung gewesen sein.

Um diesen Kampf um Bedeutungen einordnen zu können, soll hier noch kurz auf einige der zentralen Debatten der NS-Historiographie eingegangen werden. Der Fall Ilse Koch eignet sich weder für eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der ›Volksgemeinschaft‹ noch für eine grundsätzliche Analyse der mentalitätshistorischen Prägungen, wie sie in zentralen Biographien zur nationalsozialistischen Elite beispielsweise von Ulrich Herbert und Michael Wildt durchgeführt wurde.[1] Dies ist nicht zuletzt auch dem Material geschuldet – im Fall des von den beiden Historikern untersuchten sozialen Milieus (vor allem Juristen) gibt es umfangreiche Quellen. Zu Ilse Koch jedoch sind Materialien aus der Zeit, in der sie sich für den Nationalsozialismus entschieden hat, nur äußerst fragmentarisch erhalten. Angesichts Hunderter Aussagen, die kurz nach dem Krieg entweder von den Häftlingen selbst oder den Gerichten zusammengetragen wurden, erscheint jedoch eine Annäherung möglich an das, was Alf Lüdtke »Herrschaft als soziale Praxis« genannt hat, eine Praxis, wie sie auch im Rahmen der informellen Funktion Ilse Kochs als SS-Ehefrau ausgeübt werden konnte.[2]

Bereits Ende der neunziger Jahre wurde auf die »Stilisierung der nationalsozialistischen Konzentrationslager zu Symbolen des Terrors« im Nachkriegsdeutschland hingewiesen, die sich trotz – oder auch vielleicht wegen – einer breit angelegten Aufklärungsarbeit zur »Residualkategorie des Verbrecherischen im Nationalsozialismus« herausbildete, »(der) gegenüber alles andere – Diktatur, Unterdrückung, Verfolgung und selbst der Krieg – in den Kategorien von Tradition und Normalität« gefasst wurde.[3] Parallel zu den Bestrebungen politischer Kräfte in der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, die von den Alliierten auf den Weg gebrachten Entnazifizierungsmaßnahmen zurückzunehmen, entstanden Chiffren, Bilder und Symbole, mit denen die Verbrechen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern in Verbindung gebracht wurden. Die Metapher der ›Todesfabrik‹ entkoppelte die in den Vernichtungslagern verübten Verbrechen von den individuellen Tätern.[4] Das Bild der Bestie personalisierte zugleich die NS-Verbrechen und verortete sie außerhalb der menschlichen Sphäre.

In jüngster Zeit wurde die Geschichte der Bundesrepublik angesichts von Demokratisierungsprozessen und des Wegs nach ›Westen‹ oft als »Erfolgsgeschichte« geschrieben,[5] an der historischen Figur Ilse Koch lässt sich jedoch zeigen, wie widersprüchlich der Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit war.[6] Dabei wird der Blick insbesondere auf die medialen Öffentlichkeiten der beiden deutschen Staaten sowie, um eine transnationale Perspektive ergänzt, auf die Vereinigten Staaten zu richten sein und auf die dort medial verbreiteten Wahrnehmungsmuster von NS-Verbrechen. Welche Bilder kursierten über die nationalsozialistischen Verbrechen? Und welche Rollen schrieb die Öffentlichkeit Frauen zu? Wandelten sich diese Zuschreibungen infolge der sich verändernden politischen Ausgangslage, vor allem des Kalten Krieges? Und inwieweit sind die medial kommunizierten Bilder über die NS-Verbrechen verflochten mit Geschlechterbildern über Gewalt?

An dieses Bündel von Fragen knüpft eine weitere Perspektive an. Ausgehend von dem »allgemeine(n) Gefühlsmangel«, den Hannah Arendt den Deutschen in ihrem Reisebericht zu Beginn der fünfziger Jahre attestierte, wird nach den Emotionen gefragt, die in der medialen Öffentlichkeit, vor Gericht und auch unter den Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald mit dem Fall Ilse Koch in Verbindung gebracht wurden.[7] Interessant sind dabei insbesondere die Verflechtungen, die zwischen der von Arendt beobachteten emotionalen Stille einerseits und den »negativen Gefühlen« (Aurel Kolnai) andererseits bestanden, die das Bild der ›Kommandeuse von Buchenwald‹ in der Nachkriegsöffentlichkeit sowie vor Gericht hervorrief.[8] Die historische Figur Koch provozierte vornehmlich negative Emotionen – Wut, Hass oder auch Abscheu.[9] Somit ist danach zu fragen, auf welche Weise die emotionale Codierung der SS-Ehefrau in den hier untersuchten Diskursfeldern, den Überlebendenberichten, den Akten der Justiz und der Berichterstattung, in concreto erfolgte.

Zugespitzt scheinen die fünfziger und sechziger Jahre von einer Kultur des Misstrauens geprägt gewesen zu sein. In diesem Buch wird argumentiert, dass diese Kultur des Misstrauens keineswegs allein auf einer makrohistorischen Ebene angesichts des sich abzeichnenden Kalten Krieges zu beobachten ist, sondern auch das Miteinander der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald nachhaltig prägte. Denn unter den ehemaligen Insassen des Konzentrationslagers, die sowohl vor dem amerikanischen Gericht in Dachau als auch im westdeutschen Prozess in Augsburg aussagten, hatten sich bereits unmittelbar nach ihrer Befreiung im Jahr 1945 unterschiedliche Einstellungen zur juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen herausgebildet, die von unterschiedlichen Akteuren instrumentalisiert wurden. In dieser Hinsicht dient die Analyse der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen Kochs auch als Sonde, um die Perspektiven und Konfliktlagen der überlebenden Häftlinge nach 1945 in den Blick zu nehmen. Dabei wird gleichermaßen der Blick auf das (Selbst-)Verständnis der ehemaligen politischen Häftlinge als auch auf die Persistenz antisemitischer Mentalitäten zu richten sein. In Anschluss an Michael Rothbergs Konzept der multidirektionalen Erinnerung wird danach gefragt, welche Formen die von ihm beobachtete »Opferkonkurrenz« verschiedener Erinnerungsgemeinschaften im deutsch-deutschen Kontext hatte und wie diese wiederum von einer Kultur des Misstrauens geprägt waren.[10]

Dieses Misstrauen scheint auch die Haltung der amerikanischen Besatzungsmacht gegenüber der deutschen Handhabung des Falls geprägt zu haben, ebenso wie die Haltung der Häftlingsgemeinschaften gegenüber dem deutschen Prozess in Augsburg, und es wirkte wiederum auf das politische Klima der beiden deutschen Staaten zurück. In diesen frühen Nachkriegsjahren konstituierte sich das Bild der Exzesstäterin, die scheinbar losgelöst von jeglichen historischen Kontexten allein aus eigenem Antrieb heraus Menschen quälte.

Bei diesem Buch handelt es sich somit um einen Beitrag zur Geschichte der Gewalt im Deutschland des 20. Jahrhunderts und ihrer Aufarbeitung in den beiden deutschen und den Vereinigten Staaten. Obwohl transnationale Perspektiven etwa im Zusammenhang mit der Zirkulation medialer Bilder über Ilse Koch und andere NS-Verbrechen untersucht werden, handelt es sich aber vor allem um ein Kapitel deutscher Gesellschaftsgeschichte, das hier im Zentrum steht.

Bereits unmittelbar nach dem Krieg bildete die deutsche Öffentlichkeit Strategien heraus, die eigene Beteiligung am nationalsozialistischen Regime im Rahmen von Bildern oder auch Erzählungen zu bannen und gleichzeitig das eigene Leben neu zu ordnen: Die Geschichte Ilse Kochs, die 1932 als eine von wenigen Frauen Mitglied der NSDAP wurde und die gemeinsam mit ihrem Ehemann Karl und ihren Kindern für einige Jahre in der Kommandantenvilla des Konzentrationslagers Buchenwald lebte, eignete sich für eine solche Nachkriegserzählung: Gleich einem »Grausamkeitsroboter«, so resümierte ein psychiatrisches Gutachten in den frühen fünfziger Jahren, habe sie im Konzentrationslager Buchenwald geherrscht.[11]

Chronologie der Ereignisse: Zur Struktur des Buches

Um die zum Teil verwobenen Erzählungen zu rekonstruieren, ist das Buch chronologisch angelegt und in vier Teile gegliedert.

Im ersten Teil Peinigen wird am Fall Ilse Koch die Frage untersucht, warum Frauen sich bereits früh für eine Mitgliedschaft in der NSDAP interessierten und welchen Ort die Familien in der ›Sippengemeinschaft‹ der Schutzstaffel ausfüllten. Neben dem Alltag und den täglichen Routinen Ilse Kochs als SS-Ehefrau und Mutter in der SS-Führersiedlung des Konzentrationslagers Buchenwald wird auch in den Blick genommen, wie sich die Vorstellungen von ›Normalität‹ angesichts des Funktionswandels der Konzentrationslager in den Jahren nach ihrer Gründung verschoben und welche Verflechtungen zwischen diesen beiden Welten – der SS und ihren Frauen einerseits und den Häftlingen andererseits – bestanden. In diesem Abschnitt wird auch herausgearbeitet, dass Ilse Koch sich während ihrer Zeit als SS-Ehefrau bzw. Gattin des Kommandanten von Buchenwald außerhalb des für Frauen als ›normal‹ geltenden Handlungsraumes bewegte, indem sie sich auf verschiedenen Ebenen in die Ordnung des Konzentrationslagers Buchenwald einmischte und sich in sehr spezifischer Weise grausam verhielt.

Ein zweiter Abschnitt, Konfrontieren, nimmt die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald durch die amerikanischen Truppen zum Ausgangspunkt und rückt die Frage ins Zentrum, welche Perspektiven auf die NS-Verbrechen in den Konzentrationslagern in diesen frühen Jahren zirkulierten: Welches Wissen verbreitete sich in den US-Medien über die nationalsozialistischen Verbrechen? Welche Beziehungen entwickelten sich zwischen Besatzungsmacht und deutscher Bevölkerung in jenen Jahren? Welche Praktiken der Konfrontationen mit den nationalsozialistischen Verbrechen gab es unmittelbar nach der Befreiung des Konzentrationslagers und welche später vor Gericht?

Teil drei, Entscheiden, bildet den Kern des vorliegenden Buches. Hier steht der deutsche Nachkriegsprozess gegen Ilse Koch im Zentrum, der im Jahr 1951 mit ihrer Verurteilung zu lebenslanger Haft im Zuchthaus endete. Er setzt sich mit der Frage auseinander, wie es vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zum Prozess im schwäbischen Augsburg kam, obwohl auch die Staatsanwaltschaft Weimar, unterstützt von der SED in (Ost-)Berlin, Anspruch auf die Durchführung erhob. Das augsburgische Gerichtsverfahren brachte angesichts der Vorentscheidung durch die amerikanische Besatzungsmacht, die auf eine lebenslange Verurteilung Ilse Kochs drängte, alle beteiligten Seiten in Verlegenheit. Denn laut der im Strafgesetzbuch vorgegebenen Kriterien war Ilse Koch als Initiatorin und Zuschauerin von NS-Gewaltakten mit einer lebenslangen Haftstrafe zu belangen, aber da sie sich als SS-Ehefrau außerhalb der offiziellen Hierarchie des Konzentrationslagers Buchenwald bewegte, stellte der Beleg dieses Gewalthandelns für die Ermittlungsbehörden eine Herausforderung dar. In diesem Abschnitt wird der Blick somit auf die spezifischen Interessenlagen der am Verfahren beteiligten historischen Akteure und Akteurinnen sowie deren Deutungskämpfe im Gerichtssaal zu richten sein.

Der vierte Teil Leugnen setzt sich mit den letzten Lebensjahren Ilse Kochs auseinander, die sie nach der Verurteilung durch das Augsburger Gericht zu Beginn des Jahres 1951 bis zu ihrem Suizid 1967 im Gefängnis verbrachte. Diese Periode der Geschichte der Bundesrepublik wird angesichts des wirtschaftlichen Aufstiegs auch als Boom interpretiert.[1] Ilse Kochs letzter Lebensabschnitt führt uns damit stärker hinein in jene Phase der Bundesrepublik, in der sich die weitgehende Rehabilitierung vieler an den NS-Verbrechen beteiligter Männer und Frauen abzeichnete.

Dabei wird exemplarisch am ›Fall Koch‹ nach dem Ort des Gefängnisses in der Geschichte der Bundesrepublik gefragt und genauer nach der Rolle von verurteilten NS-Verbrechern und NS-Verbrecherinnen – es ist der Versuch, die deutsche Geschichte in zweifacher Hinsicht von den Rändern her zu schreiben. Übergeordnet geht es bei der Untersuchung dieser knapp 16 Jahre, die zwischen der Verurteilung Ilse Kochs 1951 und ihrem Suizid in der Frauenstrafanstalt Aichach im Jahr 1967 liegen, um die Frage, welche Antworten die deutsche Gesellschaft und in concreto die bayerische Justizbehörde auf die in ihrer Mitte begangenen Verbrechen in diesem Zeitraum fanden und welchen gesellschaftlichen Platz sie den verurteilten NS-Verbrechern zuwiesen. Immerhin gehörte Ilse Koch zu den wenigen zu lebenslanger Haft verurteilten Angeklagten, die nicht amnestiert wurden. Es wird gezeigt, dass sie bei ihren Bemühungen um ihre Freilassung durchaus auf ein Netzwerk aus Familienmitgliedern zurückgreifen konnte sowie auf den Verein ›Stille Hilfe‹, der sich im Nachkriegsdeutschland mit dem Ziel der Unterstützung von NS-Verbrechern gebildet hatte. Anhand einiger Nationalsozialistinnen wird in diesem Abschnitt ebenso thematisiert, wie diese Frauen (wie auch Ilse Koch) nach 1945 ihre Biographien ordneten.

Lokale und Transnationale Perspektiven: Der Fall Ilse Koch und die Archive

In der Presse wurde Ilse Koch als »meistgehasste« Frau der Welt bezeichnet.[1] Obwohl das Echo der internationalen Presse bis nach Asien reichte, bleibt die globale Wirkung des Falls überschaubar. Und doch erreichte die Times of India im Oktober 1948 ein aufgebrachter Leserbrief, der die amerikanische Politik angesichts der zeitweiligen Begnadigung als »hypocritical« rügte. Letztlich scheint sich aber angesichts der Ilse Koch vorgeworfenen Verbrechen im Vergleich zu den Nürnberger Prozessen keine ›Weltöffentlichkeit‹ herausgebildet zu haben, die einhellig für ihre Verurteilung eintrat.[2] Allerdings verbreitete sich ein diffuses Wissen über die »Lampshade Ilse« bis nach Israel.[3]

Die mediale Wirkung, die der Fall Ilse Koch vor allem in den beiden deutschen Staaten und den USA entfaltete, lässt sich angesichts von Hunderten von Zeitungsartikeln, Fotografien oder auch Wochenschauen umfassend untersuchen, so dass hier durchaus von einer transnationalen Mediengeschichte gesprochen werden kann. Hinzu kommen die Berichte der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald, die – verstreut über Europa und die Vereinigten Staaten lebend – ihre Erinnerungen niederschrieben.[4]

Diese Vielzahl von gedruckten Materialien wird ergänzt durch die zahlreichen Dokumente, die in Archiven an verschiedenen Orten vorliegen und unterschiedlichsten Provenienzen angehören: Als zentrale Bestände sind die amerikanischen und deutschen Prozessakten zu bezeichnen.[5] Im Archiv in Weimar sind die Protokolle überliefert, die Beobachter über den Verlauf des deutschen Prozesses erstellten.[6] Zahlreiche Materialien – ob nun die Tagebücher des Generals, der die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald koordinierte, oder auch lebensgeschichtliche Interviews mit zentralen Akteuren der Gerichtsbarkeit[7] – sind mittlerweile auch digital einzusehen. Auch von Ilse Koch selbst liegen diverse Zeugnisse vor – sie reichte wiederholt Gnadengesuche ein, sie verfasste Gedichte, und sie schrieb ihrer Familie. Dieser Vielzahl von möglichen Deutungsangeboten der historischen Figur Ilse Kochs nach 1945 steht eine überschaubare Anzahl von Materialien aus der NS-Zeit gegenüber, wie beispielsweise die Akten aus dem gegen Ilse und Karl Koch durch die SS eingeleiteten Ermittlungsverfahren, Personalakten und mehrere Fotoalben, die in den National Archives in College Park, Maryland, einzusehen sind.

Ebenso sei erwähnt, dass alle Zeugen anonymisiert wurden – ausgenommen sind diejenigen Personen, die – wie beispielsweise Eugen Kogon, Verfasser einer der frühen Bücher über die nationalsozialistischen Konzentrationslager und Herausgeber der Frankfurter Hefte – zu den prominenten politischen Personen Nachkriegsdeutschlands gehörten.[8]

Die unterschiedlichen Deutungen der historischen Figur Ilse Koch sind wesentlich geformt von den jeweiligen Entstehungskontexten der Materialien. Ihre Biographie wird im Rahmen dieses Buches nicht als eine in sich stringente historische Erzählung präsentiert, sondern es wird ein mehrfacher Perspektivenwechsel vorgenommen, der dem Entstehungskontext der historischen Materialien geschuldet ist und daher unterschiedliche Deutungen zulässt. Besonders die am Ende dieses Buches zitierten Briefe und Gedichte Ilse Kochs mögen die Geduld der Leserinnen und Leser strapazieren, weshalb bereits hier um Nachsicht gebeten werden soll. Wenn wir jedoch unser Interesse an der Analyse von Mentalitäten ernst meinen, so erscheint es auch notwendig, in die Welt dieser ehemaligen SS-Ehefrau vorzudringen und ihre Entlastungsnarrative in der Nachkriegsgeschichte zu verorten – Narrative, die hier mit dem Begriff vom ›Bann des Bösen‹ als Teil der deutschen Gesellschaftsgeschichte gesehen werden.

Erster TeilPeinigen

»Der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gehörte ich nicht an.«

Ilse Koch, Vernehmung im Juni 1945[1]

Die Biographie Ilse Kochs bis zu ihrer Heirat im Mai 1937 mit dem SS-Standartenführer Karl Otto Koch (1897–1945), der nach seiner steilen Karriere innerhalb der SS mittlerweile die Kommandantur des Konzentrationslagers Sachsenhausen übernommen hatte, war keineswegs so schillernd, wie ehemalige Häftlinge angenommen haben: Weder war sie vor ihrer Ehe Angehörige der Gestapo gewesen, noch unterhielt sie von Buchenwald aus Kontakte zur Weimarer Polizei.[2] Sie entstammte einer protestantischen Handwerkerfamilie, hatte eine einfache Schulbildung genossen und war einige Jahre als Sekretärin tätig gewesen, bevor sie in ihrer Geburtsstadt Dresden ihren späteren Ehemann treffen sollte. Von Oktober 1937 bis zu ihrer Verhaftung durch die SS im August 1943 wegen der Veruntreuung von Geldern lebte Ilse Koch mit ihrem Ehemann und den in Buchenwald geborenen Kindern in der SS-Führersiedlung auf dem Ettersberg, nur wenige Kilometer vom Konzentrationslager Buchenwald entfernt. Ilse Koch unternahm in dieser Zeit mehrere Reisen, teils allein, teils mit ihrem Ehemann.[3] Karl Koch, der bereits im Winter 1941 mit dem Auftrag, das Lager aufzubauen, in das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek/Lublin als Kommandant versetzt worden war, wurde in dem wegen Korruption gegen ihn eingeleiteten SS-Prozess zum Tode verurteilt und noch im April 1945 im Konzentrationslager Buchenwald hingerichtet.

Spurensuche

»Mit SS-Frauen hatte ich so gut wie keinen Umgang. Gesellschaftlichen Verkehr hatte ich in Buchenwald nicht. Ich lebte für mich und meine Kinder. Mein Mann wollte nicht, dass ich mit den dort wohnenden SS-Angehörigen Umgang pflegte.«

Ilse Koch im Juni 1945[1]

Die eigenen rückblickenden Aussagen Ilse Kochs zu ihrer Biographie sind, wie bereits der Augsburger Staatsanwalt Ilkow feststellte, mit »größter Vorsicht aufzunehmen« bzw. »völlig unwahr«.[2] Die wenigen Anmerkungen, die Ilse Koch im Rahmen der Prozesse über ihr Leben vor 1933 machte, sind geprägt von Selbststilisierung, apologetischen Wendungen und einer grundsätzlichen Leugnung der besonderen Rolle als SS-Ehefrau sowie der ihr zugeschriebenen Gewaltakte.[3] Nur während einer frühen Vernehmung unmittelbar nach ihrer Verhaftung im Sommer 1945 bescheinigte sie sich selbst eine »nationale Gesinnung«. Gleichzeitig wies sie jede Verantwortung für die ihr nachgewiesenen Gewalttaten von sich, da sie ihre »Gesinnung geändert« habe, nachdem sie »einige Zeit verheiratet war und Einblick in das Leben der SS« erhalten habe.[4] Bei ihrem Ehemann vermutete sie in einem späteren Gespräch mit einem Psychiater, dass dieser »zur Partei aus idealistischen Gründen gegangen« sei. Er habe den »großen Aufbau der SS« mitgemacht: »Die Ziele der Partei seien ihm wichtiger gewesen, als Geld zu verdienen.«[5]

Ilse Kochs Mutter nahm in einer Vernehmung ausführlich zur Partei- und SS-Karriere des späteren Kommandanten von Buchenwald Stellung, schilderte die SS-Eheweihe, die anstelle der kirchlichen Trauung stattfand, den Einzug in die Kommandantenvilla im Herbst 1937 und die Urlaubsreisen, die nicht zuletzt im Jahr 1941 auch nach Lublin führten, wo Karl Koch mit dem Aufbau des Konzentrationslagers befasst war. In diesem Gespräch beschrieb die Mutter den Alltag Ilse Kochs, in dessen Mittelpunkt die Versorgung von Mann und Kindern gestanden habe. Ebenso schilderte sie das gesellschaftliche Leben des Paares in der SS-Führersiedlung. Einige höhere SS-Führer seien beim Kommandanten und seiner Familie zu Gast gewesen.[6]

Die Schilderungen Ilse Kochs und ihrer Mutter bestätigen die bereits in den neunziger Jahren gemachten Beobachtungen, dass SS-Ehefrauen in den Sippenverband der Schutzstaffel integriert waren und die ihnen zugewiesene Funktion meist befürwortend ausfüllten.[7] In einer Rede vor SS-Gruppenführern schärfte Heinrich Himmler, der Reichsführer-SS, am 8. November 1937 den Ordens- und Rassengedanken der Schutzstaffel:

»Darüber hinaus haben wir uns ja als Ziel gesetzt, hier nicht einen Männerbund ins Leben zu rufen, der wie alle Männer- oder Soldatenbünde früher oder später einmal zerfällt, sondern wir haben uns das Ziel gesetzt, hier wirklich einen Orden allmählich wachsen zu lassen. Das Wort Orden wird mir zu oft verwendet. Es ist damit nicht ein Orden, dass wir es Orden heißen. Ich hoffe, dass wir in 10 Jahren ein Orden sind und auch nicht ein Orden nur von Männern, sondern ein Orden von Sippengemeinschaften. Ein Orden, zu dem die Frauen genauso notwendig dazu gehören wie die Männer. Seien wir uns doch klar darüber: Es wäre sinnlos, gutes Blut aus ganz Deutschland zusammenzuholen und dieses gute Blut hier in einem Gedanken wohlweislich hinzustellen, um es aber auf der anderen Seite heiraten und in Familien gehen zu lassen, wie es will. Sondern wir wollen für Deutschland eine auf Jahrhunderte hinaus immer wieder ausgelesene Oberschicht, einen neuen Adel, der sich immer wieder aus den besten Söhnen und Töchtern unseres Volkes ergänzt, schaffen, einen Adel der niemals alt wird, der in der Tradition und der Vergangenheit, soweit sie wertvoll ist, bis in die grauesten Jahrtausende zurückgeht und der für unser Volk ewig eine Jugend darstellt.«[8]

Innerhalb dieses Ordens verkörperten Frauen und die Kinder der SS-Familien das Konzept der ›Rassenreinheit‹. Diese SS-›Sippe‹ leitete sich zudem aus einer verklärten Vergangenheit ab und war als ordnungspolitische, rassistische Vision in die Zukunft gerichtet. Eine rassistisch begründete Familienpolitik und die Tradierung von spezifischen Wert- und Moralvorstellungen stellten den Kern dieses Ordengedankens dar. Insgesamt sind die rückblickenden Angaben der SS-Ehefrau Koch zu ihrem Leben während der Weimarer Republik und dem ›Dritten Reich‹ mehr als fragmentarisch und zudem von der ihr eigenen Selbststilisierung gekennzeichnet. Gelegentlich erschienen ihre Aussagen geradezu irreal, etwa wenn sie in ihrer ersten Vernehmung erwähnte, dass sie von ihrer jüdischen Schneiderin in Buchenwald besucht worden sei.[9] Für die dreißiger Jahre gibt Ilse Koch an, dass sie als Stenotypistin und Sekretärin in der Reichsgruppe Handel in Berlin tätig gewesen sei,[10] nachdem sie in Dresden zuvor im Buch- und Kunsthandel Julius Riegler gearbeitet habe.[11] Mitte der dreißiger Jahre erklärt sie, dass sie nach einer »8jährigen Schulzeit« noch zwei Jahre die öffentliche Handelslehranstalt in Dresden besucht habe, später »volontierte« sie im Buchhandel und sei »alsdann bei einigen Unternehmen als Sekretärin« tätig gewesen.[12] Ein weiterer Hinweis auf ihre Tätigkeit in Dresden zu Beginn der dreißiger Jahre ist den Adressbüchern der Stadt zu entnehmen: Hier findet findet sich für das Jahr 1932 als Berufsbezeichnung für Ilse Koch »Tabakwarenhändlerin«.[13] Ob sie in diesem Umfeld oder in der Zigarettenfirma Reemtsma »in ein anderes Fahrwasser« geraten ist, wie ihre Mutter rückblickend mutmaßte, sei dahingestellt.[14]

Ihre Nachkriegsaussagen, den Logiken eines Strafverfahrens folgend, bleiben somit lückenhaft. Diejenigen Passagen, in denen Ilse Koch ihren eigenen gesellschaftlichen Aufstieg und die »idealistische(n) Motive« ihres Mannes schildert, folgen einer spezifischen Selbsterzählung – ihr gesellschaftlicher Aufstieg im ›Dritten Reich‹ erscheint als Wende in ihrer Biographie.[15]

Manche Ausführungen Ilse Kochs erinnern daran, dass die beiden Sphären, die Kommandantur des Konzentrationslagers einerseits und der private Alltag der Familie Koch andererseits – anders als sie es selbst meist darstellte – miteinander verschränkt waren. Ilse Koch selbst verweist auf ihre Freizeitbeschäftigung, von der auch die Überlebenden berichteten. Sie erlernte in der Reitschule in Weimar das Reiten – ein Hobby, das sie auf dem Gelände des Konzentrationslagers weiterhin pflegte. Ihre Angaben zu Namen und Unterbringung des Pferdes sowie zu der von ihr bevorzugten Reitkleidung waren erstaunlich detailreich. Berichte von Überlebenden, wonach sie eine Reitgerte besaß (und mit dieser auch die Häftlinge schlug), dementierte sie, ebenso wie das Antreiben von Häftlingen, als die Reithalle im Akkord gebaut wurde. Immerhin räumte Ilse Koch in ihrem staatsanwaltlichen Vernehmungsprotokoll ein, dass »Häftlingsarbeit billig war« und »Holz wohlfeil«, die Reithalle der SS sei indes allerdings nicht »eigens« für sie gebaut worden.[16] Kurzum: das Familienleben in der Führersiedlung des Konzentrationslagers Buchenwald erscheint dieser Selbstdeutung zufolge als ›normal‹, alles andere – insbesondere das Leben mit Gewalt – wird in ihrer autobiographischen Erzählung ausgelassen.

Diese Nachkriegserzählungen sollen im Folgenden entflochten werden. Da Ilse Koch ihre eigenen Spuren in ihren persönlichen Stellungnahmen verwischte, werden hier verschiedene Perspektiven eingenommen. Ausgehend von Ilse Kochs früher Entscheidung, der NSDAP beizutreten, wendet sich das erste Kapitel dem Moment zu, als sie in Dresden in die Partei eintrat, untersucht den Aufstieg der NSDAP in Sachsen und zeigt, wie die völkische Partei insbesondere auch um Frauen warb. An diese auf der Grundlage des nationalsozialistischen Schrifttums rekonstruierten individuellen und mentalitätshistorischen Beweggründe anknüpfend, werden einige Briefe einzelner Frauen vorgestellt, die sich direkt an den Reichskanzler und Führer Adolf Hitler wandten. Mit Hilfe dieser verschiedenen historischen Materialien möchte ich nachvollziehen, weshalb die NSDAP für manche Frauen in einem spezifischen historischen Moment attraktiv erschien, obgleich die Partei ihnen bekanntermaßen bezüglich möglicher politischer Funktionen eine untergeordnete Rolle zuwies.

Aufgrund ihrer Heirat mit Karl Otto Koch, der zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens bereits zum Führungskorps der SS gehörte, wurde Ilse Koch als SS-Ehefrau in den ›Blutsverband‹ der Schutzstaffel aufgenommen. Mit dieser zweiten folgenreichen biographischen Entscheidung unterschied sich Ilse Koch von denjenigen Frauen, die Nationalsozialistinnen geworden waren, um beispielsweise eine Karriere in der Partei anzustreben. Ein weiteres Kapitel untersucht deshalb die Rolle der Ehefrauen in der SS und wendet sich den strukturellen Rahmenbedingungen und den mentalitätshistorischen Dimensionen einer solchen Eheschließung zu. Ilse Koch lebte seit 1937 als Ehefrau des Kommandanten von Buchenwald in der Führersiedlung des Lagers, und das Paar gründete unweit des Häftlingslagers eine Familie.

Während die Entscheidungen für eine Zugehörigkeit zur NSDAP und der SS als Momente der Radikalisierung gedeutet werden können, leitete das Leben in der SS-Führersiedlung auf dem Ettersberg in der Nähe der Goethestadt Weimar einen Bruch in der Biographie Kochs ein. Dieser Bruch hat mehrere Dimensionen, die auf den folgenden Seiten mit Hilfe einiger Dokumente aus der NS-Zeit und zahlreichen Berichten von überlebenden Häftlingen rekonstruiert werden. Der gesellschaftliche Aufstieg Ilse Kochs ermöglichte ihr ein bisher unbekanntes Leben in Wohlstand. Zugleich zeichnen die überlebenden Gefangenen des Lagers das Bild einer gewalttätigen SS-Ehefrau, die die Häftlinge peinigte. In diesem Abschnitt sollen die Beziehungen untersucht werden, die zwischen einem vermeintlichen idyllischen Familienleben in der Führersiedlung des Konzentrationslagers und der Machtaneignung durch Gewalt bestehen.

1Das Jahr 1932 und die NSDAP

»Wir versaufen unsern Ebert sein Zylinder.«

Joseph Roth (1923)[1]

Ilse Köhler wurde 1906 in Dresden geboren und wuchs in der sächsischen Stadt an der Elbe auf. Hier entschied sie sich auch für eine Mitgliedschaft in der NSDAP. Auf den folgenden Seiten möchte ich den rasanten Aufstieg der völkischen Partei in Sachsen rekonstruieren, um die Faszination nachzuvollziehen, die sie auf viele ausübte. Die NSDAP hatte während der Weimarer Republik im Freistaat Sachsen eine starke, durchaus auch von Gewalt begleitete Präsenz.[2] Bereits im Dezember 1923 beobachtete der Schriftsteller Joseph Roth in Meißen eine Gruppe Jugendlicher, die mit Stöcken durch den Ort zogen. Sie trugen Hakenkreuzbinden und skandierten: »Schlagt sie tot, die Judenbrut! Schlagt sie tot, die Judenknechte.« In einem nahegelegenen Gasthaus sangen die Gäste, im Hintergrund eine Hakenkreuzflagge: »Nieder, nieder mit der Judenrepublik. Pfui Judenrepublik!« Der Schriftsteller kommentierte in ahnender Vorausschau, dass, wenn die Nationalsozialisten ihre »Lieder wahr machen«, die »Leichenbestatter mit ihren Zweirädern nicht rasch genug zur Stelle sein können«.[3]

Mit Gründung der NSDAP im sächsischen Zwickau im Oktober 1921 baute die Partei erstmals auch außerhalb Bayerns eine regionale Infrastruktur auf. Besonders erfolgreich war sie in den ländlichen Gebieten Südsachsens, in den Arbeiterhochburgen Leipzig und Dresden hingegen blieb sie weniger erfolgreich. Immerhin existierten zwei Jahre nach Wiedergründung der Partei im Jahr 1925 im Freistaat Sachsen 150 Ortsgruppen, einen deutlichen regionalen Schwerpunkt bildeten die südwestlichen Gebiete Sachsens in der Gegend von Plauen, Zwickau und Chemnitz.[4] Aufmärsche, Versammlungen und das Verteilen von Flugblättern waren die wichtigsten Aktivitäten der Parteiarbeit, die zu jedem Zeitpunkt ihre öffentliche Wirkung im Blick hatte. Zu den Versammlungen waren oftmals auch Redner eingeladen. Adolf Hitler selbst trat von 1922 bis 1932 knapp dreißigmal in Sachsen auf, davon dreimal in Dresden.[5]

Flugschriften spielten neben Versammlungen und Umzügen für die Mobilisierung der Bevölkerung eine große Rolle. Die NSDAP in Sachsen verteilte beispielsweise im Frühjahr 1932 Flugblätter mit Titeln wie »Warum wählen Nationalsozialisten nicht Hindenburg?«, »Sie belügen Dich« oder »Deutsche Frau und Mutter«. Die erwähnten Flugblätter hatten immerhin eine Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren.[6] Der Zuspruch der NSDAP in der Bevölkerung Dresdens unterlag Schwankungen, bei den Wahlen im September 1930 erreichte Hitlers Partei einen Zuwachs von immerhin 60 Prozent, der dann bei den nächsten Wahlen wieder zurückging.[7] Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 erzielte die NSDAP in Sachsen mit 41,2 Prozent der Stimmen (im Reich waren es 37,3) einen weiteren Wahlerfolg und übertraf nun die SPD.[8]

Überdies stieg die Anzahl der Mitglieder der NSDAP in Sachsen innerhalb eines Jahrzehnts um ein Vielfaches: Anfang 1920 hatte die Partei 4609 Mitglieder, 1931 waren es mehr als 87000. Auch die Zahl der Ortsgruppen verzeichnete einen frappierenden Anstieg, wobei es im Vergleich zu der in der Endphase der Weimarer Republik nach wie vor dominierenden SPD immer noch weniger waren.[9] Über den Wettkampf der Parteien auf der Straße und in den Stadthallen berichtete das sächsische Innenministerium im Sommer 1931: »In der Werbe- und Propagandatätigkeit der Parteien wetteiferten miteinander die KPD, NSDAP und das Reichsbanner. Kampfaufmärsche, Rote Tage, Werbekundgebungen, Gautreffen, Propagandafahrten auf Lastkraftwagen; Aus- und Übungsmärsche wechselten miteinander ab (…). Kaum ein Sonntag verging, an dem nicht Kolonnen zu Fuß oder auf Lastkraftwagen dieser oder jener Parteirichtung die kleine Stadt oder das kleine Dorf in der üblichen propagandistischen Aufmachung mit Musik, Fahnen und Plakaten durchzogen.« Diese starke Präsenz der Parteien auf der Straße, die zudem »oft aus geringfügigen Anlässen zu Zusammenstößen« geführt habe, mache den »Einsatz starker Polizeikräfte« erforderlich.[10]

Wie stark die NSDAP auch in Dresden auf die Mobilisierung der Straße setzte, zeigt ein Blick in die Statistik der Partei. Den wöchentlich für das Jahr 1932 ermittelten Angaben zufolge fanden in der ersten Aprilwoche allein knapp 50 Versammlungen in Dresden statt.[11] Dabei zogen die bekannten Redner der Partei wie Hitler, Goebbels oder auch Gregor Strasser große Menschenmassen an.[12] Auch weibliche Führungskräfte der NSDAP sprachen bei öffentlichen Veranstaltungen in der sächsischen Landeshauptstadt. Laut eines Berichtes in der nationalsozialistischen Tageszeitung Der Freiheitskampf versammelten sich mehr als tausend Zuhörerinnen, als Guida Diehl – in dem Artikel vorgestellt als Sachbearbeiterin für Kulturfragen in der NSDAP, Leiterin der Neulandbewegung und Schriftstellerin – über »Dein Schicksal, deutsche Frau!« sprach. In ihrer Rede, die in einen »brausenden Applaus« mündete, betonte diese, dass »auch die deutsche Frau vor einer Schicksalswende« stehe. Diehl polemisierte gegen die »Bolschewisierung der Frau« (»Diese Weltanschauung schmeichle aber nur dem Triebhaften, dem Tierischen«) und plädierte für die Trias »Rasse, Blut und Boden«.[13]

Drei Monate nach Diehls Auftritt in Dresden trat Ilse Köhler in die Partei ein: Das Wachstum der NSDAP als sichtbarer und einflussreicher Partei in Sachsen, das sich in »einem atemberaubenden Tempo« vollzogen habe, prägte die politische Sozialisation ihrer Generation.[14] Warum aber trat eine junge Frau bereits im Jahr 1932 in die Partei ein? Möglicherweise erweist sich ihre einzige diesbezügliche rückblickende Selbsterklärung, dass sie zu diesem Zeitpunkt »national« gewesen sei, als zutreffend.

Frauen in der Bewegung: NS-Frauen als Kampfgefährtinnen

»Meine lieben Volksgenossen und Volksgenossinnen!«

Hitler begrüßt das Publikum bei einer Rede in Landshut, Sommer 1927[15]

Im Gegensatz zur großen Mehrheit der Frauen (und Männer) im Deutschen Reich entschied sich Ilse Koch früh für die Mitgliedschaft in der NSDAP: Als Parteimitglied Nr. 1.130.836 trat sie bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme am 1. Mai 1932 als eine von wenigen Frauen in die NSDAP ein, nachdem sie einen Monat zuvor ihren Mitgliedsbeitrag von 2,50 Reichsmark entrichtet und einige kleinere Beträge an die SA gespendet hatte. Für den Parteieintritt war die Entrichtung dieser Gelder verpflichtend, gleichzeitig bestätigte sie mit ihrer Aufnahmeerklärung, »deutscher – arischer – Abstammung« zu sein und keiner »Freimaurerloge« oder sonst einem »Geheimbunde« anzugehören. Zwei Bürgen, ebenso Parteimitglieder, unterzeichneten die Aufnahmeerklärung.[16]

Es waren weniger Deutsche als gemeinhin angenommen wird, die sich für eine Mitgliedschaft in der NSDAP entschieden, dennoch war immerhin jeder zehnte Deutsche zu Beginn des Jahres 1945 Mitglied der Partei, von den 60 Millionen Wahlberechtigten gehörten 15 Prozent der NSDAP an.[17] Dabei hatte die NSDAP bereits im Jahr ihrer Machtübernahme die ersten Mitglieder verloren, nachdem der erste Ansturm auf die Mitgliedschaft erfolgt war.[18] Die Aufnahmepolitik der NSDAP verlief entlang bestimmter Konjunkturen und war wesentlich geprägt von zwei von der Parteileitung verfügten Aufnahmesperren, zuerst ab dem 1. Mai 1933. Diese währte bis 1937, formal bis 1939, und im Jahr 1942, am 2. Februar, wurde eine weitere bis zum Kriegsende währende Aufnahmesperre erlassen und der Zugang zur Partei somit erneut reglementiert. Diese Steuerung der Mitgliedschaft zur NSDAP hatte beispielsweise zur Folge, dass im Jahr 1934 mehr Menschen die Partei verließen als ihr beitraten.[19]

Die NSDAP zog immer auch Frauen an.[20] Letztlich machten die weiblichen Mitglieder mit zehn Prozent aber einen geringen Anteil aus, der abgesehen von den letzten Kriegsjahren weitgehend konstant blieb.[21] Ein Indikator für die Mobilisierung von Frauen durch die NSDAP waren die Neuaufnahmen. 1925 waren unter den Neumitgliedern immerhin elf Prozent Frauen: Bis in das Jahr 1937 blieb ihr Anteil unter zehn Prozent, um dann nach Kriegsbeginn rapide anzusteigen. Im Jahr 1944 waren unter den Neumitgliedern der NSDAP 37 Prozent Frauen.[22] Die absoluten Zahlen bestätigen das Interesse vieler Frauen an einer NS-Mitgliedschaft: Die Jahre 1937 und 1940 mit je ca. 200000 weiblichen Neumitgliedern bildeten einen Höhepunkt.[23] Vor allem die gezielte Rekrutierung von Mädchen durch den Bund Deutscher Mädel (BDM) erklärt das Interesse an einer Mitgliedschaft gegen Kriegsende. Außerdem hatte die NSDAP durch die im März 1939 erlassene ›Jugenddienstpflicht‹ auch einen institutionellen Zugriff auf die Generation der Zehn- bis Achtzehnjährigen, denn dieser Erlass machte eine Mitgliedschaft in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen, der Hitlerjugend (HJ) oder dem BDM, verbindlich. Damit erreichte die Partei eine frühe Bindung von Jugendlichen an ihre Organisationen.[24]

Generell bewirkten die nationalsozialistischen Frauenorganisationen einen hohen Mobilisierungsgrad sogenannter ›Volksgenossinnen‹ insbesondere in den Kriegsjahren, für die politische Biographie Ilse Kochs spielten sie aber keine nachweisbare Rolle. Formal gehörte sie mit dem Eintritt in die NSDAP auch der 1931 gegründeten NS-Frauenschaft an, erst zwei Jahre später wurden die Mitgliedschaften in der Frauenorganisation und der NSDAP getrennt.[25]

In den ersten Jahren des NS-Regimes stieg die Anzahl der Mitglieder in der NS-Frauenschaft kontinuierlich an, bis sich 1936 mehr als zwei Millionen Frauen in der nationalsozialistischen Frauenorganisation zusammengefunden hatten.[26] Dem Selbstverständnis nach sahen sie sich als Mitglieder einer elitären Organisation, die, wie ein offizieller Bericht aus dem Jahr 1938 festhielt, hinsichtlich ihrer Mobilisierung »weit an der Spitze aller Frauenorganisationen der Welt« stehe.[27] Das 1933 gegründete Deutsche Frauenwerk wirkte gegenüber der stärker ideologisch orientierten NS-Frauenschaft dagegen als ein Sammelbecken und vereinte zudem die ›gleichgeschalteten‹ Frauenorganisationen. Ihm gehörten mehr als sechs Millionen Frauen an.[28] Die Zugehörigkeiten in den nationalsozialistischen Frauenorganisationen, der NS-Frauenschaft und dem Deutschen Frauenwerk, variierten regional stark: In Norddeutschland waren 15 bis 20 Prozent aller Frauen in einer der nationalsozialistischen Frauenorganisationen registriert. Reichsweit waren zum Jahresbeginn 1939 etwas mehr als 13 Prozent organisiert.[29]

Obwohl das nationalsozialistische Regime einen expliziten Antifeminismus propagierte, entschieden sich viele Frauen für eine Mitgliedschaft in der NSDAP bzw. in einer der NS-Frauenorganisationen. Während die Zugehörigkeit zur NS-Frauenschaft während der Weimarer Republik und des ›Dritten Reiches‹ weitgehend konstant blieb, hatte vor allem das zweite Standbein der nationalsozialistischen Frauenorganisationen – das Deutsche Frauenwerk – sich zu einer bedeutenden und sichtbaren sozialen Bewegung formiert. Die sozialen Integrationsangebote des NS-Staates richteten sich somit durchaus auch an Frauen, sofern sie als ›arisch‹ und politisch ›zuverlässig‹ galten. Demnach nahmen Frauen – gleichwohl ihnen der Zutritt zu politischen Ämtern versagt blieb – in der nationalsozialistischen ›Volksgemeinschaft‹ eine bedeutende Rolle ein. Entgegen dem auch in der historischen Forschung kolportierten Klischee, dass die nationalsozialistischen Frauenorganisationen vor allem die unteren Schichten – und hier in erster Linie das Kleinbürgertum – anzogen, gehörte die Führungsspitze der NS-Frauenorganisationen mit ihrer adeligen bzw. bürgerlichen Herkunft zur gesellschaftlichen Elite.[30] Die organisierten Nationalsozialistinnen wollten, wie Nicole Kramer in ihrer Studie »Volksgenossinnen an der Heimatfront« überzeugend darlegt, keineswegs hinter das Jahr 1918 zurückfallen – jenes Jahr, in dem Frauen im Deutschen Reich erstmals das Wahlrecht erhielten.[31] Hinweise auf ein durchaus modernes Selbstverständnis der nationalsozialistisch organisierten Frauen gibt auch die Zeitschrift der NS-Frauenschaft, die NS-Frauen-Warte. Diese gab immer wieder auch Hinweise zur neuesten Mode sowie Tipps zur Haushaltsführung und bot damit mehr als nur emotionale Appelle an die Frau als Kämpferin. So äußerte sich die nationalsozialistische Frauenzeitschrift gleich in ihrem ersten Heft zu dem neuesten Kleidungsstil (»Wenn wir im Sommer eingeladen sind«), empfohlen wird auch das Tragen modischer Hosenanzüge.[32]

Wie ihre männlichen Kameraden in der NSDAP nahmen auch nationalsozialistische Frauen für sich eine Führungsrolle als größte Frauenorganisation in Anspruch: Im Jahr 1938 bekundete die NS-Reichsfrauenführung gar, eine der bedeutendsten Weltfrauenorganisationen zu sein.[33] Ein im Oktober 1941 anlässlich des Internationalen Frauentreffens in Berlin entstandenes Foto dokumentiert diese transnationalen Netzwerke der NS-Frauenschaft. Es zeigt neben der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink die Ehefrau des japanischen Botschafters sowie die spanische und die italienische Frauenführerin.[34] Die Frauen in der NS-Bewegung verstanden sich als Kämpfende in der »Gemeinschaft der Arbeit und des Handelns«.[35] Indem sie auf bewährte Formen und Tätigkeitsfelder der weiblichen Sozialarbeit zurückgriffen, wie sie sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa herausgebildet und professionalisiert hatten, integrierten nationalsozialistische Frauenorganisationen etablierte Sozialprogramme, wie etwa die Verpflegung von Kranken, erfolgreich in ihr Tätigkeitsfeld. Doch die NS-Frauenorganisationen waren für Frauen auch über das engere Bestätigungsfeld der Sozialarbeit hinaus attraktiv. Sie boten ihrem Führungspersonal Karriereoptionen, anspruchsvolle Betätigungsfelder, gute Verdienstmöglichkeiten und Prestigegewinn. Immerhin war die Führungsspitze, sofern sie hauptamtlich tätig war, hohen Ministerialbeamten oder auch Landräten finanziell gleichgestellt. Manche der NS-Funktionärinnen, die innerhalb der Frauenorganisation aufgestiegen waren, verfügten über einen Dienstwagen oder sogar einen Chauffeur.[36] Kurzum: Hauptamtliche Funktionärinnen erhielten mit ihrer Arbeit für die NSDAP »vielfältige Partizipations- und Aufstiegsmöglichkeiten«, wie sie Frauen vor 1933 »in keiner politischen Partei offen gestanden hatten«.[37]

Kampfgefährtin: Politische Emotionen und Selbstentwürfe nationalsozialistischer Frauen

»Wir sehen in der Frau die ewige Mutter unseres Volkes und die Lebens-, Arbeits- und Kampfgefährtin des Mannes.«

Hitler in einer Rede 1935[38]

Wie begründeten die Kämpferinnen oder zumindest Befürworterinnen der NSDAP ihr Engagement für die Bewegung? Es waren vor allem drei Momente, in denen sich Frauen zu Beginn der dreißiger Jahre in die Kommunikation über nationalsozialistische Politik einschalteten und ihre Visionen oder Sehnsüchte formulierten.

Über Ilse Kochs politische Aktivitäten wissen wir lediglich, dass sie 1932 in die NSDAP eintrat und zwei Jahre später im privaten Umfeld ihren späteren Ehemann, den SS-Führer Karl Koch, kennenlernte. Ob die bald Verlobten über Politik diskutierten, ist unbekannt. Die wenigen biographischen Spuren, die uns skizzenhaft vorliegen, lassen als sozialen Hintergrund ein bescheidenes Milieu vermuten. Ilse Kochs Vater war 1932, wie das Adressbuch von Dresden nachweist, als Mechanikergehilfe beschäftigt.[39] Die folgenden Ausführungen sind daher als Annäherungen an das politische Milieu der völkischen Rechten zu verstehen, um so einen mentalitätshistorischen Eindruck von möglichen Prägungen Ilse Kochs zu gewinnen.

Wie begründeten Nationalsozialistinnen ein nationales Bewusstsein und welche politischen Emotionen spielten in der frühen Phase des ›Dritten Reiches‹ eine Rolle? Die folgenden drei Fallbeispiele – ein Pamphlet der Nationalsozialistin Guida Diehl, private Briefe an Hitler und Berichte der NS-Frauenzeitung über den Reichsparteitag der NSDAP im Jahr 1935 – zeigen mögliche Optionen der politischen Meinungsbildung und der Einflussnahme von Nationalsozialistinnen auf.[40] Das Beispiel der Nationalsozialistin Guida Diehl ist besonders interessant, da sie zu denjenigen Frauen gehörte, die sich während der Weimarer Republik in der völkischen Bewegung profiliert und radikalisiert hatten, die dann aber nach 1933 von den NS-Frauen marginalisiert wurden und im ›Dritten Reich‹ in der NS-Frauenschaft keine zentrale Rolle mehr spielten und sich gegen die dominante Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink nicht durchsetzen konnten.[41] Guida Diehl hatte ein Jahr vor der nationalsozialistischen Machtübernahme in Dresden einen öffentlichen Vortrag gehalten, der die Zuhörerinnen offenbar, so zumindest die bereits erwähnte Darstellung in der nationalsozialistischen Presse, in den Bann gezogen hatte.[42]

Die Pädagogin Diehl hatte während des Ersten Weltkriegs den Neulandbund gegründet. Zentrale Anliegen dieses Vereins waren die Revision des Versailler Vertrags und die nationale Erneuerung.[43] Der in seiner Hochphase gerade einmal 10000 Mitglieder zählende Verein rückte die ideologische Schulung des Individuums in den Vordergrund und sprach vor den Wahlen zur Nationalversammlung eine Wahlempfehlung für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) aus.[44] Der Neulandbund durchlief während der Weimarer Republik wie viele andere der rechten Frauenvereine, wie beispielsweise der Bund Königin Luise, die Schwesterorganisation des Stahlhelm-Bundes, eine Radikalisierung und ideologische Anpassung an die NSDAP. Der Bund Königin Luise hatte schon in seiner Satzung von 1918/19 festgelegt, dass »Jüdinnen und Fremdrassige von der Aufnahme ausgeschlossen« seien.[45] Ein weiteres Mobilisierungspotenzial in der Weimarer Republik stellte der »Verband weiblicher Handels- und Büroangestellten« dar, bei dem es sich um eine Schwestergewerkschaft des antisemitischen Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes handelte.[46]

1930 trat Diehl in die NSDAP ein, ihr 1933 erschienenes Pamphlet »Die deutsche Frau und der Nationalsozialismus« changiert zwischen der Verheißung, die eine Machtübernahme für die Regimetreuen bedeutete, und der Deklassierung der als defizitär wahrgenommenen demokratischen Gesellschaftsform der Weimarer Republik. In ihrem Text beschreibt Diehl die nationalsozialistische Machtübernahme als ein quasi religiöses Ereignis: »Eine große neue Zeit bricht an!« Das lange erwartete »Ereignis« sei »endlich wirklich eingetreten«: Die »deutsche Revolution hat sich vollzogen, eine einheitliche Linie zu starker, ehrbewußter Führung Deutschlands wird eingeschlagen«.[47] In dieser »großen« neuen Zeit komme Frauen eine einzigartige Rolle zu. Diese Zeit brauche »Muttergeist« und »Mutterkraft«.[48] Diehl schlussfolgert weiter, das »gräßliche Dirnentum der abgelaufenen Zeit« müsse restlos »ausgemerzt und überwunden werden«.[49] Beide Geschlechter – ob die Frau im Haushalt oder der Mann an der Waffe – erscheinen bei ihr vereint im Kampf, was einem für beide Geschlechter komplementären Ehrbegriff entspricht: Die »Frauenehre« bezog sich auf die Häuslichkeit und die Ehe: »Wer nicht«, so Diehl, »dem neuen Geschlecht den Boden der Familie in der Einehe schafft, der verletzt seine Frauenehre.«[50]

Eine weitere Möglichkeit, dies ist das zweite Fallbeispiel, einer von Frauen imaginierten Teilhabe auf die Spur zu kommen, stellen Briefe als Akte der politischen Kommunikation dar. So schrieben Frauen immer wieder Briefe an Hitler, besonders zum ›Führergeburtstag‹ am 20. April, und dies bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme. Auf den ersten Blick erscheinen diese Briefe als Ausdruck privater Sehnsüchte.

So schrieb beispielsweise 1932 eine Ina Erbe, ihr Herz sei so voll: Hitler sei von Gott »in seiner unendlichen Liebe« geschickt worden. Die Schreibende versprach, der Partei verbunden zu bleiben, bis Deutschland ›befreit‹ sein würde: In bewundernder Ehrerbietung gegenüber dem zukünftigen Reichskanzler schließt der Brief: »Heil! Heil Hitler! Weiter im Kampf! Unser ist die Wahrheit! Unser der Endsieg.«[51] Ein Gratulationsschreiben aus dem Jahr 1932 bezeichnet Hitler als »gelbleuchtende[n] Stern am dunklen Firmament«.[52]

Auch Mussolini erreichten Tausende Briefe von Anhängern und Anhängerinnen. Im November 1936 veröffentlichte die italienische Zeitung Corriere della Serra den Artikel »Briefe an Mussolini. Wann schreibt man einen Brief an Mussolini?«, in dem der Verfasser angab, dass Mussolini durchschnittlich zwischen 30000 bis 40000 Briefe monatlich erhalte, im Oktober 1936 seien es allein 42000 gewesen.[53] Die Braunschweiger Zeitung schlug eine vergleichbare Strategie wie die italienische Zeitung ein, um die positiven Gefühle gegenüber Hitler öffentlich zu inszenieren: Unter der Überschrift »Was verdanke ich Hitler?« veröffentlichte sie im September 1935 ein Preisausschreiben, das auf ein breites Echo stieß.[54]

Eine jüngere Auswertung von etwa hundert Briefen, die Frauen in unregelmäßigen Abständen im Zeitraum von 1939 bis 1945 verfassten, kommt zu bemerkenswerten Schlussfolgerungen hinsichtlich der sich wiederholenden Muster. Viele Frauen gaben Hitler in ihren Briefen einen Spitz- bzw. gar einen Kosenamen: Adressiert an »Mein liebes, gutes Schatzel!«, wünscht eine Rosemarie aus Dessau sich, seine »Braut« zu sein.[55] Andere Frauen schrieben an Hitler nicht als geliebtes Gegenüber, sondern verneigten sich vor ihm als König und Herrscher. Eine Margarethe Marie Louise schrieb Hitler im Dezember 1941 aus Prag folgende Zeilen: »Ich weiß, hochgeehrter Herr Reichskanzler und Führer des Großdeutschen Reiches, daß Ihre Majestät formal nicht gekrönt sind: jedoch in meinem Innern spreche ich Ihre Exzellenz, Ihre Hochwürdigkeit, hochgeehrter Herr Reichskanzler und Führer des Großdeutschen Reiches, nicht anders als mit dem Wort ›Majestät‹ an – und deshalb wage ich das Wort Majestät in diesem Privatbriefe als ein für mich ›im stillen‹ ganz übliches Wort auszusprechen – zu schreiben«.[56]

In anderen Worten: Liebe, Verehrung und Treue erweisen sich als die zentralen Themen dieser Briefe. In ihnen zeigt sich die Wechselbeziehung zwischen der Verklärung politischer Macht einerseits und dem Ausdruck persönlicher Hingabe andererseits. Allerdings stießen die in der Reichskanzlei eingehenden Briefe keineswegs in jedem Fall auf eine positive Resonanz durch die politische Führung. Im Gegenteil, manche Frauen, insbesondere wenn sie wiederholt zur Feder griffen, waren der Reichskanzlei suspekt. In einem Fall ist gar die Einweisung in eine psychiatrische Klinik bekannt.[57]