IM BANN DES PIRATEN - C.G. Mosley - E-Book

IM BANN DES PIRATEN E-Book

C.G. Mosley

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Beschreibung

Ächzende Planken, furchtlose Piraten und dämonische Kreaturen … Leinen los für ein Seeabenteuer der besonderen Art. Dem Gouverneur von Port Royal ins Netz gegangen, erhält Piratenkapitän William "Redd" Reeves eine zweite Chance. Er soll den gefürchtetsten Piraten der sieben Weltmeere fassen – Kapitän Winston Trimble. Kapitän Trimble aber ist in den Besitz des legendären Siegelrings von König Salomon gelangt. Der Ring verleiht seinem Besitzer die Macht über Dämonen und Tiere, weshalb Trimble mit ihm sogleich den gefürchteten Kraken heraufbeschwört. Mit seiner Hilfe könnte er sich zum unangefochtenen Herrscher der See aufschwingen. Um Trimble aufzuhalten, muss sich Redd nicht nur mit der Royal Navy herumärgern, sondern auch kannibalistische Monster und den schrecklichen Kraken selbst bezwingen. "Ebenso fantastische wie unterhaltsame Lektüre." - Amazon.com

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Im Bann des Piraten

C. G. Mosley

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: PIRATE RAIDERS. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2017. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: PIRATE RAIDERS Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Markus Müller Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-546-0

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Im Bann des Piraten
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Über den Autor

Kapitel 1

Alles deutete darauf hin, dass es sich bei dem heutigen sechsten Juli des Jahres 1717 um meinen letzten Tag auf Gottes Erden handeln sollte. Vor vier Tagen hatte eine Fregatte der Royal Navy mein eigenes Schiff, eine bescheidene Korvette namens Rebecca, aufgebracht. Meine gesamte Mannschaft geriet zusammen mit mir in Gefangenschaft. Zum aktuellen Zeitpunkt weilten längst nicht mehr alle davon unter dem Lebenden. Von ursprünglich siebzig Mann waren nach dem Gefecht mit der Navy lediglich dreißig übriggeblieben, denen nun die harschen Konsequenzen drohten, die eine Tätigkeit als Pirat mit sich bringen konnte.

Sobald die Fregatte in Port Royal auf Jamaika eingelaufen war, wurde ich vom Rest meiner Besatzung getrennt und in eine Zelle gesteckt, wodurch ich von sämtlichen Nachrichten über ihr Wohlergehen abgeschnitten war. Das stellte keine Überraschung für mich dar, denn ich war ihr Kapitän, und Piratenkapitäne isolierte man für gewöhnlich unmittelbar nach der Gefangennahme von ihren Leuten. Alles, was mir übrigblieb, war, herumzusitzen und mir das Hirn zu zermartern. Eine leise Stimme tief in meinem Inneren verriet mir, dass der Teil meiner Mannschaft, der bisher überlebt hatte, inzwischen vermutlich genauso tot sein würde wie die anderen.

Irgendwann legten mich vier Wärter in Eisen und führten mich durch einen langen Gang mit steinernen Wänden, an dessen Ende mich der Gerichtssaal erwartete, in dem man mein Todesurteil fällen würde. Eine Verhandlung für einen Piraten erschien mir als reine Zeitverschwendung, denn deren Ergebnis stand gewissermaßen vorher schon fest: seine Exekution. Mit eben jenem Schicksal hatte ich mich bereits bei meiner Gefangennahme abgefunden. Dennoch war ich darüber natürlich alles andere als glücklich. Doch so quer mir die Sache auch im Magen lag, ich konnte nichts dagegen tun.

Ich musste an die Skelette in Eisenkäfigen denken, die jedermann begrüßten, der Port Royal einen Besuch abstattete. Dabei handelte es sich um die Gebeine ehemaliger Piraten, deren verfaulende Leichen als deutliche Warnung neben der Hafenzufahrt hingen: Seeräuber waren hier nicht willkommen und wenn man sie fing, drohte ihnen der Tod.

Die Vorstellung, selbst in einem dieser Käfige zur Schau gestellt zu werden, war einer Besserung des Brechreizes, den ich dabei spürte, alles andere als förderlich.

Von den vier Wachen, die mich eskortierten, gingen je zwei vor und hinter mir. Schließlich gelangten wir zu einer großen, hölzernen Flügeltür, die einer der Soldaten mit Leichtigkeit aufstieß. Dahinter brachten mich die Wächter zu einem Stuhl, der einsam vor einem mächtigen Tisch stand.

Auf dessen gegenüberliegender Seite saß der ältliche Gouverneur der Stadt, umgeben von seinen Helfern und Helfershelfern.

»Mister William Reeves, nehme ich an«, sagte der Gouverneur in einem betont gelangweilten Tonfall.

»Genau der bin ich«, lautete meine Antwort.

Der Gouverneur hatte dunkle Augen mit buschigen Brauen, unter denen eine lange, spitze Nase in die Luft stach. Geschätzt dürfte er gut sechzig Jahre alt sein. Überheblich bedeutete er mir mit einem Wink, mich hinzusetzen. »Nehmen Sie Platz, junger Mann.«

Ich tat wie geheißen und gönnte mir einen Moment, um die wunden Stellen an meinen Gelenken meiner Hände und Füße zu reiben.

»Ich, Gouverneur Charles Winter, halte den Vorsitz bei dieser Verhandlung, die heute am sechsten Tag im Juli des Jahres 1717 unseres Herrn stattfindet. Eine Fregatte der Royal Navy begegnete auf der Fahrt nach Port Royal einem Piratenschiff. Es kam zu einem kurzen, verlustreichen Gefecht mit dem besagten Piratenschiff, der …« Der Gouverneur konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf ein Dokument, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Ah, hier haben wir es … der Rebecca. In dessen Folge war die Korvette nicht mehr zu retten und versank in den Tiefen des Ozeans. Dreißig Mann gerieten in Gefangenschaft, darunter Sie, Mister Reeves.«

Nach einer Weile der Stille starrte mich der Gouverneur an, als erwarte er eine Antwort. Ich war mir nicht sicher, was er hören wollte. Ich war ein toter Mann, so viel konnte ich mir zumindest zusammenreimen. Diese Gewissheit machte mich trotzig und ich entschloss mich, weder dem Gouverneur – noch sonst wem – auch nur das kleinste Häppchen an Information preiszugeben. Wenn er stumm dahocken und darauf warten wollte, dass ich sprach, konnte er sich auf eine lange Wartezeit gefasst machen.

Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus. »Wie es scheint, haben Sie nichts anzumerken, Kapitän Reeves. Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich Sie mit Kapitän Redd anrede?«

Ich schluckte, als er meinen Piratennamen nannte. Im Saal herrschte derartige Totenstille, dass mein Schlucken laut als Echo von den Wänden widerzuhallen schien. Ich hielt weiter den Mund und obwohl ich gewiss verzweifelt wirkte, tat ich mein Bestes, um Haltung zu bewahren.

»Wir haben Ihre Leute verhört. Und um ehrlich zu sein, sie haben sich geweigert, uns Ihre Identität zu enthüllen. Trotz Prügel und Folter bewiesen sie eine unerschütterliche Loyalität zu ihrem Kapitän.«

Die anschließende Schilderung der Folter schien ihm ein abartiges Vergnügen zu bereiten. Dem Schicksal sei Dank schaffte ich es beim Zuhören, die schlimmsten Details auszublenden. Ich wollte lieber nicht wissen, welche Schrecken sie erdulden mussten. Zwar war ich ihnen für ihre Tapferkeit zu Dank verpflichtet, dennoch peinigte mich ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber.

»Ihre Spießgesellen lieferten uns nicht den geringsten Hinweis darauf, dass sie unter der Flagge des berüchtigten Kapitäns Redd segelten. Leider konnten die Soldaten der Royal Navy auf Ihrem Schiff vor dem Sinken keinerlei belastbares Schriftstück bergen, das uns ihre Identität als Kapitän Redd bestätigte.«

Ich musste schmunzeln. Zu meiner diebischen Freude kannte niemand den echten Namen von Kapitän Redd, und ich würde das Geheimnis, ob er und William Reeves eine identische Person sind, mit in mein Grab nehmen.

»Ich habe einmal gehört, dass sich der Name Redd von seinen feuerroten Haaren ableitet. Natürlich ist das schwerlich beweiskräftig genug für meinen Verdacht. Nur wenig ist über diesen Halunken bekannt und selbst bei seiner Haarfarbe könnte es sich um ein Gerücht handeln. Kommen Ihnen einige dieser Gerüchte bekannt vor, Mister Reeves?«

Ich hielt den Mund und starrte ihn an, was ihn offensichtlich nicht störte.

»Eine der Geschichten, die ich vernahm, berichtet, Kapitän Redd und seine Mannschaft wurden einst von drei spanischen Kriegsschiffen in die Zange genommen. Irgendwie kaperten die Piraten ein feindliches Schiff nach dem anderen, bis spanisches Blut das Meerwasser rot färbte. Danach flohen die Verbrecher mit einem Berg aus Gold. Und dieses Gold soll bis heute auf einer winzigen Insel mitten in den Weiten des Ozeans vergraben sein.«

Was er gesagt hatte, stimmte bis auf einige Details. In Wahrheit hatten wir gegen vier Kriegsschiffe gekämpft und den Großteil des Goldes verjubelt. Den kläglichen Rest hatten wir allerdings tatsächlich auf einer Insel nahe Tortuga gebunkert.

»Dann gibt es noch eine andere Geschichte, die einen Hinweis auf die Identität jenes ominösen Redd enthält. Sie wurde mir vom Kapitän eines Frachters erzählt, der vor einigen Monaten in unserem Hafen ankerte. Er behauptete, ein Pirat habe ihn sämtlicher medizinischer Güter an Bord seines Schiffs beraubt. Die Räuber zeigten eine schwarze Flagge mit einem rotköpfigen Skelett, das einen Säbel in der Faust hält. Mister Reeves, können Sie sich meine Überraschung vorstellen, als mir dieser Hinweis auf Kapitän Redd zugetragen wurde?«

Ich schluckte erneut und verharrte weiter in Stille.

»Wie bereits erwähnt, Mister Reeves, konnte die Royal Navy Ihre Korvette nicht genauer inspizieren, bevor sie unterging. Dennoch gelang es den tapferen Soldaten, ein essenzielles Beweisstück aufzustöbern.«

Meine Augenbrauen hoben sich, als der Gouverneur sich zur Seite drehte und vorbeugte, um etwas vom Boden aufzuheben. Noch bevor er in eine aufrecht sitzende Position zurückkehrte, ahnte ich, dass ich das Tauziehen um Kapitän Redds Identität verloren hatte.

»Ich schätze, das hier gehört Ihnen?«

Winter griff das zusammengelegte Stück Stoff, das er zum Vorschein gebracht hatte, an den Ecken und schüttelte es so lange, bis es komplett auseinandergefaltet war. Stolz präsentierte er mir Kapitän Redds Flagge … meine Flagge. Sie glich der Beschreibung des Frachter-Kapitäns exakt. Auf schwarzem Untergrund prangte ein rotköpfiges Skelett mit einem Säbel in der Hand.

Ich schöpfte tief Atem und überlegte mir meinen nächsten Schritt. Es gab keinen Grund mehr, mein Schweigen beizubehalten oder alles abzustreiten. Der Gouverneur hatte die ganze Zeit mit Bestimmtheit gewusst, wer ich bin. Ich sah zuerst ihn und dann die anderen alten Männer links und rechts von ihm an. Diese hatten noch kein Wort gesprochen, seit ich den Saal betreten hatte. Und mir fiel noch etwas anderes auf: Warum wurde mein Prozess von einem Gouverneur im Rang eines Vizeadmirals geleitet? Seit über fünfzehn Jahren hatte sich niemand mehr in solch einer hohen Stellung mit einem Piraten vor Gericht abgegeben. Irgendetwas hier roch merkwürdig und ich wollte so schnell wie möglich herausfinden, was hier stank. Ich kicherte verhalten.

»Sie haben mich erwischt, Gouverneur«, gestand ich und klatschte dabei in die Hände. »Ich bin kein Geringerer als der berühmte Kapitän Redd.«

Winter schlug vor Freude mit der flachen Hand auf den Tisch. Meine Worte hatten seine Hoffnung befriedigt.

»Ich wusste es«, sagte er fröhlich.

»Sie sind einfach zu schlau für mich, Sir. Allerdings muss ich gestehen, dass mich die Zusammensetzung dieses Gerichts verwirrt.«

Die gute Laune des Gouverneurs sank schlagartig und wich offensichtlicher Sorge – jener Art von Sorge, die Menschen erfüllt, die dabei ertappt werden, wie sie gerade eine Betrügerei begehen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass ich eine ähnliche Miene aufgesetzt hatte, als kurz zuvor mein wahres Ich enttarnt wurde.

»Worauf wollen Sie hinaus, Mister Reeves?«

Es fuchste mich ungemein, dass der Gouverneur sich standhaft weigerte, mich als Kapitän Reeves anzureden, insbesondere da ich wohl kaum als durchschnittlicher Seeräuber durchgehen konnte. Also entschloss ich mich, ihm diese Respektlosigkeit mit gleicher Münze heimzuzahlen.

»Nun gut, Mister Winters«, antwortete ich mit einem feisten Lächeln, »ich glaube, König George wäre nicht gerade erfreut, wenn ihm zu Ohren käme, dass hier seit Jahren kein Vizeadmiral mehr an einer Gerichtsverhandlung teilgenommen hat.«

Das Gesicht des Gouverneurs lief knallrot an und seine Augen blitzen vor Zorn. Seine Entourage rutschte unruhig auf ihren Sitzgelegenheiten herum.

»Was weiß ein Pirat schon über die Vizeadmiralität?«, zischte Winters.

Sein Wutausbruch berührte mich nicht im Geringsten.

»Seit fünfzehn Jahren wurde jeder Piratenprozess in Port Royal von ansässigen Würdenträgern und Schiffskapitänen abgehalten. Ich kenne die meisten von ihnen vom Sehen her und heute sitzt keiner davon über mich zu Gericht«, sagte ich.

Der Blick des Gouverneurs schweifte von einem meiner Wächter zum nächsten. Einen Wimpernschlag lang dachte ich, er würde sie anweisen, mich zu vermöbeln. Stattdessen instruierte er sie, den Saal zu verlassen. Nach einem Augenblick der Verblüffung folgten die vier Männer seiner Anweisung. Zurück blieben Winters, seine Beisitzer und ich.

Die meisten Menschen hätte eine solche Situation sicher verängstigt. Ich dagegen blieb entspannt, da ich mich seit vielen Stunden damit abgefunden hatte, heute mein Leben einzubüßen. Sollte ich durch die Hand eines korrupten Kolonialgouverneurs sterben, dann war das so.

»Sie haben recht«, räumte Winters, der sich wieder abgeregt hatte, ein. »Diese Verhandlung ist lediglich eine Inszenierung.«

»Eine Inszenierung?«, antwortete ich verwirrt.

Der Gouverneur nickte und stand hinter dem Tisch auf. »Ich musste zunächst überprüfen, mit wem ich es zu tun habe. Nun habe ich Gewissheit.«

Ich schüttelte den Kopf, unfähig zu begreifen, was hier gespielt wurde.

»Gouverneur, ich fürchte, ich verstehe Sie nicht.«

»Kapitän, es war von enormer Wichtigkeit zu beweisen, dass Sie Redd sind, denn der Auftrag, den ich für Sie bereithalte, ist – gelinde gesagt – furchteinflößend.«

»Furchteinflößend … Auftrag?«, stammelte ich, immer noch ganz perplex.

Eilig umrundete Winters den Tisch und stellte sich vor mich. Er griff in die Tasche seiner langen, schwarzen Robe, fischte einen kleinen Schlüssel heraus, steckte ihn in das Schloss der Ketten, mit denen ich gefesselt war, und befreite mich.

»Werde ich jetzt hingerichtet?«, erkundigte ich mich.

Der Gouverneur kehrte zu seinem Stuhl hinter dem Tisch zurück, musterte mich streng und antwortete kryptisch: »Das kommt darauf an.«

»Worauf?«

»Ich habe eine heikle Mission für Sie, Kapitän Redd. Meiner festen Überzeugung nach sind Sie der einzige Mann, der dieser Herausforderung gewachsen ist. Wenn Sie diese Aufgabe akzeptieren und erfolgreich bewältigen, werde ich Ihnen Gnade im Namen der Krone gewähren.«

»Das klingt gut«, antwortete ich trocken. »Doch Sie sollten wissen, dass es mich nur im Paket gibt. Was ist mit den Überlebenden meiner Mannschaft?«

Ein Schnauben entstieg Winters Kehle und er wirkte, als sei er noch nicht bereit dazu, das Schicksal meiner Männer zu diskutieren. Dennoch blieb ich am Ball.

»Für ein gewagtes Kommando benötige ich meine Leute an meiner Seite«, beharrte ich mit Nachdruck. »Zumindest die wenigen, die übrig sind. Die Royal Navy hat schon den Großteil meiner Gefährten getötet. Der Rest wird mich bei dieser Mission begleiten und auch sie müssen Gnade erfahren.«

Unvermittelt schmetterte der Gouverneur die Faust auf den Tisch und bleckte die Zähne.

»Wie können Sie es wagen, mir Befehle zu erteilen? Sie sind in keiner Position, um mit mir zu verhandeln.«

»Und Sie, Sir, müssen meine Hilfe verdammt dringend benötigen. Weshalb sonst hätten Sie sich in die Position begeben, in der Sie sich jetzt befinden?«, entgegnete ich gelassen. »Ich sage Ihnen nur, was ich brauche, um Ihnen zu helfen.«

»Es gibt genug unverdorbene Äpfel auf Gottes Erde, die ich Ihnen gern zur Verfügung stelle. Ich verfüge über hervorragende Männer die dieser ruchlosen Verbrecherbande, die Sie als Ihre Besatzung bezeichnen, haushoch überlegen sind.«

»So funktioniert das nicht, Gouverneur. Entweder bekomme ich meine Mannschaft oder wir werden uns nie handelseinig.«

Sobald ich diese Worte ausgesprochen hatte, vermochte ich kaum mehr zu glauben, dass ich sie tatsächlich gesagt hatte. Winters bot mir eine einmalige Möglichkeit, dem Henker vom Schafott zu springen, und ich stellte Forderungen an ihn. Ja, ich setzte ihm sogar ein Ultimatum. Sein Blick durchdrang mich regelrecht, als könne er meine Gedanken lesen.

»Also gut. Sie erhalten das restliche Lumpenpack … alle achtundzwanzig. Es verwundert mich, mit welcher Unverfrorenheit Sie Ansprüche mir gegenüber erheben, ohne zu wissen, was ich von Ihnen dafür verlange.«

»Vergeben Sie mir bitte, Gouverneur, aber ich bin heute Morgen unter der falschen Annahme aufgewacht, dass dies mein letzter Tag sein würde. Meine Konzentration galt hauptsächlich meinem Überleben. Dabei habe ich einfach eine Liste dessen abgearbeitet, was dazu notwendig ist. Doch nun zum Kern der Angelegenheit: Was können meine ruchlose Verbrecherbande und meine Wenigkeit unternehmen, um Ihnen zu helfen?«

»Ersparen Sie mir diesen theatralischen Unfug, Kapitän Redd. Ihre Freiheit erhalten Sie erst dann vollständig wieder, wenn Sie meinen Auftrag erfüllt haben. Bilden Sie sich bloß nicht ein, Sie könnten einfach in den Sonnenuntergang davonsegeln. Die Begnadigung erhalten Sie erst, sobald Sie ein bestimmtes Objekt gefunden und mir ausgehändigt haben. Dafür räume ich Ihnen eine Frist von sechs Monaten ein. Sollten Sie bis dahin nicht erfolgreich zurückgekehrt sein, werde ich ein Kopfgeld auf Sie ausloben, dessen Höhe so gewaltig sein wird, dass jeder Freibeuter von Tortuga bis Madagaskar auf die Jagd nach Ihnen gehen wird.«

Mit einem Nicken drückte ich meine Zustimmung aus. »Ich pflege mein Wort stets zu halten, Gouverneur.«

Winter seufzte erleichtert und plumpste auf seinen Stuhl. Er schien mir zu vertrauen und dieses Vertrauen nahm ihm eine riesige Last von der Seele. Plötzlich wirkte er alt und erschöpft, wie jemand, der verzweifelt gegen ein schwieriges Problem ankämpft.

»Kapitän Redd, lesen Sie manchmal in der Bibel?«

Ich blinzelte zweimal, bis sich die Frage gesetzt hatte. Dann antwortete ich: »Natürlich kenne ich einige wichtige Bibelzitate. Dennoch möchte ich Ihnen gegenüber ehrlich sein – seit ich meine Nase das letzte Mal in dieses Buch gesteckt habe, ist schon viel Zeit verstrichen.«

Der Gouverneur nickte mir finster zu. »Das habe ich mir fast gedacht. In Anbetracht Ihres Berufs wundert es mich, dass Sie überhaupt mit der Heiligen Schrift vertraut sind. Wie dem auch sei: Ist Ihnen die Geschichte von König Salomon bekannt?«

»Leider nein. Da er ein König war, wird es vermutlich um einen Schatz gehen. Fahrten Sie fort. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit gehört Ihnen.«

»Ähm … ja. König Salomon häufte Schatz auf Schatz an, aber sein Gold interessiert mich momentan nicht.«

»Mag sein. Mich dagegen interessiert es sehr wohl. Wo sind seine Reichtümer verborgen?«

»Das weiß keiner. Gestatten Sie mir, Sie nochmals darauf hinzuweisen, dass das Gold für mich keinerlei Belang hat. Gleiches gilt für Ihre Person. Uns geht es einzig und allein um einen bestimmten Ring, der einst die Hand König Salomons schmückte.«

»Ein Goldring?«, fragte ich mit geheuchelter Erregung.

»Ein magischer Ring«, antwortete Winters trocken. »Der Legende nach ein Siegelring, er schenkte dem legendären Herrscher die Macht, Dämonen zu kontrollieren und mit Tieren zu sprechen. Nun ist dieser Ring in die Hände des Bösen gefallen und ich benötige Sie, um ihn mir auf Geheiß von König George zu bringen.«

Zunächst glaubte ich, der alte Gouverneur würde sich einen Scherz mit mir erlauben. Da sein ernster Gesichtsausdruck keine Sekunde schwand, wurde mir bewusst, wie stark er selbst von der Wahrheit dieser Erzählung überzeugt war. Für eine ganze Weile herrschte drückende Stille im Saal. Ich hatte keine Ahnung, was ich erwidern sollte. Über Magie hatte ich manches aufgeschnappt; vor allem über Voodoo, das in der Karibik weit verbreitet ist. Besonders interessiert hatte ich mich nie dafür. Weder vermochte ich zu sagen, ob dieser Zauber in der Realität funktioniert oder ob es sich dabei um Humbug handelt. Die Wahrheit lag meiner Meinung nach irgendwo in der Mitte dieser beiden Pole.

»Wie genau geriet dieser Ring in den Besitz des Bösen?«

Erneut seufzte Winters, bevor er sprach.

»Es ist fast unmöglich, die Fakten von den kursierenden Gerüchten zu trennen. Um dieses Schmuckstück ranken sich zahlreiche, unterschiedliche Mythen. Die Legende, die den Tatsachen für meinen Geschmack am nächsten kommt, berichtet über das Auftauchen des Rings vor fünfhundert Jahren in Jerusalem während eines Kreuzzugs. Es wird erzählt, die Kreuzfahrer hätten den Ring verwendet, um vielfältige Dämonen auf die muslimischen Streitkräfte zu hetzen. Obwohl die Kreuzritter im Namen unseres Herrn stritten, hielten sie die Benutzung dieses Schmuckstücks dennoch für gerechtfertigt, da sie gegen einen heidnischen Feind fochten, der unbedingt aus dem Heiligen Land vertrieben werden musste. Für eine Weile ermöglichte es der Ring, den christlichen Rittern die Oberhand über die Muslime zu gewinnen und sie trugen in mehreren Schlachten den Sieg davon. Leider dauerte diese Erfolgsserie nur kurz an. Es schien, als hätten sie für ihre Erfolge einen teuren Preis bezahlt, denn Gott bestrafte die Kreuzfahrer schon bald für die Handhabung des Rings und seiner dämonischen Kräfte in seinem Namen. Letztendlich führte der Ring so zum Scheitern der Kreuzzüge.«

»Was geschah anschließend damit?«

»Er wurde in eine silberne Schatulle eingeschlossen und wird seit jeher von Burg zu Burg weitergereicht. Die Legende besagt, dass der König seit damals seine besten vier Soldaten zur Bewachung des Artefakts abkommandierte. Aus Furcht vor den Konsequenzen wagte es bisher niemand, die Schatulle zu öffnen, egal wer England regierte, sei es König oder Königin. Je mehr Zeit verstrich, desto weniger glaubhaft erschien den Menschen die Legende, bis sie irgendwann für eine Sage oder eine Gutenachtgeschichte gehalten wurde. Und so endete vor fünfundzwanzig Jahren die Tradition der ununterbrochenen Bewachung des Rings.«

Winters hielt kurz inne.

»Bevor ich fortfahre, muss ich zu Ihrem besseren Verständnis etwas einschieben. König George ist eine äußerst abergläubische Seele. Als er den Thron bestieg, ließ er nach Kurzem verlautbaren, er wolle den unseligen Ring nicht in seiner Nähe haben. Und so bestellte er den Kapitän des nächsten Schiffs, das nach Port Royal in See stach, an seinen Hof ein. In einer Privataudienz befahl er dem Kapitän, die Schatulle auf halber Strecke samt Inhalt in die Wellen zu werfen.«

»Offensichtlich wurde der Anordnung keine Folge geleistet«, konstatierte ich.

Der Gouverneur verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte bedauernd den Kopf. »Tatsächlich hatte der beauftragte Kapitän der Royal Navy andere Pläne mit dem Artefakt und verhökerte es an einen Piraten. Der Kapitän strich dafür einen Haufen Gold ein. Doch er beging einen üblen Fehler.«

Mit zur Seite geneigtem Kopf, fragte ich mich, was Winters damit meinte.

»Er hätte niemals einem Piraten trauen dürfen.«

Nickend antwortete ich: »Lassen Sie mich raten: Der verräterische Kapitän und seine Leute kamen nicht weit mit ihrem Lohn.«

»Sobald der Wind seine Segel aufblähte, hatte der Piratenkapitän sogleich eine Idee, wie er den Ring einsetzen konnte und er beschwor eine tentakelbewehrte Monstrosität aus den Untiefen des Atlantischen Ozeans herauf.«

»Den Kraken«, flüsterte ich.

»Das Schiff und seine bedauernswerte Besatzung hatten nicht den Hauch einer Chance. Das Untier vollendete sein Zerstörungswerk innerhalb von Minuten.«

Ich kaute auf meiner Unterlippe, während ich die Worte des Gouverneurs abwog. Er hatte gute Gründe, mir eine derartige Schauergeschichte zu servieren. Jedoch schien er mich nicht täuschen zu wollen. Der ernste Ausdruck in seinem Gesicht konnte unmöglich vorgespielt sein. Ihn plagten schwerwiegende Sorgen um seine Zukunft und die Zukunft der Welt. Merkwürdigerweise war ich der Mann, auf den er seine Hoffnung setzte. Für eine Sekunde verlor der Galgen für mich seinen Schrecken, eingedenk dessen, was mir ersatzweise blühen mochte. Winters Geschichte verfügte nur über einen wunden Punkt.

»Dieser Piratenkapitän, von dem Sie sprachen, zerstörte das königliche Kriegsschiff durch das Herbeirufen eines Seeungeheuers mitten auf dem Meer. Woher wissen Sie so detailliert darüber Bescheid, was genau dabei vorfiel?«

»Ich weiß es, weil es einen Überlebenden gab. Er wurde auf einem Wrackteil treibend von einem Handelsschiff aufgelesen und kam so nach Port Royal. Hier hat er uns alles erzählt.«

Neugierig neigte ich mich ein Stück nach vorn. »Kann ich mit ihm reden?«

Der Blick des Gouverneurs sank zu Boden und er schüttelte behäbig das Haupt. »Ich fürchte, das wird kaum einzurichten sein. Der junge Mann wurde durch einen Splitter des abgebrochenen Schlagmasts gravierend verletzt. Er verstarb einen Tag, nachdem er uns über die Geschehnisse unterrichtet hatte.«

Mit gerunzelter Stirn erwiderte ich: »Das ist Pech. Eine Frage muss ich noch stellen.«

»Natürlich. Bestimmt möchten Sie erfahren, welcher ihrer Kollegen momentan im Besitz der gefährlichsten Waffe auf dieser Erde ist.«

Mich überkam das üble Vorgefühl, er würde Blackbeard sagen, obwohl ich wusste, dass ein noch wesentlich schlimmerer Pirat auf den Meeren sein Unwesen trieb. Eben jenen zu verfolgen, wollte ich mir erst gar nicht ausmalen.

»Der Zeuge war sich absolut sicher. Der Kapitän, um den es sich handelt, ist kein Geringerer als Winston Trimble.«

Verdammt! Ich sprang auf! Meine Magenschmerzen wallten erneut auf und ich fühlte mich todkrank. Der Gouverneur musste die Veränderung meiner Gesichtsfarbe bemerkt haben, denn er bat mich eindringlich, mich hinzusetzen. Ich befolgte seinen Ratschlag, aber das Magengrummeln blieb.

Warum nur muss es Kapitän Trimble sein?, dachte ich.

»Nun also wissen Sie, warum ich keine andere Wahl hatte, als Sie um Hilfe für mein Unterfangen zu bitten«, sagte Winters in einem Tonfall, der nahelegte, wir wären neuerdings Freunde statt Feinde.

»Entschuldigung, Gouverneur, Sie haben mich keineswegs gebeten. Sie lassen mir keine andere Chance, als auf Ihr Angebot einzugehen.«

Er starrte mich mit demselben Blick wie zu Anfang der Verhandlung an und sagte kalt: »Es gibt selbstverständlich eine andere Möglichkeit. Falls Sie sich weigern, werden Sie und Ihre Mannschaft sterben. Oder sie billigen meinen Vorschlag und bringen mir den Ring. Dann werden Sie bis zu dem Tag leben, an welchem Gott Sie von unserer schönen Welt abberuft.«

Am liebsten hätte ich ihn verflucht, doch ich verkniff es mir.

»Ich verstehe. Trimble segelt unter roter Flagge. Kein einziger Pirat in der ganzen Karibik möchte etwas mit ihm zu tun haben. Sicherlich sind Ihnen meine Bedenken verständlich. Sie kennen doch die Bedeutung der roten Flagge, oder etwa nicht?«

»Natürlich«, bellte Winters. »Wer sie zeigt, gewährt keine Gnade und schickt die Schiffbrüchigen des Gegners in ein nasses und kaltes Grab. Sie verkündet, dass jedem, der auf Trimbles Schiff trifft, der baldige Tod bevorsteht. Mir ist die Schwere Ihrer Mission durchaus bewusst, Kapitän Redd. Vergessen Sie nicht Ihren eigenen Ruf, den Sie sich hart erworben haben. Wir werden Sie mit einem guten Schiff ausstatten und allem, was Sie sonst noch benötigen.«

Mit offenem Mund saß ich wie ein Idiot da. Ich hatte keine Ahnung, was ich äußern sollte, und es fiel mir schwer, zu unterscheiden, ob ich mich in einer ängstlichen oder wütenden Stimmung befand. Ich stellte mir vor, wie ich diese Nachricht meinen Männern schmackhaft machte, Minuten, nachdem sie ihre Freiheit wiedergewonnen hatten. Gedanklich konnte ich bereits Langleys Schimpfkanonade und die Flüche auf den aufgesprungenen und verkrusteten Lippen der anderen hören. Niemand würde erpicht darauf sein, Trimble und die Sea Witch zu jagen. Als Kapitän war es meine Pflicht, sie vom Gegenteil zu überzeugen.

»Geben Sie mir eine Feder und Papier. Dann erstelle ich eine Liste mit den notwendigen Dingen«, sagte ich nach einer Weile.

Breit grinsend zeigte mein Gesprächspartner seine Zähne. »Gerne. Und vergessen Sie künftig nicht, Gott jedes Mal für die Rettung Ihrer Seele zu danken, wenn Sie zum Himmel aufschauen. Falls Sie es ehrlich meinen, wird er Ihnen vielleicht dabei helfen, Trimble zu töten.«

Der Gouverneur lachte laut. Mir schwante, wie recht er hatte. Der einzige Weg, Trimble den Ring abzuluchsen würde über dessen Tod führen. Und wer außer Gott selbst gebot über die Mittel, diesen zu bewerkstelligen?

Kapitel 2

Die Angelegenheit mit meiner Mannschaft wurde prompt erledigt. Sowie der Gouverneur und ich unser Treffen zu einem Abschluss gebracht hatten, wurde ich zurück zum Gefängnis eskortiert und man gab mir die Ehre, meine Leute persönlich freizulassen. Verständlicherweise war ihre Freude über unser Wiedersehen überschwänglich. Als Erstes begrüßte mich mein stets loyaler Steuermann Oliver Langley. Er war vierzig Jahre alt und seine Haut hatte als Folge eines auf See verbrachten Lebens die Farbe von Kupfer. Ich war fest davon überzeugt, dass es in der gesamten Karibik keinen besseren Steuermann gab. Trotzdem hatte er einen Makel – er trank mehr Rum als jeder andere Mann, dem ich je begegnet war. Leider litt seine Fähigkeit, mein Schiff zu steuern, immer wieder unter dieser Angewohnheit. Wegen seines Pflichtbewusstseins würde er trotzdem so lange am Steuerrad bleiben, wie er es wünschte, und ich würde alles tun, um seinen unersättlichen Alkoholdurst zu stillen.

»Käpt’n Redd wir hatten befürchtet, dass Sie schon an einem Strick baumeln«, sagte er voller Erleichterung darüber, mich gesund und munter wiederzutreffen.

Wahrscheinlich war er mir in den letzten zehn Jahren kein einziges Mal derart nüchtern gegenübergestanden. Ich legte eine Hand auf seine knochige Schulter und antwortete: »Hat man dich und die anderen fair behandelt?«

Langley neigte sein wettergegerbtes Haupt so tief, dass ich das graue Haar auf seiner Schädeldecke sehen konnte. Als er den Kopf wieder hob, flackerte in seinen Augen ein Zorn, den ich bisher nie an ihm kennengelernt hatte. »Diese dreckigen Hunde haben uns regelmäßig geschlagen und damit gedroht, uns aufzuknüpfen, falls wir Ihnen nicht verraten, wer du wirklich bist.«

Ich musterte die beiden Soldaten meiner Eskorte und fragte Langley in einem scharfen Tonfall: »Und die beiden? Haben die euch auch drangsaliert?«

Die Wachen blieben stumm, doch einer blickte mich unverschämt an, als wolle er mir mitteilen, dass er seine Taten nicht bedauerte. Ich beugte mich zu Langley rüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Wir kümmern uns später um das Gesindel.«

Er nickte und seine Wut verrauchte langsam.

»Wo steckt Gordon?«, fragte ich, während mein Blick über meine gebeutelten Mitstreiter schweifte.

»Hier«, rief eine Stimme vom hinteren Ende der Gruppe. »Mir geht es gut.«

Obwohl Gordon Littleton nur wenige Lenze mehr als ich selbst auf dem Buckel hatte, wirkte er wesentlich älter. Eigentlich passte dieser wortgewaltige Mann weder hinten noch vorn zu dem wilden Haufen, der zusammen mit ihm in der Zelle herumlümmelte. In der Vergangenheit war er als Navigator bei der East India Trading Company beschäftigt gewesen. Wie vom Schicksal bestimmt, kreuzten sich unsere Pfade vor fünf Jahren, als wir einen Frachter mit ihm an Bord überfielen. Wir waren hinter den Luxusgütern her, die er geladen hatte. Die Besatzung wollte ihre Schätze nicht ohne Kampf herausrücken. Also kämpften wir. Zwar triumphierten wir, aber wir mussten einen hohen Preis dafür zahlen. Ned Plinkton, mein langjähriger Navigator, trug eine tödliche Verwundung davon. Da wir mit einem Mal eine vakante Stellung an Bord hatten, segelten wir zusätzlich zu unserer materiellen Beute mit Gordon Littleton im Gepäck davon.

Ich rechnete von vornherein mit einem schwierigen Beginn unserer Beziehung. Weder wusste ich, ob mein neuer Navigator zu Hause eine Familie hatte, noch konnte ich seine Kooperationsbereitschaft einschätzen. Überraschenderweise heuerte er willig bei uns an und tat alles, was wir von ihm forderten. Ein Jahr lang hielt er sich meist abseits und sprach kaum eine Silbe. Wir legten ebenfalls keinen besonderen Wert darauf, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Ich ließ ihm seine Freude daran, sich in Selbstmitleid über seine Lage zu suhlen. Während dieses Jahres nippte er nicht einmal an einer Tasse mit Rum.

Im zweiten Jahr ergab sich irgendwann eine längere Unterhaltung zwischen uns beiden, in dessen Verlauf er mir etwas Erstaunliches beichtete. Zu Hause wartete keine Familie auf ihn. Zumindest nicht mehr, denn er hatte seine Gattin, einen Monat, bevor er zwangsweise zu uns kam, ermordet. In der Nacht, bevor er von England aus in See gestochen war, hatte er seine Frau mir einem anderen Kerl im Bett erwischt und beide ohne Zögern selbst gerichtet. Er hatte nichts zur Vertuschung des Verbrechens unternommen, bevor er sein Haus letztmalig verließ. Folglich graute ihm vor einer Heimkehr, da ihm dann der Galgen winkte.

An jenem Morgen, als die Segel eines Piratenschiffs am Horizont aufzogen, entschloss er sich, alles, was ihm an diesem Tag widerfahren sollte, als gerechte Strafe Gottes für seine Untat anzunehmen. So überraschte es ihn wenig, als wir ihn unfreiwillig rekrutierten; und auch wenn ihn sein neues Leben anekelte, akzeptierte er es als Konsequenz seiner Handlungen. Allmählich gewöhnte er sich an sein verändertes Dasein, wurde warm mit der Besatzung und holte sich irgendwann seinen Becher bei der Rumausgabe ab.

Bis heute nervt er mich gelegentlich mächtig mit seiner Widerspenstigkeit und der Art, wie er eitel jede einzelne Strähne seiner blonden Haare zurechtlegt, bis die Frisur perfekt sitzt. Dessen ungeachtet wuchs er zu einem wertvollen Kameraden heran und neben Langley wurde er zu meinem wertvollsten Ratgeber. Es wunderte mich kaum, dass er jetzt ganz hinten im Schatten der anderen stand.