Im Bann des Walknut: Bewährung - Rolf Suter - E-Book

Im Bann des Walknut: Bewährung E-Book

Rolf Suter

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Beschreibung

Nach dem Sieg ihrer Alliance aus mehreren Clans gegen die Angelsaxen und Nordmännern bekommen Eric und seine Freunde als Belohnung einen Ort nach Erics Wahl, um sich dort anzusiedeln. Die Wahl trifft sein gefiederter Freund Gloi; er führt sie dorthin. Das Das Land liegt auf dem Gebiet von Luag, an der Küste, wo der Fluss Tweed ins Meer fließt. Doch es kommt nicht unerwartet zu Händeln mit den Nachbarn. Die Fackeln eines drohenden Krieges zündeln bereits. Zusammen kämpfen sie um die Burg. Im Bann des Walknut: Bewährung - ist Band 3 der Reihe: Im Bann des Walknut Band 1: Im Bann des Walknut: Wolfskrieger - Odins Auftrag Band 2: Im Bann des Walknut: Neue Gestade

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Autor
Wallendes Blut
Schlacht um die Freiheit
Neues Land, altes Schiff
Besuche und Geschichten
Winter und Ruhe
Es wächst Etwas heran
Überraschungen
Händler
Dunkle Vorahnungen
Baumeister
Dunkles, Weißes und Warmes
Familienbande
Blutiges Ende
Nachwort
Glossar
Vorschau Band 4
Bisher erschienen
Impressum

Im Bann des Walknut

 

Band 3

 

Bewährung

 

von

Rolf Suter

 

 

ELVEA

 

Autor

Rolf Suter, geboren 1959 in Zürich/Schweiz, hat einen handwerklichen Beruf gewählt, den des Malers. Geschichte im Allgemeinen faszinierte ihn schon seit früherster Jugend, hauptsächlich die Geschichte der Germanenstämme und der Kelten – vor allem die der Nordgermanen, der Wikinger. Ihre Epoche, ihr Glauben und die Runen ziehen ihn noch jetzt in Bann.

Nach vielen Reisen nach Skandinavien und England, Besuchen an den Schauplätzen der Geschichte entstand dieses Werk. Suter kennt jeden der Orte, die er beschreibt, er ist Fachmann für die Mythologie der Wikinger. Alle nachprüfbaren Behauptungen seines Werks stimmen.

 

Wallendes Blut

Es war wie zu einer Totenfeier zu segeln.

Das letzte Mal sah ich zurück. Auf die Siedlung, die uns so angepriesen worden war. Niemandem konnte ich eine Schuld zuweisen, dass es nicht so kam, wie es kommen sollte. Es hätte ein Paradies werden sollen, das es früher für Einar und Njall einmal war. Doch für einige von uns, einschließlich mir, wurde der Traum leider nicht wahr. Mein Ziel und Bestimmungsort war Luag. Das fühlte und wusste ich, und alle meine Freunde glaubten an mich und waren bereit, mir zu folgen. Hier lagen unsere Bestimmung und unsere Zukunft. Alles in mir zog mich zu ihm.

Es musste kurz vor Mittag gewesen sein, als wir die roten Klippen passierten. Die Sonne schickte ihre Strahlen auf den Stein und ließ die Klippe in verschiedenen warmen Farbtönen erstrahlen. Ich sah zu ihnen hinüber und fragte mich. Werde ich sie jemals wiedersehen? Es herrschte eine niedergeschlagene Stimmung auf dem Schiff. Nicht wie sonst. Es wurden keine Witze gemacht wie üblich. Es war allen bewusst, dass diese Gemeinschaft, so wie sie war, nur noch wenige Stunden anhalten würde.

Man sprach leise miteinander und klopfte sich auf die Schultern und machte sich gegenseitig Mut. Versprechen wurden geschlossen, und jeder wusste, er verliert einen Bruder, auf den man sich verlassen konnte, der so manches Mal an seiner Seite stand im Krieg wie bei privaten Problemen. Ein Bruder, der einen nie im Stich ließ. Mir fehlten das Lachen der Männer und ihre derben Witze. Ich lehnte an der Reling und schaute auf die Wellen und auf das schwindende Land. Einar stellte sich neben mich.

»Mir gefällt das nicht. Sollten wir nicht an eurer Seite stehen? Wie immer. Geschlossen Seite an Seite stehen? Wie immer?« Ich schüttelte langsam den Kopf und sah ihn an.

»Nein, Einar. Du hast schon deine geplante Irlandreise verschoben. Nur, um uns abzusetzen. Wir hätten gut auf dem Landweg reisen können.« Er versuchte zu schmunzeln und zog es in einen Witz.

»Alles was wir brauchen, finden wir auch in Jorvik. Zahlen etwas mehr, aber was soll’s. Vielleicht sehen wir unseren Sänger Breac wieder.« Wir lachten herzhaft zusammen.

»Das würde mich auch wundern, wie es ihm ergangen ist. Hat er seinen Herrn gefunden, der ihn aushält und dem er an den Abenden seine Gesänge vortragen kann.« Einar zuckte mit seinen Augenbrauen.

»Wenn ich ihn sehe, frage ich ihn. Abgemacht.« Ich nickte ihm zu und schmunzelte.

»Weißt du, Einar, was der Vorteil an Jorvik ist?« Einar sah mich verwundert an.

»Nein.«

»Wenn wir verloren haben, werdet ihr es schnell erfahren.« Er sah mich erschrocken an. Ich gab ihm einen Stoß und lachte.

»Sollte ein Witz sein.«

»Ein schlechter Witz. Er könnte in Erfüllung gehen«, sagte er ernst.

»Dann zähle ich auf dich, dass du uns oder was von uns übrig ist, ehrenvoll ins Grab legst.« Seine Augen sahen mich an und sie leuchteten unergründlich tief.

Nachdem er zu seinem Platz im Schiff zurückgekehrt war, sah ich mich nach ihm um. Njall saß in der Nähe. Er hatte alles gehört, was wir gesprochen hatten. Er nickte mir zu und ich setzte mich zu ihm.

»Wir kennen uns nun ein Jahr, Eric.«

»Es ging schnell vorbei. Und nun trennen wir uns schon wieder. Ich hätte das nie gedacht, dass es so schnell enden würde. Auch ich verstehe Einars Schwiegervater nicht. Auch ich kenne ihn anders. Darum verstehe ich deine, eure Meinung nur zu gut. Ich hätte genauso auch gehandelt. Glaube mir.« Ich dankte ihm für sein Verständnis und antwortete.

»Ja, unter diesen Umständen kann ich hier nicht leben. Es tut mir zutiefst leid. Ich hatte mir auch etwas anderes vorgestellt und gewünscht. Es ist es, glaube ich, das Beste, was wir für uns alle erreichen konnten. Mir tut es um Einar leid und um unsere Gemeinschaft. Aber so weit sind wir nicht auseinander. Und so wie Luag uns gesagt hatte, sind wir alle bei ihm immer herzlich willkommen.«

»Ja das hat er gesagt.« Er stimmte mir zu. Wir saßen noch zusammen und redeten über viel Dinge, als Hugh nach Njall rief. Ich ging zu Wulfgar. Einar, der betrübt auf seinem Sitz saß und vor sich her grübelte, beachtete mich nicht groß. Wulfgar winkte mit seinem Kopf in Einars Richtung.

»Muntere ihn auf, Eric. Ist ja nicht auszuhalten mit ihm.« Ich schmunzelte.

»Darf ich?«, fragte ich. Einar sah mich an.

»Ja sicher. Komm, setz dich.«

»Wo wollt ihr nun hin? Geht ihr nach Jorvik? Oder sucht ihr einen anderen Handelsplatz?«, fragte ich.

»Nein wir werden nach Jorvik gehen. Verflucht.« Ich sah ihn erstaunt an.

»Was fluchst du?«

»Wenn wir nicht dringend dieses verfluchte Saatgut und die anderen notwendigen Dinge beschaffen müssten.«

»Was wäre dann?« Ich wusste, was kommen musste. Seine Augen funkelten mich zuerst an, als wollte er mich gleich über Bord in die See werfen, und dann polterte er los. Seine Stimme grollte wie ein starkes Gewitter und war bis zuvorderst im Schiff zu hören. Alle sahen sich nach uns um.

»Frag noch dümmer! Ein Teil unserer Gemeinschaft wird …« Er fuchtelte wild mit seinen Armen. Einar bemerkte, dass alle zu uns schauten, als das Gewitter erneut ausbrach.

»Was ist los. Was schaut ihr alle so dämlich und du, Skeld, hast einen Blick wie ein besoffener Elch.« Skeld winkte ab. Wir alle wussten nur zu gut, wenn er so gereizt war, sollte man ihn lieber in Ruhe lassen. Auch ich wollte gehen, doch Einar hielt mich zurück.

»Eric, du musst wissen: Bis jetzt, all diese Jahre, lebten wir immer als Gemeinschaft zusammen. Und nun? Sie fällt auseinander. Ein Teil von uns kämpft mit fremden Männern zusammen. Während die anderen Saatgut kaufen müssen.«

Saatgut, schrie er förmlich aus sich heraus. Als wollte er es verdammen. Ich verstand ihn, wollte ihn aber nicht noch mehr reizen, ich sagte nichts. Legte nur meine Hand auf seine Schulter. Ich ließ ihn und stand wieder an Wulfgars Seite. Er sah mich an und zog seine Augenbrauen hoch.

»Das nennst du eine Aufmunterung.« Ich zog nur meine Schultern hoch. Er schüttelte den Kopf und fragte mich: »Willst du ans Steuer?« Ich sah ihn an. Dann verneinte ich.

»Lass mich die letzten Stunden so verbringen und genießen. So kann ich auf unsere Leute sehen und mich in meinen Gedanken verlieren.« Stumm sah er mich an. Nickte und ein leichtes Schmunzeln war auf seinen Lippen zu sehen.

»Außerdem sehe ich ja, welche Fehler du beim Lenken machst.« Mit offenem Maul sah er mich an.

»Du Hundfutt«, sagte er überrascht und leise. Erst etwas später fing er an zu lachen. Ich blieb neben ihm stehen und genoss den Wind, wie er mit meinem Haar spielte. Ich hatte die Küste vor uns erblickt. Wir kamen dem Ziel näher. Wir hatten den gleichen Gedanken. Wulfgar und ich sahen uns an. Es durchfuhr mich wie ein Blitz. Ich musste es von ihm wissen.

»Hast du noch immer deine Todesträume?« Überrascht sah er zu mir.

»Hast du nicht vergessen, wie es mir scheint. Ja, aber nicht mehr jede Nacht, wie auch schon … aber ich habe mich damit abgefunden. Irgendwann müssen alle gehen.« Ich stimmte ihm zu.

»Ich musste es wissen. Weil ich dir etwas versprochen hatte, das ich nun nicht mehr einhalten kann.« Wulfgar löste eine Hand von der Ruderpinne und gab mir einen freundschaftlichen Stoß.

»Keine Angst, Eric. Ich werde damit leben können. Aber schön, dass du noch daran gedacht hast.« Er sah wieder nach vorn, aber an seinen Mundwinkeln sah ich, dass er sich freute. Mein Blick schweifte über das Schiff und ich sah auf unsere Leute. Asny und Tyree saßen zusammen. Was sie wohl miteinander redeten? Versuchten sie, unsere Zukunft zu sehen? Skjold, Halfdan, Hugh, Skeld, alle saßen beim Mast zusammen und redeten. Auf der einen Seite tat es mir leid, diese Bruderschaft auseinanderzureißen. Aber das war unsere Zukunft. Ich glaubte daran und mit meinen Freunden zusammen würden wir es schaffen.

Nun hatte ich das Gefühl, die Zeit verging wie im Flug. Ich konnte mich noch gut an gewisse Küstenabschnitte erinnern und schon lenkte Wulfgar das Schiff näher ans Land. Ohne zu fragen, steuerte er in die richtige Bucht. Dieses Mal konnte er sein Schiff fein auf den Kiesstrand aufsetzen. Wie es abgemacht war, schwenkten wir eine rote Fahne, als Zeichen der Hilfe.

Auf der Klippe waren auf einmal Personen zu sehen, die ebenfalls eine rote Fahne schwenkten. Es kam Leben in die Klippen. Immer mehr waren zu sehen. Einige kamen herunter, um uns zu begrüßen. Unter ihnen befand sich ein Mann. Ich hatte ihn schon einmal gesehen. Ich glaubte, er gehörte der Gruppe an, die unser Schiff bewachen musste und uns dann half, es wieder ins Meer zu schieben. Es musste so gewesen sein, denn er erkannte unser Schiff wieder. Er lachte und kam auf mich zu.

»Tiarna an Raven. Es freut mich dich wiederzusehen und solche Kämpfer an deiner Seite zu sehen.« Und klopfte mir vor Freude auf die Schulter.

»Wir kommen in wenigen Minuten nach. Lass uns noch unser Gepäck ausladen.« Hugh befand sich noch an Bord und reichte uns alles herunter.

»Wir werden euch helfen. Überlasst uns den Rest, den ihr nicht tragen könnt. Du weißt ja noch, wo das Dorf liegt.« Ich nickte, dann kehrte ich zu meinen alten Freunden zurück und nahm Abschied von ihnen.

Uns viel es schwer. Aber es wurde noch schlimmer, zusehen zu müssen, wie sich das Boot von uns entfernte. Ihnen nachzuwinken und den Gedanken, sie vielleicht nie mehr zu sehen, zu unterdrücken. Als das Schiff kaum noch zu sehen war, wandten wir uns ab und schulterten den Rest unseres Gepäcks. Mir kamen die Schritte vor, als hätte ich schwere Ketten an meine Beine geschnallt. Auf der Klippe erwarteten uns noch mehr Krieger, die uns begrüßten. Ohne zu fragen, wurde unseren Frauen ihr Gepäck abgenommen; zusammen zogen wir ins Dorf. Gloi flog uns voraus, um uns anzukündigen. Luag eilte uns entgegen. Freudig hielt er seine Arme offen in der Luft.

»Eric. Schön, dich und deine Freunde zu sehen. Dein Vogel hat euch schon angekündigt. Ich saß mit ein paar Clanführern vor dem Haus, als er angeflogen kam. Er setzte sich nahe zu mir und lärmte lauthals.« Er musste lachen.

»Ich wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Nicht so die Führer, die zuerst erschrocken den Vogel ansahen und dann mich noch verwunderter, als ich aufgeschossen bin und sie wortlos verließ – als auch schon ein Bote eingetroffen war und mir von eurer Ankunft berichtete. Ein besonderer Grund, dich persönlich zu begrüßen.« Wir hielten uns an den Schultern.

»Wir sind gerne gekommen«, antwortete ich. Er nickte freudig.

»Kommt nun alle«, rief er. Auf dem Weg zurück sagte er etwas entschuldigend: »Unser Dorf ist brechend voll. Wo soll ich euch unterbringen?« Ich lachte.

»Wie nennt ihr uns? Aus dem eisigen Land? Oder wie ging die Erklärung?« Er sah mich augenzwinkernd an.

»Keine Angst, Luag. Wir stellen unsere Zelte auf. Du musst uns nur einen Platz geben.« Mit dem war er zufrieden.

»Den habe ich, Eric. «Doch dann blieb er abrupt stehen und sah mich an.

»Was hast du, Luag?« Ich erschrak. Ich ging etwas auf ihn zu.

»Sage mir ehrlich, Eric, wirklich ehrlich. Das ist für mich sehr wichtig.« Seine Augen fixierten mich. Fragend hob ich meine Arme.

»Ja sicher. Wenn das in meiner Macht steht? Frag mich, was dich quält.« Luag zog mich etwas zur Seite.

»Kamt ihr freiwillig oder hat euch Lachlann dazu gezwungen?« Ich sah ihn fragend an.

»Wieso fragst du dies? Ist es nicht wichtiger, dass wir hier sind?« Er winkte ab.

»Ja, das stimmt. Aber wie hat Lachlann euch gefragt?« Ich wandte mich von ihm ab, drehte mich noch mal um und sagte.

»Wenn du Zeit hast, erzähle ich dir alles gerne. Mir persönlich würde aber ein ausgiebiger Spaziergang am Morgen gefallen.«

»Gut, Eric. Dann treffen wir uns morgen in der Früh. Ich erwarte dich.«

Mit diesen Worten durchquerten wir den Eingang des Dorfes. Wir wurden allen vorgestellt, sodass keine Missverständnisse entstanden. Wir bekamen auch rote Schärpen, die wir wie einen Gürtel um unsere Hüften geschlungen trugen. Dies war zur Sicherheit gedacht und als Erkennungszeichen, da sich im Dorf viele Krieger aus verschiedenen Clans aufhielten. An diesem Abend verkroch ich mich früh in mein Zelt, da ich mit Luag ernsthaft reden wollte.

Am darauffolgenden Morgen warteten Gloi und ich auf Luag. Er tauchte wie aus dem Nichts auf in seinem weißen Gewand. Wir begrüßten uns, machten uns auf und verließen das Dorf. Als wir das Gefühl hatten, genügend weit entfernt zu sein und keine falsche Ohren etwas hören konnten, blieb ich stehen und sah mich noch mal um.

»Luag, warum hast mich gestern nach Lachlann gefragt?« Er kam nahe an mich und flüsterte leise.

»Ich traue ihm nicht mehr.« Ich schaute ihn an.

»Wie kommst du darauf? Was veranlasst dich dazu?«

»Du weißt, wir hatten im Herbst eine Zusammenkunft. Eigentlich war es nur ein Treffen von Druiden und Stammeshäuptlingen aus dem Süden. Also hier. Lachlann tauchte auf. Ich kannte ihn schon aus früheren Zeiten. Aber wie er mit uns redete, verwunderte alle. Früher war er ein großer, weiser Mann. Er dachte immer viel weiter. Nicht: Was ist morgen, sondern morgen in einem Jahr. Aber seine Sinneswandlung hat sich von Grund auf geändert.«

»Inwiefern?« Er ging weiter und erzählte mir, was ihn zu seiner Meinung gebracht hatte.

»Er platzte förmlich in unseren Rat hinein und schon fast herrisch wollte er wissen, warum wir uns treffen. Ohne seine Einladung. Es gäbe doch keinen Grund dazu und warum niemand aus dem Norden anwesend sei, außer ihm. Weil er bei uns ein großes Ansehen genoss und, wie gesagt, als Weitdenkender bekannt war, kam es nicht zum Eklat. Aber viele Clanführer waren von seiner Haltung erbost. Vor allem, als wir ihm erklärten, dass sich Dänen, Norweger mit einigen Angelsaxenführer zusammentaten. Dass sie vermehrt Angriffe führten, auch tief in unser Land hinein, viel Leid unter der Bevölkerung verursachten. Die Stämme langsam ausbluteten. Dass die Frauen und das Vieh geraubt und die jungen Männer auf dem Schlachtfeld liegen blieben. Es berührte ihn überhaupt nicht. Er lachte nur und meinte: Das sei das Leid eines jeden Kriegers und des Volkes, das so nahe an der Grenze lebte. Seine Meinung stieß mich vor den Kopf. An einem Abend, als wir beim Essen waren, versuchte ich das eisige Klima zu brechen und fragte ihn nach dir. Er sah mich an und lachte nur. Lachlann sah mich an und gab mir zur Antwort: Ja diesen jungen Einäugigen habe ich gesehen, aber er wandert nur und schnitzt Holz. Er wisse nicht, was aus dir werden soll.«

Luag blickte mich an. Ich ließ mir nichts anmerken und erwiderte seinen Blick. Doch Gloi, der auf meiner Schulter saß, rebellierte. Er stellte sein Gefieder und krächzte. Luag schaute ihn an.

»Mir scheint, dein Vogel sieht das nicht so gelassen wie du.« Ich atmete durch. Ich dankte ihm für seine Offenheit und nach ein paar Schritten erzählte ich ihm, wie ich es empfunden hatte. Ich erzählte ihm Begebenheiten, die vorgefallen waren. Wie das Imbloc-Fest. Oder meine Arbeit an Einars Türeinfassung. Hughs Heiratspläne. Luag ließ mich reden. Er hörte mir aufmerksam zu. Als ich alles losgeworden war, fragte er.

»Was hättest du auf Zeit dort gemacht?« Es fiel mir leicht, es zu sagen: »Ich habe mit allen, die hier sind, alles besprochen und alle willigten ein, Lachlanns Dorf zu verlassen wie auch unsere Brüder. Wir wollen ein neues Zuhause suchen. Wo wir willkommen sind oder in Ruhe leben können. Entweder …« Ich sah ihn an.

»Als Erstes wäre ich hier zu dir und deinen Leuten gekommen. Wenn wir hier nicht hätten bleiben können oder dürfen … ich hätte für alle eine Überfahrt gesucht und wäre in meine Heimat zurückgekehrt.«

Luag nickte verständnisvoll.

»Wir werden eine Lösung finden. Eric, das verspreche ich.«

»Aber das erübrigt sich für die nächsten Tage. Wir sind nicht hierhergekommen, um Bleiberecht zu erbitten. Sondern euch beizustehen. Und das garantiere ich dir, so lange ich lebe.«

»Ich, das heißt … wir nehmen noch so gerne eure wertvolle Hilfe an. Nun kann ich mit gutem Gewissen allen Führern bestätigen, dass euer Eintreffen keine Finte oder eine Verschwörung von Lachlann ist.«

»Ich bitte dich darum, Luag, denn auch wir wurden schon des Öfteren von der falschen Seite angesehen und nach deiner Bestätigung wird sich das hoffentlich legen.« Er nickte und meinte: »Es ist schwer, ein Nordmann in diesem Land zu sein und dann noch auf unserer Seite zu stehen.«

Wir waren erst mit dem Morgenessen fertig, als Boten mit Neuigkeiten vom Feind eintrafen. Der Rat setzte sich zusammen. Bei dieser Gelegenheit stellte Luag uns allen noch mal vor und machte ihnen klar, warum gerade wir Nordmänner, außer Hugh, als Unterstützung hier waren.

So wie die Späher berichteten, war vom Feind nichts Außergewöhnliches zu erwarten. Die Wikinger waren unter sich und trafen sich gelegentlich mit den Fürsten der Angelsaxen. Aber was sie im Schilde führten, war nicht ersichtlich. Einige Clanführer wollten unsere Truppen auflösen, andere wollten so schnell wie möglich angreifen. Da erhob Luag beschwörend das Wort und hielt eine flammende Rede. Am Schluss willigten alle Führer ein, noch zwei Wochen zu warten, um dann noch mal zu beraten, was geschehen sollte.

Hugh und ich verließen die noch andauernde Beratung und kehrten zu unseren Freunden zurück. Skefill wetteiferte mit Tyree beim Bogenschießen, während Vali sich mit Halfdan, Björn und Ole im Schwert und Schildkampf übten. Skefill, der gerade seine Pfeile aus der Zielscheibe zog, sah uns kommen und rief laut.

»Eric, Hugh, wartet.« Wir mussten beide schmunzeln. Er war ein aufgeweckter, lebendiger Bengel. Er plauderte frisch von der Leber weg.

»Wisst ihr, was uns fehlt?« Wir beide verneinten.

»Dann seht euch doch mal um«, sagte er schnippisch. Wir drehten uns um und schauten.

»Was meinst du, Skefill?«, fragte ich.

»Das sieht, glaube ich, keiner von euch außer mir.«

»Dann sag schon, was du meinst, kleiner Mann«, entgegnete Hugh.

»Da seht doch. Alle Clans haben eine Fahne. Die einen nur mit Farben, die anderen tragen Tiere oder Symbole darauf. Sogar Einar hatte eine. Nur wir. Wir haben keine.« Er sah uns an.

»Wir sind auch ein Clan, wenn auch klein. Wir brauchen eine Fahne, Eric. Mach eine mit einem Wolfskopf darauf.« Ich zerzauste sein Haar.

»Du hast recht, Skefill. Ich werde mir Gedanken machen.« Hugh und ich gingen zu den anderen zurück. Beide schmunzelten vor sich hin.

»Ist ein aufgeweckter Junge«, lachte Hugh.

»Vor allem sieht er viel. Schon fast zu viel«, meinte ich.

»Dann werde ich ihn Wanderauge nennen.« Ich sah Hugh an und stieß ihn.

»Wanderauge.« Sehr erfinderisch, ich musste lachen.

»Aber weißt du, Hugh. Er hat recht. Wir sind ja ab jetzt ein eigenständiger Clan. Ohne Fahne. Es ist wirklich Zeit, mir Gedanken darüber zu machen.«

Björn, der unsere letzten Worte hörte, meinte: »Wie wäre es mit einer Hand, die Priesterärsche versohlt?« Wir lachten herzhaft.

Am Abend suchte ich Luag auf.

»Ich möchte mir ein Bild von unseren Feinden machen.« Er willigte ein und rief nach Ailpein. Wir besprachen uns und am anderen Morgen verließen wir zusammen das Dorf und zogen Richtung Süden. Unser Führer Ailpein kannte die Späher im Südabschnitt, da er selbst dort eingesetzt war – alles erfahrene Krieger aus dem Dorf, wie er uns erklärte.

Gloi flog uns voraus und suchte ihr Lager. Als wir auf sie trafen, fanden wir einige in ihrem Lager, während die anderen den Feind beobachteten. Ailpein kam mit uns an die Frontlinie. Gloi verstand mich und flog auf die andere Seite. Auf die Seite des Feindes.

Die Grenze verhielt sich ruhig. Es war kaum jemand zu sehen. Vorsichtig zogen wir weiter, bis uns Ailpein zum Anhalten aufforderte und auf eine Hügelkuppe zeigte: Es musste sich um fünf berittene Krieger handeln. Aber sie waren zu weit weg. Wir konnten nicht erkennen, ob es sich um Angelsaxen oder Nordmänner handelte. Sie verzogen sich langsam, als sie uns bemerkten. Auch wir gingen in unseren Abschnitt zurück. Da kam Gloi angeflogen. Er war sichtlich aufgebracht. Als er sich auf meiner Schulter niederließ, flüsterte er mir die Neuigkeiten zu. Das habe ich mir gedacht, sagte ich zu mir, als ich die anderen informierte.

»Du glaubst dem Vogel?«, fragte mich ein Mann, der sich mir als Airril vorstellte.

»Darüber werde ich mit dir keine Minute diskutieren. Sein Wort steht über allem.«

Zu Ailpein sagte ich: »Hugh und ich werden sofort ins Dorf zurückeilen und …«, als ein gewisser Braigh angerannt kam. Völlig außer Atem rang er die Worte von seinen Lippen.

»Sie haben im Osten die Grenze überschritten.«

Airril warf ich einen Blick zu und zog meine Augenbrauen hoch. Er erwiderte meinen Blick verwundert und sah uns noch nach, als wir sie eiligst verließen. Auf dem Weg zurück entdeckten wir in Abständen Clans, die in Richtung Osten hetzten.

Hugh sah ihnen nach. »Hoffentlich greifen sie geschlossen an und nicht in einzelnen Clans.«

Als wir das Dorf erreicht hatten, schien es fast menschenleer zu sein. Luags Krieger waren auch bereit und warteten auf ihren Anführer. Er trat in seiner Rüstung aus seinem Haus. Halfdan, Björn, unsere Jungs sowie Tyree, Hughs Frau. Alle standen gerüstet leicht abseits und erwarteten uns schon. Hugh sah seine Frau an und fragte sie erbost.

»Was machst du hier? Bleib im Dorf.« Tyree winkte ab.

»Auf keinen Fall. Ich weiß seit meiner Jugend, wie man kämpft, und sicher bleib ich nicht hier, während mein Mann in den Krieg zieht. Nun will ich keinen Ton mehr von dir hören. Geh und zieh dich an. Oder willst in deinen leichten Kleidern dem Tod ins Auge sehen?«

Wir rannten zu unseren Zelten zurück. Ich stieß Hugh in die Seite und schmunzelte. Er aber sah mich nur gereizt an und brummte etwas in seinen Bart. Ich zog mir mein wattiertes Hemd über und darüber den Lederpanzer in Fischschuppenmuster an. Gürtete mein Schwert um, steckte Hughs Messer am Rücken in den Gürtel. Cearcs Geschenk, sein Messer, steckte ich in meinen linken Stiefelschaft. Hugh brauchte auch nicht länger als ich. Er fasste seine langstielige Axt und schon eilten wir zurück.

Luags Zug hatte schon begonnen das Dorf zu verlassen. Frauen standen am Rand, winkten ihnen zu. Einige weinten. Wir eilten dem Zug nach vorne, wo unsere Freunde gingen, und reihten uns ein. Hugh sah in den Himmel und suchte die Sonne.

»Wir sind zwar ziemlich weit vorne. Ist das eine Ehre?«, fragte er. Ich zuckte mit den Schultern, sagte aber nichts dazu. Er schaute weiter in den Himmel.

»Als wir die Botschaft erfahren haben, war es Morgen. Nun ist es zirka Mittag. Wie lange brauchen wir an die Front?« Ich sah ihn stumm an, aber seine Worte beunruhigten mich.

»Ich muss wissen, was Luag mit den anderen Führern besprochen hat.« Ich verließ meinen Platz an Hughs Seite und eilte zu Luag an die Spitze. Als ich ihn erreicht hatte, fragte ich Luag nach den Plänen. Erzählte ihm meine Befürchtungen. Er sah mich erschreckt an, als könnte ich recht haben. Ich sah es ihm an und in Gedanken rief ich Gloi. Er kreiste über mir und fing meine Gedanken auf und schon trugen ihn seine Flügel fort Richtung Westen. Luag, verunsichert über meine Befürchtungen, trieb seine Männer zur Eile.

»Nicht zu schnell, Luag«, sagte ich.

»Bedenke, sie müssen noch kämpfen können. Nicht dass wir ausgelaugt das Blutfeld erreichen.« Doch seine Angst war überwiegend und er drosselte das Tempo nur wenig. Nach einer halben Stunde kehrte Gloi zurück. Was er mir erzählte, hatte ich geahnt. Ich informierte Luag unverzüglich, was mir Gloi berichtete. Luag war außer sich vor Wut.

»Es ist wie immer. Wir finden keine geschlossene Einheit. Jeder will den Sieg für sich erringen und dann damit protzen und sich profilieren.« Ich schlug vor, seinen Männern eine Pause zu gönnen, und wir würden uns umsehen. Luag war nicht ganz einverstanden.

»Lass uns gehen und ihr ruht euch aus.«

»Nein, Eric. Ihr kamt als Hilfe. Das will ich so nicht.«

Unwirsch unterbrach ich ihn. »Aber wenn wir bei euch leben dürfen. Ist das nun auch unser Problem.«

Erschrocken über meine Haltung willigte er schließlich ein. Ich rief Halfdan, Björn und Hugh. Wir verwandelten uns und rannten so schnell wir konnten. Als ich mich umsah, sah ich große Krallen an den Füßen, die ins Erdreich schlugen und große Stücke Erde herausrissen, die an unseren Körpern vorbeiflogen.

Wir brauchten nicht lange, bis wir das Schlachtfeld erreichten. Was wir sahen, war das, was mir Gloi erzählt hatte. Mit Todesverachtung stürzten sie sich gegen einen Wall aus Schilden. Ein Wall aus harten Holzschilden, die mit Eisenbuckel versehen waren. Sie rannten gegen eine Mauer an, die tödlicher nicht sein konnte. Viele blieben verwundet oder tot vor dem Wall liegen. Von Schwertern und Speeren getroffen, die zwischen den Schilden blitzschnell hervorstachen. Es war ein trauriges Schauspiel, das wir ansehen mussten. Ich drehte mich zu Halfdan.

»Geh so schnell du kannst zu Luag zurück und berichte ihm von diesem Gemetzel. Sie sollen sich beeilen.«

Ohne Worte drehte er sich um und rannte zurück. Mit dieser Taktik hatten die Clanführer nicht die geringsten Chancen, hier auf diesem Feld zu gewinnen. Immer wieder rannten sie ohne Koordination an. Dazu trugen viele ungeeignete und schlechte Rüstungen. Einige kämpften noch mit nackten Oberkörpern.

Hugh, Björn und ich rannten zu den Clanführern und versuchten sie zu überzeugen, mit dem Wahnsinn aufzuhören. Aber ohne Erfolg. Da erschien Luag endlich mit seinen Truppen. Seine Luren-Bläser trompeteten ihre Befehle. Er schritt schnell zu uns. Seine Worte, die er an die Anführer richtete, waren hart und befehlend. Erst jetzt lenkten sie ein. Björn sagte zu Luag.

»Du musst die Truppen langsam und geordnet zurückziehen. Sonst überlebt keiner von uns diesen Tag.« Luag, der die Situation schnell im Überblick hatte, willigte ein.

»Was ist euer Plan?«

»Wir stellen, mit allen die einen Schild tragen können, einen Wall zusammen und versuchen, den Feind aufzuhalten. Ihr solltet für den Feind sichtbar hinter uns stehen. Eure Bogenschützen müssen unseren Rückzug mit gezielten Salven schützen und eure Fußtruppen müssen uns zu Hilfe eilen, wenn wir Einbrüche im Wall haben.« Er musste nicht lange überlegen.

»Scheint mir ein sinnvoller Vorschlag zu sein. Also dann machen wir es so.«

Er ging zu den Führern und teilte es ihnen mit. Hugh winkte Tyree zu sich und sagte ihr unseren Plan. Sie wusste, was zu tun war, und kehrte zu ihren Schützen zurück. Wir ordneten unseren Wall. Hugh stand auf der linken Seite. Björn spornte auf der rechten Seite seine Leute an. Ich hielt in der Mitte meine Männer unter Kontrolle. So erwarteten wir, Befehle rufend, den ersten Angriff der Nordmänner. Wall auf Wall prallte zusammen. Flüche wurden stöhnend ausgetauscht. Auf beiden Seiten wurde mit Schwertern und mit Speeren gestochen und Hiebe wurden ausgetauscht. Männer stöhnten, schwitzten. Blut floss auf das grasbewachsene Feld. Es färbte sich matschig rot. Wir hielten ihnen nur knapp Stand, dank Tyree und unserem kleinen Skefill. Sie unterstützten uns, wo sie nur konnten. Ihre Pfeilsalven waren gezielt und effizient. Sie deckten unsere Feinde ein und ihre Trefferquote war sehr hoch.

Langsam konnten wir uns trennen und zurückziehen. Alle, die eine freie Hand hatten, versuchten noch so viele Verwundete wie möglich nach hinten zu schaffen und vom Feld des Todes zu ziehen. Das Glück stand auf unserer Seite und die Nordmänner setzten uns nicht lange nach. Ihnen reichte der Sieg von heute. Ihr Hohn und ihr Siegesjubel hallten uns nach. An diesem unsäglichen Tag verloren wir zu viele gute Männer; wie viele die Nacht nicht überleben würden, wusste ich nicht. Wie geschlagene Hunde zogen wir uns in Luags Dorf zurück. Ich traf Luag vor dem Tor.

»Herr, ich bitte euch, weiträumig Wachposten zu Vierergruppen aufzustellen. Nicht dass wir in der Nacht überfallen werden.«

Ein Clanführer, der bei Luag stand, wollte widersprechen.

»Übertrieben, so viele aufzubieten«, rief er. Ich unterbrach ihn unwirsch.

»Und dann im Schlaf erschlagen zu werden, weil die Wachposten nicht mehr warnen können. Weil sie eingeschlafen sind und schon tot sind. Nein.«

Luag beschwichtigte uns und verwies uns auf den Abend.

»Wir werden es dort besprechen«, meinte er. Ich gab mich mit dem zufrieden und schaute nach den eintreffenden Verwundeten. Am Abend begab ich mich ins Haupthaus. Es waren schon alle versammelt. Nach dem Essen rief mich der Clanchef an, der mich schon vor dem Tor angefahren hatte. Seine Stimme war laut. Er wollte die gesamte Aufmerksamkeit auf seiner Seite wissen. Langsam stand ich auf, sah ihn an. Ich erhob meinen Becher, trank ihn aus und knallte ihn auf den Tisch, sodass er in viele Stücke zerbrach. Alle sahen mich erstaunt an. Langsam verstummten die Stimmen. Es wurde still.

»Wisst ihr überhaupt, mit wem ihr es zu tun bekommen habt?«, fragte ich und sah in die Runde. Man sah mich nur erstaunt an.

»Das waren Dänen. Vielleicht waren auch Schweden dabei. Aber mit Garantie standen Eismänner, wie ihr uns nennt, in ihren Reihen. Habt ihr euch überhaupt die Mühe gemacht, nach ihren Waffen zu sehen? Bevor ihr angegriffen habt? Ihre Schilde, Speere und Schwerter und ihre Rüstungen? Habt ihr erkannt, dass ein Hemd aus Eisenringen sie schützt? Habt ihr die Helme gesehen? Was wollt ihr gegen solche geschützten Krieger ausrichten? Viele von euch besitzen nicht einmal ein dickes Lederhemd. Gegen ihre gehärteten, scharfen Klingen könnt ihr nichts ausrichten. Auch nicht mit so viel Mut, wie ihr bewiesen habt. Ihr werdet alle vor ihrem Schildwall tot liegen bleiben.«

Einer der Clanführer versuchte, sein Wort zu erheben und mir zu widersprechen.

»Du magst ja recht haben, junger Eismann. Aber wir zeigten ihnen, dass wir Mut haben und ihnen entgegengetreten waren.« Er strahlte voller Stolz, als er es sagte.

Ich schlug auf den Tisch und schrie.

»Absolut falsch. Ich kenne euch nicht, Herr. Auch interessiert ihr mich nicht. Habt ihr euch schon einmal gefragt, wer im Frühling eure Felder bestellt, wenn eure Männer hier liegen bleiben?« Ich zeigte nach draußen.

»Wir haben auf dem Feld dort draußen sicher zwanzig gute Männer verloren. Wer die Nacht nicht übersteht und den morgigen Tag, kann ich nicht sagen.«

Dann stand ein anderer auf und sagte etwas vorwurfsvoll: »Wenn ihr uns geholfen hättet, ich glaube, der Sieg wäre uns gewesen.«

»Das ist aber nicht euer Ernst, was ihr jetzt gesagt habt. Oder doch?«, fragte ich ihn ungläubig. Er stand auf und nickte mir überzeugt zu.

»Zieht euer Schwert«, forderte ich ihn auf. Er sah mich verunsichert an, tat aber wie geheißen. Er hielt es mir entgegen, die Spitze auf mich gerichtet. Langsam zog ich mein Schwert und hielt es für jeden ersichtlich ins fahle Licht. Dann schlug ich zu. Ein helles Klingen erfüllte den Raum. Alle sahen auf das Schwert des Clanführers. Es war oberhalb des Griffes abgebrochen, während an meinem Schwert nichts zu sehen war.

»Versteht ihr nun endlich, was ich sagen will?« Mein Blick musste etwas entmutigt ausgesehen haben, als ich sagte: »Euer Eisen hält ihrem Stahl niemals Stand.« Sie sahen sich fragend und erstaunt an.

»Ich gebe euch noch ein Beispiel.« Björn reichte mir sein Kettenhemd. Ich legte es auf den Tisch und sah zu Luag.

»Borgst du mir dein Schwert?« Was er auch gleich tat. Den ersten Schlag führte ich mit der Klinge. Den zweiten versuchte ich, mit der Spitze durchzustechen. Die Kettenglieder hielten dicht. Ich gab Luag dankend sein Schwert zurück und hielt die Brünne in die Höhe, sodass alle sie genau sehen konnten.

»Seht ihr. Schaut genau hin. Es ist nichts geschehen und warum? Eure Schwertspitzen sind zu rund und zu weich. Sie reichen für einen Lederpanzer, aber nicht gegen Stahlringe.«

Nun hatten auch die Letzten verstanden, was ich sagen wollte und mit einem Unterton sagte ich zu allen. »Diese guten Männer hätten nicht sterben müssen. Ihr Opfer war völlig unnötig. Wir können nur gegen sie gewinnen, wenn wir uns absprechen und geschlossen handeln.«

Luag unterstützte mich und veranlasste alles. Später gingen wir zusammen in die beiden Häuser, in denen die Frauen sich um die Verwundeten kümmerten. Es war ein trauriger Anblick. Wir schritten zwischen den stöhnenden Männern hindurch und sahen nach ihnen. So schwer es uns fiel, aber wir sonderten die hoffnungslosen Fälle aus: alle mit offenen Bäuchen, die versuchten, ihre Gedärme wieder reinzuschieben, Männer, an denen schwere Amputationen vorgenommen wurden und man nicht wusste, wie sich der Blutverlust auswirkte. Alle diese Fälle wurden in ein separates Haus gebracht. Wir konnten für diese armen Männer nichts mehr tun.

Verletzungen von Speeren und sonstigen Hiebwaffen … da hatten wir mehr Chancen zu helfen. Was mir aber besonders auffiel, waren die häufigen schweren Beinverletzungen. Ich nahm mich ihrer an. Es handelte sich um sehr tiefe, manchmal bis auf die Knochen oder hindurchreichende Wunden. Wie sie entstanden, wusste ich nur zu genau. Für das hatte ich zu lange in einem Schildwall in der Praxis ausgeübt. Es waren die Stiche und Hiebe unter den Schilden hindurch, die immer das Ziel hatten, Beine und Bauch zu treffen.

Unaufhörlich säuberte ich Wunden mit Kräuterwasser. Nähte die glatten Schnitte zusammen, wie es mir Astrid beigebracht hatte. Dazwischen half ich Luag bei den ernsten Fällen. Bei zwei mussten wir eine Amputation vornehmen, da ihre Knochen völlig zersplittert waren. Das Jammern und die Schmerzensschreie brannten sich mir ein. Einigen schloss ich die Augenlider, als sie ihren Kampf verloren hatten.

Die Nacht war zu lang und doch zu kurz. Wir hatten zu viele Verwundete, um uns um alle zu kümmern. Die Frauen halfen uns, wo sie konnten.

Es dämmerte schon, als mich Luag an der Schulter fasste und mich nach draußen zog. Blutverschmiert traten Luag und ich vors Haus. Er setzte sich auf einen Hocker und sah mich an.

»Du hattest recht, Eric. Ich glaube, deine Rede hat auch die Letzten wachgerüttelt und sie haben nun verstanden, um was es geht und was unser Ziel ist. Es stimmt. Es sind zu viele gute Männer gestorben.«

»Leg dich etwas hin, Luag. Ich werde mich noch um die Lebenden kümmern.«

»Glaubst du, noch einige retten zu können?«

»Ich weiß es nicht, aber lass mich es versuchen.«

Ich ließ ihn draußen sitzen und begab mich alleine wieder zurück ins Haus. Ich sah mich drinnen um. Überall stöhnten die Verwundeten und riefen nach Hilfe. Ich sah Frauen überall, die nur eines versuchten: zu helfen.

Mein Blick fiel auf einen jungen Krieger. Stumm lag er auf seiner Pritsche. Er schwitzte stark, gab aber keinen Laut von sich. In stoischer Ruhe versuchte er, seine Schmerzen zu ertragen. Ich ging zu ihm und schaute ihn an. Langsam schob ich die Decke von seinen Beinen. Es sah nicht gut aus. An seinem rechten Unterschenkel klaffte eine breite, tiefe Wunde und das linke Schienbein schien gebrochen zu sein. An dem Knochen sah ich, dass er zueinander verschoben war.

»Wie ist dein Name?«, fragte ich ihn, während ich meine Hand auf seine Stirn hielt. Sie war heiß und nass. Ich legte ihm einen kühlen Lappen auf die Stirn. Seine fiebrigen Augen sahen mich an.

»Donnan, Herr.«

»Du musst nun die Zähne zusammenbeißen. Wenn ich dir helfen kann, wird es sehr wehtun.«

Er nickte schwach. Zuerst brauchte ich etwas, um sein Bein zu schienen. Vor dem Haus fand ich ein dünnes Brett. Mit einem Beil, das in der Nähe auf einem Baumstrunk steckte, spaltete ich es, sodass ich zwei Stücke zu je drei Fingern Breite hatte. Damit kehrte ich zurück. Ich schaute nach Asny. Als ich sie erblickte, rief ich nach ihr und winkte sie zu mir. Ich sagte ihr, was sie zu tun hatte. Sie nickte und hielt Donnans Fuß und zog ihn nach unten, während ich versuchte, die Knochen zusammenzufügen. Aber es wollte nicht richtig.

Donnan versuchte, die Schmerzen auszuhalten, aber fiel zu seinem Glück in Ohnmacht. Asny holte sich noch eine weitere Hilfe. Ich schnitt mit einem scharfen Messer längs des Beinbruchs auf. Asny kam mit einem kräftigen Mann zurück. Auch er hatte einen Verband um seinen linken Oberarm, der auch schon wieder voll Blut getränkt war. Ich beachtete ihn nicht groß und sagte zu ihm: »Zieh den Fuß gerade nach unten und lass erst dann sanft zurück, wenn ich es dir sage.« Zu Asny sagte ich, dass sie die beiden Brettchen auf jede Seite platzieren sollte, um sie dann mit einem Band zu fixieren. Sie verstand, was ich meinte. Dann gab ich das Zeichen. Der Mann zog Donnans Fuß vorsichtig nach unten. Ich griff in die Wunde, die ich aufgeschnitten hatte, und fasste je ein Teil des Knochens. Mit Gefühl fügte ich sie zusammen.

Dann sagte ich: »Langsam loslassen.« Millimeter um Millimeter kamen sich die Knochen näher, bis sie aufeinanderlagen. Asny legte die Brettchen an und begann, sie mit Bandagen zu stabilisieren. Ich kontrollierte, dass nicht am Schluss die Knochen sich erneut verschoben.

»Warum hast du sein Bein aufgeschnitten?«, fragte mich der Mann, der geholfen hatte. Ich sah ihn kurz an.

»Erkläre ich dir, sobald ich fertig bin.« So wartete er geduldig, bis ich mich ihm zuwandte. Asny half mir weiter, die große klaffende Wunde an seinem Unterschenkel zu nähen.

»Er hat sehr viel Blut verloren, Eric«, sagte sie zu mir. Ich nickte.

»Wird er es überleben?«, fragte der Mann, der noch immer bei uns saß. Ich zuckte mit den Schultern.

»Ich hoffe es für ihn.«

Donnan fieberte stark. Ich rief das Tier in mir und schnitt mich selbst. Mein Blut fing ich in einer Schale auf. Einige Tropfen ließ ich direkt in die noch nicht ganz vernähte Wunde am Unterschenkel fließen. Dann schloss ich den Rest. Als Asny und ich nichts mehr für ihn tun konnten, stand ich auf, fasste die Schale mit meinem Blut. Behutsam öffnete ich seinen Mund und flößte ihm den größten Teil des Inhalts ein. Den Rest mischte ich mit warmem Kräuterwasser.

»Asny, wenn er erwacht und Durst hat, gib ihm nur davon zu trinken.« Sie nickte mir zu.

»Nun zu dir und deinem Arm. Zeig ihn mir. Ich will ihn sehen und ich danke dir, dass du uns geholfen hast.«

Er sagte nichts. Unter Schmerzen zog er sein Hemd aus. Er war schon älter, aber man sah ihm gut an, dass er ein erfahrener Kämpfer war. Seine Muskeln waren hart und seine Arme und sein Oberkörper zeigten viele Narben. Er ließ es zu, dass ich den blutgetränkten Verband löste und entfernte. Ich sah mir die Wunde an. Mit Kräuterwasser wusch ich den tiefen Schnitt aus – oder versuchte es. Er blutete noch stark.

»Hoffen wir, dass die Klinge sauber war«, sagte ich zu ihm.

»Sicherheitshalber gebe ich dir auch von meinem Blut. Ich traue der Klinge nicht, die dich verletzt hat. Die Wundränder sind ausgefranst und ich muss sie nähen.« Er nickte stumm. Erneut tropfte ich mein Blut in seine Wunde. Er sah mir genau zu. Als ich nähte, spürte ich, wie er sich etwas verkrampfte.

»Du hast es gleich überstanden«, beruhigte ich ihn. Er winkte ab.

»Es ist nicht meine erste Narbe, die genäht wird. Aber sie brennt, wie ich es noch nie zuvor gespürt habe.«

»Gut so, mein Blut ist auch etwas Besonderes – wie von allen von uns Gestaltwandlern. Es kann sein, dass du Veränderungen an dir verspürst. Das ist nicht schlimm. Nimm es als Geschenk von mir.« Er sah mich kritisch an.

»Du sprichst von deinen Freunden. Die mit dir gekommen sind. Die anderen Nordmänner? Stimmt’s?«

»Nicht alle von uns, aber einige«, antwortete ich.

»Ihr seid tatsächlich Gestaltwandler? Du bist der Erste, den ich zu Gesicht bekomme, und du siehst für mich wie ein Normalsterblicher aus. Gehört habe ich Geschichten über euch, als ich noch klein war, aber gesehen …«

»Muss ich es dir beweisen?«, fragte ich ihn. »Aber fall mir nicht in Ohnmacht. Für viele sehe ich abscheulich und verängstigend aus.«

Er winkte dankend ab.

»Ist schon gut. Aber ich möchte dir danken.«

»Für was?«, wollte ich wissen.

»Sicher nicht für das Nähen deiner Wunde, nehme ich an.« Er verneinte.

»Für das, was du und Luag für die Verwundeten getan haben. Besonders für Donnan. Ich habe es gesehen.«

»Kennst du ihn?«, fragte ich.

»Ja. Es ist mein Sohn und ich heiße Fionnghall.« Verdutzt sah ich ihn an.

»Warum hast du mir nichts gesagt?« Er zuckte mit den Schultern.

»Warum sollte ich. Unsere Götter nehmen das Leben und schenken es wieder. Das ist der Kreislauf. So wollen sie es. Aber wenn du ihn retten kannst, wäre ich dir mehr als dankbar. Er ist noch mein Einziger.« Ich war fertig und schnitt das Ende des Fadens ab.

»Dann werde ich sehen, dass er mit dir nach Hause kann.« Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter.

»Dann sieh zu, dass dein Sohn das Wasser trinkt.«

»Das werde ich tun«, versicherte mir Fionnghall. Ich verließ ihn und sah noch nach ein paar Verletzten. Aber als ich sah, dass alle versorgt waren, ging ich nach draußen. Die Sonne war schon aufgegangen und ein Hahn in der Nähe begrüßte den neuen Tag. Nun verspürte ich in der frischen Luft einen großen Hunger und meine trockene Kehle lechzte nach einem Schluck Met.

Luag kam mir entgegen.

»Eric«, rief er überrascht. Aber als er näher kam und in mein müdes Gesicht sah, hielt er mich am Arm.

»Nun brauchst du etwas zu Essen und etwas Ruhe. Ich komme mit dir. So wie ich vermute, hast du die ganze Nacht hier ausgeharrt und geholfen.« Er setzte sich an meinen Tisch und leistete mir Gesellschaft. Ich rief zu einer Frau zu, was sie bringen sollte. Ich löffelte die dickflüssige Suppe und schlang das Brot in mich.

»Du warst die ganze Nacht bei den Verwundeten. Habe ich recht?« Ich spülte mir den letzten Bissen mit Met herunter und nickte.

»Schlaf dich nun aus. Ich werde mich jetzt um unsere Patienten kümmern.«

»Schau dich nach einem Donnan um. Frage sonst Asny. Sie weiß, wo er liegt. Ein gewisser Fionnghall muss bei ihm sitzen und wacht an seiner Seite«, sagte ich zu Luag und sah ihn an und leerte meinen Becher Met. »Du hast recht. Mir fallen gleich die Augen zu. Ich muss mich hinlegen.«

Er sah mir nickend zu, als ich ihn mit dem Krug Met verließ. Als ich erwachte und aus meinem Zelt ins Freie trat, muss es später Nachmittag gewesen sein. Im Dorf und rund herum ging es zu wie in einem Ameisenhaufen. Außerhalb übten Krieger. Ihr Waffengeklirr war gut zu hören. Im Dorf war es etwas ruhiger. Auf direktem Weg begab ich mich zum Haus der Verwundeten. Als ich das Haus betrat, sah ich mich um. Es lagen nicht mehr so viele darin. Luag sah ich schnell. Er saß bei diesem Donnan. Ich ging zu ihm.

»Wie geht es ihm?«, fragte ich. Luag sah mich an.

»Das Fieber hat nachgelassen.« Mein Blick fiel auf die Schale, die er trinken sollte. Sie war noch immer gleich voll.

»Hat er nichts getrunken?«, wollte ich wissen.

»Doch, aber es wurde ihm Wasser gereicht. So fiel ich weiß. Warum fragst du?«

»Ich habe seinem Vater gesagt. Ach, vergiss es. Wo sind Asny und Fionnghall?« Luag sah sich um.

»Ich sehe beide nicht.« Ich nickte und zog die Decke von seinen Beinen und sah mir sie genau an. Luag sah mir gespannt zu. Zuerst tastete ich nach dem Bruch. Er gefiel mir. Auch der Schnitt, den ich ihm zugefügt hatte, war schon fast verheilt. Dann sah ich nach seinem anderen Unterschenkel. Der gefiel mir gar nicht. Ich öffnete erneut die Fäden und tropfte mein Blut in die wieder offene Wunde. Luag sah mich erstaunt an.

»Warum hast du das getan?«, fragte er mich. Ich zeigte auf die Muskeln.

»Wie sie liegen. Es gefällt mir nicht. Er soll ja später wieder normal gehen können.«

Donnan stöhnte, schlug seine Augen auf. Er fuhr sich mit seiner Zunge über seine trockenen Lippen.

»Wo bin ich?«, fragte er. Ich lachte ihn an.

»In guten Händen. Du hast überlebt, Donnan.«

»Ihr kennt meinen Namen, Herr?«, flüsterte er schwach.

»Du hast ihn mir gestern im Fieberrausch genannt.« Er versuchte aufzustehen, aber Luag drückte ihn auf sein Lager zurück.

»Donnan, ihr müsst euch noch Ruhe gönnen«, sagte Luag. Er entspannte sich und sank auf sein Lager zurück. Er sah zu uns.

»Ich habe geträumt«, flüsterte er.

»Was hast du gesehen?«, fragte Luag.

»Zwei blonde Frauen haben mich hochgehoben und wollten mich forttragen. Aber da erschien ein Riesen-Wolf und hielt mich fest und brachte mich zurück. Dann bin ich aufgewacht.«

»Das sind gute Träume. Schlaf nun. Es wird dir guttun«, sagte ich. Luag nickte nur. Als er wieder in seine Träume abtauchte, öffnete ich seinen Mund und ließ einige Tropfen Blut von mir in ihn hinein. Ich bemerkte Luags Blick.

»Was ist?«

»Weißt du, wer er ist?« Ich schüttelte verneinend den Kopf.

»Muss ich? Für mich ist er ein Verwunderter wie jeder andere hier.«

»Entschuldige, Eric. Ich muss dich anders fragen. Weißt du, wer sein Vater ist?«

»Er sagte, mir sein Name sei Fionnghall.« Luag winkte mich nach draußen.

»Eric! Fionnghall ist einer der mächtigsten Clanführer. Sein Land befindet sich neben unserem. Er und wir tragen die Hauptlast der Überfälle. Ich kenne ihn schon seit vielen Jahren. Er ist und war immer ein treuer und zuverlässiger Freund gewesen.« Ich verstand, was er damit sagen wollte.

»Er wird überleben. Aber wann und wie er in Zukunft laufen kann? Das liegt nicht in meinen Händen.« Luag sah mich an, aber er wusste, dass ich nichts mehr tun konnte. Dann ging ich wortlos ins Haus zurück. Es gingen mir viele Gedanken durch den Kopf, als ich mich neben Donnans Bett setzte. Wie würde sein Vater reagieren, wenn sein letzter Sohn sterben würde oder als Krüppel bis ans Ende seiner Tage gehen müsste. Behutsam legte ich meine Hand auf seine Stirn. Sein Fieber hatte sich gelegt. Ich wollte aufstehen, da schlug er seine Augen auf und sah mich an. Schwach fasste er meinen Arm.

»Ich danke dir, Nordmann«, kam es schwach über seine Lippe.

»Für dich bin ich ein Nordmann, aber mein Name lautet Eric Hallvardson, Donnan. Schlafe nun und erhole dich. Ich werde morgen wieder nach dir sehen.«

Ich verließ ihn und begab mich zu meinen Freunden. Die meisten waren damit beschäftigt, den Clans den Schildwall beizubringen, wie es auch Luag ihnen befohlen hatte. Ich beobachtete, wie Björn einigen zeigte, wie man zwischen den Schildern hervorstechen konnte und doch seinen eigenen Körper schützte. Einem, der immer den gleichen Fehler machte, und seinen Schild zu tief hielt, trat ich gegenüber. Hob einen Holzstock auf, der am Boden lag und sagte zu ihm: »Bleib im Wall stehen. Ich greife dich an.« Erneut sank sein Schild, sobald ich den Stock tief hielt. Aber es reichte ihm nicht, ihn zu heben. Schon spürte er den Stock am Hals.

»Wäre der Stock ein Schwert gewesen, wärst du nun tot und hättest eine Lücke in den Wall gebracht. Die unter Umständen nur noch schwer zu schließen gewesen wäre. Bedenke immer, du bist nicht alleine, sondern ein Teil des Ganzen. Nun gib mir deinen Schild und schaue zu.«

Missmutig übergab er mir seinen Schild und trat hinter mich. In der Nähe standen zwei, die sich darüber amüsierten. Ich pfiff ihnen zu. Als sie mich ansahen, rief ich ihnen zu: »Ihr zwei, greift mich an.« Sie stürmten auf mich ein, wie es ihre Kampfesart war. Dem Ersten schlug ich blitzschnell den Schild ins Gesicht und unter dem Schild, immer noch auf selber Höhe haltend, stach ich von unten zu und traf den Zweiten in den Bauch. Sofort zog ich den Schild zurück und überlappte ihn mit dem meines Nachbarn.

»Ist gut, ich danke euch«, sagte ich zu den beiden. Der Erste hielt seine blutige Nase und der Zweite kniete und hielt sich seinen Bauch.

»Siehst du, was ich meine.« Ich übergab ihm den Schild wieder. Er nickte und sagte etwas verlegen.

»Ich habe Angst um meine Beine. Darum ziehe ich den Schild immer runter.« Ich verstand, was er meinte, und nickte ihm nachdenklich zu. Er sprach das aus, was mir auch schon aufgefallen war. Dieses Problem und das meiner Standarte musste ich nach dem Krieg in die Hand nehmen. Verständnisvoll klopfte ich ihm auf die Schulter und sagte.

»Aber Beine kann man heilen. Wenn dich aber ein Speer oder Schwert an Hals oder Kopf trifft, wird es schwer dich zu heilen«, gab ich ihm als Antwort zurück. Er dankte mir, als ich ihn verließ.

Von hinten sprach mich Fionnghall an. »Du verstehst es, nicht nur zu heilen, sondern verstehst es auch, mit Waffen umzugehen. Was mich an eurem Volk nicht verwundert … wir kämpfen schon eine lange Zeit gegen euch. Und alle, auf die wir gestoßen sind, wussten perfekt mit ihren Waffen umzugehen. Sie kämpften immer geschlossen. Was liegt an diesem Zauber? Auch eure Waffen sind unseren häufig überlegen, wie du selbst demonstriert hast.«

Wir zogen uns etwas von den Übenden zurück.

»An was das liegt oder den Zauber, wie du es nennst, kann ich dir auch nicht genau erklären. Liegt es daran, dass unsere Länder nur einen kurzen Sommer kennen. Viel Schnee und eisige Temperaturen im Winter, nicht wie hier. Dass unsere Weiden zu wenig abgeben und viele euer Land als das gelobte Land sehen. Ein Land, für das es sich lohnt, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um eine neue Existenz aufzubauen. In den dunklen Nächten haben wir genug Zeit, das Eisen zu bearbeiten, um so das beste Resultat zu erreichen. Wir werden schon von Kindesbeinen an mit den Waffen vertraut gemacht und lernen sie einzusetzen. Das liegt vielleicht daran, dass die Gefahr besteht, von anderen überfallen zu werden. Die alles rauben, für das man den ganzen Sommer lang seinen Schweiß vergossen hat. Auch leben wir meistens in Großfamilien und kennen keinen König. Wir haben Anführer in größeren Gebieten. Wir nennen sie Jarls und haben auch das Recht, Männer zu rekrutieren und Recht zu sprechen. Sonst treffen wir uns zweimal im Jahr zu einem Thing. Wo alle freien Männer ihr Anliegen vorbringen und man darüber redet und abstimmt und entschieden wird.« Er hörte mir aufmerksam zu und ließ es auf sich einwirken.

»Was deinen Sohn Donnan angeht. Er wird überleben. Aber wie er laufen kann, steht außer meiner Macht. Vor allem bei seinem rechten Unterschenkel. Es könnte sein, dass wir zu spät auf ihn aufmerksam wurden, da er nichts von sich hören ließ und versuchte, die Schmerzen stumm zu erdulden. Er könnte später humpeln. Aber er wird leben, Fionnghall.«

»Ich weiß und glaube dir, ohne an dir zu zweifeln. Ich war dabei, als du bei ihm saßest, und habe es selbst an meinem Arm gesehen. Die Wunde ist schon fast verheilt und das nach wenigen Stunden. Auch was du für meinen Sohn getan hast …« Er schwieg und sah in die Ferne.

Dann sprach er weiter. »Wie es auch ausgehen wird. Ich werde es dir nie vergessen und nie nachtragend sein. Ich fand ihn auf dem Schlachtfeld und brachte ihn zurück. Auf der Pritsche, auf der er lag, fand ich einen, der sein Leben schon ausgehaucht hatte. Ich hob ihn weg und legte meinen Sohn darauf und hoffte dass er noch rechtzeitig gesehen und erkannt wurde. Als du kamst und dich ihm angenommen hast. Er ist mein letzter Sohn. Seinen Bruder verlor ich letztes Jahr.«

»Ist er im Krieg gefallen?«, fragte ich. Fionnghall nickte stumm und seine Gedanken schwanden zu seinem toten Sohn.

»Es tut mir leid.« Ich legte meine Hand auf seinen Arm. Er drehte seinen Kopf zu mir.

»Schon gut, Eric. Er starb ehrenvoll.«

»Ist er gegen Männer aus dem Norden gefallen?«, fragte ich.

»Es war wie jedes Mal. Die Angelsaxenherren verbünden sich mit euren Leuten. Aber sie schicken immer die Nordmänner, wie wir sie nennen, mit ihrem kompakten, harten Schildwall zuvorderst. Sie verrichten ihre Blutarbeit, während sie ihre Truppen schonen und erst losstürmen lassen, wenn alles schon entschieden ist.« Ich blickte ihn an und nickte.

»Jeder Schildwall kann durchbrochen werden. Aber dafür braucht es Disziplin. Keine wilde Rohheit. Ihr müsst uns vertrauen, auch wenn es euch schwerfällt. Wir können euch helfen und eure Männer für diese Aufgabe schulen. Dann wird unser Erfolg auf unserer Seite stehen.« Fionnghall sah mich eindringlich an. Er reichte mir zögernd seine Hand.

»Noch nie habe ich einem Nordmann meine Hand gereicht. Aber in dir und was du sagst, sehe ich etwas Besonderes. Eine Macht Leute zu begeistern und zu führen. Unter dir könnten wir tatsächlich gewinnen.«

Wir reichten uns die Hände. Drückten sie und bekräftigten es, indem wir unsere anderen Hände darüberlegten. Fionnghall nickte.

»So soll es geschehen.«

»Ich hoffe, ich werde euch nicht enttäuschen.«

Ich kehrte auf den Übungsplatz zurück. Wir schonten niemanden. Jeder von uns drillte sie erbarmungslos. Uns lief die Zeit davon, in diesen gemischten Verband von verschiedenen Clankriegern Ordnung zu schaffen. Sodass sie sich als eine Einheit sahen und nicht nur als Verbündete und nicht in Konkurrenz zu einander standen. Manch einer war froh, der Schinderei zu entgehen, als er die Wachposten ablösen musste.

Mir gefiel die Ruhe nicht. Es war nicht die Art der Dänen, nach einem so geringen Sieg nicht nachzusetzen. Sie waren eher darauf erpicht, den Feind schnell und effizient zu verfolgen und auszumerzen. Also musste der Befehl von den Herren der Angelsaxen kommen. Mir gefiel das alles überhaupt nicht. Nervös streifte ich durch das Lager und sah den Kriegern zu, wie sie übten. In mir brodelte es. Uns konnte es nur nützen.

Des Öfteren streifte ich mit Halfdan, Björn und Ailpein auf Erkundung durch die Gegend. Für die Ausbildung der Männer setzten wir Ole und Fionnghall ein. Sie übernahmen unsere Aufgabe. Auf unseren Erkundungen fand ich einen Ort, wo ich das feindliche Heer stellen wollte. Es war ein Platz, der aus verschiedenen Waldstücken bestand. Einige waren dicht. Andere weniger, sie waren mit Nadelbäumen bewachsen. Das Gelände leicht hügelig. Es floss ein kleiner, nicht tiefer Fluss hindurch. Er könnte den Vormarsch unserer Feinde bremsen. Die Wälder würden unseren Truppen, die ich als Reserve gedacht hatte, Deckung bieten. Zwischen den Wäldern bestand eine große Fläche Grasland, das sich zum Fluss hin, leicht absetzte.

»Hier könnte der Tanz stattfinden. Wäre gut, wenn wir sie hier stellen könnten«, meinte ich. Halfdan, der sich alles zweimal, dreimal überlegte und sich mehrmals umschaute und uns die Vorteile und Nachteile zu erklären versuchte, gab ich einen Stoß.

»Also, was hältst du davon?« Halfdan kratzte sich den Bart. Björn sah sich um und fragte Ailpein, der uns immer begleitete. Seit dem allersten Mal.

»Wie heißt dieser Fluss, Ailpein.« Er musste nicht lange überlegen.

»Wir nennen ihn die Weiße Ader.«

»Die Weiße Ader? Tönt gut. Gefällt mir.« Ailpein sah Björn an und musste lachen. Er stieß Ailpein und lachte auch. Halfdan sah beide unverständlich an und sagte zu mir.

»Könnte klappen, Eric. Der Platz ist nicht schlecht.«

»Dann lass uns hier alles auf dieser Tanzfläche vorbereiten«, antwortete ich.

»Ich frage mich nur noch dies? Wie willst du sie hierher locken?«

»Das lass meine Aufgabe sein, Halfdan.« Er sah mich mit seinen leuchtenden grünen Augen an.

»Was führst du im Schilde?« Björn sah mich an, dann fing er an zu lachen und sagte zu Halfdan.

»Lass es sein. Unser Eric hat schon lange eine Idee. Habe ich recht?« Ich gab ihm als Antwort einen Stoß.

»Da siehst du es, Halfdan. In ihm brodelt es schon.« Und schlug sich seine Hände vor Lachen auf seine Schenkel. Auf dem Rückweg flüsterte Björn mir zu.

»Was hast du wirklich vor?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Wir sehen, was uns Odin beschert.« Sein fragender Blick sagte alles.

Am Abend nach dem Essen saßen wir noch alle zusammen. Da traf ein Späher ein. Er eilte zu Luag. Etwas später wurden alle Führer zu einer Besprechung gerufen. Auch ich wurde aufgefordert zu kommen. Ich traf als Letzter ein. Alle saßen schon am Tisch. Stimmen waren zu hören, als ich eintrat. Stimmen, die nicht einverstanden waren, dass ich auch zu dieser Sitzung gerufen wurde. Sie trauten mir nicht, einem Nordmann. Luag erstickte ihre Stimmen mit lauten Worten.

»Schweigt.« Noch nie hatte ich ihn so laut und befehlend gehört. Ihn, den ich als aufmerksamen Zuhörer und leise sprechenden, weisen Mann kannte. Er sah uns alle Ernst und gespannt an. Dann eröffnete er sein Wort.

»Der Späher hat mir berichtet, dass drei Drachenschiffe in den Fluss Tweed eingebogen sind und nun ins Landesinnere rudern.« Er ließ seinen Blick über alle Anwesenden schwenken. Ich bemerkte, wie Fionnghall mich ansah. Dann stand er auf. Mit lauter Stimme rief er allen zu.

»Ich will, dass unser Nordmann Eric unsere Truppen führt.« Die anderen sahen ihn erstaunt an. Als sich ihr erster Schock über Fionnghalls Worte etwas gelegt hatte, wurden die Stimmen laut. Die meisten waren gegen mich. Einer hatte den Mut aufzustehen und Fionnghall persönlich anzureden.

»Warum willst du das? Hast du kein Vertrauen in dich und uns?« Sein Name war Searc, ein Clanführer auf der anderen Landesseite.

»Das meine ich nicht, Searc. Aber er hat mit unseren Stammesfehden und Konkurrenzkämpfen nichts zu tun. Er ist neutral und die meisten von euch und unsere Geschichte kennt er nicht. Außerdem kennt er die Kampftaktik seiner Landsleute. Darum schlage ich ihn vor. Eric soll zu unserem Anführer ernannt werden.«

Wieder wurden Stimmen laut. Heftige Diskussionen entstanden. Einige ergriffen das Wort und gaben ihre Meinung preis. Es bildeten sich langsam zwei Fronten: Die einen waren auf Fionnghalls Seite, während alle Clans, die auf der anderen Seite des Landes wohnten, eher auf Searcs Seite standen. Luag hörte den Anführern und ihren Meinungen eine Zeitlang zu. Dann stand er auf und hielt beide Arme in die Luft.

»Auch ich stimme Fionnghall zu. Ich glaube auch, Eric ist der Mann für diese Bestimmung. Seine Männer sollten als seine Adjutanten ernannt werden und alle unsere Männer ausbilden. Ihre Hilfe könnte uns den Sieg bringen.« Wieder schweifte sein Blick über alle. Es war erstaunlich ruhiger geworden. Luags Blick blieb bei mir haften. Dann sprach er laut und deutlich zu mir.

»Eric, wenn du gewillt bist, diese Aufgabe zu übernehmen und dich dazu bereit erklären würdest, wir wären dir dankbar.«

Ich bedankte mich bei Luag und Fionnghall für ihr Vertrauen und Unterstützung. Dann stand ich auf und sah alle eindringlich an und stellte dem Boten eine Frage.

»Wie sahen die Drachenboote aus? Waren sie schlank und lang oder eher bauchig und etwas kürzer?« Er überlegte etwas und meinte dann. »Drei Schiffe waren schlank und lang. Ein Schiff war dick und kürzer und lag tiefer im Wasser.«

»Habt ihr die Köpfe gezählt. Oder anders gefragt: Waren sie voll besetzt. Bis auf den letzten Platz?« Der Bote überlegte genau.

»Wir haben sie ehrlich gesagt nicht gezählt, Herr. Aber ich würde sagen, alle Schiffe waren sehr gut besetzt.« Ich dankte ihm und schenkte ihm einen neuen Becher Met ein. Nun wandte ich mich den Anführern zu.