Im Bann des Walknut: Wolfskrieger - Odins Auftrag - Rolf Suter - E-Book

Im Bann des Walknut: Wolfskrieger - Odins Auftrag E-Book

Rolf Suter

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Beschreibung

Ein junger Mann, ein Wikingersohn, wird von Odin auserkoren, auf Erden dessen Männern beizutreten, seinen Wolfskriegern, den Berserkern. Eric soll mit ihnen Odins Willen durchsetzen. Dafür erhält er eine Gabe, die nie ein Normalsterblicher erreichen kann. Die Wolfskrieger testen ihn und nehmen ihn in ihrer Gemeinschaft auf. Sie unterrichten und lehren ihn, seine neu erlangten Fähigkeiten zu nutzen. Zusammen reisen sie in Odins Namen an Orte, die er noch nie gesehen. Er kämpft in Odins Namen gegen die christlichen Kreuzträger und für Gerechtigkeit.

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Autor
Schiffsgemeinschaft – Lebensgemeinschaft
Einar und Njall
Jagd auf Era und den Elch
Einar und Veränderungen
Gestaltwandler und Rettung
Aug um Auge, Wolf um Wolf
Feste feiern, Abschiede und ein Rabe
Nachwort
Odins Auftrag
Glossar
Impressum

Im Bann des Walknut

 

Band 1

 

Wolfskrieger

 

von

Rolf Suter

 

 

ELVEA

 

Autor

Rolf Suter, geboren 1959 in Zürich/Schweiz, hat einen handwerklichen Beruf gewählt, den des Malers. Geschichte im Allgemeinen faszinierte ihn schon seit frühester Jugend, hauptsächlich die Geschichte der Germanenstämme und der Kelten – vor allem die der Nordgermanen, der Wikinger. Ihre Epoche, ihr Glauben und die Runen ziehen ihn noch jetzt in Bann.

Nach vielen Reisen nach Skandinavien und England, Besuchen an den Schauplätzen der Geschichte entstand dieses Werk. Suter kennt jeden der Orte, die er beschreibt, er ist Fachmann für die Mythologie der Wikinger. Alle nachprüfbaren Behauptungen seines Werks stimmen.

Schiffsgemeinschaft – Lebensgemeinschaft

Gestern Abend hatte es endlich aufgehört zu regnen. Die Sonne vertrieb die letzten schweren Regenwolken am Himmel. Für mich war es ein schlechter Sommer. Zu feucht, zu kalt. Von nun ab würde es nicht mehr viele sonnige Tage geben, an denen ich hier auf der Weide in der Wiese liegen konnte – es war Mitte Oktober. Zu allem Unheil drehte sich alles nur um meinen Bruder Ulf, der im nächsten Frühling das erste Mal aufs Schiff gehen würde. Handel treiben oder zu Raubzügen ansetzen, zu Vikings, darum ging es jetzt auch für Ulf.

Ich stand an der Klippe, mein Blick schweifte über die silbern glänzende See. Die frische Meeresbrise, die am Morgen an den Klippen emporstieg, sog ich genüsslich ein. Der Himmel war an diesem Spätmittag mit Seevögeln bedeckt. Sie kreischten, sangen und stritten sich um die Beute. Meine Gedanken flogen mit dem Gekreisch der Möwen davon. Ich genoss die Sonnenstrahlen des Herbstes, als mich Ragnars Rufe plötzlich aus der Träumerei riss. Ich drehte mich um, sah, dass er mich zu sich winkte und sprang über die Wiese. Er sah mich mit strengem Blick unter seinen Augenbrauen an.

Ragnar sprach selten laut, Ragnar raunte eher in seinen Bart. »Eric, du bist ein Träumer. Werde erwachsen! Du bist schon vierzehn oder soll ich dir und den anderen erzählen, wie du in die Geschichte eingehen wirst als der Große und Weise Eric, der Träumer?« Als er mein Gesicht sah, musste er lachen und fuhr mit seiner Hand durch meine blonden Haare, bis sie zerzaust in alle Richtungen standen. »Komm, lass uns das Vieh näher an die Siedlung treiben. Am besten auf die Anhöhe, wo die Bäume stehen. Dort können wir sie besser über Nacht einzäunen.« Er gab mir meinen Treiberstock zurück, den ich ihm vor meinem Ausflug ans Meer gegeben hatte.

Ich nahm den Stock und brachte wohlweislich ein paar Schritte zwischen uns: »Na, mach schon, Ragnar, schnell, schnell, sonst müssen wir noch hier draußen übernachten. Gib deinem bösen Bein die Sporen.« Ich liebte es zu spötteln.

Auf die Antwort musste ich nicht lange warten. Ich spürte förmlich, wie er den Stock hob, um mir einen Hieb zu versetzen. Aber ich war schon außer Reichweite. »Warte nur, du kleiner Hundfutt, das setzt noch eine Tracht Prügel, und wenn’s beim Abendessen ist.«

Die Tiere einzufangen, war heute zum Glück kein großes Problem; wir hatten sie schnell eingezäunt. Wobei ich immer genug Abstand zu Ragnar behielt, um nicht von einer seiner großen, schwieligen Pranken erwischt zu werden.

»Eric, hilf mir mit der Stange, schnell!«

Ein Schritt zu viel! Wie ein Blitz schnellte sein Arm nach vorn und packte mich am Wams. Ragnar zog mich näher an sich heran, und – als wäre ich ein Floh – hob er mich, bis meine Füße keinen Boden mehr spürten. »So, du kleiner Hundfutt, wie gefällt dir das?«

Ich strampelte wie ein Fisch am Haken und überlegte, wie ich mich entziehen konnte.

»Wie fühlst du dich? Wer hänselt nun wen?«

Ich kannte ihn seit meiner Geburt und wusste, dass er bei meinem Vater und bei meinem Großvater in hohen Ehren stand – und dass sein Blut schnell erhitzt. Niemand würde mir helfen oder gar Ragnar zur Rechenschaft ziehen, wenn er mir eine Tracht Prügel verabreichte. Mehr noch, ich musste damit rechnen, von meinem Vater abermals eine Abreibung zu bekommen.

Da fielen mir auf einmal die Worte meines Vaters ein: ›Du musst deinen Gegner überraschen, mit etwas, womit er nie rechnen würde.‹ Also riss ich meine Arme hoch, packte Ragnars Haare, zog sein Gesicht an meines und küsste ihn auf die Stirn. Total perplex schaute er mich an und ließ mich los. Lachend stand ich auf, baute mich vor ihm auf. »Eric Träumer bezwang in fairem Holmgang Ragnar den Klugen, seinen besten Freund.«

Seine eisblauen Augen musterten mich ernst. »Nun, Kleiner, was führst du im Schilde?«

»Nichts«, entgegnete ich und trat näher, wobei ich seinem Blick standhielt. »Ich wollte dich schon lange um etwas bitten.«

»Was? Was willst du von mir?« Seine Augen fixierten mich immer noch.

»Lass uns dort an der Krete sitzen, es plaudert sich besser. Aber pass auf die Wurzeln hinter dir auf. Nicht, dass du noch stolperst, so wie du mich anstarrst.«

Verunsichert über das, was ich sagte, kontrollierte er den Boden; bei einer Drehung wäre er tatsächlich gestolpert. Schnell trat ich an seine Seite, um ihn zu stützen.

»Keine Eile mehr und keine Witze mehr, versprochen?«, sagte ich und schaute ihn ernst an.

Wir spazierten zur Krete und ließen uns ins weiche Gras fallen. Es war wunderbar hier. Die Sicht – traumhaft. Man konnte meilenweit in den Fjord hinaussehen, rechts unten lag unsere Siedlung. Die letzten Sonnenstunden des Tages tauchten alles in Silber und Gold.

»Ich weiß nicht, Ragnar, ob ich diesen Flecken jemals verlassen könnte.«

Ich spürte seinen Blick. »Wieso, was meinst du?«

»Na, wie Ulf. Weil er uns bald verlässt!«

»Das ist doch normal.«

»Ulf ist stark und er soll sein Glück suchen. Die Welt ist groß und für einen Nordmann fette Beute.«

Ich entgegnete nichts. Wir saßen und genossen die Ruhe. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, als mich Ragnar in die Seite stieß. »Eric, was willst du von mir? Bedrückt dich was? Wie kann ich dir helfen.«

Ich wusste gar nicht, wie ich anfangen sollte. Ich sah ihn an und fing einfach an zu reden. »Ich weiß, dass du ein großer Krieger warst und sicher noch bist. Ich weiß auch, dass du weise bist und du die Zeichen ritzen kannst, sie lesen und wieder aussprechen. Du weißt, was ich meine, ich glaube, man nennt sie Runen. Bitte, lehre sie mich! Ich bin von ihnen fasziniert und kann mich ihrer Magie nicht entziehen! Vielleicht ist der Winter hart genug, und es bleibt noch Zeit, um zu zeigen, wie man die kleinen Äxte wirft.«

Er sagte nichts, sein Blick ruhte auf mir. Ich verstummte und nach gefühlten tausend Jahren gab er mir eine Kopfnuss.

»Lass uns gehen, Eric, das Abendessen wartet.« Ragnar stand mühsam auf und machte zwei Schritte. Ich stellte mich neben ihn und hielt ihn am Arm.

»Glaube mir, ich wollte dich nicht erzürnen. Es tut mir leid, dass ich dich gefragt habe. Es war dumm von mir.«

Er sah mich an und nickte stumm.

Ebenso stumm machten wir uns auf den Heimweg. Hinter mir hörte ich nur Ragnars Schnauben und Keuchen. Man spürte, dass ihm sein Bein wirklich Probleme machte, was er aber nie zugeben würde.

Hallvard, mein Vater erwartete uns schon. Er stand vor dem Eingang zum Haupthaus. »Hab schon geglaubt, ich müsste euch suchen.«

Ich begrüßte meinen Vater und steuerte auf den Brunnen zu, um mich zu waschen, während Ragnar etwas brummte und direkt im Haus verschwand.

»Was ist mit ihm los?«, fragte mich mein Vater. »Hast du ihn wieder gehänselt?«

»Nein«, entgegnete ich und ging auch schnell ins Haus.

Alle saßen an ihrem Platz und warteten, bis die Frauen das Essen auftischten. Es roch nach Eintopf und frischem Brot. Als die Schalen gefüllt und verteilt waren, langten alle zu und es wurde langsam ruhig. Man plauderte übers Tagesgeschäft, lachte und zog einander auf. Nur Ragnar saß stumm auf der Bank, selbst die Neckerei seiner Frau Astrid munterte ihn nicht groß auf.

Mein Vater beobachtete Ragnar schon lange. Ich spürte förmlich seinen fragenden Blick. Ich bemerkte, wie er abwechslungsweise Ragnar und mich beobachtete, ließ mir aber nichts anmerken, sondern flachste mit meinem Bruder Ulf weiter, das heißt, ich ertrug seine Faxen.

Als alle satt waren und das Essen abgeräumt war, gingen die Frauen an die Webstühle. Die Männer nahmen ihre Lederarbeiten in Angriff oder begannen mit dem Brettspiel. Ich sah, wie mein Vater durch Kopf-Bewegungen Snorre und Orm, Vaters Bruder, zu Ragnar lotste; die Zeichen waren unmissverständlich.

Etwas später kam auch Ronet, mein Großvater, mit einem Eimer Met dazu. Sie steckten die Köpfe zusammen, aber ich konnte weder etwas hören noch die Stimmung lesen. Manchmal wurden die Stimmen lauter, man fuchtelte mit den Armen, aber nie traf mich ein Blick. Ronet schenkte ihnen neu ein – und ich hielt es nicht mehr aus. Ich konnte mich sowieso nicht aufs Brettspiel konzentrieren; Ulf hatte mich schon mehrmals geschlagen.

Ich stand auf und ging zu ihnen. »Ich möchte mich entschuldigen, dass ich Unfrieden gestiftet und Ragnar erzürnt und beleidigt habe. Es tut mir leid, wirklich.«

Ruckartig drehte sich mein Vater um und herrschte mich an. »Geh ins Bett, ich will dich heute nicht mehr sehen. Wir sprechen uns morgen!«

Ich fand weder Ruhe noch Schlaf. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich drehte mich von Seite zu Seite, doch es half alles nichts.

Das Licht war noch recht fahl, als ich mich morgens aus dem Haus schlich. Ich atmete die kühle Luft ein. Steckte ein Stück Brot und Käse aus dem Vorratsraum in meinen Beutel und machte mich auf den Weg. Zielstrebig erklomm ich den Hügel. Oben löste ich die Stangen, die das Vieh über Nacht gefangen hielten und trieb es auf die Weide. Ich setzte mich auf die Krete, an der ich gestern mit Ragnar gesessen hatte, öffnete den Beutel und brach ein Stück Brot und Käse ab. Ich sah mich nach dem Vieh um, das sich langsam auf der Weide ausbreitete und das saftige Gras zu fressen begann.

So wie es mir Ragnar einmal erzählt hatte, war die Weide entstanden, als unsere Vorfahren hier die Bäume gefällt hatten, die sie für den Bau unserer Häuser brauchten. Nun führte ein breiter Pfad in zwei Kurven hinauf. Hinter der Weide erstreckte sich der dichte Wald. Ging man an der Krete an unserem Dorf und der Küste entlang und durch den Wald, kam man auf der anderen Seite zu unseren Nachbarn, den Björnsons. Ich kannte sie nicht, aber alle sagten, es sei eine komische Familie und wir unterhielten keinen Kontakt zu ihnen. Nicht wie zu denen auf der anderen Seite des Fjords, den Haraldsons, die wir manchmal besuchten oder sie uns. Schlug man den Weg über die Weide ein, war der Wald ohne Ende, wie mir schien. Es floss ein Bach hindurch, aber wo er endete, wusste ich nicht.

Während ich aß, schweifte mein Blick zurück und wanderte über unsere Siedlung, die noch verschlafen unter mir lag. Feine Rauchfahnen stiegen aus dem Rauchabzug im Dach.

Es war ein ruhiger Anblick. Auch das Meer zeigte sich in gelassener Stimmung. Sanft schlugen die Wellen auf den Kiesstrand und umspülten die Klippen, im Sommer ein Nistplatz der Seevögel. Der Strand war höchstens fünfzig Meter breit und stieg schnell an. Oben stand eine Mauer aus Steinen, die vom Klippenbruch stammten und mit Erdreich und Grassoden bedeckt waren. Die Mauer hatte uns schon bei manchen Herbst- und Winterstürmen vor Überflutungen gerettet. In der Mitte der Bucht stand ein Felsen, oben flach. Er diente als Anlagestelle, zum Beladen und Entladen der Schiffe. Zwei Langschiffe hatten Platz, ohne sich zu behindern. Über eine Treppe kam man rechts zum Lagerhaus, links stand das Haus der Freien, wo Siglinde, Ara, Wulf und Erald leben.

Lief man weiter auf dem Bohlenweg, erreichte man den Dorfplatz. Rechts das Haupthaus, in dem meine Eltern Hallvard und Signy und mein Großeltern Ronet und Ingiborg sowie Ulf und ich lebten. Hinter dem Haus lagen der Stall und die kleine Weide, die im Spätherbst und Frühling genutzt wurde. Links standen die Häuser von Orm, Vaters Bruder, und seiner Frau Siegried, deren Sohn Stieg und Tochter Sif. Daneben lebte Ketil, unser Schmied, mit seiner Frau Ruda. Das letzte Haus, das wieder an der Küste stand, diente als unser Bootshaus, das im hinteren Teil von Snorre, dem Bootsbauer und Steuermann, mit seiner Frau Luna, seiner Tochter Ira und seinem Sohn Harald bewohnt wurde.

Alle Häuser waren zur See ausgerichtet und gegen die Klippen abgeflacht, außerdem waren die Dächer mit Gras bewachsen. So hatte der Wind nie eine Angriffsfläche; es herrschte zudem ein gutes Raumklima. Im Sommer war es herrlich kühl und im Winter kühlte es nie richtig ab. Und wenn alle Feuer brannten, wurde es zudem mollig warm.

Die Häuser bestanden weniger aus Holz, sondern aus Steinen, die Fugen mit Lehm beschichtet oder bis zum Dach mit Grassoden bedeckt. Das Bootshaus war das einzige, das ausschließlich aus Holz bestand. Hier gab es auch Fenster, die mehr Licht und Frischluft brachten. Bei schlechtem Wetter oder im Winter konnte man sie verschließen und mit Stroh abdichten.

Die wenigen Holzwände waren alle wirklich ein Kunstwerk, nein, einige von Ragnars Meisterwerken. Türpfosten und Fenstereinfassungen hatte er mit Schnitzereien reichlich verziert: Drachenkörper, in sich verschlungen und von Runen umgarnt. Die Enden des gekreuzten Dachsparrens zierten fauchende Drachenköpfe in unterschiedlichen Formen.

Als ich mit meinem Essen fertig war, stand ich auf und wollte mich abwenden. Doch ein Gefühl ließ mich nochmals zurückblicken, und ich sah meinen Vater, der den Weg zu mir einschlug. Schnell marschierte ich zur Herde, denn ich wollte nicht, dass er mich eventuell beim Sinnieren ertappte.

Kurze Zeit später hatte er die Weide erreicht und hielt nach mir Ausschau. »Eric, wo bist du?«

Ich trat aus der Herde. »Hier Vater.«

Er winkte mich zu sich. Beklommenheit überkam mich, doch ich rannte so schnell ich konnte zu ihm.

»Sie sind gut in Schuss«, sagte er. »Das Gras hier oben tut dem Vieh gut.«

»Ja, Vater, sie sind prächtig.« Ich wollte ausholen, aber er unterbrach mich.

»Ich weiß von Ragnar, dass dir die Tiere am Herzen liegen. Aber ich wollte über etwas anderes mit dir reden. Lass uns an deinem Lieblingsplatz sitzen und etwas essen und trinken, wie Männer.«

»Wenn du willst Vater, kann ich dir aus meinem Beutel etwas anbieten. Ich habe etwas zum Essen aus der Vorratskammer mitgenommen.«

Er brummte etwas in seinen Bart und fing an zu schmunzeln. »Ragnar und ich saßen die halbe Nacht zusammen und haben über dich beraten. Es fiel mir schwer, für dich das Beste zu finden. Ich will dir nun meine Entscheidung sagen. Du wirst aus dem Haupthaus ziehen, heute noch, und bei Astrid und Ragnar wohnen. Es ist alles vorbereitet und bestimmt. Sie werden dich die Runen lehren, wie man sie einsetzen kann, für Heilung und was weiß ich. Ab heute sind Astrid und Ragnar deine Zieheltern. Ich hätte gewollt, dass du einen anderen Weg gewählt hättest, etwa wie Ulf als Händler und Krieger die Welt zu erobern. Doch du hast dich anders entschieden. Du trittst nun Ragnars Erbe an, wenn du in anderen Ländern kämpfst. Sie werden dir mit Furcht, Abscheu, vielleicht auch Hass begegnen. Doch trittst du in ihren Schildwall, werden sie jubeln. Ihre Wunden wirst du nach der Schlacht pflegen und heilen, eventuell werden einige Freunde dich auch lieben. Es ist ein einsamer Weg als Wolfskrieger. Astrid und Ragnar werden nun über dich wachen, loben und bestrafen. Glaub mir, sie lieben dich und setzen alles dran, dich auszubilden. Mach mir und deiner Mutter keine Schande.«

Ich stand auf, beugte mein rechtes Bein, bis es den Boden berührte, und senkte den Kopf. »Ich werde euch nicht enttäuschen.«

Er legte seine Hand auf meinen Kopf. »Das weiß ich, du bist auch mein Sohn. Ab heute bist du von allen Pflichten entbunden. Sif und Erald, der Freie, werden die Arbeit für dich hier übernehmen. Das Einzige, wovon du nicht befreit bist, ist das tägliche Waffentraining, darauf bestehe ich. Bist du mit meinem Urteil zufrieden, Junge?«

Ich brachte meinen Mund kaum zu vor Staunen. Das Einzige, was ich entgegnen konnte, war »Aij, Vater.«

Er nestelte in seinem Beutel, zog zwei Trinkhörner sowie einen Krug Met heraus, und noch während er einschenkte, sagte er: »Nun lass uns endlich trinken. Mein Mund ist schon ganz trocken vom lauter Reden. Skol!« Er leerte sein Horn in einem Zug. »Lass uns das Horn noch genießen wie die Aussicht hier. Es ist wahrlich ein schöner Platz hier, sollte vielleicht mal mit deiner Mutter an einem schönen Herbstabend hier sitzen und …« Er lachte schallend und gab mir dabei einen Stoß in die Seite. »Komm, trink aus, es ist ein schöner Tag und uns erwartet noch viel Arbeit. Vor allem für dich.«

Ich hatte das Gefühl, als fiele ein großer Stein von seinem Herzen, nun alles geklärt zu haben. Ich hatte meinen Vater schon lange nicht mehr so fröhlich und ausgelassen gesehen.

Als wir wieder im Dorf waren, erwarteten uns meine Mutter und Astrid, die einen Korb im Arm hielt. »Komm Eric, wir müssen los, deine Kleider kannst du auch noch später holen.«

Mutter schmunzelte und ging ins Haus zurück, während mein Vater staunend nachschaute, als wir an ihm vorbeigingen.

»Wohin wollen wir?«, fragte ich, »Und wieso so eilig?«

»Der Tag ist noch jung und die Beeren und Kräuter sind noch frisch.«

Ich blieb sprachlos stehen. »Beeren und Kräuter?«

Astrid, die schon einen Abstand zwischen uns gebracht hatte, drehte sich im Laufen um. »Bäume, Kräuter und Beeren, alles ist mit den Runen eins. Wir fangen von unten an. Wir wollen, dass du verstehst, wie alles eine Einheit bildet. Heute will ich dir die Natur näherbringen und morgen wird Ragnar mit den Runen fortfahren. Du wirst sehen, wenn du das Rätsel gelöst hast … das Drachenschnitzen, die Runen zu malen und zu heilen, das wird alles immer leichter.«

Von dem Zeitpunkt an kam alles wie ein Wintersturm über mich. Astrid erklärte mir die Pflanzen, sie lehrte mich, Salben herzustellen, Heiltrünke anzusetzen. Ragnar brachte mir bei, die Runen zu verstehen. Er zeigte mir, wie man sie rief und schrieb, bei uns, bei den Dänen und auch bei den Engländern. Ich musste sie auf Hölzern ritzen und jede dabei anrufen. Er erklärte mir, dass unser Alphabet Futhark hieß und warum. Dass der Name des Alphabets aus den ersten acht Runen bestünde. Dass es drei Aetts gab, das erste gehört Freyr, das zweite Odin und das letzte Thir. Er sang mir Odins Runenlied vor, das davon erzählt, wie er sie erhielt.

Mit dem ersten Aett begannen wir, und ich musste sie alle immer wieder rufen und ritzen, der Reihe nach. Astrid saß häufig bei uns und erklärte mir die passenden Bäume und Heilkräuter dazu. Fehu, die Erle und Nessel. Uruz, Birke und Sumpfmoos. Thurisatz, Eiche und Gartenlauch. Ansuz, Esche und Fliegenpilz. Raidho, Holunder und Beifuß und so weiter, bis das erste Aett beendet war – und dann wieder alles von vorn. Bis beide zufrieden waren. Dann das zweite und das letzte.

Bei all dieser geistigen Anstrengung kam mir das abendliche Waffentraining immer gelegen. Es gab Abwechslung und Zeit für mich, den Tag zu vertiefen. Und dennoch brachte es mir öfter blaue Flecken und Prellungen.

»Eric, träume nicht, sonst bist du schneller tot als mit einer Frau im Bett!«, schrie er dann meistens.

Immer wieder hielten wir die Schilde zusammen, während mein Vater, Orm und Ulf anrannten. Wobei es mehr darum ging, Ulf darin zu schulen, wie man einen Schildwall knackt. Meistens hatte ich Ragnar oder meinen Großvater an meiner Seite. Sie zeigten mir, wie man Stiche und Schläge von unten und oben abwehren oder blockieren konnte.

Langsam spürte ich, wie in mir eine Veränderung stattfand. Alles, was ich früher als Zwang empfand, fing an, mir Freude zu bereiten. Ich begann zu denken – und zu handeln, zu denken, bevor ich handelte. Bei einem der Anstürme zog ich meine Holzaxt aus dem Gürtel und warf sie direkt auf Ulf. Sie flog durch die Luft und traf ihn oberhalb der Augenbraue, die sofort aufplatzte. Blut lief in sein Auge und über seine Wange. Er strauchelte und ließ seine Deckung sinken, ich sah Ronets Holzschwert. Es traf Ulf am Hals.

»Du bist tot, Ulf!«, hörte ich Ragnar rufen, während Ronet mir zu meinem Wurf gratulierte.

»Sehr gut, Eric!« Das war mein Vater. »Wäre es ein Ernstfall, hätte es uns einen Mann gekostet und Probleme in unserem Schildwall gebracht. Darum üben wir, um so etwas zu verhindern.« Mein Vater drehte sich zu Ulf. »Wenn du den Schild so gehalten hättest …«

Ulf taumelte jedoch und musste sich setzen.

»Was hast du, Ulf?«, fragte mein Vater.

»Ich bin verletzt, ich blute und was ist mit meinem Gesicht?«

Vater zog Ulf zu sich hoch. »Zeig mal, Junge.« Er schaute sich die Wunde an. »Na ja, Ulf, nicht besonders geeignet, um Mädchen zu imponieren, aber warte, lass mich genau sehen.«

Er zog sein kleines Messer aus seinem Umhang und setzte es am Ende der Platzwunde an. Mit einem Ruck zog er die Klinge bis zur Mitte der Stirn.

Ulf schrie. Er schrie laut vor Schmerz. »Vater was hast du gemacht?«

»So, Ulf, nun sieht deine Wunde besser aus. Gefällt mir, wirklich. Nun kannst du Geschichten erfinden, wie du sie erhalten hast. Geh zu Astrid und lass die Wunde verbinden und pflegen.«

Vater schaute Ulf nach. Als der außer Hörweite war, fingen alle um mich herum an zu lachen. Ich schaute sie verständnislos und mit offenem Mund an.

»Warum hast du das gemacht Vater?«

Er lachte immer noch und winkte mit der Hand ab. Er kam auf mich zu, umarmte mich und meinte: »Ehre und Anerkennung erhältst du nur, wenn du Taten oder Narben vorweisen kannst.«

Und jeder stimmte ihm johlend zu.

Beim Abendessen saßen wieder alle am großen Tisch im Haupthaus zusammen; die Stimmung war ausgelassen. Es wurde gelacht, getrunken und wir trieben Späße. Ulf saß neben mir, wie immer. Seine Wunde war frisch genäht und mit einem Kräuterverband versorgt.

Mein Vater Hallvard stand auf und prostete meinem Bruder zu. »Ulf, du siehst gut aus. Lach wieder und trink.«

Ulf erwiderte jedoch »Ich habe noch Kopfschmerzen, Vater, es fällt mir schwer.«

»Aij, du wirst in deinem Leben noch viele Schmerzen erfahren, körperlich, wie seelisch und …«

Meine Mutter klopfte auf den Tisch, um das Ende des Gesprächs zu signalisieren.

»Signy, lass, es ist gut so, Ulf wird es erfahren. Manchmal laufen die Geschäfte gut und manchmal nur mit dem Schwert. Er wird Sklaven kaufen und wieder an jemanden verkaufen. Männer und Frauen töten, um ihr Hab zu stehlen. Alle von uns kennen das und haben Blut an den Händen, das wir nicht mehr abwaschen können. Dieses Gold ermöglicht unser kleines Paradies hier.« Großvater, Orm, Ragnar, Ketil und auch Snorre standen auf.

»Aij, Hallvard, auf Odin, Thor, Thir, Uller und dich. Auf deine Worte und auf unser Paradies hier. Skol.«

Mutter fuchtelte mit den Händen und prustete, stand danach wortlos auf und verließ uns. Doch sie wusste, mein Vater hatte recht. Würden hier keine wehrhaften Männer leben, könnte sie sicher sein, ein anderes Schicksal zu erleben: Das Vieh gestohlen, die Frauen geschändet und verschleppt oder getötet und das Dorf niedergebrannt. Darum unterstützte sie Hallvards Bemühungen, dass auch die Frauen ihren Beitrag zur Wehrhaftigkeit des Dorfs leisteten. Nicht mit Schwert und Schild, aber jeder wusste eine Sax zu gebrauchen und wirkungsvoll einzusetzen. Und mit Ketils Hilfe mit Pfeil und Bogen umzugehen und treffsicher zu schießen.

Die Tage vergingen wie im Flug. Die Sonne zeigte sich immer weniger und die Temperatur sank schnell. Der Winter und seine Ruhe standen vor der Tür. Das Vieh war schon im Stall untergebracht, unsere Schiffe im Bootshaus, was Snorre wieder zu Arbeit verhalf.

Als ich eines Morgens aus dem Haus trat, waren sie da, die ersten Schneeflocken. Der kalte Wind blies mir ins Gesicht und die Wolken zogen tief über mich hinweg. Ich genoss es zuzuschauen, wie die Flocken alles langsam zudeckten. Bald würde unser Dorf aussehen wie in Watte verpackt. Die Kinder würden Schneekugeln kneten, um uns damit zu bewerfen.

Ich ging zu Ketils Schmiede, wo ich ihn beim Feuermachen sah.

Ich schaute ihn an und fing an zu schmunzeln. »Du brauchst nichts zu sagen, genug Met gestern!« Wir grinsten.

»Was kann ich für dich tun, mein Junge?«

»Die Wintersonnenwende kommt bald und im Frühling verlässt uns Ulf.«

»Ja, das stimmt.«

»Ich habe einen Gedanken, der mich nicht mehr loslässt. Zum Fest möchte ich ihm eine Sax schenken. Aber ich brauche deine Hilfe.«

»Aij, aber lass uns das drinnen besprechen.«

Wir traten ins Haus und setzten uns an den Tisch.

»Also lass hören, Eric.«

»Ich würde mich freuen, wenn du die Klinge schmieden würdest und mir einen Walrosszahn geben könntest, den ich für den Griff benötige. Die Schnitzereien mach ich.« Seine Frau Ruda brachte Schalen mit Brei zum Frühstück und setzte sich zu uns.

»Mhhh«, brummte er. »Kann ich machen und den Walrosszahn kann ich dir auch geben. Aber was gibst du mir? Du hast weder Silber noch Gold.«

»Das stimmt, ich bin auch noch nie auf Fahrt gewesen, aber wenn ich deinen Tisch so sehe …« Ich fuhr mit der Hand darüber. »Ein paar schöne Drachenköpfe an den Enden hier und Runen in der Mitte würden ihn schon verschönern.«

Ruda legte ihre Hand auf Ketils Arm. Sie sahen sich an, Ruda nickte und Ketil meinte: »Gut, wir sind im Geschäft.«

Nach dem Essen löste er beide Endbretter des Tisches und übergab sie mir. Den Stoßzahn steckte er mir in den Hosenbund und öffnete die Tür. »Na Eric, ich glaube, wir beide haben genug Arbeit.«

»Aij, Ketil«, sagte ich und machte mich auf den Weg zurück zu Astrid und Ragnar.

Beide sahen mich erstaunt an. »Was hast du denn vor?«

»Ich erzähl euch das gleich, lasst mich zuerst ablegen.« Ich brachte Bretter und Stoßzahn in unseren Arbeitsraum. Dann kehrte ich zu den beiden zurück und setzte mich ihnen gegenüber. »Ich komme von Ketil,« begann ich und erzählte ihnen alles.

»Aha«, meinte Ragnar und Astrid kratzte sich am Kopf. »Große Aufgabe, die du dir auferlegt hast, und du sitzt noch hier?«

»Du hast recht«, antwortete ich. Ich stand auf, holte Kohlestift und Haut und verschwand im Arbeitsraum. Ich hing meinen Gedanken nach und zeichnete, doch nichts gelang. Wusch es wieder ab und begann von Neuem. Ich hatte Ragnar gar nicht bemerkt, der mir gegenübersaß und an seinem Pfeiler schnitzte.

»Läuft’s nicht, Eric?«

Ich nickte.

»Du bist nicht bereit, du musst dich erden.«

Ich schaute ihn an.

»Zieh deine Stiefel aus und geh nach draußen und kralle deine Zehen in den Schnee. Dabei rufe Uruz und wenn du sie spürst, nimm einen Becher Wasser und zeichne Uruz mit dem Finger auf der Wasseroberfläche. Schmeckt das Wasser nach Eisen, bist du auf dem richtigen Weg.«

Ich tat, was er sagte – und wieder einmal hatte er recht. Die Kraft durchströmte mich, und die Drachen fingen an, sich zu verschlingen. Als ich mit dem Entwurf fertig war, rief ich Astrid und Ragnar. »Was meint ihr dazu?«

Sie sahen alles kritisch an, nach einer mir endlos erschienenen Zeit kam die Antwort von Ragnar: »Sehr schön, Junge, und was willst du schreiben?«

»Ich habe gedacht Dieser Familie viel Glück.«

»Aij, gut gewählt.«

Als ich mit meinem Entwurf fertig war, eilte ich mit einer Holzlatte unter dem Arm durchs Schneegestöber zu Ketils Schmiede. »Wie gefällt es dir?«

Er schaute es sich genau an. »Wenn du das hinbekommst … ich schwöre dir, Ulf wird sein ganzes Leben Freude an deiner Sax haben.«

Ich nickte und ging zurück.

Als ich eintrat, fragte Ragnar: »Was meint er?«

»Ketil ist zufrieden und hat mir …«

Ragnar unterbrach mich. »Los nun, es ist keine Zeit mehr zu verlieren.« Er legte die Latte auf den Tisch und holte aus einer Truhe ein Bündel, das er behutsam aufwickelte. Darin lagen sie, sie sahen aus wie Meißel, aber in verschiedenen Breiten und Rundungen, schmale und breite. »Das sind meine Schnitzmesser.« Er setzte sich neben mich. »Lass dir zeigen, wie man schnitzt. Immer behutsam, nicht drauflos, sonst ist es auf einmal zu viel und dein Werk ist zerstört. Am besten, du fängst bei den Runen an, während ich am Ende mit den Drachen beginne.«

»Du hilfst mir?«

»Du hast nicht im Ernst gedacht, dass du das alleine fertigbringst, oder doch?«

Ich fing an zu lachen und klatschte in die Hände. »Ich danke dir von ganzem Herzen, Ragnar, was würde ich nur ohne dich tun?«

»Das glaube ich dir gerne, dummer Bengel, und gib dir Mühe.« Er brummte mit sich selbst und kontrollierte und korrigierte mich pausenlos.

Ich bemerkte Astrid, wie sie in die Werkstatt blickte, kurze Zeit später setzte sie sich neben Ragnar.

»Ich kannte vor vielen Jahren einen schönen, jungen Mann, der mein Herz im Sturm erobert hat und ich ihn ohne zu zögern geheiratet habe. Eric erinnert mich an dich.«

Als Ragnar aufbegehren wollte, umarmte sie ihn und sagte leise in sein Ohr: »Lass es gut sein, er ist ein guter Junge und will nur das Beste erzielen.«

Ragnar rappelte sich auf: »Ich brauche frische Luft, ich geh zu Snorre, muss ihn sowieso etwas fragen.«

»Nimm’s nicht schwer, sein Bein. Der frühe Wintereinbruch tut ihm nicht gut, er hat ziemlich Schmerzen. Das macht ihn ein bisschen brummig«, sagte Astrid.

Ich nickte und sie klopfte mir auf die Schultern, als sie mich verließ.

Zwei Wochen später war das Werk fertig. Ragnar und ich saßen nebeneinander und schauten unsere Arbeit an.

»Was meinst du dazu, Eric?«

Ich kratzte mich am Kinn und sagte. »Ich für meinen Teil finde, es sieht wunderschön aus, aber ohne deine Hilfe hätte ich es nie geschafft.«

Ragnar schmunzelte: »Nun, Junge, du bist wieder einen Schritt weitergekommen und hast recht. Es sind schöne Bretter und sie werden Ketils Haus reichlich schmücken. Komm, lass sie uns ihm überreichen.«

Wir waren kaum drei Schritte aus dem Haus getreten, als Ragnar an einer Schneeverwehung strauchelte und hinfiel. Ich erschrak fast zu Tode und half ihm auf. Er stöhnte vor Schmerzen und fluchte wild. Ich rief nach Astrid, die mir half, Ragnar reinzubringen. Wir setzten ihn hin und hoben sein Bein auf einen Schemel. Sie zog seine Hose aus und meine Augen fielen mir fast aus dem Kopf. Ich sah zum ersten Mal seine Verletzung. Die Narbe, breit ausgefranst und richtig schwulstig, war entsetzlich anzusehen. Sie zog sich von der Mitte seines Oberschenkels über das Knie bis hinab zum Unterschenkel.

»Danke Eric, du kannst mir nicht mehr helfen, nun bring Ketil dein Werk.«

Also ging ich alleine. Kurze Zeit später stand ich vor den etwas aufgeregten Ketil und Ruda. Sie schauten mir zu, wie ich die Bretter behutsam einsetzte.

»Ohhh, schön«, rief Ruda und auch Ketil schien sich zu freuen.

»Sehr gut gemacht, Eric, du bist ja zu etwas nutze.« Ketil nahm Ruda in den Arm.

»Wie gefällt es dir?«

»Wunderbar.«

»Also, dann halte ich auch mein Versprechen und fange morgen mit der Klinge an.«

Am nächsten Tag ging ich früh aus dem Haus und machte meine Übungen. Stellte mich in Richtung des Sonnenaufgangs und rief die Runen. Als ich mit den ersten acht Runen ein ungutes Gefühl verspürte, drehte ich mich ohne Hektik um. Da stand tatsächlich unweit von mir entfernt ein Wolf – und keine zwanzig Schritte weiter ein zweiter. Ich beobachtete sie, aber ich erkannte keine Aggression in ihnen. Ich hatte eher das Gefühl, sie beobachteten mich. Also wandte ich mich wieder langsam der Sonne zu und machte ruhig weiter, als wäre nichts geschehen, obwohl ich zitterte wie Espenlaub. Innerlich.

Als ich mit allen Runen fertig war, machte ich mich auf den Weg zurück und drehte mich öfter um. Doch ich konnte keinen der Wölfe mehr sehen. Als Erstes ging ich zu Ketil und erzählte ihm von der Begegnung. Er hatte das beste Wissen über Spuren.

»Du wirst lachen, Eric, aber vor zwei Tagen, als ich auf der Jagd war, habe ich Wolfspuren in unserer Nähe gesehen und mich gewundert … so früh in diesem Winter. Lass uns auf der Hut sein.«

»Aij«, sagte ich und ging zurück zu meinen Zieheltern.

Es roch herrlich in meinem neuen Zuhause. »Astrid, ich habe Hunger. Ohhh, wie gut es hier riecht. Essen wir hier?«

»Entschuldigung, meine Unüberlegtheit, ja, es ist sicher besser.«

Ragnar saß am Tisch, sein Bein hochgelagert und mit Fell umwickelt. »Komm, Eric, setzt dich und schöpf dir Suppe.«

Sie war wunderbar, kräftig mit Fleischstücken und gut gewürzt. Wir genossen das Essen und dabei erzählte ich den beiden mein sonderbares Zusammentreffen mit den Wölfen. Ich bemerkte, dass nur noch ich aß und schaute auf. Beide sahen sich wortlos an.

»Was habt ihr?« Doch ich bekam keine Antwort. »Was ist los, was habt ihr?«

Ragnar ließ den Löffel sinken. »Wie sahen sie aus? Eric, es wäre gut, das zu wissen.«

»Das kann ich dir nicht sagen. Ich habe doch noch nie einen Wolf gesehen. Wusste nicht mal, ob ich vor Schreck in die Hosen scheißen sollte.«

»Eric, bitte, denk genau nach!«

Ich überlegte und ließ alles noch einmal ablaufen vor meinem geistigen Auge. »Der Wolf, der mir am nächsten kam … er hatte einen weißen Streifen zwischen den Augen und der andere, ich weiß es nicht, keine Ahnung, eventuell braun?«

»Haben sie dich angeknurrt oder wollten sie angreifen?«

»Nein, ganz und gar nicht, das heißt, ich hatte nicht das Gefühl. Es kam mir vor, als würden sie mich nur beobachten.«

Er nickte und fragte weiter: »Wie groß waren sie?«

»Tut mir leid, auch das kann ich dir nicht sagen. Aber mein Gefühl sagt mir, sie waren sehr groß.«

»Lass es gut sein, Eric, aber tue mir einen Gefallen, wenn du mit dem Essen fertig bist.«

»Aber jeden, was kann ich für dich tun?«

»Kannst du mit den Pfeilern zu Snorre gehen und sie ihm zeigen. Vielleicht will er noch Veränderungen.«

»Ja, werde ich machen.«

Ich machte mich nach einem unerträglich ruhigen Frühstück auf zu Snorre, der mir noch seine Wünsche bekannt gab, aber im Großen und Ganzen war er mehr als zufrieden.

Als ich zurück war und Bericht erstatten wollte, klopfte es an der Tür und Vater trat ein. »Entschuldigt die Störung, aber ich wollte mich nur nach Erics Befinden erkundigen. Geht es dir gut? Haben sie dich angegriffen, was wollten sie? Es ist noch zu früh, der Winter hat erst angefangen und es herrscht noch kein Futtermangel.«

»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Vater, es ist alles in Ordnung mit mir.«

Er schaute mir tief in die Augen. »Bist du sicher?«

»Glaub mir, Vater.«

»Mhhh«, sagte er nur und nickte. »Gut, wenn du mir das versicherst. Tu mir einen Gefallen und geh zu Ketil und erkläre ihm, wo du auf sie gestoßen bist.«

»Aij, Vater, mach ich gleich.«

Ich zog meine Jacke an und ging zu Ketil, aber im Geheimen wusste ich, dass sie meine Wolfsbegegnung untereinander in Ruhe besprechen wollten. In diesem Moment Nein zu sagen, wäre ein grober Fehler gewesen. Aber die Anspannung spürte ich zu gut.

Ich stapfte durch den frischen Schnee zu Ketil, der mich schon erwartete. Er saß am Tisch, sein Bogen lag schon gespannt auf dem Tisch. So gut wie es ging, erklärte ich ihm alles. »Aber Ketil, sie haben mich nicht angegriffen … wieso glaubt mir niemand? Siehst du an mir eine offene Wunde, verflucht noch mal! Wie ich schon immer gesagt habe. Sie blieben weg von mir und ich denke, sie wollten nur schauen!«

»Ist ja gut, Eric, aber Vorsicht ist besser.«

Mein Blick wanderte über die Pfeile, die auf dem Tisch lagen. Ich nahm einen in die Hand und bestaunte die Spitze. »Das sind spezielle Spitzen, solche habe ich noch nie gesehen.«

»Ja, das sind sie, schau. Wie ein Aal, nur an drei Flächen liegen sie auf. Sie schlagen durch alles, Knochen, Kettenhemden und Schilde. Schau.« Er nahm einen Pfeil, legte ihn auf die Sehne, zog an und zielte auf ein Schild an der Wand. Er visierte es konzentriert an, der Pfeil flog. Ohne Mühe durchschlug der Pfeil den Schild und blieb erst in der Wand stecken. Ich brachte den Mund kaum zu vor Staunen.

»Weder Mensch noch Vieh würde überleben, Eric, glaub mir. Die Götter meinen es gut mit uns, der frische Schnee hilft uns. Ich werde ihre Spuren finden.« Er packte Pfeile und den Bogen ein, gab seiner Frau einen Kuss – und schon war er aus dem Haus. Ruda und ich empfanden das Gleiche, wieder waren wir allein gelassen.

Missmutig stapfte ich zu Snorre, aber auch er war kurz angebunden. »Kann ich dir helfen, Eric? Nimm, was du brauchst, tut mir leid, habe wenig Zeit.«

Ich nickte und stöberte zwischen den Brettern, bis mir eines ins Auge stach, das mir zusagte. Mit meinem Fund unter dem Arm verließ ich das Bootshaus und machte mich auf den Weg zum Strand. Wie ich es genoss, den Wellen zuzuschauen und der Brandung zuzuhören! Es beruhigte mich und brachte mich auf andere Gedanken. Der Wind, der von der See blies, war kalt, doch er tat mir gut. Ich zog meine Stiefel aus, krallte wie immer meine Zehen in den Kies. Es war immer die gleiche Zeremonie, die ich brauchte, um mich zu erden. In tiefen Zügen sog ich die salzige, kalte Luft ein und mein Blick war auf den Sonnenstand gerichtet.

Doch alles Rufen half nichts. Nichts passierte. Da fielen mir Ragnars Worte ein: »Nicht nachdenken, einfach Körper und Geist gehen lassen. Du kannst keiner Rune befehlen zu kommen, sie kommen erst, wenn du bereit bist. Lass dich treiben wie die Wellen, die an die Küste schlagen, wie der Wind, der durch die Blätter weht.«

Ich begann von Neuem und beschwor Odin, den Runenvater, und die anderen Götter. Stellte mich wieder in Position und aus dem Bauch heraus begann ich, abermals zu rufen.

Da passierte es. Es war ein ungeheures Gefühl zu spüren, wie sie zu mir durchdrangen. Unbeschreiblich das Wohlbefinden, die Ruhe und Zufriedenheit.

Absolut befriedigt und müde setzte ich mich hin. Da ich ein Kohlestück vergessen hatte, benutzte ich einen Stein, um meine Gedanken aufs Brett zu übertragen. Wie von Zauberhand ritzte ich die Linien und hätte mich jemand später gefragt, wie ich das geschafft hätte … ich glaube, mir hätten die Worte gefehlt..

Als ich mich aus meiner Trance erholt hatte, beschlich mich ein vertrautes und auch beängstigendes Gefühl. Ganz langsam stand ich auf und drehte mich. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Der Wolf mit der Silberstirn stand mir am nächsten, auf der anderen Seite stand der Braune. Aber weder Knurren war zu hören, noch sah ich sie die Zähne fletschen. Während der Braune aufstand und davontrottete, fixierte mich Silberstirn. Er legte seinen Kopf zur Seite, als wollte er einen Blick auf mein Brett erhaschen. Behutsam hob ich es auf und stellte es vor mich wie ein Schild. Der Wolf hatte für mich keinen Blick mehr übrig, er schaute nur aufs Brett. Ich wusste nicht, warum ich es tat, aber ich … ja, ich fragte ihn. »Was meinst du, sind die Linien harmonisch?«

Erst jetzt schaute er mich an und ich glaubte, ein Nicken gesehen zu haben – oder war es nur eine Einbildung? Er stand auf und machte ein paar Schritte auf mich zu. Er erschien riesig, ein Monster. Ich hatte noch nie einen Wolf gesehen, doch so groß konnte kein normaler sein. Schon seine Schultern reichten mir über den Bauch und er konnte mir direkt in die Augen schauen. Nach kurzem Blickkontakt drehte er sich um und wollte davontrotten, als die Spannung jäh unterbrochen wurde.

Ulf schrie meinen Namen und ich hörte auch die Stimme meines Vaters. Der Wolf und ich, wir drehten unsere Köpfe und schauten in ihre Richtung. Vater warf mit großer Vehemenz einen Speer in unsere Richtung. Der Wolf und ich schauten zu, wie er auf uns zuflog und sich einen halben Meter vor uns in den Kies bohrte. Der Wolf starrte auf den Speer, dann zu meinem Vater, machte einen großen Satz, und als wäre nichts geschehen, lief er über den Strand davon.

Ich spürte, wie meine Knie nachgaben und ich in den Kies fiel. Ein paar Herzschläge später standen Vater und mein Bruder keuchend neben mir. Vater hielt mich an den Schultern. »Eric, bist du verletzt, was ist mit dir?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nicht verletzt, nur verwirrt über das, was vorgefallen ist. Nein, sonst bin ich in Ordnung.«

Mein Vater zog mich hoch, stützte mich unter dem Arm und zusammen kehrten wir zurück.

Als wir im Haupthaus angekommen waren und ich mich am Langtisch niederlassen konnte, bemerkte ich erst, dass fast das gesamte Dorf hier war und ich von allen Seiten angesprochen und bedrängt wurde.

Vater brachte alle mit seiner tiefen Stimme zur Ruhe. »Lasst ihn, er bekommt ja kaum Luft.«

Ihre fragenden und verwunderten Blicke durchbohrten mich, und ich musste alles erzählen, was seit dem Frühstück passiert war. Immer wieder wurde ich von Fragen unterbrochen, die ich beantworten musste. Alles, wirklich alles, bis ins Detail musste ich berichten. Draußen wurde es langsam dunkel, als die Tür aufging und Ketil eintrat. Er klopfte sich den Schnee von der Jacke und stellte seinen Bogen neben die Tür.

»Bin ich zu spät?«

»Nein, nein«, sagte mein Großvater Ronet und erzählte in Kürze das Wichtigste. Erstaunt sah mich Ketil an. Ruda trat mit einem gefüllten Horn Met an seine Seite. Er nahm sie in den Arm, küsste sie; mit gierigen Zügen leerte er sein Horn.

Mein Vater fragte: »Hast du was entdeckt?«

Ketil gab Ruda das Horn zurück, legte eine Hand mit gespreizten Fingern auf den Tisch und schaute in die Runde. »Wirklich groß waren die Spuren und jeder weiß, dass ich Spuren lesen kann. Kein Bär noch sonst ein Tier kann das gewesen sein! Ich weiß nicht, was das für Viecher waren.«

Ich stand auf und zeigte ihm, wie mächtig.

Mit großen Augen sah mich Ketil an. »Bei den Göttern, ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat und was du für eine Rolle darin spielst. Aber mit rechten Dingen geht das nicht zu. Was mich verwundert, die Bestien reißen keines unserer Hühner oder Schweine, noch unser Vieh.« Ketil klopfte mir auf die Schultern. »Ich hoffe, die Götter stehen dir weiter zur Seite.« Er fasste ein neues Horn. »Zum Glück bist du mit unserem Tisch fertig geworden.«

Es brauchte ein paar Sekunden, doch dann fingen alle zu lachen an. Es war eine Erlösung.

Ich stand auf. »Also, bevor es ganz dunkel wird, hole ich noch mein Brett vom Strand. Hab es draußen vergessen.«

Vater, der gerade einen Schluck genommen hatte, fing an zu husten. Er hatte sich verschluckt. »Ich verbiete es dir!«

Ulf unterbrach ihn. »Keine Sorge, ich habe es mitgenommen. Es steht neben der Tür hinter Ketils Bogen.«

»Ich danke dir, Ulf«, sagte ich.

Vater klopfte auf den Tisch. »Ab sofort wird niemand mehr das Dorf unbewaffnet verlassen und auch hier im Dorf wäre es besser, wenn ihr die Waffen tragen würdet. Du, Eric, hast ab sofort Hausarrest! Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«

»Aij, Vater.«

»So wie es scheint, haben sie es auf dich abgesehen, weiß Odin, warum.«

Das Abendessen war ruhig, es wurde nicht viel gesprochen, auch der Met floss nicht wie gewohnt. Alle waren eher bedacht, schnell in ihre Häuser zurückzukehren.

Snorre und Ketil brachen mehrfach auf, um die Spuren der Wölfe zu suchen. Aber außer einem schönen Wildbret, das Snorre auf dem Rücken trug, war keine Spur der Tiere zu finden. Auch in den nächsten Tagen fanden sie keinen Hinweis; die Wölfe waren wie vom Erdboden verschluckt.

Die Tage vergingen und die Angst vor den Tieren trat allmählich in den Hintergrund. Unbekümmert trafen wir die Vorbereitungen zum Wintersonnenwendefest. Ich saß mit Ragnar in unserer Werkstatt und legte ihm einen neuen Kräuterwickel ums Bein, als Astrid Ketil die Tür öffnete.

Er setzte sich zu uns und schaute mir zu, wie ich Ragnar einen neuen Verband anlegte. »So schlecht macht’s der Kleine gar nicht, oder was meinst du, alter Freund?«

Ragnar schaute kritisch den Verband an, nickte zustimmend und meinte: »Wenn er noch einen Rock tragen würde, könnte man sich noch glatt in ihn verlieben!«

Ketil schlug sich auf die Schenkel. Ich glaube, so ein Lachen habe ich bei ihm noch nie gehört. Auch Ragnar biss sich in die Hand vor Lachen. Ich schüttelte nur den Kopf und zog den Verband straff an; Ragnar zuckte zusammen.

»Aua! Pass doch auf, Eric, viel zu eng. Ich kann mich ja kaum noch bewegen.«

»Das wäre besser so, sonst willst du mir noch nachrennen.«

Ketil erholte sich kaum noch vor Lachen. »Gut, Eric, gib es dem Schwerenöter nur.«

Astrid schaute in die Werkstatt, schüttelte nur den Kopf. »Männer.«

Als Ketil zur Ruhe gekommen war, meinte er: »Wieso ich euch zwei Waldschrate besuchen komme?« Er öffnete sein Wams und zog ein Fellbündel hervor, legte es auf den Tisch und wickelte es behutsam auf. Zum Vorschein kam die Klinge von Ulfs Sax. Mit Ehrfurcht nahm er sie in die Hand und zeigte sie uns. »Was meint ihr zu dieser Arbeit, ihr zwei hässlichen Kerle?«

Ketil übergab mir die Klinge. Ich brachte den Mund vor Staunen nicht zu. Ich bestaunte die feinen Linien. »Einfach wunderbar!«

Ragnar versetzte mir einen Fußtritt mit dem gesunden Bein. »Lass mich auch sehen, Hundfutt.«

»Ohhh, wie sprichst du denn mit deinem Zauberlehrling, Ragnar?«

Er winkte ab. »Schon gut, Ketil, eine wunderbare Klinge hast du da geschaffen? Eine Flammenklinge. Ich habe schon immer gedacht, dass du bei Wieland in der Lehre warst.«

»Wieland?«, fragte ich. »Wer war das und wieso sagt man Flammenklinge?«

Ketil sah Ragnar an. »Kannst du mir sagen, was du dem Jungen beigebracht hast?«

»Ja, du hast recht, alter Krieger, wir werden unseren Unterricht verlagern und das Pferd von hinten aufzäumen.«

»Also, Junge, hör mir zu. Eine Flammenklinge nennt man es, wenn die Klinge mit zwei verschiedenen Eisen geschmiedet worden ist. Dazu nimmt man einen harten und einen weichen Stahl. Beim Schmieden immer wieder die Klinge falzen und zum Glühen bringen, weiter schmieden und … dabei entstehen diese Linien. Ragnar, hilf mir, wie nennen die Kopftuchträger diese Art?«

»Sie sagen ›Damast‹, so viel ich mich erinnern kann.«

»Ja, das kommt hin, du hast recht. Eric, diese Art von Klinge ist sehr robust und scharf, schau hin.« Er nahm die Klinge in die Hand, fand ein Stück Holz, ungefähr handdick, und schlug zu. »Habt ihr gehört, wie sie singt?« Ohne Mühe durchtrennte die Klinge das Holz. »Schau, und die Klinge ist immer noch scharf.«

»Wunderbar«, entgegnete ich.

Wir konnten ihm seinen Stolz ansehen. »Ja, am liebsten würde ich sie behalten. Aber glaub mir, Eric, Ulf wird sein ganzes Leben lang an dich denken.«

»Nein«, entgegnete ich, »an uns!«

»Wenn du mir nun den Walrosszahn zurückgibst, wenn du schon fertig bist, könnte ich das Werk vollenden.«

Ich rannte zu meiner Lagerstatt und holte den Zahn. Ketil schaute sich den Griff an. Mit Verwunderung in den Augen drehte und wendete er ihn und übergab den Zahn Ragnar. »Was meinst du?«

»Lasst mich erklären. Ich wollte einen Griff, der bei Hieben oder Stichen nicht schnell rutscht. Darum ließ ich Ragnar ein Stück Teig kneten und ließ die Fingerspuren so, wie sie waren, das war meine Vorlage. Ich wollte einen Griff, der besseren Halt gibt, darum habe ich auch die Mulden aufgeraut. Am Ende, dieser Teil kommt vorn an die Klinge, und da steht: ›Immer zu deinen Diensten und am Ende dein Bruder‹.«

Ohne auf die beiden zu achten, stülpte ich den Griff darüber und gab Ragnar die Klinge. Der gab sie an Ketil weiter. Beide prüften und wogen genau ab.

»Mhhh«, meinte Ketil, »mal was anderes, aber nicht einmal so schlecht. Ich verstehe, was du wolltest.« Er drehte sich zu Ragnar, der immer noch mit hochgelagertem Bein saß. »Er hat doch was gelernt, muss sagen, liegt wirklich gut in der Hand.«

Ragnar nickte. »Ich gebe dir recht, der Kleine hat was drauf.«

Wie schnell die Zeit verging! Manchmal hatte ich beim Zubettgehen das Gefühl, ich sei erst aufgestanden. Astrid nahm mich voll in Besitz. Unter ihrer Kontrolle musste ich Salben zubereiten und kleine Verletzungen behandeln. Sie schulte mich im Anlegen von Verbänden, im Schienen von Armen oder Beinen und im Umgang mit Nadel und Faden und wie man tiefe Schnitte nähte, sodass schöne Narben sichtbar blieben. Gegen Ausschläge setzten wir die Ringelblume ein, ebenso wie für die Wundheilung, bei der wir auch Arnika verrieben. Kam Ketil wieder einmal mit Verbrennungen, verwendete Astrid Johanniskraut, bei Verstauchungen ebenfalls.

Es gab vieles, das ich von Astrid lernte; es faszinierte mich, und ich begriff von Tag zu Tag mehr, wie die Natur und die Runen im Einklang standen. Sonne, Regen, Wind, die Segnungen der Natur und die Götter – ein Schmelztiegel, der in sich zusammenfloss.

Ich fühlte mich immer stärker und ließ das Kind hinter mir.

---ENDE DER LESEPROBE---