Im Feuerofen der Nazis - Michael Hetzner - E-Book

Im Feuerofen der Nazis E-Book

Michael Hetzner

0,0

Beschreibung

Liebe Mina und Willi! Lobet Gott und haltet seine Gebote! Ich habe den guten Kampf des Glaubens gekämpft, ich habe den Glauben bewahrt! Ich will euch liebe Mina nun schreiben, dass ich zum letzten Mal schreibe. Aber herzlich möchte ich dich bitten, sei stark, vertraue auf Gott, damit du noch Willi als Stütze dienst. Es war nicht möglich, dich früher zu verständigen, ich habe es heute Abend 7 Uhr selbst erst erfahren. Gott hat es nun wohlgefallen, dass ich meinen Lauf auf dieser Erde beende. Seid nun nicht betrübt oder verzagt, sondern danket Gott, dass er mir Kraft gegeben hat, alles zu tragen. Hier kann ich ja nicht alles mehr schreiben, was ich wünsche, da ja der Raum zu klein ist. [...] Liebe Mina, ich habe keinen Augenblick gezweifelt bis auf den heutigen Tag und bin auch völlig innerlich befriedigt bis zur letzten Stunde. Ich weiß, dass ich nur für Gott und seine Sache gekämpft habe, doch bin ich nicht der Erste, der nicht verstanden wird. Es ist nun gut, liebe Mina, dass ich hier bin, so gern ich von dir noch Abschied genommen hätte, aber für dich währe es bestimmt schwerer und so hat es Gott zugelassen, dass wir uns in Heilbronn zum letzten Mal gesehen haben. [...] Das Urteil wird am 11. vollstreckt, also, bis der Brief ankommt, bin ich von Erden erlöst. [...] Grüße alle Bekannten von mir herzlich und viel Kraft […] Also Paula sagst herzliche Grüße und macht euch das Leben nicht schwer. Gott gebe euch Kraft sowie auch mir, dass ich bis zur letzten Stunde stehen darf. Lebt wohl im Herrn und vertraut auf Gott und Willi sei immer der Mutter gehorsam, so wird dich Gott behüten. Letzten Gruß von euerem Wilhelm. (Abschiedsbrief von Wilhelm Schenk, hingerichtet wegen Wehrdienstverweigerung am 11. November 1939 in Berlin-Plötzensee)

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 73

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Michael Hetzner

Im Feuerofen der Nazis

Jehovas Zeugen in Heilbronn

Michael Hetzner

Im Feuerofen der Nazis

Jehovas Zeugen in Heilbronn

© 2016 Michael Hetzner

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN Paperback: 978-3-7323-1467-6

ISBN e-Book: 978-3-7323-1468-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung,

Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Die verblassenden Erinnerungen

Der Feuerofen

Die Anfänge in der Weimarer Zeit

Der Nationalsozialismus schlägt zu

„Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!“

„Hier wohnt ein Landesverräter“ – Die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz

Zerrissene Familien

„Arrest und Hunger reichlich kennengelernt“ – Verfolgte Frauen

‚Denk’ daran!‘ – Gefängnis, KZ, Todeszelle und Fallbeil

Hat sich der Widerstand gelohnt?

Nach dem Feuerofen

Stolpersteine in Heilbronn

Anhang I

Verpflichtungserklärung, Konzentrationslager

Zeitungsausschnitt „Die Zeugen Jehovas!“

Zeitungsausschnitt „Bibelforscher vor dem Sondergericht“

Zeitungsausschnitt „Fünf Friedensstörer vor Gericht“

Anhang II

David – eine Geschichte, die Mut macht

Anhang III

Jedwabne – eine schreckliche Geschichte

Nachweise

Die verblassenden Erinnerungen

Dieser Abriss ist Bruchstück und Fragment. Muss notwendigerweise Bruchstück und Fragment bleiben. Denn die meisten der von der Naziherrschaft unmittelbar Betroffenen – und das heißt auch Getroffenen – sind inzwischen verstorben. Es handelt sich also, neben einigen Quellen aus der behandelten Zeit, in vielen Fällen um Geschichte und Geschichten aus zweiter und dritter Hand. Also um die Berichte von Kindern und Enkeln, von Freunden, Bekannten und Weggefährten, die ich allerdings nach bestem Wissen und Gewissen geprüft habe.

Der Feuerofen

Wenn ihr aber nicht anbetet, werdet ihr im selben Augenblick in den brennenden Feuerofen geworfen werden. Und wer ist der Gott, der euch aus meinen Händen befreien kann?1

Nebukadnezar, der König von Babylon, schäumte. Da hatte er in der Ebene Dura ein riesiges Standbild aus Gold aufstellen lassen, vor dem sich alle Edlen seines Volkes niederwerfen mussten. Und nun weigerten sich drei Hebräer, dieses Bild anzubeten, da sie nicht bereit waren, ihr eigenes Leben höher zu stellen als die Loyalität gegenüber Gott. In unserem Jahrhundert fanden Nebukadnezars Worte in Deutschland eine erstaunliche Parallele. Und zwar zu einer Gruppe von Christen, die bis heute von vielen verkannt und nur von wenigen verstanden wird. Einer Gruppe, über deren Opfer, Leiden und Leid im Dritten Reich bis heute fast niemand etwas weiß. Doch der Reihe nach.

Zunächst fing alles ganz harmlos an.

1    Daniel Kapitel 3, Vers 15. Zit. nach: Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift mit Studienverweisen. Hrg. von der Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania and International Bible Students Association. Revidierte Fassung. Brooklyn 1986.

Die Anfänge in der Weimarer Zeit

Die Geschichte der Ernsten Bibelforscher2 in Deutschland beginnt in den 1880er Jahren. Damals wurden erstmals Druckschriften der 1879 in den USA gegründeten Watch Tower Society (Wachtturm-Gesellschaft) in Deutschland verbreitet. Im Jahre 1891 besuchte ihr erster Präsident, Charles Taze Russel, im Zuge einer ausgedehnten Predigtreise durch Europa, erstmals auch Deutschland. Mit der Gründung des ersten deutschen Zweigbüros in Elberfeld bei Wuppertal im Jahr 1902, erhielten die Bibelforscher im Deutschen Reich Auftrieb.

Am Ende des Ersten Weltkrieges zählten sie in Deutschland 3.868 aktive Mitglieder.3 In dem Bemühen, möglichst vielen Menschen ihre Lehre bekannt zu machen, zogen sie quer durchs Deutsche Reich und missionierten, wo immer sich dazu die Möglichkeit ergab.

Erste Hinweise auf Aktivitäten der Ernsten Bibelforscher im Raum Heilbronn finden sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. In dieser Zeit kamen drei Frauen, Schwestern mit dem Familiennamen Friedle, von der Schweiz nach Heilbronn. Sie waren wohl die ersten, die hier die Überzeugung der Ernsten Bibelforscher vertraten. In den 20er Jahren nahm die Zahl der Ernsten Bibelforscher dann zu. Die ersten regionalen Gruppen entstanden. Adolf Eppler (geb. 1913), einer der Zeitzeugen aus dem Raum Heilbronn, erinnerte sich noch daran, dass er in den 1920er Jahren in Heilbronn den Vortrag Millionen jetzt Lebender werden nie sterben hörte. In der gleichen Zeit besuchte er in der Heilbronner Harmonie dann das Photo-Drama der Schöpfung. Dabei handelte es sich um ein achtstündiges Programm, eine Kombination von Filmen, Lichtbildern und Schallplattenaufnahmen, das meist auf mehrere Abende verteilt vorgeführt wurde. Außerdem erinnerte er sich daran, dass er in Obereisesheim, seinem Heimatort, damals die Zeitschrift das Goldene Zeitalter (heute: Erwachet!) austrug. In seinem Elternhaus (Lindenstraße 7) fanden regelmäßig Zusammenkünfte der Ernsten Bibelforscher statt.

Da die Gruppen damals noch sehr klein waren, kannten sich alle Bibelforscher in Heilbronn und Umgebung. In Heilbronn trafen sie sich damals in der Heilbronner Innenstadt (Schulgasse). Außerdem kamen sie privat u. a. bei den Familien Kühner (Dammstraße 33a) und Löchner (Karlstraße 111, später Kernerstraße 47 / 1) zusammen. (Von diesen Familien wird noch zu reden sein.) Anfang der 1930er Jahre unternahm man in Deutschland besondere Anstrengungen, die verstreute Landbevölkerung zu erreichen, so auch in Heilbronn und Umgebung. Aus dieser Zeit stammen auch die beiden folgenden Fotografien.

1.    Reihe (von links): Marie Dutt, Wilhelm Kühner, N. N., Marta Vogel, Adolf Brucker, Mina Schenk (später Schmidt), N. N.

2.    Reihe: N. N., Emil Bauer, N. N., Mina Neuffer, N. N., N. N.

3.    Reihe: N. N., Emma Schenk, Luise Neuffer, N. N., Wilhelm Schenk

4.    Reihe: Adolf Hettinger, Richard Merkle, Georg Ebert

1.    Reihe (von links): Schw. Brucker, Georg Ebert, Marta Vogel, Luise Däuber, Friedrich Däuber, Emil Bauer

2.    Reihe: N. N., Adolf Hettinger, Lina Hettinger, Elsa von Olnhausen, Luise Neuffer, N. N., Paul Eisele, Marie Dutt

3.    Reihe: Wilhelm Kühner, Adolf Brucker, Mine Neuffer, N. N., Wilhelm Schenk, Fritz Volz

2    Die Ernsten Bibelforscher hatten bereits 1931 den Namen „Zeugen Jehovas“ angenommen, dennoch wurden sie von den Nazis weiter mit ihrem alten Namen bezeichnet.

3    Garbe, Detlef: Der lila Winkel. Die „Bibelforscher“ (Zeugen Jehovas) in den Konzentrationslagern. In: Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. 10. Jahrgang, Heft 10. Dachau November 1994. S. 4.

Der Nationalsozialismus schlägt zu

Während Adolf Hitler und seine Gefolgsleute die Machtergreifung vorbereiteten, betätigten sich die Zeugen Jehovas weiterhin missionarisch. Das musste nach 1933 zwangsläufig zur Konfrontation führen, denn sie hatten bereits einige Jahre zuvor vor der nationalsozialistischen Bewegung gewarnt. So schrieb The Golden Age in der Ausgabe vom 4. Januar 1933: „Die Maschinerie der nationalsozialistischen Bewegung rückt bedrohlich näher.“4Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, brach in Deutschland eine dunkle Zeit über sie herein. Denn der Nationalsozialismus hatte die Zeugen Jehovas – ihre Zahl betrug inzwischen etwa 20.000 – schnell als unliebsame Gruppierung ausgemacht.5 Am 4. April 1933, nur acht Wochen nach der Machtergreifung, verbot das NS-Regime die Tätigkeit der Ernsten Bibelforscher im Deutschen Reich. Das Büro der Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg wurde geschlossen. Außerdem vernichteten die Nazis bis Anfang 1934 mindestens 65 Tonnen Literatur in öffentlichen Verbrennungen. Der Terror begann!

4The Golden Age. Hrg. von der Watch Tower Society of New York, Ausgabe vom 4. Januar 1933. S. 207. Zit. nach: Erwachet!. Hrg. von der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft, Deutscher Zweig, e.V., Selters, Ausgabe vom 22. August 1995. S. 6. Die Zeugen Jehovas stützten ihre Einschätzung des Nationalsozialismus auf ihr Bibelverständnis, wonach die totalitäre Struktur und die militaristische Ausrichtung der Nazis dem christlichen Ziel der Nächstenliebe entgegengesetzt und damit eine Konfrontation zwischen beiden Anschauungen zu erwarten sei.

5    In der polemischen, gleichermaßen zum Superlativen wie zum Abwertend-Monumentalen neigenden, klischeehaften Bürokratensprache des Dritten Reichs liest sich das dann so: „Ihr [der Zeugen Jehovas, d. Verf.] mit ungewöhnlichem Fanatismus geführter Kampf gegen alles Völkische und Staatliche führte zu einer äußerst gehässigen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und seinen massgebenden Männer.“ (Schutzbrief Nr. 1 der SD-Dienststellen in Württemberg vom 5. August 1936).

„Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!“

Wir Christen von heute stehen beschämt da vor einer sogenannten Sekte wie der der ernsten Bibelforscher, die zu Hunderten und Tausenden ins Konzentrationslager und in den Tod gegangen sind, weil sie den Kriegsdienst ablehnten und sich weigerten, auf Menschen zu schießen.6

Was Martin Niemöller hier offen ansprach, war und ist vielen bis heute unbekannt: Die konsequente Weigerung der Zeugen Jehovas, sich dem totalitären Anspruch der NS-Ideologie zu beugen. Das wirkte sich auf alle Lebensbereiche aus. Sei es die Teilnahme an den Scheinwahlen der Nazis, die Verweigerung des Hitler-Grußes oder die Weigerung, einer der NS-Massenorganisationen (Hitler-Jugend, Deutsche Arbeitsfront usw.) beizutreten – kein Zeuge Jehovas blieb im Alltag von einer Vielzahl von Konfrontationen mit den Machthabern verschont.7 Wegen ihrer Unbeugsamkeit gegenüber dem Nazi-Regime und der kompromisslosen Verweigerung des Wehrdienstes wurden sie schnell zur Zielscheibe einer überaus brutalen Verfolgung.8

Ein Artikel im Heilbronner Tagblatt vom 15. November 19339 vermittelt ein anschauliches Bild über die Grundhaltung der Nazis gegenüber den Zeugen Jehovas, ja, vom gesamten geistigen Klima jener Zeit:

Die Zeugen Jehovas!