Im Mond des Raben - Lucy Monroe - E-Book

Im Mond des Raben E-Book

Lucy Monroe

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Beschreibung

»Lucy Monroe gehört zu meinen liebsten Freizeitvergnügen.« CHRISTINE FEEHAN

Schottland im 12. Jahrhundert. Der Highlander Barr sucht schon lange nach seiner wahren Gefährtin. Dass er sie bereits bei der ersten Begegnung nackt sehen würde, damit hätte der Anführer des Donegal-Clans allerdings nicht gerechnet. Schließlich findet man nicht jeden Tag eine unbekleidete Frau im Wald, dazu noch eine, die zwar verletzt, aber völlig unerschrocken ist. Wer ist sie, und was macht sie hier? Sabrine behauptet, sich an nichts erinnern zu können, doch der Werwolf in Barr spürt, dass sie etwas vor ihm verbirgt. Er ahnt nicht, wie gefährlich ihr Geheimnis ist ...

Lucy Monroe erzählt die nächste romantische Liebesgeschichte aus den mittelalterlichen Highlands in Band 4 der Paranormal-Romance-Reihe "Children of the Moon - Kindes des Mondes": Unter dem Drachenmond.

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Seitenzahl: 457

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Glossar

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Weitere Titel der Autorin

Children of the Moon – Kinder des Mondes:

Band 1: Lockruf des Mondes

Band 2: Im Bannkreis des Mondes

Band 4: Unter dem Drachenmond

Band 5: Krieger des Mondes

Über dieses Buch

»Lucy Monroe gehört zu meinen liebsten Freizeitvergnügen.«CHRISTINE FEEHAN

Schottland im 12. Jahrhundert. Der Highlander Barr sucht schon lange nach seiner wahren Gefährtin. Dass er sie bereits bei der ersten Begegnung nackt sehen würde, damit hätte der Anführer des Donegal-Clans allerdings nicht gerechnet. Schließlich findet man nicht jeden Tag eine unbekleidete Frau im Wald, dazu noch eine, die zwar verletzt, aber völlig unerschrocken ist. Wer ist sie, und was macht sie hier? Sabrine behauptet, sich an nichts erinnern zu können, doch der Werwolf in Barr spürt, dass sie etwas vor ihm verbirgt. Er ahnt nicht, wie gefährlich ihr Geheimnis ist …

Über die Autorin

Lucy Monroe lernte bereits mit vier Jahren lesen – und damit begann ihre Leidenschaft für Bücher. Mit den Jahren las sie sich durch alle Bücherregale, die ihr zur Verfügung standen. Dennoch machte es ihr selbst etwas Angst, als sie realisierte, dass sie sich nichts mehr wünschte, als Schriftstellerin zu werden. Aber nichts konnte sie davon abhalten, ihren Traum Realität werden zu lassen. Heute gehört Lucy Monroe zu den erfolgreichsten Autorinnen der romantischen Fantasy-Literatur. Sie lebt, liebt und arbeitet an der Pazifikküste Nordamerikas.

Bei beHEARTBEAT ist ihre paranormale Liebesromanreihe »Children of the Moon – Kinder des Mondes« als eBook für Kindle und alle anderen Lesegeräte verfügbar. Spannend, abenteuerlich und voller knisternder Momente erzählt sie darin romantische Geschichten der besonderen Art: Folgen Sie ihr ins mittelalterliche Schottland zu wilden Highlandern und Gestaltwandlern – in eine Welt der Werwölfe und Drachen, Liebe und Leidenschaft!

Auf Lucy Monroes englischsprachiger Homepage www.lucymonroe.com erhalten Sie weitere Informationen über die Autorin.

Lucy Monroe

IM MONDDES RABEN

Aus dem amerikanischen Englisch vonUlrike Moreno

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2011 by Lucy Monroe

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Moon Burning«

Originalverlag: The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Group (USA) Inc.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Group (USA) Inc.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2014/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dorothee Cabras

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © FogStock: Alin Dragulin; © thinkstock: Transier Tansier | tockbyte | _chupacabra_ | Jacek Nowak

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-7982-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für meinen Sohn Zach

Deine Genialität entzückt mich, dein Beharren, zu deinem eigenen Techno-Sound (aus der Reihe) zu tanzen, ist eine Herausforderung für mich, deine Freude am Übersinnlichen verbindet dich mit mir, und dein Herz berührt mich! Du bist ein wundervoller Sohn und ein junger Mann, auf den jede Mutter sehr stolz wäre.

Mögen deine Träume sich verwirklichen, möge dein Herz mit Glück gesegnet und dein Leben eins der Zielstrebigkeit und der Freude sein! Beides hast du auf jeden Fall in meins gebracht!

Ich danke dir!

In Liebe, Mom

Glossar

Chrechten Gestaltwandler, die ihre Seelen mit Wölfen, Vögeln oder Raubkatzen teilen

Clach Gealach Gra (Herz-des-Mondes-Stein) geheiligter Stein der Vogel-Gestaltwandler

Éan Gestaltwandler, die die Form von Vögeln (Raben, Falken, Adler) annehmen

Faol Gestaltwandler, die die Form von Wölfen annehmen

Laird Clan-Führer

Prolog

Der Beginn

Vor Tausenden von Jahren erschuf Gott ein Volk, das so streitbar war, dass sogar seine Frauen im Kampf gefürchtet waren. Sie waren ein durch und durch kriegerisches Volk, das es ablehnte, sich irgendwelchen anderen Regeln als den eigenen zu unterwerfen. Ihre Feinde sagten, sie kämpften wie Tiere; ihre geschlagenen Gegner sagten nichts mehr, denn sie waren tot.

Sie wurden als primitives, barbarisches Volk betrachtet, weil sie ihre Haut mit blauen Tätowierungen verunstalteten. Diese Zeichnungen, die immer ein Tier darstellten, waren in der Regel schlicht und schmucklos, auch wenn einige Clan-Mitglieder mehr Tätowierungen trugen, deren künstlerische Feinheit sich mit der der Kelten messen konnte. Diese reicher geschmückten Männer waren die Anführer des Clans – ihre Feinde hatten die Bedeutung dieser blauen Tätowierungen jedoch nie entschlüsseln können.

Einige mutmaßten, dass sie Symbole ihrer kriegerischen Natur waren, womit sie nicht ganz unrecht hatten, weil die Tiere für einen Teil ihrer selbst standen, der von diesem wilden, freiheitsliebenden Volk unter Todesstrafe geheim gehalten wurde. Es war ein Geheimnis, das sie in all den Jahrhunderten ihrer Existenz bewahrt hatten, als die meisten von ihnen quer durch Europa abgewandert waren, um sich im unwirtlichen Norden Schottlands anzusiedeln.

Ihre römischen Feinde nannten sie Pikten, und dieser Name wurde auch von anderen Völkern ihres Landes und der Länder weiter südlich übernommen, doch sie selbst bezeichneten sich als Chrechten.

Ihr tierähnliches Verhältnis zu Kampf und Eroberung rührte von einem Teil ihrer Natur her, der ihren rein menschlichen Gegenstücken nicht gefiel. Denn diese kämpferischen Geschöpfe waren Gestaltwandler, und die bläulichen Tätowierungen auf ihrer Haut waren Kennzeichen, die im Verlauf eines Übergangsritus verliehen wurden. Wenn ihre erste Veränderung stattfand, wurden sie mit der Art von Tier gekennzeichnet, in das sie sich verwandeln konnten. Einige hatten die Kontrolle über diese Veränderung, andere nicht, und während die Mehrzahl von ihnen Wölfe waren, gab es auch große Raubkatzen und -vögel unter ihnen.

Keiner der Gestaltwandler pflanzte sich jedoch so schnell oder zahlreich fort wie ihre rein menschlichen Brüder und Schwestern. Obwohl sie eine Furcht erregende Spezies waren und ihre Schläue und Gerissenheit noch verstärkt wurde durch ein Verständnis der Natur, das die meisten Menschen nicht besaßen, waren sie jedoch nicht tollkühn und wurden auch nicht von ihrer tierischen Natur beherrscht.

Ein Krieger konnte hundert Feinde töten, doch falls er starb, ohne Nachwuchs gehabt zu haben, führte sein Tod zu einer unvermeidlichen Verkleinerung des Clans. Einige der piktischen Clans und solche, die in anderen Teilen der Welt unter anderen Namen bekannt waren, hatten es schon vorgezogen auszusterben, als sich den ihnen unterlegenen, aber weitaus zahlreicheren Menschen um sie herum zu unterwerfen.

Die meisten Gestaltwandler der schottischen Highlands waren zu klug, um lieber dem Untergang ihrer Rasse ins Auge zu blicken, als sich mit den Menschen zu vermischen. Sie sahen einen Weg in die Zukunft. Im neunten Jahrhundert nach Christus bestieg Keneth MacAlpin den schottischen Thron. Von chrechtischer Herkunft seitens seiner Mutter, war MacAlpin das Ergebnis einer sogenannten »Mischehe«, und seine menschliche Natur war stärker ausgeprägt. Er war nicht »verwandlungsfähig«, was ihn jedoch nicht daran hinderte, Anspruch auf den piktischen Thron zu erheben, wie er zu jener Zeit genannt wurde. Um sein Königtum zu sichern, verriet er bei einem Abendessen seinen chrechtischen Bruder, ermordete alle übrigen Mitglieder der königlichen Familie – und verursachte damit bei den Chrechten ein für immer tief verwurzeltes Misstrauen rein menschlichen Geschöpfen gegenüber.

Trotz dieses Misstrauens wurde den Chrechten jedoch klar, dass sie im Kampf gegen die ständig wachsende und immer weiter vordringende menschliche Rasse nur noch aussterben oder sich den keltischen Clans anschließen konnten.

Und so schlossen sie sich ihnen an.

Soweit dem Rest der Welt bekannt war – und obwohl zahlreiche Beweise für ihre frühere Existenz vorhanden waren –, gab es das einst als Pikten bekannte Volk nicht mehr.

Da es nicht ihrer Natur entsprach, von anderen als ihren eigenen Leuten regiert zu werden, wurden die keltischen Clans, die die Chrechten aufgenommen hatten, innerhalb von zwei Generationen von verwandlungsfähigen Herrschern angeführt. Die meisten der rein menschlichen unter ihnen wussten nichts davon; einigen wenigen jedoch wurden die Geheimnisse ihrer Verwandten anvertraut. Diejenigen, die über diese Geheimnisse im Bilde waren, wussten, dass es den sicheren und sofortigen Tod bedeutete, sich nicht an den Schweigekodex zu halten.

Deshalb wurde dieser Kodex so gut wie nie gebrochen.

Geschichten von anderen Gestaltwandler-Rassen wurden am Lagerfeuer erzählt, oder den Kleinen, bevor sie schlafen gingen. Doch da die meisten Wölfe seit Generationen keine anderen Gestaltwandler gesehen hatten, begannen sie zu glauben, dass die anderen Rassen nur ein Mythos waren.

Doch Mythen schwangen sich nicht mit schwarzen, schimmernden Flügeln in die Lüfte auf. Mythen lebten nicht als Gespenster im Wald und atmeten Luft genau wie alle anderen Menschen und Tiere. Die Éan waren kein Mythos; sie waren Raben mit Fähigkeiten, die über die des bloßen Gestaltwandelns hinausgingen.

Und sie trauten den Wölfen noch weniger, als die Wölfe Menschen trauten.

1. Kapitel

Kommt, es brüllt um Rache, das Gekrächz des Raben!

– William Shakespeare

Auf den Ländereien der Donegals, schottisches Highland Zwölftes Jahrhundert

Der Rabe flog hoch über der Erde dahin und erspähte mit seinen scharfen Augen fünf Donegal-Krieger in dem Wald tief unter ihm.

Das Rot und Schwarz ihrer Plaids, das immer wieder zwischen den Bäumen hervorblitzte, ließ keinen Zweifel an ihrer wahren Anzahl aufkommen, aber hören konnte der weibliche Rabe nur drei von ihnen. Zwei schlichen sich völlig lautlos an ihre Beute heran. Nicht einmal mit ihrem ausgezeichneten Gehör, das noch schärfer war als ihre Krallen, konnte Sabrine das Geräusch ihrer Bewegungen wahrnehmen.

Sie hatten auch ihren Geruch getarnt, was bewies, dass sie ihre Chrechte-Natur besser unter Kontrolle hatten als die anderen. Diese beiden Faol oder Wolfs-Gestaltwandler der Chrechten waren gefährlich.

Man konnte keinem Wolf vertrauen, doch bei denen, die das Tier in sich beherrschen konnten, musste man die größte Vorsicht walten lassen. Sie würden auf die Tricks der Éan oder Vogel-Gestaltwandler nicht so leicht hereinfallen. Es war gut, dass ihre Rabenfamilie ihr diese Aufgabe übertragen hatte. Eine andere, weniger erfahrene Kämpferin könnte bei Wölfen wie diesen zu leicht scheitern.

Sabrine hatte ihr Volk seit ihrem fünfzehnten Sommer beschützt, der inzwischen schon sieben lange Jahre zurücklag.

In langsamen Kreisen glitt sie tiefer und bereitete sich auf die Landung vor. Es musste ganz natürlich aussehen, doch sie freute sich keineswegs darauf, ihre menschliche Gestalt anzunehmen, nur um dann durch ein paar Äste hindurchzufallen. Sie befand sich noch immer in großer Entfernung zu den Männern, war aber der Erde bereits näher, als ihr linker Flügel von einem stechenden Schmerz durchzuckt wurde.

Ihr erster Impuls war, den Flügel anzulegen, doch sie zwang sich, ihn ausgestreckt zu lassen, um langsam tiefer gleiten zu können, denn sie wollte nicht die Kontrolle verlieren und ins Schlingern geraten. Sie durfte nicht sterben, bevor sie ihre Leute vor der Heimtücke der Wölfe beschützt hatte.

Als sie sich der Erde näherte, ließ Sabrine den Raben von sich abfallen und nahm ihre menschliche Gestalt an, wie sie es schon hatte tun wollen, bevor der verdammte Pfeil ihren Flügel durchbohrt hatte. Äste zerkratzten ihren Körper, als sie zu Boden taumelte.

Sabrine ignorierte den kleineren Schmerz ihrer bedeutenderen Aufgabe zuliebe. Sie würde die Blutgier der Wölfe gegen sie selbst verwenden. Ihre Verletzungen würden ihr dabei helfen, sich in den Wolfsclan einzuschleichen und in seiner Mitte willkommen geheißen zu werden.

Als hilflose menschliche Frau.

Eine boshafte Belustigung durchfuhr sie zusammen mit dem Schmerz des Aufpralls auf dem Boden. Sie packte den Pfeil, brach die Spitze ab, ergriff ihn auf der anderen Seite und riss ihn aus ihrem Arm heraus.

Als sie merkte, dass ihr schwarz vor Augen wurde, warf sie die gefährliche Waffe so weit wie möglich von sich weg.

Barr fuhr lautlos herum, als er das Zischen eines Pfeiles hörte. Zorn ergriff ihn. Von dem Keiler, den sie jagten, war keine Spur zu sehen, sodass verdammt noch mal auch kein Grund bestand, die Waffe zu benutzen!

Muins Blick war auf den Himmel gerichtet statt auf den Wald, den er im Auge halten müsste, und der Jüngste ihrer Gruppe stand noch mit erhobenem Bogen da, als wäre er drauf und dran, erneut zu schießen.

Es wäre einfacher, Engländer auszubilden, dachte Barr mit einem Knurren, das er nicht einmal zu unterdrücken versuchte. Er hatte schon Chrechte-Welpen mit besserem Jagdinstinkt gekannt.

»Was zum Teufel sollte das, Junge?«, fragte er mit gedämpfter Stimme, die zwar seinen Ärger verdeutlichen, aber nicht weithin zu hören sein sollte.

»Ich sah dort oben einen Raben«, wisperte Muin beschwörend. »Mein Großvater sagt, sie brächten Unglück, und man müsse einen solchen Vogel töten, wenn man einen sieht.«

»Ach ja? Und hat dein Großvater dir auch das Jagen beigebracht?«, fragte Barr mit nur mühsam unterdrückter Wut. »Hat er dich gelehrt, unsere Beute vor unserem Herannahen zu warnen?«

»Der Keiler hätte den Pfeil nicht gehört.« Doch das war kein Argument für Barr.

Er trat vor, bis er den bartlosen Jungen um einiges überragte. »Was geschieht, wenn du einen Vogel am Himmel tötest?«

Muin schluckte, und es zuckte in seinem Gesicht, obwohl er sich offensichtlich alle Mühe gab, seine Nervosität zu verbergen. »Er fällt herab.«

»So ist es. Glaubst du, dass der Vogel uns den Gefallen tun wird, geräuschlos auf dem Boden aufzuschlagen?«

»Nein, Herr.«

»Allerdings nicht, Junge.«

Nicht zum ersten Mal, seit Barr als amtierender Clan-Chef und Rudelführer der Chrechten zum Donegal-Clan gekommen war, fragte er sich, ob er überhaupt die nötige Geduld für diese Aufgabe besaß. Er hatte sich sehr wohlgefühlt in seiner Position als Stellvertreter des Sinclair-Lairds, aber der König persönlich hatte ihn um diese Gefälligkeit gebeten. Anfangs hatte Barr sich nicht überreden lassen, doch als Talorc, sein früherer Clan-Chef, das Anliegen des Königs unterstützt und Barr auch selbst darum gebeten hatte, die Chrechten des Donegal-Clans zu trainieren, hatte Barr natürlich zugestimmt.

Er wusste von Talorcs Schwäche für Circin, einen jungen Krieger, der nun nach Art und Weise ihres Volkes ausgebildet wurde. Da Circin eines Tages den Donegal-Clan anführen sollte, sowohl eines königliches Edikts wie auch des Umstands wegen, dass er einmal der stärkste Chrechte unter den Donegals sein würde, war es unerlässlich, dass er lernte, seine Wolfsnatur zu beherrschen und zu nutzen.

Das war jedoch keine leichte Aufgabe für Barr, nicht bei solch schlecht ausgebildeten Chrechten, die sich ihrer Instinkte nicht bewusst und ihrer Umgebung gegenüber blind zu sein schienen … an einem guten Tag.

Muin gehörte jedoch normalerweise nicht zu diesen Schwachköpfen, und nur das bewahrte ihn jetzt davor, niedergeschlagen zu werden.

Das Gesicht des jungen Clan-Mitglieds wurde rot wie das Plaid, das er trug. »Ich … ähm …«

»Du hast gedankenlos gehandelt, da stimme ich dir zu.«

»Es tut mir leid, Laird.« Muin senkte den Kopf. Die Scham, die er empfand, war in der Luft um sie herum zu spüren.

»Tu das nie wieder, denn sonst werde ich Baumstammwerfen mit dir spielen!«

»Ja, Herr.«

»Und noch etwas, Muin.«

Der junge Mann hob den Kopf, um Barrs Blick zu erwidern – der nicht umhinkonnte, ihm Respekt zu zollen für den Mut, den das erforderte. Anders als sein Zwillingsbruder Niall machte Barr normalerweise erwachsenen Männern keine Angst, vor allem deswegen nicht, weil er zu lächeln verstand und sein Bruder nicht. Nicht, dass er in letzter Zeit viel Grund dazu gehabt hatte, aber allein schon seine Größe schüchterte viele Angehörige des Donegal-Clans, Chrechten und Menschen gleichermaßen, ein.

»Ja, Herr?«, fragte Muin.

»Wir sind Chrechten und achten jedes Lebewesen. Wir jagen der Nahrung wegen und nicht zum Spaß.«

»Aber diese Vögel bringen Unglück.«

»Sie sind Vögel. Nur alte Männer, die mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart leben, und Welpen glauben, dass ein Vogel Glück oder Unglück bringen kann. Du bist ein Krieger, also benimm dich auch wie einer!«

Muin straffte die Schultern. »Ja, Laird.«

Barr schüttelte den Kopf und wandte sich ab, um die Jagd auf den Keiler fortzusetzen, auch wenn es ihnen jetzt wahrscheinlich nichts mehr nützen würde. Sollte ihre Jagdgesellschaft wider Erwarten aber doch mit Beute zurückkehren, würde er seine Meinung über diese jungen Donegal-Chrechten revidieren.

Earc würde den Keiler zumindest noch aufspüren können. Der andere Sinclair-Krieger, der Barr begleitet hatte, um die Donegal-Soldaten und die Chrechten unter ihnen auszubilden, gab bei einer Jagd nie auf.

Und er hatte es auch bei dieser nicht getan, doch er schien verwirrt zu sein über den Weg, den das Wildschwein durch den Wald genommen hatte. »Der Keiler rennt vor uns davon«, sagte Earc mit einer Stimme, die kein menschliches Wesen hätte hören können.

»Glaubst du, dass er die jüngeren Chrechten wittert?« Diese jungen Krieger besaßen noch nicht die Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum ihren Geruch zu tarnen.

»Ich weiß es nicht. Irgendetwas hat ihm Angst gemacht. Er flieht geradezu panisch, ohne die Richtung zu beachten, glaube ich.«

»Circin und ich werden ihn überholen und zu euch zurückjagen.«

Earc nickte.

Barr wechselte die Gestalt und nahm als Wolf die Witterung des Keilers auf, fest entschlossen, ihre Beute doch noch zu erlegen. Circin, der andere Chrechte, der seine Verwandlungsfähigkeit bereits perfekt beherrschte, tat das Gleiche. Die anderen, die noch nicht so weit waren, folgten ihnen in einem schnelleren Tempo, als die meisten Menschen je erreichen könnten.

Der Geruch von etwas anderem als dem des Keilers bestürmte Barrs wölfische Instinkte und beanspruchte seine Aufmerksamkeit mit subtiler Macht. Was er roch, war etwas Unwiderstehliches und völlig anderes, das sein Wolf nicht ignorieren konnte. Noch zwingender sogar als Beute lenkte es die Aufmerksamkeit seines Wolfs beharrlich von der Verfolgung ihres Keilers ab.

Die Jagd war schon fast vergessen, als der Wolf sich mit aller Kraft bemühte, die schwer zu verfolgende neue Witterung aufzunehmen, was seinen hundeartigen Körper zu Verrenkungen von geradezu übernatürlicher Anmut zwang. Ohne sein Tempo auch nur sekundenlang zu verringern oder auf die Zustimmung seines Verstandes zu diesem Kurswechsel zu warten, rannte der Wolf in die Richtung, in die ihn sein Instinkt so unbeirrbar führte.

Barrs menschlicher Verstand versuchte zu entschlüsseln, was seine Sinne ihm vermittelten, doch einem Duft wie diesem war er noch nie zuvor begegnet. Und er hatte auch noch niemals auf einen Geruch allein mit einem derart heftigen Drang reagiert.

Mit einem solch elementaren Drang, dass er sich bei seinem Wolf behauptete, während Barrs menschlicher Verstand nach wie vor vor einem Rätsel stand.

War es der Geruch eines Menschen? Barr hob witternd die Schnauze, um die vielen Gerüche besser unterscheiden zu können. Tannen. Lehmige Erde. Sonnenschein. Ein Kaninchen. Ein Eichhörnchen. Laub und vertrocknete Tannennadeln. Und dann dieser Geruch … Unbestreitbar menschlich, unbestreitbar mehr.

Und weiblich. Nicht läufig, doch mit dem unterschwelligen Duft ihres Geschlechts. Allerdings vermischte sich nichts von dem moschusartigen Geruch einer Wölfin mit den anderen Gerüchen.

Wenn sie keine Wölfin war, musste sie menschlich sein. Sein Eindruck, dass es sich hier um etwas völlig anderes handelte, musste von ihrem einzigartigen Duft herrühren. Denn wenn es kein Wolf war, was er wahrnahm, was war es denn dann?

Mütter erzählten ihren Welpen zwar Geschichten von anderen verwandlungsfähigen Stämmen, doch das waren nur Märchen, mit denen sie die Kleinen unterhielten. Wölfe waren die einzigen Chrechten, die Barr oder irgendjemand sonst im Sinclair-Clan gekannt hatte. Wenn es wirklich andere verwandlungsfähige Spezies gäbe, würden die Wölfe davon wissen. Sie waren viel zu territorial, um sich solcher Dinge nicht bewusst zu sein.

Barr stürmte zwischen den Bäumen hindurch. Um Halt zu finden, schlug er die Krallen in den Boden und kam schließlich rutschend zum Stehen. Er war zu schnell gerannt. Seit er ein Welpe gewesen war, hatte er sich keiner unbekannten Situation mehr mit einer solchen Unachtsamkeit genähert. Noch beunruhigender war jedoch, dass sein Bruder oder sein früherer Laird sich krummlachen würden, wenn sie ihn jetzt so sehen könnten.

Aber selbst die Gewissheit dieser sicheren Demütigung war kaum mehr als ein flüchtiger Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss; seine Aufmerksamkeit war noch immer viel zu sehr mit dem Ursprung dieses ungewöhnlichen Duftes beschäftigt.

Die Frau lag reglos und völlig unbekleidet auf dem Boden. Nur eine ihrer Brüste war von ihrem rabenschwarzen Haar bedeckt, während die andere vollkommen Barrs Blicken preisgegeben war. Obwohl nicht allzu üppig, war sie wohlgeformt und mit einer zarten rosa Brustspitze versehen, die nach seinen Lippen und seiner Zunge verlangte, um erweckt zu werden. Von ihren hübsch geformten kleinen Füßen bis zu der femininen Rundung ihrer Hüfte, der sanften Biegung ihrer Schulter und allem, was dazwischenlag, war sie perfekt genug gebaut, um fleischliche Begierden in Barr und seinem Wolf hervorzurufen.

Die weichen, schwarzen Locken zwischen ihren Schenkeln hatten den gleichen bläulichen Glanz im Sonnenschein wie das lange schwarze Haar, das ihr bis weit über die Schultern fiel. Es ähnelte wirklich sehr dem blauschwarz glänzenden Gefieder der Raben, die die Luft beherrschten. Sie mochten zwar Aasfresser sein, doch sie besaßen eine nicht zu übersehende Eleganz, was Gestalt und Farbe anbetraf.

Barr hoffte aufrichtig, dass Muin mit seinem dummen Pfeil sein Ziel verfehlt hatte. Die Vorstellung, dass etwas derart Schönes, und wenn auch nur in Gestalt eines Vogels, aus bloßem Aberglauben vernichtet wurde, machte ihn ganz krank.

Die nackte Frau blieb weiterhin bewusstlos auf dem Waldboden liegen. Ihre fragile Schönheit weckte Barrs Beschützerinstinkte und rührte an einen Teil seines Wolfs, der noch nie zuvor an die Oberfläche getreten war. Obwohl sie recht groß war für eine Frau, würde sie noch immer zart und zerbrechlich wirken neben seiner imposanten menschlichen Gestalt, und er wollte sich zwischen sie und alle nur denkbaren Bedrohungen stellen.

Es war ein Gefühl, das er normalerweise für niemand anderen als für Angehörige seines Clans empfand, und er hatte es auch noch nie zuvor in seiner ganzen Tiefe erfahren.

Der gegenwärtige Zustand dieser Frau verstärkte nur noch Barrs Bedürfnis, sie zu beschützen, bis es seinen Wolf zum Knurren brachte. Ihre schöne helle Haut war von unzähligen kleinen Kratzern übersät, als wäre sie durch Gebüsch gerannt. Vielleicht hatte ein anderes Wildschwein sie beim Baden überrascht und sie nackt, wie sie war, in die Flucht geschlagen?

Barr lief auf sie zu und beschnüffelte sie mit seinen geschärften Sinnen. Verwirrt und nicht nur von seinem Verstand, sondern auch von seinem instinktiven Erinnerungsvermögen im Stich gelassen, wurde er jedoch auch weiterhin von einem schwer definierbaren Gefühl der Andersartigkeit gequält. Doch da war auch noch etwas anderes, was er roch. Blut. Größere Mengen, als die Kratzer verursacht haben könnten. Er hatte es vorher nicht bemerkt, weil der andere Geruch ihn so verwirrt hatte. Aber es war eindeutig Blut, was er jetzt wahrnahm.

Ihr Blut.

Eine mörderische Wut ließ die sonst so scharfen Bilder verschwimmen, die die Augen seines Wolfes sahen. Die Kleine war verletzt, ihre makellose, milchweiße Haut entstellt von einer hässlichen Wunde an ihrem Oberarm, aus der noch immer kleine rote Rinnsale sickerten.

Barr unterzog ihre nähere Umgebung einer schnellen Prüfung, sah aber nichts, was die Verletzung verursacht haben könnte. Sie sah jedoch definitiv nicht so aus, als rührte sie von einem hervorstehenden Ast oder dergleichen her. Die Wunde hatte nicht die zerfetzten Ränder einer Verletzung, die man sich durch etwas so Harmloses wie einen übersehenen Ast zuziehen konnte. Barr stieß mit der Schnauze gegen den Arm der Frau, um ihn genauer betrachten zu können.

Was immer sie getroffen hatte, war auf der anderen Seite wieder ausgetreten und hatte auch dort eine ähnlich hässliche Verletzung hinterlassen.

War die Frau geflohen, weil etwas viel Gefährlicheres als ein wildes Tier sie angegriffen hatte? Ein Mensch?

Nördlich von ihnen und jenseits der Donegal’schen Ländereien lebten keine Clans. Dort war nur noch Wildnis, und Barr hätte nicht bestimmen können, woher die Frau – oder auch ihr Angreifer – gekommen war.

Ein leises Stöhnen entschlüpfte ihren schönen, sanft geschwungenen Lippen, und die Hand ihres unverletzten Armes bewegte sich so unruhig, als griffe sie nach Barr. Er befand sich längst wieder in seiner menschlichen Gestalt, als die Frau zwei betörende dunkelbraune Augen aufschlug.

Sie weiteten sich vor Verwirrung, als sie zu ihm aufblickte, und ein paar Mal blinzelte sie schnell hintereinander. Dann versuchte sie stirnrunzelnd, sich aufzurichten, fiel jedoch gleich wieder aufstöhnend zurück, und ihre schönen Züge verzerrten sich vor Schmerz.

»Was ist passiert?« Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, als fiele ihr das Sprechen schwer.

Der Eindruck der Andersartigkeit verschwand, als wäre er niemals da gewesen. Barr war so verblüfft darüber – und über die Tatsache, dass sie die Frage stellte, die er von ihr beantwortet haben wollte –, dass er einen Moment lang zögerte, bevor er sprach. »Ich weiß es nicht.«

»Wer bist du?« Ihre Stimme war ein wenig kräftiger geworden, wenn auch nicht sehr viel.

Barr konnte sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass sie es gewöhnt war, ihre Fragen schnell und vollständig beantwortet zu sehen. Falls sie nicht eine Königin war, was er stark bezweifelte, war das sehr eigenartig für eine menschliche Frau in ihrer Welt. Ob es der Instinkt des Mannes oder des Tieres war, der es ihm sagte, wusste Barr nicht, aber er war sich dennoch sicher, dass er richtiglag.

»Ich bin Barr, der Clan-Chef der Donegals, auf deren Land Ihr Euch befindet.«

»Barr?« Ihre Pupillen weiteten sich vor Schreck und ließen ihre dunkelbraunen Augen fast so schwarz erscheinen wie die eines ausgewachsenen Raben. »Clan-Chef?«

Offenbar konnte er an nichts anderes mehr als an Vögel denken. »So ist es«, sagte er, konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, warum die Auskunft sie schockierte. Es war ja schließlich nicht so, als sähe er nicht wie ein Clan-Chef aus. Kein Mann im Donegal-Clan wirkte auch nur annähernd so einschüchternd wie er, doch das konnte sie ja nicht wissen.

»Ich …« Ihr Mund blieb geöffnet, als drängten die Worte nur so aus ihm heraus, und trotzdem kam keins über ihre Lippen.

Das Geräusch sehr schneller Schritte in der Nähe zog Barrs Aufmerksamkeit auf sich und machte ihm bewusst, wie beschäftigt er mit der Frau gewesen war. Er hätte den sich nähernden Mann schon viel eher hören müssen.

Es war Muin, der auf sie zugerannt kam und erst innehielt, als er kaum noch einen Schritt von der Frau entfernt war. Der junge Mann machte große Augen und wurde schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag puterrot, und trotzdem konnte er den Blick nicht von der unerklärlicherweise völlig nackten Frau lösen.

»Earc und die anderen jagen noch den Keiler. Earc schickte mich zu Euch, für den Fall, dass Ihr Hilfe brauchtet. Braucht Ihr Hilfe, Herr?«

Barrs Wolf knurrte angesichts des offensichtlichen Interesses Muins an der Nacktheit der Verwundeten. Barr kaschierte sein besitzergreifendes Verhalten allerdings sehr schnell, indem er den jungen Mann anherrschte: »Sieh gefälligst deinen Laird an, wenn du mit ihm redest, Muin!«

Der Soldat fuhr zurück, obwohl die Worte viel zu leise waren für menschliche Ohren, und löste sofort den Blick von der Frau mit dem rabenschwarzen Haar.

Sie wurde sogar noch bleicher und zuckte zusammen, was Barr sofort wieder mit Sorge um sie erfüllte. Sie musste große Schmerzen haben.

»Wer ist sie, Herr?«, fragte Muin mit einem verstohlenen Blick auf sie.

»Du sollst woandershin sehen, sagte ich!« Das erboste Knurren in Barrs Stimme ließ den jungen Jäger erneut zusammenfahren und einen Schritt zurücktreten. »Hol mein Plaid und pass auf, dass du nicht überall deinen Geruch darauf hinterlässt!«

»Wo …«

»Folge meiner Witterung, falls du dazu imstande bist!«, wies Barr ihn zähneknirschend an.

»Ja, Herr.« Der Junge rannte los.

In einem etwas verspäteten Anfall von Sittsamkeit zog die Frau ihr langes Haar über ihre Schulter, sodass nun beide Brüste bedeckt waren, und legte ein Bein über das andere, um ihm die Sicht auf das verführerische Dreieck schwarzer Locken zwischen ihren Schenkeln zu nehmen. »Ihr müsst der Laird sein, so widerspruchslos, wie er Euch gehorcht.«

»Dachtet Ihr, ich würde Euch belügen?« Menschen konnten seltsam sein, und obwohl er diese Frau erst wenige Minuten kannte, vermutete Barr, dass sie sich sogar als noch rätselhafter erweisen würde als die meisten.

»Vielleicht.«

»Warum?«

Ein Ausdruck des Abscheus huschte über ihr Gesicht, aber er war so schnell wieder verschwunden, dass Barr nicht sicher war, ob das schwache nachmittägliche Licht ihn nicht getäuscht hatte. »Weil die Faol unter den Chrechten das manchmal tun.«

Bei ihren Worten fuhr ihm der Schreck in die Glieder und wollte nicht mehr von ihm weichen. Sie wusste, dass er ein Wolf war? Und warum hatte sie den uralten Begriff Faol benutzt, an den sich nur so wenige noch erinnerten, dass er selbst in ihren mündlichen Überlieferungen kaum noch vorkam?

»Ihr seid überrascht«, bemerkte sie und legte den Kopf zur Seite wie ein Vogel. »Warum?«

Es war eine lächerliche Frage, und trotzdem beantwortete er sie. »Weil nur die Chrechten und einige der mit ihnen verwandten Menschen von unseren Wolfsnaturen wissen.«

»Aber Ihr habt Eure Wolfsgestalt vor meinen Augen abgelegt.«

»Ihr wart bewusstlos.«

Sie murmelte etwas, das wie typisch Wolf klang. »Möglich.«

»Dann seid Ihr die Gefährtin eines Wolfes?« Der Gedanke brachte Barr in Harnisch, obwohl er selbst nicht hätte sagen können, warum.

Für weniger als eine Sekunde erschien wieder dieser Ausdruck unverhohlenen Abscheus auf ihrem Gesicht, und diesmal zweifelte Barr nicht daran, dass er tatsächlich da gewesen war.

»Ihr hasst die Chrechten«, stellte er mit ausdrucksloser Stimme fest, doch wieder einmal sehr erschrocken – einerseits über die Erkenntnis selbst, andererseits aber auch über seine eigene heftige Reaktion darauf.

Zorn blitzte in ihren Augen auf und ließ sie dunkles Feuer sprühen. »Ich hasse die Chrechten nicht.«

Ihre Vehemenz war ebenso offenkundig wie der Eindruck, dass sie noch mehr sagen wollte, doch ihre Lippen blieben geschlossen und wurden sogar weiß, als sie sie fest zusammenpresste.

»Ihr habt Verwandte, die Chrechten sind, aber Ihr wurdet ohne die Fähigkeit geboren, Euch in einen Wolf zu verwandeln.« Das kam nicht selten vor, und bei so manchen verursachte es Verbitterung.

»Nein, ich kann mich nicht in einen Wolf verwandeln«, stimmte sie in einem Tonfall zu, der deutlich zu verstehen gab, dass sie diesen Umstand nicht als großen Verlust empfand.

Offensichtlich brachte diese Fremde ihrer Chrechte-Familie tatsächlich eher widersprüchliche Gefühle entgegen.

»Was tut Ihr hier?«, fragte er, weil er die Antwort hören wollte, bevor Muin zurückkam.

Sie blickte sich um. »Im Wald?«

»Auf Donegal’schem Land.« Barr konnte es sich gerade noch verkneifen, die Augen zu verdrehen. Er hegte keinen Zweifel daran, dass sie sehr genau wusste, was er meinte, und nur so getan hatte, als verstünde sie ihn falsch.

»Ich weiß es nicht.«

»Was?«

Sie sah nicht so aus, als scherzte sie, doch es konnte gar nicht anders sein. »Ich bin verletzt«, bemerkte sie, als erklärte das schon alles.

So war es aber nicht. »Ja, das seid Ihr.«

»Wie ist es dazu gekommen?«

»Solltet Ihr mir das nicht sagen können?«

»Aber ich weiß es doch nicht!«

Komisch, er witterte keine Lüge und zögerte dennoch, ihr zu glauben. Das war ihm noch nie zuvor passiert. »Wie könnt Ihr es nicht wissen?«

Sie schaute ihn nur wortlos an.

»Die Wunde an Eurem Arm scheint von einer menschlichen Waffe zu stammen.« Sie war zu klar umrissen, um eine Biss- oder Kratzwunde zu sein. »Seid Ihr überfallen worden?«

»Offensichtlich ja. Von einem brutalen, gewissenlosen Schurken.« In ihrer Stimme schwang ein solcher Abscheu mit, dass sie einfach wissen musste, wer sie angegriffen hatte.

»Wer war er?«

»Ich kenne ihn nicht.« Das klang völlig aufrichtig, passte jedoch überhaupt nicht zu ihrem davor so hasserfüllten Ton.

Auf jeden Fall gab die Sache Barr Rätsel auf. »Hört zu, Kleine …«

»Mein Name ist Sabrine.«

Das war immerhin schon etwas. »Aus welchem Clan stammt Ihr?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie könnt Ihr das nicht wissen?«

Sie drückte eine Hand an ihre Stirn, als versuchte sie, einen klaren Kopf zu bekommen. »Ich müsste es wissen, aber ich habe leider keine Ahnung.«

»Könnte es nicht sein, dass Euer Sturz Euch den Verstand vernebelt hat?«

»So wird es wohl gewesen sein.« Sie unternahm erneut einen Versuch, sich aufzusetzen. Diesmal schaffte sie es, doch der Schmerz in ihrem Gesicht verriet, was es ihr abverlangte. »Und es gefällt mir überhaupt nicht, so verwirrt zu sein.«

Wieder konnte Barr nichts wahrnehmen, was auf eine Lüge hinwies, doch die Worte klangen trotzdem nicht ganz aufrichtig. Es musste ihr konfuser Zustand sein, der die Instinkte seines Wolfes desorientierte. »Das glaube ich Euch gern.«

»Was soll ich nur tun?«

Das zumindest war eine Frage, auf die er eine Antwort hatte. »Bis Ihr Euch daran erinnert, woher Ihr kommt, werde ich Euch zur Donegal’schen Burg mitnehmen.«

Der Drang, den sein Wolf verspürt hatte, in der Nähe dieser Frau zu sein, hatte nachgelassen, seit sie wieder bei Bewusstsein war, aber ganz verschwunden war er nicht. Barr hatte den Eindruck, dass der Drang noch da war, nur vor ihm verborgen, was noch weniger Sinn ergab als Sabrines Unfähigkeit, die Frage nach ihrem Clan zu beantworten, während sie andererseits durchaus in der Lage war, sich an die Chrechten zu erinnern.

Seit seiner ersten Verwandlung hatte Barr noch nie etwas vor seinem Wolf verborgen, und umgekehrt war es genauso; sie konnten es gar nicht. Ob Mann oder Tier, sie waren ein- und derselbe.

Wäre diese Frau eine Chrechte gewesen, hätte er angenommen, dass sie ihren Duft kaschierte und dadurch die Sinne seines Wolfes durcheinanderbrachte, doch selbst das könnte die Wolfsnatur nicht völlig überdecken. Und sie hatte keine. Muin kehrte mit dem geforderten Plaid zurück, bevor Barr zu einem Schluss kommen konnte, was diese Seltsamkeit bedeutete.

Während er sich zwischen dem jungen Donegal und Sabrine hielt, benutzte Barr sein Plaid, um ihre Blöße zu bedecken. Dabei achtete er darauf, behutsam mit ihrem Arm und offensichtlich wunden Körper umzugehen. Sowie sie in das Plaid gehüllt war, hob er sie so vorsichtig auf die Arme, wie er konnte.

Und etwas ebenso grundlegend Wölfisches wie Menschliches in ihm beruhigte sich angesichts des Gefühls der Richtigkeit, das ihn erfasste.

2. Kapitel

Während Barr Sabrine durch den Wald trug, hüllte sein Duft sie ein, verlangte Anerkennung und bestand auf irgendeiner Art von Reaktion von ihrem Raben.

Und Barr kaschierte jetzt auch nichts mehr von seiner Präsenz, weder die des Wolfes noch die des Menschen. Es war eine eindeutige Warnung an andere Raubtiere, dass sich ein noch gefährlicheres unter ihnen befand. Das würde alle bis auf verwundete und vor Schmerz halb wahnsinnige Keiler von ihnen fernhalten.

Statt wie eine Warnung wirkte es sich jedoch berauschend wie ein starker Wein auf Sabrines Sinne aus. Sie konnte nichts anderes mehr riechen als den Wolf in Menschengestalt, der sie auf seinen Armen trug.

Das hätte sie eigentlich anwidern müssen, doch stattdessen war sie – wider Willen – neugierig und fasziniert.

Zum ersten Mal, seit sie ihre Pflichten als Beschützerin ihres Volkes übernommen hatte, wollte Sabrines Rabe hervorkommen und spielen. Trotz der Schmerzen in ihrem verletzten Flügel wollte sie sich in die Luft erheben und fliegen. Und nicht etwa als Wächterin, die nach möglichen Gefahren Ausschau hielt. Nein, sie wollte ausgelassen durch die Luft wirbeln, ihre Kreise ziehen und sich mit jähen Sturzflügen vergnügen, da sie nichts anderes mehr als taktisches Manövrieren gekannt hatte, seit sie ihre Kindheit hinter sich gelassen hatte.

Vielleicht hatte ihr Sturz vom Himmel ihr tatsächlich den Verstand vernebelt. Es war die einzig mögliche Erklärung für ihren Wunsch, herumzutollen wie ein junges Ding – oder für das fiebrige Verlangen, das sich langsam, aber sicher in ihr aufbaute …

Für das unerklärliche und völlig indiskutable Bedürfnis, sich noch fester an Barrs eindrucksvollen nackten Körper zu schmiegen.

Er roch nicht böse, aber er war ein Wolf. Er konnte gar nichts anderes sein. Und dennoch drängte ihr Vogel sie, sich an ihm zu reiben und auf einer solch ursprünglichen, animalischen Ebene seinen Duft auf sich zu übertragen, wie sie es noch bei keinem ihrer eigenen Leute je gewollt hatte. Er war so völlig anders als die Männer der Éan.

Selbst für einen Wolf war Barr sehr groß. Höher gewachsen als alle anderen Männer seiner Jagdgesellschaft, würde er auch die meisten Éan, ja selbst die Königsadler, um gut einen halben Kopf überragen. Sabrine hatte etwa die gleiche Größe wie die meisten ihrer Brüder, doch dieser Mann nannte sie Kleine, und sie konnte ihm nicht einmal widersprechen.

Und abgesehen von seiner hochgewachsenen Gestalt war er auch noch so breitschultrig, dass er sich nicht nur ducken, sondern sogar zur Seite würde drehen müssen, um ihr Zuhause zu betreten. Was allerdings keineswegs bedeutete, dass sie ihn je zu ihren Leuten führen würde.

Denn auf diesem Weg lagen Wahnsinn, Tod und Vernichtung.

Trotzdem konnte sie das Gefühl der Sicherheit, das seine starken Arme ihr vermittelten, nicht abschütteln. Bei jedem seiner Schritte spürte sie das Spiel seiner ausgeprägten Muskeln an ihrem Körper. Und statt Strategien zu entwickeln, um seine überlegene Kraft in einem Kampf zwischen ihnen auszugleichen, war ihr viel zu sehr daran gelegen, diese Kraft als Schild zwischen sich und jedem, der ihr Böses wollte, zu belassen.

Ihr Verstand war mehr als nur vernebelt; sie hatte ihn ganz und gar verloren!

Denn wäre es nicht so, würde es sie nicht so sehr danach verlangen, Barrs weizenblondes Haar zu berühren. Sie musste ja die Hände ineinander verschränken, um sich davon abzuhalten.

Sabrine kannte einen Königsadler mit der gleichen Haarfarbe, aber die Haut des Adlers war nicht so sonnengebräunt wie Barrs. Seine maskuline Ausstrahlung war viel zu ansprechend, in jeder Hinsicht.

Und er wusste, dass er auch unter Männern großartig war: Ungehemmt von seiner eigenen Nacktheit und ohne Rücksicht auf die neugierigen Blicke des jungen Soldaten, den er in den Wald zurückgeschickt hatte, um sein Plaid zu holen, trug er sie in seinen Armen durch den Wald.

So wütend auf sich selbst sie auch war, konnte Sabrine doch nicht umhin, eine ganz und gar feminine Ehrfurcht vor ihm zu empfinden. Keiner der Éan hatte jemals solche Reaktionen in ihr ausgelöst. Sie war immer allein gewesen, eine Kriegerin innerhalb ihres Volkes und für ihr Volk.

Und jetzt kämpfte sie plötzlich gegen das ungewohnte Gefühl der Verbundenheit, das sich zwischen ihr und dem hünenhaften Krieger zu entwickeln schien, seit sie ihn erblickt hatte. Kein Wolf sollte solche Gefühle in ihr hervorrufen.

Den Faol unter den Chrechten konnte man nicht trauen. Man durfte sich ihnen nicht offenbaren und schon gar nicht einen von ihnen zum Gefährten nehmen.

Es gab fürchterliche Geschichten von Wölfen, die ihre Éan-Gefährten dazu benutzt hatten, sie zu den Vogel-Chrechten zu führen, nur um dann den ganzen Schwarm, einschließlich ihrer schmerzlich getäuschten Gefährten, gnadenlos zu töten. Freilich waren die Geschichten alt, und so etwas war in jüngster Zeit nicht mehr vorgekommen, aber dies war nur so, weil die Éan unter den Chrechten ihre Lektion gelernt hatten und sich nicht mehr mit den Faol paarten.

Seit Generationen hatten die Faol sich die größte Mühe gegeben, die Éan aus der Welt zu schaffen. Sabrine konnte sich nicht erlauben, diese wichtige Tatsache zu vergessen. Der Diebstahl des Clach Gealach Gra aus den Höhlen der heiligen Usal-Quellen war nur die jüngste von jahrzehntelangen Niederträchtigkeiten, die von den Wölfen gegen die Rabenmenschen begangen worden waren.

Sabrines Leute brauchten den heiligen Stein für ihre Volljährigkeitszeremonien, um ihre Chrechte-Anlagen voll und ganz entwickeln zu können. Diejenigen der Éan, die ihre besonderen Gaben nicht zur Entfaltung brachten, konnten weder Kinder zeugen noch gebären, was von den meisten Éan als ebenso heilige Gabe betrachtet wurde wie ihre Chrechte-Natur. Noch schlimmer jedoch, als ihre Leute dieser Grundbedürfnisse zu berauben, war die Tatsache, dass der Diebstahl des Clach Gealach Gra zweifellos ein heimtückischer Versuch war, dafür zu sorgen, dass die noch verbliebenen Vogel-Gestaltwandler nicht über die derzeitige Generation hinaus weiterbestanden.

Sabrines Éan-Brüder lebten schon jetzt wie Schatten in den Wäldern, verbargen sich vor Wölfen und Menschen gleichermaßen und hofften, dass die grausamen Faol glauben würden, es sei ihnen gelungen, die letzten Éan auszurotten. Ihre Anzahl war zu klein, um sich auf irgendeine andere Weise zu schützen. Außerdem lag das Töten nicht in der Natur eines Raben. Sie konnten sich zwar Seite an Seite mit den Falken und Adlern verteidigen, aber nicht mit ihnen in die Offensive gehen. Da die Falken und Adler jedoch insgesamt weniger als die Hälfte der gesamten Éan ausmachten, waren deren einzige wahre Alternative ihre defensiven Stärken. Nur hatte ihre Verteidigungsmaßnahme, sich in den Wäldern zu verbergen, offenbar nicht funktioniert.

Es war zwar keine Jagdgesellschaft mehr gekommen, um ihre Spezies zu suchen, seit Sabrine ein kleines Kind gewesen war und beide Eltern bei einem solchen Angriff verloren hatte, doch die Wölfe schienen noch immer zu vermuten, dass die Éan existierten, wenn nicht sogar gediehen, und hatten diesen gemeinen Plan geschmiedet, um die Welt ein für alle Mal von den Vogel-Gestaltwandlern zu befreien.

Aber Sabrine konnte nicht zulassen, dass ihnen dies gelang. Sie würde das Herz des Mondes, den geheiligten Stein der Éan, finden und ihn ihren Leuten zur sicheren Aufbewahrung übergeben, bevor ihr jüngerer Bruder seine Volljährigkeit ohne den Talisman erreichte.

Das Gefühl der Sicherheit, das Barrs starke Arme ihr vermittelten, war nichts als eine Illusion, ohne Substanz und überaus gefährlich. Sie, Sabrine, würde niemals wirklich sicher sein in den Armen eines Wolfes. Falls er ihre wahre Natur entdeckte, würde er das Werk zu Ende bringen, das der Pfeil seines Jägers begonnen hatte.

Egal, wie anziehend sie den Mann fand, er war und würde immer ein Faol der Chrechten sein.

Und ihr Todfeind.

»Wieso seid Ihr plötzlich so angespannt, Sabrine? Ist Eure Erinnerung zurückgekehrt?«, fragte er mit seiner tiefen Stimme, die sie durchflutete wie Wasser, das über Felsen rauschte, und ihr Innerstes genauso aufgewühlt zurückließ.

Fast wäre ihr herausgerutscht: Oh ja, mir ist gerade wieder eingefallen, dass du mein Feind bist!, und sie wollte sich seinen Armen schon entziehen, aber dann beherrschte sie sich doch. Ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, ihre Furcht und jede andere Emotion zu verbergen, während sie ihr Volk beschützt hatte, und diese Erfahrung verlieh ihr auch nun die Kraft, nach außen hin völlig ungerührt zu bleiben. Ihr Ziel musste stets im Mittelpunkt ihrer Überlegungen stehen, und dieses Ziel erforderte, dass Barr sie für eine menschliche Frau und für schwach und zerbrechlich hielt.

»Nein. Ich dachte nur gerade an Euren Clan«, erwiderte sie, was zwar nicht die ganze Wahrheit, aber auch keine Lüge war.

Sie musste ihn täuschen, um ihr Volk zu retten, doch sie war kein Wolf und würde daher nicht allein der Zweckdienlichkeit wegen lügen.

»Sie werden Euch nichts zuleide tun.«

»Seid Ihr Euch da sicher?«

»Das würden sie nicht wagen. Ihr steht unter meinem Schutz.«

Unerklärlicherweise verkrampfte sich ihr Herz, und für einen winzigen, unglaublichen Moment verdrängte Freude das Leid, das ihre Vergangenheit ausgemacht hatte. Noch nie zuvor hatte ihr jemand Schutz versprochen. Wenn der stärkste der Faol-Krieger es täte, würde sie ihm sagen, sie könne sich selbst beschützen, und auch keinen Zweifel daran hegen.

Aber dieser Mann hier, dieser Wolf, war mächtiger als jeder Chrechte, dem sie je begegnet war. Er könnte sie beschützen. Wäre er wirklich und wahrhaftig ihr Beschützer, könnte er sogar ihrem Volk Schutz gewähren.

Doch kein Faol hatte je den Hüter der Éan gespielt, und keiner würde es auch jemals tun.

»Ihr beansprucht sie also für Euch?«, fragte der andere Donegal’sche Wolf im gleichen respektvollen, ja schon an Ehrfurcht grenzenden Ton, in dem er jedes Mal mit Barr gesprochen hatte.

Da der hünenhafte Krieger, der Sabrine trug, nichts erwiderte, beschloss sie, an seiner Stelle zu antworten. »Niemand erhebt Anspruch auf mich.«

Der junge Mann namens Muin warf ihr einen Blick zu, der ihr deutlich zu verstehen gab, dass ihre Worte weit weniger Gewicht besaßen als das Handeln seines Herrn.

Worauf sie stirnrunzelnd zu Barr aufblickte. »So ist es doch, oder?«

»Im Moment nehme ich Euch mit heim, um Eure Wunden zu versorgen.«

»Richtig. Gut.« Ihr Kopf wippte auf und nieder, und sie zwang sich, damit aufzuhören. »Keine Beanspruchung.«

»Fürs Erste nicht.«

Zuerst schnappte sie nach Luft, dann funkelte sie die Männer böse an, aber Muin grinste nur, und Barr beachtete sie beide nicht.

»Überhaupt nie«, fauchte sie.

Barr blieb stehen und blickte mit aufgewühlten grauen Augen auf sie herab. »Ihr wollt keine Kinder?«

Ihr Herz verkrampfte sich erneut, doch dieses Mal vor Schmerz. Obwohl jedem Éan von Geburt an beigebracht wurde, dass Kinder in die Welt zu setzen der einzige Weg war, ihre Zukunft als Rasse zu gewährleisten, hatte Sabrine schon vor langer Zeit beschlossen, kinderlos zu bleiben.

»Ich würde keine Kinder in die Welt setzen, nur um sie als Waisen zurückzulassen, wenn ich sterbe.«

»Was für ein makabrer Gedanke!«

Vielleicht war es das für ihn, aber Barr war ja auch ein Wolf und kein Rabe. Niemand jagte seine Spezies, um sie auszumerzen. »So ist die Welt nun mal.« Ihre Welt zumindest.

»Nicht alle Kinder wachsen als Waisen auf. Nicht einmal die meisten.«

»Unter meinen eigenen Leuten sind es genug.«

»Das wisst Ihr noch, aber nicht, wer Eure Leute sind?«, fragte er spöttisch.

Sie wandte den Kopf ab, denn jede Lüge, die sie ihm noch würde auftischen müssen, war schon jetzt wie Galle in ihrem Mund.

»Ist es nicht eher so, dass Ihr Euch sehr wohl an Euren Clan erinnert und es nur nicht wollt?«, hakte er nach und schien sehr stolz darauf zu sein, dass er sich das zusammengereimt hatte. Auch wenn es nicht stimmte.

In gewisser Weise hatte er jedoch auch recht: Sabrine wollte sich nicht an die Dezimierung erinnern, die ihre Leute durch die Hand der seinen erlitten hatte.

Deshalb schwieg sie einfach.

»Ihr werdet es mir schon noch sagen.«

»Was soll ich Euch sagen?«

»Alles.«

»Nein.« Selbst in ihren eigenen Ohren enthielt dieses einzelne Wort genug Entsetzen, um ein kleines Dorf damit zu überschwemmen.

Barrs Gesicht verdüsterte sich nicht; er zuckte nur mit den Schultern und stieß sie ein wenig an, damit das Plaid, das sie bedeckte, gerade weit genug verrutschte, um ihre nackte Haut an seiner ebenso nackten zu spüren.

Was Sabrine diesmal scharf die Luft einziehen ließ, war alles andere als Schock. Es war pures Empfinden. Ein erstaunlich sinnliches Empfinden – das zum ersten Mal in ihrem Leben den Wunsch nach körperlicher Vereinigung mit einem Mann in ihr hervorrief.

Sie war noch nie einem Mann so nahe gewesen, nicht außerhalb des Kampfes jedenfalls. Und noch niemals hatte ein Mann eine solche Wirkung auf sie gehabt wie Barr.

Er atmete tief ein, und zu ihrem Ärger erkannte sie, dass er ihre sinnliche Erregung witterte.

»Hört auf damit!«, wisperte sie.

Barr blickte schmunzelnd auf sie herab und erhitzte schier die Luft um sie herum mit seiner männlichen Belustigung. »Nein.«

»Ihr könnt keinen Anspruch auf mich erheben.«

»Euer Körper sagt aber etwas anderes.«

»Mein Körper wird von meinem Verstand beherrscht.«

»Wir werden sehen.«

»Ihr würdet mich zu etwas zwingen, was mein Verstand nicht will?«

»Von zwingen kann keine Rede sein, doch Ihr werdet aufhören müssen, Euer Herz von Eurem Verstand regieren zu lassen.«

»Mein Herz hat hiermit nichts zu tun.«

»Nennt es, wie Ihr wollt! Aber Euer Körper verrät Eure wahren Gefühle zu der Sache.«

»Er verrät bloß eine animalische Reaktion.«

»Was für eine seltsame Feststellung für einen Menschen!«

»Auch Menschen sind Tiere; es ist nur so, dass sie bloß eine Natur haben und nicht zwei wie die Chrechten.«

Sie griff nach dem Plaid und versuchte, es zwischen ihre erhitzte Haut und die Barrs zu ziehen. Doch das ließ er nicht zu, dieser arrogante Wolf, und drückte sie sogar noch fester an sich, als er weiterging!

Neugierige Clan-Angehörige, die alle mit dem rot-schwarzen Plaid der Donegals bekleidet waren, umringten sie, als Barr Sabrine fast eine Stunde später in das Dorf trug.

Eine ältere Frau schaute sie und ihn mit einem vielsagenden Lächeln an. »Wie es aussieht, war Eure Jagd erfolgreich, Laird.«

»Aye. Ich habe diese Frau im Wald gefunden.«

»Und offenbar auch noch völlig hüllenlos.«

Ein Junge fragte: »Könnte es sein, dass sie von einem wilden Tier angegriffen wurde, das ihre Kleider verschleppt hat?«

»Ja, mein Junge, genau so war es«, log Barr ohne das geringste Zögern.

»Sie sieht ein bisschen mitgenommen aus«, bemerkte die ältere Frau. »Am besten bringt Ihr sie zur Burg, damit Verica nach ihr sehen kann.«

Ihre Worte überraschten Sabrine. Sie wusste, dass Menschen durchaus wohlmeinend sein konnten, doch diese Frau gehörte zu dem Clan, der den heiligen Stein der Éan gestohlen hatte. Und in Sabrines Vorstellung waren alle Donegals grausam und selbstsüchtig wie die Wölfe, die diesen Clan zu ihrem Zuhause gemacht hatten.

Ihr blieb jedoch nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, bevor sie in die Burg gebracht wurde.

Sie war nicht so groß wie einige der Clan-Wohnstätten, die sie bei ihren nächtlichen Flügen gesehen hatte, aber größer als irgendeine Unterkunft der Éan. Barr trug sie in den Burgsaal, an dessen einem Ende drei u-förmig aufgestellte, lange Tische standen und am anderen ein mächtiger Kamin den Saal erwärmte. Es gab keine Sitzgelegenheiten vor dem Feuer; dennoch hockte eine kleine Gruppe Soldaten auf dem Boden davor und schärfte ihre Waffen.

Mit einem flüchtigen Gruß ging Barr an den Männern vorbei, und als einer fragte, wer die Frau in seinen Armen sei, bezeichnete er sie als seinen »Gast«. Das weckte die Neugierde der Soldaten, die Muin offensichtlich zu befriedigen gedachte, als er sich zu ihnen ans Feuer setzte.

Barr schienen die interessierten Blicke nicht zu kümmern, als er weiter den lang gestreckten Saal durchquerte und um die Tische herum auf eine Treppe zuging.

Auf der ersten Stufe blieb er stehen und rief: »Verica!«

Dann stürmte er die Treppe hinauf und schaffte es trotz seiner Geschwindigkeit, Sabrines verletzten Arm nicht anzustoßen. Seine Geschmeidigkeit überraschte sie nicht – Wölfe waren nicht ungeschickt –, aber seine Sorge um ihr Wohlergehen schon.

Eine schöne, zierliche Frau kam aus einer Tür im ersten Stock. Vermutlich war sie jene Verica, von der die alte Frau gesprochen und die Barr herbeigerufen hatte. Sie hatte die gleiche Haarfarbe wie Sabrine, bis auf die dunkelroten Strähnen, die Vericas schwarzes Haar durchzogen. Etwas Ähnliches hatte Sabrine bisher nur bei einem Falken- und Goldadler-Gestaltwandler gesehen. Er hatte dunkelbraunes Haar mit Strähnen, die golden waren wie die Federn des zweiten Tieres, in das er sich verwandeln konnte. Es kam äußerst selten vor, dass ein Gestaltwandler mit der Fähigkeit geboren wurde, die Gestalt beider Elternteile anzunehmen. Sabrine hatte in ihrem ganzen Leben nur von dreien gehört, und einer war schon lange tot.

Sie konnte sich nicht vorstellen, was die seltsame – und höchst seltene – Haarfarbe dieser zierlichen Frau erzeugt haben könnte, bis Verica näher trat und Sabrine klar und deutlich ihren Duft wahrnahm.

Es war der eines Wolfes.

Kein anderer Gestaltwandler hatte das tiefschwarze Haar des Raben, außer dem Raben selbst … was nur bedeuten konnte, dass diese Frau die Fähigkeit besaß, sich sowohl in einen Wolf als auch in einen Raben zu verwandeln. Was wiederum nur möglich war, wenn ihre Eltern das eine und das andere gewesen waren.

Entsetzt über die Bedeutung dieser Erkenntnis, konnte Sabrine die andere Frau nur sprachlos anstarren.

Verica hingegen funkelte Barr wütend an. »Ihr habt nach mir gerufen?«, fragte sie kühl.

»Diese Frau braucht eine Heilerin.«

»Was habt Ihr mit ihr gemacht?«

»Was fällt euch ein, so etwas zu fragen?!«

»Wieso denn nicht? Soll ich etwa so tun, als suchte Circin nicht jede Nacht meine Hilfe für Verletzungen, die Ihr ihm beim Training zugefügt habt?«

»Da Euer Bruder eines Tages der Laird sein wird, muss er ein starker Krieger werden.«

»Er ist doch noch ein Kind.« Die zierliche Frau schien kein bisschen eingeschüchtert von ihrem hünenhaften Laird zu sein.

Entweder war sie völlig furchtlos, dumm oder erstaunlich gut darin, den Duft ihrer Emotionen zu kaschieren, was eine Fähigkeit war, die die Faol nicht im gleichen Maß besaßen wie die Éan.

Sabrine wusste schon jetzt, dass ihr diese Frau sympathisch sein würde.

»Er würde es Euch nicht danken, dass Ihr ihn als Kind bezeichnet. Ein Chrechte, der sechzehn Sommer hinter sich hat, ohne je ein Schwert geführt zu haben, und wenn auch nur in einem Scheinkampf, ist eine Schande.«

»Circin ist keine Schande!«

»Nein, aber seine Ausbilder sind es.«

Irgendetwas, ein Anflug von Unbehagen vielleicht, regte sich bei der Erwähnung der Ausbilder im Gesicht der Frau. »Als Circin noch jünger war, hatte ich ihm davon abgeraten, mit den älteren Chrechten des Clans zu trainieren.«

»Ihr werdet mir Eure Gründe dafür erklären müssen, sobald Ihr Euch um diese junge Frau gekümmert habt.«

»Diese junge Frau nennt sich Sabrine, wie Ihr sehr wohl wisst, Laird«, sagte Sabrine stirnrunzelnd zu Barr.

Er antwortete mit einem Lächeln. »Ich fragte mich schon, ob Ihr neben der Erinnerung vielleicht auch noch die Sprache verloren hättet.«

»Ihr habt Eure Erinnerung verloren?« Vericas Stimme klang scharf, als sie sich wieder an Barr wandte. »Warum habt Ihr nichts gesagt? Eine Schädigung des Gehirns kann sehr gefährlich sein. Sabrine könnte ganz normal erscheinen und dann einfach einschlafen und nicht wieder erwachen.«

Barr stieß ein tiefes, Furcht einflößenden Knurren aus, das beide Frauen erschrocken zusammenfahren ließ. »Sie wird nicht sterben.«

Verica nickte, als müsste es so sein, nur weil der Laird es sagte. »Jemand muss nachts bei ihr wachen.«

»Das tue ich.«

»Ihr? Aber Ihr seid der Laird!« Zum ersten Mal wirkte die Wolf-Raben-Frau verunsichert. Die Nacktheit ihres Clan-Führers schien ihr nichts ausgemacht zu haben, was allerdings auch nicht überraschend war angesichts der Tatsache, dass die Männer in den Highlands noch sehr häufig nackt kämpften oder jagten. »Sie ist nicht Eure Gefährtin, oder?«

»Ich bin keines Wolfes Gefährtin«, erklärte Sabrine mit größerer Bestimmtheit, als sie tatsächlich empfand. Egal, wie sie auf den hünenhaften Kerl reagierte – eine solche Verbindung würde sie nie eingehen können.

Nicht nur der Sicherheit ihrer Leute, sondern auch ihrer eigenen wegen. Die Éan würden eine Verbindung zwischen einer der ihren und dem Feind nie akzeptieren.

Sie könnte wegen Verrats getötet werden, zumindest jedoch müsste sie mit der Verbannung rechnen. Und ihre Leute konnten es sich nicht leisten, sie zu verlieren.

Beide Donegals musterten sie mit unterschiedlich abwägenden Blicken. Barrs war selbstbewusst und schon fast zuversichtlich, während Vericas von Erstaunen geprägt war. Dennoch stellte sie die Frage nicht, die buchstäblich zwischen ihnen in der Luft hing, sondern zeigte auf ein Zimmer auf der anderen Seite des Gangs. »Lasst uns dafür sorgen, dass sie sich hinlegt!«

Barr setzte sich mit Sabrine auf den Armen in Bewegung, hielt aber nicht vor der Tür an, auf die Verica gezeigt hatte, sondern ging zur nächsten weiter und stieß sie auf.

»Ihr werdet sie für Euch beanspruchen?«, wollte die junge Frau wissen, und diesmal klang sie regelrecht schockiert.

Warum fragten die Leute ihn das ständig? Auch diesmal würdigte er die Frage keiner Antwort. Also wirklich! Und musste Verica es so klingen lassen, als könnte Barr etwas Besseres bekommen? Sabrine wäre eine starke Gefährtin für einen Mann, selbst für diesen Hünen von einem Laird – wenn sie vorhätte, je einen Mann zu nehmen, was nicht der Fall war, schon gar nicht einen Wolfs-Gestaltwandler.

Statt an seiner Stelle zu antworten, wie sie es bei Muin getan hatte, kniff Sabrine Barr – und zwar so fest, dass es ihm ordentlich wehtun musste. Diesmal konnte er seine Clan-Angehörige selbst beruhigen.

Er fuhr zusammen und warf Sabrine einen ärgerlichen Blick zu. »Wofür war das denn?«

»Antwortet Eurer Clan-Angehörigen! Sagt ihr, dass Ihr mich nicht für Euch zu beanspruchen gedenkt!« Sabrine wandte sich der anderen Frau zu. »Er sagte, er würde heute Nacht bei mir wachen, und natürlich gedachte er, es hier zu tun. Doch ich bin mir sicher, dass das nicht nötig ist.«

»Ach? Seid Ihr denn eine Heilerin?«, fragte er.

Ein unerwarteter alter Schmerz durchzuckte Sabrine. »Nein.« Hätten ihre Eltern länger gelebt, wäre sie eine geworden. Ihre Mutter war Heilerin gewesen, aber ihr Tod und der ihres Vaters hatten Sabrine den Weg einer Kriegerin einschlagen lassen.