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Hamburg Krimi: Burmester ermittelt 4
von Alfred Bekker
Ein Privatdetektiv wird in seiner Detektei ermordet. Doch was
ist der Grund? War er an etwas Großem dran? Der Privatdetektiv
Aldo Burmester erfüllt den letzten Wunsch des ihm unbekannten
Kollegen und übernimmt den Fall. Als Burmester die Ermittlung
aufnimmt, muss er feststellen, dass ihm bereits jemand
zuvorgekommen und er diesem ein Dorn im Auge ist …
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen,
Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb
er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry
Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica
Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick,
Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
1
Hamburg im Jahr 1991…
Stefan Fiegenbaum nahm das Diktiergerät zur Hand und versuchte
zum letzten Mal, endlich seinen Bericht abzuschließen. Aber im
Grunde wusste er, dass es auch diesmal nichts werden würde. Er
konnte sich einfach nicht konzentrieren. Als sein Blick seitwärts
ging, sah er seine eigene Hand ein wenig zittern.
Ich bin schon weit gekommen!, durchfuhr es ihn. Er atmete tief
durch, erhob sich von seinem unbequemen Bürostuhl und legte das
Diktiergerät auf den unaufgeräumten Schreibtisch. Fiegenbaums Büro
lag in Hamburg-Mitte nahe der S-Bahnlinie, weil er sich nichts
Teureres leisten konnte. Doch jetzt hatte er vielleicht die Chance,
den Aufstieg vom Schmalspur-Schnüffler zum Gentleman-Ermittler zu
schaffen. Aber die Sache war noch nicht sicher. Sie stand auf
Messers Schneide und wenn er Pech hatte, schnitt ihm dieses Messer
am Ende die Kehle durch. Fiegenbaum musste höllisch aufpassen und
wusste das auch. Aber die Versuchung war einfach zu groß gewesen.
Eine solche Chance gab es nicht zweimal ...
Fiegenbaum trat ans Fenster und blickte hinaus in die
Dunkelheit. Es war schon spät. Eigentlich hatte er längst zu Hause
sein wollen, aber in seinem Job durfte man nicht auf die Uhr
schauen.
Er dachte plötzlich an seine Frau Karin und an Michael, seinen
Sohn, der in ein paar Wochen zehn Jahre alt wurde.
Um ihretwillen hätte ich mich nie auf diese verdammte
Geschichte einlassen sollen, ging es ihm schmerzhaft durch den
Kopf.
Aber jetzt war es zu spät dafür, irgendetwas zu bereuen. Jetzt
musste er die Sache durchstehen und hoffen, dass alles gut ging.
Wenn die Sache ausgestanden war, würden sie alle drei davon
profitieren und eine bessere Zukunft haben. Keine nächtlichen
Observationen von untreuen Ehemännern mehr, kein stundenlanges
Herumlungern in der Nähe von Geldautomaten mehr, um irgendwelchen
Scheckkartenbetrügern auf die Spur zu kommen.
Security Consulting – Sicherheitsberatung - für große
Unternehmen, etwas in der Art schwebte Fiegenbaum für die Zukunft
vor. Mit festen Bürostunden nach Möglichkeit. Und natürlich mit
mehr Zeit für seine Familie.
In diesem Moment zuckte Fiegenbaum unwillkürlich zusammen. Das
passierte ihm jetzt öfter. Seine Nerven hatten ziemlich gelitten,
seit er in dieser Sache drin hing. Er hatte ein Geräusch an der Tür
gehört. Jemand drückte auf die Klingel, aber die funktionierte
schon seit langem nicht mehr. Also klopfte es eine Sekunde
später.
Fiegenbaum hatte sein Schulterholster abgeschnallt und auf den
Schreibtisch gelegt. Jetzt ging sein Griff dorthin, um die Waffe in
die Hand zu bekommen. Es war eine Beretta und er fühlte sich schon
wesentlich besser, als er den Pistolengriff in seiner Rechten
spürte.
Mit der Waffe im Anschlag ging er in Richtung Tür, an der es
zum zweiten Mal klopfte, diesmal schon etwas ungeduldiger.
Fiegenbaum warf einen Blick durch den Spion. Im Flur stand ein
Mann, den er nicht kannte.
"Was wollen Sie?", rief Fiegenbaum.
"Machen Sie auf, ich muss mit Ihnen sprechen!", kam es durch
die Tür. "Aber nicht so, dass alle Welt das mitbekommt! Oder nehmen
Sie keine Klienten mehr an?"
Fiegenbaum überlegte kurz. In seinem Hirn arbeitet es
fieberhaft. Der Kerl da draußen war vermutlich kein Klient - obwohl
Fiegenbaum dafür bekannt war, dass man ihn zu jeder Tages- und
Nachtzeit erreichen konnte. Aber in seiner jetzigen Lage glaubte er
einfach nicht daran. Viel näherliegender war eine andere
Möglichkeit. Jemand hatte vermutlich eine Art bezahlten Todesengel
vorbeigeschickt, um Stefan Fiegenbaum loszuwerden.
"Einen Moment!", rief Fiegenbaum, ohne die Absicht zu haben,
dem Fremden wirklich zu öffnen. Er wollte nur Zeit gewinnen.
Fiegenbaum schlich rückwärts und blickte sich in seinem
schäbigen Büro um, in dem er jetzt wie in einer Mausefalle saß. Er
hatte keine Chance hinauszukommen. Es gab keinen Balkon, keine
Feuerleiter, nicht einmal die Möglichkeit zu einen Sprung aus dem
Fenster, dessen Rahmen sich so verzogen hatte, dass er es im Winter
hatte festnageln müssen, um nicht bei der Erledigung des leidigen
Bürokrams zu erfrieren.
In Fiegenbaums Büro gab es kaum Deckung. Es war kein Ort, um
sich dort zu verstecken. Die Einrichtung war karg. Außer dem
Schreibtisch befanden sich da nur ein paar selbsttragende Regale an
den Wänden, in denen er die Akten mit seinen Ermittlungsunterlagen
aufbewahrte.
Fiegenbaum war gerade bis zum Schreibtisch gekommen, da gab es
ein hässliches Geräusch. Es klang fast so, als hätte jemand kräftig
geniest, aber Fiegenbaum wusste, dass es etwas anderes war. Eine
Pistole mit Schalldämpfer!
Der Kerl hatte kurzerhand das Schloss zerschossen. Die Tür
öffnete sich einen Spalt.
Fiegenbaum machte das Licht aus und ging hinter dem
Schreibtisch in Deckung. Dann entsicherte er seine eigene Waffe. Er
packte die Beretta mit beiden Händen und wartete einfach die
nächsten Sekunden ab, die endlos langsam voranzuschreiten schienen.
Das erste, was er durch die Tür kommen sah, war der langgezogene
Schalldämpfer.
Einen Augenblick noch wartete er. So lange, bis der Kerl zur
Hälfte hereingekommen war. Fiegenbaum sah von dem Eindringling
nicht viel mehr als einen schattenhaften Umriss. Aber als Ziel
reichte das völlig aus. Stefan Fiegenbaum dachte gar nicht daran,
zu warten, bis der Killer versuchte, ihn zu töten. Seine einzige
Chance war, ihm zuvor zu kommen. Und so tauchte er aus seiner
Deckung hervor, legte die Beretta an und feuerte.
Der Eindringling reagierte allerdings blitzschnell. Er ließ
sich zur Seite fallen und dann machte es 'Plop!'. Dreimal schnell
hintereinander feuerte der Killer und traf. Ein Ruck ging durch
Fiegenbaums Körper. Er taumelte nach hinten und riss seine Beretta
noch einmal hoch, um zu feuern. Doch bevor er dazu Gelegenheit
bekam, hatte der Killer noch einmal abgedrückt. Der Schuss traf
Fiegenbaum direkt in der Brust. Die Kugel trat auf der anderen
Seite wieder aus und ließ die Fensterscheibe zu Bruch gehen.
Fiegenbaum wurde nach hinten gerissen, so dass er dann aus dem
Fenster kippte. Sieben Stockwerke, das war schon ein ganz
ordentlicher Sturz. Der Killer machte indessen das Licht wieder
an.
Der Fenstersturz war eigentlich nicht geplant gewesen.
Letztlich bedeutete er für den Killer aber nur, dass er jetzt
schneller arbeiten musste. Eine Viertelstunde, so schätzte er,
hatte er mindestens. Er warf einen kurzen Blick hinaus aus dem
Fenster. Ein hässlicher Anblick.
Es war schon jemand bei dem Toten und hatte sich über ihn
gebeugt, ein anderer kam herbei. Aber es würde niemand hinauf ins
Büro kommen, solange nicht die Polizei eingetroffen war. Das wusste
der Killer aus Erfahrung. So waren die Leute nun einmal. Sie
wollten etwas sehen, aber sich in nichts hineinziehen lassen.
Der Killer steckte seine Pistole ein und wandte sich dann den
Akten zu, mit denen Stefan Fiegenbaum seine Regale vollgestellt
hatte. Eine nach der anderen wurde herausgerissen, durchgeblättert
und dann auf den Boden geworfen.
2
Kriminalhauptkommissar Sven Dankwers von der Mordkommission
Hamburg-Mitte war ein korpulenter Koloss. Er kam schnaufend aus
seinem Dienstwagen heraus und bewegte sich auf den Tatort zu.
Mantel und Jackett waren offen, seine Hemdknöpfe bis zum Zerreißen
gespannt.
Die zahlreich postierten Uniformierten konnten das Heer der
Schaulustigen kaum ausreichend abdrängen und auch Dankwers hatte
einige Mühe, sich durch den Pulk hindurchzudrängeln.
Schließlich hatte er sich bis zu Kommissar Brandt
vorgearbeitet, der neben einer männlichen Leiche stand.
"Mehrere Schüsse", erklärte der lockenköpfige Brandt, als er
den Kriminalhauptkommissar neben sich auftauchen sah. "Zwei davon
waren tödlich. Da ist jemand sehr gründlich gewesen."
"Sieht aus, als wäre er da oben aus dem Fenster gesprungen",
vermutete Dankwers.
Brandt zuckte die Achseln.
"War sicher kein freiwilliger Sprung!"
"Warst du schon oben?"
"Ja. Jetzt ist die Spurensicherung gerade dort."
"Wo ist denn der verdammte Arzt?"
"Schon wieder weg, Chef."
"Und die Todeszeit?"
"23 Uhr 47."
Dankwers zog die Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn. Er
sah Kommissar Brandt an, als wollte dieser ihn auf den Arm nehmen.
"So genau, Herr Brand?"
"Wir haben die Aussage einer Frau, die einen Schuss hörte,
nachdem sie kurz vorher auf die Uhr geschaut hatte."
"Einen Schuss?"
Brandt nickte.
"Ja, und den muss der arme Kerl hier selbst abgegeben haben.
Er besaß eine Beretta. Sein Mörder hat wohl mit Schalldämpfer
gearbeitet."
Dankwers verzog das Gesicht. Das klang nicht gut. Er zwang
sich dazu, den Toten anzuschauen, aber die Mühe hätte er sich
sparen können. Der Schädel war ziemlich zerstört und obendrein
blutbeschmiert. Vom Gesicht war nicht viel zu sehen.
"Er heißt Stefan Fiegenbaum und unterhielt hier ein Büro als
Privatdetektiv", hörte der Kriminalhauptkommissar die sonore Stimme
von Brandt.
Dankwers nickte. "Haben wir zufällig mal mit ihm
zusammengearbeitet?"
"Glaube ich nicht", meinte Brandt. "Jedenfalls ist er mir
nicht in Erinnerung geblieben."
Zwei Männer kamen jetzt herbei, um den Toten in einen Zinksarg
zu legen. Dankwers wandte sich ab. Er war verdammt froh darüber,
dass das nicht sein Job war.
"Gehen wir hinauf in das Büro", meinte er zu Brandt.
"Es war durchwühlt", sagte Brandt. "Vielleicht ist Fiegenbaum
auf irgendetwas gestoßen, das so brisant war, dass man ihm gleich
einen Killer auf den Hals gehetzt hat."
Dankwers zuckte mit den Schultern.
"Schon möglich", meinte der Kriminalhauptkommissar und fuhr
fort: "Kann aber genauso gut sein, dass er sich als Erpresser
versuchte. Reich ist er mit seinem Job ja wohl nicht geworden -
wenn er hier residierte."
Dankwers war schon ein paar Schritte gegangen, da ließ ihn
Brandts Stimme abrupt stoppen.
"Ach, Chef ... Da ist noch etwas …" Brandt druckste ein wenig
herum, während Dankwers ihn anfuhr: "Na los, raus damit!"
"Fiegenbaum hatte Frau und Kinder."
"Ich hoffe, es hat sie jemand benachrichtigt. Und zwar mit
Einfühlungsvermögen!"
"Das ist es ja eben. Ich hatte gehofft, dass Sie ..."
3
"Guten Tag, Herr Burmester!"
Die Gesichtsfarbe des Mannes war so grau wie sein Anzug. Sein
Lächeln schien nichts weiter als eine gefühllose Maske zu sein.
Eine geschäftsmäßige Maske. Sein Name war Norman Rüther, und er war
seines Zeichens Notar und Rechtsanwalt, im Übrigen einer mit
ziemlich gutem Ruf.
Aldo Burmester, der Mann auf der anderen Seite des
Schreibtisches, hatte ebenfalls in seiner Branche einiges an
Renommee. Er bot seinem Gast einen Sessel an.
"Es freut mich, Sie endlich einmal kennenzulernen, Herr
Burmester."
"Ganz meinerseits."
"Ich habe schon einiges von Ihnen gehört. Man sagt, Sie wären
Hamburgs bester Privatdetektiv."
Aldo lächelte ironisch.
"Die Leute sagen viel, Herr Rüther. Das wissen Sie sicher auch
..."
Aber diese Art von Humor kam bei dem grauen Mann
offensichtlich nicht so recht an. Er blieb knochentrocken, sein
Gesicht fast reglos. Er wandte den Kopf kurz zu der dritten Person,
die sich im Raum befand. Es war eine äußerst attraktive Blondine,
deren eng anliegendes Strickkleid wenig von dem verbarg, was sich
darunter befand. Norman Rüther beeindruckte das jedoch
augenscheinlich nicht im Geringsten. Er wandte sich an Aldo.
"Ich hätte Sie gerne unter vier Augen gesprochen, wenn es
Ihnen nichts ausmacht."
"Es macht mir nichts aus, aber dies ist Frau Jana Marschmann,
meine Mitarbeiterin. Sie wird ohnehin erfahren, worum es geht. Da
kann sie auch gleich dabei sein, finden Sie nicht?"
Norman Rüther fand das nicht. Aber er setzte sich
trotzdem.
"Was ist Ihr Anliegen, Herr Rüther?", erkundigte sich Aldo,
während er sich eine Zigarette anzündete.
"Ich bin hier, weil ich die traurige Pflicht habe, den letzten
Willen eines Verstorbenen zu erfüllen. Vor zwei Tagen wurde ein
Privatdetektiv namens Stefan Fiegenbaum in seinem Büro erschossen.
Es ist kein Fall, von dem Sie gehört haben müssten, Herr Burmester.
Vielleicht gab es eine kleine Randnotiz in der Zeitung, vielleicht
noch nicht einmal das." Rüther erzählte dies mit fast emotionsloser
Stimme. Er zuckte einmal zwischendurch kurz mit den Schultern und
fuhr dann fort: "Herr Fiegenbaum hat mich zu Lebzeiten beauftragt,
Ihnen das hier auszuhändigen." Er überreichte Aldo ein Kuvert und
dieser öffnete es. Darin befand sich ein Brief, in dem der
Ermordete Aldo Burmester den Auftrag gab, seinen Tod aufzuklären.
Außerdem ein Scheck sowie ein Schlüssel. Dazu eine von Fiegenbaum
unterzeichnete Vollmacht, die Aldo Burmester ermächtigte, den
Inhalt eines Bankschließfachs abzuholen. Laut Brief befanden sich
dort die Ermittlungsunterlagen zu Fiegenbaums letztem Fall.
Aldo gab den Brief an Jana weiter, die ihn kurz
überflog.
"Heißt das, dass dieser Fiegenbaum von seiner bevorstehenden
Ermordung wusste - oder zumindest ahnte?", fragte Aldo
stirnrunzelnd.
Rüther zuckte mit den Achseln.
"Ich weiß es nicht, Herr Burmester", bekannte er. "Ich möchte
nur wissen, ob Sie den Fall annehmen. Anderenfalls muss ich mich
auf die Suche nach jemandem anderem machen. Herr Fiegenbaum hatte
offenbar - rein professionell gesehen - eine hohe Meinung von
Ihnen. Deshalb sind Sie seine erste Wahl gewesen."
Aldo überlegte kurz. Dann nickte er. Er hatte eine
Entscheidung getroffen.
"Ich werde mich um die Sache kümmern", kündigte er an.
"Schließlich war Fiegenbaum gewissermaßen ein Kollege."
"Es freut mich, dass Sie die Sache so sehen, Herr Burmester",
erwiderte Rüther kühl und erhob sich dann. "Sie ersparen mir damit
einiges an Aufwand. Es ist schließlich nicht so einfach, einen
guten Privatermittler zu finden." Er blickte dann auf seine Rolex,
um zu unterstreichen, dass er jetzt schleunigst gehen musste.
"Frau Marschmann wird Sie hinausbegleiten", sagte Aldo.
Aber Rüther winkte ab.
"Danke sehr, aber ich finde den Weg sehr gut allein." Einen
Augenblick später war er verschwunden.
"Das ist doch wohl die merkwürdigste Art und Weise, auf die du
je an einen Fall geraten bist, Aldo. Die ganzen Jahre über, die wir
schon zusammenarbeiten, habe ich so etwas noch nicht erlebt."
Aldo grinste.
"Das ist eben eine der positiven Seiten dieses Jobs: Es gibt
jede Menge Abwechslung!"
Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
"Trotzdem! Dass du dich gleich so hast breitschlagen lassen,
wundert mich. Ich frage mich, warum eigentlich."
Aldo hob den Scheck und hielt ihn mit Zeige- und
Mittelfinger.
"Ein Argument ist natürlich das hier!"
"Ach, komm schon!" Sie nahm ihm das Papier aus der Hand und
warf einen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf. "Du könntest
dir leicht dickere Fische an Land ziehen, Aldo."
"Sicher", murmelte er und zuckte die Achseln. "Aber ich mag es
eben nicht, wenn man einen aus unserer Zunft umbringt. Irgendwie
muss man da doch zusammenhalten, findest du nicht?"
4
"Tut mir aufrichtig leid, aber ich fürchte, ich kann nichts
für Sie tun." Es war der mandeläugigen Bankangestellten nicht
anzusehen, ob es ihr wirklich so leid tat oder nicht viel mehr eher
peinlich war. Aber im Grunde war das auch gleichgültig.
Aldo Burmester sah noch einmal kurz in das Bankschließfach und
seufzte dann. Das Fach war leer. Nicht einmal ein Staubkorn war
darin zu sehen - aber es wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu
sein, hier alle Beweise wohl geordnet auf einem Haufen zu
finden.
"Was heißt das - Sie können nichts für mich tun?", fragte Aldo
stirnrunzelnd. "Ich habe den Schlüssel und eine Vollmacht des
Verstorbenen, in dem er ausdrücklich mich dazu ermächtigt, den
Inhalt des Faches abzuholen!"
"Das mag schon sein, Herr ..."
"Burmester."
"Unsere Bank verbürgt sich dafür, dass kein Unbefugter an das
Fach herankommen kann."
"Herr Fiegenbaum hat eine Menge Geld dafür hingeblättert, dass
ich den Inhalt dieses Faches abhole. Das hätte er nicht, wenn es
leer gewesen wäre."
"Ich kann ja mal in den Unterlagen nachschauen, Herr
Burmester. Wenn wirklich jemand Zugang zu dem Fach gehabt hat,
müsste eine Unterschriftsprobe vorhanden sein, die wir
obligatorisch verlangen."
Aldo lächelte dünn.
"Dann seien Sie bitte so freundlich und schauen Sie
nach!"
Sie verließen den Raum mit den Schließfächern. Und dann sah
Aldo es eine Minute später schwarz auf weiß: Der Inhalt des Fachs
war abgeholt worden. Und zwar von Karin Fiegenbaum, der Witwe des
Ermordeten.
"Nach den Unterlagen hatten wir keinen Grund, ihr den Zugang
zu verwehren", meinte die Mandeläugige. "Sie war ja schließlich
seine Witwe!"
"Hatte sie einen Schlüssel?"
"Den brauchte sie nicht unbedingt. Es kommt immer mal wieder
vor, dass Hinterbliebene nicht wissen, wo der Verstorbene den
Schlüssel aufbewahrt hat. In solchen Fällen verlangen wir
Schadensersatz, weil wir ein neues Schloss einsetzen müssen
..."
"Und Frau Fiegenbaum hat bezahlt?"
"So ist es."
5
Karin Fiegenbaum hatte feuerrotes Haar und dunkle Augen, die
im Augenblick sehr traurig wirkten. Sie war eine hübsche, zierlich
gebaute Frau, die sich aber im Augenblick etwas vernachlässigt zu
haben schien. Jedenfalls begrüßte sie Aldo im Morgenmantel, als er
vor ihrer Wohnungstür auftauchte.
Die Fiegenbaums wohnten zur Miete im Parterre eines
mehrstöckigen Reihenhauses.
"Ich kaufe nichts und ich lasse mich auch zu nichts bekehren",
murmelte sie müde und wollte Aldo schon die Tür vor der Nase
zuschlagen.
"Warten Sie einen Moment, Frau Fiegenbaum! Ich muss unbedingt
mit Ihnen sprechen ..."
Sie strich sich die rote Mähne zurück und machte: "Ach, ja?
Machen Sie' es kurz! Es geht mir nicht besonders gut!"
"Mein Name ist Aldo Burmester, ich bin Privatdetektiv."
"Was wollen Sie?"
"Es geht um Ihren ermordeten Mann! Darf ich
hereinkommen?"
Sie war noch immer misstrauisch, und so zeigte Aldo ihr seinen
Ausweis.
"Was soll ich mit dem Wisch?"
"Wenn nach meinem Besuch das Familiensilber fehlt, wissen Sie
jedenfalls, wer es hat." Er sah sie offen an. Vor ihm stand eine
gebrochene Frau, die wirkte, als wäre sie ziemlich aus der Bahn
geworfen worden. Und Aldos Bemerkung heiterte sie auch nicht im
Geringsten auf. Sie reagierte nur mit einem Schulterzucken, das
nicht weniger auszusagen schien, als dass ihr im Moment ohnehin
alles ziemlich egal war.
"Wer schickt Sie?", fragte sie.
"Ihr Mann hatte einen Notar beauftragt, mich im Falle seines
Todes zu engagieren, um seinen Mörder zu finden."
Sie sah Aldo erstaunt an.
"Davon wusste ich nichts", meinte sie.
"Die Polizei war sicher schon bei Ihnen, nehme ich an
..."
"Ja", nickte sie. "Ein gewisser Kommissar Brandt."
"Ein langer Kerl mit lockigen Haaren, nicht wahr?"
"Kennen Sie ihn?"
"Er arbeitet in der Mordkommission von Kriminalhauptkommissar
Dankwers, und das ist ein alter Freund von mir."
Sie musterte Aldo eingehend von oben bis unten und auf einmal
schien ihr aufzufallen, dass ihr eigenes Outfit an diesem Tag nicht
dem letzten Schrei entsprach. Eine leichte Röte überzog ihr
Gesicht. Es war ihr peinlich. Dafür schien das Misstrauen nicht
mehr ganz so stark zu sein.
"Kommen Sie", murmelte sie.
Aldo wurde in ein Wohnzimmer geführt und bekam einen Platz in
einem klobig wirkenden Ledersessel. Sie setzte sich
ebenfalls.
"Ich sehe heute nicht besonders gut aus", meinte sie. "Aber
wissen Sie, Stefans Tod war ein schwerer Schlag für mich. Ich stehe
jetzt vor dem Nichts. Und ich wüsste übrigens auch nicht, wie ich
Sie bezahlen sollte."
"Das hat Ihr Mann schon erledigt!"
"Was?"
"Ja, ein Scheck. Hier ist die Quittung der Bank. Ich habe ihn
vor einer halben Stunde eingelöst." Aldo holte die Quittung aus
seiner Brieftasche und zeigte sie ihr.
Sie runzelte die Stirn.
"Ich wusste gar nicht, dass Stefan bei dieser Bank auch ein
Konto besitzt", murmelte sie. "Und dann die Summe!" Sie gab Aldo
die Quittung zurück. "Ich kann für Sie nur hoffen, dass der Scheck
gedeckt war, Herr Burmester."
"Hat Ihr Mann mit Ihnen über seine Arbeit gesprochen?"
"Nein, nie. Er wollte seinen Ermittler-Job und das Privatleben
strikt auseinanderhalten. Deshalb liegt sein Büro auch am anderen
Ende der Stadt." Sie zuckte die Achseln "Er hatte sicher dafür
seine Gründe, denn die Sachen, die er gemacht hat, waren wohl nicht
immer ganz ungefährlich. Er wollte uns - mich und unseren kleinen
Michael - nicht in diese Dinge hineinziehen."
"Dann wissen Sie auch nicht zufällig, woran er in letzter Zeit
gearbeitet hat?"
"Nein. Keine Ahnung."
"Wurde er vielleicht von irgendjemandem bedroht?"
"Nicht, dass ich wüsste, Herr Burmester." Sie zuckte die
Achseln und rieb die Handflächen aneinander. "Ich fürchte, ich bin
Ihnen keine große Hilfe, was?"
Aldo studierte eingehend ihr Gesicht. Die Augen wirkten
unruhig, und sie rutschte auf ihrem Platz hin und her. Der
Privatdetektiv hatte das Gefühl, dass sie ihm nicht
hundertprozentig die Wahrheit sagte oder zumindest etwas
verschwieg. Zum Beispiel die Sache mit dem Bankschließfach, aber
Aldo wollte erst noch abwarten, bevor er damit herauskam.
Plötzlich sagte Sie: "Ich sehe keinen großen Sinn darin, wenn
Sie auch noch in dieser Sache herumrühren, Herr Burmester."
Aldo hob die Augenbrauen.
"Es wundert mich, dass Sie das sagen."
"Was könnten Sie schon herausfinden, was die Polizei nicht
auch früher oder später herausbekommt?", erwiderte Karin
Fiegenbaum.
"Nun, Ihr Mann hat das offenbar anders beurteilt."
"Lassen Sie es gut sein und überlassen Sie die Sache der
Polizei!"
"Merkwürdig, dass Sie so denken, Frau Fiegenbaum."
"Warum?"
"Weil es meiner Erfahrung nach so ist, dass Angehörige um
jeden Preis diejenigen bestraft wissen wollen, die für die Tat
verantwortlich sind."
"Das ist bei mir nicht anders", erwiderte sie mit belegter
Stimme. "Aber ich bin realistisch. Außerdem können weder Sie noch
die Polizei mir meinen Mann wiederholen ..."
Damit hatte sie natürlich recht. Aldo erhob sich, um zu gehen.
"Haben Sie ein Bild von ihm?"
"Ja, aber ..."
"Dann geben Sie es mir bitte."
Sie zögerte.
"Sie wollen nicht lockerlassen, oder?"
"Ich habe einen Auftrag."
"Und wenn ich Ihnen diesen Auftrag wieder entziehe?"
"Darauf würde ich mich nie einlassen, Frau Fiegenbaum. Der
Auftrag war der letzte Wille Ihres Mannes. Und den werde ich
respektieren."
Sie nickte. Eine seltsame Anspannung hatte sie erfasst, die
Aldo sich nicht ganz erklären konnte.
"Ich hole Ihnen ein Foto", sagte sie.
Als sie zurück war und Aldo ein Foto von Fiegenbaum gegeben
hatte, fragte dieser: "Liegt es vielleicht am Geld, dass Sie mir
den Auftrag entziehen wollten? Darüber könnten wir reden. Ich muss
nicht gleich mein Auto verkaufen, wenn ich auf den Scheck
verzichte."
Sie schüttelte den Kopf und vermied es dabei, Aldo in die
Augen zu sehen.
"Nein", meinte sie. "Darum geht es nicht."
"Haben Sie einen Job?"
"Nein. Ich werde mir etwas suchen müssen."
"Und eine Lebensversicherung?"
"Alles futsch. Stefan hat eine Hypothek darauf aufgenommen,
als wir uns die neue Wohnungseinrichtung gekauft haben. Außerdem
war ich letztes Jahr ein paar Wochen im Krankenhaus, das ging auch
ganz schön ins Geld. Deshalb wundert es mich ja auch so, dass
Stefan Ihnen ein solches Honorar zahlen konnte."
"Wie gesagt, wir können darüber reden."
"Ich bin keine Bettlerin!", erklärte sie empört.
"So war es auch nicht gemeint!"
"Schon gut."
Sie gingen zur Tür.
"Wir werden uns sicher bald wiedersehen", meinte Aldo. "Tut
mir leid, dass ich Ihnen das nicht ersparen kann.“
"Das braucht Ihnen nicht leid zu tun."
Als Aldo die Wohnung verließ, kam ein etwa zehnjähriger Junge
das halbe Dutzend Stufen bis zur Haustür hinaufgerannt. Das musste
Michael sein. Karin Fiegenbaum nahm ihren Sohn voller Erleichterung
in die Arme.
"Ich bin froh, dass du da bist", sagte sie.
Michael schaute zu Burmester hinüber und unterzog ihn einer
kritischen Musterung.
"Wer ist der Mann?"
"Ein Privatdetektiv", erklärte seine Mutter.
"Wie Papa?"
"Ja, wie Papa."
Der Junge musterte Aldo ein paar Sekunden lang und ging dann
ins Haus.
6
Kriminalhauptkommissar Sven Dankwers und Aldo Burmester waren
seit Jahren befreundet, aber der Kriminalhauptkommissar schien sich
heute nicht besonders zu freuen, den Privatdetektiv
wiederzusehen.
Er fegte wie eine Dampfwalze durch die Mordkommission, in der
einen Hand einen Kaffeepott, in der anderen einen Stapel
Unterlagen. Als er Aldo sah, stoppte er ziemlich abrupt, verdrehte
die Augen und seufzte: "Wenn du auftauchst, Aldo, dann bedeutet das
meistens Arbeit für mich. Aber ich sage dir gleich: Ich stecke bis
zum Hals in Arbeit!"
Aldo lachte. "Na, da geht es dir wie mir, Sven!"
"Vielleicht. Aber mit dem Unterschied, dass ich dir bei deinem
Job helfen soll, während du mich von meinem abhältst."
"Na, na, übertreibst du nicht ein bisschen?"
Dankwers schüttelte den Kopf.
"Kaum! Eher im Gegenteil!"
"Meistens war es doch so, dass wir beide profitierten, wenn
wir zusammen an einem Strang gezogen haben, Sven."
"Wie auch immer, du lässt dich doch nicht abwimmeln. Also komm
mit! Einen Kaffee kann ich dir allerdings nicht anbieten. Unsere
Maschine ist kaputt. Ich hatte das Glück, die letzte Tasse
abgekriegt zu haben!"
Wenig später waren sie in Dankwers’ Dienstzimmer und der
Kriminalhauptkommissar hatte sich hinter seinem Schreibtisch
ächzend niedergelassen, während Aldo es vorzog,
stehenzubleiben.
"Worum geht es, Aldo? In welche Akte willst du einen
unerlaubten Blick werfen?", feixte Sven.
Aldo machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Sagt dir der Name Fiegenbaum etwas?"
"Natürlich. Ein Fall unter vielen, der darauf wartet, gelöst
zu werden. Was hast du damit zu schaffen?"
"Ich suche Fiegenbaums Mörder."
Dankwers lachte heiser.
"Was du nicht sagst! Dasselbe gilt auch für mich!" Dankwers
fuhr mir seinem Bürostuhl einen Meter zur Seite und hatte eine
Sekunde später eine Akte in der Hand, die er anschließend Aldo
hinüberreichte. "Unverbindlich zur Ansicht", meinte er. "Der Killer
ist auf Nummer sicher gegangen und hat mehrfach abgedrückt.
Wahrscheinlich hat er einen Schalldämpfer benutzt."
Burmester hob die Augenbrauen.
"Ein Profi?"
"Ist nicht auszuschließen. Dafür spräche auch, dass es am
Tatort - seinem Büro - keinerlei Spuren gibt. Keinen Fingerabdruck,
gar nichts.“
"Hat der Mörder Fiegenbaums Unterlagen durchsucht?"
"Gründlich! Woher weißt du das?"
Aldo zuckte die Achseln.
"Ich zähle einfach zwei und zwei zusammen, das ist alles." Er
langte in die Innentasche seines Jacketts und holte den Brief
heraus, den der Notar Rüther ihm übergeben hatte. Er gab Dankwers
das Papier und meinte dazu: "Fiegenbaum muss geahnt haben, dass es
jemand auf ihn abgesehen hatte. Und es hängt wahrscheinlich mit
seinem letzten Fall zusammen."
Dankwers nickte.
"Fiegenbaum hat sich eine Schießerei mit dem Killer geliefert.
Das heißt, dass er wusste, dass es ihm an den Kragen würde ... Hast
du dir das Bankschließfach mal angesehen, von dem hier die Rede
ist?"
"Habe ich. Es war leer. Die Witwe hat es leergeräumt, aber sie
weiß angeblich nicht, woran ihr Mann gearbeitet hat. Was weißt du
bisher über Fiegenbaum?"
Dankwers hob die Schultern.
"Nun, er ist eine Art Schmalspur-Schnüffler. Ein kleiner Fisch
im großen Teich namens Hamburg. Jedenfalls geht das aus seinen
Ermittlungsunterlagen hervor. Untreue Ehemänner und Ladendiebe,
manchmal auch Personen- und Objektschutz."
"Und seine Auftraggeber?"
"Privatleute, manchmal mittlere und kleine Firmen." Sven
Dankwers deutete auf die Akte. "Steht alles darin. Kommissar Brandt
war ziemlich fleißig, leider hat er aber bislang noch keinen hier
aufs Revier geschleppt, von dem man annehmen kann, dass er der
Mörder war."
Aldo schlug die Akte auf.
"Ich werde mir ein paar Sachen herausschreiben", meinte er.
Da war zum Beispiel der Kaliber der Mordwaffe oder die Liste
der Klienten. Aber vermutlich hatte der Mörder bei seiner
Suchaktion dafür gesorgt, dass sein Name nicht auf dieser Liste
stand.
"Hat Fiegenbaum eigentlich mal jemanden in den Knast gebracht
oder sonst wie übel mitgespielt?", fragte der Privatdetektiv dann,
während er Kugelschreiber und Notizblock aus der Jackentasche
holte.
"Nicht, dass wir bisher wüssten, Aldo. Wie gesagt, die großen
Sachen waren nicht sein Feld."
"Und Informanten? Jeder Privatdetektiv hat seine Spitzel, um
an Informationen heranzukommen, die einem sonst kein Mensch geben
würde ..."
"In seinen Akten haben wir darüber nichts gefunden." Prustend
erhob er sich und walzte bis zum Fenster, wo er kurz stehen blieb,
um hinaus ins Freie zu blicken. Dann drehte er sich zu Aldo herum.
"Ich will dich ja nicht entmutigen, aber ..."
"Aber was?", hakte Aldo nach.
"Du weißt, dass wir nicht alle Morde aufklären können - und
dieser hat gute Chancen dazuzugehören. Keine Spuren, keine
Täterbeschreibung, nichts Greifbares. Wenn sich herausstellt, dass
der Killer wirklich ein Profi ist, dann könnte er längst über alle
Berge sein. Wenn Fiegenbaum ein Drogendealer wäre, würde man die
Sache schnell in der Schublade Bandenmorde ablegen."
"Fiegenbaum war aber kein Dealer, soweit ich weiß."
"Aber ein Mann, der sich gezwungenermaßen auf beiden Seiten
der Grenze, die das Gesetz zieht, auskannte. Woher wissen wir, ob
er nicht auch auf der anderen Seite des Zauns gegrast hat?"
"Richtig", murmelte Aldo. "Das wissen wir nicht. Aber ich
kriege es heraus, darauf kannst du Gift nehmen!"
Dankwers hob die Arme.
"Ich hoffe du lässt es mich dann wissen!"
Aldo grinste.
"Aber nur, wenn dir das nicht zu viel Zeit raubt und dich von
deinem Job abhält!"
7
Michael musste mit seinem Fahrrad ziemlich abrupt abbremsen,
um den Mann nicht anzufahren, der da mitten auf dem Gehweg
stand.
"Pass doch auf!", knurrte dieser mürrisch.
"Entschuldigung!"
Einen Augenblick lang begegneten sich ihre Blicke und der
Junge erschrak unwillkürlich. Der Mann war hochgewachsen und sehr
schlank, was noch dadurch unterstrichen wurde, dass er einen eng
anliegenden dunkelgrauen Mantel trug. Sein Gesicht war von ungesund
wirkender Blässe. Als er den Jungen ansah, zuckte unterhalb des
linken Auges ein Muskel. Aber das war gar nicht das eigentlich
Erstaunliche. Das waren die Augen. Jedenfalls für den Jungen. Diese
Augen schienen ihn geradezu zu durchbohren. Eine fast hypnotische
Kraft ging von ihnen aus und verhinderten, dass Michael sich
abwandte.
Auf einmal war dem Jungen klar, dass er diesen Mann nicht
mochte. Er konnte nicht sagen, weshalb eigentlich. Es war einfach
so.
"Ist noch was?", fragte das Bleichgesicht.
"Nein ...!", stammelte Michael.
"Warum glotzt du mich dann so an?"
Dem Jungen fiel auf, dass der Mann Handschuhe trug, obwohl es
gar nicht so kalt zu sein schien, dass das nötig war.
Der Mann ging an dem Jungen vorbei, und die Stufen hinauf.
Michael konnte nicht anders, als hinzusehen, denn das waren die
Stufen, die zu ihrer Wohnung führten.
Seine Mutter schien den Mann zu erwarten. Jedenfalls stand sie
plötzlich in der offenen Haustür.
"Tag, Frau Fiegenbaum!", sagte der Mann.
Sie schien sich nicht sehr über den Besuch zu freuen.
"Was wollen Sie?", fragte sie gereizt.
"Ich will mich nur erkundigen, ob Sie sich meinen Vorschlag
überlegt haben."
Sie nickte. Und dann sah sie ihren Sohn mit dem Fahrrad. Der
bleiche Mann drehte sich halb herum und verzog das Gesicht zur
schwachen Ahnung eines Lächelns.
"Ihr Junge?", fragte er.
Sein Mund wurde breiter. Sie brauchte gar nichts zu sagen. Er
wusste, dass es ihr Junge war.
"Ich habe es mir überlegt", sagte sie. "Ich bin
einverstanden."
"Das freut mich. Auch für Ihren Jungen! Für ihn ganz besonders
- wenn Sie verstehen, was ich meine!"
"Es gibt da allerdings noch ein Problem", sagte sie.
"So?"
"Nicht hier!"
Sie gingen ins Haus, aber Michael hatte kein gutes Gefühl
dabei, seine Mutter mit diesem Mann allein zu wissen.
Wenig später kam er wieder ins Freie und schloss die Tür
hinter sich. Seine Mutter kam nicht heraus. Der Mann blickte sich
zu beiden Seiten um und lief dann zu seinem Wagen, den er am
Straßenrand abgestellt hatte. Es war ein Porsche.
8
Aldo Burmester parkte den champagnerfarbenen 500 SL am
Straßenrand und hoffte, kein Strafmandat dafür zu bekommen. Er
stieg aus. Dann sah er einen langgestreckten Lockenkopf, der ihm
nur zu gut bekannt war.
Es war Kommissar Brandt - und das hieß, dass der
Privatdetektiv hier auf jeden Fall richtig war.
Brandt bemerkte Aldo erst, als dieser ihn schon fast erreicht
hatte. Der Kommissar machte einen etwas übernächtigten Eindruck,
schien aber sonst ganz gut gelaunt zu sein.
"Sagen Sie bloß, Sie arbeiten auch an der Sache,
Burmester!"
"Allerdings!"
"Da oben ist es passiert!" Brandt deutete an der Hausfassade
hinauf. Aldo konnte sich denken, was der andere meinte. In einem
Fenster war die Scheibe zerstört. Dort musste Fiegenbaum sein Büro
gehabt haben. "Die Wucht der Geschosse hat ihn aus dem Fenster
geschleudert ...", war der Kommissar zu hören.
Wo Fiegenbaum aufgekommen war, brauchte Aldo niemand zu sagen.
Es hatte an den letzten Tagen nicht geregnet und deshalb waren die
Kreidemarkierungen noch ganz blass zu sehen.
Aldo deutete hinauf.
"Das Büro ist versiegelt, nehme ich an ..."
"Richtig."
"Ich würde mich dort gerne mal umsehen."
"Sie werden nichts finden, Burmester. Die Spurensicherung hat
auch nichts entdeckt. Der Killer war so penibel, dass er sogar
seine Patronenhülsen wieder eingesammelt haben muss."
"Trotzdem."
Brandt seufzte.
"Wenn Sie mir eine Zigarette geben! Ich habe meine im Büro
liegenlassen."
"Wenn's weiter nichts ist!"
Sie gingen hinauf in den siebten Stock, und Brandt entfernte
das Siegel. Dann ging die Tür auf. "Sie können sich gerne umsehen",
meinte Brandt. "Die Spurensicherung hat jeden Fetzen untersucht.
Kaputtmachen können Sie also nichts, Burmester."
"Danke!"
"So war's nicht gemeint!"
Aldo ließ den Blick über das Chaos gleiten, das hier
herrschte.
"Wie lange hatte der Täter Zeit, um sich hier umzusehen?",
fragte Aldo.
"23.47 wurde ein Schuss gehört und laut Protokoll war der
erste Streifenwagen um 00.01 am Tatort." Brandt zuckte mit den
Schultern. "Ich habe mich schon hundertmal gefragt, wonach er hier
wohl gesucht haben könnte. Besonders schien er sich für Fotos zu
interessieren ..."
Aldo hob die Augenbrauen.
"Wie kommen Sie darauf?"
"Der Killer hat die Akten nur kurz durchgesehen, aber wenn
Fotos darin waren, sind sie herausgenommen und auf dem Boden
verstreut worden."
"Und die Kamera?"
"Welche Kamera?"
"Wenn er Fotos gemacht hat, muss er eine Kamera gehabt haben.
Wo ist die?"
"Wir haben keine gefunden, Burmester. Weder hier in seinem
Büro, noch in seinem Wagen! Vielleicht hat der Killer sie
mitgenommen."
Aldo nickte.
"Wäre möglich." Dann nahm er sich die Schreibtischschublade
vor, für den sich der Mörder nicht so sehr interessiert zu haben
schien. Sie war prall gefüllt mit Quittungen und Belegen, die
Stefan Fiegenbaum wahrscheinlich für die Steuererklärung gesammelt
hatte. Aldo holte die Schublade ganz aus ihren Halterungen heraus
und stellte sie auf den Tisch.
"Was haben Sie vor?", fragte Brandt.
"Fiegenbaums letzter Fall interessiert mich. Vielleicht hat er
ja in letzter Zeit irgendwelche Anschaffungen gemacht, die damit zu
tun haben."
Ein paar Minuten hatte Aldo gewühlt, dann hielt er tatsächlich
etwas in den Händen. Es war die Quittung für eine Kleinbildkamera,
kaum eine Woche alt. Und dann war da noch etwas: S-Bahnfahrscheine.
Die meisten davon gingen in dieselbe Richtung.
"Sehen Sie sich das an!", meinte Aldo, nachdem er eine ganze
Weile in den Belegen herumgewühlt hatte. "In den Wochen vor seinem
Tod ist Fiegenbaum fast täglich zur Hamburger Innenstadt ins
Börsencentrum gefahren ..."
Brandt runzelte die Stirn. "Zeigen Sie her ..."
"Nach allem, was ich bisher über Fiegenbaum gehört habe, wäre
die Reeperbahn eine plausiblere Adresse!", meinte Aldo. "Ich frage
mich, was er so oft dort zu suchen hatte."
Brandt zuckte die Achseln.
"Vielleicht hatte er einen Nebenjob!" Das war natürlich nicht
ernst gemeint. Aber nur, um die Zeit totzuschlagen oder sich die
Hamburger Börse von außen anzusehen, war Fiegenbaum sicher auch
nicht dort gewesen.
"Ich schätze, er hat jemanden beschattet", murmelte Aldo.
Fragte sich nur, wen - schließlich war die Auswahl unter den
zigtausend Menschen, die täglich dort und Umgebung arbeiteten, ja
mehr als groß genug.
Als Aldo ein paar Minuten später wieder im Wagen saß, meldete
sich Jana per Handy.
"Hallo, Aldo!"
"Na, wie steht's?"
"Wie schon! Es gibt nun wirklich Vergnüglicheres, als einen
halben Tag vor einem Haus zu sitzen und darauf zu warten, dass
jemand bei Frau Fiegenbaum zu Besuch kommt."
"Ist denn wenigstens jemand gekommen?"
"Allerdings! Ich habe ein paar Bilder gemacht! Es dürfte nicht
allzu schwer sein, herauszukriegen, wer das gewesen ist."
Wenigstens ein vager Ansatzpunkt!, dachte Aldo.
9
Der Fotoladen war nicht besonders groß und an einer
Straßenecke gelegen. Der bleichgesichtige Mann sah sich nach einem
Parkplatz um, sah aber, dass im weiteren Umkreis keine Chance war,
einen Porsche legal abzustellen. So stellte er sich ins Parkverbot.
Die Sache würde nicht lange dauern. Unwahrscheinlich, dass man ihn
gerade in diesen paar Minuten aufschreiben würde.
Als der bleiche Mann eintrat, sah er hinter dem Tresen einen
stämmigen, untersetzt wirkenden Mann mit Halbglatze, der das
Bleichgesicht eingehend musterte.
"Was wünschen Sie?", fragte der Untersetzte.
Der Eingetretene legte einen Belegschein auf den Tresen.
"Ich möchte diese Bilder abholen."
"Für welchen Namen?"
"Herr Stefan Fiegenbaum!"
Der Untersetzte nahm das kleine Stück Papier, warf einen
prüfenden Blick darauf und meinte dann: "Sie sind nicht Herr
Fiegenbaum! Ich kenne ihn seit Jahren. Er ist einer meiner
Stammkunden."
"Und wenn schon", sagte der Fremde. "Ich habe den Beleg. Das
dürfte doch genügen, oder?"
Der Fotohändler schüttelte den Kopf.
"Nein, für mich nicht."
"Hören Sie ..." Das Bleichgesicht beugte sich etwas über den
Tresen, dabei ging sein Blick seitwärts. Eine Frau stand an einem
Ständer mit Fotoalben und war darin vertieft, sich eines davon
auszusuchen. "Ich arbeite in Herr Fiegenbaums Auftrag!"
"Reden Sie keinen Unfug!"
"Das ist kein Unfug!"
"Herr Fiegenbaum hat mich ausdrücklich angewiesen, alle Fotos,
die er zu mir gibt und entwickeln lässt, nur ihm persönlich
auszuhändigen. Und daran halte ich mich! Kapiert? Wie Sie an den
Beleg kommen, ist mir im Übrigen auch ziemlich schleierhaft, wenn
ich ehrlich sein soll!"
Jetzt kam die Frau mit einem der Alben und bezahlte es.
Indessen stand das Bleichgesicht ziemlich unruhig da. Der Muskel
unter dem linken Auge zuckte. Der Kerl wartete, bis die Frau weg
war. Zeugen konnte er nicht gebrauchen.
"Was wollen Sie eigentlich noch?", maulte der Geschäftsmann
ziemlich ungehalten, als die Frau den Laden verlassen hatte. "Ich
habe doch gesagt, dass ich Ihnen nicht helfen kann." Dann sah er
die Pistole in der Hand des Bleichgesichts, dessen Mund sich ein
wenig verzog.
"Wirklich nicht?", meinte er sehr leise und sehr
bedrohlich.
Der Fotohändler schluckte und begann plötzlich zu
schwitzen.
"Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was Sie da tun ...", murmelte
er dann, offenkundig, um Zeit zu gewinnen. Dem Bleichgesicht
entging die kaum merkliche Wanderung keineswegs, die sein Gegenüber
mit der Linken ausführte. Ein Alarmknopf, eine Waffe, irgendetwas
in der Art, so war zu vermuten.
"Die Hände nach oben!"
Der Händler gehorchte nicht. Seine Hand wanderte nur umso
schneller an der Kante des Tresens nach links.
Der abgedämpfte Schuss kam leise und tödlich.
Zweimal feuerte das Bleichgesicht. Der Fotohändler wurde
zurückgerissen. Er versuchte noch, sich an den Regalen
festzuhalten, die sich hinter dem Tresen befanden und fegte dabei
einige Kameras herunter, ehe er selbst zu Boden rutschte. Er saß
reglos und mit starren Augen da und war ohne Zweifel
mausetot.
Der Mörder sah kurz zur Eingangstür des Ladens hinüber. Aber
es schien, als hätte er einen günstigen Zeitpunkt für seine Tat
erwischt. Es war niemand zu sehen. Er steckte die Waffe beiseite
und ging dann auf die Seite des Tresens. Um an die Bilder
heranzukommen, die aus dem Großlabor eingetroffen waren, musste er
über die Leiche steigen und trat dabei in die Blutlache, die sich
indessen gebildet hatte.
Der Killer brauchte nur unter Fiegenbaum nachzuschauen und
dann hatte er schon, was er suchte: Stefan Fiegenbaums
wahrscheinlich letzten Film samt Negativen. Er verzichtete darauf,
den Inhalt des kleinen Tütchens zu überprüfen, denn er durfte jetzt
keine Zeit verlieren.
Mit schnellen, entschlossenen Schritten lief er ins Freie.
Einen Augenblick später saß er schon am Steuer seines Porsches,
ließ den Motor aufheulen und trat kräftig auf das Gas.
Dieser Job war erledigt! Alles, was irgendwie gefährlich
werden konnte, war jetzt in sicheren Händen!
Blieb nur ein Problem, das noch einer Lösung bedurfte.
Das Problem hieß Aldo Burmester.
10
Als Aldo seinen champagnerfarbenen Mercedes 500 SL auf den
Bürgersteig parkte, ahnte er schon, dass vielleicht jemand anderes
schneller als er gewesen war.
Sein Ziel war der Fotoladen an der Ecke. Fiegenbaums
Kameraquittung war dort ausgestellt worden und da der Detektiv kein
eigenes Labor hatte, musste er seine Bilder irgendwo entwickeln
lassen. Vielleicht war dies die richtige Adresse.
Aber vor dem Laden war schon eine mittlere Menschentraube.
Etwas war dort geschehen, und es konnte noch nicht allzu viel Zeit
vergangen sein. Die Polizei war noch nicht am Ort des
Geschehens.
Aldo kam näher und sah die Blutspuren auf dem
Bürgersteig.
Er drängte sich durch die Leute hindurch und stand wenig
später im Laden und dann war ihm klar, was geschehen sein
musste.
"Hat schon jemand die Polizei gerufen?", rief Aldo in das
allgemeine Gemurmel hinein. Es meldete sich niemand. Einige
schauten weg. Die meisten wollten mit der Sache einfach nichts zu
tun haben.
Aldo sah, dass der Mann hinter dem Tresen tot war. Der
Privatdetektiv ging zum Telefon, nahm den Hörer ab und rief
Dankwers’ Nummer an.
Dann sah er sich ein bisschen um. Die Kasse hatte der Täter
nicht angerührt, stattdessen aber in den noch nicht abgeholten
Fotos herumgewühlt.
Aldo sah die Blutspuren auf dem Boden.
"Nichts anrühren! Und gehen Sie ein Stück zurück!", wies er
die Leute an.
"Ich habe den Kerl gesehen!", meinte eine Frau.
Aldo wurde hellhörig.
"Erzählen Sie!"
Die Frau war Mitte vierzig und ziemlich aufgeregt. Sie hatte
sich erst vor wenigen Sekunden durch die Umstehenden gedrängt und
war ziemlich blass, seit sie die Leiche des Fotohändlers gesehen
hatte.
"Ich habe hier ein Fotoalbum gekauft und bin dann gegangen. Am
Tresen stand ein Mann. Sehr schlank und ganz bleich im Gesicht. Er
hatte irgendwie eine ungesunde Gesichtsfarbe. Ich habe nicht
verstanden, worum es ging, aber er hat sich mit dem armen Herr
Graumann ziemlich gehabt ..." Sie schluckte. "Er ist es gewesen,
Sie müssen mir glauben!" Sie sah Aldo beschwörend an.
Aldo blieb gelassen.
"Woher wollen Sie das wissen?", fragte er.
"Habe ich das nicht gesagt?" Sie fuhr sich nervös durch die
Haare. "Ich bin noch einmal zurückgekommen, weil ich meine Tasche
vergessen hatte." Sie deutete zu dem Ständer mit den Fotoalben.
"Sehen Sie, da steht Sie ja! Als ich um die Ecke kam, sah ich, wie
dieser Mann aus dem Laden lief. Er lief ziemlich schnell und stieg
dann in seinen Wagen."
"Was für ein Wagen?"
"Ein Porsche."
Aldo pfiff durch die Zähne.
"Die Nummer haben Sie nicht zufällig?"
"Nein! Ich war viel zu aufgeregt."
"Verstehe."
Irgendwo im Hintergrund war jetzt die Sirene eines
Streifenwagens zu hören und wurde rasch lauter.
11
Am späten Nachmittag tauchte Sven Dankwers bei Aldo und Jana
in der Agentur auf.
"Was gibt's, Sven? Ausnahmsweise mal ein reiner
Freundschaftsbesuch?", fragte Jana keck, obwohl sie sich an zwei
Fingern ausrechnen konnte, dass es nicht so war.
Sven Dankwers grinste über das ganze breite Gesicht, von einem
Ohr bis zum anderen. Für Aldo hieß das, dass es irgendeine Spur
gab.
"Ich habe mich um die Autonummer dieses Porsche gekümmert",
machte er mit großspuriger Geste. "Er gehört einem gewissen Leonard
Clausen. Und der ist beileibe kein unbeschriebenes Blatt. Einbruch,
Körperverletzung und ein paar andere Kleinigkeiten stehen bei ihm
auf dem Konto. Mit Rauschgift hat er es auch mal versucht, aber die
etablierten Herren in der Branche haben ihm so gewaltig in die
Suppe gespuckt, dass er den Appetit daran verloren hat."
"Und was macht er heute so?"
Sven Dankwers prustete und zuckte mit den Schultern.
"Er ist nicht mehr aufgefallen. Bei jemandem wie Clausen ist
das allerdings nur ein Zeichen dafür, dass er geschickter geworden
ist ... Aber wenn er in der Sache drinhängt, dann wohl als
Handlanger."
"Was ist mit dem Fotohändler? Ist er mit derselben Waffe
getötet worden wie Fiegenbaum?"
"Der Bericht steht noch aus, Aldo. Und vor morgen Mittag
rechne ich auch nicht damit. Aber was hältst du davon, wenn wir
Clausen mal einen Besuch abstatten?"
"Freiwillig wird er uns nichts über seine Hintermänner
sagen."
"Ich kann ihn festnehmen, Aldo." Er holte ein Stück Papier aus
der Jackentasche und hielt es dem Privatdetektiv hin.
"Ein Haftbefehl?"
"Ja. Nachdem diese Frau aus dem Laden Clausen in unserer
Kartei wiedererkannt hatte, war das kein Problem mehr. Und wenn er
erst einmal im Loch sitzt, wird er sich schon überlegen, ob er
wirklich alles allein auf sich nehmen will." Dankwers klopfte Aldo
auf die Schulter. "Ich dachte, du wärst vielleicht gerne
dabei."
12
Leonard Clausen bewohnte ein Apartment in attraktiver Lage.
Das hieß, dass seine Geschäfte - was immer darunter auch zu
verstehen war - ganz gut laufen mussten. Sie waren zu viert, als
sie dort auftauchten: Außer Aldo und Dankwers noch zwei
Kommissare.
"Bin wirklich mal gespannt, was der Kerl uns zu sagen hat",
meinte Dankwers, während er die Klingel an der Apartmenttür
drückte. Seine Rechte wanderte dabei in Richtung des 38er Special,
den er unter dem Jackett bei sich trug. Man konnte nie
wissen.
Wenn Clausen wirklich der Mann war, den sie suchten, dann
hatten sie es mit jemandem zu tun, der seine Waffe schnell und
sicher zu gebrauchen wusste. Und vor allem nicht lange fackelte,
ehe er den Abzug betätigte!
Auf das Klingeln reagierte niemand.
"Aufmachen! Polizei!", dröhnte Dankwers.
Aldo hatte die Automatik schon in der Hand. Zwei, drei
Sekunden verrannen.
Und dann ging die Tür schließlich doch noch auf. Eine junge,
gut aussehende Frau im Bademantel und mit nassen Haaren öffnete die
Tür einen Spalt, löste aber noch nicht die Kette.
"Was wollen Sie?"
Sie bekam Dankwers’ Ausweis unter die Nase gehalten.
"Machen Sie auf!", wies der Kriminalhauptkommissar sie
nochmals an und sie gehorchte.
Die beiden Männer ließen sie einfach stehen und sahen sich in
der Wohnung um. Von Leonard Clausen keine Spur. Es gab keinen
Fluchtweg und über den Balkon wäre jede Flucht aussichtslos gewesen
- selbst für Akrobaten und Bergsteiger. Aldo steckte die Automatik
ein.
"Wo ist Leonard Clausen?", fragte der Privatdetektiv.
"Ich weiß nicht, wen Sie meinen!"
"Verkaufen Sie uns nicht für dumm! Sie werden ja wohl noch
wissen, in wessen Wohnung Sie sich unter die Dusche stellen,
oder?"
Sie lief rot an. Aber nicht aus Verlegenheit, sondern aus
Ärger.
"Wer sind Sie?", fragte nun Dankwers an die Schöne gewandt,
die ihn daraufhin trotzig musterte. "Oder wollen Sie lieber, dass
wir das bei mir im Büro klären?"
Sie warf den Kopf in den Nacken.
"Linda Germuth", murmelte sie.
"Wohnen Sie hier?"
"Was dagegen?"
"Wann kommt Clausen zurück?"
"Keine Ahnung. Was wollen Sie denn von ihm?"
"Er hat einen Mann umgebracht", mischte sich Aldo ein.
Sie zuckte nur mit den Schultern. Es schien sie nicht allzu
sehr zu berühren.
"Wie gesagt", meinte sie. "Ich weiß weder, wo er steckt, noch,
wann er zurückkommt. Er sagt mir nie etwas."
"Wir warten hier!", grunzte Dankwers. Er wandte sich an die
beiden Kommissare. "Seht euch ein bisschen um, Leute! Vielleicht
finden wir ja etwas!"
Die junge Frau stemmte die Arme in die Hüften.
"Dürfen Sie das überhaupt?"
Dankwers hielt ihr den entsprechenden Wisch unter die Nase.
"Wir dürfen", sagte er.
Aldo musterte sie währenddessen.
Sie überlegt, wie sie Clausen warnen kann, ging es ihm durch
den Kopf. In ihr schien es fieberhaft zu arbeiten, Aldo spürte es
ganz deutlich. Sie würde die erste Gelegenheit eiskalt ausnutzen.
Man musste auf sie aufpassen.
Dann kam einer der Kommissare mit einem Paar Schuhen in der
Hand. Schwarze Schnürschuhe waren es. Sie waren frisch gewienert
worden, aber das hieß nicht unbedingt, dass man mit ihnen nichts
anfangen konnte.
"Die könnten zu den blutigen Fußspuren passen, die am Tatort
zu sehen waren", meinte der Kommissar. "Die richtige Schuhgröße ist
es jedenfalls!"
Indessen hatte sich Aldo am Fenster postiert. Er sah einen
Porsche herankommen und nach einem Parkplatz suchen.
"Er kommt!", stellte der Privatdetektiv an Dankwers gerichtet
fest.
13
Linda Germuth wurde von Dankwers ins Hinterzimmer geführt.
"Wenn Sie einen Ton sagen, bekommen Sie den allergrößten
Ärger. Haben Sie mich verstanden?"
Sie antwortete nicht, sondern befreite nur ihren Arm mit einer
ruckartigen, trotzig wirkenden Bewegung aus dem Griff des
Kriminalhauptkommissars.
Die beiden Kommissare zogen ihre Waffen und postierten sich
so, dass sie die Tür im Auge hatten. Aldo stellte sich direkt neben
die Tür und presste sich an die Wand. Die Automatik hielt er mit
beiden Händen umklammert.
Die Sekunden verrannen. Dann drehte sich ein Schlüssel
geräuschvoll herum und die Tür ging auf. Aber nur einen Spalt weit.
Linda Germuth schrie aus dem Hinterzimmer, während das bleiche
Gesicht von Leonard Clausen direkt in die Mündung eines
Polizeirevolvers blickte.
"Keine Bewegung! Polizei!", rief der Kommissar
vorschriftsmäßig, aber Clausen zögerte nicht den Bruchteil einer
Sekunde. Seine Waffe trug er in der Manteltasche. Er feuerte
einfach durch die edle Schurwolle hindurch und traf.
Ein Kommissar wurde nach hinten geschleudert und der Länge
nach hingestreckt, während sein Kollege zurückfeuerte. Clausens
Schritte waren auf dem Flur zu hören. Er rannte, was das Zeug hielt
und Aldo war der erste, der sich an seine Fersen heftete.
Der Privatdetektiv hatte kaum den Kopf durch die Apartment-Tür
gesteckt, da sausten bereits die Kugeln dicht über ihn hinweg und
kratzten am Wandputz.
Clausen lief am Aufzug vorbei in Richtung Notausgang. Er
kannte sich hier hervorragend aus, und das war sein Vorteil. Bevor
er durch die Tür zur Nottreppe schnellte, brannte er noch ein paar
Geschosse in Aldos Richtung. Dann war er verschwunden.
Aldo drehte sich herum und wandte sich dem zweiten Kommissar
zu, der ihm gefolgt war.
"Der Kerl wird versuchen, zu seinem Wagen zu kommen!"
Der Kommissar nickte.
"Ich kümmere mich drum!", meinte er.
"Okay!"
Aldo hetzte weiter, während der Kommissar den Aufzug abwärts
nahm. Mit einer energischen Bewegung lud der Privatdetektiv die
Automatik durch, bevor er sich an die Tür heranwagte, die zur
Feuertreppe führte. Sie stand einen Spalt offen, und Aldo konnte in
einen Hinterhof blicken. Als er die Tür etwas weiter öffnete, bekam
er sofort die bleierne Quittung. Drei Schüsse, ganz kurz
hintereinander abgefeuert, gingen hinauf zu ihm und es blieb ihm
nichts anderes übrig, als erst einmal den Kopf einzuziehen.
Dann stieß Aldo mit einem Fußtritt die Tür auf und feuerte
zurück. Leonard Clausen hatte sich hinter einem abgestellten
Lieferwagen verschanzt. Noch einen ziemlich ungezielten Schuss
feuerte er in Aldos Richtung und lief dann davon.
Sein Porsche war auf der entgegengesetzten Hausseite, und so
hatte Clausen im Augenblick keine Chance, ihn zu erreichen.
Aldo schnellte die Feuertreppe hinab. Seine Füße klapperten in
rasendem Tempo über die Metallstufen, während er gleichzeitig den
Flüchtenden im Auge behielt. Aber der war ziemlich großzügig mit
seiner Munition umgegangen und hatte wohl den Inhalt seines
Magazins vollständig verschossen.
Als Aldo auf ebener Erde angekommen war, verschwand der
bleiche Leonard gerade in einem engen Durchgang zwischen zwei
Gebäuden. Der Privatdetektiv setzte zu einem Spurt an. Der
Durchgang machte eine Biegung, dann kam die Straße.
Aldo blieb vorsichtig und tastete sich mit schussbereiter
Waffe voran. Wenig später sah er die Passanten auf dem Bürgersteig
vorbeigehen und fluchte innerlich. Sicher nutzte der Kerl jetzt die
Chance, in der Menge unterzutauchen.
Aldo dachte trotzdem nicht daran aufzugeben. Eine minimale
Chance blieb. Er rannte los und stand ein paar Sekunden später
zwischen hektischen Passanten, von denen einige etwas irritiert auf
die Automatik in seiner Hand blickten.
Der Privatdetektiv drehte sich herum und dann sah er ihn,
keine zwanzig Meter entfernt.
Clausen kümmerte sich nicht um die Menschen um ihn herum. Er
schien seine Waffe inzwischen nachgeladen zu haben und feuerte nun
wild drauflos, während Aldo sich duckte, um sich dann neben einen
am Straßenrand parkenden Wagen in Deckung zu hechten. Das dumpfe
Geräusch der Schalldämpferpistole ging im allgemeinen Straßenlärm
völlig unter. Dennoch entstand eine mittlere Panik.
Als Aldo aus seiner Deckung mit angelegter Automatik
hervortauchte, hatte Clausen eine junge Frau bei den Haaren
gepackt, die offenbar einen Moment zuvor aus ihrem weißen Golf
gestiegen war. Die Wagentür stand noch offen und Clausen hielt die
Frau jetzt wie einen Schutzschild vor den eigenen Körper.
Die Frau schrie vor Angst, aber als sie den Schalldämpfer an
der Schläfe spürte, verstummte sie abrupt.
"Geben Sie auf, Clausen! Machen Sie es nicht noch schlimmer!",
rief Aldo, der die Automatik keinen Millimeter gesenkt hatte,
obwohl er wusste, dass er sie in dieser Situation nicht benutzen
konnte.
Leonard zog die junge Frau mit sich, bis er den Golf umrundet
hatte und auf der Fahrerseite stand. Aldo wurmte es, dass er nichts
tun konnte, als zuzusehen. Bevor der Killer sich dann ans Steuer
setzte, ließ er die Frau los, die so schnell sie konnte
davonlief.
Dann folgte ein Blitzstart. Die Reifen des Golfs drehten durch
und Clausen fädelte ziemlich brutal in den Verkehr ein. Jemand
hupte. Bremsen quietschten und dann brauste er davon.
Aldo überlegte eine Sekunde, ihm die Reifen zu zerballern,
aber es waren zu viele Menschen in der Schussbahn.
Er fluchte leise vor sich hin, während er hinter sich ein
ächzendes Geräusch hörte. Aldo wandte sich um und sah Dankwers
japsend daherlaufen. Verfolgungsjagden waren schon auf Grund der
korpulenten Figur nicht unbedingt Dankwers’ Stärke - zumindest,
wenn sie auf Schusters Rappen durchgeführt wurden.
Nun war der Kriminalhauptkommissar völlig außer Atem.
"Jetzt werden wir ihn lange suchen können", meinte er
resignierend.
"Ich habe mir die Nummer gemerkt", erwiderte Aldo, während er
die Automatik an ihren Ort steckte. "Vielleicht nützt es ja was,
den Golf zur Fahndung durchzugeben." Aber insgeheim wusste Aldo,
dass nicht viel dabei herauskommen würde. Wenn Leonard Clausen
seinen Verstand einigermaßen beisammen hatte, dann würde er den
Wagen an der nächsten S-Bahnstation stehen lassen, um anschließend
auf Nimmerwiedersehen unterzutauchen.
"Seine Hintermänner werden jetzt mehr als aufgescheucht sein",
glaubte Dankwers. "Vielleicht gehen sie jetzt erst einmal eine
Weile völlig auf Tauchstation. Das wird uns unser Geschäft nicht
gerade erleichtern, Aldo."
"Dann müssen wir es so drehen, dass das Gegenteil dabei
herauskommt", gab der Privatdetektiv zurück.
"Das sie noch nervöser werden?"
"Ja, und Fehler machen ..."
Sie machten sich auf den Rückweg.
"Was ist mit Kommissar Reppin?", erkundigte sich Aldo.
Sven Dankwers seufzte.
"Er ist tot, Aldo. Und ich sage dir eins: Ich werde nicht eher
ruhen, bis dieser Clausen das bekommt, was ihm zusteht!"
14
Leonard Clausen wusste, dass er einen schlimmen Fehler gemacht
hatte. Aber nun war es nicht mehr zu ändern. Er konnte
allerhöchstens noch versuchen, seine eigene Haut zu retten und das
Schlimmste zu verhindern.
Clausen war mit der S- und U-Bahn mehr oder weniger ziellos
durch die Stadt gefahren und schließlich weit oben im Norden von
Hamburg gelandet. Seine Verfolger hatte er abgehängt, der
gestohlene Golf stand irgendwo im Halteverbot und würde bald der
Fahndung in die Hände fallen.
Clausen schätzte, dass er den Kommissar in seiner Wohnung voll
erwischt hatte. Das war sein schlimmster Fehler gewesen, aber
einer, der sich nicht hatte vermeiden lassen.
Doch nun musste er damit rechnen, dass die gesamte Polizei von
Hamburg heiß auf ihn war. Polizistenmord war eben immer noch etwas
ganz Besonderes.
Er kaufte sich an einer Imbissbude einen Hot Dog. Morgen würde
sein Bild wahrscheinlich schon in der Zeitung stehen und in den
Lokalnachrichten zu sehen sein. Dann würde alles schwieriger für
ihn werden.
Mit dem Hot Dog in der Hand griff er nach seinem Handy und
wählte eine Nummer, die er auswendig kannte.
"Hallo?", meldete sich etwas mürrisch eine Stimme, die Clausen
auf Anhieb erkannte.
"Herr Lafett? Hier spricht Leonard Clausen!"
"Hatten wir nicht abgemacht, dass Sie mich unter diese Nummer
nicht anrufen, Clausen?", fragte die Stimme auf der anderen Seite
etwas ungehalten. "Was fällt Ihnen ein! Verdammt, haben Sie den
Verstand verloren?"
"Ich würde es nicht tun, wenn es sich vermeiden ließe."
Lafett atmete so tief durch, dass man es durch die Leitung
hören konnte.
"Na, schön!", meinte er dann. "Was gibt es?"
"Ich brauche jetzt Ihre Hilfe. Etwas Furchtbares ist
geschehen! Die Polizei war in meiner Wohnung."
"Auf wessen Konto geht das?"
"Die Frau vielleicht ... Ich weiß es nicht. Dieser Burmester
war auch dabei. Er steckt seine Nase allmählich entschieden zu tief
in die Sache."
"Dann werden wir ihm eine Warnung zukommen lassen müssen",
meinte Lafett. "Eine sehr ernste Warnung."
"Darum geht es jetzt nicht."
"Worum dann?"
"Ich muss untertauchen. Und da ist noch etwas: Ich habe einen
Polizisten getötet. Ich hatte keine andere Wahl."
Auf der anderen Seite war ein paar volle Sekunden lang nur
Schweigen. Dann sagte Lafett: "Damit will ich nichts zu tun haben.
Ich war von Anfang an dagegen."
"Sie müssen mir helfen!"
"So, muss ich?"
"Ich werde sonst dafür sorgen, dass ihr alle mit
hineingerissen werdet! Darauf können Sie sich verlassen, Lafett!
Glauben Sie vielleicht, Sie können sich von mir die Kastanien aus
dem Feuer holen lassen und mich dann einfach so fallen
lassen?"
"Es ist Ihr Job, Leonard. Und Ihr Risiko."
"Wie Sie wollen ..."
"Warten Sie! Wo sind Sie jetzt? Vielleicht finden wir ja eine
Lösung."
15
Am nächsten Tag versuchte Aldo, sich mit Karin Fiegenbaum in
Verbindung zu setzen. Aber als er bei ihr anrief, legte sie einfach
auf. Bei weiteren Versuchen nahm sie gar nicht erst den Hörer ab.
Als Aldo bei ihr auftauchte, tat sie, als wäre niemand zu Hause.
Sie reagierte zuerst weder auf die Klingel, noch auf Aldos
Klopfen.
Als sie schließlich doch öffnete, sah sie Aldo an wie ein
Gespenst. Diesmal war sie vollständig angezogen. Sie trug Jeans und
einen Sweater.
Sie sagte überhaupt nichts, sondern führte ihn nur in die
Wohnung.
"Was ist los mit Ihnen?", fragte Aldo.
Sie wandte den Kopf zur Seite und schwieg noch immer.
"Ich denke, Sie haben mir einiges zu sagen ..."
Sie verzog das Gesicht. "Ach, ja?"
"Zum Beispiel wissen Sie, woran Ihr Mann zuletzt gearbeitet
hat. Sie wollen es mir nicht sagen und ich frage mich,
warum."
"Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Herr Burmester.
Und ich möchte Sie bitten, jetzt wieder zu gehen."
"Tut mir leid, aber so leicht werden Sie mich nicht los!" Aldo
nahm sich einen Stuhl und setzte sich darauf, während Karin
Fiegenbaum starr vor sich hin blickte. Sie schien unter einem
unglaublichen Druck zu stehen. Aldo fragte sich nur, woher dieser
Druck letztlich kam.
"Sie haben das Bankschließfach Ihres Mannes geleert, dessen
Inhalt eigentlich für mich bestimmt war", stellte Aldo sachlich
fest.
Das ließ sie aufblicken. Sie strich sich die rote Mähne aus
dem Gesicht und zog die Augenbrauen ungläubig zusammen.
"Was?", fragte sie. "Ich weiß von keinem Schließfach!"
"Sie brauchen mir nichts vorzuspielen, Frau Fiegenbaum. Sie
sind dort gesehen worden und haben sogar Ihre Unterschrift
hinterlassen."
"Ich war nicht dort! Hören Sie ..."
"Nein, Sie hören jetzt mir zu! Ich weiß nicht, woran es liegt,
aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie gar nicht wissen
wollen, wer Ihren Mann ermordet hat."
"Das ist eine unglaubliche Unterstellung, Herr
Burmester!"
"Dann entkräften Sie sie und helfen Sie mir!"
"Mein Mann ist tot und nichts kann ihn wieder lebendig machen.
Aber das Leben muss weitergehen. Verstehen Sie, was ich
meine?"
Aldo schüttelte den Kopf.
"Nein, ich glaube nicht."
"Dann glauben Sie mir bitte wenigstens, dass ich Stefan
geliebt habe. Aber jetzt muss ich an die Zukunft denken."
"Was bedeutet das?"
Ihre Blicke trafen sich. In ihren dunklen Augen sah Aldo so
etwas wie Verzweiflung. Sie musste sich sehr zusammenreißen und
schien es auch nur unter größten Anstrengungen zu schaffen. Ihre
Lippen waren aufeinandergepresst. Schließlich sagte sie: "Es
bedeutet, dass Sie mich in Ruhe lassen sollen, Herr
Burmester."
"Wie ich darüber denke, habe ich ihnen ja schon gesagt." Aldo
erhob sich und trat näher an sie heran. Er legte ihr den Arm
behutsam um die Schulter und stellte dann fest: "Ich habe den
Eindruck, dass man Sie unter Druck setzt. Ist das richtig?"
"Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen."
"Sie wissen es ganz genau. Und ich vermute, dass Sie auch
wissen, wer der Mörder Ihres Mannes ist."
"Das ist eine Lüge!"
"Zumindest wissen Sie über seinen letzten Fall Bescheid, denn
ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie weggeschaut haben, als Sie
den Inhalt des Schließfachs in den Händen hielten. Was war es?
Fotos vielleicht? Ich wette, es waren Fotos. Vielleicht auch noch
andere Sachen. Dinge, die jemandem einen Mord wert waren."
"Hören Sie auf!"
"Warum?"
"Ich war nicht in der Bank! Das sagte ich doch schon, verdammt
noch mal! Warum glauben Sie mir denn nicht?"
"Ich würde ja gerne."
"Bitte gehen Sie!"
"Was ist mit dem Kerl, der Sie gestern Nachmittag besucht
hat?"
Sie wurde bleich.
"Woher wissen Sie das?"
"Was spielt das für eine Rolle?", gab Aldo zurück.
"Es ist doch wohl meine Sache, wen ich hier empfange,
oder?"
Aldo zuckte die Achseln.
"Sicher. Aber Sie sollten sich vor ihm in Acht nehmen."
"Ich konnte immer hervorragend auf mich selbst
aufpassen."
"Der Mann heißt Leonard Clausen und hat einen Fotohändler
erschossen, weil dieser sich geweigert hat, Bilder herauszurücken,
die Ihr Mann ihm zur Entwicklung gegeben hat."
Sie schluckte jetzt.
"Was erwarten Sie? Dass ich vor Angst erzittere?"
"Warum nicht? Sie hätten allen Grund dazu. Dieser Mann ist ein
skrupelloser Killer!" Aldo ließ das erst einmal wirken und fuhr
dann nach kurzer Pause fort: "Leonard Clausen schätze ich mehr oder
weniger als Handlanger ein. Ihr Mann ist irgendeiner großen
Schweinerei auf der Spur gewesen. Ich schätze, er ist per Zufall
darauf gestoßen. Und vielleicht hat er geglaubt, die Hintermänner
unter Druck setzen zu können - aber darüber wissen Sie sicher mehr
als ich."
Sie seufzte, stand auf und ging zum Fenster. Ihre Arme waren
vor der Brust verschränkt.
"Ich kann Ihnen nicht helfen, Herr Burmester. Glauben Sie
mir!"
"Womit erkaufen die sich Ihr Schweigen?", fragte Aldo. "Sorgen
die für Ihre finanzielle Zukunft?"
"Gehen Sie, Burmester!"
"Oder hat man Ihnen nur versprochen, Sie in Ruhe zu lassen und
Ihrem Jungen nichts zu tun?"
Tränen traten ihr ins Gesicht. Sie wischte sie hastig weg.
Aldo schien es ziemlich genau getroffen zu haben.
"Verstehen Sie mich doch!"
"Ich verstehe Sie. Aber ich glaube nicht, dass es richtig ist,
was Sie tun."