Im Sturm - Pernilla Ericson - E-Book
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Im Sturm E-Book

Pernilla Ericson

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Beschreibung

Sturm, Stromausfall und blitzender Hass: die hochaktuelle Krimi-Bestseller-Reihe aus Schweden mit der sympathischen Ermittlerin Ein unerklärlicher Mordfall erschüttert das Dorf Skageby in Nordschweden. Lilly Hed übernimmt zusammen mit einer befreundeten Kommissarin die Ermittlungen. Da zieht ein extremer Sturm auf mit Starkregen, umstürzenden Bäumen und schließlich komplettem Stromausfall. Skageby ist völlig von der Außenwelt abgeschnitten und versinkt im Dunkeln. Als ein weiterer Mord geschieht, macht sich Panik in der kleinen Gemeinde breit. Der Mörder aber weiß, dass es noch nie so einfach war, spurlos aus dem Dunkel zuzuschlagen – und er hat weitere Namen auf seiner Liste. »Realistisch und fesselnd, eine brillante Darstellung hartnäckiger Polizeiarbeit unter außergewöhnlichen Umständen.« Aftonbladet »Großartig, wenn aktuelle Themen so spannend im Krimi verarbeitet werden wie hier. Von der sympathischen Hauptfigur Lilly Hed möchte man unbedingt mehr lesen.« Bokstavligt Einsatz bei Extrem-Wetter: die aktuelle Bestseller-Crime-Serie aus Skandinavien

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Seitenzahl: 486

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Pernilla Ericson

Im Sturm

Ein Fall für Lilly Hed

 

Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger

 

Über dieses Buch

 

 

Sturm, Unwetter und blitzender Hass: der zweite Fall der Scandi-Krimireihe um Polizistin Lilly Hed

Nach dem mörderischen Hitzesommer brauen sich heftige Herbststürme zusammen. Ermittlerin Lilly Hed fährt nach Stockholm, um sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Dort trifft sie ihre gute Freundin, Detective Liv Kaspi. Liv soll sich um einen ungelösten Fall in Nordschweden kümmern und holt Lilly ins Team. Als die beiden im  Dorf Skageby ankommen, bricht dort der Sturm los und verursacht schwere Überschwemmungen und Stromausfälle. Jeglicher Kontakt zur Außenwelt wird abgebrochen  – und im Dunkeln geschieht ein weiterer Mord. 

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Pernilla Ericson ist erfolgreiche Krimi-Autorin und Journalistin. In ihrer Arbeit für Zeitungen und TV befasst sie sich viel mit Klimawandel und sozialer Gerechtigkeit. Diese Themen bringt sie auch in ihre Spannungsromane ein: Ihre neue Reihe um die Polizistin Lilly Hed in Nynäshamn eroberte in Schweden die Bestsellerlisten und verhalf ihr auch international zum Durchbruch. Pernilla Ericson lebt in Stockholm.

Friederike Buchinger übersetzt Belletristik für Erwachsene und Jugendliche sowie Sachbücher aus dem Dänischen, Norwegischen und Schwedischen ins Deutsche. Sie wurde für ihre Arbeiten mehrfach ausgezeichnet.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

76. Kapitel

77. Kapitel

78. Kapitel

79. Kapitel

80. Kapitel

81. Kapitel

82. Kapitel

DANK

Einfach nur ein weiterer verregneter Herbst.

1

3. SeptemberFOLKBLADET

Ein Spaziergang im Wald – und plötzlich war überall Rauch: »Ich bekam Panik.«

Die riesigen Schlagzeilen über den Waldbrand bei Lycksele, nur wenige Kilometer entfernt, füllten die gesamte Titelseite der zerknitterten Tageszeitung. Der Feuerwehr war es gelungen, einen Mann zu retten, der sich verirrt hatte. Gunnar Dörner strich mit seiner faltigen Hand das Papier glatt und trank den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse. Der Waldbrand war inzwischen wohl unter Kontrolle. In diesem Sommer hatte es so viele Feuer und Elend gegeben, eine Hitzewelle, die kein Ende zu nehmen schien. Da waren die sinkenden Temperaturen des Herbstes mehr als willkommen. Gunnar schlief auch viel besser, seit es nicht mehr so warm war. Er hatte Hitze noch nie gut vertragen, nicht mal in der Blüte seiner Tage. Überhaupt war es für viele Menschen, Tiere und Pflanzen ein Segen, endlich nicht mehr in dieser Glutsonne braten zu müssen. Er warf einen zufriedenen Blick durch das Küchenfenster in den Garten, auf die üppigen Verbenen und Cosmeen in der Abenddämmerung, die immer noch blühten. Wie eine Bestätigung, dass der Herbst wirklich gekommen war, landeten ein paar Regentropfen auf der Fensterscheibe. Die grauen Wolken am Himmel hatten dieselbe Farbe wie sein Haus. Der Regen wurde schnell mehr und beim Gedanken an die Temperatur im Schlafzimmer fiel Gunnar die Aufgabe des Abends wieder ein. Ein ganzer Berg Bettwäsche wartete in der Waschküche darauf, sortiert und zusammengelegt zu werden. Worauf er allerdings überhaupt keine Lust hatte, war die Laken zu mangeln. Aber außer ihm würde ja ohnehin niemand merken, dass sie zerknittert waren. Gunnar Dörner schlief allein.

Er schob den Stuhl zurück, warf die Zeitung in die Altpapierkiste und stellte seine Tasse in die Spülmaschine. Im Radio auf der Fensterbank lief der Sender P1. Ein Jingle verkündete, dass es jetzt achtzehn Uhr war, und dann folgte das Lied einer Dame, die offenbar Laleh hieß und sang, dass alles gut werden würde.

Gunnar steckte die Füße in ein Paar warme Hausschuhe, der Steinboden in der Waschküche war immer so kalt. Neuerdings verlegten die Leute ja sogar im Keller Fußbodenheizung, hatte er gehört, aber er kam sehr gut ohne diesen neumodischen Kram zurecht. Er ging in den Flur und machte die Kellertür auf. Dort unten hatte er eine gut ausgerüstete Waschküche, mit Waschmaschine, Trockner und sogar einer Wäschemangel. Gunnar hatte das ganze Zeug für einen Spottpreis übernommen, als die Nachbarin vor knapp einem halben Jahr völlig überraschend verstorben war und ihre Kinder das alte gelbe Haus so schnell wie möglich loswerden wollten. Aber noch war niemand Neues nebenan eingezogen, und der nächste Nachbar befand sich ein ganzes Stück entfernt.

Die mit Teppich belegte Treppe endete am grauen, rauen Kellerboden, seine Hand tastete nach dem Lichtschalter über dem Handlauf, und die Deckenlampe ging an. Gunnar öffnete den Wäschetrockner, aus dem ihm warme Luft und der wohlige Duft von Waschmittel entgegenströmten, und machte sich an die Arbeit.

Eine Viertelstunde später lag ein hoher Stapel gefalteter, sortierter Wäsche vor ihm auf der Waschmaschine. Von oben drang gedämpftes Gedudel aus dem Radio herunter, das er sich zur Gesellschaft angelassen hatte. Gerade lief etwas Jazziges von Monica Zetterlund. Dann nahm er ein leises, knackendes Geräusch wahr, und plötzlich wurde es um ihn herum schwarz. Der Song riss mitten im Refrain ab. Es herrschte absolute Stille.

Erschrocken schnappte Gunnar nach Luft und fasste sich an die Brust. Sein Herz klopfte. Die Dunkelheit machte ihm Angst. Das war schon immer so gewesen, schon seit seiner Kindheit. Noch dazu waren seine Augen über die Jahre schlechter geworden, und er sah nachts gar nicht mehr gut.

Er streckte tastend die Hände aus, versuchte, das Unbehagen abzuschütteln, das in ihm heraufkroch. Es war ja nur eine Sicherung, die rausgeflogen war. Aber die Dunkelheit in dem fensterlosen Raum war genauso kompakt, als hätte er die Augen zum Schlafen zugemacht. Also stellte er sich die Waschküche vor, drehte sich um und suchte sich mit einer Hand an der Wand den Weg zur Treppe. Dort probierte er ein paarmal den Lichtschalter, aber wie erwartet tat sich gar nichts. Mit einem festen Griff um den Handlauf stieg er vorsichtig nach oben, nahm mit Bedacht eine Stufe nach der anderen. Das Letzte, was jetzt passieren durfte, war, dass ein alter Mann wie er im Dunkeln die Treppe hinunterfiel und sich ein Bein brach, dachte Gunnar.

Als er nach oben kam, war der Himmel draußen dunkelblau und dämmrig, die großen Fenster waren die einzige Lichtquelle. Der Regen rann in Strömen an den Scheiben hinunter, und außer dem gedämpften Prasseln war in der Stille nichts zu hören. Im ganzen Haus war es stockfinster.

Hatte er die Taschenlampe nicht in den Putzschrank geräumt? Ein leises Geräusch ließ ihn erstarren. Sein Herz fing wieder an zu rasen. War die Katze unbemerkt durch die Katzenklappe ins Haus gekommen?

»Simone, miez-miez-miez, komm zu Herrchen«, rief er fragend, aber schnell verstummte er wieder. Seine Stimme klang so seltsam hohl in der Dunkelheit, als würde sie gar nicht zu ihm gehören. Das Scharren hatte aufgehört, und es rührte sich auch nichts. Also machte er sich wieder auf die Suche nach der Taschenlampe, aber obwohl er den ganzen Schrank durchwühlte, bekamen seine Finger den rettenden Kunststoffgriff nicht zu fassen.

Es war so schwer, etwas zu erkennen. Gunnar stellte sich auf die Zehenspitzen, und zu seiner Erleichterung fand er wenigstens die Blechdose, in der er seine Sicherungen aufbewahrte. Die solide Dose fest an die Brust gedrückt, ging er in die Küche. Hier, im schwachen Licht, das durchs Fenster fiel, würde er bestimmt finden, wonach er suchte. Ein erneutes Geräusch hinter ihm ließ Gunnar zusammenzucken, und er drehte sich um. Die Hände, die die Dose hielten, wurden ein bisschen feucht.

»Simone?«, rief er. Seine Stimme zitterte. Seine Augen spähten in das Halbdunkel.

Die Konturen im Wohnzimmer nebenan verschwammen, Sessel und Stühle schienen plötzlich menschliche Formen anzunehmen. Mit steifen Bewegungen ging er angespannt zur Haustür, aber dann blieb er wie angewurzelt stehen. Die dröhnenden Herzschläge und das Rauschen in den Ohren übertönten erst alles andere, aber dann schnappte er heftig nach Luft. Denn jetzt hörte er es ganz deutlich – hinter ihm war jemand. Schnelle, leichte Atemzüge. Er ließ die Dose auf den Küchentisch fallen. Die Sicherungen, Batterien und Schrauben darin schepperten ohrenbetäubend laut.

Gunnar taumelte, dann fand er das Gleichgewicht wieder und drehte sich um, ihm wurde schwarz vor Augen, und er ballte instinktiv die Fäuste. Der Atem eines Menschen streifte seine Wange. Und plötzlich wusste er, wen er vor sich hatte, und seine Angst verwandelte sich in eine Mischung aus Erleichterung und Erstaunen.

»Aber warum bist du …«

Die Antwort war nur ein Flüstern in seinem Ohr.

Dann zerschnitt körperwarmer Stahl den Baumwollstoff seines Hemds. Silbriges Metall blitzte auf und färbte sich rot, verschwand erneut. Gunnar sah seine eigenen Hände, die Worte in die Luft zeichneten, während sein Blickfeld immer kleiner wurde. Die Dunkelheit, vor der er sich so fürchtete, wurde immer größer, verschluckte ihn Stück für Stück. Sein letzter Atemzug war nur noch ein schreckensstarres Zischen.

2

Oktober

 

Die Deckenlampe spiegelte sich für einen Augenblick im Bildschirm, bevor der Film anfing, der in ein träumerisches, sommerwarmes Licht getaucht war.

Die Streuobstwiese mit Apfelbäumen stand in voller Blüte, ein Meer aus weißen und hellrosa Blütenblättern. Einige segelten herunter und landeten auf Liv Kaspis kurz geschnittenen dunkelroten Haaren. Leuchtend, wie kleine, helle Lichter. Livs sonnengebräunte Arme bildeten einen scharfen Kontrast zu ihrem kurzen weißen Baumwollkleid. Dazu trug sie schlichte Sandalen. Aber das Outfit passte zu ihr, es betonte ihre langen Beine und die muskulösen Schultern. Der groß gewachsene Mann neben ihr, Rickard Falke, sah in seinem hellgrauen, gut sitzenden Anzug, mit hellblauem Hemd und Einstecktuch, dagegen bedeutend festlicher aus. Die beiden waren umgeben von Menschen mit strahlenden Gesichtern, auf einigen Wangen glänzten Freudentränen. Aber der Mann neben Liv schien nur Augen für sie zu haben.

»Nun, Rickard«, sagte eine ältere Frau, die eine elegante Bluse mit Schleifenkrage trug, und dann sagte sie noch mehr, aber ein Teil ihrer Frage ging im plötzlichen Triller einer Amsel unter, der klang wie ein spontaner Freudenausbruch. »… zu lieben, in guten wie in schlechten Zeiten?«

»Ja«, antwortete er sofort und nach einer kurzen Pause: »Darf ich sie jetzt küssen?« Alle um sie herum lachten, und, ohne auf Antwort zu warten, küsste sich das frisch verheiratete Paar unter dem großen Jubel der Umstehenden.

Kriminalkommissarin Liv Kaspi blieb in der offenen Tür stehen und lächelte. Zog die Tür leise hinter sich zu. Das Wohnzimmer lag im Halbdunkel vor ihr, die Lampen waren alle aus. Ihr Mann Rickard saß zurückgelehnt auf dem Sofa, mit dem Rücken zu ihr und sah sich ein Video von ihrer Hochzeit an. Sie waren jetzt etwas über drei Jahre verheiratet, und noch immer rollte bei der Erinnerung an jenen Juniabend eine warme Welle von Glück durch ihren Körper. Und Rickard ging es offensichtlich ganz genauso.

Liv legte ihre Uniformjacke ab und zog ihre Turnschuhe aus. Schlich sich an ihren Mann heran, der den Blick fest auf den Laptopschirm geheftet hatte. Sie beugte sich vor, berührte mit den Lippen seine Wangen und legte die Arme um seinen Hals. Erst schnappte Rickard nach Luft, überrascht von ihrem plötzlichen Erscheinen, aber dann lachte er leise und erwiderte ihre Umarmung. Fasste sie um die Taille und zog sie zu sich aufs Sofa.

Ihr Mund fand seinen, und, ohne sie aus den Augen zu lassen, schob er den Computer weg. Der Kuss wurde inniger. Liv war manchmal immer noch überrascht, wie heftig ihr Verlangen nach ihm war. Als könnte sie nie genug von ihm bekommen. Sie war immer ein hitziger Mensch gewesen. Mit Rickard schienen die ständigen Entladungen noch häufiger geworden zu sein, als ob ununterbrochen neue Funken entzündet wurden. Ab und zu überforderte es sie, wie viel sie für ihn empfand und er für sie. Rasch knöpfte Liv ihre Uniformbluse auf, öffnete ihren BH und zog ihm das T-Shirt über den Kopf. Seine Hände schlossen sich um ihre Brüste, er küsste erst die eine, dann die andere, und sie hörte sich selbst stöhnen. Er machte den Knopf ihrer Hose auf, rutschte tiefer und flüsterte lachend zwischen ihren Beinen:

»Versuch, leise zu sein. Felicia ist endlich eingeschlafen.«

Eine Stunde später lag sie ausgestreckt in Rickards Arm, das Kinn auf seiner nackten Brust. Strich mit den Fingern durch seine dunkelbraunen, leicht gewellten Haare. Ein sachter Sprühregen vor dem Fenster sorgte für eine gemütliche Geräuschkulisse.

»Hatte sie schon wieder Probleme mit dem Einschlafen?« Liv hob den Kopf und sah ihn mit ihren grünen Augen fragend an.

Er nickte.

»Aber es wird langsam besser. Sie hat tausend kleine Rituale, alle Kuscheltiere müssen an einem ganz bestimmten Platz liegen, aber wenn ich ganz ruhig bin, dann kommt sie irgendwann auch zur Ruhe.«

Es war Liv, die Felicia zuerst kennengelernt hatte, als das Mädchen über sein Alter gelogen hatte, um sich für das Kampfsporttraining anmelden zu dürfen, das Liv an einem Abend in der Woche leitete. Liv selbst nahm jetzt mit vierunddreißig immer seltener an Wettkämpfen teil, aber junge Mädchen in brasilianischem Ju-Jutsu, in Kickboxen und Ringen zu trainieren bestärkte sie nur noch mehr in ihrer Liebe zum Sport. Felicias Anblick hatte die Erinnerung an sie selbst wachgerufen, an das kleine, dünne Mädchen, das eingeschüchtert und ängstlich zum ersten Mal in Javiers Kampfsportstudio erschienen war. Selbstverteidigung zu lernen war ein Bestandteil der Trauerarbeit gewesen, nachdem Liv ihre große Schwester verloren hatte, und ein Hobby geworden, durch das sie lebenslange Freundschaften und ein neues Selbstvertrauen gewonnen hatte.

Felicia trug eine andere dunkle Last mit sich herum, eine psychisch kranke Mutter, die weder Trost noch Unterstützung geben konnte, als ihre Tochter in der Schule gemobbt wurde. Hartnäckig, mit verbissener Dickköpfigkeit, war Felicia immer wieder im Training aufgetaucht. Das kleine Mädchen war Stück für Stück stärker geworden, selbstsicherer, und Stück für Stück hatte sie sich geöffnet und mehr von ihrer Lebenssituation erzählt. Felicias häusliches Umfeld war schädlich für das Kind. Ihre Mutter betäubte den inneren Schmerz immer öfter mit Alkohol und Drogen, und nach allem, was die Elfjährige ihr erzählte, war es Liv für unmöglich gewesen, nicht zu reagieren. Danach war die Verantwortung für Felicia erst hin und her geschoben worden, und als sich das Jugendamt schließlich an Liv wandte, hatte sie Rickard nur die eine Frage gestellt: Können wir uns um Felicia kümmern? Sie hatte geahnt, wie seine Antwort lauten würde.

Rickard hatte selbst erlebt, wie es war, in einem gewalttätigen Elternhaus aufzuwachsen. Als Liv und er sich kennenlernten, galt er als Schlüsselfigur im kriminellen Milieu, er war der Mann für alles, mit einem großen Netzwerk. Auszusteigen und neu anzufangen war schwer und gefährlich gewesen, aber heute lebte Rickard ein völlig neues Leben und betrieb zusammen mit Freunden Barbershops in Stockholm, Göteborg und Sydney. Als Liv ihn gefragt hatte, bekam er sofort leuchtende Augen, und er hatte keine Sekunde gezögert. Felicia war mit ein paar wenigen Habseligkeiten und auf zittrigen Beinen in ihren Alltag getreten. Sie war in ein Haus voller Musik gekommen, in dem viel gelacht wurde und eigentlich immer jemand zu Besuch war, aber in dem es vor allem jede Menge Liebe gab. Im ersten Stock wohnte Livs beste Freundin Maya, inzwischen zusammen mit ihrer Partnerin Karin. Der ausgebaute Dachboden, den Liv bis dahin als Trainingsraum genutzt hatte, wurde geteilt und zum Spielzimmer für Felicia und ihre Freundinnen umfunktioniert. Das Wohnzimmer im Erdgeschoss wurde mit einer Schiebetür verkleinert, so dass Felicia ein eigenes Zimmer hatte, direkt neben Liv und Rickard. Nach und nach bekam die blasse, hohläugige Elfjährige einen aufrechteren Gang, sie redete lauter und aß größere Portionen. Ihr fröhliches Lachen war eine Belohnung, auf die zu warten sich gelohnt hatte.

Amüsiert beobachtete Liv, wie das Mädchen Rickard um den kleinen Finger wickelte, aber sie erinnerte ihn auch immer wieder daran, wie wichtig Regeln und Routine waren. Und sie liebte ihn nur noch mehr, wenn sie ihm dabei zusah, wie er mit Felicia einen Comic zeichnete, den er ihr dann lebhaft und mit unterschiedlichen Stimmen für jede Figur laut vorlas.

»Wie war es heute im Job?«, fragte Rickard jetzt und schob sich ein Kissen unter den Kopf.

Liv war gerade dabei, ihm zu erzählen, dass sie mit Hilfe der angeheuerten Researcherin Aminah auf einem guten Weg war, ein größeres Pädophilen-Netzwerk einzukreisen, als sie von einem energischen Klopfen an der Haustür unterbrochen wurde. Sie verstummte und setzte sich auf. Rickard hob den Arm und warf einen Blick auf seine digitale Armbanduhr. Es war 21:45 Uhr.

»Wer kommt denn um diese Zeit noch vorbei?«

Liv hob ahnungslos die Schultern, warf sich hastig die Bluse über, machte wenigstens einen Knopf zu und zog ihre Hose an. Als sie sich der Milchglasscheibe der Haustür näherte, sah sie die Umrisse einer groß gewachsenen Gestalt im Licht der Außenbeleuchtung, geschützt von einem Regenschirm. Sie murmelte ein kurzes Stoßgebet, dass ihre nackte Brust nicht allzu deutlich durch den hellblauen Stoff schimmern möge, stopfte den letzten Zipfel der Bluse in die Hose und öffnete die Tür.

Draußen stand ihre direkte Vorgesetzte, Magda Stenlund. Eine große, breitschultrige Frau, die schon viele Dienstjahre auf dem Buckel hatte, mit Augen, die genauso grau waren wie die Haare, die sie immer in einem strengen Knoten trug. Magdas Erscheinung verströmte Autorität und Disziplin. Ihre engsten Mitarbeiter wussten aber, dass sich hinter der strikten Fassade eine ordentliche Portion Humor und ein unkonventioneller Kopf verbargen.

»Es tut mir wirklich leid, dass ich so spät noch störe, Liv. Ich habe in den letzten Stunden ein paarmal versucht, dich auf dem Handy zu erreichen, aber es scheint ausgeschaltet zu sein.«

Liv lächelte etwas verlegen und fuhr sich mit der Hand durch die roten Haare, in dem Versuch, die zerzauste Frisur in Ordnung zu bringen.

»Oh je, ja, das kann sein. Ist etwas passiert?«

»Ja, das kann man wohl sagen.«

Liv machte einen Schritt zurück und bat ihre Chefin herein, während Rickard schon Teewasser aufsetzte und die beiden Frauen dann allein ließ.

Magda hängte ihren Mantel auf und lehnte den nassen Regenschirm an die Haustür.

»Schön habt ihr es hier«, war ihr kurzer Kommentar, als sie in die Küche trat und sich an den Tisch setzte. Dann zog sie eine Mappe aus ihrer Schultertasche. Liv goss duftenden Pfefferminztee in zwei große Becher und setzte sich ihr gegenüber. Sie schickte einen dankbaren Gedanken an Maya und Karin, die heute ausnahmsweise einmal nicht ihren halben Bekanntenkreis zum Abendessen in die gemeinsame Küche eingeladen hatten.

Magda breitete zwei Papiere auf dem Tisch aus, wovon das eine aussah wie der Ausdruck eines Vernehmungsprotokolls. Dann verschränkte sie die kräftigen Arme vor der Brust und sah Liv entschlossen an.

»Ich bin hier, um dich vorzuwarnen. Du wirst eine interne Auftragsanfrage bekommen, und ich denke, du solltest sie ablehnen.«

3

 

Liv zog die Augenbrauen hoch und lehnte sich auf dem Stuhl zurück.

»Und warum?«

Magda Stenlund sah sie ein wenig abwartend an und beantwortete Livs schnelle Frage mit einer Gegenfrage.

»Hast du schon mal von der Operation Speerspitze gehört?«

Zuerst schüttelte Liv den Kopf, aber dann fiel es ihr wieder ein.

»Doch, warte, ich habe in unserer Fachzeitschrift irgendwas darüber gelesen. Und in den Zwanzig-Uhr-Nachrichten kam es auch. Jemand von der Gewerkschaft hat sich kritisch geäußert. Worum ging es noch mal?«

Magda tippte mit einem unlackierten Fingernagel auf das Vernehmungsprotokoll.

»Die Führungsetage hat beschlossen, sogenannte Spitzenkompetenzen zur Unterstützung loszuschicken, wenn irgendwo Mordermittlungen ins Stocken geraten sind. Auf dem Papier klingt das ja erst mal gut. Aber wenn man das Ganze ein bisschen zynisch betrachtet, dann erkennt man schnell, dass es um Fälle geht, die große mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, aber bislang keinerlei Ergebnisse vorweisen können. Wenn du mich fragst, ist das eine PR-Kampagne und sonst gar nichts.«

Ihre Chefin konnte ein Schnauben nicht zurückhalten, bevor sie fortfuhr:

»Für viele in der Truppe ist das nichts anderes, als die Kollegen den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen, weil schon die Maßnahme an sich die bisherigen Ermittler wie Idioten dastehen lässt. Man öffnet einer Medienattacke ja Tür und Tor, wenn man das so rausposaunt. Unsere Leute fühlen sich allein durch den Namen der Operation provoziert. Wie ein Gewerkschaftsvertreter angemerkt hat, sollte Spitzenkompetenz in den verschiedenen Abteilungen selbstverständlich auch so bereits vorhanden sein.«

Magda schien Livs Körpersprache unbewusst zu imitieren und lehnte sich jetzt ebenfalls auf dem Stuhl zurück.

»Man wird dich bitten, dich in den Fall Gunnar Dörner einzuklinken, einem fünfundsiebzigjährigen Mann aus Skageby, der ermordet wurde. Mehr als anderthalb Monate sind vergangen, und die Ermittler treten immer noch auf der Stelle. Gleichzeitig macht seine Tochter Klara eine wahnsinnige Welle in der Presse. Sie hat ihren Vater gefunden, erstochen in seiner Küche.«

Liv nickte, nicht ohne Mitgefühl.

»Ich habe davon gelesen. ›Jemand hat meinen Vater umgebracht, und die Polizei dreht Däumchen und tut nichts‹, so etwas in dem Stil.«

Magda überflog das Blatt, das sie vor sich hatte, schien von Absatz zu Absatz zu springen.

»Ja, genau. Am Tatort wurden keine DNA-Spuren gefunden, die Hintertür zum Balkon war aufgebrochen, und es wird vermutet, dass der Mörder dort ins Haus eingedrungen ist. Auf dem Balkon wurden Fußabdrücke in Schuhgröße 44 gefunden, aber die Spuren enden dort. Es gibt keine Zeugen, da das Nachbarhaus seit langem leer steht. Die Kollegen waren schnell mit den Hunden vor Ort, aber der Regen hatte die meisten Duftspuren vermutlich längst weggespült, denn weit sind sie nicht gekommen. Es fehlen ein paar Wertsachen, Schubladen wurden durchwühlt. Feinde sind nicht bekannt. Die Tochter hat ein Alibi. Sie arbeitet bei einem ambulanten Pflegedienst und war zur Tatzeit auf ihrer Runde. Die Polizei hat neue Fahrzeuge im Umkreis überprüft, Mobilfunkdaten ausgewertet, Anwohner befragt, Zeugen gesucht und ein Hinweistelefon eingerichtet, sämtliche Kleinkriminellen kontrolliert, die sich in der Gegend herumtreiben, ja, sie haben alles gemacht, was man normalerweise macht. Außerdem ist es ein kleines Dorf. Fremde Gesichter fallen auf.«

Liv verzog das Gesicht.

»Und ich nehme an, jetzt gehen die Kollegen davon aus, dass es eine dieser Einbrecherbanden war, die von Ort zu Ort ziehen?«

Magda brummte etwas, das man als Zustimmung deuten konnte, legte das Blatt auf den Tisch und sah Liv direkt in die Augen.

»Ich bin verdammt zufrieden mit deinem Einsatz bei uns im Dezernat. Du weißt, was ich von deiner Arbeit halte, auch wenn ich dir das viel zu selten sage. Schon allein was du in der letzten Woche zusammen mit Aminah auf die Beine gestellt hast, imponiert mir enorm. Du musst nicht versuchen, anderer Leute unlösbare Fälle aufzuklären, um deine Karriere voranzutreiben. Die Führungsetage will dich natürlich haben, weil du gut bist, aber wenn wir ehrlich sind, wollen sie auch ausnutzen, dass man dich kennt, Liv. Aber du bist ihnen nichts schuldig.«

Liv verzog ein wenig den Mund. Vor ein paar Jahren war sie Teil eines Ermittlerteams gewesen, dessen erfolgreiche Arbeit großes Medieninteresse geweckt hatte. Seitdem war sie immer noch ein gern gesehener Gast in Fernseh- und Rundfunkdiskussionen und wurde oft um Kommentare gebeten oder sollte Fragen beantworten. Ihr war sehr wohl bewusst, dass so etwas intern einerseits gut ankam, aber andererseits auch vielen Kollegen ein Dorn im Auge war. Deshalb wählte sie sehr sorgfältig aus, welche Anfragen sie zusagte. Jetzt beugte sie sich vor und erwiderte den festen Blick ihrer Chefin.

»Du bezeichnest es als PR-Kampagne, aber für die Angehörigen spielt es doch keine Rolle, aus welchen Gründen einer Ermittlung zusätzliche Ressourcen zugeteilt werden. Hauptsache, es trägt dazu bei, den Fall aufzuklären. Außerdem ist das ja keine neue Methode, auch wenn sie es jetzt so aussehen lassen.«

Magda kräuselte die Lippen, aber dann gab sie mit einem Nicken zu, dass sie recht hatte.

»Und diese Tochter, Klara, hat allen Grund, verzweifelt zu sein«, fuhr Liv fort. »Spuren erkalten schnell, und nach fast zwei Monaten ohne Anhaltspunkte sieht das ziemlich düster aus.«

Erneutes Nicken.

»Liv, ich widerspreche dir nicht. Ohne Zweifel verdient die Frau jede Hilfe und Unterstützung. Aber alles an diesem Fall schreit Mission Impossible. Was wollt ihr denn noch mehr tun, was nicht schon getan worden ist? Das Einzige, was ihr erreichen werdet, sind Reibereien in der Truppe. Die Leute werden sagen, dass du das nur machst, um dein Ego zu befriedigen.«

»Sagt man das nicht immer über Frauen, die sich nicht der Gruppe unterordnen wollen? Und wenn wir den Mörder fangen, kann es uns doch egal sein, was ein paar Kollegen darüber denken?«

Draußen hatte der Regen zugenommen und trommelte jetzt rhythmisch gegen die Scheiben. Magda lachte leise.

»Das ist gründlich schiefgegangen, oder? Ich bin hergekommen, um dir zu sagen, dass der Fall eine Sackgasse ist und es nicht deine Aufgabe ist, für die Polizei die PR-Arbeit zu machen, aber stattdessen habe ich deine Neugier geweckt.«

Liv rieb sich die sommersprossige Wange, bevor sie Magdas Lächeln erwiderte.

»Du hast total versagt.«

4

 

Fahle Leuchtstoffröhren erhellten den Raum im Stockholmer Stadtteil Södermalm.

Sonderermittlerin Selma Vågh schaute in ihre Aufzeichnungen, setzte an, um etwas zu sagen, überlegte es sich anders und beugte sich vor. Ihre braunen Augen waren freundlich.

»Geht es Ihnen gut, Frau Hed? Sie sehen ein bisschen blass aus. Sagen Sie gern Bescheid, wenn Sie eine Pause machen möchten.«

Lilly Heds ganzer Rücken war nass geschwitzt, obwohl die Klimaanlage auf Hochtouren arbeitete. Sie zog am Kragen ihrer klein karierten Bluse, fächelte sich etwas Luft zu. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Herz in der Halsgrube feststecken. Sie war Kommissarin, eine verdammt gute. Ihr Lebenslauf war ein deutlicher Beleg dafür. Leitende Ermittlerin beim Landeskriminalamt. Jüngste Sektionschefin, die es je in der Nationalen Einsatzabteilung gegeben hatte. Die Aufklärung der Brandstiftungen in Nynäshamn letzten Sommer hatte in ganz Schweden für Schlagzeilen gesorgt. Sie war erfahren, in der ganzen Truppe respektiert. Und so ängstlich wie noch nie in ihrem Leben.

Auszusprechen, was ihr Ex-Freund, Oberstaatsanwalt Svante Sandström, ihr vor über einem Jahr angetan hatte, fühlte sich an, als müsste sie eine sorgsam errichtete Mauer mit bloßen Händen einreißen. Es bereitete ihr körperliche Schmerzen. Dahinter befand sich eine Frau, die erst psychisch und dann physisch misshandelt worden war. Lilly hatte selbst so viele Zeugenaussagen aufgenommen, war in so vielen Wohnungen und Häusern gewesen, in denen die Gewalt direkt unter der Oberfläche gebrodelt hatte. Hatte das Entsetzen in den Augen so vieler Klägerinnen gesehen und es ruhig und vorsichtig geschafft, sie zum Erzählen zu bewegen. Und jetzt saß sie hier und kämpfte mit sich selbst. Mit der Scham, der Angst, der Unruhe. Ein Hauch Trauer war auch mit dabei. Trauer darüber, dass das, was bis zu einem gewissen Punkt die größte Liebe ihres Lebens gewesen war, ein Umwerben, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte, in Gereiztheit, Zorn, Kontrollzwang, Gewalt und Bedrohung umgeschlagen war.

Schnell trank sie einen Schluck Wasser aus dem Glas, das vor ihr stand, schlang die dicken, blonden Haare zu einem nachlässigen Knoten im Nacken zusammen. Holte tief Luft.

»Es war vor etwa anderthalb Jahren, als er anfing, mir Angst zu machen.«

Die Ermittlerin Selma Vågh sah sie aufmerksam an.

»Auf welche Weise?«

»Als wir ein paar Monate zusammen waren, reagierte Svante immer heftiger. Ständig suchte er nach Fehlern, und sei es nur, dass ich eine kleine Nudel in der Spüle übersehen hatte. Ich wurde vorsichtiger in seiner Nähe. Er konnte furchtbar wütend werden und schob es darauf, dass er im Job so unter Druck stand. Aber eine Nacht ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ich wachte davon auf, dass er mich anschrie und mit der Faust gegen das Kopfende des Betts schlug. Es war die Nacht vor einer wichtigen Gerichtsverhandlung, und er fühlte sich gestört, weil ich mich im Schlaf bewegt hatte. Danach lag ich stocksteif da und wagte die ganze Nacht nicht mehr, mich zu rühren. Aber das war erst der Anfang.«

Sie gingen Ereignisse, Daten, Nachweise durch. Gespeicherte Nachrichten. Fotografien von Blutergüssen. Mögliche Zeugen. Davon gab es nicht viele, da Lilly wie so viele andere in ihrer Situation enorm geschickt darin gewesen war, die Fassade nach außen hin zu wahren. Svante war ein Gesellschaftsmensch. Häufig ein geschätzter Gast auf exklusiven Einladungen oder edlen Abendessen mit anderen einflussreichen Juristen. Vor anderen konnte er Lilly in den Himmel heben, nur um sie niederzumachen, sobald sie die Wohnungstür wieder hinter sich zugemacht hatten. Am Ende hatte Lilly ihrem eigenen Urteil nicht mehr vertraut, ihrer eigenen Stimme. Sie war so still geworden, hatten ihre Freunde gesagt. Hatte sich zurückgezogen. Der erste Schlag war nach einer feuchtfröhlichen Party gefallen. Sie hatte einen Barkeeper um Feuer gebeten. Hatte über eine Bemerkung von ihm gelacht und sich die Zigarette von ihm anzünden lassen. Die Ohrfeige hatte sie auf dem Rücksitz im Taxi nach Hause getroffen, obwohl der Fahrer vermutlich alles mitbekam. Aber einer gewissen Gruppe Menschen der schwedischen Gesellschaft schenkte Svante gar keine Beachtung. Und Lilly war wie betäubt gewesen.

»Willst du vielleicht auch noch mit diesem Barkeeper ficken? Hat es sich gut angefühlt, mich vor allen meinen Freunden so zu demütigen?«, hatte er gezischt.

Hier notierte Selma Vågh einen potenziellen Zeugen.

Es war nicht bei einer Ohrfeige geblieben. Lilly hatte schnell gelernt, die blauen Flecken zu verbergen und Erklärungen dafür zu erfinden. War genauso darauf bedacht gewesen wie Svante, dass niemand davon erfuhr. Lange hatte sie gehofft, dass es nur eine vorübergehende Krise war, dass ihre Beziehung irgendwann wieder so werden würde, wie sie am Anfang gewesen war. So himmelhoch jauchzend, schwindelerregend schön. Ab und zu blitzte das alte Gefühl auf. Ab und zu war es genauso wundervoll. Sein Blick, der so wach und intelligent war, strahlte wieder vor Liebe. Aber es war nie von langer Dauer und fast wie eine Erleichterung, wenn er ihr auf irgendeine Weise weh tat. Denn dann war er derjenige, der um Entschuldigung bitten musste, dann musste er sich nach ihr richten. Für eine kleine Weile. Es war ein krankes Leben, das sie führten, im Rückblick war ihr das klar.

Ihr Freundeskleis war immer weiter geschrumpft, weil Lilly sich bei niemandem mehr gemeldet hatte. Ihr Selbstvertrauen war am Boden. Als sie es endlich schaffte, die Beziehung zu beenden, hatte sie keine Anzeige erstattet. Aber Svante hatte sie nicht in Ruhe gelassen. Überall war er aufgetaucht. Als sie seine Handynummer blockierte, besorgte er sich eine neue.

Hier notierte Selma Vågh die Nummern, unter denen Svante Lilly kontaktiert hatte, alle mit derselben Nachricht:

Glaub ja nicht, dass das hier vorbei ist, nicht mal für eine Sekunde.

Lilly hatte eine glänzende Karriere in Stockholm aufgegeben und eine bedeutend einfachere Stelle bei der Polizei in Nynäshamn angenommen, nur um sich selbst Luft zum Atmen zu verschaffen. Ihre Drohung, ihn anzuzeigen, und die Angst vor einem beschädigten Ansehen waren die einzige Möglichkeit gewesen, den Oberstaatsanwalt Svante zum Rückzug zu bewegen. Aber obwohl sie den Kontakt abgebrochen hatte und weggezogen war, hatte er weiter versucht, sie zu sabotieren. Svantes Tentakeln reichten weit. Er war ein alter Bekannter ihres neuen Chefs, Bertil Strömberg, und ein paar wenige Worte des berühmten Svante Sandström hatten Bertil genügt, um an seiner jüngsten Neueinstellung zu zweifeln. War Lilly wirklich so gut, wie ihr Lebenslauf glauben machte? Wirkte sie nicht ein wenig labil? Ihren Ex schließlich anzuzeigen war eine Erleichterung gewesen, aber gleichzeitig hatte sie das Gefühl gehabt, als würde sie sich ins Moor begeben, ohne zu wissen, wo der Untergrund fest genug war, um sie zu tragen.

Schließlich war sie fertig mit ihrer Aussage. Lilly sank auf dem Stuhl zurück. Sie war vollkommen erschöpft, als hätte sie gerade einen Langstreckenlauf absolviert. Dabei war das erst der Anfang.

Als die Tür hinter ihr zufiel und sie statt in die bläulich weißen Lampen des Gebäudes wieder in die klare Herbstsonne blinzelte, blieb sie einen Moment auf dem Bürgersteig stehen. Sie wartete darauf, dass ihr Herzschlag wieder einen ruhigeren Takt fand. Rieb sich die verschwitzten Hände an den Jeans ab und betrachtete ihre abgekauten Fingernägel. Eine schlechte Angewohnheit, die Svante hasste und die sie während ihrer gesamten Beziehung geradezu zwanghaft weitergemacht hatte, obwohl es ihn so offensichtlich nervte. Nach der Trennung hatte sie damit aufgehört. Aber im selben Moment, in dem sie Svante angezeigt hatte, hatte sie wieder mit dem Nägelkauen angefangen. Vielleicht aus Angst. Vielleicht um sich auf eine seltsame Art selbst daran zu erinnern, dass ihr Körper nur ihr allein gehörte und niemandem sonst. Lilly konnte es selbst nicht sagen, und natürlich sahen ihre Nägel furchtbar aus, aber jetzt gerade war ihr das scheißegal. Sie ballte die Hände.

Für die Jahreszeit war das Wetter ziemlich mild und nachdem es mehrere Wochen hartnäckig geregnet hatte, schien endlich die Sonne. Der leichte Wind war trotzdem so kühl, dass sie ihren Anorak über die karierte Bluse zog. Sie machte den Dutt wieder auf, und ihre Haare fielen schwer und lockig auf ihren Rücken herunter. Nach einem Blick auf die Armbanduhr ging sie zügig die Torkel Knutssonsgata hinunter, wo ihr Auto parkte. Noch immer fühlte sich das, was sie getan hatte, irgendwie unwirklich an. Als wären die Worte, die über ihre Lippen gekommen waren, gar nicht ihre. Obwohl sie alles das, was diese Worte beschrieben hatten, tatsächlich erlebt hatte. Sie zuckte zusammen, als das Handy in der Brusttasche ihrer Jacke vibrierte, und sie holte tief Luft, um sich zu sammeln, bevor sie es herauszog. Sie sah auf das Display. Ein vertrauter Name leuchtete ihr entgegen. Es war der Psychologieprofessor Jeff Wilson, von dem sie viel über Täter gelernt hatte, die Feuer als Waffe verwendeten. Sie hatten schon länger nicht mehr miteinander gesprochen. Aber sie hatte immer mal wieder an den freundlichen und sehr engagierten Professor gedacht, der in San Francisco lebte und ihr bei der Jagd auf einen mordenden Brandstifter eine große Hilfe gewesen war. Sie tippte auf das grüne Telefonsymbol, um das Gespräch anzunehmen, und blieb stehen.

»Lilly! Wie geht es Ihnen?«

Jeff Wilsons Stimme am anderen Ende wurde von Klappern und einem pfeifenden Geräusch begleitet, aber der 55-jährige klang gut gelaunt. Lilly sah das breite, bärtige Gesicht vor sich, das sie auf der Internetseite der Universität gefunden hatte. Neugierige, intelligente Augen, eingerahmt von Lachfalten, buschige Augenbrauen und eine Brille mit dünnem Metallgestell.

»Hi, Jeff, mir geht es gut. Und selbst? Wie geht es Ihnen?«, fragte sie und merkte, dass sich ihre Stimme noch nicht wieder ganz gefangen hatte. Die Erlebnisse und Gefühle, die sie sich gerade wieder ins Bewusstsein hatte rufen müssen, lagen schwer auf ihr. Zum Glück schien Jeff nichts zu merken.

»Das freut mich zu hören. Ich bin immer noch nicht über diese ganze Sache mit den Brandstiftungen in Nynäshamn hinweg. Was für ein Fall!«

Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen.

»Mir selbst geht es gut, danke, aber durch das Wetter hier konnte ich meine Pläne leider nicht umsetzen. Ich bin in Baton Rouge, Louisiana, um an einer Konferenz teilzunehmen. Ich bin einer der Hauptredner. Aber wir haben dieses Jahr eine brutale Orkansaison. So schlimm war es noch nie. Unglaubliche Schäden. Und jetzt sieht es so aus, als wäre der nächste Orkan im Anmarsch, ein großer, der seinem Namen alle Ehre macht, und alles wird eingestellt. Ich kann nicht einmal mein Flugticket umbuchen, weil alle Flugzeuge am Boden bleiben müssen. Ich werde wohl für ein paar Tage bei einem Kollegen unterkriechen müssen.«

Er schnalzte verärgert mit der Zunge, und jetzt erkannte sie auch deutlich das Heulen des Windes im Hintergrund.

»Aber der eigentliche Grund meines Anrufs ist, dass ich die Anfrage von zwei schwedischen Universitäten bekommen habe, im Frühling eine Gastvorlesung zu halten. Die eine davon ist in Stockholm, und da würde ich gern mit Ihnen einen Kaffee trinken, wenn Sie Zeit und Lust haben?«

Lilly lächelte.

»Sehr gern, das würde mich freuen, Jeff.«

»Ich hoffe, in Schweden ist das Wetter besser? Ich habe gehört, dass einer der Stürme nach Europa weiterziehen soll, ein echter Riese.«

»Ach ja? Das wusste ich nicht. Aber von solchen Orkanen wie in Amerika sind wir zum Glück ja bislang verschont geblieben.«

»Und sonst ist es bei Ihnen auch ein bisschen ruhiger geworden, Lilly? Jetzt, wo der Fall gelöst ist?«

Seine Tonlage war gedämpfter, als hätte er trotz allem gemerkt, dass irgendetwas nicht ganz in Ordnung war. Sie zögerte, wollte den Psychologieprofessor nicht anlügen, der das Potenzial hatte, ein Freund zu werden.

Im selben Moment, in dem sie antworten wollte, hörte sie einen kurzen, scharfen Pfiff hinter sich und drehte sich um.

Liv Kaspi stieg aus einem zivilen Polizeiwagen und hob die Hand zum Gruß. Lilly nickte ihr zu,

»Jeff, ich habe jetzt leider keine Zeit mehr. Eine Freundin von mir ist gerade gekommen. Aber sagen Sie mir auf jeden Fall rechtzeitig Bescheid, wann Sie nach Schweden kommen.«

Der Amerikaner sagte noch etwas, das Lilly nicht mehr verstand, und sie drückte das Gespräch weg.

Liv Kaspi kam auf sie zugejoggt. Die jungenhaft kurz geschnittenen roten Haare hoben sich wie ein Ausrufezeichen gegen den asphaltgrauen Hintergrund ab, und ihre grünen Augen leuchteten warm. Sie trug Sportleggings, Kapuzenjacke, darüber einen Anorak mit Tarnfleckenmuster und wadenhohe Sneaker. Umarmte Lilly so fest, dass ihr die Luft wegblieb.

»Wie ist es gelaufen?«, fragte Liv.

»Gut, glaube ich. Das Wichtigste habe ich gesagt.«

Wie immer war Lilly von der Ausstrahlung ihrer Freundin beeindruckt. Livs Auftreten war herzlich und herausfordernd zugleich. Eine Frau, die ihren eigenen Weg ging. Mehr als einmal hatte sie Liv um die selbstverständliche Sicherheit beneidet, mit der sie sich bewegte. Aber sie wusste auch, dass es jetzt, wo ihre Freundin da war, nicht länger nötig war, die Fassade aufrechtzuhalten. Die Gefühle wallten erneut in ihr hoch, und Tränen brannten hinter ihren Augenlidern.

Liv legte den Arm um sie.

»Wie geht es dir?« Die Frage war freundlich, direkt.

Lilly beschloss, ehrlich zu sein: »Das alles ist so verdammt schwer für mich. Als Polizistin. Mehr als einmal habe ich gedacht: Wie bin ich hier gelandet? Und ich habe keine Antwort darauf. Ich fühle mich so nackt.«

Die Freundin drückte sie.

»Wie meinst du das?«

Lilly schluckte.

»Alle werden es erfahren. Noch mehr Kollegen, natürlich, aber heute Morgen ist mir erst so richtig bewusst geworden, dass das hier in den Medien landen wird. Ein Reporter hat angerufen und wollte mit mir über meine Anzeige reden, da Svante so ein hohes Tier ist. Ich habe nur ›kein Kommentar‹ gesagt und aufgelegt, aber … Ich bekomme Panik.«

Liv sah ihr fest in die Augen.

»Du bist nicht allein, hörst du?« Sie drückte wieder Livs Schulter, wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. »Und egal was passiert, wir werden es schaffen. Immer schön einen Schritt nach dem anderen. Den ersten hast du jetzt schon geschafft. Und mal ganz ehrlich – wer hat wirklich Grund zur Panik, dass diese ganze Geschichte in den Medien landen könnte?«, sagte Liv und lächelte sie an.

Der Tränennebel lichtete sich. Das Atmen wurde leichter. Lilly umarmte Liv, und ihre Freundin erwiderte die Umarmung.

Sie hatten gemeinsam die Ausbildung bei der Polizei gemacht, hatten auf den stinkenden Matten in der Sporthalle miteinander gerungen, dieselben Schulbänke gedrückt. Bei Krawallen gemeinsam Ketten gebildet, waren bei Einbrüchen und häuslicher Gewalt als Erste vor Ort gewesen. Ihre Mitschüler im selben Jahrgang hatten sie »LL« genannt oder auch »die Späherin und die Kriegerin«, mit Blick auf ihre hervorstechenden Eigenschaften. Die analytische, sorgfältige, stille Lilly. Die sture, kämpferische und nicht selten ihrem Bauchgefühl folgende Liv. Später hatten sie unterschiedliche Richtungen eingeschlagen, sich für verschiedene Karrierewege entschieden. Lillys Beziehung mit Svante hatte den Abstand zwischen ihnen weiter vergrößert. Aber seit einiger Zeit waren sie wieder in Kontakt miteinander. Liv war inzwischen eine bekannte Kriminalkommissarin, die eine Reihe aufsehenerregender Fälle gelöst hatte und seitdem oft in den Medien zitiert wurde.

Bei Liv hatte Lilly auch die Anzeige gegen Svante erstattet, weil sie wusste, dass sie ihr vertrauen konnte.

»Hast du Zeit für einen Kaffee?«, fragte Liv jetzt und nickte zu einem Café gegenüber. »Ich würde gern eine Sache mit dir besprechen.«

Lilly schnitt eine Grimasse.

»Ich habe nachher noch einen Termin mit meinem Chef«, sagte sie zögernd. »Ich sollte mich eigentlich auf den Rückweg nach Nynäshamn machen.«

»Bertil weiß, dass du später kommst«, sagte Liv unbekümmert.

Lilly zuckte zusammen und sah ihre Freundin mit gerunzelter Stirn an.

»Hast du mit meinem Chef geredet?«

Liv zeigte auf die windgeschützte Außenterrasse, wo einige wenige Gäste zusammengekauert im Schein der Wärmelampen saßen.

»Wir setzen uns nur kurz da drüben hin«, sagte sie.

Sie gingen über die Straße, Lilly sank auf einen Stuhl und kaute an einem Fingernagel, während sie darauf wartete, dass Liv mit zwei Tassen Kaffee und dem Gebäckstück, das sie bestellt hatte, zurückkam. Es störte sie, dass Liv mit Bertil gesprochen hatte, ohne erst mit ihr zu reden. Auch das war eine Folge ihrer Beziehung mit Svante. Es fiel ihr verdammt schwer, Leuten zu vertrauen. Selbst einer guten Freundin, obwohl sie ja wusste, wie impulsiv Liv war und dass sie zu Spontanentscheidungen neigte.

Sogar ihr Freund, der Feuerwehrmann Jesper Hansson, hatte sich erst durch die Mauer kämpfen müssen, die sie um sich herum errichtet hatte. Seit sie einmal von jemandem, den sie geliebt hatte, so vernichtet worden war, fiel es ihr sehr viel schwerer, daran zu glauben, dass etwas, das man vor ihr verheimlichte, mit guten Absichten geschah. Sie hatte oft mit ihrem Kontrollbedürfnis zu kämpfen, mit den rein körperlichen Reaktionen, die gewisse Situationen hervorriefen. Jetzt rührte sie eine Spur zu schnell mit dem Löffel in ihrem Kaffee herum, und ein paar Tropfen spritzten auf den Tisch. Liv ließ sich ihr gegenüber auf den Stuhl sinken, legte die Unterarme auf den Tisch und beugte sich vor.

»Also, ich musste mit deinem Chef sprechen, um herauszufinden, ob für das Ganze überhaupt die nötigen Voraussetzungen gegeben sind. Und das sind sie. Und er stimmt mir zu, dass es eine gute Idee sein könnte. Vor allem wenn man bedenkt, was du gerade durchmachst.«

Lilly merkte, wie sie innerlich brodelte.

»Wovon redest du?«, fragte sie scharf.

Liv grinste breit, völlig unbeeindruckt von ihrem unübersehbaren Ärger.

»Du bist die beste Ermittlerin, die ich kenne. Du bist verdammt schlau und unglaublich analytisch, und ich habe gezielt um dich gebeten. Wenn du willst, dann fahren wir beide, du und ich, Anfang nächster Woche nach Skageby. Wir werden ausgeliehen. Sagt dir die Operation Speerspitze etwas?«

Überrumpelt trank Lilly einen Schluck Kaffee, um Zeit zu gewinnen. Ihr Ärger wich einer wachsenden Neugier. Natürlich hatte sich schon von der Operation Speerspitze gehört. Ein Projekt, bei dem es darum ging, die Ermittlerteams in besonders schwierigen Fällen zu verstärken, in denen die Kollegen offensichtlich in einer Sackgasse steckten. Es hatte sie in den Fingern gejuckt, sich daran zu beteiligen, als sie davon gelesen hatte, das musste sie zugeben. Auch wenn viele sich durch das Projekt provoziert fühlten und sich darüber beschwerten.

Schnell und effektiv schilderte Liv ihr den Fall des erstochenen Gunnar Dörner, und ein paarmal musste Lilly sie bitten, etwas zu wiederholen, um alle Schritte und Maßnahmen zu erfassen, die bislang unternommen worden waren. Ihr Interesse wuchs weiter.

»Ich habe mich umgehört. Falls es tatsächlich ein Einbrecher auf der Durchreise gewesen sein sollte, dann hat er sich sein Opfer schlecht ausgesucht. Ein billiger Gebrauchtwagen, und laut Protokoll lässt nichts am Haus vermuten, dass dort Gegenstände von größerem Wert zu holen sein könnten. Trotzdem ist alles gründlich durchwühlt worden«, sagte Liv.

»Dann denkst du also, dass vielleicht jemand einen Tipp bekommen hat, dass etwas Wertvolles im Haus ist?«, überlegte Lilly und faltete die Finger um ihre Kaffeetasse.

»Möglich. Oder der Mörder hat etwas ganz anderes gesucht.«

Liv lehnte sich zurück und sah sie gespannt an.

»Also was sagst du?«

Lilly betrachtete ihre Freundin einen Augenblick unter gesenkten Augenlidern heraus. Liv hatte eindeutig besser begriffen als sie selbst, wie wichtig es war, dass sie jetzt, wo die Anzeige ihren Lauf nahm, etwas zu tun hatte. Sich nicht die ganze Zeit als Opfer fühlte, sondern sich auf das konzentrierte, was sie am besten konnte. Vielleicht war ihr Chef zu demselben Schluss gekommen, als er zugestimmt hatte, sie gehen zu lassen. Und sie war sich auch sicher, dass Liv niemals nur aus Nettigkeit um ihre Mitarbeit bitten würde. Ihre Freundin wusste, was sie konnte.

Lilly lächelte.

»Guter Pitch, Kaspi. Ich bin dabei.«

 

5

 

Das Auto glitt in den Hamniksvägen und am Sushi-Imbiss vorbei, in den Fenstern glitzerten Lichterketten. Wolken zogen in großen grauen Fetzen über den Abendhimmel, als Lilly in die Ängsgatan bog und sich dem Leuchtturm näherte, der in Nynäshamn von allen nur Jammerturm genannt wurde. So hieß er, weil das ganze Projekt von Anfang eine unerwünschte Fehlkonstruktion gewesen war, aber schließlich durfte er doch unten am Wasser stehen bleiben und diente jetzt als Unterkunft für zahlende Gäste. Der Turm war eine ungewöhnliche Bleibe, aber Lilly hatte sich hier schnell wie zu Hause gefühlt. Sie war eingezogen, als sie auf der Suche nach einem neuen Umfeld, einem neuen Leben war. Zu jener Zeit hätte Lilly nicht gedacht, dass sie jemals den Mut haben würde, jemandem zu erzählen, was sie hinter sich gelassen hatte.

Sie parkte den Wagen und stieg aus. Eine Möwe schrie in der Ferne. Das Wasser war vollkommen still, der Wald gegenüber stand genauso dunkel und stumm da. Das Küchenfenster der stattlichen Villa, in der ihre Vermieterin Hilda Enbom residierte, leuchtete heimelig, und auch hinter dem runden Fenster im Erdgeschoss des Leuchtturms brannte Licht. Das elf Meter hohe, rot gestrichene Gebäude hatte nie einem Schiff den Weg gewiesen, aber es überragte dennoch trotzig die umliegenden Häuser wie eine vielbeschäftigte Dame, die nicht bereit war, sich vor irgendjemandem zu verbeugen. Ein Schilfgürtel trennte den Leuchtturm vom Wasser, und rund um den Sockel waren hohe Felsen und Büsche. Lilly atmete tief ein, als sie das Auto mit der Fernbedienung abschloss. Ein Windstoß wehte ihre langen blonden Haare über die Schultern, und für einen kurzen Moment schloss sie die Augen. Eine Etappe hatte sie heute geschafft. Bald stand ihr die nächste bevor. Sie hatte sich entschieden, gegen Svante vorzugehen, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Aber insgeheim musste sie sich eingestehen, dass sie panische Angst davor hatte, was ihr Ex unternehmen würde, wenn seine Macht und seine Stellung ernsthaft bedroht wurden. Nachdem sie das Schweigen gebrochen hatte.

Sie schauderte und ging auf den Leuchtturm zu, aber auf halbem Weg stockte sie, als ihr ein anderer Gedanke kam. Sie hatte das alles viel zu lange allein mit sich herumgetragen, und vielleicht gab es andere, denen es genauso ging. Sie kannte nur den Namen einer seiner früheren Partnerinnen: Svantes Ex-Frau Margot Lidner. Er war immer sehr wortkarg gewesen, wenn er von ihr gesprochen hatte. Sie waren nur drei Jahre verheiratet gewesen, es gab keine gemeinsamen Kinder, und sie hatten, soweit Lilly wusste, auch keinen Kontakt mehr, seit die Scheidung rechtskräftig und das Mobiliar aufgeteilt worden war. Hatte Margot während der kurzen Ehe dasselbe erlebt wie sie? Lilly zog ihr Handy heraus, googelte den Namen und stellte fest, dass ihre Kontaktdaten über die üblichen Nummern- und Adressdienste nicht zu finden waren. Aber bei der Polizei verfügte man in solchen Fällen ja noch über andere Mittel und Wege. Und das, was sie auf dem Herzen hatte, war vielleicht einen Anruf wert, dachte Lilly und steckte ihr Handy wieder ein.

Sie überquerte die unebene Wiese, die sich immer noch nicht so ganz von dem Brand vor zwei Monaten erholt hatte. Auch der Baum neben dem Leuchtturm trug noch deutlich die Spuren des Blitzeinschlags. Nach diesem trockenen, heißen Sommer hatte er dem aufziehenden Gewitter nicht viel entgegenzusetzen gehabt. Und gerade als die schlimmste Trockenheit endlich überstanden war, wurde das müde Grün schon von den trüben Herbstfarben abgelöst.

Sie griff nach der Türklinke und stellte fest, dass der Leuchtturm nicht abgeschlossen war. Vor ein paar Monaten hätte ihre Hand in diesem Moment nach der Dienstwaffe getastet. Aber jetzt wusste sie, wer in dem runden Zuhause auf sie wartete. Der Feuerwehrmann Jesper war die vierte Person, die sie in Nynäshamn kennengelernt hatte, und als sie jetzt durch die Tür trat, ließ er das zerfledderte Taschenbuch von Don Winslow sinken, mit dem er es sich auf dem Bett gemütlich gemacht hatte.

»Hej«, begrüßte er sie lächelnd. »Erzähl! Wie ist es heute gelaufen?«

»Gut. Glaube ich«, sagte sie und zog sich die Schuhe aus.

Sie erinnerte sich an ihren ersten Eindruck von dem großen, sehnig-muskulösen Mann, der ungefragt auf ihrem Grundstück aufgetaucht war, um sie zu bitten, sich einen Brand näher anzusehen, weil er den Verdacht hatte, es könnte sich um Brandstiftung handeln. Ihre anfängliche Verärgerung hatte nicht lange angehalten. Mit seiner Liebenswürdigkeit, dem freundlichen Ausdruck in seinen eisblauen Augen und dem Engagement für seine Heimatstadt hatte der Feuerwehrmann sie schnell von sich überzeugt. Mit der Zeit waren sie sich nähergekommen. Sie hatten beide ihr Päckchen zu tragen. Lilly, die damit beschäftigt war, nach der Beziehung mit Svante die Trümmer ihres alten Lebens zusammenzufegen. Jesper, der sich nach dem Krebstod seiner Frau Hals über Kopf in die Arbeit gestürzt hatte. Es war Lilly schwergefallen, sich Jesper zu öffnen, den Mut zu haben, nicht nur seinen, sondern auch ihren eigenen Gefühlen zu vertrauen. Sie hatte sich nicht vorstellen können, je wieder einem anderen Menschen ihre verletzliche Seite zu zeigen. Sehr lange hatte sie sich selbst etwas vorgemacht, was ihre Gefühle für Jesper betraf. Und dann hatte er das einzig Richtige getan: hatte sich zurückgezogen, ihr Raum gegeben, um sich zu entscheiden. Und schließlich war alles ganz einfach gewesen.

Jetzt setzte sie sich auf das ordentlich gemachte Bett, ganz dicht neben ihn. Strich mit der Hand über seinen Hemdsärmel, beugte sich vor und drückte sanft ihre Lippen auf seine. Jespers Dreitagebart kratzte, aber sein Mund war weich. Er ließ das Buch los, richtete sich ein wenig auf, nahm ihren Kopf in die Hände und erwiderte ihren Kuss. Sie hielt seine Arme fest, setzte sich rittlings über ihn und spürte, wie sein Atem schneller wurde. Aber plötzlich stoppte Jesper und zog sich ein Stück zurück und schob sie für einen Moment von sich weg. Im sanften Licht der Lampe, die in der Ecke stand, schimmerten seine Augen golden.

»He, versuch jetzt nicht vom Thema abzulenken. Ich will wissen, wie es heute gelaufen ist.«

Lilly seufzte und stützte die Hände hinter sich auf dem Bettüberwurf ab. Gestand sich ein, dass sie selbst ja auch das Bedürfnis hatte, über ihre Aussage zu reden. Das Ganze kreiste immer noch in ihrem Kopf herum, und, wenn auch widerwillig, war sie Jesper dankbar dafür, dass er das erkannt hatte.

»Ich bin froh, dass ich so einen guten Nebenklägerbeistand habe. Die Frau ist knallhart. Und die Sonderermittlerin ist auch super, hartnäckig, aber respektvoll, ich hätte den Job selbst nicht besser machen können. Aber es ist schwer. Mir wird langsam bewusst, was ich alles verdrängt habe. Obwohl sich hinter all diesen Erinnerungsfetzen mögliche Beweise verstecken könnten. Wie ein Taxifahrer, an den ich überhaupt nicht mehr gedacht habe, obwohl er ja eindeutig ein Zeuge ist. Und ich glaube, dass es noch mehr Fäden gibt, an denen wir ziehen können. Zum Beispiel Svantes Ex-Frau.«

Jesper nickte und streichelte ihren Arm, während sie ihm von ihren Befürchtungen erzählte, die nicht nur Svante selbst betrafen. Der Oberstaatsanwalt hatte schon früher demonstriert, wie weit sein Einfluss reichte, über welche Macht er verfügte, als er Kontakt zu ihrem Chef aufgenommen hatte.

Sie brach mitten im Satz ab und richtete sich auf.

»Aber es gibt noch mehr Neuigkeiten.« Sie fuhr sich mit der Hand durch die langen Haare, biss sich auf die Lippe. »Vielleicht hätte ich das besser gleich erzählen sollen – ich werde nämlich eine Weile verreisen.«

Jesper sah sie überrascht an.

»Wohin denn?«

»Nach Nordschweden, um genau zu sein nach Lilla Skageby im Bezirk Västerbotten. Zusammen mit Liv, meiner Kollegin, mit der ich zusammen auf der Polizeischule war. Am Montag geht es los. Und tatsächlich kann ich dir auch noch nicht sagen, wie lange wir weg sein werden, vielleicht ein paar Wochen. Mein Chef hat schon sein Okay gegeben. Wir sollen die Kollegen dort oben bei den Ermittlungen in einem Mordfall unterstützen.«

Ein Funken von Wiedererkennen blitzte in Jespers Blick auf.

»Geht es um diesen alten Witwer, der in seinem Haus erstochen wurde? Ich habe davon gelesen. Schreckliche Geschichte.«

Lilly nickte, aber es fiel ihr schwer, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie sich darüber freute, so begehrt zu sein, zu einem so wichtigen Fall hinzugezogen zu werden.

»Für die Anklage gegen Svante ist der Grundstein gesetzt, jetzt wird es eine Weile dauern, bis die nächsten Schritte nötig werden. Mir gefällt der Gedanke, eine Weile hier rauszukommen. Weg von allem hier, du weißt schon.«

Jesper schob das Kinn nach vorn.

»Von allem…?«, fragte er in gespielt enttäuschtem Ton.

Sie lachte.

»Nein, natürlich wirst du mir fehlen. Ich werde dich jeden Abend anrufen. Aber das hier fühlt sich richtig an. Mit Liv wegzufahren. Sie schafft es immer, mich aufzumuntern oder mich mal zu schütteln, wenn es nötig ist.«

Er nickte, und sein Blick verriet deutlich, was er für Lilly empfand. Sie beugte sich vor und nahm ihn in den Arm. Spürte ihre Herzen im gleichen Rhythmus schlagen.

»Allein die Vorstellung, Svante vor Gericht gegenüberzustehen … wie soll ich das schaffen? Manchmal macht es mich so wütend, wie feige ich geworden bin. Dabei weiß ich ja, dass ich nicht so denken darf. Anderen Frauen in meiner Situation würde ich doch auch keine Vorwürfe machen. Aber es ist nicht so einfach, das zu lassen.«

Jesper hörte ihr zu. Er versprach ihr, für sie da zu sein. Und mehr musste Lilly nicht wissen.

6

 

»IST DAS WAHR?«

Liv drehte sich vor der Kantine um und blickte auf die breite Gestalt ihres Kollegen Helge Sund. Er lehnte am Türrahmen und betrachtete seine Fingernägel, was vermutlich irgendwie Gleichgültigkeit demonstrieren sollte

»Ist was wahr?«, fragte sie.

»Dass du jetzt zur Speerspitze gehörst.« Helge schnaubte verächtlich. »Haben sie es geschafft, dir einzureden, dass du besser Mörder fangen kannst als deine Kollegen?«

Sein Lächeln änderte nichts an dem beißenden Ton in seiner Stimme, eher im Gegenteil. Liv musterte ihn von Kopf bis Fuß.

»Es ist nicht das erste und sicher nicht das letzte Mal, dass jemand eine Ermittlung unterstützt. Also mach dich nicht lächerlich.«

»Nein, aber es ist das erste Mal, dass so etwas von derartigem Mediengetöse begleitet wird. Und das ist es doch, was du willst, oder etwa nicht?«

Der Kollege starrte sie durchdringend an.

Helge Sunds Karriere war in den letzten Jahren ins Stocken geraten, und da Liv mit seiner Frau zusammenarbeitete, wusste sie ganz genau, welche Posten er unbedingt gewollt, aber nicht bekommen hatte. Sie wog ab. Wenn sie ihn jetzt in die Ecke drängte, dann würde er unter den Kollegen nur noch mehr über sie herziehen. Andererseits hatte sie Männer mit Minderwertigkeitskomplexen noch nie leiden können, und sie hatte nicht die Absicht, für ihn eine Ausnahme zu machen.

Sie lächelte.

»Wenn man gute Arbeit abliefert, dann fällt das eben manchmal auf. Vielleicht versuchst du es auch mal?«

Sie drehte sich um und schulterte ihre Sporttasche. Ignorierte das empörte Schnauben ihres Kollegen.

Der Geruch von Schweiß und altem Leder schlug Liv entgegen, als sie die schwere Stahltür zum Kampfsportstudio Slagverk aufzog.

Dieser Ort war für sie wie ein zweites Zuhause, und sie lief mit schnellen Schritten die abgetretene Steintreppe hinunter. Eine wohlige Mischung aus Adrenalin und Vorfreude strömte jedes Mal durch ihren Körper, wenn sie zum Training ging.

Hierher kam sie, um sich auszupowern, um ihre Technik zu verfeinern, den Kopf freizubekommen und Energie zu tanken. Kampfsport war ihr Lebenselixier. Besonders jetzt, am Anfang eines neuen Falls, brauchte sie das Training noch mehr als sonst. Auf dem Weg hierher waren ihre Gedanken um den toten Mann in Skageby gekreist. Danach waren sie eher widerwillig zu den Reaktionen ihrer Kollegen auf ihre Entscheidung, den Einsatz anzunehmen, gegangen. Von da aus waren sie zu Felicia gewandert, der es so viel besser zu gehen schien, seit sie bei ihnen war. Nur um dann wieder zu dem Fall zurückzukehren. Wer erstach einen alten Mann in einem abgelegenen Haus? Selbst wenn Einbrecher auf frischer Tat ertappt wurden, passierte so etwas extrem selten. Meistens ergriffen sie einfach die Flucht. Welches Motiv steckte hinter einem so brutalen Gewaltverbrechen? Hatte sie, wie Magda befürchtete, einen unlösbaren Fall übernommen?

Das Sportstudio war in den letzten Jahren renoviert worden, aber ohne seinen rustikalen Charme einzubüßen. Der Trainingsbereich, weiß gestrichen und mit chromglänzenden Geräten, ging in eine kleine Pantryküche über und von dort in den großen Kursraum, in dem eine größere Gruppe gerade eine Judostunde beendet hatte. In einer Ecke auf einer erhöhten Plattform thronte der Boxring, rund um die dicke Trainingsmatte baumelten schwere Säcke an Ketten von der Decke. Die zwanzig Teilnehmer des Judokurses kamen auf dem Weg zu den Duschen an ihr vorbei, manche von ihnen kannten sie und begrüßten sie. Auf Wandregalen lagen Handschuhe und Schlagpolster, an den Wänden hingen vergilbte Plakate von legendären Kämpfen. Viele der Meister, die auf den Bildern zu sehen waren, kamen auch lange nach ihren aktiven Wettkampfzeiten immer noch in Javiers Gym, um in Form zu bleiben. Liv warf ihre Sporttasche in die Ecke und hörte ein leises Lachen hinter sich.

»Ich habe mich gerade gefragt, wo eigentlich meine beste Sparringspartnerin steckt.«

Ihr Gesicht hellte sich auf, und sie drehte sich um.

»Hej, Javier!«

Der riesige Besitzer des Slagverk kam mit ausgebreiteten Armen auf Liv zu und zog sie an sich. Der Stoff seines Judo-Oberteils war nass geschwitzt, aber das störte sie nicht. Sie hatte so viele Stunden an diesem Ort verbracht, hatte mit so vielen Gegnern Schweiß, Rotz und Blut getauscht, dass Körperflüssigkeiten ihr wirklich nichts mehr ausmachten.

Javiers braune Augen strahlten sie an, und sie legte freundschaftlich ihre Hand auf sein Ringer-Ohr. Strich ihm über die Wange, wo eine verblasste Narbe an eine Messerstecherei in seiner Jugend erinnerte. Er hatte ihr so viel beigebracht, sie auf eine andere Art genauso großgezogen wie ihre Eltern. Zwischen Javier und ihr bestand ein besonderes Band, eine Freundschaft, die sich eher wie Familie anfühlte.

»Wie geht es dir? Kommst du überhaupt noch zum Schlafen, seit du wieder Vater geworden bist?«

»Ne«, gab er lachend zu.

Der weiße Judoanzug verdeckte seine vielen Tätowierungen, aber jetzt zog er einen Ärmel hoch und zeigte seine neueste Errungenschaft am Handgelenk: die Initialen der jüngsten Tochter.

»Hübsch. Aber wenn du jetzt müde bist, habe ich gleich leichtes Spiel mit dir, oder?«, sagte sie spöttisch.