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Impressionen
SAGE – Storys, Aphorismen, Gedichte, Essays
Essays:
Auf dem Prüfstand * Beruf und Risiko * Betrug * Bienen, Wespen & Co. * Déjà-vus * Duden-Aspiranten * Leitmotiv * Modewelt * Neid * Nevermore * Nutzen * Paronyme * Psychogramm des Bindestrichs * Schachfiguren – Essay-Reportage * Schuld * Sternenzelt
Gedichte:
Als Auto * Besuch im Beleidigungs-Zoo * Deonyme – Natur vs. Kultur * Diät-Zombie * Die Bäume und der Berg * Insel-Urlaub * Meister Adebar meistert alles * Parfümiert * Showdown – Sonne vs. Waffeleis * Strandparty mit Hai und Panda * Thinking in the Rain * Wer fliegen kann, braucht keine Brücken * Zitronenrolle
Falsch zugeordnete Zitate – Wer könnte es gesagt haben?
Storys:
Katzenfalle * Rowdy-Mentor * Rosskur für ein Pferd * Brief an Donald Duck * Ein malerisches Date * Unterwegs zum Milchstraßen-Fest * Panda auf Reisen – Stegreifkomödie auf dem Steg * Pornodreh
Interviews:
Interview mit dem Wetter * Interview mit Lucius Licinius Lucullus
Kleinere Gedichte * Drabbles * Aphorismen * Sprüche und Gedanken
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Impressionen
SAGE – Storys, Aphorismen, Gedichte, Essays
Essays:
Auf dem Prüfstand * Beruf und Risiko * Betrug * Bienen, Wespen & Co. * Déjà-vus * Duden-Aspiranten * Leitmotiv * Modewelt * Neid * Nevermore * Nutzen * Paronyme * Psychogramm des Bindestrichs * Schachfiguren – Essay-Reportage * Schuld * Sternenzelt
Gedichte:
Als Auto * Besuch im Beleidigungs-Zoo * Deonyme – Natur vs. Kultur * Diät-Zombie * Die Bäume und der Berg * Insel-Urlaub * Meister Adebar meistert alles * Parfümiert * Showdown – Sonne vs. Waffeleis * Strandparty mit Hai und Panda * Thinking in the Rain * Wer fliegen kann, braucht keine Brücken * Zitronenrolle
Falsch zugeordnete Zitate – Wer könnte es gesagt haben?
Storys:
Katzenfalle * Rowdy-Mentor * Rosskur für ein Pferd * Brief an Donald Duck * Ein malerisches Date * Unterwegs zum Milchstraßen-Fest * Panda auf Reisen – Stegreifkomödie auf dem Steg * Pornodreh
Interviews:
Interview mit dem Wetter * Interview mit Lucius Licinius Lucullus
Kleinere Gedichte * Drabbles * Aphorismen * Sprüche und Gedanken
Man kann alles auf den Prüfstand stellen; seine gute Laune, ist die noch berechtigt? Oder lieber erst gar nicht so viel testen? Frei nach dem Motto "Sorge Dich nicht, lebe"? Sollte Gott Sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen? Kann man der Erde guten Gewissens jedes Jahr erneut die Prüfplakette geben? Sind die Messwerte desaströs? Das Leben könnte man betrachten als Prüfstand, Prüfcenter für die Seele. Schon Eva wurde evaluiert. Hätte man Adam lieber ein anderes Modell zukommen lassen sollen? Sie war ja von jeher sehr obstinat – gerade bei der Sache mit dem Obst.
Ehe als Prüfcenter für die Strapazierfähigkeit der menschlichen Psyche. Wo gibt es Reparatur-Anleitungen für den Haussegen, wenn der wieder mal schief hängt? An sich freut man sich ja, wenn man vom Leben nicht allzu schwer geprüft wird. Sorge, man könnte durchrasseln. Wo paukt man Lebensmut, Durchhaltevermögen, Belastbarkeit? Vor allem das Fach "Menschenliebe" bereitet zuweilen Probleme, wenn man es mit Leuten zu tun hat, die so völlig anderer Meinung sind als man selbst. "Was ich Dir sagen will, sagt meine Faust." Nicht ganz so harmonisch wie ein Klavier.
Die Gefühlwelt soll ja immer wieder auf den Prüfstand. Meist klemmt der Aggressions-Regler ohnehin. "Cortisol und Adrenalin, zeigt, was Ihr könnt!" Corti und Adren sind ein super Team. Mit einem Kickstart geht es los. Sie machen aus einer lahmen Ente ein schnittiges Motorrad. Die Seele vibriert. Nur der Bescheidenheit ist dieser Auftritt mehr als peinlich. "That's Entertainment!" Corti und Adren sind ganz in ihrem Element.
Es gibt ja nur Vermutungen, nach welchen Kriterien die himmlischen Rating-Agenturen den Zustand der Seelen beurteilen, aber besser ist es wohl, irgendwie solide zu wirken. Verlässlich sein. Andererseits hat man es mit unglaublich vielen Parametern zu tun; sehr flexible Variablen, die mit ihrem Variantenreichtum angeben. Und Corti und Adren sind gar nicht so versessen darauf, dass das Gesamtsystem auf Herz und Nieren geprüft wird. "Einfach machen", lautet ihre Devise. Da bleibt die Nächstenliebe vorerst unerledigt; es gibt dringendere Probleme. "70 tolle Ideen, das Leben durch Aufregung aufregender zu machen" – so lautet der Titel ihres derzeitigen Buches. Sie hoffen, dass das Großhirn das absegnet; sie leisten gute Lobby-Arbeit.
Dann gibt es da noch die unschönen Situationen, wo etwas dringend auf den Prüfstand muss. Dem ist gar nicht wohl bei der Sache, denn das bedeutet im Regelfall "Weg damit!". Was ist unnötig, was nicht mehr zeitgemäß? Der Prüfinator macht sich ans Werk. Nicht gut, wenn das ein Nostalgiker ist; der verwahrt Sachen gerne. "Kann man noch mal gebrauchen." Vermutlich nicht. Aber so ist es auch mit den Erinnerungen: Man braucht die im Grunde nicht alle; dennoch ist es schön, dass man sie im Mental-Gepäck dabeihat. Der Prüfinator redet von "Qualitätssicherung" – Inventur des Selbst steht an. Welche neuen Eigenschaften benötigt man – und welche sind einfach nur nervig? Modellpflege.
Corti und Adren plädieren für die Anschaffung zusätzlicher Fäuste. Das gibt das Budget aber nicht her – und die Evolution meint auch, das sei Blödsinn und in dieser Angelegenheit seien ihr Hände und Füße gebunden. Die Welt als riesiges Labor, hier wird gebastelt, geschraubt, geschliffen – ein überdimensionales Prüffeld mit angeschlossener Fertigungshalle. Welchen Erwartungen soll man gerecht werden? Allerdings: Wenn man sich immer erwartungsgemäß verhält, verfehlt man mit Sicherheit das Ziel.
Vermutlich ist das Leben wie Blitzschach: Man muss sich zudem rasend schnell entscheiden können. Das Leben gewährt einem keine gemütliche Betrachtung und Analyse – auch wenn die Eremiten es so aussehen lassen wollen. Der Fluss fragt – aber ehe man ihm antworten kann, hat er sich bereits verändert. Das Ich von morgen hätte ganz andere Antworten parat als das heutige. Z. B. bei den Lottozahlen. Man legt sich pausenlos an mit dem derzeitigen Augenblick, er will nicht so, wie man selber will. "Hätte, hätte, Fahrradkette", gibt er einem oft genug zur Antwort.
Man schwärmt von Möglichkeiten – hat es aber immer mit den Fakten zu tun. Die Fakten-Genauigkeit der Realität ist legendär. Da weicht man nicht einfach so ab in die Fantasie-Gasse. Und die Realität weigert sich beharrlich, auf den Prüfstand gestellt zu werden – wie eine übergewichtige Person, die die Waage als äußerst schlechten Aufenthaltsort empfindet. Von den schwerwiegenden Fehlern sollte man sich nicht allzu viele leisten. Leicht wie eine Feder soll das Gewissen im Himmel ankommen. Aber Gewissensbisse setzen einem zu wie ein Haufen aus dem Zoo ausgebrochener Flöhe. So lassen die einen doch nie in einen der besseren Himmels-Bezirke; vermutlich Gewerbegebiet. Ein gewerbsmäßiger Hallodri. Anleitung dafür, wie man Schätze im Himmel ansammelt? Harry Potter hat ja auch festgestellt, dass er reich ist. Okay, Zaubergeld – eine seltsame Währung. Was kauft man sich so mit den Bitcoins aus dem Himmel? Zufriedenheit, neuwertige Ataraxie? Unerschütterlich sein – auch wenn das Gemüt die Konsistenz von Wackelpudding hat? Können sich Gleichmut und Empathie im selben Seelen-Raum aufhalten? Eine gewisse Leidenschaftlichkeit benötigt man wohl für die Wahrnehmung von Leid. Wie soll einen das Leben begeistern, faszinieren, wenn man es auf seine sachlichen Fakten reduziert hat?
Vielleicht ist das Magie: der Fantasie, der Kreativität, dem Mitempfinden erlauben, mitzuschwingen, sich voll einzubringen? Die Sachlichkeit etwas aufpeppen, einen Hauch bunter machen ... Die Realität in gewissem Sinne überarbeiten – wie ein übereifriger Dramaturg. Oder ist das demiurgisch? Sich in Weltbaumeister-Manier betätigen; das Bewusstsein als Gestalter; vielleicht könnte man sogar sagen, als Mitregent? Das bewerkstelligt die Ataraxie aber keineswegs – man muss bewegt sein, um etwas bewegen zu können.
Es ist typisch für uns Menschen, dass wir ungern unsere Lieblings-Theorien auf den Prüfstand stellen wollen. Eine Zumutung. Man verteidigt sie gegen jede Mode – wie eine alte, liebgewonnene Lederjacke. Mag sein, dass es bessere Konzepte gibt, bessere Welt-Erklärungs-Modelle – aber so schnell gibt man sich nicht geschlagen; man wird nicht widerlegt, man weicht ganz einfach aus. Dem Prüfstand haftet so etwas Unerbittliches an; er spricht sein Urteil. Aber man will sich seinem Diktum nicht beugen. Man ist sehr uneinsichtig. Wie ein Oldtimer, der schon längst nicht mehr durch den TÜV käme – aber man versucht es auch erst gar nicht; kein Anlauf in diese Richtung. Man benötigt nicht die Prüfplakette der Realität und ihrer Komparsen. Echt ist, was man als echt empfindet. Und für einen Nostalgiker ist das Vergangene sehr gegenwärtig; da kann das Heute noch so sehr protestieren.
Man stellt seinem Selbst eine Lizenz zum Nicht-Prüfen aus: Man will gar nicht so genau wissen, ob das alles Realitäts-kompatibel ist. Sind Märchen ja auch nicht. Wer stellt Cinderella auf den Prüfstand – und das mit gläsernen Pantoffeln? Das Modell führt kein Schuhgeschäft. Aber so wird ein Schuh draus: mittels eines Quäntchens Fantasie. Die Kunst, dem Prüfstand auszuweichen, ihn zu umgehen … Wie ein Stier, der endlich durchschaut hat, dass das rote Tuch nicht unbedingt sein Freund ist und dass sich dahinter gar nichts Gutes verbirgt. Vertrauen basiert ja auch darauf, dass man den anderen nicht gründlich durchcheckt; eine Analyse seines Charakters in Auftrag gibt. Und wer würde den Stein der Weisen auf den Prüfstand legen wollen – oder das Schwert Excalibur? Es sind Mischungs-Verhältnisse – sie entstammen alle nicht so zu 100 Prozent dem rein Realen; die Fantasie muss mitwirken, muss der Realität assistieren. Sie ist oft ihr Sidekick, sie ist sich nicht zu schade dafür. Eine Show nur mit dem Moderator "Realität" – die würde vermutlich nach kurzer Zeit abgesetzt werden, wegen miserabler Quoten.
Intuition hat es ebenfalls nicht gern, wenn ihre Entscheidungen geprüft, überprüft, nochmals examiniert werden. Sie ist examinierte Wahrheits-Beschafferin. Hätten all die Prinzen in den Märchen ihre Kuss-Entscheidungen vom Untersuchungsergebnis des Hof-Komitees abhängig machen sollen? Dann hätte es der "Kuss der wahren Liebe" verdammt schwer. Küsse gehören nicht auf den Prüfstand – es entzöge ihnen die nötige Magie. Wenn man sich spontan für eine Sache entscheidet, liegt man meist besser, als wenn man erst eine Pro-und-Contra-Liste anfertigt. Das Gefühl weiß schon längst, was es will. Betrifft fast alle lebenswichtigen Entscheidungen. Berufswahl, Partnerwahl ... Da kann die Ratio einfach nicht mithalten. Die Emotionen eilen ihr voraus. Selbst an der Börse ist der Prüfbericht der Intuition meist mehr wert, als die komplizierten Berechnungen, die die Ratio mit Hilfe der Analysten anstellt; wen sie alles involviert ... Und sie sagt sich: "Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor." Corti und Adren hören was von "Faust" und sind begeistert.
ENDE
Es gibt hochgefährliche und weniger gefährliche Berufe. Welcher Risikotyp ist man? Lieber Stuntman als Food-Blogger? Bombenentschärfer statt Softwareentwickler? Hochseefischer oder "Fishing for Compliments" auf Partys? Giftschlangen melken oder Kühe? In der virtuellen Welt bevorzugt man das Dramatische; man will mal ausbrechen aus der selbst verordneten Langeweile. Müssen ja nicht Kriegsspiele sein – es könnte auch eine Fensterputzer-Simulation sein: Spider-Man mal anders. Der turnt ohnehin nur an den Hochhäusern entlang, verklebt alles mit seinen Spinnfäden, und andere können es wieder saubermachen. Fachkraft für Wolkenkratzer-Fassaden-Reinigung. Geringer Suchtfaktor. In der virtuellen Welt kann es gar nicht genug risikobehaftet sein; nur her damit!
Die handelsübliche Couchpotato bevorzugt das kuschelige Ambiente. Gleitschirmtester hat keinen so hohen Chill-Faktor. Thrill wird ausgelagert ins Virtuelle. Da ist man gerne mal Superheld, rettet nachmittags die Welt und hat dann noch Zeit, sich Gedanken zu machen über die Idealbesetzung auf der heutigen Pizza.
Man könnte sich auch als Elefantentrainer verdingen, aber Vorsicht, wenn man vergisst, dass man momentan nicht im Virtual-Reality-Modus ist. Elefanten, die nicht aus Megabytes bestehen, sind megaschwer. Es sei denn, man wollte schon immer Flachmann-Format haben. Aber so ganz ohne Kick ist das Leben so aufregend wie ein Rockkonzert ohne Strom. Risiko als Verstärker, es intensiviert den Moment, man wird zum kleinen Helden.
Was beschränkt einen? Als Industriekletterer sollte man schwindelfrei sein. Man sollte nicht versessen auf Risiken sein – das sehen die Versicherungen nicht gerne. Sein Talent ausloten. Vielleicht träumt der Akrobat von einem ruhigen Bürojob? Man kann ja mal tauschen. Manege frei für den Bürohengst!
Vielleicht hat man früher gerne die Bauklötze der anderen umgehauen – dann wäre Sprengmeister doch die richtige Berufswahl? Wo liegen die Interessen? Eine Liaison mit der Gemächlichkeit – sich an Donald Duck orientieren. Hektik nur höchst ungern ins Leben hereinbitten; meist drängt sie herein, begleitet von Wut und Jähzorn; mit dem Stress feiern sie dann eine Party.
Das Leben ist kein Jahrmarkt mit Fahrgeschäften – dennoch will man das Risiko nicht völlig eliminieren. Man träumt von aufregenden Berufen. Sieht sich als Geheimagent, kann sich aber nicht mal seine Geheimzahlen merken oder seine IBAN. Mit der richtigen Stress-Einstellung böte sogar der Job des Ernährungsberaters einige Risiko-Highlights: Nimm mal einem Übergewichtigen sein Lieblingsfutter weg – da kannst Du gleich ins Fach Raubtier-Dompteur wechseln.
Auch als Bibliothekar bieten sich gute Risiko-Okkasionen, wenn man an den Bücherregalen einen auf Industriekletterer macht. Wenn das Goldene Buch und diverse Schinken auf einen herabpurzeln, definiert man für sich den Begriff "Schwere Literatur" neu.
Oder als angehender Industrietaucher im Ententeich unterwegs sein – man hat gewiss die Bewunderung der Enten. Es ist so leicht, ein Held zu sein; Möglichkeiten zuhauf. Als angehender Bombenentschärfer nimmt man sich erst mal der Hundehaufen im Park an. Man knöpft sie sich vor – aber lieber nicht zu gründlich.
Für richtige Risiko-Enthusiasten bietet sich ein Training mit einem Säbelzahntiger an – behelfsweise kostümiert man dazu einen Stubentiger.
Für den angehenden Astronauten ist es am besten, sich von Aliens entführen zu lassen; so erlebt man den Weltraum unmittelbar. Natürlich darauf achten, dass man nachher nicht geblitzdingst wird – und immer daran denken: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Die Aliens erwarten ein gewisses Entgegenkommen, man sollte nicht allzu viel Wert auf die vollständige Anzahl seiner Organe legen. Geben ist seliger denn Nehmen. Man muss ja nicht alles geben.
Als angehender Leibwächter kann man ja zunächst mit Schaufensterpuppen üben; sie vor der Langeweile retten und ihnen ein angenehmeres Leben beispielsweise an der Ostsee ermöglichen. Man kann das auch kombinieren und sie mit auf Unterwasserexpeditionen nehmen, so lernen sie das Leben eines Industrietauchers hautnah kennen. Schaufensterpuppen machen beinahe alles mit – und sie können auch weitaus länger die Luft anhalten als Menschen.
Als angehender Vulkanologe ist Empathie überaus wichtig: Wie fühlt sich so ein feuerspeiender Berg? Was empfindet er? Einfach mal ausprobieren – ein Feuerschlucker ist gewiss dabei behilflich; bei den ersten Vulkan-Versuchen verbrennt man sich meist die Kleidung und einige Körperteile, aber keine Sorge, das wird schon mit der Zeit. Lava möglichst mit Schutzhandschuhen anfassen; für die ganz Empfindlichen empfiehlt sich ein vorheriges Praktikum entweder in der Hölle oder im Hades. Die ortsansässigen Teufel sind da sicherlich bei behilflich. Man sieht also, dass man Risiken durchaus minimieren kann; aber warum sollte man?
Die Mathematik meint, man müsse mit ihr rechnen und unberechenbar sei hier gar nichts. Das steht im Widerspruch zur Meinung des Schicksals, das sich für äußerst unberechenbar hält – aber wenn es ehrlich sein soll: Es sind im Grunde immer wieder dieselben Muster, wie so ein verdammtes Fraktal. Öde Wiederholungen; hatten wir schon mal. Echte Risiko-Junkies kommen auf diese Art zu kurz. Man flüchtet ins Virtuelle – aber auch da hat man es wieder mit Algorithmen zu tun, die den echten Zufall nicht kennen, nur so ein Imitat. Vielleicht ist der Zufall ohnehin fremd in dieser Welt? Er konnte hier nie recht heimisch werden. Er ist abenteuerlustig – aber es ist so beunruhigend moderat – als ob ein großer Moderator mögliches Chaos auf die Plätze verweisen würde. "Mäßigung" als Losung des Universums. Ein riesiges Billard-Spiel, wo keine Kugel sich aufmachen könnte, um zu schauen, was jenseits des Billard-Tisches so Sache sei. Ein gigantisches Geschubse aller Beteiligten. Grundsätzliche Vorhersehbarkeit macht es zu einem langweiligen Spiel. Allerdings erscheint es den Billard-Kugeln so, als herrsche hier Wirrwarr und Unordnung. Man stößt sich, man kommt ja kaum voran. Stellt sich die Frage nach den Spielern.
Welches ist das rechte Risiko-Maß? Hängt wohl ab vom Daseinszweck: extensiv oder intensiv? Als ob man den Einsatz beim Pokern erhöhen würde: Risiko ist der Einsatz. Vielleicht gewinnt man auch, indem man ganz einfach blufft, dem Leben weismacht, dass man ein exzellenter Spieler sei – auch wenn man der Menschheit noch immer nicht die vollständigen Spielregeln ausgehändigt hat? Aber wie soll man Risiken abwägen, wenn die Zukunft sich bedeckt hält? Ihr gefallen die Mutmaßungen. Sie weiß, sie ist nicht wirklich geheimnisvoll, aber um Menschen reinzulegen, dafür reicht ihre Kunst allemal.
Die Evolution heißt Betrug ausdrücklich gut; Hauptsache, man schummelt sich irgendwie in die nächste Runde; sie sieht das nicht so eng. Sie ist kein Linienrichter ... In ihrer Jury sitzen keine stockkonservativen Moralapostel. Wenn es funktioniert, ist es okay für sie.
Tierwelt tarnt sich, man ist am Bluffen; je nach Bedarf wirkt man größer, unscheinbarer, bedrohlicher. Alles großartige Schauspieler. Wenn List nicht genügt, ruft man Hinterlist zur Verstärkung hinzu.
Wieso ist der Mensch so wahrheitsversessen? Was soll die Wissenschaft für ihn ausbuddeln? Bisher kam nur Unerfreuliches ans Licht: Der Kosmos ist gigantisch … schwarze Löcher sind dabei, sich das Beste der Galaxien einzuverleiben … die intergalaktische Verkehrsbehörde überwacht die maximale Reisegeschwindigkeit, also Schneckentempo, man kann nicht eben so auf einen Sprung beim Nachbar-Planeten in einer der Nachbar-Galaxien vorbeischauen. Wissenschaft sagt uns unangenehme Dinge. Zum Ausgleich braucht man regelmäßig ein paar Selbstlügen. Das Weltbild hängt schief – zumindest in Gedanken kann man es sich geraderücken.
Vielleicht ist Ehrlichkeit gar nicht der Schlüssel für die Himmelsportale? So wie bei Odysseus – da belagert man jahrelang 'ne Stadt – keiner will einen reinlassen – dabei ist der beste Schlüssel: Betrug. Goliath kann sich im Nachhinein nicht beschweren. Der Drops ist gelutscht. Zeus hat seine Favoritinnen mit Täuschungsmanövern klargemacht. Sich bei Bedarf in das verwandeln, was opportun ist.
Seltsamerweise gibt es da eine Verbindung zum Dargestellten: Der Schauspieler bleibt nicht unbeeinflusst von dem, was er verkörpert. Man zieht das Immaterielle ins Faktische, verwandelt es. Fast wie eine Geister-Beschwörung. Ein Schauspieler spielt mit der Illusion – aber die Illusion spielt auch mit ihm; sie drängt sich ihm auf. Er ist ihr Eintrittsticket in die Realität.
Der Betrug schwebt immer als eine von vielen Möglichkeiten über dem Feld des Realen, man braucht ihn quasi nur zu pflücken. Man schreit einen Bären an, muss nur überzeugend genug klingen, dann wetzt der davon. Eine Gnu- oder Büffel-Herde wäre stärker als ein Löwe; aber sie lassen sich von ihm einschüchtern, versuchen gar nicht den Kampf. Im Grunde ist er ein Schwindler.
Wahrheit ist etwas für Pedanten. Damit gewinnt man keine Poker-Partie. Wenn es nötig ist, besorgt man sich einen Dreifarb-Tarnanstrich – Meister der Irreführung. Man muss keine Wespe sein, um die Vorteile einer Wespe zu genießen: Prinzip Mimikry. Hauptsache, die anderen glauben es, kaufen es einem ab. Man muss überzeugend sein. Im Grunde ist es ein Betrugs-Marathon, den die Evolution da veranstaltet.
Andererseits ist es wirklich verblüffend, welche Macht Vorbilder haben: Man integriert Persönlichkeits-Aspekte – fast wie bei einem Charakter-Buffet. Als ob der Betrug gar nicht lange im Unglaubwürdigen verweilen könnte – es drängt ihn in Richtung Tatsächlichkeit.
Mythen, die man oft genug wiederholt, verankern sich im Kultur-Bewusstsein der Menschen; man kann auf sie zurückgreifen – wie ein Fundus; man bedient sich daraus – insbesondere die Künstler – und andere Künstler antworten ihnen nach Jahrzehnten, Jahrhunderten.
Im Grunde ist jedes Wort ein Betrug – da es ungenau ist, absolut nicht deckungsgleich mit diesem Realitäts-Nebel; man haut sich Brocken daraus, bearbeitet sie mit dem Denkapparat – und reicht sie weiter. Worte sind an sich fremd in der Welt, man setzt sie an auf die Realität; aber was bringen sie wirklich an Beute zurück? Hält man dann tatsächlich ein Stück Realität in den Händen?
Und dann die Ungewissheit, ob das Universum nicht doch nur ein Riesen-Schwindel ist, ein elender Hoax. Man könnte auf das Mittel des Betrugs gar nicht verzichten; man hätte es mit einer undefinierbaren Welt zu tun. Es heißt, die Wahrheit macht einen frei – aber es wäre die Freiheit eines Astronauten, der ohne Raumschiff durchs Weltall driftet. Betrug ist unsere Raumkapsel.
Man könnte Betrug auch als Ritterrüstung bezeichnen – ein seltsames Material – sitzt wie angegossen, Bluff-verstärkt; mit Tarnkappen-Funktion. Von Zeus lernen – man kann sich in alles verwandeln. Betrug ist ein Lehrer, ein Coach. Der Geist kommt einem zu Hilfe – man muss es sich vorstellen – der Schauspieler muss eintauchen in diese neue Wirklichkeit, muss sie fühlen, mitempfinden; mitleiden.
Man kann die Methode von Daniel in der Löwengrube wählen – die Löwen im Geiste in Hauskatzen verwandeln – könnte funktionieren. Oder man lässt einen Bären glauben, dass man der weitaus größere Bär sei. Vom Zähneklappern sollte man dann allerdings erst mal Abstand nehmen – und volle Hosen wären wenig hilfreich. Der Betrug erfordert immer einen Mehraufwand; die Angaben müssen stimmen, man sollte sich nicht im erfundenen Detail-Wirrwarr verheddern. Aber es hat den immensen Vorteil, dass die Wahrheit geschont wird. Betrug ist ein sehr guter Stellvertreter. Die Wahrheit muss nicht bei jedem Termin erscheinen. Der Betrug gibt sich als ihr Double aus. Im Grunde die Funktion eines Stuntmans und Bodyguards.
Wenn Kunstfälscher und Produktpiraten Produkte abliefern, die vom Original kaum zu unterscheiden sind – sollte man das nicht entsprechend würdigen? Stattdessen hofiert man das Original, betet es geradezu an. Genießt es fälschlicherweise diesen exzellenten Ruf? Wieso diese Original-Versessenheit?
Das heutige Selbst ist in gewisser Weise eine Kopie des gestrigen. Man rettet sich hinüber in den nächsten Tag. Wo ist das Original-Ich, wo wird es verwahrt? Jeder Tag hat nur eine Kopie davon. Man kann nicht einen Tag herausgreifen, das verabsolutieren – und mit Bestimmtheit sagen, dass man genau so sei wie zu dem Zeitpunkt. Es ist eine Momentaufnahme – wenn schon, dann ist das Ich ein Film, man muss es in seiner Gesamtheit sehen, wie man einen Film auch nicht danach beurteilt, wie man eine bestimmte Szene findet.
Man ist ein Plagiator – man beklaut sich selbst, seine Ideen von früher, verwertet die im Jetzt. Kann sein, dass unser zukünftiges Ich mit alldem nicht einverstanden ist; aber es hat kein Mitspracherecht. Der Moment nimmt sich besonders wichtig, dabei ist er ein Betrüger: Er tut, als ob er für alle anderen Ichs der anderen Tage sprechen würde. Der Moment ist ein Trickdieb – er kramt in der Vergangenheits-Kiste und erklärt das Gefundene zu seinem Eigentum.
Als Betrüger ist man ein Realitätsdesigner – man dekoriert ein wenig um, sorgt für raffinierte Beleuchtungs-Effekte – sorgt für einen rundum gelungenen Auftritt der Realität. Die Lüge assistiert, sie springt dort ein, wo sich die Realität verhaspelt. Als guter Betrüger achtet man auf Glaubwürdigkeit.
Leider kann man sich selbst gar nicht so gut belügen; einigen gelingt es. Ideal wäre es natürlich, wenn man sich trotz allem den Bezug zur Realität bewahrt. Ein Schauspieler, der vergisst, dass er schauspielert, ist kein guter Schauspieler. Das ist das Besondere am wirklich guten Betrüger: Er hat im Hinterkopf die Realität, er benötigt sie als Bezugspunkt. Aber er lässt sich nicht einschüchtern von der Wahrheitsdiktatur, er räumt ihr nicht alle Macht ein, keine Generalvollmacht über das Sein. Er mischt da mit, er schickt das Bewusstsein in das Sein und verändert es. Das Bewusstsein als Magier; es gestaltet um, es führt neue Kategorien ein, es sagt dem Sein, was seine Unterabteilungen sind. Der Mensch ist aufgerufen, der Dominanz des Wirklichen entgegenzutreten mit den fantastischen Möglichkeiten der Gedanken-Akrobatik: Lügen, bis sich die Balken biegen.
Warum immer auf die Gelegenheit zur Notlüge warten? Die Lüge hat viele Sorten im Angebot: glatte Lügen, fromme, haarsträubende. Nur keine Scheu, da ist für jeden was dabei! Die Realität ist sehr biegsam, als ob andauernder Beschuss mit Lügen, Betrug & Co. sie nicht unbeeindruckt ließen. Oder sie bekommt allmählich Selbstzweifel, zweifelt an ihrer eigenen Identität. Betrug erweitert ihr Spektrum: Plötzlich sieht die Realität ein, dass sie nur eine von vielen Möglichkeiten ist. Einerseits ist sie verunsichert, andererseits erfreut. Der Trickster macht die Realität auf die Doppelbödigkeit ihrer Existenz aufmerksam. Eine humorbefreite Realität könnte gar nicht all ihre Möglichkeiten wahrnehmen. Sie braucht den Abstand zu sich selbst – und dazu verhilft ihr der Betrug. Immer voll authentisch zu sein, ist ja auch langweilig.
Manchmal würde man gerne wie eine Wespe sein, alle voll nerven. Man war viel zu lange im Bienen-Modus – höflich, rücksichtsvoll. Was haben die Bienen davon? Man nimmt ihnen ihren Honig weg – und die gucken noch seelenruhig zu. Fristen ein Dasein für die Imker dieser Welt. Rebell sein. Oder Schmetterling – es sich gutgehen lassen, tollpatschig wirken, ungezielt an jedes Ziel gelangen. Wäre auch eine gute Strategie als Fußballer oder als Pokerspieler: absichtslos wirken. Man ist zwar nicht auf Zack aber auf Zickzack.
Marienkäfer ist sehr beliebt. Weitaus besseres Image als der Mistkäfer. Der Marienkäfer wirkt ähnlich gutmütig wie die Hummel. Die Wespe müsste an ihrem Image arbeiten, aber Insekten kommen vermutlich ohnehin nicht ins Himmelreich. Kaum Gelegenheit, sich moralisch zu bewähren. So klaut sie Kuchen, Bier – was sie so kriegen kann. Die Welt ist für sie eine einzige Cash-and-carry-Landschaft; wobei sich ihre Unverschämtheit bezahlt macht. Man will gerne mit ihr abrechnen – aber sie fliegt einem erst mal ins Gesicht. Stress ist ihr wichtig. Ist wohl ihr Lebenselixier. Sie wird nachgemacht, man bewundert sie. Jede Menge Mimikry-Fans. Erfolgsmodell 'Wespe'.
Die Ameise hingegen hat sich 'Eifer' auf ihrer Fahne geschrieben; als ob sie damit alles bewältigen könnte. Immer voll bei der Sache; man ist organisiert; kaum Freizeit. Wäre für den Schmetterling nichts. Er ist Lone Wolf – Einzelgänger. Eine Ameise könnte bei ihm mal gerne mitfliegen; er könnte sich so einen Shuttle-Service vorstellen.
Die Schwebfliege ist darauf bedacht, dass man ihr ihre Harmlosigkeit nicht anmerkt. Jeder muss voll gefährlich wirken; die Evolution ist da sehr streng; sonst ist die Versetzung gefährdet. Die Wespe gilt gern als unberechenbar. Aber insgesamt ist sie bei weitem nicht so lästig wie die Mücke, die sich ein Vergnügen daraus macht, Menschen mit ihrem Surren um den Verstand zu bringen. Ein Folter-Spezialist. Man wäre sogar bereit, sich selber etwas Blut abzuzapfen und es ihnen im Napf hinzustellen – wenn sie bloß Ruhe geben würden. Aber das größere Vergnügen ist es für sie wohl, als Schlafräuber unterwegs sein zu können. Antagonisten des Sandmännchens. Wenn jemand bloß aus einer Mücke einen Elefanten machen könnte – der würde bei weitem nicht so stören im Schlafzimmer. Ein friedlicher Geselle.
Vermutlich machen die Mäuse die Elefanten nach – grauer Tarnanzug; aber im Grunde fällt keiner darauf herein. Der Rüssel fehlt.
Für die Insekten sieht es momentan nicht gut aus. Stichwort 'Insektensterben'. Auch die Vögel vermissen sie. Die Fliege hat die Fliege gemacht. Kann sein, dass die Kühe ihnen nicht nachtrauern.
Die Wespen sind verfressen, haben aber dennoch eine Wespentaille. Wie ein guter Boxer bleiben sie immer in Bewegung, Verwirrung des Gegners.
Der Floh hat mittlerweile seine Sprungtechnik perfektioniert. "Der Floh floh froh" – ist sein Motto. Er bedauert es, dass er so oft ins Ohr gesetzt wird. Als Zirkusartist wurde er früher ausgenutzt. Er ist immer auf dem Sprung, scheut aber den Sprung ins Ungewisse. Die Ameise ist mehr so ein Kraft-Athlet; wenn, dann springt sie beim Grashüpfer mit.
Die Biene übt derweil ihre Tänze; die Wespe trägt Fliege – ist dennoch zu den Tanzabenden nicht eingeladen. Man bleibt unter sich. Sehr viele Menschen haben Hummeln im Hintern – dem steht die Hummel sehr skeptisch gegenüber. Verdächtig in diesem Zusammenhang auch, dass sie so oft "Mors, Mors!" rufen. Die Mücken sind ebenfalls hervorragende Tänzer – ihre Lieblings-Disziplin: uns auf der Nase rumzutanzen. Jesus ging über das Wasser, sie tanzen sogar über dem Wasser. Ganz hervorragendes Tanzfestival.
Wenn man sich den Modus aussuchen könnte – so eine Art Seelen-App –, was würde man bevorzugen? Ständig im Wespen-Modus unterwegs zu sein? Man wäre doch lieber Teilzeit-Rebell. Wobei der Fleiß der Ameise einerseits etwas Unheimliches hat – so furchtbar organisiert und beharrlich –, andererseits erledigt sie ihre Jobs. Sie hätte sogar den Turm zu Babel hinbekommen, wenn man sie mit dem Bauprojekt betraut hätte.
Der Schmetterling ist so ein Hippie, er bekommt was von der Welt zu sehen. Wie ein Bohemien, unfähig, das Leben ernst nehmen zu können; ein Gaukler-Typ durch und durch.
Oft nutzt man vermutlich den Schwebfliege-Modus – man ist gezwungen, zu bluffen. Mit Harmlosigkeit gewinnt man keinen Blumentopf; und das mit dem Nektar kann man sich auch abschminken.
Es ist die spannende Frage, ob die Déjà-vus durch Fehlfunktionen des Gehirns ausgelöst werden – oder umgekehrt, durch die Fehlfunktionen des Gehirns wird die Realität gewissermaßen enttarnt. Wie ein Glitch, ein Computerfehler. Da stimmt etwas nicht im Total-Aufbau des Systems? Das betrifft nicht nur Kleinigkeiten innerhalb des Systems, das gesamte Wirklichkeits-Konstrukt stürzt in sich ein, ist für denjenigen nicht mehr haltbar. Nun kann man die Schultern zucken und darüber hinwegsehen, es verdrängen, versuchen, es irgendwie stimmig zu machen mit dem Üblichen; es ist so bequem, am Vertrauten festzuhalten. Die Welt soll ein Ganzes sein, keine Ansammlung von Bausteinen, die man irgendwo mal aufgefunden hat – und so ad hoc sich eine Welt zusammenzimmert. Die Welt soll mehr haben als die doch sehr labile Festigkeit des Traums.
Will man sich dem Déjà-vu stellen? Ein seltsames Phänomen; ihm ausweichen, wie einem wütenden Stier? Hoffen, indem man es nicht zur Kenntnis nimmt, verpufft es. Mal abwarten, was der Stier dazu meint. Andererseits ist das Déjà-vu für uns ein rotes Tuch, für Teilaspekte des Selbst. Aber es gibt Anteile in einem, die das gerne näher untersuchen würden, die sogar hoffen, dass die blöde Realität endlich offenbart, wer sie wirklich ist. Aber was fände man dahinter? Programmier-Landschaften, Frames aus Bits und Bytes? Haben wir das alles schon mehrfach durchlaufen, wie ein Hamster im Labyrinth, dessen Erinnerung wieder auf null gesetzt wird, wenn er das Labyrinth erfolgreich gemeistert hat? Stephen Kings 'Der Dunkle Turm' endet auch so: Alles ein riesiges Déjà-vu. Vielleicht wirkt man sogar mit daran, dass man sich an kaum was erinnern kann aus den vorigen Runden? Es macht es einfach spannender, wenn man nicht schon alles weiß, sollte man gezwungen sein, immer und immer wieder wie ein Avatar durch dieselben Level zu jagen. Seltsames Spiel. Risse in der Realität. Gehört hier was nicht her? Welche Artefakte könnten gut aus einer Parallelwelt stammen? Vielleicht gibt es Verbindungselemente? Stein der Weisen. Aber Gegenstände können nicht tunneln aus Traumlandschaften, sie schaffen es auch nicht aus dem Märchenland; sie stecken im Allgemeinen fest in dem Land, aus dem sie stammen. Wie verhält es sich mit Visionen? Holt man die ungefragt rüber ins Real Life? Würden die sich benehmen? Wollen wir sie reinlassen? Der Mensch agiert immer auf verschiedenen Daseinsebenen; meist jongliert er damit ganz geschickt. Kann Traum von Wirklichkeit unterscheiden. Einbildung, Ausgedachtes, Gelesenes sind nicht gleichzusetzen mit dem Fakten-geprüften Real Life. Aber wie hieb- und stichfest ist die objektive Welt? Steht man immer auf dem Boden der Tatsachen? Urgrund des Seins. Oder ist das alles ein Morast – oder ein Trampolin? Man will an die Realität glauben, man macht es ihr leicht. Dennoch sind es nicht nur Realitäts-Räume, in denen man sich bewegt. Das soll unser Gehirn alles auseinanderhalten zu jeder Zeit?
Wenn man aus dem Kino kommt, dann ist das ein ganz seltsames Gefühl. Die anderen sind momentan mit einer anderen Realität verbunden, vertraut. Eben hat man noch mit dem Helden mitgefiebert, jetzt soll das alles passé sein? Die virtuellen Welten werden aufgebaut – man hofft, das Gehirn kommt damit schon klar. Aber vielleicht häufen sich deswegen auch die Déjà-vus, weil sich die Muster, Konstellationen ähneln, man hat das schon mal erlebt? Dem Gehirn genügen Muster; wie bei einem Schachspiel, bei dem einem die Züge vom Lehrbuch her vertraut sind; man steuert durch gewohntes Gelände, man kennt sich aus. Vielleicht haben wir auch so eine Art Master-Lehrbuch im Brain? Schon vorbereitet, User-freundlich von der Evolution netterweise zur Verfügung gestellt? Übereinstimmung von Modell und realem Spielgeschehen. Das wäre auch eine Erklärung für Déjà-vus – man kennt die Strukturen, hat sie erkannt. Oder aber man sucht gezielt die Orte aus den Träumen auf, es kommt zu den Konstellationen, die man fürchtet oder herbeisehnt. Vielleicht wird die Traum-Erinnerung nicht sofort brav vom Gehirn wieder gelöscht – sondern es legt sich was beiseite, schmuggelt das in Privat-Kammern. Wer weiß, vielleicht kann man später noch mal drauf zurückgreifen? Das Gehirn ist gar nicht der große Traum-Zerstörer? Denn manchmal kommt es einem im Traum so vor, dass man an diesem Traum-Ort schon mal war, dass man diesen Traum schon mal in ähnlicher Form hatte – aber es sind keine relevanten Wesenszüge aus der Realität dabei; das Kernelement ist aus Traum-Sequenzen aufgebaut. Es hat etwas Befremdliches und Vertrautes zugleich. Man kennt die Orte. Oder sind es lediglich verkleidete Orte aus der Realität, die hier mitspielen? Umgestellt, umarrangiert – voilà eine neue Kulisse?
Zumindest in Romanen werden die Protagonisten immer wieder zu bestimmten Orten hingeführt, gedrängt – als ob ein Schamane auf Traum-, Visionsreise ist. Magie des Ortes – was hat er einem mitzuteilen? Muss man willens sein, da zuzuhören, widersetzt man sich dieser seltsamen Magie-Logik? Wie offen ist man für die Botschaften aus dem Unterbewusstsein, will man diese Art von Kommunikation? Das Reale weigert sich oft, da mitzumachen. Das kommt ihm suspekt vor. Vielleicht haben wir ja auch mehr Sinne als die bekannten? Sensoren für die Zukunft. Wir nehmen Schwingungen aus der Zukunft war; da braut sich was zusammen. Oder man spürt: Das ist der richtige Weg, setzt auf seine Intuition. Wehe, sie irrt sich. Mit Fakten allein kommt man oft nicht weiter; Intuition ist wie ein Lotse; oder ein Führer in der Wüste. Rezeptoren für das Außergewöhnliche. Was sprengt den Rahmen, was geht über die vorgegebenen Maße der Realitäts-Welt hinaus? Das können ganz simple Dinge sein, die uns stutzen lassen. Pranks, Streiche, beruhen darauf, dass man Kandidaten mit etwas konfrontiert, das unmöglich sein kann. Verblüffung. Mit Unstimmigkeiten die Gesetze der Logik aushebeln? Was stimmt nicht mit der Realität? Glitch, Fault im System? Kann man was entdecken? Das grundsätzliche Misstrauen in eine Welt, die so nicht sein kann. Auch die Logik tut sich schwer im Erfinden immer weiterer Ausreden. Die Mathematik wünscht sich ohnehin ein ganz anderes Universum. Was man ihr da vorsetzt, raubt ihr den letzten Nerv. Vielleicht können Déjà-vus so etwas wie eine Orientierung sein? So wie es der Ariadnefaden für Theseus war. Oder die Brotkrumen für Hänsel und Gretel. Etwas, was der Verstand in den Vorrunden da hat liegen lassen für das Ich in den nächsten Runden. Vielleicht spielen wir ja tatsächlich so etwas wie ein lustiges Reinkarnations-Spiel – und jeder darf mitmachen?
Mag sein, das Universum hat es schon zigmal gegeben – es geht auseinander und es zieht sich wieder zusammen wie ein Blasebalg, eine Ziehharmonika. Déjà-vus als Mahnung – wie Statuen oder Statuetten –, dass das alles nicht der erste Durchgang ist. Ein Läufer auf der Rennbahn würde allerdings merken, dass ihm nach dreißig Runden die Puste ausgeht. Vielleicht besteht das Leben nicht bloß aus jeweils einer Runde? Kann aber auch sein, dass es sich lediglich um Fehlfunktionen des Gehirns handelt: die eindeutig langweiligere Lösung. Man möchte den Déjà-vus etwas zuschreiben, sie mit Bedeutung aufladen, sei könnten die Welt ein Stück interessanter machen – und andererseits dabei helfen, sie zu enträtseln. Aber kaum jemand nimmt sie als das, was sie sein könnten: echt. Ihnen wird alles Mögliche unterstellt, dass sie Fake seien, dass man sich da was vormache, dass man einem Betrüger aufsitze. Kann ja sein, dass es echte Hinweisschilder sind – und wir sind gut darin, sie konstant zu ignorieren. Da sie mit den derzeitigen Wissenschafts-Modellen nicht so recht übereinstimmen – genauso wenig wie Magie, außersinnliche Wahrnehmung oder Präkognition. Aber vielleicht ist der Zeitstrahl nicht so simpel, vielleicht macht uns die Welt was vor – wie ein verdammt guter Zauberer und Illusionist? Bei dem sollte man auch nicht alles auf die Sinne setzen, die jagen einen ins Bockshorn. Die Randbereiche des Seins. Wie beim Herangehen an einen Vulkan. Sich vorsichtig vortasten. Natürlich kann man leugnen, dass es Magma gibt, man steht ja auf festem Grund, so hat es den Anschein. Aber was brodelt darunter? Gar nicht hinschauen? Macht man es sich damit zu einfach, ist es geradezu unser Auftrag, mit dem Sein selbst in Kontakt zu treten, uns nicht mit seiner Kulissenhaftigkeit zu begnügen? Aber bisher war jeder Erkenntnisgewinn, jeder Zugewinn an Weltwissen äußerst schmerzlich und bedrückend für die Menschheit. Man fürchtet eventuell, was da am Ende steht? Dann begnügt man sich lieber mit der Kulisse, dem Schein; da hat man was – und man lässt es weiterhin als Realität gelten; will es gar nicht so investigativ, auch wenn die Wissenschaft vorgeblich daran interessiert ist, Näheres in Erfahrung zu bringen. Sie belässt es gerne bei einem Welt-Modell, bei dem sich jeder wohlfühlt.
Die Wort-Truppe kriegt immer wieder Zulauf; aber wer wird aufgenommen in den elitären Kreis der Duden-würdigen Wörter? Bei wem reicht es nicht ganz? Sind vermutlich auch viele Eintagsfliegen dabei. One-Hit-Wonder. Man braucht sie für kurze Zeit, dann schreibt man sie ab. 'Öffnungsdiskussionsorgie' – das hat etwas sehr Spezifisches – doch manche Wörter lösen sich auch aus ihrem üblichen Kontext und beginnen ihre Wanderung durch die Gefilde der Sprache, schließen neue Bekanntschaften, erweitern ihren semantischen Hof.
Für manche Redewendungen gilt ja ein Overtrekking – wie eine Strecke, die zu oft begangen wird. Lieber ein Micro-Dosing – die neuen Wörter ganz spezifisch verwenden und auch nicht zu oft; wobei man es in der Anfangsphase übertreibt, ganz stolz darüber, dass man ein neues Wort in seinem Wortschatz hat. Fabrikneu. Aber wo steht diese Fabrik, wo kommen all die neuen Wörter her? Wie werden die gemacht? Hat der Klapperstorch damit was zu tun? Sind die alten Worte klapperig, müssen dringend ersetzt werden? Welches Wort ist ein Kek – wer ist nicht mehr spielfähig und nur noch peinlich? Soll man die Wörter fronten – ihnen klarmachen, dass sie hier nicht mehr gern gesehen sind? Anglizismen formieren sich. Sie sind die lässige Gang. Die anderen verkrümeln sich; sie können sich nicht hinüberretten in die Moderne. Neue Wörter braucht das Land. Aber ist in der Infodemie überhaupt auszumachen, welche Neologismen einigermaßen verwertbar sind und welche einfach nur bluffen, ein Bündnis eingegangen sind mit dem großen Vorbild Fake? Wie solide sind die neuen? Könnte man sich auf sie verlassen? Wird man überhaupt noch verstanden? Geht die Allgemeinverständlichkeit verloren, weil einige Redner und Schreiber schon weit vorausgeeilt sind in eine mögliche Zukunft, die Rezipienten aber sich mit ihrem bisherigen Wortschatz ganz wohl fühlen?
Dann gibt es noch die Superforecaster – die Auguren des Zeitgeistes, der da kommen wird. Haruspex, Fulgurator sein. Vogelflug und Blitz gelten als nicht so zuverlässig für Prognosen. Statt in Eingeweiden lesen sie in Statistiken. Zahlen lügen nicht – und wenn, nur auf Befehl.
Die Seele bräuchte auch so ein Responsive-Design – sich anpassen an den jeweiligen Betrachter – so wie Webseiten, erkennen, mit wem man es zu tun hat. Würde einem viel Ärger ersparen. Und man bräuchte einen eingebauten "Gefällt mir"-Knopf – und man könnte in seiner mentalen Timeline sehen, was in den letzten Jahren gut angekommen ist; was hat die meisten Likes? Völlig außenorientiert – sich von dem bestimmen lassen, was das Publikum so wünscht.
Man frisst alles in sich hinein – ein Omnifoodie. Oder soll man auswählen – auf die Frutarier hören? An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Ein Mealprepper – dem es bei der Nahrung vor allem darauf ankommt, ob sie fotogen ist. Lässt sich auch noch steigern: Mukbang – per Streaming Fressorgien veranstalten. Na dann, guten Appetit. Man würde ja viel mehr instagrammen, aber die Follower-Anzahl ist doch sehr überschaubar. Folgt man den neuen Wörtern? Wissen die, wo es langgeht? Neue Wörter etablieren neue Denk-Räume, sie stellen Zimmer zur Verfügung, in denen neue Gedanken einziehen können. "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt", meint Ludwig Wittgenstein. Dann stellen die neuen Wörter so ein Erweiterungs-Paket dar. Im Grunde: je größer der Wortschatz, umso mehr Denkmöglichkeiten. Kann aber auch sein, dass sich die Gedanken überlagern, verheddern, sich furchtbar in die Quere kommen. Ein Gedanken-Gewusel, das nicht nur Eremiten zu denken gibt.
Es gibt zwei Wort-Bereiche: das Anschauliche und das Abstrakte. Im Grunde ergänzen sie sich ganz gut. Sie sollten sich abwechseln – sie gehen das Problem von beiden Seiten an. Aber was, wenn die neuen Wörter nur Effekthascherei betreiben? Eine Buzzword-Olympiade. Wer gewinnt das Phrasen-Turnier? Wörter sollen ja letztlich Teile der Realität repräsentieren; sie stehen für etwas. Einen Biodrucker gab es früher nicht. Vielleicht schafft er es ja demnächst, die benötigten Organe herzustellen? Dann macht man sich auch nicht so viel Gedanken bei seinem Sorglosigkeits-Training. Sorge Dich nicht, lebe. Das ist ja viel einfacher, wenn im Bedarfsfall der Biodrucker das geeignete Material produziert.
Kann man der Realität noch trauen? Deepfake ist auf dem Vormarsch. Bisher traut man sich zu, Fakes bei genauerer Betrachtung als solche zu erkennen. Auch Tiere verwenden Mimikry, um die Welt zu täuschen. Fake ist ein anerkanntes Prinzip der Evolution. Kann man machen. Kein Verlass mehr auf Fotos, Videos – alles kann ausgetauscht, hineinkopiert werden. "Ich glaube nur das, was ich sehe" – ganz schön blauäugig. Das Sehen kann sehen, wo es bleibt. Es muss sich besprechen mit dem Knowledge-Center des Gehirns.
Die neuen Wörter hoffen ja selbst, dass sie die Duden-Hürde meistern; sie nehmen Anlauf – manche schon seit Jahrzehnten – es gab Vorläufer-Modelle von ihnen – sie versuchen es immer wieder, versuchen, sich ins Gespräch zu bringen, wollen unbedingt ihre Follower-Zahl erhöhen. Wer steht hinter dem Neologismus, wer unterstützt ihn, wer stimmt für ihn bei der Wiederwahl? Das muss das Wort wissen – immer die Gefahr, in Omas Klamottenkiste gesteckt zu werden. Ganz jung schon zu hören: "Das sind doch olle Kamellen", das muss wehtun. Während manche altgedienten Wörter sich wie Beenager benehmen: Sie sind eben keine Teenager mehr, tun aber so, als ob sie noch voller Energie seien. Heucheln Dynamik und tun ganz dicke mit dem Zeitgeist. Der findet das cringey, findet das voll peinlich. Aber vielleicht ist Fremdschämen ein neues Hobby – was da so alles gepostet wird? Kollateralnutzen des 'Social Media'-Booms: Die Welt kommt sich näher – Kontinente rücken zusammen. Es wirkt beinahe heimelig. Google übersetzt für einen. Andererseits ist man als Arbeitnehmer in der Erreichbarkeitsfalle. Nur einen Mausklick entfernt – schöne Grüße vom Chef.
Früher gab es nur einen Wecker, jetzt hat man es mit Alerts zu tun – den ganzen Tag über verfolgen sie einen. "Ich bin wichtig!", rufen sie einem zu. Man ist auf der Flucht vor ihnen. Doch die Push-Mails lassen nicht so schnell locker. Wie ein übereifriger Kurier. Wenn der Postmann zweimal klingelt – oder öfters. Da braucht man zur Entspannung erst mal Binge-Watching. Bingen, bis die letzte Folge der letzten Staffel uns unsanft in die Realität zurückholt. Tiefe Trauer, dass dieser Serien-Marathon hier enden soll. Die Gedanken kreisen noch um Logik und Unlogik des Drehbuchs – aber die Realität kommt bei diesem Vergleich schlechter weg – was da an Unlogik zusammenkommt. Es müsste Unlogik-Alerts geben.
Ist Denglisch ein Bullshit-Generator? Da umarmen sich zwei Sprachen, die das vielleicht lieber sein lassen sollten? Ein befremdliches Date. Die Sprache wird gamifiziert – sie kann ihrem Spieltrieb frönen. Frohes Mixen. Aber was kommt da so aus dem Mixer? Ist das noch gesund? Ein Sprach-Smoothie für die Wort-Athleten. Mit hoffentlich nicht zu hohem Bullshit-Anteil.
Früher waren Helden echte Männer, heute müssen sie auf ihre toxische Männlichkeit achten. Rücksichtnahme, Sanftmut, Einfühlungsvermögen, weichgespült. Ihnen stehen die Haare zu Berge – aber kein Problem dank Tangle Teezer – so eine Bürste, die das Haar entwirrt, wäre auch bei sonstigen haarigen Angelegenheiten äußerst hilfreich. Schön, dass einem jetzt die Political Correctness vorschreibt, wie man sich als Mann zu verhalten hat. Das macht die Sache um vieles einfacher. Das Political-Correctness-Lexikon umfasst derzeit 170 Bände.
Dann doch lieber Digital Detoxing – Abstand nehmen von allem, was digital ist? Aber das Digitale hat sich im Denken verankert – wie so eine Art Zweithirn. Nur größer, umfassender – und mit 'Copy & Paste'-Funktion. Aufs Rumnerden verzichten? Die Neuronen sind das aber gewohnt; wie sollen sie sich umstellen? Sie wollen weitersuchten. Konfrontation als Quest – im Internet gibt es erstaunlich viele Meinungen; wie meistert man das? Soll man sich ständig aufregen, redet man sich gut zu? Verbales Bashing – nicht ganz so spektakulär wie Wrestling, aber recht unterhaltsam. Man kriegt nicht genug vom Scrollytelling – ein ewiges Scrollen, immer neue Lese-Abenteuer, da jeder sein Tagebuch ins Internet zu stellen scheint; man ist halt mitteilsam – freut sich über das Interesse der anderen; und für Likes würde man sogar seine Großmutter verkaufen.
Wenn das Leben Musik wäre, hätte man dann ein Grundthema, ein Leitmotiv? Was ist der Grund, auf den man baut? Man hat Phasen der Orientierungslosigkeit – könnte man gleichsetzen mit Freiheit; man ist an ein Konzept gebunden, komponiert irgendwas, entfernt sich von seinem Hauptthema. Aber so ganz wohl fühlt man sich nur auf seinem eigenen Terrain – Deckungsgleichheit mit der eigenen Persönlichkeit, Übereinstimmung von Tun, Denken und Empfinden.
Allerdings sollte das Leitmotiv nicht zu einem Ohrwurm werden – lästig, als ob es sich aufdrängen würde. Grund ist beides: Er ist Startpunkt und er ist der Antrieb. Wobei etwas Irrationalität den Plänen ganz guttut – eine Herausforderung. Sie müssen flexibel bleiben, wie ein Karate-Kämpfer, der es zuweilen mit einem unberechenbaren Gegner zu tun bekommt. Eine Waage weiß mit Unwägbarkeiten nichts anzufangen. Aber man sollte auch das Unwägbare abwägen, es hat Gewicht.
Bei seiner Komposition braucht der Komponist keinerlei Rücksicht zu nehmen auf Ideen, Zurufe von anderen. Aber das Leben erwartet, dass man seine Vorschläge mit einbaut in die Melodie – auch wenn das Leitmotiv wenig begeistert davon ist; übertönt zu werden von Kakophonie ... Andererseits schimmert das Leitmotiv in allem durch, es begrüßt einen in immer neuen Verkleidungen, versteckt sich – und damit erstreckt sich das Lied aber auf die gesamte Welt, integriert sie, nimmt sie in Beschlag. Durchdringung der Welt mittels eines Konzepts.
Manchmal lässt man den Worten ihre Freiheit, sie benehmen sich dann sehr fragwürdig. Dann wieder sollen sie sich benehmen: Die sorgfältig abgewogenen Worte kommen sich ganz sonderbar vor. Was wird denn hier gefeiert?
Das Grundsätzliche freilegen – wie ein Archäologe bei seinen Grabungen; Urgrund der Seele. Soll man sich in den Masterplan des Lebens einmischen? Der Ablauf ist geplant – ein Baum wächst nach einem bestimmten vorgegebenen Schema, er legt sich seine Jahresringe an, streckt seine Äste aus, damit sie das Sonnenlicht mit ihrem Blätter-Netz einfangen. Er legt sich zuweilen mit Nachbarbäumen an – aber im Grunde mischt er sich nicht viel in das Vorgesehene ein. Er kann nichts komponieren. Er tanzt nach der Pfeife der Natur.
Wie frei ist man bei der Auswahl seines Grundthemas? Man ist unzufrieden, wenn sich das alles wieder der Kakophonie annähert. Es scheint ein gewisses Grundbedürfnis von uns zu sein, dem Leitmotiv eine echte Chance zu geben; man fühlt sich ihm verbunden; es findet einen wieder, so wie Pinguin-Paare sich mittels ihrer Erkennungsrufe wiederfinden. Für das Leitmotiv sind wir einzigartig. Fingerabdrücke der Seele. Die Seele hat da ihre Heimat.
Aber vielleicht lässt die Natur das gar nicht zu, will, dass wir ihre Vorgaben umsetzen, sie ist der große Komponist? Was wir uns da einbilden? Nicht mal als Co-Komponisten duldet sie uns. "Spielt vom Blatt!" Vermutlich ist man auch nur ein Baum, der gehorcht. Aber ein Leitmotiv zu haben, ist, als ob man einen guten Freund hätte, der einen überallhin begleitet. Wie großzügig ist Natur in dieser Hinsicht? Gewährt sie uns künstlerische Freiheit? Sind ihre Vorgaben schlicht und einfach nur umzusetzen?
Ein Bohemien will von Masterplänen nichts hören; Gedankenfreiheit wäre ihm schon wichtig. Unabwägbar sein, nicht prognostizierbar, nicht festzulegen auf seine Startwerte – sich Pegasus für ein paar Stunden mieten können – und ganz ohne Grund über allem zu schweben ... Er wäre für die Natur wohl ein zu unsicherer Kandidat.
Vielleicht versuchen ja die Astronomen das Leitmotiv des Universums zu finden? Es hat seltsamerweise keinen Grund, auf dem es steht; es ist sich selbst Ursache; eigentlich vorbildlich. Und wir sind nur Noten seiner Kakophonie? Es wirkt so bestimmt, zielgerichtet. Täuscht es uns alle damit? Ein Orchesterwerk ohne einen Komponisten, Dirigenten? Eine Ansammlung von unbegabten Musikern? Inwieweit lässt Natur das Mit-Komponieren zu?
Eichendorff meint:
"Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst Du nur das Zauberwort."