in_between 2021 - Dominik Maximini - E-Book

in_between 2021 E-Book

Dominik Maximini

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Beschreibung

in_between ist eine Plattform für den Austausch über Führung und Zusammenarbeit von morgen. Die erste gleichnamige Konferenz fand am 19./20. Mai 2021 in einem virtuellen Format statt. Mehr als 40 Speaker:innen und 120 Teilnehmer:innen nahmen an dem Event teil. Der Konferenzband zur in_between 2021 richtet sich an alle, die sich für zukünftige Führung und Zusammenarbeit interessieren. Mit einer Auswahl von Beiträgen zum Nachlesen und einem Vorwort von Wolf Lotter bietet er Impulse und Inspiration zu den Handlungsfeldern Dazwischen, Zusammenhänge und Balance. Mit dem Kauf dieses Buches unterstützt Du einen guten Zweck.

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Seitenzahl: 229

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mit Beiträgen von

Michael Bandt, Kai Bauer, Christian Brosig, Christian Deuschle, Jens Dröge, Silvia Hagen, Sudan Jackson, Sabine Kerres, Wolf Lotter, Dominik Maximini, Juliane Pilster, Simona Popisti, Carsten Rasche, Nicole Röttger, Rebecca Rutschmann, Miriam Sasse, Heiko Schröder, Claudia Simsek-Graf, Peter Ullmann, Tal Uscher, Hélène Valadon, Rini van Solingen, Verena Voßmann, Wolf Wienecke

„Führung findet nicht mehr nur durch klassische Führungskräfte statt, sondern überall dort, wo Verantwortung übernommen wird.“

INHALTSVERZEICHNIS

Vorworte

Bewegliche Ziele von Wolf Lotter

in_between von Juliane Pilster, Kai Bauer und Christian Brosig

Dazwischen: Intro von Kai Bauer

Zwischen Baum und Borke

“Neue Führung” mit Appreciative Inquiry

Wieviel Agilität darf es sein?

Führung in die Resilienz

Agilität weiter denken mit dem BAPO-Ansatz

Wenn Fuck Up Nights ganz falsch verstanden werden

SWITCH – der Wechsel zu neuen, offenen Denk- und Handlungsmustern

The importance of the Human-Interface in the Digital Age

Zusammenhänge: Intro von Christian Brosig

"Systemisches Konsensieren" zur lösungsorientierten Entscheidungsfindung..

Komplexität meistern mit Wimmelbildern

Komplexität reduzieren und Ziele erreichen mit LEGO® Serious Play® und PLAYMOBIL®pro

Hierarchiedesign® Oder: Agil, nur wie?

Balance: Intro von Juliane Pilster

Führen wie ein Imker – Wie macht man das täglich?

Coachen und führen uns schon bald die Roboter?

Gegensätze als Wegweiser zu einer balancierten Führungskultur

VORWORTE

Bewegliche Ziele von Wolf Lotter

Wir leben im Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, mehr schon im Digitalen als im Zeitalter der Dampfmaschine. Aber wissen das schon alle? Über die Zusammenhänge einer neuen Welt, die wir erst langsam begreifen lernen.

Alles Leben kommt bekanntlich aus dem Meer, aber das war mal, oder? Nun ja, es lohnt sich manchmal, wie das der amerikanische Autor David Foster Wallace tat, auch dass, was ist und werden kann, in den Tiefen des Ozeans zu suchen. Dort schwimmen, wie im Gleichnis von Wallace, zwei junge Fische lustig umher. Da kommt ein alter daher. Er grüßt die beiden freundlich: "Na, Jungs, wie ist das Wasser heute?" Da gucken die beiden jungen Fische ganz erstaunt und sagen gar nichts. Sie erwidern den Gruß des alten Fisches nicht. Sie schwimmen weiter. Nach einer Weile, langsam hat sich der Schreck gelegt, fragt der eine Jungfisch den anderen: "Was zum Teufel ist Wasser?"

Wir alle, damit kein Missverständnis aufkommt, sind Jungfische, aber manche vergessen solche Begegnungen mit Altfischen nicht gleich wieder und stellen sich Fragen. Gute Fragen: Was ist das hier eigentlich? Eine Industriegesellschaft, das sagen uns auch Historiker wie Werner Plumpe, schon seit den 1970er Jahren nicht mehr, auch wenn sich Parteien und Medien so schwer umgewöhnen können, dass sie in Verlautbarungen, Versprechen und Nachrichten immer noch davon reden. Nein, selbst Deutschland, dessen Geschichte im 19. Jahrhundert wie kein anderes Land mit dem Aufstieg der Fabrikgesellschaft groß wurde, ist ein Industrieland. Der größte Teil der Wertschöpfung wird durch Wissensarbeit erzielt. Übrigens wissen das die bessergebildeten Industriemanager auch – und sind stolz darauf, denn auch, dass Wissen Macht ist – erst recht im 21. Jahrhundert – weiß fast jeder.

Nur: "Wissen wir, was wir wissen", wie es der Siemens Chef Heinrich von Pierer mal so treffend gefragt hat? Wir haben zwei große Lager: Die, die ewig an allem Gestrigen festhalten wollen, nicht wenige, denn das alte Leben versprach auch Sicherheit (wenngleich es das selten halten konnte) und die, die ungestüm nach Morgen wollen, weil sie eine Vision haben. Wir neigen dazu, den Ungestümen rechtzugeben, aber Vorsicht. Jungfische wissen auch nicht, was sie wissen. Eine Vision oder eine Utopie brauch keiner, denn sowas verschiebt nur das Tun von heute auf Morgen. Visionen kann man haben, bis der Arzt kommt, und Utopien, als ob es keinen Morgen gäbe. Machen ist was anderes, jetzt gleich. Man muss sich dazu anstrengen, bemühen, was leisten - ja: Leisten. Eine Leistungsgesellschaft, nicht mehr der alten Industrie, der - im Wortsinn - Fleißgesellschaft ist gefragt, sondern eine Leistungsgesellschaft des Kopfes, der Wissensarbeit, der alternativen Denkweisen. Und Letzteres ist nicht nur das Gegenteil von Falsch (das dann auch nicht richtig ist), sondern die Fähigkeit, mit Vielfalt umzugehen. Vielfalt und Verschiedenartigkeit sind mehr als bloß die Trennung in Mann und Frau, ein bisschen Gendersprache. Diversity und Vielfalt sind menschliche, geistige Beweglichkeit, die Fähigkeit, Zusammenhänge herzustellen aus Vielfalt. Komplexität erschließen, statt sie immer nur zu reduzieren. Das ist der Versuch, die Welt zu verstehen, indem jede und jeder nach dem Motto handelt, dass Peter Drucker der Wissensgesellschaft vorgesetzt hat: “Um Wissen produktiv zu machen,” schrieb er in seinem Werk “Die Postkapitalistische Gesellschaft”, müssen wir den Wald und die Bäume sehen, wir müssen wieder lernen, Zusammenhänge herzustellen.” Zusammenhänge - immer in der Mehrzahl, der Sprache der Diversity, - stellen sich neu nicht mehr für ewig her, sondern wie es in Netzwerken “Normal” ist, nach Bedarf, mit wechselnden Teilnehmern, unter unterschiedlichen Bedingungen. Komplexität kann man nicht mit ihrer Normierung beikommen. Wer Innovationen will und echten Fortschritt, muss schon reingehen in den tiefen und zuweilen etwas dunklen Wald, den es auszuleuchten gilt. Aufklärung heißt ja deshalb auch auf Englisch Enlightenment. Unsere Rolle ist, den Wald und die Bäume kenntlich zu machen. In Sachen Wald waren wir im Industriezeitalter gut, nein, wir waren auf den Wald fixiert. Einzelne Bäume, Individuen, galten und gelten vielen als Störfaktor. In der Wissensgesellschaft wird es aber um Kenntlichkeit einzelner Menschen gehen. Wer “der Mensch steht im Mittelpunkt” sagt, aber nicht beweglich genug ist, um auf jede und jeden in der Organisation einzugehen, redet Unsinn. Das tun viele, und sie merkens nicht mal. Es liegt an der alten Kultur, die träger ist als die Wirklichkeit. Während sich die digitale Wissensgesellschaft und ihre Netzwerke an die Stelle der alten, statischen Organisationen rücken, jeden Tag mehr, gibt es viele, die meinen, jetzt käme nach den Entbehrungen der Pandemie wieder der alte Kollektivismus, das Großraumbüro, das Massenmeeting, die ganze Routinewirtschaft der alten Organisation zum Einsatz. Es ist ein Festklammern an Gestern, dass nur Schaden anrichtet. Agilität ist mehr als ein Schlagwort, es unterscheidet die, die weiterkommen, die Wald und Bäume sehen, von denen, die sich im Wald verstecken wollen.

Wie halten wir uns in einer Welt, die immer mehr aus temporären Netzwerken und Projekten besteht, über Wasser? Wie orientieren wir uns, wenn die alten, industriekapitalistischen Gewissheiten sich in Luft auflösen, auch wenn Lobbies und Parteien aus dieser Ära sehnsüchtig nach hinten schauen. Wer die Welt gestalten will, muss sie verstehen wollen. Aber: Wer genau ist denn diese Welt eigentlich? Aus unserer gegenwärtigen Perspektive lautet die Antwort darauf: Der Westen, das alte Abendland, das seit gut zwei Jahrtausenden die geistige Lufthoheit über alles, was auf diesem Planeten geschieht, beansprucht.

Nun geht das Abendland, - nein, nicht unter, aber durch die große Katharsis einer tiefen Transformation. Die alten Weisheiten stecken in einer Krise. Viele ahnen das, nicht wenige wissen das und einige sagen das seit geraumer Zeit. Aber es nützt wenig, denn als Abendländer scheinen wir nicht über unseren Schatten springen zu können. Die globale Wissensgesellschaft macht zunehmend einen Bogen um uns. Und insbesondere die Westeuropäer mauern sich ein – in jeder Hinsicht.

Die Sache mit dem produktiven Wissen ist übrigens, anders als das heute vielfach behauptet wird, keine Hexerei. Wir wissen längst, was wir wissen sollten: „Wissen existiert dort, wo etwas erklärt und verstanden werden kann“, hat der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann geschrieben. Wissen ist, was man versteht – und verständlich macht.

Wissen ohne Können ist aber eine halbe Sache, und die Frage ist: sind wir in der Lage, die Erkenntnis auch umzusetzen? Was müssen wir tun – und lassen – um die Welt wieder zu verstehen? Wie werden wir „kontextkompetent“?

Kontextkompetenz bedeutet, Wissen alltagstauglich zu machen – also verstehbar und verständlich. Erst so wird es produktiv. Kontextkompetenz, die Fähigkeit, Zusammenhänge herzustellen, ist in der Wissens- und Netzwerkökonomie eine Grundlage allen Handels und Verstehens. Wer Zusammenhänge erschließt und für andere zugänglich macht, erschließt Lösungen, Antworten, Aussichten. Komplexität ist die wichtigste Ressource der neuen Welt. Es wird Zeit, sie zu respektieren. Das Wasser, in dem wir schwimmen, die Zusammenhänge sind nicht einfach nur die Mehrzahl von Zusammenhang - eher das Gegenteil. Der feste alte Zusammenhang, das Universalistische, das Gleiche, das Einheitliche, das unsere Kultur so lange so geprägt hat, ist kraftlos geworden. Es bietet keine Antworten mehr. Ein Gott, eine Partei, ein Volk, eine Gesellschaft, ein Team, eine Haltung, eine Meinung. Es ist das Identitäre, das uns allen in den Knochen steckt. Denn genau dazu führt jede Form des Universalistischen – zu Alternativlosigkeit.

Wissensgesellschaft aber bedeutet, sich von einem Zusammenhang – der Einheit – abzuwenden und Zusammenhänge – die Vielfalt – zu erkennen. Die neue These zur Transformation, ganz gleich, ob es dabei um Energie, Klima, Gesellschaft und Wirtschaft geht, lautet: Bisher wurde Komplexität nur verschieden reduziert, es geht aber darum, sie zu erschließen.

Wir nutzen das Internet und arbeiten in Netzwerken, aber verstanden haben wir beides nicht oder kaum. Denn was Timothy Berners-Lee schuf, war nichts anderes als eine Technologie, mit der man „Wissen verstehen und erklären konnte“, in der es um verbindende Inhalte ging, die vorher in akademischen Bunkern blickdicht gelagert wurden. Barrierefreies Wissen, dass nötig ist, kriegt man nur mit massiver Anstrengung hin.

Es bedarf nicht des falschen Stolzes der Experten und Fachidioten, sondern eines geradezu missionarischen Eifers in der Darstellung der eigenen Arbeit. Das ist ja ein Grund für die allgegenwärtige Entfremdung, nicht nur in Organisationen, auch in der Politik, in den Gesellschaften und ihren Teilen. Es fehlt an Grundlagenwissen über Wirtschaft, Finanzen, Technologien, die wir täglich nutzen. Blackboxes, wohin das Auge reicht. Ursprünglich nutzte man den Begriff im Militär, wo man Sprengfallen an Kommunikationseinrichtungen anbrachte, falls die mal dem Feind in die Hände fallen. Diskurse setzten voraus, dass die Silos, die neuen Geschlechtertürme der Identitätspolitik und der Identitären, sich auf ein wenig Aufklärung und humanistische Bildung einigen, Zusammenhänge herstellen, die nicht der Selbstbestätigung, sondern dem Wissenserwerb dienen. Context is king. Zusammenhänge tragen den demokratischen Grund-Code von Lösungen und notwendigen Kompromissen in sich, sie liefern Sinn und Zweck, wo bisher nur Angst und Vorurteil herrschen. Statt identitärer Abgrenzung geht es um soziale Erweiterung.

Dann geht es nicht mehr darum, Recht zu haben. Es geht darum, verstanden zu werden – und dadurch den Dialog anzustoßen, aus dem neue und bessere Lösungen und Antworten entstehen. Wer den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, sollte vielleicht mal gucken, wie viele alte Bretter die freie Sicht auf die Welt vernagelt haben.

Wer das 21. Jahrhundert verstehen und gestalten will, muss sich dem und den Anderen zuwenden, nichts anderes ist Kontextkompetenz in dieser Welt. Wir müssen einander verstehen und für das, was wir verstanden haben, um Verständnis werben. Verhandlung, Dialog und freundschaftlicher Diskurs statt Fachidiotie, inhumanen Lagerdenkens, Ausgrenzung und Besserwisserei ist das Gebot der Stunde.

Wolf Lotter (Juli 2021)

Wolf Lotter ist Autor und Vortragender, Gründungsmitglied von brand eins und hat zahlreiche Bücher zur Transformation zur Wissensgesellschaft verfasst, u.a. “Kreative Revolution” (2009), Zivilkapitalismus (2013), Innovation (2018), Zusammenhänge (2020) und Strengt Euch an! (2021). Im Frühjahr 2022 erscheint sein neues Buch “Unterschiede. Was Diversity wirklich kann und ist.”

Kontakt: [email protected]

in_between von Juliane Pilster, Kai Bauer und Christian Brosig

Die Welt verändert sich. Täglich. Und so schnell, dass wir ohne weiteres nicht mehr nachkommen. Wir verwenden zahlreiche technische Hilfsmittel, um miteinander zu kommunizieren, um die ständige Informationsflut zu bewältigen und um möglichst viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten zu können. Dazu kommen vielfältige Methoden, die uns helfen sollen, erfolgreich durch den Dschungel der Veränderung zu navigieren und so der steigenden Komplexität Herr zu werden. Doch ist das überhaupt möglich?

Wir glauben, dass es an der Zeit ist, zu akzeptieren, dass wir uns in einem dauerhaften Zwischenzustand befinden. Dass sich Komplexität nicht reduzieren lässt. Dass die Idee von Change-Projekten – also von Transformationen von einem in den anderen Zustand – ziemlich veraltet ist. Denn wir werden nie wieder einen Zustand erreichen, in dem wir sagen können: „Fertig. Die Veränderung ist abgeschlossen.“ Wir müssen anfangen, mit der Veränderung und mit dem Dasein im Dazwischen zu leben. Es ist an der Zeit, Strategien zu entwickeln, die dauerhafte Veränderung bestmöglich zu meistern. Zusammenhänge herzustellen, also die richtigen Menschen mit dem richtigen Wissen und den richtigen Fähigkeiten zur richtigen Zeit zum richtigen Thema zu vereinen, wird der Schlüssel im Umgang mit Komplexität sein. Auf diese Weise werden Menschen und Organisationen es schaffen, die (vermeintlichen) Gegensätze in Balance zu bringen, die die veränderliche Welt hervorbringt. Dazu gehören zum Beispiel Mensch vs. Maschine, Work vs. Life, Präsenzarbeit vs. Remote-Arbeit. Erst ein gesundes Gleichgewicht zwischen den Extremen bietet Freiraum für Kreativität und Innovation, die wir in unserer Wissensgesellschaft dringend benötigen.

Das Dazwischen zu meisten, indem wir Zusammenhänge erschließen und Balance herstellen, wird eine wesentliche Aufgabe der nächsten fünf Jahre sein. Diese Aufgabe ist aus unserer Sicht nur lösbar, wenn wir Führung und Zusammenarbeit neu denken. Wir glauben auch, dass diese Aufgabe nicht nur von einigen wenigen gelöst werden kann, sondern dass wir dafür einen co-kreativen Prozess brauchen, an dem sich möglichst viele beteiligen. Dass Führung in Zukunft nicht mehr an Positionen mit Schulterklappen geknüpft sein wird, sondern überall da entsteht, wo Verantwortung übernommen wird.

Aus diesem Grund haben wir im Jahr 2021 die Konferenzserie in_between – Future Lab for Co-Creative Leadership ins Leben gerufen. Die Veranstaltung fand am 19./20. Mai 2021 zum ersten Mal statt. Über 40 Speaker:innen und mehr als 120 Teilnehmer:innen nahmen an der Online-Konferenz mit den drei thematischen Strängen Dazwischen, Zusammenhänge und Balance teil. Simona Popisti, Wolf Lotter und Rini van Solingen gaben mit ihren Keynotes tolle Impulse zu diesen drei Themenbereichen. Dieser Konferenzband zur in_between 2021 bietet eine kompakte Auswahl von Beiträgen der Konferenz. Ein großer Dank gilt an dieser Stelle allen Vortragenden, die mitgemacht und ihren Vortrag oder Workshop zusätzlich als Beitrag für diesem Konferenzband formuliert haben. Wir haben die Texte und Bilder dabei unverändert gelassen bzw. lediglich in unser Format überführt. Viel Spaß beim Stöbern und Lesen!

Juliane Pilster, Kai Bauer, Christian Brosig (Januar 2022)

Juliane, Kai und Christian sind die Co-Kreatoren der in_between. Sie sind ein Team aus erfahrenen Transformatoren, die sich der Methoden aus den Bereichen Agilität, Lean und Organisationsentwicklung bedienen, um Organisationen in ihren Veränderungen maßgeschneidert zu unterstützen. In ihrem Unternehmen, der brainspire Holding GmbH, bringen sie Perspektiven, Erfahrung und Know-how wirkungsvoll zusammen. Ihre Leidenschaft sind die aktuellen Herausforderungen im Kontext Führung und Zusammenarbeit, am liebsten gemeinsam mit engagierten Mitstreitern.

DAZWISCHEN: INTRO VON KAI BAUER

Die Welt um uns herum unterliegt einem ständigen Wandel. In immer kürzeren Zyklen entstehen neue Technologien und Produkte, die unser Leben und unser miteinander verändern, ebenso wie die Prozesse und Unternehmen, die diese Produkte hervorbringen. In dieser Welt, die geprägt ist von Unsicherheit und Komplexität, erscheint es uns allzu verlockend, den Blick auf diejenigen zu legen, die sich erfolgreich in ihr behaupten können. Im Rückblick zeigt sich der Werdegang erfolgreicher Teams oder Unternehmen oftmals wie ein vordefinierter und gut umgesetzter Plan, bei dem ein Puzzle-Teil in das andere gegriffen hat und wir werden dazu verleitet, diesen vermeintlichen Plan zu kopieren.

Mit Blick auf seinen eigenen Werdegang beschrieb Steve Jobs in seiner Rede an der Standford University 2005, dass wir, wenn wir in die Zukunft blicken, nicht erkennen, wo Zusammenhänge bestehen, sondern sich diese erst in der Rückschau zeigen und wir darauf vertrauen müssen, dass sich die einzelnen Mosaiksteinchen in ihrer Zukunft zu einem Gesamtbild zusammenfügen.

Wir müssen unseren eigenen Weg gehen und ihn Schritt für Schritt für uns erschließen. Was wir auf der bereits gegangen Strecke gelernt haben, hilft uns dabei, die nächsten Schritte zu machen kann uns aber nie den ganzen weiteren Weg vorgeben. Während wir in der Vergangenheit versucht haben diesen Weg vorzudefinieren, um in Change-Projekten Veränderungen umzusetzen, oftmals mit dem Ziel danach wieder in eine Phase der Stabilität zurückzukehren, sprechen wir inzwischen immer weniger von Change-Projekten. Stattdessen sprechen wir mehr von Transformationen, weil wir erkannt haben, dass wir uns in einem kontinuierlichen Wandel befinden und wir damit leben müssen wenig Stabilität vorzufinden. Wir befinden uns also immer in einem Zwischenzustand. Veränderung und Unsicherheit sind unsere ständigen Begleiter geworden. Die Herausforderungen bestehen darin das Dazwischen auszuhalten, Neues zu formen, Altes loszulassen und den kontinuierlichen Wandel anzunehmen.

Mahatma Ghandi wird das Zitat zugesprochen: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ Nehmen wir diesen Gestaltungsauftrag an, liegt es an uns, Prozesse zu schaffen die uns unterstützen auf Veränderungen zu reagieren, das Dazwischen bewusst zu erleben und das Neue zu gestalten. Dies erfordert Mut und Offenheit, Unbekanntes zu wagen, das Erreichte immer wieder zu prüfen und den eigenen Weg kontinuierlich anzupassen, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Dies erfordert ein iteratives Vorgehen, in dem wir Entscheidungen auf Basis von Beobachtungen treffen und diese kontinuierlich überprüfen und adaptieren. Die Beispiele hierfür sind nicht neu. Der PDCA Zyklus von Deming oder das Scrum-Framework beschreiben genau solche Vorgehen. Metriken unterstützen den Prozess, in dem sie den eigenen Standpunkt und Fortschritt transparent machen. Sie zeigen uns, wo wir herkommen und wohin wir uns entwickelt haben. Dadurch werden auch in Zeiten stetiger Veränderung Richtungen erkennbar und können Entscheidungen für den neuen Kurs getroffen, überprüft und angepasst werden. Prozesse, Methoden, Metriken und Tools allein sind dabei nicht alles, um den Herausforderungen des Dazwischen zu begegnen. Wer Veränderungen annehmen und aktiv gestalten möchte, braucht Mut und Offenheit.

Die Beiträge im Themenfeld „Dazwischen“ setzen sich mit diesen Aspekten auseinander. Sie teilen Erfahrungen in der Implementierung von Prozessen und Methoden aber auch persönliche Erfahrungen im Umgang mit dem „Dazwischen“.

Kai Bauer studierte BWL an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Es folgten Stationen in der Automobilzulieferindustrie, der Beratung sowie dem Bereich der Industriedienstleistungen. In seinen mehr als 10 Jahren in der Prozessoptimierung und Organisationsentwicklung hat er vor allem die Themen Lean und Agile Management in verschiedensten Projekten im In- und Ausland vorangetrieben.

Zwischen Baum und Borke Die Transformationssafari für Fortgeschrittene

Wann immer ich in Bewerbungsgesprächen gefragt wurde, was der rote Faden meines Lebenslaufs sei, musste ich antworten: Veränderung.

Ich habe mir vor kurzem den Spaß gemacht und habe zusammengezählt, an wie vielen Orten ich schon gewohnt habe, das heißt an wie viele Adressen man mir schon Post geschickt hat. Es waren 14 Postadressen in 37 Jahren. Im Schnitt bin ich also alle 2,8 Jahre umgezogen. Zwischen den beiden geografisch entferntesten Punkten meines Lebens liegen 1.800 km, kurzzeitige Auslandseinsätze während meiner Berufslaufbahn nicht mitgezählt.

Mich im Raum und auch zwischen verschiedenen physischen und gedanklichen Räumen zu bewegen, macht mir Freude und hält mich gelenkig und geschmeidig im Kopf. Ich finde es spannend, neue Räume zu entdecken, wenn auch nicht immer einfach oder wenig anstrengend. Immerhin wollte ich als Kind ganz dringend Astronautin werden und die unentdeckten Weiten des Alls erkunden. Was daraus geworden ist, beziehungsweise warum das nichts geworden ist: das ist eine Geschichte für einen anderen Anlass.

Bevor wir uns aber zu neuen Ufern aufmachen, um neue Räume zu entdecken, hält zunächst ein eher schmerzender Schritt Einzug: Wir brechen auf und trennen uns von Bestehendem. Das ist kein leichter Schritt, von dem 10-Meter-Brett des Lebens in das unbekannte Wasser zu springen und oftmals nicht genau zu wissen, wie tief nun das Becken ist, auf das man kopfüber rast. Und in diesem Punkt, als man schon abgesprungen ist, aber noch nicht angekommen, da fühlen wir uns häufig etwas mulmig. Denn es ist schon sehr undurchsichtig, wenn das Alte nicht mehr oder schon losgelassen ist – das Neue jedoch noch nicht griffbereit oder noch nicht richtig bekannt ist. Genau diesen Zustand nenne ich „das Dazwischen“.

Das Dazwischen fühlt sich an wie zwischen Tür und Angel, wie zwischen Baum und Borke, wie die Dämmerung zwischen Nacht und Tag, wie der Moment zwischen dem Einatmen und dem Ausatmen. Für viele von uns fühlt sich das ganz schön atemlos an, oder zumindest schwer verständlich. Was soll denn schon zwischen Baum und Borke außer Borkenkäfern an Interessantem zu finden sein? Und zwischen Tür und Angel liegt meist ein relativ lapidarer Türsturz. Da geht man durch. Das reicht doch.

Und doch finde ich genau diesen Zustand wahnsinnig interessant für Transformationsprozesse. Genauso, wie Atem zu holen, den Körper mit Sauerstoff versorgt und die Muskulatur auf ihre Arbeit vorbereitet, kann auch das Dazwischen eine „Kraft spendende“ Phase in Transformationsprozessen sein. Häufig jedoch fühlt sich diese Zeit eher wie die Ruhe vor dem Sturm denn wie eine Energietankstelle an. Warum das so ist und wie wir Kraft und Inspiration im Dazwischen tanken können, statt uns in unheilvollen Gedanken an anstehende Veränderungen zu ergehen, darum soll es mir hier gehen.

Was ist denn dieses Dazwischen? Kann man das irgendwie fangen? Kann man das greifen? Kann man das fühlen? Dieses Wartezimmer des Lebens, in dem wir gefühlt alle gerade stecken? Und kann man vielleicht sogar was Gutes damit machen? Können wir das Dazwischen nutzen, um daran zu wachsen?

Die Antwort ist ja! Und wie immer ist das Kleingedruckte noch etwas ausgefuchster.

Apropos: ausgefuchst. Am besten lässt sich das Dazwischen als eine Landschaft begreifen, die wir immer mal wieder in unserem Leben besuchen. In dieser Landschaft leben einige Tiere, die uns die Safari durch Dazwischen-Land mal leichter, mal schwerer machen. Und damit es vollständig verwirrend wird: das Dazwischen liegt in uns, in der Art wie wir mit Wandel und Übergängen in unserem Leben umgehen. Die Tiere, um die es geht, sind unsere inneren Verarbeitungsmechanismen. Und die Safari, von der ich eben sprach, ist unsere Reise zur Selbsterkundung und Selbstreflexion in Veränderung.

Wenn wir sehr viel Glück haben, begegnen wir auf unserer Dazwischen-Safari, dem Erzähltier, das so gerne Geschichten schreibt und erzählt. Vielleicht treffen wir sogar das gerne faulenzende Gewohnheitstier. Und wenn wir sehr, sehr vorsichtig sind, dann könnten wir einen Blick auf das sehr scheue Überlebenstier erhaschen.

Lasst uns also in das Safari-Mobil einsteigen und den Reiseführer mit der Karte zum Dazwischen-Land zücken und diesem ominösen Landstrich mal richtig auf die Pelle rücken.

In der Anthropologie nennt man dieses „Zwischen-Land“ auch den liminalen Raum. Der Ethnologe Victor Turner hat diesen Begriff maßgeblich geprägt. Er beschreibt damit einen Schwellenzustand, in dem ich mich als Individuum oder wir uns als Gruppe, Familie, Gesellschaft befinden, nachdem wir uns von etwas Existierendem gelöst haben, wie zum Beispiel von der Welt vor CORONA. Das heißt: das Alte ist nicht mehr so richtig gültig, aber in einem „Neuen Normal“ sind wir auch noch nicht richtig angekommen.

Übergänge und Zwischenphasen sind nicht neu. Der Zustand des Dazwischen ist so wie die Menschheitsgeschichte. Seitdem es uns Menschen gibt, gibt es ein Dazwischen, in dem und durch das wir uns bewegen: immer zwischen etwas und etwas anderem.

Wir als Menschen und auch Gesellschaften pflegen bestimmte klassische Übergänge im Leben seit Menschengedenken mit Ritualen zu begleiten und zu akzentuieren, seien das religiöse Sakramente, sei das die Geburt des ersten Kindes, sei es die Einschulung, der Schulabschluss, die Eheschließung. Und all diese ritualisierten Übergänge finden wir in unseren Fotoalben: oftmals über Generationen hinweg festgehalten und bewahrt, auch wenn wir gar nicht mehr wissen, wer uns aus diesen Fotos genau entgegensieht.

Warum brauchen wir diese ritualisierten Übergänge in Zwischenphasen und Transformation? Trennung vom Alten ist schwer. Das Neue ist noch nicht da und zum Teil nicht sichtbar. So brauchen wir etwas, was wir als Menschen gemeinsam, als Ritual beschließen, um uns klarzumachen: hier ist ein Übergang. Hier ist eine Schwelle. Wir sind Passanten, nicht „Stehanten“ Wir passieren den Dazwischen-Raum in einen anderen neuen Zukunftsraum. Das Wichtige dabei ist: Übergangsräume haben selbst keine Handlung, sie befördern jedoch die Handlung und eine Weiterentwicklung des Geschehens. Dabei geben uns Zwischenräume, insbesondere wenn sie von ritualisierten Übergängen begleitet werden, gleichzeitig einen klaren Rahmen für die Schwelle der Veränderung, als auch für die notwendige Kontinuität des Gesamtfadens des Entwicklungsprozesses, der über die einzelne Transformationsphase hinausgeht.

Da passiert also zuweilen gar nicht so viel Aktion in so einem Übergang. Der Raum selbst trägt nicht das Motto: „hier ist die Action-Bühne“. Vielmehr ist seine Funktion eher das „Um zu“. Zwischenräume und Zwischenphasen sind im wahrsten Sinne des Wortes Übergänge. Wir gehen von einem Hier und Heute über in ein Anderswo und Anderswann. Der Zwischenraum bringt uns dabei von Punkt A nach Punkt B. Er hat selbst nicht die Funktion, dass in diesem Zeitrahmen eine Handlung passiert, sondern die Funktion, dass er uns in ein anderes befördert. Man kann ihn sich gerne auch als Förderband, Rolltreppe, Bus, Zug vorstellen. Alles, was ohne Start und Destination keinen wirklichen Sinn hätte, außer für Liebhaber.

Treppenhäuser und Aufzüge sind ganz klassische physische liminale Räume. Ganz wenige von uns würden auf die Idee kommen, in einem Aufzug zu wohnen oder unser Bett in einem Treppenhaus oder auf einen Parkplatz zu stellen. Diese Treppenhäuser und Aufzüge haben an und für sich eine befördernde Funktion innerhalb eines Raumkonzeptes. Selten haben sie eine alleinstehende Funktion ohne das Gebäude, in dem sie Menschen von A nach B befördern. Wenn ich ein Treppenhaus einfach so unkommentiert in eine Wüste stelle, würde ich hinlaufen und mich wundern, warum es existiert und welche Funktion es haben mag. Zulässig wäre definitiv die Frage: Ist das Kunst? Und auf diese würde ich persönlich recht schnell kommen, wenn ich die utilitaristische Funktion eines Gegenstands nicht erkennen oder mir erschließen kann. Wenn Zwischenräume ihre Funktion verlieren, also ein Leuchtturm außer Betrieb geht oder ein Einkaufszentrum aufgegeben wird und brach liegt, passiert oft etwas Spannendes. Diese verlorenen Orte werden von einem Gefühl von Traurigkeit, Wehmut, von Verlust und häufig auch von einer brüllenden Einsamkeit durchzogen. Die Natur erobert sie zum Teil als Lebensraum und überwuchert ehemals ordentliches Menschgemachtes mit chaotischem, organischem Wachstum. Neue Schönheit und neue Funktion entsteht.

Das heißt, diese Zwischenräume sind und waren nicht Orte des Verweilens, sondern Förderbänder des Durchgangs, bei denen wir das Ziel oder den finalen Zustand zuweilen zu Beginn des Durchgangs noch gar nicht erkennen können. Wenn wir beispielsweise mit dem Aufzug in den zehnten Stock fahren, wissen wir womöglich vor dem Aussteigen gar nicht, wie das da genau aussieht, insbesondere wenn wir noch nie im zehnten Stock dieses Gebäudes waren. Das lässt sich wahnsinnig gut auf die Zukunft als Zielzustand von Transformationen übertragen. Denn die Zukunft hat ja diese Funktion, dass sie irgendwie ein wenig unbekannt ist. Und so fahren wir in Transformationsprozessen wie in einem Aufzug zu einem Stockwerk, das wir noch nicht kennen, von dem wir uns wünschen, dass wir es dort gut oder sogar besser als heute haben werden.

Bevor sich aber die Türen im Stockwerk Zukunft tatsächlich öffnen, wissen wir es aber nicht mit Gewissheit. Überraschungen sind Programm. Es könnte gefährlich sein. Es könnte aber auch ein Abenteuer werden. Oder beides.

Ich lebe heute in Westeuropa in einem Zeitalter der Menschheitsgeschichte, in dem für mich viele Freiheiten so groß sind, wie sie vielleicht noch nie zuvor waren. Ich habe die Freiheit, meine Religion frei auszuüben, meinen Beruf selbst zu wählen, meine Bekleidung und sogar meine Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen. Das sind schwer errungene Freiheiten, die mir die Möglichkeit geben, mein Potenzial zu entfalten und selbst bestimmt zu leben. Wenn in früheren Generationen bereits mit der Geburt vorgeschrieben war, welche Religion ich ausübe, welchen Beruf ich ergreifen werde, zu welcher gesellschaftlichen Schicht ich gehöre und möglichweise welchen Partner ich heiraten werde, dann klingt das für mich sehr befremdlich und einengend. Gleichzeitig kann ich sehr gut nachvollziehen, dass diese Art der sozialen Vorschrift viel Struktur und Klarheit vermittelt und damit auch unangenehme und undurchsichtige Übergänge des Lebens regelhaft gestaltet und damit entlasten kann. War es also früher besser? War das Leben einfacher? Vermutlich nicht. Es gab aber eben eine Struktur und damit Orientierung. Die Freiheit, die wir heute haben, unsere Übergänge selbst zu gestalten, birgt gleichzeitig auch die Verantwortung, die wir heute haben, unsere Übergänge auch selbst zu gestalten. Und wir Menschen tun uns mal schwerer, mal leichter in Übergängen, denn oftmals sind diese Phasen nicht die leichtesten Zeiten in unseren Leben.