In den Fesseln des Dukes: Regency Kisses - Band 1 - Julia London - E-Book
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In den Fesseln des Dukes: Regency Kisses - Band 1 E-Book

Julia London

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Beschreibung

Im Sturm des Verlangens: Der historische Liebesroman »In den Fesseln des Dukes« von Bestsellerautorin Julia London jetzt als eBook bei venusbooks. London 1819. Nach dem Tod ihrer Mutter ist die schöne Ava Fairchild der Willkür ihres Stiefvaters ausgesetzt: Sie soll einen ebenso reichen wie abstoßenden Mann heiraten. Doch die mutige Ava ist nicht bereit, sich kampflos zu fügen. Als sie auf den charmanten Marquis von Middleton trifft, der aufgrund seines skandalösen Lebenswandels droht, sein Erbe zu verlieren, ersinnt Ava einen verwegenen Plan: Jared wir mit ihr eine respektable Ehefrau gewinnen und damit sein Erbe antreten können – und Ava endlich frei von den Machenschaften ihres Stiefvaters sein. Ein ganz nüchterner Geschäftsplan – doch beide haben die Rechnung ohne die Liebe gemacht … und die Intrigen ihrer Feinde, die darauf aus sind, ihr Glück um jeden Preis zu zerstören! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die historische Romanze »In den Fesseln des Dukes« von New-York-Times-Bestsellerautorin Julia London – Band 1 der »Regency Kisses«-Trilogie um die Fairchild-Schwestern. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

London 1819. Nach dem Tod ihrer Mutter ist die schöne Ava Fairchild der Willkür ihres Stiefvaters ausgesetzt: Sie soll einen ebenso reichen wie abstoßenden Mann heiraten. Doch die mutige Ava ist nicht bereit, sich kampflos zu fügen. Als sie auf den charmanten Marquis von Middleton trifft, der aufgrund seines skandalösen Lebenswandels droht, sein Erbe zu verlieren, ersinnt Ava einen verwegenen Plan: Jared wir mit ihr eine respektable Ehefrau gewinnen und damit sein Erbe antreten können – und Ava endlich frei von den Machenschaften ihres Stiefvaters sein. Ein ganz nüchterner Geschäftsplan – doch beide haben die Rechnung ohne die Liebe gemacht … und die Intrigen ihrer Feinde, die darauf aus sind, ihr Glück um jeden Preis zu zerstören!

Über die Autorin:

Julia London ist eine »New York Times«- und »USA Today«-Bestsellerautorin, bisher hat sie mehr als 30 Romane veröffentlicht. Aufgewachsen in Texas, hat die passionierte Hundebesitzerin viele Jahre in Washington für die amerikanische Regierung gearbeitet. Als sie ihre Liebe zum Schreiben entdeckte, machte sie diese zum Hauptberuf und schreibt seitdem erfolgreich historische Liebesromane sowie Contemporary Romance. Julia London erhielt bereits den »Romantic Times Book Club Award« für den besten historischen Liebesroman und war sechs Mal unter den Finalisten für den begehrten »RITA Award«. Heute lebt sie wieder in Texas.

Mehr Informationen zu Julia London finden Sie unter julialondon.com.

Bei venusbooks veröffentlichte sie ihre »Lockhart Clan«-Trilogie:

»Highland Passion – Fieber der Leidenschaft«

»Highland Passion – Sturm der Sehnsucht«

»Highland Passion – Fesseln des Verlangens«

Sowie ihre »Regency Kisses«-Trilogie:

»In den Fesseln des Dukes«

»Gefangen von einem Lord«

»In den Händen des Earls«

***

eBook-Neuausgabe Juni 2020

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »The Hazards of Hunting a Duke« bei Pocket Books/Simon & Schuster, Inc., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Herr meines Herzens« bei Weltbild.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2006 by Dinah Dinwiddie

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Period Images © shutterstock / Tomasz Banasiak / ESOlex / Anastasiia Veretennikova

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (tw)

ISBN 978-3-95885-753-7

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

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***

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www.venusbooks.de

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Julia London

In den Fesseln des Dukes

Regency Kisses – Band 1

Aus dem Amerikanischen von Margarethe van Pée

venusbooks

Für die Whine Sisters, die mir jeden Tag aufs Neue helfen, aufzustehen und zu jammern.

Kapitel 1

London, März 1819

Der Marquis von Middleton, einziger Erbe des mächtigen Herzogtums Redford, besaß eine spürbare Energie, die Macht und Reichtum vermittelte. Und er strahlte die potente Sexualität eines sehr maskulinen Mannes aus. Die meisten Frauen spürten es ‒ und vielleicht sogar ein paar Männer. Es war in der Tat eine potente Sexualität.

Der Marquis, Jared Broderick, sagte oder tat nichts, um solche Gefühle in anderen hervorzurufen, denn er war sich in aller Aufrichtigkeit seiner bemerkenswerten Macht nicht bewusst. Hätte jemand ihn darauf hingewiesen, dass Frauen schon weiche Knie bekamen, wenn er sie nur anschaute, dann hätte er nur lachend erwidert, dass er alle Frauen anbetete, und das war die Wahrheit. Arme Frauen, reiche Frauen, von Adel oder ohne Titel, es war ihm völlig gleichgültig ‒ solange sie absolut weiblich waren. Das bedeutete, sie mussten gut riechen, sanft, gelegentlich dumm, lästig, lockend und anregend sein ‒ im Boudoir wie auch darüber hinaus.

Mit seinen dunkel goldbraunen Haaren, dem energischen Kinn, den breiten Schultern und den braunen Augen mit den goldenen Sprenkeln galt er in der haute ton, der Elitegesellschaft Londons, als gefährlich gut aussehend. Er war groß und schlank, athletisch gebaut. Und seine verwegene, manchmal tollkühne Art hatte auch etwas Gefährliches, zumal ein Mann, der das Spiel und die Frauen liebte, von Zeit zu Zeit in Schwierigkeiten geraten musste. Es gab Gerüchte über ein Duell, in dem er sich angeblich furchtlos geschlagen hatte und aus dem er siegreich hervorgegangen war.

Besonders gerühmt worden war seine Verwegenheit jedoch bei einer Hirschjagd im letzten Herbst. Der Hirsch hatte die Jäger gewittert und war durch das Unterholz gebrochen, um zu entkommen. Es hieß, Middleton habe seinen Hals und auch den seines großen Wallachs riskiert, um den Hirsch zu fangen, weil er weit vor den anderen Reitern über Felsen und Schluchten durch das Dickicht galoppiert war. Als er jedoch den Hirsch gestellt hatte, hatte er sein Pferd gezügelt, umgedreht und war wieder zur Jagdgesellschaft zurückgeritten, als ob ihn nicht die Jagd interessierte, sondern nur der wilde Ritt.

In den Londoner Herrenclubs erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand, Middleton sei an jenem Tag nicht so wild geritten, um den Hirsch zu fangen, sondern weil ihn seine eigenen Dämonen gejagt hätten.

Regelmäßig wurde über ihn, kaum verhüllt, in den Londoner Morgenzeitungen berichtet, sowohl über seine verwegenen Taten wie auch über seine Eroberungen in den Betten einiger der wichtigsten Frauen in der Stadt. Noch schillernder wurden diese Berichte dadurch, dass er eines Tages die mächtigsten Herzogtümer in England und Wales erben würde, und der Gedanke, dass er Bastarde zeugen könnte, verursachte seinem Vater, dem jetzigen Herzog von Redford, große Sorgen.

Viele Lords wollten gern ihre Töchter an Redfords Sohn verheiraten, und Lady Elizabeth Robertson galt in den Wetten, die abgeschlossen wurden, als Favoritin. Lady Elizabeths Vater war ein Jugendfreund des Herzogs, und ihr Stammbaum war makellos und einer Herzogin durchaus würdig.

Was die Klatschbasen jedoch nicht wussten, war, dass der Herzog und der Marquis sich schon häufig laute Wortgefechte wegen Lady Elizabeth geliefert hatten, weil der Marquis sich weigerte, diese Verbindung ins Auge zu fassen, sein Vater jedoch keine andere Verbindung akzeptieren wollte.

Und an diesem Morgen hatte ein weiteres Gerücht in der Zeitung den Herzog bewogen, seinen Sohn wieder einmal wie einen Dienstboten zu sich zu zitieren.

Jared kam und lümmelte sich in einem Sessel, während sein Vater erregt auf und ab marschierte. Der Herzog hielt die jüngste Ausgabe der Times in der Hand. Einen Augenblick lang war er zu wütend, um zu sprechen. »›Eine gewisse Witwe‹«, las er vor und warf die Zeitung zu Boden. »Ich weiß sehr wohl, auf wen sie abzielen ‒ jeder in der Stadt weiß von deiner Affäre mit Lady Waterstone.«

Jared zuckte mit den Schultern. Ja, und? Er war mit der Witwe im Bett gewesen ‒ schließlich war er ein Mann, und außerdem hatte er eine gewisse körperliche Vorliebe für Miranda, Lady Waterstone, entwickelt.

»Ist dir denn dein Ruf gleichgültig? Und wenn nun Lady Elizabeth das liest?«, fragte ihn der Herzog erbost.

»Und wenn schon«, erwiderte Jared. Er schuldete Lady Elizabeth nichts, und er verstand ehrlich gesagt auch nicht, warum sein Vater so erpicht darauf war, die Frau unter die Haube zu bringen. Der Herzog war seit vielen Jahren Witwer, und vielleicht sollte er ja lieber heiraten, dachte Jared. Er jedenfalls fand nichts dabei, so zu leben, als ob jeder Tag sein letzter wäre, und der Wunsch seines Vaters, ihn mit einer Frau mit dem Gesicht eines Pferdes zu verheiraten, würde ihn ganz gewiss nicht davon abhalten.

Je erbitterter er jedoch Widerstand leistete, desto zorniger wurde sein Vater. »Ich musste in meinem Club von deiner Affäre mit dieser Frau erfahren ‒ und jetzt muss ich auch noch davon lesen?«

»Ich bin für das, was in der Zeitung steht, nicht verantwortlich«, erklärte Jared.

Das Gesicht seines Vaters lief dunkelrot an. »Aber du bist durchaus verantwortlich für dein nichtswürdiges Verhalten, das eine solche Berichterstattung hervorruft, oder etwa nicht? Ich verlange von dir, unseren Namen und unseren Titel nicht mit einer solchen Frau zu beschmutzen, hast du mich verstanden? Du wirst nicht mit einer Hure schlafen, die sich nach oben geheiratet hat«, fuhr er Jared an. »Jetzt, wo sie Witwe ist, schlägt sie ihre Krallen in den Erben des Redford-Titels. Ich dulde es nicht! Lady Elizabeth ist perfekt geeignet, um dir einen legitimen Erben zu gebären, und das sollte innerhalb der Grenzen der Schicklichkeit so bald wie möglich geschehen!«

Empört entgegnete Jared: »Seht Ihr mich so, Euer Gnaden? Bin ich nur ein Zuchtbulle für Euer mächtiges Reich?«

Sein Vater kniff die braunen Augen zusammen. »Du bist niederträchtig.«

»Nun gut«, erwiderte Jared, der insgeheim vor Wut schäumte, »ich werde einen Erben zeugen, wenn dies der Preis dafür ist, in Eurem ehrenwerten Haus geboren worden zu sein. Aber ich werde es zu meinem Vergnügen tun und mit wem es mir passt.«

»Das wirst du keineswegs tun!«, donnerte sein Vater. »Es steht wesentlich mehr auf dem Spiel als deine lustvollen Abenteuer! Dabei habe ich angenommen, du hättest aus deinen früheren zügellosen Gewohnheiten eine Lehre gezogen!«, sagte er und legte den Finger auf alte Wunden. »Ich warne dich, Lord Middleton, wenn du nicht aufhörst, mich zu entehren, werde ich dafür sorgen, dass du auf königliches Dekret hin enterbt wirst!«

Ungläubig lachend hob Jared die Arme.

»Meinetwegen, Mylord! Ich werde Euch nicht aufhalten ‒ ich würde es sogar begrüßen, denn dann wäre ich wenigstens frei von dem Joch, das Ihr mir auferlegen wollt!« Das meinte er ganz aufrichtig. Natürlich hatte er in seinem Leben einige Fehler gemacht ‒ aber der Herzog auch. Sollte er ihn doch enterben ‒ Jared war selber Marquis; er brauchte den Herzogtitel nicht, und ehrlich gesagt, wollte er ihn auch gar nicht.

Plötzlich sank sein Vater auf seinen schweren geschnitzten Mahagonistuhl hinter seinem prächtigen Schreibtisch und schlug die dünnen Hände vors Gesicht. »Um Gottes willen, Jared«, sagte er mit rauer Stimme, »um Gottes willen, bitte, tu doch, was ich dir sage.«

Er nahm die Hände vom Gesicht und blickte seinen Sohn an.

»Du kannst doch nicht vergessen, dass unsere Familie früher einmal in Zügellosigkeit versunken war und mit Huren Bastarde gezeugt hat. Es hat Jahre gedauert, bis die Krone unseren Namen anerkannt hat. Es ist unverantwortlich von dir, dass du unseren guten Namen jetzt mit deiner Schlampe wieder in den Schmutz ziehst. Heirate eine Frau von Stand und zeuge einen Sohn mit ihr, und danach kannst du herumhuren, mit wem du willst!«

»So wie du?«, fragte Jared gleichmütig.

Der Herzog erblasste. Mit beiden Händen umklammerte er die Schreibtischkante, und jeder Muskel in seinem Gesicht bebte vor Wut. »Geh mir aus den Augen«, sagte er leise.

Jared erhob sich.

»Euer Gnaden«, sagte er mit einem knappen Kopfnicken und verließ das massive Stadthaus seines Vaters auf der Park Lane, um zu White’s zu fahren. Er war wütend auf seinen Vater, aber noch wütender machten ihn die zwei Lakaien, die ihm folgen mussten.

Sein ganzes Leben lang hatte er sich über seine angebliche Verantwortung geärgert. Er hatte eine entmutigend einfache, primitive Funktion ‒ er war Zuchtmaterial für das Herzogtum Redford und wurde nur wegen seiner Fähigkeit zum Fortpflanzen geschätzt. Ehrlich gesagt erinnerte er sich an wenig anderes aus seiner Kindheit, zumal seine Mutter gestorben war, als er vierzehn war. Seine Erinnerung an sie verblasste, und er konnte sich kaum noch an ihre Sanftheit, an die Wärme ihres Atems oder den Fliederduft ihrer Haut erinnern. Er wusste noch, dass sie gelacht hatte, wenn sie bei ihm war, aber in Wahrheit hatte er sie nur gelegentlich gesehen. Seine Eltern hielten sich in London oder auf dem Land auf, je nachdem, wo die Geliebten seines Vaters lebten.

Jared hingegen lebte mit seinen Kindermädchen, Gouvernanten und Lehrern, die ihn darauf vorbereiteten, eines Tages ein Herzog zu sein, woanders.

Selbst auf dem Internat wurden seine Bekanntschaften genau beobachtet und sorgfältig überwacht. Er fühlte sich allerdings nie jemandem wirklich nahe, abgesehen von seinen besten Freunden, Lord Stanhope und Lord Harrison, die mit ihm zusammen in die Schule gekommen waren.

Die Forderungen nach einem Erben, den er produzieren müsse, begannen in dem Moment, in dem er in das zeugungsfähige Alter kam, und sie wurden mit jedem Jahr, das verstrich, lauter. Jetzt, am Vorabend seines dreißigsten Geburtstags, war der Lärm ohrenbetäubend geworden.

Mehr als einmal hatte Jared sich gewünscht, der Sohn eines Pächters, eines Kaufmanns oder eines Bankiers zu sein ‒ aber er war nun einmal der Sohn eines Herzogs, und solange er denken konnte, hatte sein Vater sein Schicksal, seine Freunde, seine Lieben bestimmen wollen.

Und deshalb liebte Jared niemanden.

Bei White’s, dem Club, dem er angehörte, saß er lustlos herum und weigerte sich sogar, mit seinen Freunden eine Partie Whist zu spielen. Als das Spiel vorüber war, bestand sein ältester Freund, Geoffrey Godwin, Viscount Harrison, darauf, dass er mit ihm zum Fontaine Ball kommen sollte.

»Ich kann dich doch nicht alleine trinken lassen«, sagte er und schlug Jared auf den Rücken. »Am Ende verletzt du noch jemanden.«

»Ich will nicht auf den blöden Ball«, murrte Jared. »Die gesellschaftliche Saison lässt mich kalt. Kaum hat sie begonnen, stehen schon ganze Heerscharen von Debütantinnen samt ihren Müttern vor mir, alle begierig auf eine spektakuläre Partie und ein unvergleichliches Vermögen.«

»Jetzt geh aber nicht so hart mit den armen Vögelchen und ihren Müttern ins Gericht«, sagte Harrison und stieß mit Jared an, bevor er seinen letzten Schluck Whiskey austrank. »Die Väter sind auch nicht ohne ‒ es gibt nichts Schlimmeres als eine gestelzte Unterhaltung mit einem Mann, dessen Tochter noch unverheiratet ist.«

»Ach«, spottete William Danvers, Lord Stanhope. »Versetz dich doch mal in meine Lage! Ich möchte dich mal sehen, wenn dein Vermögen auf Generationen hinaus so eingefroren wäre, dass du auf eine gute Partie mit einer unvergleichlich reichen Frau hoffen müsstest.«

»Unmöglich«, schnaubte Jared. »Es gibt keine vermögenden Frauen ‒ das Geld haben die Männer.«

»Das, Sir, ist genau mein Problem«, sagte Stanhope und fuhr sich durch die blonden Haare.

»Ach, komm doch mit«, drängte Harrison. »Stanhope muss an den Spieltisch, um sein armseliges Vermögen zu erhöhen. Und ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass es auf dem Fontaine Ball einen Tisch mit hohen Einsätzen für die reichen Gentlemen gibt, die nicht gerne tanzen.«

»Hohe Einsätze?«

Jared blickte Harrison an.

»Sehr hohe Einsätze«, bestätigte Harrison lächelnd.

Jared zuckte mit den Schultern.

»Ich ziehe die Wärme von Mirandas Körper einem blöden Kartenspiel vor.«

»Aber Miranda ist gar nicht da, sie ist auf dem Land. Du hast doch außer Trinken nichts anderes vor. Komm, mein lieber Lord Middleton ‒ komm mit und gewinne ein nettes kleines Sümmchen, das dich von deinen Problemen ablenkt.«

Vielleicht würde ein Spiel ihn ja von seinen dunklen Gedanken wegen seines Vaters ablenken. »Nun gut«, sagte er seufzend und runzelte die Stirn, als Harrison und Stanhope seinen Entschluss bejubelten.

Und als er und Harrison in der Tür zum Ballsaal standen, beide einen Kopf größer als die meisten, empfand Jared wie immer ein Glücksgefühl, so viele attraktive Frauen zu sehen. Er vermisste zwar Miranda auf seine Art, aber Harrison hatte recht, sie war nicht da. Und der Sportsmann in ihm war entschlossen, an diesem Abend sein Bestes zu geben.

Auf der anderen Seite des Saales stieß Ava Fairchild ihre Schwester und ihre Kusine an und nickte in Richtung der beiden untadelig gekleideten Gentlemen am Eingang, die beide einen schwarzen Frack mit weißer Seidenweste und fachmännisch geschlungener Krawatte trugen. Der einzig erkennbare Unterschied bestand in einem Anstecker, den Middleton auf der Brust trug, und der seinen Träger als ranghöher auswies.

»Ach«, seufzte Phoebe und warf den beiden Männern einen sehnsüchtigen Blick zu. »Ich würde so gerne eines Tages ihre Bekanntschaft machen, und wenn es nur für einen einzigen Tanz wäre.«

»Ein Tanz? Mir schwebte etwas viel Aufregenderes vor«, sagte Ava. Ihre Schwester und ihre Kusine blickten sie erwartungsvoll an, und Ava zwinkerte ihnen zu. »Eine heiße Liebesaffäre. Mit Middleton.«

Dieses Spiel spielten die drei gerne, sich etwas Lustvolles über das andere Geschlecht auszudenken. Aber Avas Wahl entlockte Phoebe nur ein verächtliches Schnauben. »Liebes, du bist wohl komplett verrückt. Du kannst kaum zu hoffen wagen, Middleton richtig vorgestellt zu werden, geschweige denn eine Liebesaffäre mit ihm zu haben, wo bei ihm alle Debütantinnen Schlange stehen … es sei denn, du bist bereit, deine Tugend zu opfern.«

»Vielleicht sogar dein Leben«, ergänzte Greer. »Seine Verwegenheit grenzt an Wahnsinn. Und wenn er sich herablässt zu tanzen, dann nur, um zu verführen. So hat auch seine Affäre mit Lady Waterstone angefangen.«

Ava lächelte überrascht. »Du scheinst ungewöhnlich gut über ihn informiert zu sein, Greer.«

»Ich habe eine Menge von ihm gehört und nichts Gutes«, erwiderte Greer achselzuckend. »Lass dich lieber auf eine Affäre mit Harrison ein, Ava, er sieht genauso gut aus. In der Tat … absolut genauso gut«, sagte sie nachdenklich.

Einen Moment lang blickten die drei jungen Frauen zu Harrison. Mit seinen dunklen Haaren und seinen leuchtend blauen Augen war er tatsächlich sehr attraktiv ‒ aber Avas Blick glitt doch zurück zu Middleton, der gerade eine Frau, die in seiner Nähe stand, verführerisch anlächelte.

Sie konnte sich gut vorstellen, dass er ständig Frauen verführte, was ehrlich gesagt natürlich zu seiner Anziehungskraft beitrug. Aber sie war nicht so dumm, nicht zu wissen, dass Middleton für Sterbliche, wie sie immer nur ein Traum bleiben würde. Auf dem Papier war ihre Stellung in der Gesellschaft zwar respektabel ‒ ihr verstorbener Vater war Earl gewesen ‒, aber ihre tatsächliche gesellschaftliche Stellung entsprach keineswegs den Maßstäben, die ein zukünftiger Herzog anlegen musste. Mit seinem Titel und seinem Einkommen ‒ ganz zu schweigen von seinem blendenden Aussehen und seiner charmanten Art ‒ konnte Middleton jede Frau haben, die er wollte. Und ganz gewiss wollten die Frauen alle ihn ‒ was er bei seinen gelegentlichen Flirts so von sich gab, wurde in den Damenzirkeln aufgeregt flüsternd immer und immer wieder zitiert.

Ava rechnete nicht damit, von einem solchen Mann überhaupt bemerkt zu werden, geschweige denn eine wie auch immer geartete Affäre mit ihm zu haben. Nichtsdestotrotz erfreute sie sich an der Fantasie. »Vielleicht sollte ich ihn dann einfach heiraten«, erklärte sie fröhlich und verblüffte damit ihre Schwester und ihre Kusine. »Warum nicht?«, sagte sie, als die beiden sie schockiert ansahen. »Ich bin die Tochter eines Earls und mindestens ebenso begehrenswert wie Lady Elizabeth.«

Die drei blickten nach links, wo Lady Elizabeth, in einem langweiligen gelben Kleid, Hof hielt, umgeben von Debütantinnen, die sich wie Gänse um sie scharten. Unglücklicherweise stand sie neben Miss Grace Holcomb, der Tochter eines sehr reichen Kaufmannes, die gerade aus Leeds nach London gekommen war.

Miss Holcomb, eine liebenswürdige junge Frau, wollte unbedingt ihren Platz in einer Gesellschaft einnehmen, in der Herkunft ebenso viel zählte wie Vermögen, und hatte den schweren Fehler begangen, sich an die humorlose Lady Elizabeth anzuschließen.

Vielleicht, um auf ihren Reichtum hinzuweisen, trug Miss Holcomb ein leuchtend rosafarbenes Kleid und viel glitzernden Schmuck. Elizabeth verblasste neben ihr, aber Ava war sich sicher, dass Elizabeth dieser Situation bald ein Ende setzen würde.

»Und?«, fragte Ava. »Bin ich nicht mindestens so begehrenswert?«

»Ja, in der Tat, du übertriffst sie im Aussehen und in Haltung«, erwiderte Greer nachdenklich, was ihr ein leichtes, dankbares Nicken von Ava eintrug, denn Elizabeth hatte eine ziemlich auffallende Nase, »aber sie gilt als die Favoritin der Saison. Und du, Liebste, bist jetzt schon drei Jahre auf dem Markt und immer noch unverheiratet.« Sie fuchtelte mit drei behandschuhten Fingern vor Avas Gesicht herum, um ihren Standpunkt zu unterstreichen.

Ava packte die Finger und hielt sie fest. »Aber nicht aus Mangel an Gelegenheit«, sagte sie. »Ich hatte reichlich Angebote, genau wie du, Liebste.«

Phoebe sah sie dabei nicht an. Seit sie letztes Jahr debütiert hatte, hatte sie nicht einen einzigen Antrag bekommen ‒ die Ärmste war so schüchtern bei Herren. Greer hingegen war so gescheit, dass die Herren bei Salonspielen immer sie als Partnerin wählten. Und Ava ‒ nun, Ava erfreute sich an den Aufmerksamkeiten verschiedener Gentlemen und ermutigte sie auch. »Zufällig gefällt es mir, unverheiratet zu sein. Das Leben ist viel aufregender, wenn man die Aufmerksamkeit vieler Männer genießen kann. Mit nur einem einzigen Mann ist es vermutlich ziemlich langweilig.«

»Ihr habt wohl einiges gemeinsam, du und Lord Middleton«, vermutete Phoebe. Greer lachte, und Ava blickte unwillkürlich noch einmal zum Eingang des Ballsaals. Leider war ihr Traum mit Harrison in der Menge verschwunden. Schlimmer noch, Sir Garrett kam auf sie zu, so schnell, wie es sein eingeschnürter Umfang erlaubte.

»Oh, wie göttlich«, sagte Greer fröhlich. »Jetzt darfst du die Aufmerksamkeit von Sir Garrett genießen.«

Ava stöhnte; Sir Garrett war ein sehr dicker, geselliger Mann mit dicken Lippen und einem Haarbüschel oben auf dem Kopf. Im Verlauf der letzten beiden Saisons hatte er große Zuneigung zu ihr gefasst. In der letzten Zeit war er allerdings lästig geworden ‒ bei jeder Gelegenheit tauchte er auf und hatte begonnen, sie ständig für sich allein in Anspruch zu nehmen.

Ava hatte jedoch Mitleid mit dem Mann. Er war nie verheiratet gewesen und schien ziemlich einsam zu sein. Einen Tanz ab und zu konnte sie ihm schwerlich verweigern, aber der arme Kerl war auch ziemlich dickfellig, wenn sie ihn sanft abwies. Er schien nicht zu verstehen, dass sie nur höflich sein wollte, wenn sie mit ihm tanzte.

Als er vor ihr auftauchte, hörte Ava Phoebe kichern, doch sie lächelte huldvoll, als Sir Garrett ihre Hand ergriff. »Lady Ava«, sagte er und beugte sich darüber.

»Sir Garrett, welch eine Freude«, erwiderte sie und sank in einen Hofknicks.

Er grinste breit, drückte seine Lippen auf ihren Handrücken und wandte sich dann lächelnd an Phoebe und Greer, während Ava ihre Hand aus seiner Bärenpranke befreite.

»Ich bin so kühn«, sagte er und wandte Ava erneut seine Aufmerksamkeit zu. »Ich möchte bemerken, dass Ihr bei Weitem die Schönste aller anwesenden Damen heute Abend seid«, erklärte er und machte eine weit ausholende Geste. Greer und Phoebe hatte er anscheinend vergessen.

Ava erinnerte ihn mit einem leisen Nicken daran.

Sofort erkannte Sir Garrett seinen Fauxpas, und sein ohnehin schon gerötetes Gesicht wurde noch röter. »Ich wollte sagen … alle drei, äh … alle Mitglieder der Familie Fairchild … sind … sehr schön«, stammelte er.

Phoebe und Greer lächelten bescheiden und dankten ihm wie immer für seine freundlichen Worte.

Er zog ein Taschentuch aus der Tasche und tupfte sich die Stirn ab, wobei er wieder Ava anschaute. »Miss Fairchild, würdet Ihr mir die Ehre erweisen, den nächsten Tanz mit mir zu wagen?«, fragte er. »Ich glaube, es wird eine Quadrille, und ich versichere Euch, dass ich mich bemüht habe, die Schritte in der korrekten Reihenfolge zu lernen, sodass es keinen weiteren unglückseligen Zwischenfall wie das Missgeschick auf dem Beltrose Ball geben wird.«

Das Missgeschick hatte darin bestanden, dass Sir Garrett bei der Quadrille Avas Zehen zerquetscht hatte. Aber in Ava stieg das übliche Mitleid für den glücklosen Ritter auf, und sie lächelte. »Ich wäre entzückt, Sir«, antwortete sie.

Sein Gesicht hellte sich auf. »Oh!«, rief er aus und legte den Arm vor seine mächtige Brust. Das Taschentuch wehte wie eine kleine Fahne zwischen seinen Fingern. »Ihr erweist mir eine solche Ehre, Lady Ava!« Rasch stopfte er das Taschentuch in die Tasche und bot ihr die Hand.

Ava legte zögernd ihre Hand auf die Pranke und warf Phoebe und Greer einen hilflosen Blick zu, als Sir Garrett sie auf die Tanzfläche geleitete.

Auf der anderen Seite des Ballsaales hatte Harrison Jared ebenfalls auf die Tanzfläche geschickt, damit er einen Moment lang alleine mit einer jungen Frau sein konnte, die anscheinend mehr Interesse an Jared als an ihm hatte. Jared hatte sich bereitwillig gefügt und Mrs Honeycutt, eine Frau, deren persönliche Begleitung er in einem Sommer drei Wochen lang genossen hatte, während ihr Mann in Schottland war, aufgefordert, die Quadrille mit ihm zu tanzen. Bei ehemaligen Geliebten zog er die Quadrille vor, da der Tanz mit vier Personen im Quadrat getanzt wurde, was bedeutete, dass für Gespräche über verletzte Gefühle unter vier Augen keine Gelegenheit bestand.

Ein Walzer hingegen war ein äußerst privater Tanz, den er Frauen vorbehielt, die näher zu kennen er bisher nicht das Vergnügen hatte, da er ihnen dabei amouröse Bemerkungen zuflüstern konnte.

Mrs Honeycutt war jedoch entschlossen, ihm mitzuteilen, was sie dachte. »Ich habe Euch vermisst«, flüsterte sie, als er ihren Arm ergriff und sie herumwirbelte. Jared sagte nichts, lächelte nur, ließ sie los und ging auf Lady Williamson zu. Als er sich wieder Mrs Honeycutt zuwandte, blickte sie ihn so traurig an wie ein kleines Hündchen, das nicht mit seinem Herrn spazieren gehen darf.

Jared lächelte charmant, neigte den Kopf und trat vor, ergriff ihre Hände, drehte sich mit ihr und ließ sie wieder los. Als er jedoch auf seine Position zurücktrat, kollidierte er mit jemandem in seinem Rücken.

»Ach, du liebe Güte!«, rief Lady Williamson aus und blickte über seine Schulter.

Rasch drehte Jared sich um; die Person, die mit ihm zusammengestoßen war, war eine attraktive junge Frau mit dunkelblonden Haaren und verblüffend hellgrünen Augen. Leider befand sie sich in Sir Garretts Händen.

»Ich bitte um Verzeihung, Mylord«, stotterte Garrett und griff ungeschickt nach den Händen seiner Tanzpartnerin. Der Schweiß rann ihm von der Stirn.

Die Frau drehte sich nach Jared um und lächelte auf eine komische Art, zwar ein wenig verlegen, aber weitaus mehr noch amüsiert darüber, dass sie in ihn hineingeschleudert worden war.

Und wenn er sich nicht irrte, zuckte sie entschuldigend mit den Schultern, bevor sie Sir Garrett wieder ihre volle Aufmerksamkeit zuwandte.

Das war auch besser so, schließlich riskierte sie ihr Leben.

Jared wandte sich ebenfalls wieder zu seinem Quadrat und tanzte weiter. Aber als er außen um den Kreis herumging, sah er die Frau wieder. Sie lächelte ihn an, und ihm kam es so vor, als sei dieses Lächeln völlig ohne Eitelkeit und Arg ‒ und was vielleicht noch wichtiger war, auch ohne Gier, da die meisten Frauen ihn eher begehrlich ansahen.

Diese grünen Augen jedoch waren voller Lachen, und während er zuschaute, wie sie sich von Garrett herumschubsen ließ, stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass sie sich tatsächlich über das tölpelhafte Tanzen amüsierte, das sie erdulden musste, und in keiner Weise versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erringen.

Das, fand er, war erfrischend anders. Er kannte einige Frauen, die entsetzt auf Garretts Tanzkünste reagiert und das auch laut geäußert hätten. Der Mann war Kriegsveteran und der Krone treu ergeben, und was ihm an gesellschaftlichem Schliff fehlte, machte er zehnfach durch seinen Mut wett. Jared hatte Achtung davor, dass die Frau klaglos mit ihm tanzte.

Er hatte keine Ahnung, wer sie war, aber sein Interesse war geweckt.

Als er jedoch auf die Seite kam, wo er sie vielleicht Wiedersehen konnte, wurde sie von Sir Garretts Körper vollständig verdeckt, und er hatte keine Gelegenheit mehr, sie auf der Tanzfläche zu betrachten. Das bedauerte er sehr.

Kapitel 2

Kurz darauf betrachteten hinten im Ballsaal Ava, Phoebe und Greer den Schuh, den Ava in der Hand hielt.

»Hoffnungslos kaputt«, erklärte Phoebe und schnippte mit dem Finger gegen den Absatz. Der Stein des Anstoßes hing nur noch an einem erschreckend dünnen Stück Seide. »Und ich habe mir solche Mühe gegeben, ihn mit Perlen zu besticken«, schmollte sie.

Was Phoebe an Selbstbewusstsein fehlte, machte sie durch kreativen Eifer wett. Sie verstand es meisterhaft, getragene Kleider und Schuhe durch Stickereien und Perlenbesatz zu wirklichen Originalen zu machen. An Avas Tanzschuhen hatte sie diesen Winter vierzehn Tage lang gearbeitet und winzige Sonnen aus Perlen darauf gesetzt, die zu den goldenen Stickereien auf Avas goldenem Seidenkleid passten. Aus kleinen glitzernden Perlen hatte sie auch den Haarschmuck gewoben, den die drei trugen.

»Der ungeschickte Sir Garrett«, seufzte Ava. »Er hatte keine Ahnung von den Schritten, und statt rückwärts ist er nach vorne gegangen und hat mich von der Tanzfläche gedrückt.«

»Der arme Mann«, sagte Greer. »So hoffnungslos in eine Frau vernarrt zu sein, die nichts von ihm wissen will.«

»Natürlich will ich nichts von ihm wissen«, versetzte Ava und betrachtete traurig ihren Schuh. »Wenn er mir einen Antrag machen würde, würde ich höflich ablehnen und ihm vorschlagen, er solle sich an Miss Holcomb wenden. Sie wäre entzückt über einen Antrag von einem Adeligen.«

»Tante Cassandra hat gesagt, du müsstest jetzt langsam alle ernsthaften Anträge in Erwägung ziehen«, erinnerte Greer sie.

Phoebe und Ava blickten sie an. Greer zog eine Augenbraue hoch.

»Ach ja? Und was hat sie über dich gesagt?«, fragte Ava. »Du bist schließlich nur ein Jahr jünger als ich, und du hattest in dieser Saison einen ernsthaften Antrag, den du abgelehnt hast.«

»Bei mir ist das etwas völlig anderes«, erwiderte Greer ruhig. »Ich kann wohl kaum einwilligen, einen Mann zu heiraten, der noch nicht einmal die Zeitung liest, und Lord Winston hat selber zugegeben, dass er nicht gerne liest. Er hat sogar offen erklärt, Bücher für eine frivole Ausgabe zu halten.«

»Siehst du?«, sagte Ava und schlüpfte mit dem Fuß in den kaputten Schuh. »Meine Rede. Wir können doch keine Anträge von Gentlemen annehmen, die wir nicht jeden Tag unseres Lebens ertragen können. Genau aus diesem Grund kann ich Sir Garretts Antrag nicht akzeptieren.«

»Nein … aber Lord Downey vielleicht«, erwiderte Greer und bezog sich damit auf Tante Cassandras gegenwärtigen Ehemann, Avas und Phoebes Stiefvater.

Ava warf ihrer Kusine einen unwilligen Blick zu. »Zum Glück muss Mutter Lord Downeys Präferenzen nicht zustimmen. Wenn Mutter sich nicht unwohl fühlen würde und heute Abend hier wäre, würde sie dir ins Gedächtnis rufen, dass sie mich nie an Sir Garrett verheiraten würde, da eine Verbindung mit ihm ›weder eine Vernunft- noch eine Liebesheirat‹ wäre«, ahmte sie den Tonfall ihrer Mutter nach.

Greer lächelte ‒ Lady Downey hatte ihnen schon häufig gesagt, dass es bei Eheschließungen strikt nur um Vernunft und Vermögen ginge, und dass nur selten auch Liebe im Spiel sei.

Insgeheim fand Ava allerdings, dass die zweite Ehe ihrer Mutter mit Lord Downey weder auf Vernunft noch auf Gefühlen gründete, und sie verstand den Reiz eines solchen Arrangements nicht. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren gehörte Ava zu den ältesten noch unverheirateten Debütantinnen, aber sie sah trotzdem keinen Grund, überstürzt eine Ehe einzugehen ‒ mit dem Vermögen ihrer Mutter ließ es sich schließlich recht gut leben. Warum sollte man außer Vermögen nicht auch noch auf Zuneigung hoffen? Ava jedenfalls zog es vor, auf einen Mann zu warten, den sie auch lieben konnte.

»Ich glaube nicht, dass Sir Garrett dir heute Abend noch einen Antrag machen wird«, sagte Phoebe. »Und ich glaube auch nicht, dass du heute Abend noch einmal tanzen wirst, denn dein Schuh ist nicht zu reparieren. Am besten setzt du dich zu Lady Purnam, bis sie uns nach Hause bringt.«

Lady Purnam war die engste und liebste Freundin ihrer Mutter und hatte sich sofort bereit erklärt, die drei jungen Frauen zum Ball zu begleiten, als Lady Downey sich nicht wohl zu fühlen begann. Ava, Phoebe und Greer hatten das Angebot nur zögernd angenommen, denn Lady Purnam hielt es aufgrund ihrer Freundschaft mit Lady Downey für ihre Pflicht, sich in ihr Leben einzumischen und ihnen Vorträge über schickliches Betragen zu halten. Sie konnte in dieser Hinsicht sehr ermüdend sein, und der Vorschlag, Ava solle den ganzen Abend über neben ihr sitzen, war mehr, als sie ertragen konnte. »Neben Lady Purnam sitzen und den ganzen Abend ihrem Geplapper lauschen und dabei die Aufmerksamkeit von Sir Garrett genießen? Nein danke, aber da gehe ich lieber zu Fuß nach Hause.«

»Ava, sei nicht albern, du kannst unmöglich zu Fuß gehen. Der Regen ist in Hagel übergegangen, und außerdem ist dein Schuh kaputt«, rief Phoebe ihr ins Gedächtnis.

»Ich kann mir aber nichts Schlimmeres vorstellen, als bei einem Ball auf einem Stuhl sitzen zu müssen, während alle um mich herum tanzen«, erwiderte Ava. »Ich bitte Lady Fontaine, mir einen Lakaien zu schicken, der mich begleitet.« Plötzlich lächelte sie. »Habt ihr den mit den goldenen Haaren und den hübschen braunen Augen gesehen?«

Phoebe schnaubte. »Ein Lakai? Jetzt bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass du übergeschnappt bist.« Sie streckte ihren Arm aus. »Komm schon. Zu Lady Purnam.«

Ava stöhnte schicksalsergeben und ließ sich von Phoebe und Greer durch den Saal führen.

Lady Purnam saß auf einem Thronsessel neben der Tanzfläche und studierte jedes Paar, das vorbeiwalzte, eingehend durch ihre Lorgnette. Sie war entzückt darüber, dass Ava ihr Gesellschaft leistete und winkte einem Lakaien zu, er solle ihnen einen Stuhl bringen.

Widerstrebend ließ Ava sich neben ihr nieder und blickte finster ihrer Schwester und ihrer Kusine nach, die sich zu Miss Holcomb an die Punschschüssel begaben.

»Ach, ein kaputter Schuh?« Lady Purnam beäugte Avas Fuß. »Das ist mir auch einmal passiert, in Ascot. Der Absatz ist abgebrochen, und ich kam nicht mal mehr bis ans Geländer, um mir das Pferderennen zu Ende anzusehen.«

»Was für ein Pech!«

»Es war schreckliches Pech. Lord Purnam war in heller Aufregung, denn sein Hengst lag vorne, bis das Pferd des Königs ihn abdrängte, sodass es stolperte.« Sie drehte sich zu Ava und fügte dramatisch hinzu: »Er hat sich nie davon erholt.«

»Wer? Das Pferd? Oder Lord Purnam?«, fragte Ava unschuldig.

Lady Purnam schnalzte verweisend mit der Zunge. »Das Pferd natürlich!« Sie wandte sich wieder der Tanzfläche zu, ergriff einen Fächer und fächelte ihrem ausladenden Busen Luft zu. »Es ist unangenehm, auf einem Ball einen kaputten Schuh zu haben, nicht wahr? Du kannst nicht tanzen, und wenn dich ein Gentleman auffordert, kannst du nicht sagen, warum du ablehnen musst. Männer sollten von verschmutzten Kleidern, Schuhen und anderen persönlichen Gegenständen nichts hören.«

Ava warf Lady Purnam einen neugierigen Blick zu. »Ich darf einen kaputten Schuh nicht erwähnen?«

»Nein.« Lady Purnam schüttelte den Kopf. »Es schickt sich nicht. Ein Gentleman würde ihn sofort reparieren wollen, und dadurch würde er in direkten Kontakt mit deinem Fuß geraten, der natürlich an deinem Bein hängt, und das würde ihn auf verbotene Gedanken bringen.«

Ava verstand nicht ganz, wieso man beim Anblick eines kaputten Schuhs an etwas anderes als an einen kaputten Schuh denken konnte. »Aber ich …«

»Du kannst höflich ablehnen«, sagte Lady Purnam streng und blickte Ava eindringlich an, »aber du darfst niemals einem Gentleman so einen persönlichen Grund für deine Ablehnung nennen.«

Ach, du lieber Himmel! Lady Purnams Vorstellung von Schicklichkeit kam Ava entschieden zu mittelalterlich vor. Aber Lady Downey hatte ihre Tochter zu äußerster Höflichkeit erzogen, und so lehnte sie sich leise seufzend auf ihrem Stuhl zurück.

»Aufrecht, meine Liebe.« Lady Purnam schlug ihr mit dem Fächer aufs Knie. »Aufrecht, aufrecht«, wiederholte sie bei jedem Schlag.

Ava setzte sich steif und aufrecht hin, die Füße sorgfältig unter dem Saum des Kleides verborgen, die Hände im Schoß gefaltet. Nach einer Weile jedoch wurde ihr entsetzlich langweilig. Sie konnte nicht den ganzen Abend lang so brav dasitzen, also begann sie vorsichtig, Lady Purnam dazu zu überreden, ihre neue Kutsche Vorfahren zu lassen, um Ava nach Hause zu bringen.

Auf der anderen Seite des Ballsaales, an den französischen Türen, die auf die Terrasse führten, standen Middleton und Harrison an einem kleinen Servierwagen mit zahlreichen alkoholischen Getränken. Sie waren gerade aus dem Spielsalon gekommen, wo sie beide erfolgreich gewesen waren. Harrison war zweihundert Pfund reicher, weil er gegen Lord Haverty, einen notorischen Spieler, gewonnen hatte, und Jared hatte eine private Fahrt um den Hyde Park in seiner Kutsche in Begleitung von Lady Tremayne gewonnen. Lady Tremayne war schon seit Monaten auf dieses geheime Treffen aus, und da Jared etwas Whiskey zu sich genommen hatte, erfüllte er ihr diesen Wunsch nur zu gerne.

Er gab Lady Tremayne eine halbe Stunden Zeit, um sich von ihren Freunden und vor allem von ihrem Ehemann loszueisen. In der Zwischenzeit genehmigte er sich mit Harrison im Ballsaal noch etwas zu trinken, bevor Harrison dann an den Spieltisch zurückkehrte. Müßig nippte er an seinem Whiskey, und als er sich im Ballsaal umschaute, fiel sein Blick zufällig auf die Frau, die mit Sir Garrett getanzt hatte. Sie saß neben Lady Purnam und wirkte äußerst missmutig.

Er stieß Harrison an und nickte in ihre Richtung. »Wer ist das?«, fragte er. »Die Frau in Blau, die neben Lady Purnam sitzt.«

»Lady Ava Fairchild«, erwiderte Harrison prompt. Der Mann verblüffte Jared immer wieder. Er schien buchstäblich jeden in der Gesellschaft zu kennen. »Eine der Stieftöchter von Lord Downey.«

Das war nur von geringem Interesse. Lord Downey war nicht die Art von Mann, die Jared jemals als Freund bezeichnet hätte.

»Sie ist seit zwei, vielleicht auch schon drei Jahren in die Gesellschaft eingeführt und gilt als ein wenig kokett.« Er warf Jared einen Seitenblick zu. »Warum interessierst du dich für sie? Du hast doch sonst kein Auge für Debütantinnen.«

Jared zuckte mit den Schultern. »Nur so.« Er blickte an Lady Ava vorbei auf die Menge, und sein Blick blieb dabei leider an Lady Elizabeth hängen. Sie lächelte ihn strahlend an, ebenso wie die anderen Vögelchen um sie herum. »Verflucht«, murmelte er.

Harrison war seinem Blick gefolgt und lachte leise. »Na los, am besten forderst du jetzt irgendeine andere auf, nur nicht sie«, schlug er vor. »Nichts wirkt so abschreckend wie ein Tanz mit einer anderen. Sie können es nämlich nicht ausstehen, wenn sie ignoriert werden.«

Das schien ein weiser Ratschlag zu sein. Jared reichte Harrison sein Glas. »Danke, Sir, das ist eine hervorragende Idee«, sagte er und marschierte auf Lady Ava Fairchild zu.

Lady Purnam kannte er seit Jahren. »Mylady«, sagte er, ergriff ihre Hand und beugte sich darüber, »Eure Schönheit strahlt wie eh und je.«

»Middleton, Ihr alter Schmeichler!«, rief Lady Purnam beglückt aus. »Ich habe Euch ja seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Beinahe musste ich ja schon den Gerüchten Glauben schenken, dass Ihr Euch nicht mehr auf Bällen vergnügt, sondern nur noch mit armen Witwen.«

»Wie herzerfrischend, dass die Gesellschaft immer noch so gut von mir denkt«, versetzte er fröhlich.

Er blickte zu der jungen Frau, die links neben Lady Purnam saß und heiter das Geschehen auf der Tanzfläche verfolgte.

»Oh«, sagte Lady Purnam, die seinem Blick gefolgt war, »verzeiht mir bitte, Lord Middleton. Darf ich Euch Lady Ava Fairchild vorstellen?«

»Ja, gerne«, erwiderte er und schenkte der jungen Frau ein warmes Lächeln.

Lady Ava wandte sich ihm zu und lächelte züchtig, während sie anmutig ihre Hand ausstreckte. »Es ist mir ein Vergnügen, Mylord.«

»Das Vergnügen«, erwiderte Jared, ergriff ihre Hand und drückte seine Lippen auf die Knöchel, »ist ganz auf meiner Seite.«

Sie lächelte schüchtern und blickte weg.

Auch Jared lächelte. Er war geübt im Umgang mit jungen Debütantinnen. »Verzeiht mir, Lady Ava, aber habe ich Euch nicht auf dem Eröffnungsball der Saison gesehen? Ich bin mir ganz sicher, weil so viel Schönheit mir nie unbemerkt bleibt.«

Eine von Lady Avas fein gezeichneten Augenbrauen, hob sich. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Ihr müsst wohl jemand anderen gesehen haben, Mylord, denn ich war gar nicht anwesend.«

»Ach nein?«

»Nein, das kann ich Euch versichern.«

»Aber sicher warst du da, Ava«, warf Lady Purnam nervös ein.

»Nein, ganz gewiss nicht, Lady Purnam«, erwiderte sie und lächelte Jared mit so heiterer Gelassenheit an, dass er einen kurzen Moment lang ein wenig aus dem Gleichgewicht geriet.

»Verzeiht mir, Ihr habt wohl recht«, sagte er. »Denn ich hätte vermutlich keine noch so kleine Einzelheit von Euch vergessen.«

Ihr Lächeln vertiefte sich, und sie errötete ein wenig.

»Ah, sie spielen einen Walzer. Lady Ava, würdet Ihr mir die Ehre erweisen, diesen Tanz mit mir zu tanzen?«

Lady Purnam schraubte sich fast aus ihrem Stuhl, so eindringlich blickte sie Lady Ava an, aber Lady Ava sagte nur liebenswürdig: »Danke, Mylord … aber leider muss ich ablehnen.«

»Ach ja? Wenn Ihr Walzer nicht mögt …«

»Oh doch, Sir, sehr sogar.«

Lady Purnam klappte den Mund auf und zu wie ein großer Fisch, der etwas sagen will, aber keine Worte findet. »Du meinst doch sicher, du fühlst dich nicht wohl, meine Liebe, nicht wahr?«, sagte sie zu der jungen Frau und warf ihr einen leise drohenden Blick zu.

Lady Ava lächelte die ältere Frau an. »Oh, nein, mir geht es sehr gut.«

Jared war sprachlos. Er konnte sich nicht erinnern, jemals von einer Frau einen Korb bekommen zu haben. Vor allem nicht vor Publikum. Und jetzt war er, vor den Augen der Gesellschaft, direkt abgewiesen worden.

»Dann vielleicht ein anderes Mal«, sagte er und verbeugte sich. »Es war mir ein Vergnügen, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben.«

»Danke.«

»Lady Purnam.«

Lady Purnam schenkte ihm ein gequältes Lächeln. »Mylord, ich glaube, das war ein tragisches Missverständnis …«

»Nein, keineswegs, Lady Purnam«, erwiderte er höflich und verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken. Er war ein wenig ernüchtert, aber seltsamerweise war es die interessanteste Erfahrung, die er seit Jahren in einem Ballsaal gemacht hatte.

Er hatte jedoch genug von Ballsälen und beschloss deshalb, auf Lady Tremayne in der bequemen Abgeschiedenheit seiner Kutsche zu warten. Das war doch wenigstens eine Frau, die seine Aufmerksamkeit zu schätzen wusste.

Lady Purnam warf Ava einen finsteren Blick zu. »Was ist los mit dir?«, zischte sie, als Middleton verschwand.

»Mein Schuh ist kaputt …«

»Ja, ich weiß, dass dein Schuh kaputt ist, du kleine Närrin, aber du hast gerade den Marquis von Middleton abgewiesen!«

»Aber ich kann doch unmöglich tanzen!«

»Nein, aber du hättest es ihm ja wenigstens erklären können.«

Natürlich hätte sie das gekonnt, und sie wusste eigentlich auch nicht genau, warum sie es nicht getan hatte, aber ihr spukte im Kopf herum, was Greer über Middleton gesagt hatte und dazu noch Lady Purnams Anweisung. »Verzeiht, Lady Purnam, aber Ihr habt mir doch gesagt …«

»Du meine Güte!« Lady Purnam fächelte sich so heftig Luft zu, dass die Federn in ihrem Haar beinahe wegflogen. »Das habe ich deiner Mutter auch schon gesagt ‒ manchmal bist du wirklich zu begriffsstutzig, Ava. Ja, natürlich habe ich dir geraten, nicht zu persönlich zu werden, aber du solltest doch nicht den Marquis von Middleton beleidigen.«

»Ich habe ihn doch nicht beleidigt!«, protestierte Ava. »Zumindest habe ich es nicht so gemeint. Wirklich, am liebsten hätte ich mir die Schuhe ausgezogen und mit ihm getanzt, aber Ihr habt es mir ja ausdrücklich verboten.«

»Oh!«, rief Lady Purnam empört aus. »Du weißt sehr wohl, wie ich es gemeint habe.« Sie stieß einen gereizten Seufzer aus. »Dass ich das miterleben muss, dass du die fraglos beste Partie in London abweist ‒ hast du überhaupt eine Ahnung von seinem Vermögen?«

Nein, aber Lady Purnam würde sie sicher aufklären, dachte Ava. Bevor sie jedoch dazu kam, ergriff sie lieber die Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen. »Darf ich denn jetzt in Eurer Kutsche nach Hause fahren? Ich könnte es nicht ertragen, ihn nach meiner taktlosen Bemerkung noch einmal zu sehen«, sagte sie.

»Ja, meine Liebe, fahr sofort nach Hause und berichte deiner Mutter, was du getan hast. Hoffentlich weiß sie, wie der Schaden zu beheben ist, denn ich kann ganz gewiss nichts daran machen«, erklärte Lady Purnam und winkte einem Lakaien.

Ava hatte vor, es ihrer Mutter zu erzählen. Sie konnte es sogar kaum erwarten, mit ihrer Mutter darüber zu sprechen. Lady Purnam ließ sich viel zu sehr von Kleinigkeiten beeindrucken. Sie hatte Middleton nicht beleidigt, sondern sich einfach nur nicht davon beeindrucken lassen, dass er sie mit einem Lächeln verführen wollte. Zugegeben, bei seinem Lächeln konnten einem die Knie weich werden, aber das gehörte nicht hierhin.

Und so stand Ava, nachdem sie Phoebe und Greer Bescheid gesagt hatte, eine Viertelstunde später in ihrem Umhang in der Eingangshalle und wartete darauf, dass die neue Kalesche von Lady Purnam vorgefahren wurde.

Kurz darauf trat der Lakai auf sie zu. Er brachte einen kalten Windstoß mit. »Das Wetter ist umgeschlagen, Mylady«, sagte der Mann entschuldigend. »Ungewöhnlich für diese Jahreszeit.«

»Da kann man nichts machen«, entgegnete Ava und spähte hinaus. Nicht weniger als drei Kutschen mit Wappen standen vor dem Haus, Zeugen für die Qualität der Gäste bei Lady Fontaine.

Leider sah Lady Purnams prächtige neue Kutsche genauso aus wie die anderen beiden, und Ava konnte sich nicht daran erinnern, wie ihr Wappen aussah.

»Welche ist Lady Purnams Kutsche?«, fragte sie.

»Diese dort«, erwiderte der Lakai und zeigte auf alle drei Kutschen. »Die mit dem Vogel im Wappen.«

»Oh ja, natürlich«, murmelte Ava und trat nach draußen. Aus dem Hagel war Schnee geworden und dicke nasse Flocken erschwerten die Sicht.

Ein zweiter Lakai hob eine Laterne. »Mylady«, sagte er und bedeutete ihr, ihm zu folgen.

So schnell es ihr kaputter Schuh erlaubte, lief Ava hinaus. Als sie sich der ersten Kutsche näherte, sprang der Kutscher vom Bock und riss ihr die Tür auf. Ava konnte nur einen kurzen Blick auf das Wappen werfen, aber sie sah einen Adler, der einen Ast in den Fängen trug. Der Kutscher streckte ihr die Hand entgegen, und sie ergriff sie, um rasch einzusteigen. Der Sitz war dick mit dunkelrotem Samt gepolstert, und die mit Seide bespannten Wände wiesen die gleiche Farbe auf. Die Vorhänge, ebenfalls aus Seide, waren zugezogen.

»Unter dem Sitz liegt eine Decke, Mylady«, sagte der Kutscher hastig und schloss die Tür, um sich wieder unter seine dicken Felle zu begeben. Ava saß in völliger Dunkelheit da.

»Verflucht!«, murmelte Ava und bückte sich nach der Decke. Plötzlich setzte sich die Kutsche in Bewegung, und Ava wurde nach vorne geschleudert. Instinktiv streckte sie die Hand aus, um sich auf der gegenüberliegenden Bank abzustützen, aber statt auf das Samtpolster traf sie auf einen menschlichen Körper.

Mit einem Schrei sprang Ava auf. Im gleichen Moment wurde ein Streichholz entzündet, in dessen Schein sie den Marquis von Middleton erblickte. Keuchend rang sie nach Luft. Offensichtlich hatte er es sich auf der Bank bequem gemacht, seine Schulter lehnte an der seidenbespannten Wand, ein Fuß stand auf dem Boden, aber den anderen stellte er nachlässig auf den Samt, als er jetzt nach oben griff und die Innenlampe entzündete.

Es dauerte ein wenig, bis Ava ihre Stimme wiederfand. »Was … macht Ihr in Lady Purnams Kutsche?«, fragte sie und drückte ihre Hand auf ihr heftig klopfendes Herz.

»Ich bin nicht in Lady Purnams Kutsche. Das ist meine Kutsche.«

Langsam sickerten die Worte in ihr Bewusstsein, und schließlich begriff Ava, dass sie in der falschen Kutsche saß. »Ach, du lieber Himmel!«, rief sie verlegen aus und wandte sich zur Tür. Middleton hielt sie jedoch auf, indem er seinen Stiefel auf den Türgriff setzte.

»Wenn Ihr Euch in meine Kutsche geschlichen habt, um Euch dafür zu entschuldigen, dass Ihr mich vor allen Leuten abgewiesen habt, nehme ich die Entschuldigung an.«

Ava blinzelte. »Ich wollte mich nicht entschuldigen.« Middleton zog eine Augenbraue hoch. »Du liebe Güte«, murmelte sie. »Mylord, ich habe einen schrecklichen Fehler begangen.«

Er lächelte selbstgefällig.

»Ich meine, ich wollte in Lady Purnams Kutsche steigen, und der Lakai hat gesagt, es sei ein Vogel im Wappen, aber da ich keine Ahnung habe, wie Lady Purnams Wappen aussieht, habe ich nur den Adler gesehen …«, erklärte sie und deutete vage auf seine Tür. »Aber mittlerweile scheint mir, dass in ihrem Wappen eher eine Nachtigall ist…« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Schuh ist kaputt«, fügte sie hinzu und streckte ihm ihren Fuß hin, damit er sich davon überzeugen konnte.

Er betrachtete ihren Fuß.

»Und Lady Purnam hat gesagt, ihre Kutsche würde mich nach Hause bringen. Ihr seht also, es ist alles ein unglückseliger Irrtum. Würdet Ihr bitte Eurem Kutscher sagen, er soll anhalten, damit ich aussteigen kann?«

Middleton schwieg und lümmelte sich weiter so nachlässig auf der Sitzbank.

»Mylord …«

»Könnt Ihr meine Neugier befriedigen? Warum habt Ihr mir einen Korb gegeben?«, fragte er. »Habe ich Euch etwas getan? Euch missfallen? Euch ignoriert?«

Ava öffnete schon den Mund, um ihm zu versichern, dass dies nicht der Fall sei, als ihr auf einmal auffiel, dass ihre Zurückweisung ihn verletzt hatte. Lord Middleton, an dessen Frackschößen ganze Trauben von Frauen hingen, war verletzt, weil sie es abgelehnt hatte, mit ihm zu tanzen.

Sie hätte diesem Gedanken gerne noch weiter nachgehangen, aber die Kutsche fuhr immer schneller, und plötzlich fiel ihr ein, was Greer über ihn gesagt hatte. Erneut streckte sie die Hand nach dem Türgriff aus, aber Middletons Stiefel war fest dagegen gedrückt. »Wollt Ihr aus einer fahrenden Kutsche springen?«

»Wenn es sein muss«, entgegnete sie. »Ich sollte eigentlich in Lady Purnams Kutsche sein.«

»Zuerst weigert Ihr Euch, mit mir zu tanzen, und dann wollt Ihr auch noch aus einer fahrenden Kutsche springen. Lady Ava, ich beginne zu glauben, dass Ihr keinen Wert auf meine Gesellschaft legt.«

»Ich kenne Euch doch gar nicht, Mylord, deshalb habe ich dazu auch keine Meinung. Das müsst Ihr nicht denken.«

»Nein? Was denn?«

»Mein Schuh ist kaputt, wie ich Euch gezeigt habe. Ich konnte doch gar nicht tanzen.«

»Warum habt Ihr das denn nicht einfach gesagt?«

Da hatte er recht, aber sie konnte doch nicht zugeben, dass es an Lady Purnams Verbot oder an seinem Ruf lag … »Vermutlich habe ich gedacht, dass eine höfliche Ablehnung ausreicht«, erwiderte sie spröde. »Würdet Ihr jetzt bitte Euren Kutscher anhalten lassen?«

»Das halte ich nicht für ratsam«, sagte er beinahe fröhlich. »Vermutlich haben zahlreiche Gäste von Lady Fontaine mitbekommen, dass Ihr mich im Ballsaal abgewiesen habt. Und jetzt stehen vermutlich mindestens ebenso viele Gäste unter dem Portal, weil sie aufbrechen wollen, bevor es noch heftiger schneit und die Straßen unpassierbar werden. Denkt doch nur an die endlosen Spekulationen über Eure intakte Jungfräulichkeit, wenn ihr aus meiner Kutsche steigt und zu Lady Purnams Kutsche lauft.«

Ach, du lieber Himmel, er hatte recht. Ava biss sich auf die Lippe und blickte zur Tür. Middleton lächelte sie äußerst selbstzufrieden an.

Er genoss die skandalösen Lügen, die sicherlich in diesem Moment bereits verbreitet wurden, der Schuft. »Ich werde Euch natürlich sofort nach Hause bringen«, erklärte er. »Um Euren guten Ruf zu schützen.«

So, wie er es sagte, hörte es sich an, als ob er das genaue Gegenteil meinte. Du liebe Güte, sie konnte sich lebhaft vorstellen, was Lord Downey oder ihre Mutter sagen würde! Zweifellos würden sie von ihr erwarten, dass sie sofort seine Kutsche verlassen würde.

»Vielleicht hat sich ja die Menge auch schon aufgelöst, wenn wir einmal um den Hyde Park herumgefahren sind«, schlug er vor. »Dann könnt Ihr in aller Ruhe die Kutsche wechseln.«

»Hyde Park?«, echote sie mit schwacher Stimme.

Er grinste wölfisch. »Verzeiht mir, Lady Ava, aber ich habe jemand anderen erwartet. Mein Kutscher weiß nichts von zwei attraktiven Gästen.«

Ava errötete, zugleich jedoch überlief sie ein Schauer der Vorfreude. Vielleicht war es aber auch Angst.

Ehrlich gesagt wusste sie nicht genau, was sie empfand, abgesehen von einer überwältigenden Neugier.

Er ergriff den Saum ihres Umhangs, so beiläufig, als sei es sein eigener, und rieb ihn zwischen den Fingern. »Wie ist denn Eure Adresse? Oder beabsichtigt Ihr, mit zu mir zu kommen?«, fragte er.

Erneut wurde sie rot. »Clifford Street vierzehn. Danke.«

Er lächelte, als habe er nichts anderes erwartet, öffnete die kleine Klappe, durch die er mit dem Kutscher reden konnte, und sagte: »Clifford Street vierzehn.«

Ava lächelte gepresst und faltete die Hände fest in ihrem Schoß.

Er schloss die Klappe wieder und setzte sich aufrecht hin, wobei seine Beine an ihre stießen. Ava presste ihre Beine zusammen und zupfte an ihren Röcken, damit er sie nicht berührte.

Lächelnd beugte er sich vor und blickte ihr in die Augen. »Wollt Ihr wissen, warum Ihr meiner Meinung nach meine Aufforderung zum Tanzen abgelehnt habt?«

Nein. Ja. Nein, nein … »Warum?«

»Weil Ihr Euch mit mir messen wollt. Ihr flirtet gerne, nicht wahr, Lady Ava? Ihr spielt gerne die Kokette, hmm?«

Sie unterdrückte ein leises, überraschtes Lachen. Dieser Mann, der einer der begehrtesten Junggesellen in England war, glaubte, sie hätte ihn abgewiesen, um mit ihm zu flirten? Sein Ego war wohl ebenso groß wie zerbrechlich, und diese Erkenntnis gab ihr eine gewisse Sicherheit. »Ja, ich flirte schon ein wenig … mit manchen Leuten«, erwiderte sie lächelnd.

»Was für Leuten?«

Sie zuckte die Schultern. »Mit Freunden.«

»Aber nicht mit mir, wollt Ihr das damit sagen?«

»Oh nein, nicht mit Euch.«

»Warum nicht?«

»Weil… wenn ich mit Euch flirten würde, Mylord, würdet Ihr bestimmt denken, dass wir besser miteinander bekannt sind.«

Er beugte sich vor. »Ach ja?«

Ava wich ein wenig zurück. »Aber natürlich. Ihr seid viel zu sehr daran gewöhnt, mit dem anderen Geschlecht in Gänze zu flirten ‒ jedenfalls, wenn man dem Glauben schenken kann, was in den Zeitungen steht oder in den Salons getuschelt wird. Meine ablehnende Antwort würde Euch sicher enttäuschen.«

»Und das wisst Ihr vom anderen Geschlecht in Gänze, was?« Er schmunzelte. »Das sind aber viele, nicht wahr?«

»Nicht in Gänze, denn mich könnt Ihr nicht dazurechnen.«

Er lächelte, als ob sie eine Art Spiel spielten. »Habe ich so einen schlechten Ruf?«

Seine dunkelbraunen Augen, dachte sie, hatten die Farbe der Hügel um Bingley Hall, wo sie ihre Kindheit verlebt hatte, im Herbst. Schöne Augen, wirklich. »Ich glaube, Ihr seid kokett, Sir. Ihr kennt vermutlich Euren Ruf wesentlich besser als ich.«

Sein Lächeln vertiefte sich, und er neigte den Kopf. »Na gut, das gebe ich zu. Aber ich möchte gerne wissen ‒ wenn es stimmt, dass ich eine solche Wirkung auf das schöne Geschlecht in seiner Gänze habe … warum Ihr Euch dann nicht dazu zählt?«

»Ich ziehe es vermutlich vor, dass sich die Bewunderung auf mich richtet… anstatt diejenige zu sein, die bewundern muss.«

Er lachte ein tiefes, melodisches Lachen, bei dem Ava ein Schauer des Entzückens über den Rücken lief. »Wie aufrichtig von Euch.«

»Ich bin immer aufrichtig, Mylord.«

»Dann richte ich meine Bewunderung auf Euch, Lady Ava, damit Ihr mich nicht wieder in aller Öffentlichkeit abweist. Aber zuerst müsst Ihr mir sagen«, fügte er hinzu und beugte sich so weit vor, dass ihr Gesicht nur noch Millimeter von ihrem entfernt war, »zieht Ihr es vor, in Worten … oder in Taten bewundert zu werden?«

Ihr Herz schlug schneller bei der Frage, und Ava sank zurück in die Polster. Jetzt bedauerte sie es, so offen geflirtet zu haben. »Ich weiß nicht, was Ihr meint.«

Middleton stieß sie spielerisch mit dem Knie an. »Na, wer ist jetzt kokett?«

Und bevor sie antworten konnte, bewegte er sich so weit vor, dass er sie küssen konnte. Ava keuchte überrascht auf. Er lächelte sie jungenhaft an, und ihr Bauch zog sich ein wenig zusammen.

»Ich habe Eure aufrichtige Antwort nicht gehört, Madam. Wie zieht Ihr Eure Bewunderung vor? In Worten … oder in Taten?«

Ihr Körper schmolz dahin. Sie konnte sich gut vorstellen, warum Frauen dem Zauber dieses Mannes erlagen ‒ diese Augen zogen sie in ihren Bann, und seine Lippen waren so verführerisch, dass sie fürchtete, hier auf der Stelle einen Skandal zu verursachen.

Sie blickte auf seinen Mund und fragte sich einen wahnsinnigen Augenblick lang, ob er wohl tatsächlich vorhatte, sie zu küssen. Ein Kuss von Middleton! Es gab nur einen Weg, dieser Herausforderung zu begegnen. »In Taten«, flüsterte sie und hielt den Atem an.

»Braves Mädchen«, murmelte er und senkte seine Lippen über ihren Mund, bis sie nur noch um Haaresbreite davon entfernt waren. Dort hielt er inne, und Ava bereitete sich darauf vor, geküsst zu werden, indem sie leicht ihr Kinn hob.

Aber der Mann überraschte sie. Statt sie zu küssen, leckte er über ihre Lippen. Mit der Zungenspitze fuhr er langsam an ihren Lippen entlang, und Ava erstarrte. Noch nie hatte jemand so etwas Sinnliches, Dekadentes mit ihr gemacht, und es erregte sie so, dass sie unwillkürlich einen leisen Seufzer ausstieß.

Seine Finger schlossen sich um ihr Kinn, und er drehte ihren Kopf so, dass er ihre Unterlippe zwischen seine Zähne ziehen konnte. Zugleich drückte seine Hand auf ihren Rücken, schob sie nach vorne, und seine Zunge glitt in ihren Mund.

Ava hatte das Gefühl, zu fallen. Sie ließ sich in seine Umarmung ziehen, öffnete ihren Mund und schlang ihren Arm um seine Taille.

Er küsste sie so gründlich, dass ihr in ihrem Umhang unangenehm warm wurde, und sie löste mit der freien Hand den Verschluss und ließ ihn von den Schultern fallen. Seine Hand glitt über ihre Schulter und dann über ihren Ausschnitt zu ihrem Busen. Er umfasste ihre Brust, und seine Finger berührten die Spitze.

Ava keuchte auf, aber er hatte sie schon hinuntergedrückt, sodass sie mit dem Rücken auf dem Sitz lag. Seine Hände erkundeten ihren Körper, seine Lippen zogen eine nasse Spur zu ihrem Busen, und sein Mund drückte sich auf die Rundung ihrer Brüste.

Als er eine Brust aus ihrem Stoffgefängnis befreite, geriet Ava in Panik und versuchte, sich aufzusetzen ‒ aber dann nahm er die Spitze ihrer Brust in den Mund, und sie sank wieder zurück auf die Polster und schloss die Augen vor dem Sturm, der in ihrem Körper wütete.

Und dann blieb die Kutsche plötzlich stehen.

Middleton hielt inne und blickte zur Tür. Seufzend schob er ihre Brust wieder zurück in ihr Kleid und küsste sie auf die Halsgrube. Er richtete sich auf, drückte ihr rasch noch einen Kuss auf die Lippen und zog auch sie hoch, wobei er ihr den Umhang wieder um die Schultern legte. Dann setzte er sich in aller Seelenruhe wieder auf die gegenüberliegende Sitzbank.

Ava saß da wie erstarrt. Als die Tür der Kutsche aufging, blickte sie hinaus in die verschneite Nacht, dann warf sie Middleton einen Blick zu.

Lächelnd ergriff er ihre Hand, führte sie an seinen Mund, küsste ihre Knöchel und ließ sie wieder los. »Passt in Zukunft besser auf, wenn ihr einen Mann abweist, der mit euch tanzen will, Lady Ava«, sagte er augenzwinkernd.

Anscheinend hatte ihr Verstand sie im Stich gelassen, denn alles, was Ava hervorbrachte, war »Danke«. Mit weichen Knien stieg sie, unter beträchtlicher Mithilfe des Kutschers, aus dem Wagen. Als sie auf festem Boden stand, zog sie sich die Kapuze über die Haare und blickte zurück.

Der Marquis hatte sich vorgebeugt und lächelte ihr durch die offene Tür zu. »Gute Nacht, Lady Ava. Es war mir ein Vergnügen.« Er blickte zum Kutscher. »Bring sie sicher zur Haustür, Phillip«, sagte er und lehnte sich zurück, sodass nur noch seine langen Beine zu sehen waren.

Der Kutscher schlug die Tür zu und bot ihr seinen Arm. »Bitte sehr, Mylady.«

Ava legte ihre Hand auf den Arm des Mannes und humpelte zur Tür. In Gedanken jedoch war sie nicht bei ihrem kaputten Schuh.

Als sie im Haus stand und die Kutsche in der Nacht verschwunden war, schlüpfte Ava aus dem Schuh. Sie lächelte leise. Sie konnte es kaum erwarten, ihrer Mutter zu erzählen, was ihr passiert war. Nun ja, zumindest fast alles, was ihr passiert war ‒ so dumm war sie nun auch wieder nicht.

Aber ihr verträumtes Lächeln hielt nicht lange an, denn noch bevor sie sich ihres Umhangs entledigen konnte, stürzte ihr Stiefvater in die Eingangshalle. Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst. Einen Moment lang dachte Ava, er hätte irgendwie von ihrer Fahrt in Middletons Kutsche erfahren und wollte sie dafür ausschimpfen. Stattdessen jedoch ergriff er ihre Hand.

»Ava«, sagte er.

»Ja, Sir?«, fragte sie überrascht.

»Deine liebe Mutter hat nach dem Abendessen einen Schlaganfall erlitten. Ich muss dir leider sagen, dass der Arzt keine große Hoffnung hat.«

Kapitel 3