In den Händen des Eroberers - Terri Brisbin - E-Book
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In den Händen des Eroberers E-Book

Terri Brisbin

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Beschreibung

Lady Fayth trifft die Wahrheit wie ein Schlag. Sie muss den normannischen Eroberer Giles Fitzhenry heiraten. Wenn sie sich weigert, wird ihr Volk leiden. Als Erbin von Taerwood setzt Fayth alles daran, ihr Land zu beschützen - und ihren neuen Ehemann auf Abstand zu halten. Vergebens! Denn jeder Blick in seine strahlend blauen Augen zieht sie stärker in seinen Bann. Doch wie weit darf sie gehen? Schließlich unterstützt sie heimlich seine ärgsten Feinde!

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Seitenzahl: 370

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IMPRESSUM

In den Händen des Eroberers erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: Historical Herzensbrecher, Band 6 (3) 2019

© 2009 by Theresa S. Brisbin Originaltitel: „The Conqueror’s Lady“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICALBand 301 - 2013 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Nina Hawranke

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733759452

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

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PROLOG

Hastings, England

14. Oktober 1066

Der Herzog der Normandie ließ seinen Blick über die weiten, wogenden Felder schweifen, die sich vor ihm ausbreiteten, und nickte seinen Heerführern zu. Er fühlte sich zufrieden wie eine satte Katze bei dem Gedanken, dass er all das, was sein Auge erblickte, nun als König beherrschte – all das und noch so viel mehr. Viel, viel mehr. Freudige Erregung überkam ihn, als er sich die Gesichter der Witan vorstellte, der höchsten angelsächsischen Amts- und Würdenträger, nun da er ihren gesalbten König und dessen Heerscharen besiegt hatte. Erst das Räuspern der Männer gemahnte ihn daran, dass noch einige Aufgaben vor ihm lagen. Die Schlacht um England schritt zu seinen Gunsten voran, war aber noch nicht geschlagen.

William wandte sich um und begegnete den erwartungsvollen Blicken seiner Heerführer, die ein wenig abseits von ihm und seinem Zelt standen. Diese Männer und alle, die als Fußsoldaten, berittene Ritter und Bogenschützen unter ihnen kämpften, warteten auf seine Befehle. Und auf die Entlohnung für die gelungene Invasion. Schon scharten sich die Aasgeier um das Schlachtfeld, um sich an den Toten und Sterbenden gütlich zu tun.

„Es wird Tage dauern, bis das Schlachtfeld geräumt ist“, sagte Vater Obert, Williams Geistlicher.

„Die dort …“, William nickte in Richtung der Männer aus Normandie, Bretagne, Frankreich sowie aus den Provinzen Poitou und Maine, die sich vor seinem Zelt sammelten, „scheinen aber nicht gewillt, tagelang zu warten, Obert.“

William stellte seinen Trinkbecher auf dem Tisch ab und streckte die Hand nach dem Pergament aus, das Obert für ihn vorbereitet hatte. In dem Schriftstück waren die wichtigsten englischen Güter und Festungsanlagen aufgeführt, zusammen mit den Namen der Männer, die in den Genuss von Williams Großzügigkeit kommen sollten. Sofern er, William, dem zustimmte. Er überflog die Liste. Mit einigen der Namen hatte er bereits gerechnet; dann jedoch las er welche, an deren Stelle er eher die seiner engsten Ratgeber und Befehlshaber erwartet hätte.

„Wer ist der Mann, der namenlose Krieger mit solchem Lohn bedacht sehen will?“ William hatte so eine Ahnung, wer das sein könnte. Aber bevor er Land und Titel an irgendwelche Nichtskönner vergab, wollte er zumindest begreifen, warum er das tat.

„Wie immer, Sire, ist es der Bischof, der darüber wacht, dass Eure Interessen gewahrt werden.“ Obert wich Williams Blick aus, indem er den Kopf neigte.

Odo. Williams Halbbruder und Bischof von Bayeux. Er hätte gleich merken müssen, wessen Handschrift diese Liste trug.

„Ah, der Bischof, stets um mein Wohlergehen bemüht.“ Die Worte, treffend und doch von leichtem Spott durchzogen, entlockten Obert ein abfälliges Schnauben. Obert entging kaum eine der Intrigen, die das Leben bei Hofe färbten – und die von der Normandie mit nach England übergesetzt waren. Es war einer der Gründe dafür, dass Obert unerlässlich für ihn war. „Das dürfte all denen gegen den Strich gehen, die lange Jahre schon an meiner Seite stehen und Leib und Leben für mich riskiert haben. Nur um nun mit ansehen zu müssen, wie ihnen die saftigsten Bissen vor der Nase weggeschnappt werden“, wandte William ein.

Drei Namen fielen ihm ins Auge, und er wusste, dass selbst die Väter dieser Männer die Entscheidung beanstanden würden. Wobei die Beanstandung natürlich in höfliche Worte gehüllt daherkäme, auf dass nicht der eigentliche Grund für den väterlichen Groll durchschimmere – dass sie nämlich das Land für sich selbst oder zumindest ihre legitime Nachkommenschaft wollten und es nicht ihren Bastarden gönnten. William lächelte, offenbar recht grimmig, denn Obert wich zurück und blieb stumm. Das war selten der Fall angesichts einer so offenen Einladung, seine Gedanken frei auszusprechen.

„Gewiss habt Ihr einen guten Rat für mich, Vater“, versuchte William Obert die Worte zu entlocken, die diesem auf der Zunge liegen mussten.

„Mylord, es ist nicht im Geringsten gesichert, dass die betreffenden Güter überhaupt eingenommen werden können. Vermutlich wird es sogar überaus gefährlich sein. Gut möglich, dass der Versuch, sie in Eurem Namen zu beanspruchen, mit dem Leben bezahlt wird. Welch ein Risiko es doch für Eure treuesten Untergebenen darstellen würde, das Leben ihrer Nachkommen derart aufs Spiel zu setzen.“

William richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sodass sein Kopf fast das Zeltdach berührte, und nickte. „Eine interessante Sichtweise, Obert“, entgegnete er. Dann ging er zur Zeltklappe, hob sie an und bat die Wartenden mit einer Geste herein. „Und ein überzeugendes Argument, dass auch die lautesten Stimmen zumindest für eine Weile ruhig stellen sollte.“

„Ganz wir Ihr meint, Euer Gnaden.“ Obert trat neben ihn, und gemeinsam warteten sie darauf, dass die edelsten, reichsten und mächtigsten unter Williams Getreuen eintraten. „Warum einen legitimen Erben für ein solch riskantes Unterfangen opfern, wenn ein Bastard genauso geeignet ist?“

Jeder andere hätte solche Worte nicht überlebt, und viele hatten in der Vergangenheit bereits erfahren, wie teuer sich William derlei Bemerkungen bezahlen ließ. Obert aber sprach die Worte mit einer Ironie aus, die William nur zu gut verstand – die Worte gingen von Bastard zu Bastard. Ihrer beider Leben und Position fußte auf eben diesem, von Obert formulierten Argument. William blickte auf die Gefallenen, die auf dem Schlachtfeld zu Haufen aufgeschichtet wurden, und nickte. Seine Männer nannten diesen Ort bereits jetzt Senlac, Blutsee. Und es würde noch sehr viel mehr Blut fließen, bevor er, William, ganz England beherrschte.

Dem Boden unter ihm war es egal, ob das Blut, das er trank, adelig war oder nicht. Den Sand interessierte es nicht, ob der Mann, dessen Leben in ihm versickerte, einen Titel oder auch nur einen Namen besaß. Der Erde zu seinen Füßen war es völlig gleich, ob William einen gerechten Krieg focht oder nicht.

Und auch ihm war es gleich – ihm, William, Herzog der Normandie, einem Bastard, einem Sieger, einem Eroberer. Nur der Erfolg zählte jetzt, und wenn die Männer auf Odos Liste alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatten, dann sollte es so ein. Er verschränkte die Arme vor der Brust und nickte Obert zu, der daraufhin den Beschluss verlas.

Erfolg zählte im Krieg. Nicht Blut.

1. KAPITEL

Sprecht die Worte aus, und Ihr werdet Witwe sein, noch bevor Ihr Gemahlin geworden seid!“, raunte Giles Fitzhenry, zum Ritter erhobener Krieger König Williams, ihr drohend ins Ohr.

Aus der tiefen Wunde über seinem Auge rann ihm Blut über das Gesicht und troff auf die Schulter der Dame, die er hielt. Auf die Erbarmungslosigkeit seines Griffs hatte das jedoch keinen Einfluss. Es würde ihn nur ein Lächeln kosten, ihr die Kehle zuzudrücken, und er schwor erst im Stillen und dann laut, dass er es tun werde, wenn sie das Ehegelübde ausspräche. Giles wandte sich zu der inzwischen verstummten Menschenmenge in der kleinen Kapelle um, sodass das Messer sichtbar wurde, das er der Dame an die Seite hielt – womit er noch einmal deutlich machte, dass sie sterben würde, wenn irgendjemand versuchen sollte einzugreifen.

Seine Braut bewegte sich mit ihm und griff nach seiner Hand, als könne sie ihn so aufhalten. Lady Fayth of Taerford hätte vor seiner Ankunft besser über die Folgen ihres Tuns nachgedacht. Bevor so viele seiner und ihrer Männer dem Kampf um die Burg – und um sie – zum Opfer gefallen waren. Giles nickte Roger zu, woraufhin dieser dem Verbündeten der Dame das Schwert an die Kehle hielt und nur noch auf Lady Fayths Antwort wartete.

„Burg und Ländereien gehören nun mir, so wie Ihr, Mylady. Welche Worte Ihr wählt, entscheidet lediglich darüber, ob er langsam oder schnell stirbt.“ Giles beobachtete, wie die Frau in seinen Armen Blicke mit dem Mann wechselte, der einige Schritte entfernt von Roger festgehalten wurde.

Giles spürte, wie ihr Körper nachgab, noch bevor sie ihre Kapitulation in Worte fasste. Mit all seiner Willenskraft versuchte er, nicht auf die weichen, weiblichen Rundungen in seinem Arm zu achten. Er lockerte seinen Griff für einen kurzen Moment und senkte das Messer, um der Dame Gelegenheit zu geben, ihre Wahl zu treffen. „Also, wollt Ihr ihn statt meiner zum Gemahl nehmen?“, fragte er laut.

„Nein.“ Ihre leise Stimme klang rau in der Totenstille, die sich über die Kapelle gelegt hatte.

Daraufhin umringten Giles’ Männer das Volk und drängten es aus der Kirche. Ohne Lady Fayth gehen zu lassen, nickte Giles erst Roger zu, dem nach ihm Ranghöchsten seiner Männer, und dann dem Mann, den Lady Fayth sich als Gemahl erkoren hatte. „Tötet ihn.“

Der Geistliche protestierte laut, aber die Soldaten beachteten ihn nicht, sondern schickten sich an, Giles’ Befehl auszuführen. Die leise Stimme von Lady Fayth war es, die Giles innehalten ließ.

„Mylord“, setzte sie an und wand sich, um ihm in die Augen blicken zu können. Da sein Griff sie nach wie vor wie Eisenzwingen umschloss, erreichte sie damit nur, dass sein Blut sich noch mehr auf ihrem Umhang verteilte. Erst als Giles seinen Griff lockerte, konnte sie lauter sprechen.

„Ich flehe Euch an, Mylord, ihn trifft keine Schuld, bitte glaubt mir. Habt Erbarmen, Mylord, ich bitte Euch.“ Sie ließ den Kopf nach hinten sinken und bot sich damit seinem Zorn selbst als Opfer dar.

Später würde er sich einzureden versuchen, dass er nur nachgab, weil er dem Blutvergießen ohnehin ein Ende hatte setzen wollen. Er würde sich einreden, dass er den Mann eigentlich gar nicht hatte töten wollen, der sich sicherlich nur von seiner Braut hatte umgarnen und auf ihr Geheiß hin zu dem törichten Plan hatte verleiten lassen, Giles’ Recht auf sie wie auch auf das Anwesen anzufechten. Die Wahrheit aber war, dass er ihr in diesem einen Moment, als ihre Blicke sich trafen, kaum eine Bitte hätte abschlagen können. Hörbar atmete er aus und nickte.

„Bringt ihn und seine Männer zur Grenze meines Grund und Bodens und lasst sie frei“, sagte er für alle vernehmlich. „Und sollten sie künftig auch nur ein einziges Mal in Versuchung kommen, Fuß auf meinen Grund und Boden zu setzen oder sich meiner Gemahlin zu nähern, dann tötet sie, ohne zu zögern.“

Nachdem Roger den Gefangenen aus der Kapelle gezerrt hatte, entließ Giles Lady Fayth aus seinem Griff. Sie rang noch nach Atem, als Giles sie auch schon einem seiner Männer zustieß. Er hatte viel zu tun und keine Zeit, sich weiter mit ihr abzugeben.

„Sucht einen Ort, an dem sie sicher verwahrt ist.“

Fayth fasste sich an die Kehle und wandte sich um, als wolle sie noch etwas einwenden, schwieg dann aber. Ein blutiger Abdruck entstellte ihren Hals, und Giles wusste, dass dort, wo seine schwerterprobten Hände auf ihrer weißen Haut gelegen hatten, Blutergüsse entstehen würden. Doch jede Spur von Mitgefühl schwand, sobald er zwei seiner Männer tot im hinteren Teil der Kapelle entdeckte.

Als Giles erneut ihrem Blick begegnete, sagte der Hass, der im dunklen Grün ihrer Augen blitzte, mehr, als Worte es vermocht hätten. Grimmig lächelte Giles ihr zu und nahm damit die stumme Herausforderung an.

„Niemand legt Hand an sie, es sei denn, auf mein Wort hin“, sagte er.

„Aye, jawohl, Mylord“, entgegnete der Soldat, der Lady Fayth mit sich zog.

Nachdem Giles die Kapelle begutachtet und sichergestellt hatte, dass man sich um die Toten und Verwundeten kümmerte, schritt er zum Wohnturm, um sein neues Zuhause in Augenschein zu nehmen.

Das Blut an ihr roch metallisch. Fayth spürte es klebrig an ihrem Hals, wo Sir Giles’ raue Hände sie umklammert hatten. Es war, als habe er auf diese Art und für alle sichtbar seinen Besitz markiert. Fayth brannte die Kehle und ihre Brust schmerzte von seinem festen Griff. Während sie von seinen Soldaten über den Hof geführt wurde, sah sie, wie man Edmund und seinen Männern Ketten anlegte. Fayth stemmte sich gegen ihren Wärter und blieb stehen, wagte es jedoch nicht, Edmund etwas zuzurufen. Nachdem die Gefangenen in Ketten gelegt waren, zerrten die Soldaten sie über den Hof und durchs Tor hinaus.

Würde sie Edmund je wiedersehen? Würde der neue Lord, ihr künftiger Herr, Wort halten und die Männer gehen lassen? Bei dem Gedanken, ihren Freund aus Kindertagen nie mehr lebend wiederzusehen, musste Fayth gegen Tränen ankämpfen. Wenigstens sein Leben hatte sie retten können, doch damit waren nun alle fort, die sie einst beschützt hatten – und sie stand den Eindringlingen allein gegenüber.

Ein Tumult in der Nähe riss Fayth aus ihren Gedanken, und entsetzt sah sie, wie die Bediensteten und Leibeigenen des Anwesens in dem Gehege zusammengetrieben wurden, in dem für gewöhnlich die Pferde standen. Männer, Frauen und Kinder – Sir Giles’ Männer durchstöberten systematisch ein Gebäude nach dem anderen und zwangen alle, die sie fanden, sich auf dem Hof zu den anderen zu gesellen.

Wollte Sir Giles sie etwa alle töten? Die Menschen riefen angstvoll ihren Namen, die Augen vor Furcht geweitet. Aber was konnte sie schon tun? Sie war doch selbst eine Gefangene.

Als aber einer der normannischen Soldaten die junge Tochter des Kochs zu Boden stieß, konnte Fayth nicht länger tatenlos zusehen. Mit einer Kraft, die sie selbst überraschte, befreite sie sich aus den Klauen ihres Wärters, lief hinüber zu der jungen Ardith und stieß den Soldaten beiseite, fort von dem Mädchen. Sie half Ardith auf die Füße und schickte sie hastig fort. Gerade als ihr Wärter sie erreichte und Ardiths Angreifer wieder auf die Beine kam, wandte Fayth sich um.

Der Mann, der das Mädchen belästigt hatte, stieß Flüche in normannischem Französisch aus, zu grob und zu schnell, als dass Fayth etwas verstanden hätte. Er packte sie vorne am Umhang, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zoll von dem seinen entfernt war. Wut flammte in seinen Augen auf, weil sie ihn bei etwas unterbrochen hatte, das er als sein Recht als Eroberer ansah. Er hob die Faust und holte aus. Sie versuchte, dem Schlag auszuweichen, indem sie sich zur Seite neigte, aber sein Griff war unerbittlich.

In ihrem Kopf explodierte Schmerz, und dann wurde es Nacht um sie.

Vom Fenster seines neuen Gemachs aus betrachtete Giles das Durcheinander unten im Hof. Der großzügige Raum verfügte über einen Kamin, einen Abtritterker und ein Fenster, das den Hof und das Tor überblickte. Die meisten Bewohner der Anlage waren bereits in einem Pferch zusammengetrieben worden, und nur ein paar Nachzügler wurden noch gebracht. Giles’ Männer hatten nun das Tor und alle Wege in ihrer Gewalt, die zum Anwesen führten.

Sie hatten sich den Weg von Hastings vorbei an London bis nach Westen freigekämpft. Dieser Landstrich hatte Harold gehört, dem Earl of Wessex, der bis zu seinem Tod in der Schlacht bei Hastings König von England gewesen war. William hatte auf Eile gedrängt, um ein paar Flüchtige zu verfolgen, die dem Schlachtfeld entkommen waren und nun den Widerstand gegen den normannischen Herzog und rechtmäßigen Herrscher über England organisieren würden. Aus Tagen wurde eine knappe Woche, in der sich beide Seiten ein Scharmützel nach dem anderen lieferten, bis sie schließlich das Lehen erreicht hatten, das Giles versprochen worden war.

Obgleich Giles die Kunde vorausgesandt hatte, dass er kommen werde, um das Anwesen für sich zu beanspruchen, hatten die Lady of Taerford und ihre Verschwörer die hastige Vermählung beinahe zu einem Abschluss gebracht. Giles hatte Taerford gerade noch rechtzeitig einnehmen können. Er lächelte grimmig.

Nun war es sein.

Der Wohnturm war nicht sonderlich groß, genügte aber seinen Ansprüchen. Er verfügte über drei Stockwerke mit mehreren Privatgemächern und einem separaten Küchengebäude. Wohnturm, Küche, Kapelle und verschiedene Wirtschaftsgebäude wurden von einer Palisade umschlossen. Diese war nicht besonders hoch, stellte Giles jedoch zufrieden und würde ihren Zweck erfüllen, bis er das Holz, wie William angeordnet hatte, durch eine Steinmauer ersetzt hatte.

Giles streifte die Kettenhaube ab und sah sich nach etwas um, mit dem er die Blutung stillen konnte. Auf dem Bett fand er ein kleines Leinentuch. Er presste es auf die tiefe Kopfwunde und ging zum Fenster zurück, um nachzusehen, ob seinen Anweisungen Folge geleistet wurde. Zu seinem Leidwesen stellte er fest, dass die Dinge ganz und gar nicht so liefen, wie er befohlen hatte.

Der neueste Soldat in seinem Gefolge hielt ein junges Mädchen fest, und selbst aus dieser Entfernung war die Absicht des Mannes eindeutig. Verflucht sei er! Giles hatte derlei Übergriffe ausdrücklich untersagt, aber dieser Stephen hatte schon während des Kampfes alle Selbstbeherrschung über Bord geworfen, und nun hatte er es ganz offensichtlich auf das Mädchen abgesehen. Giles stürmte aus dem Gemach und die Treppe hinab und erreichte den Hof gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Lady Fayth einschritt.

Bevor Giles ihm Einhalt gebieten konnte, hatte Stephen Lady Fayth schon so fest gepackt, dass er sie buchstäblich von den Füßen hob. Giles befahl ihm laut, sie sofort loszulassen, doch der Lärm im Hof schluckte die Worte. Er rannte los, als Stephen bereits die Faust hob und sie Lady Fayth mit so viel Kraft ins Gesicht donnerte, dass diese bewusstlos zu Boden sank. Mit voller Wucht ließ Giles sich gegen den Soldaten prallen und brachte ihn zu Fall. Ohne auf die Gaffenden zu achten, prügelte er auf den Mann ein, bis jemand ihn wegzerrte.

„André!“, rief er einer der Wachen zu. „Bring Lady Fayth in meine Gemächer. Henri, suche ihre Kammerfrau oder eine Heilerin und sieh zu, dass sie versorgt wird. Und –“, fügte er hinzu, während er sich das erneut fließende Blut von den Lippen wischte, „weiche ja nicht von ihrer Seite.“ Er wandte sich Stephen zu, der immer noch zu seinen Füßen lag. „Ungehorsam und Unbeherrschtheit waren immer schon deine größten Schwächen“, fuhr er ihn an. „Ich habe dich schon einmal gewarnt, aber anscheinend hast du meine Warnung einfach in den Wind geschlagen.“

Giles befahl, Stephen auf die Beine zu helfen, seinen Oberkörper zu entkleiden und ihn an den Zaun zu binden. Eine unheimliche Stille legte sich über den Hof. Alle sahen zu, wie ihr neuer Herr einen der seinen maßregelte. Giles hätte viel darum gegeben, die Strafe nicht hier und jetzt ausführen zu müssen, aber auf Ungehorsam aus den eigenen Reihen musste er sofort antworten, insbesondere in Kriegszeiten. Von seinem Stellvertreter Roger nahm er die Peitsche entgegen. Er tat es nicht leichten Herzens, hatte er doch selbst schon zu spüren bekommen, wie scharf die Hiebe ins Fleisch schnitten. Er aber hatte seine Lektion schnell gelernt und das Leder danach nur noch selten zu spüren bekommen.

Er schritt zum Zaun und ließ seinen Blick über das Volk in der Umfriedung und schließlich über seine Männer gleiten. „Für die Missachtung meiner Befehle wird dieser Mann mit zehn Peitschenhieben bestraft. Zähl mit, Thierry.“

Giles entrollte die Lederschnur und ließ sie durch die Luft schnellen. Viele der Umstehenden zuckten bei dem Knall zusammen, obwohl die Peitsche ihr Opfer noch gar nicht getroffen hatte. Giles trat ein paar Schritte zurück und vollzog dann die von ihm verhängte Strafe. Laut und für alle vernehmlich zählte Thierry mit. Bei jedem Schlag zog Stephen scharf die Luft ein, doch weder schrie er noch krümmte er sich. Bei zehn angekommen, ließ Giles von ihm ab und atmete tief durch.

„Und dafür, dass dieser Mann Hand an Lady Fayth gelegt hat, erhält er zehn weitere Hiebe.“

Diese Ankündigung überraschte die Anwesenden; Giles hörte, wie einige erstaunt nach Luft schnappten. Erneut hob er den Arm und ließ die Peitsche zehn weitere Male niederfahren. Stephens Selbstbeherrschung schwand, bei jedem Hieb stöhnte er auf. Niemand der Umstehenden rührte sich, als es vorbei war, bis Giles schließlich nickte.

„Bindet ihn los, aber lasst ihn dort liegen. Wenn alle Arbeiten erledigt sind, kann sich meinetwegen jemand um seine Wunden kümmern.“

Er sah seinen Männern fest in die Augen, wandte sich um und ging. Zwei seiner Soldaten banden Stephen los und kehrten dann zu den Aufgaben zurück, bei denen der Vorfall sie unterbrochen hatte – und die sie nun wegen der Dummheit und den Gelüsten ihres Kameraden mit einem Mann weniger erledigen mussten.

Giles blickte auf. Die Sonne, bemerkte er, hatte ihren höchsten Stand noch nicht erreicht. Schweiß und Blut rannen ihm übers Gesicht und sickerten unter Kettenhemd und Tunika. Seit kurz nach Sonnenaufgang hatte er gekämpft und war erschöpft. Er stellte noch sicher, dass seine Männer die Situation auf dem Hof im Griff hatten, dann winkte er Thierry zu, ihm in den Wohnturm zu folgen.

Die Tage, die er damit verbracht hatte, sich quer durch England zu kämpfen, hatten ihre Spuren hinterlassen. Giles wünschte sich nichts sehnlicher als ein sicheres Heim, ein heißes Bad und etwas zu essen. Aber der Zustand des Wohnturms wie auch der Aufruhr, der noch immer überall herrschte, sagten ihm, dass sich diese Wünsche heute wohl kaum erfüllen würden.

Und dann musste er sich auch noch seiner Braut stellen.

Fayth versuchte, die Augen zu öffnen, doch allein schon der Versuch ließ ihren Kopf schier bersten. Sie lag ganz still und wartete darauf, dass die Übelkeit abflaute. Reglos lauschte sie den Schritten in der Kammer, die von einer oder auch mehreren Personen stammen mochten. Fayth wollte erneut die Augen öffnen, aber die Wogen des Schmerzes, die ihren Kopf durchzogen, hielten sie ab.

„Mylady?“ Die wispernde Stimme kam Fayth bekannt vor, aber wem sie gehörte, vermochte sie im Augenblick nicht zu sagen. „Mylady?“

Fayth schluckte, einmal und dann noch einmal, brachte aber kein Wort heraus. Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er zerspringen, wenn sie auch nur dazu ansetzte zu sprechen. Doch die Frau, verwünscht sei sie, blieb hartnäckig.

„Ihr müsst aufwachen, Mylady. Er kommt.“

Fayth strich sich mit den Fingern über die Stirn, bis sie die Schwellung spürte. Vorsichtig befühlte sie die Beule und fand in ihr die Erklärung für den Schmerz. Bevor sie die Augen aufschlug, hob sie den Arm, um sich gegen das Sonnenlicht zu wappnen, das hell in die Kammer fiel.

Neben ihr hockte Ardith. Das Gesicht des Mädchens war tränenüberströmt. Panik stand in seinen Augen, während der Blick zwischen Tür und Fayth hin- und herflog. Als die Tür aufging, sprang Ardith auf und wich zur Wand zurück. Fayth folgte ihr mit dem Blick, bis der Schwindel sie erneut übermannte.

„Du solltest dich um ihre Verletzung kümmern. Warum ist sie noch immer mit Blut bedeckt?“

Die Worte, in stockendem Englisch gesprochen, hallten laut durch den Raum. Fayth krampfte sich der Magen zusammen. Ardith brachte vor lauter Angst kein Wort heraus und antwortete nur mit einem leisen Schluchzen. Fayth hätte zu gerne eingegriffen, aber Schmerz und Schwindel machten es unmöglich. Mühsam schaffte sie es schließlich zu sprechen.

„Sie ist mit derlei Aufgaben nicht vertraut“, flüsterte sie und hoffte, dass dieser Einwand genügte. Sofort wogte der Schmerz umso heftiger durch ihren Kopf, und ihr Magen hob sich bedrohlich.

Zum Glück erkannte Ardith, was unausweichlich war, griff einen Eimer, der in der Ecke stand, und hielt ihn Fayth hin, als diese zu würgen begann. Anschließend war Fayth so schwach, dass sie nicht einmal den Kopf heben konnte, und sie hätte in dieser demütigenden Haltung über dem Eimer verharren müssen, wenn nicht zwei starke Hände sie gegriffen und zurück auf die Kissen gelegt hätten.

„Bring das weg“, wies Giles das Mädchen an.

Die Anweisung hatte nicht die gewünschte Wirkung. Ardith kauerte sich lediglich tiefer in die Ecke und zitterte so stark, dass sie beinahe den Eimer, den Stein des Anstoßes, fallen gelassen hätte. Hilflos sah Fayth mit an, wie der Krieger auf das Mädchen zustapfte und dabei auf Normannisch vor sich hinfluchte. Ein Tumult vor der Tür ließ ihn innehalten. Emma kam herein, einen Eimer und saubere Leinentücher in der Hand.

„Mylord“, sagte sie und neigte den Kopf vor Giles, „Ihr verschreckt sie.“ Sie ging um Giles herum und streckte die Hand nach Ardith aus. „Ebenso wie Eure Männer.“

Fayth konnte nichts tun außer zuzusehen, wie ihre alte Magd die Mitbringsel auf dem Tisch ablegte, Ardith den Eimer aus den bebenden Händen nahm und damit zur Tür spazierte, vorbei an einem verblüfften Sir Giles. Dort angekommen, drückte sie den Eimer einem der Soldaten in die Hand und befahl ihm zu gehen. Erst als Sir Giles lauthals loslachte, erwachte der Mann aus seiner Starre.

„Ängstlich scheinst du nicht gerade zu sein, alte Frau. Wie ist dein Name?“

„Emma ist alt, Mylord, bitte …“, flüsterte Fayth. Sie versuchte den Kopf zu heben, um seinen Zorn abzuwehren, der sicherlich folgen würde.

„Alt genug, dass ich Euch den Hintern hätte abwischen können, als ihr noch ein Säugling wart, Mylord“, kam es prompt von Emma, ohne Zögern und ohne jeden Respekt.

Dann stemmte sie auch noch die Hände in die Hüften, was einer Herausforderung gleichkam. Du liebe Güte! Für diese Unverschämtheit würde er sie umbringen. Doch zu ihrem Erstaunen reagierte Sir Giles amüsiert.

„Scheint ganz so, wenn man dein und mein Alter betrachtet.“ Giles lachte und sagte etwas auf Normannisch zu dem Mann, der ihm am nächsten stand. Fayth verstand nichts, weil die Worte geraunt und zu hastig gesprochen waren. Dann war Sir Giles auf einen Schlag wieder ernst. „Lass dir die Heiterkeit nicht zu Kopf steigen, Frau, sie soll dich in deiner Kühnheit keineswegs bestärken.“

Dieses Mal gab Emma sich gefügig und verbeugte sich schweigend. Fayth war an das Gebaren ihrer Magd gewöhnt, aber unter den veränderten Gegebenheiten war nicht auszuschließen, dass selbst harmlos gemeinte Worte und Gesten Anstoß erregten. Nicht dass Emma harmlos war …

„Lady Fayth, gesellt Euch zu mir in die Halle, sobald Ihr Euch dazu in der Lage seht“, befahl Giles auf Englisch, wobei er ihr fest in die Augen sah. „Es gilt Angelegenheiten zu klären, und zwar so schnell wie möglich.“

„Aber, Mylord …“, setzte Emma an.

Mit einer Geste und einem finsteren Blick gebot er ihr zu schweigen. „In der Halle. Hilf ihr, sich herzurichten.“

Emma war so klug, nur zu nicken. Sie ging zum Tisch, um zu tun, wie ihr geheißen. Der neue Lord of Taerford verließ das Gemach und gab im Gehen noch ein paar Anweisungen. Stille füllte den Raum, als sich die Tür hinter ihm schloss. Sobald die drei Frauen alleine waren, beugte sich Emma über Lady Fayth und winkte auch Ardith herbei.

„Ich dachte, er würde dich niederschlagen, Emma. Du darfst ihn nicht verärgern“, mahnte Fayth.

Resolut schüttelte die Magd den Kopf. „Mylady, dieser neue Lord achtet nur den Starken.“ Emma legte einen Arm um Fayths Schultern, um ihr Kraft für das bevorstehende Gespräch zu verleihen. Fayth wusste, es würde schrecklich werden. „Ihr müsst Euch wappnen, Mylady, und seiner Stärke mit der Euren begegnen. Seid so stark, wie Euer Vater das von euch erwartet hätte.“

Fayth wünschte, dass Emmas Zuversicht auch sie von der Wahrheit dieser Worte überzeugen könnte. Aber die fürchterlichen Ereignisse dieses Tages waren ihr noch zu frisch im Gedächtnis; sie auszublenden war unmöglich. Und Sir Giles’ Worte ließen darauf schließen, dass sie und ihr Volk sich noch auf weitere schwerwiegende Veränderungen gefasst machen konnten. Ob Edmund noch lebte? Würde er seine Getreuen um sich sammeln können, um England zurückzuerobern, wie er behauptet hatte?

Fayth war so sehr in ihre Gedanken vertieft, dass es sie vollkommen unvorbereitet traf, als Emma sie aufrichtete. Der Schmerz, den die schwere Kopfverletzung zeitigte, schlug mit voller Wucht zu. Es dauerte mehrere Stunden, bis sie in der Lage war, hinunter in die Halle zu gehen. Fayth war so schwach, dass Emma ihr schließlich zwei Wachen an die Seite rief. Denn, so ermahnte sie ihre Herrin, es sei immer noch besser, die steile Treppe mit fremder Hilfe zu meistern, als sie ohne Hilfe herunterzustürzen.

Ganz darauf konzentriert, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sah Fayth den neuen Lord erst, als sie genau vor ihm stand. Auf sein Stirnrunzeln hin ließen die Soldaten Fayth los und traten zurück. Sie glaubte schon, dass der pulsierende Schmerz in ihrem Kopf sie zu Fall bringen würde, da fiel ihr etwas an dem normannischen Ritter auf. Der Siegelring ihres Vaters – der neue Lord trug ihn an einer Kette um den Hals. Nie im Leben hätte ihr Vater den Ring abgelegt.

Der Ring ihres Vaters.

Fayth sah auf und begegnete Sir Giles’ zufriedenem Blick. Er schaffte es auch ohne Worte, seine Position und seine Ansprüche deutlich zu machen.

Ihr Vater war wahrhaftig tot, und alles, was er einst besessen hatte, gehörte nun diesem Mann.

Die Wahrheit drang in ihr Bewusstsein, aber noch wehrte Fayth sich dagegen. Sie streckte die Hand aus, um den Ring an sich zu bringen, doch als sie nach ihm griff, umschloss Giles ihre Hand mit der seinen und drückte sie.

„Er gehört nun mir. So wie die Burg – und Ihr. König William hat mich zum Baron of Taerford ernannt, und jetzt herrsche ich über die Ländereien, die einst Bertram gehörten. Und über einige weitere.“

Zwar hatte sie Emma versprochen, dem neuen Lord mit all ihrer Stärke zu begegnen, aber in diesem Moment verlor Fayth jeden Halt. Die Halle begann sich zu drehen, und Fayth ergab sich dem Schmerz, der nach ihrem Kopf nun auch ihr Herz erfasst hatte.

Ihr Vater – ihr Vater war tot.

2. KAPITEL

Es vergingen drei Tage, bevor sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete. Den Mann, der sie gefangen genommen hatte, sah sie in dieser Zeit nicht – zumindest nicht bewusst, wenngleich sie sich dunkel an eine tiefe Stimme zu erinnern glaubte, die sie in der ersten Nacht ein paarmal aus dem Schlaf gerissen hatte. Emma erzählte, ein Aderlasser habe geraten, Fayth nie zu lange schlafen zu lassen, oder ihr Geist werde für immer wirr bleiben. Der pochende Schmerz in ihrem Kopf brachte eine Klarheit mit sich, die Fayth sagte, dass diese Befürchtung nicht eingetreten war.

Sie blieb wachsam, immer von der stillen Furcht besessen, sie könne im nächsten Moment hinunter in die Halle gezerrt und mit diesem normannischen Ritter verheiratet werden. Nein, kein Normanne, sagte sie sich, auch wenn er für William den Bastard kämpfte. Sie rieb sich die Stirn, hinter der Schmerz wütete. Der Ritter stamme aus der Bretagne, hatte Emma ihr berichtet, so wie auch die Männer, die an seiner Seite fochten. Seine Herkunft ließ Fayth jedoch keineswegs aufatmen, denn William der Bastard hatte Ergebene aus allen Teilen des Kontinents um sich geschart, um seinen unrechtmäßigen Feldzug zu führen und England unter seine Herrschaft zu zwingen.

So wie Sir Giles die Burg Taerford unter seine Herrschaft gezwungen hatte.

Eine seiner ersten Anweisungen hatte gelautet, dass Fayth in die Gemächer ihres Vaters zu ziehen habe, da der Bretone Gefallen an den ihren gefunden hatte. Fayth selbst blieb die Tür versperrt; die Wachen hielten sie jedes Mal zurück, wenn sie versuchte, ihre Kammer zu verlassen. Aber Emma durfte sich frei auf dem Gelände bewegen. Ardith blieb meist bei Fayth, denn sie fürchtete, erneut die Aufmerksamkeit des Soldaten zu erregen, der sie vor drei Tagen angerührt hatte. Was Emma zu berichten hatte, ließ darauf schließen, dass Giles le Breton die Burg mit eiserner Hand regierte. Er hatte alle Soldaten ihres Vaters durch seine eigenen ersetzt und ließ sämtliche Arbeiten in der Burg und im Dorf ebenfalls von seinen Männern beaufsichtigen – Fayth hingegen ließ er bei all seinen Entscheidungen außen vor.

Sie blinzelte gegen den Schmerz in ihrem Kopf an, der es ihr unmöglich machte, sich auf die Näharbeit in ihrem Schoß zu konzentrieren. Entmutigt ließ sie das Kleid, das sie gerade flickte, in den Korb zu ihren Füßen gleiten und neigte den Kopf in die eine und dann in die andere Richtung, in dem Versuch, sich Erleichterung zu verschaffen.

„Ardith“, sagte sie und winkte das Mädchen zu sich. „Würdest du mir die Zöpfe lösen? Sie sind so schwer.“

Fayth wandte sich so, dass Ardith sich ans Werk machen konnte. Als das Geflecht gelöst war, ebbte der Schmerz tatsächlich ein wenig ab. Fayth schloss die Augen und ließ den Kopf befreit nach vorne sinken. Das Haar floss ihr nun lose über die Schultern, und Fayth genoss die Leichtigkeit und den nachlassenden Schmerz.

Die Stille um sie her wurde ihr erst bewusst, als Ardith scharf die Luft einzog. Fayth hob den Kopf, und ihr Blick traf den ihres Gefängniswärters. Sie hatte nicht gehört, wie sich die Tür geöffnet hatte, doch es war offensichtlich, dass Sir Giles schon eine Weile dort auf der Schwelle stand.

„Sir Giles.“ Fayth weigerte sich, ihm den Titel des Lords zuzugestehen, den er nun für sich beanspruchte, machte aber immerhin Anstalten, sich zu erheben. „Ich habe Euch gar nicht kommen hören.“

Fayth wies Ardith mit einer Geste an, ihr Haar zu richten. Es mochten ihre Gemächer sein, aber in Gegenwart eines Mannes war es dennoch nicht schicklich, sich mit offenem Haar zu zeigen. Schmerzlich zuckte sie zusammen, da Ardith in ihrer nervösen Beflissenheit die Haare straff zusammenzog, zu einem langen Zopf flocht und mit dem Schleier bedeckte. Als die Magd fertig war, wandte sich Fayth Sir Giles zu.

„Geht es Euch gut, Mylady?“, fragte dieser. Der Akzent seiner tiefen Stimme verriet seine Herkunft.

„Ja, im Gegensatz zu …“, setzte Fayth an, brach dann aber ab, weil ihr aufging, wie nichtig ihre Klagen angesichts derer wirken mussten, die ihr Volk vorzubringen hätte.

„Und Euer Kopf?“ Sir Giles nickte ihr fragend zu. „Schmerzt er noch?“ Er trat näher und reichte einem seiner Männer den Helm, den er unter dem Arm trug.

„Es wird besser“, erwiderte sie reserviert. Im Geiste hörte sie Emmas Rat, sich diesem Mann gegenüber stark zu zeigen. Und obwohl Sir Giles ihr Angst einflößte, war sie sich bewusst, dass sie jetzt die Einzige war, die ihr Volk noch beschützen konnte.

Nun, da ihr Vater nicht mehr da war.

Fayth ließ ihren Blick tiefer gleiten und bemerkte, dass Sir Giles noch immer die Kette mit dem Ring trug – wahrscheinlich nur, um deutlich zu machen, dass ihr Vater tot war und nun er, der bretonische Ritter, hier das Sagen hatte.

Als sie wieder aufsah, hatte sein Blick sich verfinstert. Um seinen Mund lag ein harter Zug, die Spannung in der Luft war greifbar. Dann raunte einer der Männer Sir Giles etwas zu, woraufhin dieser nickte, als sei ihm gerade wieder eingefallen, warum er hier war.

„Da es nun auf der Burg und im Dorf wieder sicher ist, dachte ich, dass Euch vielleicht ein wenig Abwechslung willkommen sein würde“, erklärte er an Fayth gewandt. Seine Stimme klang weder warm noch zuvorkommend. Wieder gab es Geflüster von einem der Männer, woraufhin Sir Giles hinzufügte: „Ich weiß, dass Ihr Euch um Euer Volk sorgt, um unser Volk, und ich möchte, dass Ihr Euch davon überzeugt, dass es den Menschen gut geht, nun da ich …“, er hielt inne und suchte nach den passenden Worten, „… hier bin.“

Obwohl sie sich entschlossen hatte, gegenüber diesem Fremden wachsam zu bleiben, gab Fayth ihre Zustimmung. „Ja, gern, Sir Giles.“

Dieser wies seine Männer mit einer Geste an, die Kammer zu verlassen, und bot Fayth dann seinen Arm an. Nach wie vor trug er seine Rüstung und zeigte damit, dass er sich in der Burg noch immer nicht sicher wähnte. Dieser Gedanke entlockte Fayth das erste Lächeln seit Tagen. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und verspürte dabei freudige Erregung – ein Gefühl, das ihr fremd geworden war, seit sie vom Tod ihres Vaters erfahren hatte.

Der Krieger an ihrer Seite trug zwar den Ring ihres Vaters, aber welchen Anteil er an dessen Tod gehabt hatte, wusste Fayth nicht. So wie er das Land mit der Erlaubnis seines Königs an sich gerissen hatte, lag es allerdings nahe, dass er zumindest eine Mitschuld trug. Doch auch wenn ihrer beider Heimat nicht dieselbe war, so würde ihr Schicksal von nun an dasselbe sein, und Fayth würde ihren Platz in der neuen Ordnung der Dinge finden müssen, die mit der Ankunft des Bretonen aufgestellt war.

Vor der Tür hielt Sir Giles noch einmal inne, um Fayth auf Emma und Ardith anzusprechen. „Die Alte und das Mädchen können sich nun wieder gefahrlos auf der Burg und im Dorf bewegen, Mylady. Ihr müsst Euch um ihre Sicherheit nicht länger sorgen.“

Ohne es auszusprechen, gab er ihr damit zu verstehen, dass der Mann, der ihre Magd angefasst und Fayth bewusstlos geschlagen hatte, kein Risiko mehr darstellte. Hatte man ihn hingerichtet? Sie wusste, dass Ungehorsam in Kriegszeiten durchaus mit dem Tod bestraft werden konnte. War dieser Bretone ein so harter Befehlshaber, dass er dazu fähig war? Sie blieb stehen und blickte ihn an.

„Wie das? Ist der Mann tot?“, fragte sie.

„Nein, tot ist er nicht“, erwiderte Sir Giles. Er ging weiter, und da er ihren Arm hielt, musste sie ihm folgen. „Aber Stephen hat gelernt, mir künftig zu gehorchen.“

Die Kälte in seiner Stimme und die Drohung, die in seinen Worten mitschwang, ließen Fayth erschauern. Über die Treppe gelangten sie ins Erdgeschoss und von dort in den Hof. Fast genau dort, wo sich der Vorfall mit Ardith ereignet hatte, hielt Sir Giles an.

Fayth nutzte die Gelegenheit, um wieder zu Atem zu kommen. Selbst wenn sie sich wohlauf gefühlt hätte, wäre es ihr schwergefallen, mit Sir Giles Schritt zu halten. In ihrer Verfassung aber war es ihr nur deshalb gelungen, weil er sie mehr oder weniger mitgezogen hatte. Nun sog Fayth genüsslich die frische Luft und den Duft der Erde ein, der noch das Aroma des kürzlich gefallenen Regens trug. Die Erntezeit war schon lange vorbei und der magere Ertrag bereits eingeholt worden, als ihr Vater mit dem König aufgebrochen war.

Emma und Ardith folgten Sir Giles und Fayth, zusammen mit drei Soldaten des bretonischen Ritters. Als Fayth wieder zu Atem gekommen war, führte Sir Giles sie in einen der kleineren Nebenhöfe, wo er am Tag seiner Ankunft das Gesinde zusammengetrieben hatte. Menschen waren nun keine mehr da; stattdessen stand dort wieder Vieh, wenn auch weniger als zuvor.

Fayth hob die Hand, um ihre Augen gegen die Sonne abzuschirmen, und ließ ihren Blick bis zum Ende des Hofes wandern. Entlang der Mauer patrouillierten die Soldaten des Bretonen. Am anderen Ende des Platzes arbeiteten dessen Männer Seite an Seite mit dem Gesinde der Burg und schleppten Holz, das für die Reparatur von Palisade und Gebäuden bestimmt war.

„Die Hütte des Schmieds ist während des Kampfes teilweise abgebrannt, und nun wird sie wieder aufgebaut“, erklärte Sir Giles und wies auf das Fleckchen Land, das sich an die Schmiede anschloss.

Wohin Fayth auch blickte, überall bot sich ihr das gleiche Bild. Zwar waren ihre Leute in der Minderzahl, weil viele beim Anblick des Feindes geflohen waren, aber niemand trug Ketten. Und obwohl das Anwesen einen neuen Herrn hatte, schienen die meisten wie früher ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen. Als die Menschen von Taerford auf Lady Fayth aufmerksam wurden, hielten sie inne und starrten sie an. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte Sir Giles schon ihre Hand ergriffen und hielt sie hoch.

„Wie ich euch gesagt habe“, rief er so laut, dass alle im Hof ihn hören konnten. „Eure Herrin ist gesund und wohlauf.“

Die Leute riefen ihren Namen, und der Jubel schallte quer über den Hof. Dass diese Menschen so sehr um ihr Wohlergehen besorgt gewesen waren, wärmte Fayth das Herz und erfüllte sie mit Stolz. Überwältigt platzte sie heraus: „Ihr habt mich nur hierher gebracht, um den Menschen zu zeigen, dass Ihr mich nicht umgebracht habt?“

Der bretonische Ritter lächelte amüsiert, und in seinen blauen Augen, sonst so dunkel und durchdringend, blitzte der Schalk.

„Ich habe Euch noch nicht umgebracht, Madame“, erwiderte er so leise, dass nur sie es hörte. Dann beugte er sich zu ihr herunter und flüsterte ihr zu: „Sollte ich herausfinden, dass Ihr noch immer Ränke gegen mich schmiedet, dann könnte es durchaus noch geschehen.“

Seine Worte und der Tonfall jagten Fayth Schauer über den Rücken. Sie versuchte sich einzureden, dass er nur scherzte, aber die Spur von eiskalter Entschlossenheit und noch etwas anderem, etwas seltsam Gefährlichem in seiner Stimme war unmissverständlich. Nicht einen Moment zweifelte sie daran, dass ihr Leben vom Gutdünken dieses Mannes abhing. Fayth trat zurück, so weit sein Klammergriff um ihre Hand es zuließ, richtete sich auf und erwiderte seinen Blick.

„Das sollte Euch einige Mühe kosten, Sir Giles“, entgegnete sie und beobachtete, wie er ihre Herausforderung aufnahm.

Giles raunte dem Mann neben ihm etwas zu und wandte sich dann lächelnd an Fayth. „Ah, Madame, Ihr habt recht – leicht würde es mir nicht fallen.“

Er lachte und ließ endlich ihren Arm los. Hastig verschränkte Fayth beide Hände vor ihrem Schoß. „Kommt, Mylady, hier entlang“, sagte Sir Giles.

Fayth folgte ihm und nutzte den Abstand zwischen ihnen, um den Krieger genauer in Augenschein zu nehmen. Er war groß, selbst für einen Mann, und sein ganzer Körper drückte Stärke aus. Fayth hegte keinen Zweifel daran, dass er unter Kettenhemd und Rüstung so durchtrainiert und muskulös war, wie seine Statur es andeutete.

Er trug das hellbraune Haar länger, als es der normannischen Mode entsprach, für englische Verhältnisse aber immer noch kurz. Kein Bart verbarg seine markanten Züge und sein kräftiges Kinn. Das Blau seiner Augen nahm einen dunklen Ton an, wenn er verärgert war, wie sie bereits erfahren hatte, doch wenn keine üble Laune es trübte, strahlte es hell und klar. Fayth hätte ihn nie als anziehend bezeichnet, aber seine männliche Erscheinung war eindrucksvoll und imposant.

Giles blieb stehen und wartete, bis Fayth zu ihm aufgeschlossen hatte. Da sie zu sehr in seinen Anblick vertieft gewesen war, bemerkte sie erst jetzt, dass sie vor der Kapelle standen. Das niedrige Steingebäude war ihr noch zu gut im Gedächtnis – hier hatte sich die Auseinandersetzung zugetragen, die damit endete, dass sie gefangen genommen und Edmund beinahe getötet worden war. Giles Fitzhenry öffnete das hölzerne Portal und lud Fayth mit einer Geste ein hineinzukommen.

Es kostete sie Überwindung, die Kapelle zu betreten, denn noch immer meinte sie die Schreie der Verwundeten zu hören und den Gestank des Blutes wahrzunehmen. Ihr Hals brannte erneut, als sie sich an die groben Hände erinnerte, die ihre Kehle umklammert und ihr die Luft abgedrückt hatten. Wie nahe sie dem Tode gewesen war …

„Kommt“, sagte Sir Giles und ging ihr voran den Mittelgang entlang. Die Bänke waren wieder aufgestellt und der Boden vom Blut gereinigt worden.

Hinter Fayth stand Emma, die ihre Herrin nun sanft vorwärtsschob, dem Ritter zu folgen. Zwei der Soldaten blieben zurück, postierten sich neben dem Portal und blickten ihr unter den Helmen hervor nach. Wieder lief Fayth ein Schauer über den Rücken und ließ ihren Körper erbeben. Sie folgte Sir Giles den Gang entlang und sah, dass Vater Henry vor dem Altar auf sie wartete. Seiner versteinerten Miene entnahm sie, dass er genauso wenig hier sein wollte wie sie. Und dennoch taten sie beide, was der bretonische Ritter befahl.

Dann stand Fayth neben Sir Giles vor dem Altar. Einige Augenblicke verstrichen, ohne dass etwas geschah, und Fayth wurde immer unruhiger. Als Giles ihre Hand ergriff, traf die Wahrheit sie wie ein Schlag – sie würden hier und jetzt heiraten.

Aber das war unmöglich.

Doch sein durchdringender Blick sagte ihr, dass es keineswegs unmöglich war.

„Mylady, diese Zeremonie wird nicht stattfinden, sofern Ihr nicht aus freiem Willen hier seid“, sagte Vater Henry, und Fayth fragte sich, woher er den Wagemut nahm.

Hatte er ihr mit seinen Worten vielleicht einen Ausweg dargeboten? Würde dem Mann an ihrer Seite ohne ihr Zugeständnis ihr Land und auch sie selbst verwehrt bleiben? Ohne Giles Fitzhenry anzusehen, setzte sie zu einer ablehnenden Antwort an, aber er drückte ihre Hand so fest, dass sie scharf die Luft einzog. Sie wandte sich ihm zu. Mit einem Nicken wies er auf den hinteren Teil der Kapelle.