In den Pampas - Friedrich Gerstäcker - E-Book

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Friedrich Gerstäcker

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Beschreibung

Don Diego stammt aus edler, hochangesehener Familie. Diese wird jedoch von Rosas, dem Diktator der Argentinischen Republik fast ausgelöscht. Nur ein junges Mädchen bleibt außer ihm am Leben, das von Rosas in die Pampa verschleppt wird. Gemeinsam mit dem Indianerhäuptling Osantos macht sich Don Diego auf den Weg, seine junge Verwandte zu befreien und den Diktator Rosa zu stürzen. Dessen mordgierige Schergen sind Don Diego aber schon auf der Spur.

Coverbild: Svetlana_Makz / Shutterstock.com

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Friedrich Gerstäcker

In den Pampas

Kurzroman

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Zum Buch

Don Diego stammt aus edler, hochangesehener Familie. Diese wird jedoch von Rosas, dem Diktator der Argentinischen Republik fast ausgelöscht. Nur ein junges Mädchen bleibt außer ihm am Leben, das von Rosas in die Pampa verschleppt wird. Gemeinsam mit dem Indianerhäuptling Osantos macht sich Don Diego auf den Weg, seine junge Verwandte zu befreien und den Diktator Rosa zu stürzen. Dessen mörderische Schergen sind Don Diego aber schon auf der Spur.

 

Coverbild: Svetlana_Makz / Shutterstock.com

1. Kapitel

Über die Steppe brauste der Pampero. Scheu duckte sich das Wild ins hohe Gras, das einem wogenden See täuschend ähnlich sah; die Herden drehten dem Sturm den Rücken zu, senkten die Köpfe und schlossen vor den peitschenden Tropfen die Augen. Nur der Strauß kauerte sich, der Windsbraut gerade entgegen, dicht auf den Boden nieder, streckte den langen Hals voraus, den Kopf unter irgendeinem Grasbüschel bergend, und ließ das Wetter über seine dicht angeschmiegten Federn ziehen.

Der Himmel war schwarz umzogen, grelle Blitze zuckten oft durch die düsteren Wolkenschleier, und von Zeit zu Zeit schlug ein schwerer Schauer auf den Boden nieder, unzählige kleine Lachen bis zum Rande füllend.

Über die Steppe, mit dem Sturme, brausten auf schäumenden, keuchenden Rossen zwei Reiter – wilde, abenteuerliche Gestalten wie die Szenerie, die sie umgab, und prächtig zu ihr passend.

Der eine von ihnen war ein Indianer, der andere ein Weißer – ein Gaucho oder Eingeborener des Landes, nur von weißen Eltern abstammend, aber beide hatte die Steppe groß gezogen, beide hatten von Jugend auf die freie, grüne Ebene um sich gesehen und mit Bolas und Lasso das scheue Wild gejagt, und beiden war das wackere Ross, das sie im Fluge über die Ebene trug, so unentbehrlich zum Leben geworden, dass sie sich eine Existenz ohne Sattel kaum noch denken konnten.

Don Diego war einer edlen Familie entsprossen, die noch jetzt in Montevideo die höchsten Ehrenstellen bekleidete, und wenn auch in den Pampas erzogen, hatte er doch in Montevideo selber eine so gute und tüchtige Erziehung genossen, wie sie ihm Südamerika nur bieten konnte.

Sein Begleiter dagegen, Osantos, ein Häuptling der früher mächtigen Nybygaren, war durch und durch ein Wilder, von der mit einem wollenen Tuch umwundenen Stirn bis zu den Zehen, die in der von einem Pferdebein gestreiften Haut steckten. So verschieden sie aber demnach auch handeln und denken mochten, in diesem Augenblick schien beiden ein gemeinsames Ziel gesteckt, und dicht nebeneinander brausten die Pferde und schnaubten mit den Nüstern, wenn ein grellerer Blitz aus den Wolken zuckte und schmetternder Donner prasselnd hinterdrein über die Steppe brach.

Der Abend dämmerte schon. Lange Reihen von Wildenten strichen an ihnen vorbei, ein paar Mal schreckte ein Kasuar dicht vor den Hufen der Pferde auf, sodass die Tiere scheu zur Seite stoben, oder ein Hirsch fuhr aus seinem Bett empor und floh in weiten Sätzen die Steppe entlang. Aber keiner der Reiter drehte auch nur den Kopf nach dem Wild. Ihre Ponchos um sich geschlungen, die Zügel fest in der Faust, mit scharfem Blick am Boden spähend, um die vielen kleinen Erdlöcher zu vermeiden, die der dachsartige Viscacho in die Erde gegraben, flogen sie dahin, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, bis ihnen plötzlich aus der Ferne einige matte Lichtstrahlen entgegenfunkelten.

Beide hatten die glänzenden Punkte zugleich gesehen – beide zügelten zugleich ihre Pferde –, und der Indianer, mit seiner langen Lanze hinüber deutend, sagte in spanischer Sprache:

„Dort, Don Diego, dort liegt Cruzalta. Ihr könnt den Weg dahin nicht mehr verfehlen. Haltet Ihr euch aber noch ein klein wenig mehr links, so trefft Ihr die Räderspuren der letzten Mendoza-Karawane, die gerade darauf zuführen.“

„Und du willst jetzt zurück, Osantos?“

„Noch nicht“, lachte der Wilde. „Erst denke ich mir den Platz da drüben einmal selber ein wenig anzusehen, aber wir dürfen nicht beide zusammen getroffen werden.“

„Nimm dich in acht. Soviel ich weiß, liegt argentinisches Militär darin“, warnte ihn sein Gefährte.

„Und wenn auch“, zischte der Wilde, während sein Auge glühte. „Sie müssen rasch in den Sätteln sein, wenn sie dem Strauß der Pampas in der Nacht folgen wollen. Und in den Bereich meiner Bolas wagen sie sich doch nicht.“

„Aber sie führen Gewehre.“

„So viel für ihre Gewehre“, knurrte der Indianer finster vor sich hin. „Im Dunkeln, wenn ich die Gestalt sehe, treffe ich mit meiner Bolas den Punkt – die Gewehre schießen vorbei am hellen Tage. Habt keine Sorge um mich, Señor, ich bin mit meinen Leuten an dem bestimmten Ort und zur rechten Zeit.“

„Aber ich kann dir bessere Nachricht bringen, als du selber je imstande wärst, sie dir zu holen“, riet noch einmal der Weiße ab. „Wenn sie dich fingen, wäre unser ganzer Plan missglückt.“

„Mich fangen?“, lachte der Wilde bei dem Gedanken an eine solche Unmöglichkeit. „Sie sollen’s versuchen. Nein, ich will selber sehen; und jetzt genug. Hei! Wie das stürmt, als ob es die Pferde vom Boden heben und fortreißen wollte. Aber gut, gut! Bei solchem Wetter liegen die argentinischen Schufte bei ihrem Cana in den Pulperien, und durch die Fenster kann man ihre Köpfe zählen. Auf Wiedersehen, Señor –und nehmt euch selber in acht, dass sie in Euch nicht den Unitarier erkennen. Ihre Messer sind scharf, ihre Hand ist schnell, und Rosas liebt die rote Farbe des Blutes.“

„Den Tod über sie; ich fürchte sie nicht“, zürnte der Reiter, fast unwillkürlich aber dabei nach seinem Messer greifend, ob es noch zum Gebrauch bereit wäre. „Auf Wiedersehen denn, Osantos, doch ich kann dir keine Zeit bestimmen.“

„Vergesst das Zeichen nicht“, mahnte der Indianer.

„Bei diesem Wetter aber zieht der Rauch am Boden hin!“, rief Diego.

„Der Pampero hat bald ausgetobt“, sagte der Wilde, „schon dreht er nach Süden herum. Morgen früh weht kein Luftzug.“

„Desto besser dann, und nun adios, Companero!“ Mit diesen Worten presste er die Flanken seines treuen Tieres, das scharf mit den Nüstern schnaubend den schönen Kopf auf und nieder warf. Und über die Steppe hin flog der Reiter, den fernen Lichtern entgegen, die ihm durch den dämmernden Abend entgegenfunkelten.

Still und regungslos in dem Sturm hielt dagegen der Indianer, den Blick auf die Gestalt des Reiters geheftet, solange er ihr in der Nacht mit den Augen folgen konnte. Sein brauner, mit weißen und schwarzen Fäden durchwebter Poncho schlug und flatterte im Winde, und wild und wirr peitschte ihm das lange, nasse Haar um die Schläfe. So arg tobte dabei der Sturm über die Steppe, dass der Indianer die wohl vier Meter lange Rohrlanze nicht einmal gerade empor halten konnte und sie vor dem heulenden Orkan senken musste.

Aber das alles kümmerte ihn wenig genug, denn seit seiner Kindheit war die Steppe seine Heimat und er mit allen ihren Freuden und Schrecken von Jugend auf so vertraut geworden, dass er den rasenden Pampero so wenig achtete wie den leisen Südostwind und tiefblauen Himmel. Er kam eben und brauste vorüber – Pferd und Reiter wandten ihm nur den Rücken und ließen ihn seine Wut an dem wehenden Grase der Pampas verschwenden – nicht einen Zoll breit konnte er sie von ihrer Stelle rücken.

Eine volle Stunde blieb er so stehen wie eine dunkle, aus schwarzem Marmor gehauene Statue; der Regen peitschte nieder, und der Donner rollte, die ganze Natur schien in Aufruhr – aber er rührte und regte sich nicht, und selbst das Ross schien sich endlich, so ungeduldig es im Anfange in sein Gebiss geschäumt, diesem regungslosen Ausharren ergeben zu haben. Es senkte den Kopf und lehnte sich gegen den Wind.

Endlich schien Osantos die rechte Zeit gekommen, das Lager seiner weißen Feinde zu besuchen. Langsam griff er die Zügel wieder auf, und nach seinen Waffen fühlend, nach Lasso und Bolas, ob beide zum Griff bereit säßen und das Messer bequem im rauen Bota oder Stiefel steckte, zog er dem kleinen Ort Cruzalta in einem leichten Trab entgegen.

2. Kapitel

In Cruzalta herrschte ein lebendiges Treiben. Der Ort bestand allerdings nur aus einigen wenigen niedrigen Hütten, die aus Lehmsteinen erbaut und mit Rinderhäuten gedeckt waren, und die Bevölkerung war dünn genug. Die neuen Ausbrüche der im Süden wohnenden Indianerhorden hatten die ganze Argentinische Republik in Aufregung versetzt, und während der Krieg gegen die sogenannten „Unitarier“ in Montevideo fortwütete, wurden Detachements argentinischer Kavallerie überall in die kleinen Orte an der Poststraße zwischen Buenos Aires und Mendoza, am Fuße der Kordilleren, gelegt, um die blutdürstigen und raubgierigen Scharen der Wilden wenigstens abzuhalten, diese Linie zu durchbrechen und das bebaute und reiche Land im Norden zu überfallen.

Eine wirklich malerische Schar war diese argentinische Reiterei, die auch den Kern der südamerikanischen Truppen bildet. Sie trugen dunkelblaue Ponchos mit weißen Randstreifen und brennend rotem Futter, ebensolche Mützen mit langen Zipfeln, die um den Kopf herumgelegt und vorn befestigt sind, gleiche Cheripas und weiße befranste Leggins oder Unterhosen. Als Waffen führten sie Karabiner, lange Messer, den Lasso, und ein Teil auch Lanzen, um den wilden Horden, mit denen sie zu kämpfen hatten, völlig gewachsen zu sein.

Und wahrlich, sie waren es in jeder Hinsicht: weiße Indianer, die sich nur in der Hautfarbe, Uniform und Disziplin von ihren roten Brüdern unterschieden, aber sonst ebenso im Sattel daheim, ebenso ein wildes, abenteuerliches Leben gewohnt, ebenso mäßig in ihren Bedürfnissen, ebenso blutdürstig und rachsüchtig in ihren Sitten: die wilden Gauchos der Pampas, aus denen Rosas, der Diktator der Argentinischen Republik, seine Truppen wählte, aus deren Mitte er selber zum Thron der Republik, die wirklich nur im Spott eine solche genannt werden konnte, emporgestiegen war.

Mit dem eisernen, blutgefärbten Zepter, das er führte, hatte er bis jetzt auch verstanden, die Indianer, teils sie zu seinen revolutionären Zwecken benutzend, teils ihnen die volle Macht zeigend, im Zaum und entfernt von den Ansiedelungen zu halten.

In letzter Zeit aber waren die braunen Horden wieder vom Süden heraufgekommen und hatten Raubzüge selbst bis in die Provinz Buenos Aires unternommen, bei denen sie die Herden zerstreuten oder mit sich führten, die Wohnungen plünderten, die Männer töteten und junge Frauen und Mädchen in die Gefangenschaft schleppten.

Das Gerücht ging dabei, dass sich Einzelne der zersprengten Unitarier ihnen nicht allein angeschlossen, sondern sie von Anfang an aufgehetzt hätten, die Republik zu überfallen und Rosas’ Soldaten auswärts zu beschäftigen. So wollte man auch Weiße an ihrer Spitze gesehen haben, um ihre Überfälle zu leiten, und die Punkte, die sie sich gewählt, rechtfertigten allerdings den Verdacht, dass sie nicht eben nur aufs Geratewohl in die Ansiedlung brächen.

Und konnte sich Rosas deshalb beklagen? Er hatte mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, die Unitarier unterjocht und vertilgt. Messer und Blei hatten zwischen ihnen gewütet, Blut war in Strömen geflossen, und die Banden seiner Henker durchzogen monatelang Stadt und Land, in die ihnen bezeichneten Familien einzubrechen und ihre Opfer, oft am eigenen Herd, abzuschlachten.

Die Unitarier übten also nur Vergeltungsrecht, und während Buenos Aires vor dem Tyrannen zitterte und keiner Klage Laut zu geben wagte, waren sie noch in Montevideo oder durchstreiften einzeln und flüchtig das Land, die Bevölkerung aufzureizen, ihre Ketten endlich – endlich einmal abzuschütteln.

Wehe dem freilich, der in Rosas’ Hände fiel; sein Tod war schnell besiegelt und Erbarmen nicht zu hoffen. Aber diese Männer kannten auch die Gefahr, die jeden ihrer Schritte bedrohte, und wussten ihr zu begegnen oder auszuweichen, und rüstig und unverdrossen arbeiteten sie der Zeit entgegen, in der sie das furchtbare Joch abschütteln und wieder frei aufatmen würden in dem schönen Lande.

Don Diego gehörte zu der kleinen Zahl dieser wackeren Streiter, die, das eigene Leben nicht achtend, sich mitten zwischen die Späherbanden des Diktators hineinwagten, nicht allein, um die wahre Gesinnung der Argentinier kennen zu lernen, nein, auch um den Tag des Ausbruches zu beschleunigen.

So mit all dem kühnen Unternehmungsgeist seiner Jahre, von jung auf an ein bewegtes und oft gefährliches Leben gewöhnt und von einem Hass gegen den Usurpator erfüllt, wie wohl viele einen ähnlichen, aber keiner einen heftigeren in sich trug, war Don Diego fest entschlossen, seinen Plan durchzuführen oder selber unterzugehen.

Sein Bruder war schon im Kampf gegen Rosas geblieben; sein Schwager, der Gatte seiner Schwester, von jenen Henkersknechten heimlich in Buenos Aires überfallen und ermordet worden. Selbst sein Vater war damals nur mit knapper Not den schon nach ihm ausgesandten Blutrichtern entgangen, und er hatte geschworen, nicht eher zu ruhen und zu rasten, bis er die Ketten gebrochen hätte, die sein Vaterland umschlangen.

Die Gefahren, die sich ihm dabei entgegenstellten, ermaß er nur zu wohl; er wusste aber ebenso, dass mit gewöhnlichen Mitteln nichts gegen den Diktator auszurichten sei, da dieser seine Pläne nur mit sich selbst beriet und sich kaum je dem Volke zeigte, nur durch blutige, grausame Taten zu ihm sprechend und durch die Furcht alle niederhaltend.

Diese Pläne mussten jetzt erforscht werden. Dann sollte das Volk gegen seinen Bedränger aufgestachelt und Schlag auf Schlag gegen ihn geführt werden, bis der Tyrann erlag und die misshandelten Provinzen wieder frei aufatmen konnten.