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Sosehr sich die nationalsozialistische Diktatur bemüht, des „alltäglichen“ Verbrechens Herr zu werden – in Berlin treiben seit Jahren unbekannte Täter ihr Unwesen, die immer wieder Liefer- und Personenkraftwagen brutal überfallen. Mal werden Liebespärchen beim Tête-à-tête im Walde ausgeraubt, mal Fahrzeuge mittels umgekippter Baumstämme zum Halten gezwungen. Als schließlich sogar zwei Morde geschehen, wird 1938 die Sonderkommission "Autofallen" gebildet, der auch Hermann Kappe zugeteilt wird. Nach langwierigen Ermittlungen wird mit Walter Götze einer der Täter überführt. Seinem Bruder und mutmaßlichem Mittäter Max Götze kann indes zunächst nichts nachgewiesen werden. Doch das NS-Regime will ein Exempel statuieren und greift zu äußerst zweifelhaften Maßnahmen … Es geschah in Berlin, der große Kettenroman um Kommissar Hermann Kappe, spiegelt in fiktiven Kriminalfällen das Berlin des 20. Jahrhunderts wider. Im fünfzehnten Band zeichnet der renommierte Berliner Publizist und Krimiautor Jan Eik alias Helmut Eikermann den wahren Kriminalfall um die Brüder Götze nach, wegen denen eigens ein neues Gesetz erlassen wurde: die „Lex Götze“.
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Seitenzahl: 266
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Jan Eik
In der Falle
Kappes 15. Fall
Kriminalroman
Jan Eik, geboren 1940 in Berlin als Helmut Eikermann, ist seit 1987 freiberuflicher Autor und Publizist. Er schrieb zahlreiche Kriminalromane und -erzählungen sowie Hör- und Fernsehspiele. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u. a. «Der siebente Winter» (1989), «Der Geist des Hauses» (Ein Friedrichstadtpalastkrimi, 1998) und «Trügerische Feste» (2006). Im Jaron Verlag erschienen von ihm «Schaurige Geschichten aus Berlin» (2007), «Der Berliner Jargon» (2008) und «DDR-Deutsch» (2010); für die Reihe «Es geschah in Berlin …» verfasste er «Der Ehrenmord» (2007), «Nach Verdun» (2008, mit Horst Bosetzky) und «Goldmacher» (2010), für die «Berliner Mauerkrimis» «Am Tag, als Walter Ulbricht starb» (2010, mit Horst Bosetzky).
Originalausgabe
1. Auflage 2011
© 2011 Jaron Verlag GmbH, Berlin
1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
www.jaron-verlag.de
Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin
ISBN 9783955520144
Cover
Titelseite
Impressum
DER GROSSE COUP
ALTE FREUNDE UND BEKANNTE
NEUE FEINDE
DER ERSTE TOTE
WEISSE OSTERN
MORD AN DER HUNDEKEHLE
SOKO AUTOFALLEN
KATASTROPHEN
EINE SCHWERE ENTSCHEIDUNG
SCHIESS ENDLICH!
HORA INCERTA
HIRSCHGARTEN
SPUR 94
DAS LEBEN IST KURZ
BESINNLICHER ABEND
FETTE BEUTE
FROHES FEST
KLEINMACHTNIX
HEIMSUCHUNG
EIN HORST MEHR
KOPP WECH! WIR BRECHEN AB!
ZEICHEN UND WUNDER
DIE REINE WAHRHEIT
ZEUGE OLDENBURG
WAS FÜR EINE UNIFORM
SIPPENHAFT
DER FALSCHE WILLI
KARFREITAG
HABT IHR ETWA …
DER PROZESS
LEX GÖTZE
NACHBEMERKUNG
Es geschah in Berlin …
DA IST PLÖTZLICH ein sägendes Geräusch, das den tuckernden Motor übertönt. Der Fahrer des Milchautos der Norddeutschen Molkerei kennt die Chaussee im Schlaf, und gegen den kämpft er an. Hinter ihm liegt ein langer Arbeitstag, mit den Gedanken ist er längst zu Hause in der warmen Stube. Jetzt horcht er auf. Das fehlt ihm noch - eine Panne in dunkler Januarnacht, mitten in diesem gottverlassenen Wald!
Die Landstraße schlängelt sich, in einigem Abstand dem Lauf der Spree folgend, von Fürstenwalde nach Hangelsberg. Hinter dem Dorf dehnt sich eine weite Linkskurve, dann geht es schnurgerade fünf Kilometer durch den dichten Kiefernwald der Hinterheide.
Gerade will er die Scheibe herunterkurbeln, um festzustellen, ob das Geräusch von draußen kommt, da geschieht direkt vor seinen Augen etwas Unglaubliches. Vom Waldrand her sinkt ein dicker Baum auf die Fahrbahn und schlägt federnd auf den Asphalt.
Der Fahrer ahnt, was das zu bedeuten hat. Er glaubt an keinen Zufall. In Kraftfahrerkreisen sind die dreisten Überfälle auf den Chausseen rund um Berlin ein tägliches Gesprächsthema, und dass nichts mehr darüber in den Zeitungen steht, wertet man eher als ein schlechtes Zeichen.
Nun hat es ihn also erwischt. Ihm wird eiskalt, und daran ist nicht die Außentemperatur an diesem Januarabend schuld. Zum Bremsen ist es ohnehin zu spät. Rechts sieht es aus, als käme er durch, stünde da nicht im gleichen Augenblick eine dunkel gekleidete Gestalt mit einer kreisenden Taschenlampe, in deren Schein eine Waffe glänzt.
Egal, denkt der Chauffeur, drauf - und drüber, wenn es sein muss! Schon holpert und scharrt er durch das Geäst der Baumkrone. Wo der Mann mit der Pistole und der Lampe geblieben ist, kann er nicht erkennen. Es ist ihm auch egal.
Hinter ihm knallt es zweimal, er hört die metallischen Schläge irgendwo am Fahrgestell und tritt das Gaspedal durch. Wenn die Karre doch nur ein bisschen schneller wäre!
«Scheißkerl!», zischt der Mann an der Baumfalle, der im letzten Augenblick zur Seite gesprungen ist, und sieht dem knatternden Lieferwagen voller Wut hinterher.
Von der Kurve her nähert sich eine zweite, größere Gestalt, ebenso dunkel gekleidet und maskiert wie der Pistolenmann. Hinter ihm wird das Licht von Autoscheinwerfern heller. «Wir müssen sofort abhauen!», ruft der Größere und nestelt an seiner Maske. Beide haben Damenstrümpfe mit Augenschlitzen über den Kopf gezogen.
«Immer mit de Ruhe, und denn mit ’n Ruck», erwidert ungerührt der Kleinere. «Erst nehm’ wir den noch mit.»
Er meint den Opel, der sich aus Richtung Hangelsberg genähert hat und angesichts der Blinksignale die Fahrt verlangsamt. Unmittelbar vor dem gefällten Baum kommt er zum Stehen.
Unmissverständlich klopft der Kleine mit der Pistole gegen die Seitenscheibe und leuchtet in den Wagen. Ein Mann im Ledermantel sitzt neben einer jungen Frau. Ergeben dreht der Mann die Scheibe runter und reicht seine Brieftasche raus.
Der Kleine durchblättert sie flüchtig und schnauzt: «Nich bloß Papier! Portemonnaie her!»
Auch das erweist sich als unergiebig. Nur ein paar Münzen drin, die der Räuber verächtlich verschmäht. «Arme Leute, wat?», knurrt er und wirft dem Lederbemantelten die Börse in den Schoß.
Die junge Dame lächelt. «Vielleicht kann ich aushelfen …»
«Danke. Von Damen nehm’ wa nischt!», entgegnet der Große.
Der Kleine schiebt ihn ärgerlich zur Seite. «Fahr da rein!», fordert er den Opelfahrer auf und weist auf die Lücke, die der Lieferwagen gerissen hat. «Da bleibste stehen! Sonst …» Drohend hebt er die Pistole.
Folgsam rumpelt der Opel über die Baumkrone.
«Nischt wie weg hier!», zischt der Große. «Da kommt schon die Polente!»
Tatsächlich nähert sich aus östlicher Richtung ein weiteres Fahrzeug.
«Seit wann kann die Polente fliegen?», fragt der Kleine seelenruhig zurück. «Woll’n mal sehen, was das für ’n Vogel ist.»
Der Vogel ist der Lieferwagen einer Bäckerei. Appetitlich duften die Schrippen. Also fährt der erst Ware aus und hat noch kein Geld bei sich.
«Is ja wie abgeschnitten heute!», flucht der Kleine und steckt ganze fünf Mark ein, während der Große erneut mahnt: «Los, bloß weg hier! Der Milchfritze hat längst die Bullen alarmiert.»
Der Kleine ist nicht aus der Ruhe zu bringen. «Na wenn schon. Fuffzich Meter rin in den Wald, und kein Aas findet uns.» Aus Richtung Berlin nähert sich ein weiterer Lieferwagen mit einem Pkw im Schlepp. Auch diesem Fahrer schwant, was ihm blüht, und er versucht, dem Hindernis links auszuweichen. Der geschleppte Wagen bleibt hängen, das Seil reißt.
Der um fünf Mark erleichterte Bäcker nutzt die Gelegenheit. Mit aufheulendem Motor bricht er eine Bresche durch den Baumwipfel und rast in Richtung Hangelsberg davon.
Der Große versucht zu schießen, doch die Waffe streikt.
Jetzt wird es eng. Bis zum Dorf sind es kaum anderthalb Kilometer.
Die beiden aus dem Schleppzug sind ausgestiegen und nähern sich drohend.
«Hände hoch!», verlangt der Große. Hoffentlich haben die den Versager nicht mitgekriegt.
Haben sie anscheinend nicht, denn sie heben brav die Hände und leeren anschließend ebenso brav ihre Taschen. Geld haben sie angeblich nicht bei sich.
«Durchsuch die Wagen!», fordert der Kleine barsch. Widerstrebend fügt sich der Große.
Aus Fürstenwalde rasselt bereits ein weiterer Wagen heran. Ein Lastzug der Schultheiss-Patzenhofer-Brauerei. Der kann die Sperre beim besten Willen nicht durchbrechen.
Der Kleine hat die beiden Fahrer in das geschleppte Fahrzeug dirigiert und bedroht jetzt die Bierkutscher, die nur zögernd aussteigen.
Der Beifahrer hat die lederne Geldtasche umgehängt und sieht sich suchend um. Der dunkle Waldrand ist nur ein paar Meter entfernt.
«Mach dir nich unglücklich, Fritze», mahnt sein Kollege.
«Denk an Frau und Kinder.» In der Tasche sind 228 Mark.
«Einsteigen und nich vom Fleck rührn!», befiehlt der Kleine. Vom Dorf her nähert sich ein weiteres Auto.
«Nischt wie weg hier!», fleht ihn der Große an. «Meine Knarre klemmt!»
«Meine ooch!», erwidert der andere kaltblütig und steigt über das Geäst, um die Neuankömmlinge ins Visier zu nehmen.
In dem Wagen rührt sich nichts. Vorsichtig schleichen sich die beiden in einem Bogen von hinten an. «Hände hoch!», ertönt scharf das Kommando.
Im Gegenlicht des Brauereiwagens sehen sie, dass der Befehl von den Pkw-Insassen ausgeführt wird. Vier Männer sitzen darin.
«Pass uff! Det is ’ne Falle!», zischt der Große.
Doch der Kleine lässt sich nicht aufhalten und reißt die Wagentür auf. «Moneten her, oder es knallt!», schnauzt er. «Los, los!» Die vier kramen ihre Brieftaschen hervor. Der Fahrer trägt ein goldenes Parteiabzeichen am Revers. Von hinten spricht ihn einer mit «Kreisleiter» an, als er seine Geldbörse nach vorn reicht. Auf der anderen Seite steckt der Große zwei Portemonnaies ein.
«Türen zu, Fenster hoch und keinen Mucks, verstanden!», herrscht der Kleine die vier Insassen noch einmal an und hastet davon.
Gerade ist der siebente Wagen zwanzig Meter vor der Sperre zum Stehen gekommen. Der Fahrer will zurückstoßen und wenden. Zu spät.
Der Kleine steht schon neben ihm und reißt die Tür auf.
Nur zwanzig Mark hat der ältere Herr aus sichtbar besseren Kreisen bei sich. «Brieftasche!», fordert der Räuber gebieterisch.
Die wird ihm gereicht, enthält jedoch nur Papiere. Der Kleine beleuchtet sie mit der Taschenlampe und stutzt. «Nischt für unjut, Herr Oberstleutnant!», sagt er und deutet vor dem Kommandeur des 4. Reiterregiments ein Hackenzusammenschlagen an.
Als er sich umdreht, muss er unwillkürlich lächeln. Sieben Autos stehen da kreuz und quer mit eingeschalteten Schweinwerfern um den gefällten Baum herum. Sein Kumpan ist schon in den Wald abgetaucht. Er jedoch steht im Scheinwerferlicht und brüllt: «Wer durchkommt, darf weiterfahren!» Dann ist auch er im Gehölz verschwunden.
Niemand versucht, ihn zu verfolgen. Alle sind damit beschäftigt, sich aus der Falle zu befreien. Blech knirscht, Glas splittert, lautes Gezänk hebt an. Als das Brauereifahrzeug durch die Sperre bricht, schiebt es einen Pkw in den Straßengraben.
Zehn Minuten später trifft endlich die Polizei ein. Es vergeht mindestens eine weitere Stunde, bis die Beamten die Streithähne beruhigt und sich einen groben Überblick über das Geschehen verschafft haben. Dass sich unter den Überfallenen ein SS-Oberführer, ein NSDAP-Kreisleiter, ein Gauamtsleiter, ein Regimentskommandeur und der Oberstleutnant befinden, macht die Sache nicht leichter für sie.
HERMANN KAPPE, seit Kaisers Zeiten Kriminalkommissar im Berliner Polizeipräsidium, ja schon Oberkommissar gewesen und 1933 mit einer Maßregelung davongekommen, ist den ganzen Tag unterwegs gewesen. In einem vom Schwamm angefressenen Haus in der Joachimstraße am Rosenthaler Tor sind drei Personen ermordet worden, zwei Männer und eine junge Frau, und wenn man ihn fragt, ist der Fall eigentlich sonnenklar. Dennoch sind allerhand Auskünfte einzuholen, Nachbarn und Geschäftsleute zu befragen, eben der übliche Kleinkram, um den von Anfang an Verdächtigen zu überführen. Oder zu entlasten. Doch dafür hat Kappe keine Anhaltspunkte gefunden.
Als er aus der Joachimstraße in die schmale Gipsstraße einbiegt, bläst ihm der eisige Januarwind ins Gesicht. Bis zum U-Bahnhof Weinmeisterstraße sind es nur zweihundert Meter. Eilig taucht Kappe dort ab in den warmen Mief, der ihm aus dem Untergrund entgegenweht. Manchmal ist die U-Bahn ganz nützlich. Wenn er am Alex in die Linie E umsteigt, statt im Präsidium zwei, drei weitere Überstunden - selbstverständlich unbezahlt, er ist Beamter - zu den ungezählten bisherigen hinzuzufügen, kann er in zehn Minuten zu Hause sein. Fast eine halbe Stunde vor Feierabend. Doch das widerstrebt ihm. Hat eine der Frauen in der Joachimstraße nicht davon gesprochen, der verdächtige Ehemann der Ermordeten treibe sich gerne in den Kneipen rund um den Moritzplatz herum?
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