Ost-Berlin, wie es wirklich war - Jan Eik - E-Book

Ost-Berlin, wie es wirklich war E-Book

Jan Eik

4,0

Beschreibung

„Ost-Berlin, wie es wirklich war? Schon die despektierliche Bezeichnung Ost-Berlin hätte mir in dieser Zeit massiven Ärger eingebracht, denn immerhin lebte ich ja in der Hauptstadt der DDR, vom Obertan ihrer Untertanen kurz ‚Hoppstet-dr-Deutschkratischereplik’ genannt.“ - Der bekannte Krimi- und Sachbuchautor Jan Eik schreibt erstmals aus seiner ganz persönlichen Sicht über jene Halbstadt, in der 45 Jahre lang 45 Prozent der Berliner lebten. Mit leisem Humor zeichnet er das Bild einer sozialistischen Metropole, die bei allen politischen Beschränkungen manches zu bieten hatte. Detailliert erzählt er, wie Ost-Berlin zu dem wurde, was es war, von komplizierten Grenz-, Geld- und Verkehrsbedingungen, von der blühenden Theater- und Musikszene, von populären Persönlichkeiten, beliebten Lokalitäten und Kammsteak mit Letscho. Jan Eik hat ein unterhaltsames Buch verfasst, das vieles aus dem politischen, sozialen und kulturellen Leben der DDR davor bewahren wird, in Vergessenheit zu geraten.

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Sammlungen



Jan Eik

Ost-Berlin, wie es wirklich war

Erinnerungen aus der Hauptstadt der DDR

Jaron Verlag

Abbildungen

Stefan Eikermann: S. 44, 54, 61, 79, 88, 93, 96, 126, 131, 144, 164, 193 u., 200, 238, 249 u. Dieter Zeh: S. 15, 249 o.

Archiv des Autors: S. 193 o., 193m.

Originalausgabe

1. Auflage 2016

© 2016 Jaron Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Bauer+Möhring, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Marco Bertram (Fernsehturm in Ost-Berlin, 1970)

Satz: Prill Partners | producing, Barcelona

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN 978-3-95552-222-3

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Warum ausgerechnet Ost-Berlin?

Ein Wort voraus

Wie alles begann

Die Entstehung Ost-Berlins

Grenzen sind zum Schmuggeln da

Ost-Berlin und die Zone

Privat geht vor Katastrophe

Ost-Berliner Alltag

Pankoff

Ost-Berlin und seine Repräsentanten

Bau auf, bau auf …

Architektur und Stadtplanung in Ost-Berlin

Geschichten aus Bronze und Stein

Ost-Berliner Denkmäler

Gerechtigkeit ist ein schön’ Ding …

Ost-Berliner Justiz

Die sicherste Stadt der Welt

Staatssicherheit und Volkspolizei in Ost-Berlin

Glotzt nicht so romantisch!

Ost-Berliner Theater

Lied und Leid der Zeit

Ost-Berlins Musikszene

Mit Volldampf zum Sozialismus

Ost-Berlins Verkehrswesen

Die Wunder der Kommunikation

Post- und Fernmeldewesen in Ost-Berlin

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Ein Ost-Berliner Abc

Nachbemerkung

Literatur

Warum ausgerechnet Ost-Berlin?

Ein Wort voraus

Ost-Berlin, wie es wirklich war? Hätte ich das Buch in der Blüte meiner Jahre geschrieben, wäre der Verlust einiger davon kaum zu vermeiden gewesen.

Schon die despektierliche Bezeichnung Ost-Berlin hätte mir in dieser Zeit massiven Ärger eingebracht, denn immerhin lebte ich ja in der Hauptstadt der DDR, vom Obertan ihrer Untertanen kurz „Hoppstet-dr-Deutschkratischereplik“ genannt. Die andere Hälfte der Stadt hieß schnöde Westberlin, natürlich zusammengeschrieben, damit das -berlin schön klein blieb. Nur in allergrößter politischer Not war von Berlin (West) die Rede. Aber der Kompass schien nicht mehr zu stimmen, denn obwohl es ein „West“ gab, durfte von „Ost“ nicht gesprochen werden. Jedenfalls nicht, wenn die „Hoppstet“ – na, Sie wissen schon – gemeint war. Auch im Westteil der Stadt funktionierte offenbar der Kompass nicht mehr, stattdessen sah man sich mit dem „Berliner Paradoxon“ konfrontiert: Man konnte in jede beliebige Richtung gehen und kam immer im Osten an.

Und wie es dort wirklich war, das weiß doch heute jeder: Die Straßen trist und grau, die Gesichter der ohne Schick gekleideten Einwohner mürrisch. Hässliche Pappautos knatterten und stanken, gehässige Grenzbeamte, bedrohliche Polizisten und die alles überwachende Stasi prägten die durchweg bedrückende Atmosphäre. Im Stadtzentrum pfiff selbst der Westwind über kahle Plätze. Die alten Berliner Häuser bröckelten oder wurden einfach abgerissen. Manchmal traf es auch nur den Balkon, dann verrammelte die Kommunale Wohnungsverwaltung die Tür dahinter. In der einzigen „sozialistischen Prachtstraße“ fielen die Kacheln – immerhin aus renommierter Meißner Produktion – reihenweise von den Fassaden. Normierte Plattenbauten, in denen viele ganz gerne wohnten, sie aber dennoch abschätzig Arbeiterschließfächer nannten, bestimmten das Bild in den Neubaugebieten. Das Bier war billig, und der Saft jeglicher Herkunft hieß Juice, gesprochen „Schuuß“. In den wenigen Gaststätten wurden die demütigen Bittsteller – wenn überhaupt – „platziert“ und hochnäsig bedient. Nicht immer in ihrer reinsten Form genießbare Kartoffeln galten als Sättigungsbeilage, und Weiß- und Rotkohlschnipsel sorgten für die angeblich gesunde Rohkost. Es gab Würzfleisch, auf Ost-Berlinerisch „Rajuföng“, Kammsteak mit Letscho und eine Suppe namens Soljanka. Und natürlich Eisbein, schließlich war man in Berlin – wenn auch nur in einem Teil davon. Ansonsten war die Stimmung trübe und das Wetter offenbar immer mies.

Viel mehr gibt es über die Teilstadt offenbar nicht zu berichten, auch nach ihrem Ende nicht. Oder vielleicht doch?

Immerhin haben in 45 Nachkriegsjahren rund zwei Millionen Menschen in diesem 45-Prozent-Teil der einstigen Metropole gelebt und gearbeitet, sich von Behörden und Handwerkern, von Kellnern und Verkäuferinnen schikanieren lassen. Sie sind auf mühsame Nahrungssuche gegangen und haben dennoch reichlich gegessen und noch mehr getrunken. Sie haben sich amüsiert und für wenig Geld Theater und Opernhäuser besucht, sich geliebt und vermehrt, sich gehasst und gegenseitig bespitzelt oder einander zutiefst missachtet und endlich den – je nach innerer Einstellung – himmelhoch gepriesenen oder hinreichend verspotteten real deformierten Sozialismus samt seiner greisen Repräsentanten überlebt.

Am Ende unterschied sich der Osten kaum mehr vom Westen: Für Westgeld gab es auch im Osten alles, zumindest auf dem alltäglichen grauen Markt der Beziehungen, auf dem im Verborgenen blühenden Strich oder im Intershop gegen eingetauschte Forumschecks. Es war ein beschwerlicher und kurvenreicher Weg, der dahin führte. Im November 1947 warnte Anna Seghers den aus Amerika anreisenden Bertolt Brecht vor der Heimkehr nach Berlin, ihn erwarte „ein Hexensabbat, wo es auch noch an Besenstielen fehlt“.

Weder Seghers noch Brecht ließen sich von dem Mangel an Besenstielen abschrecken. Ein Jahr später zog der Dichter, Dramatiker und Regisseur in den „Schutthaufen bei Potsdam“, noch dazu in den östlichen Teil. Hier war aus dem anfangs russischen Sektor von Groß-Berlin der inzwischen korrekt benannte sowjetische Sektor geworden. Ab Ende 1948 gerierte er sich als demokratischer Sektor, mutierte dann zum Demokratischen Berlin und schließlich zur „Hoppstet“, Pardon, Hauptstadt der DDR, Berlin. Die Berliner Zeitung (Ost) druckte am Tag nach dem Mauerfall eine dürre Meldung des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN), und die B.Z. (West) meldete: „Berlin ist wieder Berlin.“ Und das gelangte wenig später als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland zu höchsten Weihen.

Ein paar Mauerbrocken sind trotzdem in den Köpfen geblieben: Im Westen spricht man noch heute von „den Russen“, während man sich im Osten noch immer, wenn auch mit einer Spur von Zweideutigkeit, der einstmals korrekten Bezeichnung „unsere sowjetischen Freunde“ oder einfach der Formel „die Freunde“ befleißigt. Man hat eben auch seine Gewohnheiten und seinen Stolz. Selbst die Bezeichnung „die Sowjets“ – in Adenauers rheinischer Mundart „Zoffjetts“ – trug den Stempel westlicher Herkunft, und „Befreier“ besaß schon immer einen ironischen Unterton.

Von dem besonderen Gebiet Ost-Berlin mit seiner einzigartigen Geschichte, von seinen Bewohnern – die Bewohnerinnen selbstredend immer eingeschlossen –, von ihren Freuden und Leiden soll in diesem Buch die Rede sein. Betrachtet aus der sehr persönlichen Sicht eines indigenen Ost-Berliners, der die aufregende, in der Geschichtsschreibung fast vergessene Vormauerzeit als Heranwachsender und die nachfolgenden Jahre als normaler Werktätiger erlebte. Die meisten, die ebenfalls dabei gewesen sind, haben vermutlich ganz andere Erinnerungen – viel bessere oder noch schlimmere.

Der Titel Ost-Berlin, wie es wirklich war stapelt ein bisschen hoch. Doch das war in Berlin schon immer gute Sitte. Und wer meint wirklich, alles über diese Stadt zu wissen? Vermutlich erklären uns die, die nicht dabei waren, sowieso am besten, wie Ost-Berlin wirklich gewesen ist.

Wie alles begann

Die Entstehung Ost-Berlins

Historisch-geografisch gesehen waren die Einwohner der Stadt Berlin bis zum Abbruch der Mauer nahezu alle Ost-Berliner. Gemeint ist hier nicht die Mauer, die tatsächlich eine war, aber keinesfalls Mauer heißen durfte. Denn am 15.Juni 1961 versicherte ja Walter Ulbricht aus Versehen und obwohl keiner danach gefragt hatte, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu bauen. Knapp einen Monat später war es dann doch geschehen, und deshalb sollte die Mauer nicht Mauer heißen. Schließlich hatte schon Friedrich Hölderlin das Triviale solcher Bauwerke bedichtet: „Die Mauern stehn/​Sprachlos und kalt, im Winde/​Klirren die Fahnen.“

Nein, gemeint ist hier die Akzisemauer, die Berlin bis 1867 umgab. Freunde des Alkohols werden wissen, dass es diese „Akzise“ ist, die das Gesöff bis heute so teuer macht. Es ging eben schon damals nur ums Geld.

Die Schwesternstädte Berlin und Cölln lagen an der Spree und ihren teils künstlich angelegten Nebenarmen etwa zwischen Alexanderplatz und Staatsoper, Jannowitzbrücke und Hackeschem Markt im späteren Berlin Ost. Stadterweiterungen dehnten das Terrain bis an die in den märkischen Sand gerammten Palisaden und die Zollmauer aus– eben bis an jene Akzisemauer, an der kassiert wurde. Von deren vierzehn Toren künden heute noch die Namen. Nur das Hallesche, das Kottbusser und das Schlesische Tor standen am Rande des späteren West-Berlin. Erhalten blieb einzig das repräsentative Brandenburger Tor mit der gen Osten ziehenden Quadriga. Vier Pferde, eine geflügelte Wagenlenkerin und ihr zweirädriges Gefährt bilden wohl das einzige Gespann der Welt aus Kupfer, das sich immer wieder bewegt hat. 1806 ließ es Kaiser Napoleon nach Paris bringen, 1814 holte es Marschall Blücher zurück. Das brachte der Quadriga im Berliner Volksmund den Beinamen Retourkutsche ein. Der bestätigte sich ein weiteres Mal, als die Statue nach den Kriegszerstörungen 1958 restauriert aus dem Westen heimkehrte und die seit 1945 auf dem Tor wehende rote Fahne ersetzte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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