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Die sechzehnjährige Jenny entflieht ihrem desolaten Zuhause in San Bernardino, Südkalifornien, und macht sich auf den Weg nach Norden zu ihrer Tante Polly ins ländliche, beschauliche Madera County. Sie weiß weder, dass dort auf einer Müllhalde die Leiche einer Frau gefunden worden ist, noch ahnt sie, dass sie selbst Informationen über den Täter besitzt, die auch sie in höchste Lebensgefahr bringen.
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Seitenzahl: 249
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Gabriele Nakhosteen
In der Hölle geboren
ein Kalifornien-Krimi
Ruhrkrimi-Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2024 Gabriele Nakhosteen, Bochum
© 2024 Ruhrkrimi-Verlag, Mülheim an der Ruhr
Taschenbuch: ISBN 978-3-911633-04-8
Auch als ebook erhältlich
Originalausgabe
Coverfoto von freepik.com
Alle Personen, Namen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen, Namen und Ereignissen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten!
Die Verwendung von Text und Grafik ist auch auszugsweise ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
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Vita der Autorin
Die Autorin, geb. 1944, studierte Medizin in Freiburg i. Br., London und Köln mit späterer Tätigkeit in der klinischen Forschung.
Im Alter von 59 Jahren schloss sie in Münster zusätzlich ein vierjähriges Diplom-Studium für Oecotrophologie ab. Ein Praktikum in der Redaktion einer Wochenzeitschrift inspirierte die Mutter von 3 Kindern zum Schreiben und Veröffentlichen gesundheitsrelevanter Themen.
Heute verarbeite sie Lebenserfahrungen in autobiografischen und fiktiven Kurzgeschichten und Erzählungen, die in zahlreichen Anthologien erschienen sind. Ihr Kurzgeschichten-Band ›Off the Beaten Path‹, London, abseits der Touristenströme‹ erschien am 1. Juli 2021 im Dirk-Laker-Verlag. Eine weitere Anthologie mit 20 Kriminalgeschichten, Titel: »Auf mörderischen Pfaden«, wurde am 1. Juni 2024 veröffentlicht.
Die Autorin lebt im Ruhrgebiet und hatte über viele Jahre ein zweites Zuhause auf einer Ranch in den kalifornischen Ausläufern der Sierra Nevada. Sie ist mit den Menschen und ihren Gewohnheiten dort sehr vertraut.
Homepage: gabriele-nakhosteen.de
Für meine Kinder
in Erinnerung an unser Leben auf der Ranch
Prolog
Langsam rattert ein alter Ford Pick-up die unbefestigte Schotterstraße entlang, kommt an ihrem Ende mit quietschenden Bremsen ruckartig zum Stehen und biegt nach links auf den Highway 49.
Unter einem sternenklaren kalifornischen Himmel ist die Welt weit nach Mitternacht in Dunkelheit gehüllt. Die Strecke in Richtung Oakhurst, der Gemeinde am Fresno River, schlummert in tiefer Ruhe. Ebenso wie die Füllung des ausgebeulten, großen Kunststoffreisekoffers auf der Ladefläche des Transporters. Vor zwei Tagen war der Inhalt noch voller Saft und Kraft, nun ist er kalt, stumm und starre-steif.
In Ortsmitte von Oakhurst, an der Einmündung von Hwy 49 in den Hwy 41, überquert der Wagen zügig den links liegenden Parkplatz eines Einkaufszentrums, fährt hinter das Gebäude des Supermarktes und hält. Die Fahrertür öffnet sich. Eine dunkel gekleidete Gestalt springt heraus und streift lange Schutzhandschuhe über. Sie hebt die Plane über der Ladefläche des Wagens hoch, hievt mit beiden Händen den schweren Koffer mühsam herunter und wirft ihn in einen der überdimensionalen Restmüllcontainer, die stets in den frühen Morgenstunden von der Müllabfuhr geleert werden.
Dann verschwindet der Pick-up wieder in die Stille der Nacht.
1
Jenny öffnet die Augen und möchte sie am liebsten gleich wieder schließen.
Ein für San Bernardino im südlichen Kalifornien ungewöhnlich heftiger Sommersturm hat die ganze Nacht gewütet, hat Mülleimer umgeworfen, Bäume zum Schwanken gebracht, Äste abgeknickt, alles, was nicht niet- und nagelfest war, durch die Gegend gewirbelt und den Trailer, den barackenähnlichen Wohncontainer, den Jenny ihr Zuhause nennt, kräftig durchgeschüttelt. Stundenlang hat das Unwetter die Sechzehnjährige wachgehalten und quälende Gedanken kreisen lassen.
Langsam erhebt sie sich von ihrer Schlafcouch. Ihr Vater Will liegt wie ein Embryo zusammengekauert zwischen Kühlschrank und Spüle auf dem schmutzigen Linoleum Boden, sein Gesicht teilweise in Erbrochenem. Es stinkt penetrant säuerlich wie in der Küche einer schmierigen Eckkneipe und löst bei Jenny ein Übelkeitsgefühl und Hustenreiz aus. Mit angewidertem Stöhnen beugt sie sich über ihren Vater und versichert sich, dass er Erbrochenes nicht eingeatmet hat. Jenny hat früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen, erst für die vor zwei Jahren an einer Überdosis Heroin elendig krepierte Mutter. Dann für den Vater, der ebenfalls mit dem Leben nicht mehr klar kommt.
Jenny blickt in sein fahles Gesicht. Die wirren, schulterlangen, sonnengebleichten Haare, die er gewöhnlich zu einem Pferdeschwanz gebunden hat, hängen wie ein fettiger Vorhang über seine Augen und die eingefallenen Wangen. Sein T-Shirt, das Jenny für ihn erst kürzlich bei JCPenney gekauft hat, ist besudelt. Die Jeans feucht im Schritt.
Sein Atmen geht ruhig. Er ist okay, denkt sie, schläft seinen Rausch aus. Jenny schluckt. Sie liebt ihren Vater, trotz allem. Er ist nicht immer so gewesen. Es hat eine Zeit vor dem Leben im Trailer gegeben, bis Arbeitslosigkeit und Drogen den Alltag bestimmt haben. Sie sind in die Flachdachbaracke der Mobile Home Community Abyss Corner gezogen, die östlich von Los Angeles in den terrassenförmigen, hügeligen Ausläufern der San Bernardino Berge dahin vegetiert. Eine hässliche Gegend. Ungeliebtes Zuhause für Geringverdiener und sozial Benachteiligte, in der Diebstahl, Schlägereien und Gewaltkriminalität wie Schießereien und brutale Überfälle an der Tagesordnung sind. Ein Armenviertel, in dem Jenny nicht mehr leben möchte.
An Tagen, an denen sie es nicht schafft, sauber zu machen, bleiben benutzte Teller und Tassen übereinander getürmt liegen. Auch heute stapelt sich vor dem zerfetzten und vergilbten Rollo am Fenster der Küchenzeile verkrustetes Geschirr in der Spüle. Auf dem Boden liegen leere Bierflaschen. Der Abfalleimer quillt mit Müll über. Angebrochene Lebensmittel, alte Zeitungen, Kleidung und Haushaltsgegenstände belagern wie bei einem Messie Stühle, Tisch und Sofa. Jenny hat vor einem Jahr die Schule abgebrochen. Regelmäßig zum Unterricht zu gehen, hat sie einfach nicht mehr geschafft. Seitdem jobbt sie, um die nötigsten Dollars mit nach Hause zu bringen, als Courtesy Clerk in Baker’s Supermarket. Sie packt an der Kasse die Lebensmittel der Kunden in große, braune Einkaufstüten, aus 100% recyceltem Papier, wie die Firmenleitung stolz betont, und trägt die Einkäufe, wenn gewünscht, zum Auto der Kundschaft. Ein schlecht bezahlter Teilzeitjob. Jenny hasst ihr Leben. Fühlt sich gefangen. Eingesperrt in ein Schicksal, das mit sechzehn Jahren zu ändern unmöglich scheint. Ich sollte weggehen, denkt sie, während sie Will und den Boden von der Kotze säubert. Der Gedanke ist ihr schon oft gekommen. Aber wohin? Die einzigen Verwandten, von denen sie weiß, leben in Madera County und das liegt weit weg, irgendwo nördlich. Und was würde mit Will geschehen?
Jenny öffnet die Haustür und tritt ins Freie. Die milde kalifornische Sonne lächelt unschuldig vom makellosen Himmel. Ihre Strahlen, unterbrochen durch Büsche und Bäume der Umgebung, werfen weiß-dunkle Muster auf die beschmierte Fassade des Trailers. Sie kaschieren Beschädigungen, die der Sturm in der Nacht angerichtet hat.
Auf den Stufen des Nachbarhauses hockt Maggie, Maggie McFarrlane. Schnapstrunken lallt sie vor sich hin. Die alternde Prostituierte hat immer weniger Chancen auf dem Markt und muss täglich um Kundschaft buhlen. Blass und abgemagert sieht sie aus, ihre tiefliegenden, dunklen Augen stieren stumpfsinnig ins Nirgendwo.
Bei ihrem Anblick atmet Jenny tief durch.
»Fuck, fuck, fuck! No, no, no, no!«, murmelt sie halblaut, schlägt mit der flachen Hand gefrustet auf das Treppengeländer und stöhnt hörbar. »Ich will hier weg.«
*
»Dad, ich habe dir Frühstück gemacht. Bitte steh auf«, sagt Jenny und schüttelt Will an der Schulter. Ihr Vater gibt ein unverständliches Grunzen von sich und denkt nicht daran, seinen Liegeplatz am Boden zu verlassen. Nur mit Ziehen und Zerren gelingt es Jenny, Will bis zur Couch zu schleifen, auf die er sich mit ihrer Unterstützung hinaufhangelt, um gleich wieder einzuschlafen.
Jenny hat bereits mehrere Stunden damit verbracht, den Raum, der den beiden gleichzeitig als Küche, Wohn- und Schlafzimmer dient, aufzuräumen, den Müll zu entsorgen und die Pfandflaschen in eine Tüte zu packen, um sie zu Baker’s Supermarket zurückzubringen.
»In einer halben Stunde muss ich zur Arbeit gehen. Steh jetzt endlich auf, Daddy.«
Nachdem Jenny ihre Aufforderung mehrere Male mit Nachdruck wiederholt hat, quält sich Will etwas hoch, beißt in das Tuna-Sandwich, das Jenny ihm zusammen mit Tomaten und Paprikascheiben fertig gemacht hat und wirft es wieder auf den Teller. Dann lässt er sich zurück aufs Sofa fallen und döst weiter vor sich hin.
Jenny kennt diese Reaktion und doch wird sie für die Sechzehnjährige immer unerträglicher. Vielleicht kann ich einige Zeit in Madera County verbringen, überlegt sie. Dort lebt ihre Tante Polly mit ihren beiden erwachsenen Söhnen auf einer Ranch. Als Jenny klein war und es der Familie noch besser ging, hat sie die Tante mehrere Male in den Osterferien besucht. Sie hat schöne Erinnerungen an das Leben auf dem Lande, das locker und ungezwungen, friedliche Sorglosigkeit verbreitete. Aber wo genau liegt Madera County? Wie weit ist es bis dahin?
Jenny nimmt ihr Handy zur Hand, wählt sich ins Internet ein und fragt Google nach Informationen über Madera County.
»Madera County erstreckt sich vom Fuße der Sierra Nevada, dem gewaltigen Gebirge, das Kalifornien von Nevada trennt, bis zum San Joaquin Valley in der geografischen Mitte von Kalifornien. Von San Bernardino ist es 300 Meilen (482 km) entfernt.«
Das ist ziemlich weit von hier, überlegt Jenny und denkt sogleich an die geringen Ersparnisse, die sie für eine solche Reise zur Verfügung hat.
»Madera County ist es ein abgeschiedenes, wenig besiedeltes, ruhiges County.«
Genau das Richtige für mich, seufzt Jenny. Sie erinnert sich an die Landschaft rund um Tante Pollys Ranch, an das hügelige Grasland, die Weideflächen, die blühenden Wiesen und fruchtbaren Felder, an einen abgelegenen Landstrich, in dem Nachbarn oft Meilen voneinander entfernt wohnen, ihre Türen nicht abschließen müssen, weil Einbrüche und Überfälle selten sind.
Wehmut und quälende Sehnsucht erfassen Jenny. Sie wünscht, sie könnte sich einfach dorthin beamen.
Ein Blick auf die Küchenuhr an der Wand bringt sie zurück ins Heute und Jetzt.
»Ich muss zur Arbeit«, sagt Jenny in Richtung ihres immer noch schlafenden Vaters. Sie nimmt ihre Handtasche sowie die Tüte mit den Pfandflaschen und verlässt den Trailer. Sie weiß, dass Will später, sobald er ausgeschlafen hat, für ein paar Stunden alleine zurechtkommt. Es ist seit langem ihr gewohnter Alltag.
2
Den ganzen Morgen über sind Wagen der Müllabfuhr auf der Deponie Western Sierra Landfill angekommen und haben Tonnen von Abfällen aus Madera County an den Rand des überdimensionalen Kraters abgeladen.
Kreischend schwirren Möwen, Krähen, Bussarde und zahllose andere Vogelarten in Erwartung einer frischen Mahlzeit durch die Luft. Zwischen verschmutzten Windeln und Hygieneartikeln, Porzellanscherben, kaputten Glühbirnen und anderen kleineren Haushaltsgegenständen, zwischen Bauschutt, Lumpen und Kleidung finden sie Massen an Speiseresten und Biomüll.
Ron, ein speziell ausgebildeter Müllentsorger, beendet seine kurze Mittagspause mit einem letzten Schluck Kaffee aus seinem Thermobecher. Dann besteigt er seinen Kompakter, eine spezielle Bauart von Radlader, beginnt Ladungen Abfall auf eine dafür vorgesehene Stelle zu schieben und den Müll zusammenzupressen, so dass Ratten und andere Nagetiere dort keinen Unterschlupf finden und die Deponiekapazität raumsparend ausgenutzt wird. Ein beißender Gestank liegt über der Kippfläche. Sie wird am Abend von Ron mit verschweißter Plastikfolie und einer dicken Lage lehmiger Erde abgedeckt werden, um die durch Zersetzungsprozesse möglichen Umweltbelastungen zu minimieren.
Die Sonne brennt heiß vom kalifornischen Himmel. Ron nimmt seine Basecap ab und wischt sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Dann überblickt er mit professionellem Blick das Resultat seiner Arbeit. Dabei fällt ihm ein neuwertig aussehender Reisekoffer auf, der durch Zacken der Stampffüße seines Müllverdichters aufgeschlitzt worden ist. Er kneift seine Augen zusammen, um besser Fokussieren zu können. Ist das eine Hand, die dort heraushängt, denkt er. Ron stellt den Motor ab, steigt aus und stapft mit schwerem Schritt über den Unrat. Er wird bleich. Das ist eine Hand! Vorsichtig öffnet er den Koffer und erstarrt.
Erst stockt ihm der Atem. Dann hyperventiliert er. In seiner zwanzigjährigen Tätigkeit hat er nie so etwas Grauenvolles gesehen. Ein nur mit schwarzen Fetzen bekleideter Leichnam, übersät mit blutverschmierten Messerschnitten, liegt zusammengequetscht in dem viel zu engen Verlies. Es dauert ein paar Minuten, bis Ron ruhiger wird und sich seine Atmung normalisiert. Dann winkt er seine Mitarbeiter heran.
»Call Sheriff Blython«, würgt er hervor.
Über der Deponie, die sogleich weiträumig abgesperrt wird, liegt verhaltene Stille. Es dauert einige Zeit, bis County Sheriff Jeremy Blython mit zwei jüngeren Ermittlern, seinem Stellvertreter, Deputy Sheriff Hank Chappman, und Deputy Sheriff Cliff Clyden, erscheint, in ihrem Gefolge Vertreter der örtlichen Presse. Die Zeitungsleute werden von Ordnungskräften der Halde hinter der Absperrung auf Abstand gehalten, ebenso wie die Schar Schaulustiger, die angelockt von bereits kursierenden Gerüchten sich am Eingangstor der Deponie neugierig drängt. Ron hat sich in seinen Radlader gesetzt. Mit den Nerven völlig fertig, stiert er fassungslos vor sich hin.
Selbst einem erfahrenen Sheriff wie dem neunundfünfzig-jährigen Jeremy Blython kostet es Überwindung, sich hinzuhocken und den Kofferinhalt näher in Augenschein zu nehmen. Seitdem er in Madera County ist, hat er Derartiges nicht mehr gesehen. Auskünfte wird er den wartenden Journalisten nicht geben können. Die bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschnürten Körperteile lassen keine Erkenntnisse zu, die zu diesem Zeitpunkt den Medien mitgeteilt werden sollten. Es ist nicht einmal mit Sicherheit auszumachen, ob es sich um eine männliche oder weibliche Leiche handelt, obgleich ein Büschel roter Haarlocken, die sich von den bläulich-violetten, sterblichen Überresten abhebt und die schmale Hand mit zwei grell lackierten, abgebrochenen Fingernägeln eine Frau vermuten lassen.
Hank hat sich neben Sheriff Blython gehockt und schaut erst auf den Kofferinhalt und dann seinen Chef schockiert und ungläubig an.
»Oh – my - God!«, stammelt er leise mit zittriger Stimme und schluckt. Hank ist seit drei Jahren die rechte Hand des Sheriffs. Zu seinem Polizeialltag gehören gewöhnlich kleinere Ladendiebstähle oder Gelegenheitseinbrüche, hin und wieder Körperverletzungen und natürlich Schießereien, obgleich auch diese in Madera County selten sind. Normalerweise kommt die Polizei dort mit Schlagstöcken und Pfefferspray aus. Allerdings wurde Hank in seiner früheren Tätigkeit in San Francisco gut trainiert und kann im Zweifelsfall seine Glock 18 schnell ziehen.
»Wir sind in den letzten Jahren im Unterschied zu benachbarten Landkreisen von Kapitalverbrechen weitgehend verschont geblieben«, bemerkt Blython, »haben vielleicht nur Glück gehabt, denn jetzt scheint es uns voll erwischt zu haben.«
Deputy Cliff Clyden schweigt betreten. Er ist vor einem Jahr aus Südkalifornien zugezogen und hat dort Ähnliches zur Genüge erlebt. So etwas kommt in Los Angeles leider täglich vor, denkt er. Dann nimmt er seine Kamera, denn die genaue Dokumentation des Fundortes und seiner Umgebung gehören zu seinen Aufgaben.
Ron hat sich etwas gefasst und kann der Polizei berichten, dass die Halde in Raster aufgeteilt ist und die angelieferten Abfälle gestaffelt nach Einzugsbereich verteilt werden. Die Fuhren, die er in den letzten Stunden bearbeitet hat, stammen aus Oakhurst, der fünftausend Seelen zählenden Gemeinde direkt am Fresno River.
»Vielleicht ein erster Hinweis«, meint Sheriff Blython, »aber hier vor Ort können wir nichts weiter tun«, und veranlasst den Transport des Leichenkoffers in die Forensik zu Rechtsmediziner Dr. Arnold Richardson-Clark.
Beim Verlassen der Mülldeponie bemerkt Deputy Cliff enttäuscht:
»Ich bin aus Los Angeles hierhin gezogen, weil Madera County den Ruf hat, dass Mord und Totschlag selten sind.«
»Ist auch so«, bestätigt Sheriff Blython.
»Vor Jahren habe ich mich deshalb aus einem gefährlichen Brennpunkt in San Francisco hierher versetzen lassen. Und nun das!«
»Im Winter ist es ruhig im County«, beschreibt Deputy Hank die Lage, »Dann ist selbst Oakhurst, wo die Leiche abgelegt worden ist, ein friedlich schlummerndes Nest. Der Ort wäre das ganze Jahr kaum mehr als ein unbeachteter, verschlafener Flecken, läge er nicht direkt am südlichen Eingang zum Yosemite-Nationalpark. Jetzt in den Sommermonaten ist er für viele Kalifornien-Urlauber ein willkommener Zwischenstopp auf ihrer Fahrt hinauf in die Berge. Die Restaurants sind zurzeit wieder pickepacke voll.«
»Dann könnte das Opfer«, sagt Cliff nach einer kurzen Überlegung, »wenn es denn eine Frau ist, vielleicht gar nicht eine Einheimische, sondern eine Besucherin sein.«
Blython zuckt mit den Schultern. »Möglich wäre das.«
3
Die Gerüchteküche brodelt inzwischen in dem beschaulichen County. Die Madera Gazette, eine wöchentliche Zeitschrift für den Landkreis, spekuliert in einer Sonderausgabe ungewohnt reißerisch, was hinter dem spektakulären Leichenfund stecken könnte. Alles heiße Luft, um die Auflage zu steigern, meint Sheriff Blython. In seiner 35-jährigen Diensterfahrung hat er, als er selbst junger Polizist in einem sozialen Brennpunkt in San Francisco war, einige spektakuläre Morde aufgeklärt wie den des Harper Spy, eines berüchtigten Sexualstraftäters, und der mehrfachen, unglaublich kaltblütigen Kindesmörderin Atkins. Er weiß, dass es meist intensiver Ermittlungsarbeit bedarf, bevor Täter und Tatumstände bekannt sind.
In seinem Büro, einem modernen, mit hellen Einbauschränken und Hängeregalen eingerichtetem Raum, zeugen Auszeichnungen und Diploma an den Wänden von seiner erfolgreichen Karriere. Auf dem Schreibtisch, rund um seinen Laptop, breiten sich neben Akten, Unterlagen und Büromaterial nun auch die von Deputy Cliff geschossenen Fotos der Mülldeponie und des Kofferfundes aus. Blython betrachtet sie mit Abscheu und sorgenvoller Miene. Dann tritt er an das große Panoramafenster, das den Blick auf die gepflegte Außenanlage des Headquarters freigibt. Hoffentlich handelt es sich bei dem Leichenfund nicht um einen Urlauber, denkt er, das würde unserer Region und dem Fremdenverkehr einen empfindlichen Schlag versetzen. Ich muss den Fall so schnell wie möglich aufklären. Wer ist das Opfer? Wie ist es zu Tode gekommen? Gibt es verwertbare Spuren, anhand derer ich gezielt ermitteln kann, fragt er sich. Mit innerer Unruhe wartet er auf das Ergebnis der Autopsie.
Als sein Handy um die Mittagszeit summt, registriert er sogleich die mit Ungeduld erwartete Nummer, die des Gerichtsmediziners Dr. Arnold Richardson-Clark.
»Hi, Jeremy«, hört er die ihm vertraute Stimme. »Die Autopsie deiner Deponie-Leiche ist gelaufen. Du kannst jetzt vorbeikommen, um dir selbst ein Bild von den Befunden zu machen.«
»Okidoki, Arnold. Ich sage Hank und Cliff Bescheid. Wir sind so schnell wie möglich bei dir.«
Eine halbe Stunde später betritt Sheriff Blython mit seinen Deputys den Sektionssaal. Auf dem Stahltisch in der Mitte des Raumes liegt die gesäuberte Leiche einer zierlichen Frau. Brust- und Bauchhöhle sind nach der Obduktion durch eine derbe Naht wieder verschlossen. Doch der Körper zeigt die entsetzlichen Spuren eines brutalen Angriffs.
Dr. Richardson-Clark, groß, hager, mit ungewöhnlich ernstem Gesichtsausdruck für den sonst stets heiter drein- schauenden Mediziner, zieht seine langen, blauen Einmalhandschuhe aus, nimmt die Blut beschmierte Gummischürze ab und postiert sich, Autorität ausstrahlend, im weißen Kittel an das Kopfende der Leiche.
»Das Opfer ist 1,60 m groß, sehr schlank und dürfte schätzungsweise um die 36 Jahre alt sein«, beginnt Richardson-Clark seinen Bericht. »Ihr Unterleib war aufgeschlitzt, so dass die Gebärmutter sowie Teile der Eileiter und Eierstöcke herausgequollen waren. Die Brustwarzen sind vom Täter entfernt worden. Gesicht und Hals wurden durch 53 Messerstiche zerschnitten.«
Die Kriminalbeamten schlucken beim Anblick eines derartigen Gemetzels. Richardson-Clark fordert sie dennoch auf, sich die Leiche genauer anzuschauen.
»Erkennt einer von euch das Opfer«, fragt er.
Die Kriminalisten werfen einen eingehenden Blick auf das Gesicht der Toten, dann schütteln sie die Köpfe.
»Mir unbekannt«, sagt Blython.
Seine Deputys sind derselben Meinung, obgleich die Getötete eine auffällige Erscheinung gewesen sein muss.
»Ist sie durch die Blutverluste verstorben?«, fragt Hank sichtlich mitgenommen.
»Nein, am Hals«, und damit weist Richardson-Clark auf rundliche Einblutungen unter der Haut, »sind eindeutige Würgemale zu erkennen. Die Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn erfolgte mit beiden Händen von hinten, wobei es zum Bruch des Kehlkopfes kam. Die Schnittwunden wurden ihr erst postmortal zugefügt. Wahrscheinlich mit einem Cuttermesser.«
Richardson-Clark macht eine kleine Pause, nimmt die bei der Eröffnung des Schädels teilweise freipräparierte Kopfschwarte in die Hand und bewegt sie, ohne sich dessen selbst bewusst zu sein, beim Sprechen hin und her, wobei es Deputy Hank fast schwarz vor den Augen wird. Dann fasst der Rechtsmediziner die wichtigsten Inspektionsergebnisse der Körperregionen und die Untersuchung der eröffneten Körperhöhlen zusammen.
»Ein Sexualverbrechen schließe ich aus. Vergewaltigt wurde die Frau nämlich wahrscheinlich nicht, obgleich das bei den vorliegenden, tiefreichenden Verletzungen nicht zweifelsfrei festzustellen ist. Aber«, fügt er schließlich hinzu, »sie hat mindestens ein Kind geboren. Die Geburt liegt aber wohl schon länger zurück.«
»Ein solches Blutbad sieht nach einem blindwütigen Rachefeldzug aus«, sagt Sheriff Blython.
Cliff räuspert sich. »Das heißt, wir suchen den Täter vermutlich im persönlichen Umfeld der Ermordeten.«
»Sicher kann man sich nicht sein«, gibt Blython zu bedenken. »Das wäre aber für uns ein Ansatzpunkt.«
Die Reste der grell lackierten Fingernägel wie auch das kupferrote, gelockte Haar der Frau ziehen immer wieder die Blicke der Polizisten auf sich.
»Wenn es eine Einheimische wäre, müsste sie dann einem von uns nicht aufgefallen sein?«, fragt Hank ohne eine Antwort zu erwarten.
»Sieht aus wie eine aus dem Milieu«, bemerkt Sheriff Blython. »Aber so etwas gibt es in unserem County doch gar nicht, oder?«
Für einen Moment ist es ganz still im Raum.
»Irgendwelche Fremdspuren?«, fragt Cliff schließlich.
»Kaum. Das Opfer hat zwar versucht, sich zu wehren«, fährt Richardson-Clark fort, »denn sechs der zehn künstlichen Fingernägel sind abgebrochen, da der Überfall des Täters von hinten erfolgte, vermutlich völlig überraschend, ist so gut wie kein verwendbares forensisches Material zu finden, bis auf«, Richardson-Clark macht eine Pause, nimmt eine Pinzette zur Hand und präsentiert den Ermittlern ein einzelnes braunes Haar, das er an den Fingern der Leiche entdeckt hat.
»Gehört definitiv nicht zum Opfer, sondern ist vermutlich dem Täter ausgerissen worden. Mit intakter Haarwurzel. Gibt Hoffnung, dass DNS gewonnen werden kann. Vielleicht seid ihr dann in der Datenbank erfolgreich. Ansonsten nichts. Der Angreifer war vorbereitet. Trug Handschuhe.«
»Spricht dafür, dass er das nicht zum ersten Mal gemacht hat«, sagt Blython, »oder er hat die Tat langfristig geplant.«
»Ich habe vom Opfer Fingerabdrücke genommen und mit dem Haar eingeschickt«, informiert Richardson-Clark die Sheriffs, »den Koffer zur KTU weitergeleitet, ebenso die Fetzen von schwarzer Unterwäsche, die an der Leiche klebten. Die Ergebnisse sollten einige offene Fragen klären.«
»Todeszeitpunkt?«
»Vor drei Tagen. Im Laufe des letzten Samstags. Die Leiche ist vor Eintritt der Totenstarre in den Koffer gezwängt worden und vermutlich am Wochenende in einen Müllcontainer abgelegt worden. Weitere Details stehen wie immer in meinem Obduktionsbericht.«
Die drei Kriminalisten wenden sich zum Gehen, als Hank sich noch einmal umdreht, zurückkommt und das Gesicht der Toten betrachtet.
»War mal eine hübsche Frau«, meint er, »erinnert mich ein bisschen an die Vermisste vor vier Monaten. Wie hieß sie nochmal? An die verschwundene Dreißigjährige.«
»Ein anderer Fall«, meint Blython, »Babette Spiero hieß sie. Die soll laut Ehemann eine hohe Fluktuation an Liebhabern gehabt haben und vorsätzlich verschwunden sein.«
»Vielleicht«, räumt Hank ein, »damals wurde, wie ich mich schwach erinnere, der Fall aber gar nicht ernst genommen. Es wurde nur über außerehelichen Vergnügungen gequatscht und gelästert. Möglicherweise liegt die Dame aber auch irgendwo auf der Deponie. Sie soll eine gewisse Ähnlichkeit mit dieser Toten gehabt haben, zwar keine roten Haare, aber auffallend rote Strähnen im braunen Haar.«
»Mal nicht den Teufel an die Wand, Hank«, stöhnt Blython. »Das würde ja bedeuten, dass wir es mit einem Serientäter zu tun hätten.«
4
»Ich kann nicht mehr, Dad«, sagt Jenny und weint. »Ich halte das nicht mehr aus.«
Die Sechzehnjährige hat in den letzten Tagen in Baker’s Supermarket viele Überstunden gemacht und eine gute Stange Extra-Dollars verdient, um für Will Steaks und frisches Gemüse fürs Abendessen kaufen zu können. Als sie heute Mittag nach Hause gekommen ist, hat sie ihren Vater wie ein Baby auf dem völlig verschmutzten Sofa im Wohnzimmer hockend vorgefunden, stark schwitzend, vor Angst und Unruhe in sich verkrampft. Geistig verwirrt, ohne jegliche Orientierung hat er nicht gewusst, ob es Tag oder Nacht gewesen ist und hat seine eigene Tochter nicht erkannt. Er hat von Ungeziefer gefaselt, das angeblich an ihm hoch krabbelte, hat wild um sich geschlagen und ist auch gegenüber Jenny gewalttätig geworden, bis er unter Zittern und Krämpfen in sich zusammengesackt ist.
»Du musst in eine Entzugsklinik, Dad«, bettelt Jenny, als er nun Stunden später wieder bei Bewusstsein ist, obgleich sie nicht weiß, welches Krankenhaus ihren Vater aufnehmen würde. Sie hat von der Betty-Ford-Klinik gehört, aber die ist nur für Privatpatienten. Will dagegen hat schon lange keine Krankenversicherung mehr.
»Der Alkohol bringt dich um«, sagt sie. »Ich werde mich bei Medi-Cal erkundigen, wo du Hilfe bekommen kannst.«
»Don’t you dare«, antwortet Will. »Mach mir was zu essen und bring mir ein Bier.«
»Dann bin ich weg«, droht Jenny. »Dieses Mal gehe ich.«
Sie nimmt ihre Reisetasche und beginnt wahllos ein paar Kleidungsstücke einzupacken.
»Kommst doch bald zurück«, murmelt Will in sich hinein.
Jenny fühlt sich kraftlos und matt, zu schwach, um mit ihrem Vater weiter zu argumentieren. Das hat sie lange genug versucht. Schon unmittelbar nach dem Tod ihrer Mutter, als Will begonnen hat, jegliche Kontrolle über sich zu verlieren. Sie weiß, dass sie ihn mit Worten nicht mehr erreicht. Der Alkohol hat sein Gehirn vergiftet. Leere und Hoffnungslosigkeit ist alles, was sie fühlt. Sie zögert. Sie hat Gewissensbisse, den Vater allein zu lassen.
»Ein letztes Mal, Daddy. Bitte. Du brauchst Hilfe. Das hier ist kein Leben.«
»Fuck off!«
Jenny gibt sich einen Ruck, nimmt ihre Tasche und wendet sich zur Tür.
»Ich gehe«, sagt sie schluchzend.
Aus glasigen Augen stiert der Alte sie an und wirft ihr eine leere Dose Budweiser an den Kopf.
»To hell with you!«, sind die letzten Worte, die Jenny von ihrem Vater hört.
Auf dem Weg in die Innenstadt laufen unaufhörlich Tränen über ihr Gesicht, doch sie versucht, in Gedanken den Plan durchzugehen, den sie schon seit einiger Zeit im Kopf hat. Sie will mit dem Greyhound Bus nach Los Angeles fahren, wo eine ehemalige Freundin wohnt, bei der sie vielleicht aufs Erste unterkommen kann. Hoffentlich, denkt Jenny, denn sicher kann sie sich nicht sein. Sie hat schon lange mit der Freundin keinen Kontakt mehr gehabt. Vielleicht kann sie bei ihr so lange bleiben, bis sie mit Kellnern oder sonstigen Gelegenheitsjobs genug Geld zusammen hat, um nach Norden zu ihrer Tante Polly zu fahren. Dass der Sheriff es dort zurzeit mit einem grässlichen Verbrechen zu tun hat, ahnt Jenny nicht.
Die erste Ernüchterung kommt, als sie nach dem langen Marsch ins Zentrum von San Bernardino am Ticketschalter der Greyhound Station auf der North G Street erfährt, wie viel eine Fahrkarte in das knapp 62 Meilen entfernten Los Angeles kostet. Jenny kann sich eine Busfahrt mit dem Greyhound Bus nicht leisten, denn sie hat ganz vergessen, dass sie nach den Einkäufen für Will nicht mehr genügend Dollars in der Tasche hat. Sie wird den viel billigeren Flixbus während der Nacht nehmen müssen. Aber sie hat keine andere Wahl, denn per Anhalter will sie nicht fahren. Sie weiß, dass das viel zu gefährlich ist. Sie geht zur Bushaltestelle des Transit Centers an der W Rialto Ave, setzt sich auf ein Mäuerchen des menschenleeren Parkplatzes und wartet erschöpft, traurig und desillusioniert auf die Ankunft des Busses. Hoffentlich macht mir meine Freundin mitten in der Nacht auf, bangt sie. Gleichzeitig fühlt sie sich hundeelend, weil sie ihren Vater allein gelassen hat.
5
Es gibt Tage, an denen es schwerfällt, Routinearbeiten zu erledigen. Sheriff Blython ist am frühen Nachmittag auf dem Rückweg von der Gerichtsmedizin nicht in sein Büro zurückgekehrt, sondern zum nur wenige Meilen von Oakhurst entfernten Bass Lake gefahren. An der weitgehend naturbelassenen Südseite des idyllischen Bergsees, fernab von Hotels und Freizeitaktivitäten, hat er im Schatten von Kiefern in Ufernähe ein einsames Plätzchen gefunden. Er hat sich ins Gras gelegt, die Augen geschlossen, den harzigen Duft der Nadelhölzer eingeatmet und versucht, das entsetzliche Bild von der Toten aus seinen Gedanken zu verdrängen. Eine leichte Brise hat sein Gesicht sanft-schmeichelnd gestreift und geholfen, seine innere Anspannung zu lindern. Blython ist tatsächlich eingeschlafen.
Anderthalb Stunden später wird er durch das Summen seines Handys geweckt.
»Hank hier, Chief. Es gibt Bewegung im Fall.«
»Die Ergebnisse der Erkennungsdienste können doch noch gar nicht da sein.«
»Sind sie auch nicht, aber die Nachricht von unserem Mordopfer verbreitet sich wie ein Lauffeuer durchs County. Ich habe gerade den Anruf eines aufgeregten Mannes, eines Arthur Dawis, erhalten, der befürchtet, dass es sich bei der Toten um seine Ehefrau Mona handelt.«
»Wieso das? Ist sie verschwunden.«
»Seit Freitag.«
»Hat er sie denn als vermisst gemeldet? Davon habe ich gar nichts mitbekommen.«
»Hat er auch nicht. Seine Frau, so gibt er an, habe nach einem Streit das Haus verlassen. Er habe angenommen, dass sie übers Wochenende zu ihren Eltern nach Sacramento gefahren sei, habe aber heute Morgen gestutzt, als er von einer rothaarigen Deponieleiche in den Lokalnachrichten gehört habe.«
»Und da denkt er sofort daran, dass es sich um seine Frau handeln könnte? Außer dem Fund einer Toten mit roten Haaren sind den Medien bisher doch noch keine Details bekannt.«
»Die Beschreibung der Ehefrau, Alter, Größe, Fingernägel, könnte allerdings passen. Er habe inzwischen mit seinen Schwiegereltern telefoniert und erfahren, dass seine Frau dort nicht gewesen ist.«
»Eine Einheimische?«
»Ja, aus Nipinnawasee.«
»Nipinnawasee, dem verschlafenen Nest am Hwy 49, knapp sieben Meilen von Oakhurst entfernt?«
»So ist es, Chief.«
Blython überlegt einen Moment. Vielleicht handelt sich es hier um eine ganz gewöhnliche Beziehungstat. Meist stammt der Täter ja aus dem persönlichen Umfeld des Opfers.
»Wir können ihm nicht ersparen, die Tote zu identifizieren«, sagt er »auch, wenn ihr Anblick für ihn entsetzlich sein dürfte. Es sei denn«, Blython macht eine kleine Pause, »es sei denn, er selbst hat sie so zugerichtet.«
»Ich spreche mit Dr. Richardson-Clark«, antwortet Hank, »die Gesichter der Toten werden ja immer hergerichtet.«
»Begleite den Ehemann morgen früh in die Rechtsmedizin und danach nehmen wir ihn ins Verhör. Sag Cliff Bescheid. Vielleicht haben wir Glück und der Fall ist schneller gelöst als gedacht.«
*
Der Mann, der mit Hank und Cliff am nächsten Tag das Büro von Sheriff Blython betritt, ist groß und stämmig. Seine muskulösen Oberarme, die das kurzärmlige Freizeithemd zu sprengen drohen, und das von der Sonne verwöhnte, braun gebrannte Gesicht lassen eine körperliche Betätigung im Freien vermuten. Eine manuelle Tätigkeit. Seine Hände sind regelrechte Pranken, in deren Würgegriff niemand geraten möchte. Ein Koloss von Mann, aber seine Mimik ist erstarrt, sein Gang leicht schwankend. Er stützt sich mit beiden Händen am Schreibtisch ab, als er zitternd gegenüber von Sheriff Blython Platz nimmt. Er hat die Tote als seine Frau identifiziert. Die Stimme versagt ihm, als er über den Streit mit ihr spricht.
»Ich habe am letzten Freitag erfahren, dass meine Frau, ihr Name ist Mona, mich seit einiger Zeit betrügt«, sagt er zögerlich.
»Mit wem?«
»Sie scheint sich als Escort-Dame angeboten zu haben.«
»Über einen Service?«
»Weiß ich nicht. Ich glaube, sie akzeptierte nur diskrete Outcall-Treffen auf eigene Rechnung.«
»Seit wann.«
»Keine Ahnung. Ich glaube, noch nicht lange.«