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In dunklen Zeiten ist seine Liebe ihre einzige Hoffnung
Es ist die Zeit der großen Wirtschaftskrise, und Ella Barron braucht für ihre kleine Pension jeden zahlenden Gast, den sie kriegen kann. Sie kann es sich nicht leisten, David Rainwater abzuweisen, obwohl sie sofort ahnt, dass dieser mysteriöse Fremde Unruhe in ihr wohlgeordnetes Leben bringen wird. Doch mit seiner freundlichen, bedachten Art nimmt der neue Mieter rasch alle Bewohner des Hauses für sich ein – auch Ella. Doch erst als gewalttätige Ausschreitungen die kleine Stadt erschüttern, erkennt Ella, wie tief ihre Gefühle für David tatsächlich sind …
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Seitenzahl: 340
Veröffentlichungsjahr: 2013
Buch
Es ist die Zeit der großen Wirtschaftskrise, und Ella Barron arbeitet hart, um sich und ihren autistischen Sohn Solly mit einer Gästepension in einer texanischen Kleinstadt über Wasser zu halten. Doch ihr wohlgeordnetes und straff durchorganisiertes Leben gerät durcheinander, als Dr. Kincaid, der Arzt der Stadt, eines Tages einen neuen Gast bei ihr einquartiert: David Rainwater. Mit seiner freundlichen, bedachten Art nimmt der neue Mieter rasch alle Bewohner des Hauses für sich ein– auch Ella, die seit dem Verschwinden ihres Ehemanns allen romantischen Gefühlen abgeschworen hat. Doch erst als gewalttätige Ausschreitungen die kleine Stadt erschüttern, erkennt Ella, wie tief ihre Gefühle für David tatsächlich sind ...
Autorin
Sandra Brown arbeitete mit großem Erfolg als Schauspielerin und TV-Journalistin, bevor sie mit ihrem Roman »Trügerischer Spiegel« auf Anhieb einen großen Erfolg landete. Inzwischen ist sie eine der weltweit erfolgreichsten Autorinnen, die mit jedem ihrer Bücher Spitzenplätze auf den Bestsellerlisten erobert. Sandra Brown lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Texas und South Carolina.
Von Sandra Brown bei Blanvalet bereits erschienen (Auswahl)
Ein Hauch von Skandal (36273), Sündige Seide (36388), Verliebt in einen Fremden (36519), Ein Kuss für die Ewigkeit (36620), Zum Glück verführt (36694), Ein skandalöses Angebot (37050), Heißer als Feuer (37131), Lockruf des Glücks (37250), Eine unmoralische Affäre (37252), Eine sündige Nacht (37251), Verruchte Begierde (37644), Zur Sünde verführt (37863), Wie ein Ruf in der Stille (36695), Gefährliche Sünden (37695), Schöne Lügen (35499), Unschuldiges Begehren (37958)
Sandra Brown
In einer heißen Sommernacht
Roman
Deutsch von Claudia Geng
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Rainwater« bei Simon & Schuster, New York.
1. Auflage
Taschenbuchausgabe April 2013 bei Blanvalet,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright der Originalausgabe © 2009 by Sandra Brown Management Ltd.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2012 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com
Redaktion: Regine Kirtschig
wr · Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-08489-9
www.blanvalet.de
Für Daddy, der die Geschichte inspirierte,
und für Mop, der mich inspirierte.
Prolog
»Ist Ihre Taschenuhr zufällig zu verkaufen?«
Der alte Mann hob den Kopf. Die Frau, die die Frage gestellt hatte, beugte sich über die Glasvitrine, die zwischen ihnen stand. In der Vitrine lagen Schnupftabakdosen, Hutnadeln, Rasiermesser mit Griffen aus Hirschhorn, Salzfässchen mit Löffeln aus fleckigem Sterlingsilber und diverse Schmuckstücke, die erst kürzlich aus einer Haushaltsauflösung eingetroffen waren.
Aber die Frau interessierte sich für seine Taschenuhr.
Er schätzte sie und ihren Begleiter auf Mitte vierzig. Wahrscheinlich machte die goldene Taschenuhr auf die beiden einen eleganten und altertümlich originellen Eindruck à la Rockwell. Das Paar war adrett gekleidet, im feinen Country-Club-Stil. Beide waren schlank und gebräunt und passten gut zusammen, als bildeten sie schon immer ein Doppelpack; der Mann und die Frau waren gleichermaßen attraktiv.
Sie waren in einem schnittigen Geländewagen gekommen, der auf dem staubigen Kiesparkplatz vor dem Antiquitätengeschäft fehl am Platze wirkte. In der halben Stunde, seit sie hier waren, hatten mehrere Objekte ihr Interesse geweckt. Die Sachen, die sie sich ausgesucht hatten, waren qualitativ hochwertig. Wie bereits ihre äußere Erscheinung vermuten ließ, besaßen sie einen anspruchsvollen Geschmack.
Der alte Mann hatte die ausgewählten Gegenstände gerade auf einer Quittung aufgelistet, als die Kundin ihn auf die Taschenuhr ansprach. Er legte beschützend die Hand auf seine Westentasche, aus der die Taschenuhr herauslugte, und lächelte. »Nein, Ma’am. Von meiner Uhr kann ich mich nicht trennen.«
Sie hatte das Selbstbewusstsein einer hübschen Frau, die es gewohnt war, andere mit ihrem Lächeln zu betören. »Auch nicht zu einem guten Preis? Solche Uhren findet man heutzutage selten. Die neuen Modelle sehen so… nun ja, neu aus. Durch den Glanz wirken sie unecht und billig, nicht wahr? Eine Patina, wie bei Ihrer Uhr, verleiht dagegen Charakter.«
Ihr Begleiter, der die Bücherregale durchstöbert hatte, gesellte sich zu ihnen an die Verkaufstheke. Wie seine Frau beugte er sich über die Glasvitrine, um die Taschenuhr genauer in Augenschein zu nehmen. »Vierundzwanzig Karat?«
»Ich glaube schon, obwohl ich sie nie habe schätzen lassen.«
»Ich würde sie auch ohne Gutachten nehmen«, erwiderte der Mann.
»Aber ich möchte sie nicht verkaufen. Tut mir leid.« Der Ladenbesitzer fuhr fort, die Quittung sorgfältig auszufüllen. An manchen Tagen machte die Arthritis in den Fingern ihm das Schreiben schwer, aber was hatte ein Computer in einem Antiquitätengeschäft zu suchen? Außerdem traute er der modernen Elektronik nicht.
Er rechnete die Beträge auf altmodische Art zusammen, übertrug die Zehner und kam schließlich auf die Gesamtsumme. »Inklusive Steuer macht das dreihundertsiebenundsechzig Dollar und einundvierzig Cent.«
»Das geht in Ordnung.« Der Mann zückte eine Kreditkarte aus einem kleinen Krokodillederportemonnaie und schob sie über die Vitrine. »Setzen Sie bitte noch zwei Flaschen Evian auf die Rechnung.« Er ging zu einem modernen Kühlschrank mit Glastür. Der hatte eigentlich auch nichts in einem Antiquitätengeschäft zu suchen, aber durstige Kunden blieben länger, wenn sie etwas zu trinken bekamen. Darum war der Kühlschrank das einzige kleine Zugeständnis des Ladenbesitzers an die Moderne.
»Die gehen aufs Haus«, entgegnete er seinem Kunden. »Bedienen Sie sich.«
»Das ist sehr nett von Ihnen.«
»Ich kann es mir leisten«, erwiderte er lächelnd. »Dies ist mein bestes Geschäft an diesem Wochenende.«
Der Mann nahm zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank und gab eine davon seiner Frau, dann unterschrieb er den Kreditkartenbeleg. »Gibt es viele Kunden, die sich hierher verirren, abseits der Interstate?«
Der Ladenbesitzer nickte. »Ja, meist Leute, die es nicht besonders eilig haben, an ihr Ziel zu kommen.«
»Wir haben Ihre Reklame an der Autobahn gesehen«, sagte die Frau. »Wir sind neugierig geworden und haben uns spontan entschieden, die Ausfahrt zu nehmen.«
»Die Werbung kostet mich einen Haufen Geld. Schön zu wissen, dass sie was bringt.« Er begann, die Ware in Seidenpapier einzuschlagen.
Der Mann ließ den Blick durch den Raum wandern, sah kurz hinaus auf den Parkplatz, der abgesehen von seinem eigenen Benzinschlucker leer war, und fragte mit zweifelndem Unterton: »Läuft das Geschäft denn gut?«
»Mittelprächtig. Der Laden ist für mich eine Art Hobby. Das hält meinen Körper und meinen Geist in Bewegung. So habe ich eine Beschäftigung im Ruhestand.«
»In was für einer Branche haben Sie früher gearbeitet?«
»In der Textilbranche.«
»Haben Sie sich schon immer für Antiquitäten interessiert?«, fragte die Frau.
»Nein«, antwortete der alte Mann verlegen. »Wie die meisten Dinge in meinem Leben kam auch das hier…«, er machte eine ausladende Bewegung mit den Händen, »…unerwartet.«
Die Frau zog einen hohen Hocker heran und setzte sich. »Das klingt nach einer spannenden Geschichte.«
Der alte Mann lächelte erfreut über ihr Interesse und die Gelegenheit zu einem Schwätzchen. »Die Möbel aus dem Haus meiner Mutter waren jahrelang eingelagert. Als ich in Rente ging und Zeit hatte, den ganzen Nachlass durchzusehen, stellte ich fest, dass ich für das meiste davon keine Verwendung hatte. Aber ich dachte mir, andere Leute könnten vielleicht Interesse daran haben. Also begann ich, zuerst das Porzellan und anderen Kleinkram zum Beispiel auf Wochenendflohmärkten zu verkaufen. Obwohl ich keinen besonderen Ehrgeiz hatte, stellte sich heraus, dass ich ein Verkaufstalent war.
Es dauerte nicht lange, da brachten Freunde und Bekannte mir ständig Sachen vorbei, um sie für sie zu verkaufen. Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte ich keinen Platz mehr in meiner Garage und musste dieses Gebäude hier mieten.«
Er schüttelte den Kopf und lachte leise in sich hinein. »Ich bin in den Handel mit Antiquitäten einfach so hineingestolpert. Aber es gefällt mir.« Er grinste sie an. »Das hält mich auf Trab und das Geld in Umlauf, außerdem lerne ich nette Leute kennen wie Sie beide. Woher kommen Sie?«
Sie antworteten, dass sie in Tulsa lebten und ein langes Wochenende in San Antonio verbracht hatten, um mit Freunden Golf zu spielen. »Wir haben es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Als wir Ihr Schild sahen, haben wir spontan beschlossen, einen Zwischenstopp einzulegen und uns bei Ihnen umzuschauen. Wir sammeln für unser Haus am See Antiquitäten und Landhausmöbel.«
»Ich bin froh, dass Sie angehalten haben.« Er gab der Frau eine Visitenkarte mit seinem Geschäftslogo. »Falls Sie es sich mit der Suppenterrine von Spode, die Sie so lange betrachtet haben, noch anders überlegen sollten, rufen Sie mich an. Ich verschicke Waren auch per Post.«
»Vielleicht mache ich das.« Sie fuhr mit dem Finger über den aufgeprägten Namen auf der Visitenkarte und las ihn laut vor. »Solly. Das ist ein ungewöhnlicher Name. Vorname oder Zuname?«
»Vorname. Eine Abkürzung für Solomon, nach dem weisen König im Alten Testament.« Er lächelte wehmütig. »Ich habe mich oft gefragt, ob meine Mutter Hintergedanken hatte, als sie diesen Namen wählte.«
»Das ist das zweite Mal, dass Sie Ihre Mutter erwähnen.« Das Lächeln der Frau war wärmer, sogar hübscher, wenn sie es nicht einsetzte, um daraus einen Vorteil zu schlagen. »Sie müssen ihr wohl sehr nahe gestanden haben. Ich meine, ich nehme an, sie lebt nicht mehr.«
»Sie starb Ende der Sechziger.« Ihm kam der Gedanke, dass das für das Paar wie eine Ewigkeit klingen musste. Sie waren damals sicher erst geboren. »Mutter und ich hatten ein sehr enges Verhältnis. Ich vermisse sie heute noch. Sie war eine tolle Frau.«
»Stammen Sie aus Gilead?«
»Ich bin hier geboren, in einem großen gelben Haus, das früher meinen Großeltern mütterlicherseits gehörte.«
»Haben Sie Familie?«
»Meine Frau ist vor acht Jahren gestorben. Ich habe zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Beide leben in Austin und haben mich mit insgesamt sechs Enkelkindern beglückt. Das älteste wird bald heiraten.«
»Wir haben zwei Söhne«, sagte die Frau. »Sie studieren an der Oklahoma State.«
»Kinder sind eine Freude.«
Die Frau lachte. »Aber auch eine Herausforderung.«
Ihr Mann hatte die Unterhaltung verfolgt, während er nebenbei den Bücherschrank inspizierte. »Das sind Erstausgaben.«
»Alle signiert und in hervorragendem Zustand«, erwiderte der Ladenbesitzer. »Ich habe sie neulich bei einer Haushaltsauflösung erstanden.«
»Beeindruckende Sammlung.« Der Mann strich mit dem Finger über die Buchrücken. »Kaltblütig von Truman Capote. Steinbeck. Norman Mailer. Thomas Wolfe.« Er wandte sich zu dem alten Mann um und grinste. »Ich hätte meine Kreditkarte im Wagen lassen sollen.«
»Ich nehme auch Bargeld.«
Der Kunde lachte. »Darauf wette ich.«
Seine Frau fügte hinzu: »Nur nicht für Ihre Taschenuhr.«
Der alte Mann fädelte das Endstück der Kette durch das Knopfloch seiner Weste und legte die Uhr in seine Handfläche. Sie ging nicht eine Sekunde nach, seit er sie das letzte Mal aufgezogen hatte. Im Laufe der Zeit war das weiße Zifferblatt leicht vergilbt, aber dadurch wirkte die Uhr nur noch edler. Die schwarzen Zeiger waren filigran wie Spinnfäden. Der Minutenzeiger hatte eine scharfe Pfeilspitze. »Ich würde sie gegen nichts eintauschen, Ma’am.«
Sie erwiderte mit weicher Stimme: »Für Sie ist die Uhr von unschätzbarem Wert.«
»Genau so ist es, ja.«
»Wie alt ist denn das gute Stück?«, fragte der Mann.
»Das weiß ich nicht genau«, antwortete der Ladenbesitzer. »Es ist nicht ihr Alter, das die Uhr für mich so wertvoll macht.« Er drehte die Uhr um und hielt sie ihnen entgegen, sodass sie die Gravur auf der Rückseite des Goldgehäuses lesen konnten.
»11. August 1934«, las die Frau laut. Sie blickte den alten Mann wieder an und fragte: »Wofür steht das Datum? Für einen Hochzeitstag? Einen Geburtstag? Oder für etwas Außergewöhnliches?«
»Etwas Außergewöhnliches?« Der alte Mann lächelte. »Nein, das nicht. Nur für etwas sehr Spezielles.«
1
Als Ella Barron an diesem Morgen aufwachte, ahnte sie nicht, dass ihr ein folgenschwerer Tag bevorstand.
Ihr Schlaf war nicht von einer unbewussten Vorahnung unterbrochen worden. Es hatte keinen Wetterumschwung gegeben, keine plötzlichen atmosphärischen Störungen, kein ungewöhnliches Geräusch, das sie aus dem Schlaf hochschrecken ließ.
Wie fast jeden Morgen wachte sie ganz langsam eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang auf. Gähnend streckte sie sich, während ihre Füße an kühle Stellen zwischen den Laken wanderten. Weiterzuschlafen stand außer Frage. Es würde ihr niemals in den Sinn kommen, sich einen derartigen Luxus zu gönnen. Sie hatte schließlich Verantwortung zu tragen und Pflichten zu erfüllen, die man nicht aufschieben oder sogar aussitzen konnte. Sie blieb nur so lange im Bett liegen, bis ihr einfiel, was heute für ein Tag war. Waschtag.
Sie machte rasch ihr Bett und sah anschließend kurz nach Solly, der noch fest schlief.
Sie kleidete sich wie immer rasch an. Ohne Zeit für Eitelkeiten drehte sie flink ihre langen Haare zu einem Knoten und steckte sie mit Haarnadeln fest, bevor sie ihr Schlafzimmer verließ und sich in die Küche aufmachte. Sie bewegte sich leise, um die anderen im Haus nicht zu wecken.
Dies war die einzige Tageszeit, zu der es in der Küche still und kühl war. Im Laufe des Tages staute sich durch den Küchenherd immer mehr Wärme im Raum, während von draußen die Hitze durch die Fliegengittertür und das Fenster über dem Spülbecken sickerte. Selbst Ellas Energie erzeugte Wärme.
Proportional zum Thermometer stieg auch der Geräuschpegel, und zur Mittagszeit entwickelte die Küche, die das Herz des Hauses war, ein eigenes pulsierendes Leben, das sich erst beruhigte, wenn Ella das Licht endgültig löschte, was meistens Stunden später war, nachdem ihre Gäste sich zurückgezogen hatten.
Heute Morgen hielt sie nicht inne, um die Kühle und Stille zu genießen. Sie band ihre Schürze um, feuerte den Herd an, setzte Kaffee auf und rührte den Brötchenteig an. Margaret erschien pünktlich, und nachdem sie ihren Hut abgelegt und an den Türhaken gehängt hatte, nahm sie dankbar eine Blechtasse mit gesüßtem Kaffee von Ella entgegen, bevor sie wieder nach draußen ging, um die Waschmaschine für die erste Ladung Wäsche mit Wasser zu füllen.
Die Aussicht, eine elektrische Waschmaschine zu kaufen, lag so fern, dass Ella nicht einmal davon zu träumen wagte. Für die absehbare Zukunft würde sie weiterhin mit der mechanischen Kurbelmaschine vorlieb nehmen müssen, die noch von ihrer Mutter stammte. Die Seifenlauge und das Schmutzwasser liefen in einen Graben ab, der an dem Schuppen entlangführte, in dem die Maschine stand.
An einem Sommertag wie heute wurde es ab dem späten Vormittag in der Waschküche drückend heiß. In den Wintermonaten schien dafür die nasse Wäsche schwerer zu sein, wenn man raue und taube Hände von der Kälte hatte. Waschtage waren in jeder Jahreszeit gefürchtet. Am Ende solcher Tage hatte Ella jedes Mal Rückenschmerzen.
Solly tapste im Pyjama in die Küche, als sie gerade Speck briet.
Das Frühstück wurde um acht serviert.
Um neun Uhr war jeder gefüttert und das Geschirr gespült, abgetrocknet und weggeräumt. Ella stellte einen Topf mit Senfblättern zum Dünsten auf den Herd und brachte in einem zweiten Topf Wäschestärke von Faultless zum Sieden. Dann schnappte sie sich Solly und ging nach draußen, um den ersten Korb Wäsche aufzuhängen, die Margaret gewaschen, ausgespült und ausgewrungen hatte.
Es war fast elf Uhr, als Ella ins Haus zurückkehrte, um in der Küche nach dem Rechten zu sehen. Als sie etwas mehr Salz zu den Senfblättern gab, klingelte jemand an der Vordertür. Ella ging durch den dunklen Hausflur, trocknete sich rasch die Hände an ihrer Schürze ab und warf einen kurzen Blick in den Spiegel an der Wand. Ihr Gesicht war von der Hitze gerötet und feucht, ihr schwerer Knoten hatte den Haarnadeln getrotzt und war in den Nacken gerutscht, aber sie setzte ihren Weg zur Tür fort, ohne sich kurz zurechtzumachen.
Auf der anderen Seite der Türschwelle stand Doktor Kincaid und spähte durch das Fliegengitter. »Morgen, Mrs Barron.« Seinen weißen Strohhut schmückte ein rotes Band, das von Generationen von Schweißflecken verfärbt war. Er nahm seinen Hut ab und hielt ihn auf eine galante Art vor die Brust.
Ella war überrascht, den Doktor auf ihrer Veranda zu sehen, aber immer noch deutete nichts darauf hin, dass dies ein außergewöhnlicher Tag würde.
Doktor Kincaids Praxis war mitten in der Stadt auf der Hill Street, aber er machte auch Hausbesuche, meistens für Entbindungen, manchmal auch, um zu verhindern, dass Patienten mit einer ansteckenden Krankheit Erreger in Gilead verbreiteten, einer kleinen Ortschaft mit zweitausend Einwohnern.
Ella hatte den Doktor vor ein paar Jahren mitten in der Nacht ins Haus gerufen, weil einer ihrer Untermieter aus dem Bett gefallen war. Mr Blackwell, ein älterer Herr, dessen Beschämung glücklicherweise größer gewesen war als seine Verletzungen, protestierte sogar, obwohl Doktor Kincaid Ella zustimmte, dass eine gründliche Untersuchung vorsichtshalber nicht schaden konnte. Mr Blackwell wohnte nicht mehr im Haus. Kurz nach diesem Vorfall wurde er von seinen Angehörigen in ein Seniorenheim nach Waco gebracht. Mr Blackwell hatte ebenso vergeblich gegen seinen unfreiwilligen Umzug protestiert.
Hatte einer ihrer Gäste heute nach dem Arzt gerufen? Normalerweise entging Ella nur wenig im Haus, aber sie hatte sich fast den ganzen Vormittag draußen aufgehalten, darum war es gut möglich, dass eine der Schwestern ohne ihr Wissen telefoniert hatte.
»Guten Morgen, Doktor Kincaid. Haben die Dunne-Schwestern Sie gerufen?«
»Nein. Ich bin nicht hier, um einen Krankenbesuch zu machen.«
»Was kann ich dann für Sie tun?«
»Ist das ein ungünstiger Zeitpunkt?«
Ella dachte an die Berge von Wäsche in den Körben, die darauf warteten, gesteift zu werden, aber die Stärke musste noch ein bisschen abkühlen. »Keineswegs. Treten Sie ein.« Sie griff nach oben, um die Fliegengittertür zu entriegeln, und stieß sie auf.
Doktor Kincaid wandte sich nach rechts und winkte auffordernd mit seinem Hut. Ella hatte die Anwesenheit des anderen Mannes nicht bemerkt, bis dieser hinter dem großen Farn neben der Tür hervortrat und in ihr Blickfeld kam.
Ellas erster Eindruck von dem Mann war, dass er sehr groß und sehr schlank war. Er sah beinahe unterernährt aus. Er trug einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd mit einem schwarzen Binder und hielt einen schwarzen Filzhut in der Hand. Sie fand, seine Kleidung wirkte streng und unpassend an so einem heißen Tag, vor allem im Vergleich zu Doktor Kincaids leichtem Anzug aus Seersucker und dem weißen Strohhut mit dem roten Band.
Der Doktor stellte ihr den Mann vor. »Mrs Barron, das ist Mr Rainwater.«
Der Fremde beugte kurz den Kopf. »Ma’am.«
»Mr Rainwater.«
Sie trat zur Seite und bedeutete den beiden einzutreten. Doktor Kincaid ließ dem anderen Mann den Vortritt. Nach ein paar Schritten blieb dieser im Hausflur stehen, um seine Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Dann musterte er seine Umgebung, während er gedankenverloren die Krempe des Huts durch seine langen, schlanken Finger zog.
»Hier hinein, bitte.« Ella überholte ihre beiden Gäste und deutete in den Salon. »Nehmen Sie Platz.«
»Wir dachten, wir hätten die Klingel gehört.«
Die piepsige Stimme veranlasste Ella, sich umzudrehen. Die Dunne-Schwestern, Violet und Pearl, standen auf dem unteren Treppenabsatz. In ihren pastellfarbenen Blümchenkleidern und den altmodischen Schuhen waren sie praktisch identisch. Beide hatten einen Heiligenschein aus weißen Haaren. Ihre blau geäderten, gefleckten Hände umklammerten identische Taschentücher mit Zierspitze, handbestickt von ihrer Mutter, wie sie Ella erzählt hatten.
Mit unverhohlener Neugier spähten sie über Ellas Schulter hinweg, um einen Blick auf die Besucher zu erhaschen. Ein Besuch war nämlich ein großes Ereignis.
»Ist das Doktor Kincaid?«, fragte Pearl, die Neugierigere der beiden. »Hallo, Doktor Kincaid«, rief sie.
»Guten Morgen, Miss Pearl.«
»Wen haben Sie uns mitgebracht?«
Miss Violet warf ihrer Schwester einen tadelnden Blick zu. »Wir wollten eigentlich bis zum Mittag eine Partie Gin Rummy spielen«, raunte sie Ella zu. »Stören wir?«
»Keineswegs.« Ella bat die Schwestern, sich in den hinteren Teil des Salons zu setzen, und schritt voraus. Nachdem die zwei am Kartentisch Platz genommen hatten, sagte sie »Meine Damen, Sie entschuldigen uns, bitte« und zog die beiden schweren Schiebetüren aus Eiche zu, die den großen Raum teilten. Sie gesellte sich zu den beiden Männern im vorderen Bereich, der auf die Veranda hinauszeigte. Trotz ihrer Aufforderung, sich zu setzen, standen beide noch.
Doktor Kincaid fächelte sich Luft mit seinem Strohhut zu. Ella schaltete den Ventilator auf dem Tisch in der Ecke an und richtete den Luftstrom in seine Richtung, dann bedeutete sie den Männern, in den Ohrensesseln Platz zu nehmen. »Bitte.«
Sie folgten ihrer Aufforderung.
Da Sommer war und zudem Waschtag, hatte sie heute Morgen auf Strümpfe verzichtet. Befangen wegen ihrer nackten Beine, verschränkte sie die Füße und versteckte sie unter ihrem Sessel. »Kann ich Ihnen Limonade anbieten? Oder Eistee?«
»Das klingt sehr gut, Mrs Barron, aber ich muss leider passen«, antwortete der Doktor. »Ich muss gleich wieder zu meinen Patienten in die Praxis.«
Sie blickte Mr Rainwater an.
»Nein, danke«, antwortete er.
Der Gang in die Küche hätte ihr die Möglichkeit verschafft, die Schürze auszuziehen, die einen feuchten Fleck hatte, wo sie sich die Hände abgetrocknet hatte, und ihre Frisur zu richten. Aber da ihre Gäste nichts trinken wollten, musste sie in ihrer unordentlichen Aufmachung ausharren, solange der Besuch dauerte, dessen Grund immer noch nicht genannt worden war. Sie fragte sich, was Solly gerade machte und wie lange die unerwarteten Besucher bleiben würden. Sie hoffte, dass Mr Rainwater kein Vertreter war. Sie hatte nicht die Zeit, sich seinen Sermon anzuhören, was auch immer er ihr andrehen wollte.
Der Geruch der dünstenden Senfblätter war selbst hier im vorderen Salon sehr stark. Der Doktor zog ein großes weißes Taschentuch aus seinem Jackett und tupfte den Schweiß von seiner kahlen Stirn. Eine Wespe flog gegen das Fliegengitter vor dem Fenster und versuchte wütend durchzukommen. Das Summen des Ventilators schien so laut wie eine Kreissäge.
Sie war erleichtert, als Doktor Kincaid sich räusperte und sagte: »Ich habe gehört, Sie haben eine Untermieterin verloren.«
»Das ist richtig. Mrs Morton ist zu ihrer kranken Schwester gezogen, irgendwo in den Osten von Louisiana, glaube ich.«
»Ein gutes Stück weit weg von hier«, bemerkte er.
»Ihr Neffe ist gekommen und hat sie auf der Zugfahrt begleitet.«
»Das ist sicher nicht verkehrt für sie. Haben Sie schon einen Bewerber für das freie Zimmer?«
»Mrs Morton ist erst vorgestern abgereist. Ich hatte noch keine Zeit, eine Anzeige aufzugeben.«
»Tja, dann… gut, das ist gut«, sagte der Doktor und begann enthusiastisch, sich Luft zuzufächeln, als gäbe es etwas zu feiern.
Ella, die allmählich den Grund des Besuchs ahnte, blickte zu Mr Rainwater. Er saß leicht vorgebeugt da, beide Füße fest auf dem Boden. Seine schwarzen Schuhe waren poliert, wie ihr auffiel. Sein dickes, schwarzes Haar war nach hinten gekämmt, bis auf eine Strähne, die glatt und glänzend wie ein Satinband widerspenstig in seine hohe Stirn fiel. Seine Wangenknochen waren ausgeprägt, die Augenbrauen glatt und schwarz wie Krähenflügel. Er hatte außergewöhnlich blaue Augen, die auf sie gerichtet waren.
»Sie suchen ein möbliertes Zimmer, Mr Rainwater?«
»Ja. Ich brauche eine Unterkunft.«
»Ich bin noch nicht dazu gekommen, die Grundreinigung durchzuführen. Aber sobald das Zimmer fertig ist, bin ich gerne bereit, es Ihnen zu zeigen.«
»Ich bin nicht wählerisch.« Mr Rainwater lächelte und zeigte sehr weiße Zähne, die vorne leicht schief waren. »Ich nehme das Zimmer auch ungesehen.«
»Oh, ich befürchte, Sie können nicht sofort einziehen«, erwiderte Ella rasch. »Nicht bevor die Bettwäsche gelüftet, alles geschrubbt und der Boden gewachst ist. Ich habe sehr hohe Ansprüche.«
»Was Ihre Gäste betrifft oder an die Sauberkeit?«
»Beides.«
»Genau aus diesem Grund habe ich ihn zu Ihnen gebracht«, warf der Doktor hastig ein. »Ich habe zu Mr Rainwater gesagt, dass Sie auf tadellose Sauberkeit und auf eine straffe Organisation im Haus achten. Ganz zu schweigen von der hervorragenden Küche, die Ihre Gäste genießen. Mr Rainwater wünscht eine gepflegte Unterkunft. Ein friedliches und ruhiges Haus.«
Genau in diesem Moment drang ein furchtbares Scheppern aus der Küche, gefolgt von einem Schrei, der einem das Blut in den Adern erstarren ließ.
2
Ella schoss wie ein Blitz von ihrem Sessel hoch. »Entschuldigen Sie mich.«
Sie lief aus dem Salon durch den Hausflur und stürzte in die Küche, wo Solly mitten im Raum stand und wie am Spieß brüllte, während er den linken Arm steif wie einen Besenstiel vom Körper weghielt.
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