In Meiner Zeit - Mia Montague - E-Book

In Meiner Zeit E-Book

Mia Montague

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Beschreibung

Flavius hat die Grenzen von Raum und Zeit überwunden, um seine große Liebe Helena wiederzufinden. Verwirrt und fasziniert zugleich, sieht er sich einer Welt gegenüber, die er nicht versteht. Zwischen antiker Ehre und modernen Ansichten, zwischen vergangener Pracht und heutiger Schnelllebigkeit, müssen Helena und Flavius Wege finden, um die Kluft der Jahrtausende zu überbrücken. Als Flavius sich schließlich in immer weitreichendere Probleme verstrickt, wird es für Helena Zeit eine Entscheidung zu treffen. Doch auch in der antiken Welt Roms, in der jede Handlung das Schicksal verändern kann, müssen die beiden alles riskieren, um die Liebe und die Zukunft zu verteidigen, die sie sich erträumt haben. Teil 2 der Romantasy-Trilogie, die auf eine mitreißende Reise durch die Zeit entführt, in der die Götter über das Schicksal wachen und die Macht der Liebe über Jahrtausende hinweg erstrahlt!

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel I: Helena

Kapitel II: Helena

Kapitel III: Helena

Kapitel IV: Helena

Kapitel V: FLAVIUS

Kapitel VI: Helena

Kapitel VII: Helena

Kapitel VIII: FLAVIUS

Kapitel IX: Helena

Kapitel X: Helena

Kapitel XI: FLAVIUS

Kapitel XII: Helena

Kapitel XIII: Helena

Kapitel XIV: Helena

Kapitel XV: FLAVIUS

Kapitel XVI: Helena

Kapitel XVII: Helena

Kapitel XVIII: FLAVIUS

Kapitel XIX: Helena

I

Helena

Flavius war wirklich hier! In meiner Zeit. Ich hielt seine Hand fest umschlossen, aus Angst er könnte sich sonst wieder in Luft auflösen. Hoffentlich war dies nicht wieder ein Traum und morgen früh erwartete mich das böse Erwachen.

Gemeinsam schlenderten wir die Straßen Roms entlang auf dem Weg zu meinem Hotel. Der Verkehr sorgte für einen kontinuierlichen Hintergrundlärm. Motorengeräusche mischten sich mit Hupen und dem aufgeregten Geplapper der Fahrer. Ich sah von der Seite zu Flavius auf. Sein Gesicht war angespannt, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Jedes Mal, wenn ein Auto oder Motoroller an uns vorbei bretterte, zuckte er zusammen. Die neuen Eindrücke mussten seine Sinne geradezu überfluten.

»Du brauchst keine Angst haben«, sagte ich sanft und drückte seine Hand. »Es sind nur Autos, Fahrzeuge, wie Pferdekarren, nur ohne Pferde und aus Metall.«

»Du machst Scherze. Ich habe unbeschreibliche Angst. Es ist fürchterlich laut und stinkt und … was ist das?«, aufgebracht zeigte er zum Himmel, wo gerade ein Flugzeug tief den nahegelegenen Flughafen Roms anflog.

»Das ist ein Flugzeug. Genau wie Autos am Boden fahren, können sie fliegen und bringen Menschen schnell an weit entfernte Orte. Vor ein paar Tagen bin ich auch hergeflogen.« Ich lächelte ihn zuversichtlich an.

Seine Augen weiteten sich vor Staunen. »Du warst da drin? Am Himmel?« Er schüttelte immer wieder den Kopf und seine dunklen Locken wippten wild hin und her. Sofort geriet mein Herz in ein aufgeregtes Flattern bei seinem reizvollen Anblick.

Die Umstellung war hart für ihn. Aber das würde mit der Zeit schon werden. Hauptsache er war hier! Bei mir!

»Da vorne an der Ecke ist schon unser Hotel, ein Gasthaus«, erklärte ich ihm und er nickte erleichtert, während sein Blick an einer wild blinkenden Werbetafel hängenblieb. »Meine Freundinnen Mina und Jule sind auch dort. Wir wollten morgen früh eigentlich wieder nach Hause fliegen.« Mir war ein bisschen unwohl, denn ich wusste nicht, wie die beiden auf Flavius reagieren würden. Ich ahnte aber, sie würden nicht sonderlich erfreut sein, mich mit ihm zu sehen. Dennoch überwog in meinen Gedanken gerade die unbändige Freude, dass ich Flavius nun bei mir hatte. Ein warmes Gefühl voller Glück und Vollkommenheit erfüllte meinen ganzen Körper und ließ mich die zweifellos kommenden Probleme in den Hintergrund rücken.

Flavius ließ sich ohne Widerworte von mir durch das Gedränge der Straßen ziehen, während sein Blick ehrfürchtig zu den glänzenden Hochhäusern im Hintergrund wanderte. Seine Gegenwart ließ mein Herz höherschlagen.

Als ich unsere Zimmertür im zweiten Stockwerk öffnete, spürte ich augenblicklich die Sorge in den Blicken meiner Freundinnen.

»Da bist du ja endlich!«, rief Mina und sprang aufgeregt vom Sofa auf, als ich eintrat.

»Wo warst du denn den ganzen Tag?«, pflichtete Jule ihr unruhig bei und stürmte auf mich zu.

Dann trafen ihre Augen auf Flavius und ihre Blicke verdunkelten sich schlagartig. Ich hielt unbewusst den Atem an. Er stand im Türrahmen und lächelte vorsichtig.

»Das ist Flavius.« Schnell zog ich ihn ins Zimmer hinein und schloss die Tür, bevor das ganze Hotel die folgende Szene mitbekam.

»Was? Du hast ihn gefunden? Ich dachte, er ist längst nicht mehr in Rom?«, fragte Jule verwirrt und blieb mit etwas Abstand zu uns stehen. Sie lächelte im Gegensatz zu Flavius nicht und wirkte auch nicht sonderlich erfreut über seine Anwesenheit.

»Ja, das dachte ich auch. Es ist wohl Schicksal, dass er gerade jetzt ebenfalls hier ist«, versuchte ich die Situation zu erklären und den beiden zu verdeutlichen, wie glücklich mich dieser Umstand machte.

»Okay, und jetzt?«, fragte Mina mit zusammengekniffenen Lippen. Immerhin war es nicht meine Idee gewesen hierherzukommen. Im Gegensatz zu mir hätten sie wahrhaftig damit rechnen können, hier auf Flavius zu treffen.

Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte mir darüber noch keine Gedanken gemacht. »Ich werde am besten noch ein paar Tage länger bleiben und komme dann später nach«, schlug ich behutsam vor.

Die beiden tauschten einen vielsagenden Blick.

»Das ist keine gute Idee, Helena. Deine Mutter wird durchdrehen.« Jule schüttelte den Kopf und strich sich die rotblonden Haare hinters Ohr.

»Ich bin erwachsen«, antwortete ich bestimmt und überging ihren sorgenvollen Blick. »Ist es für euch in Ordnung, wenn Flavius heute Nacht hier bei uns schläft?«

»Ist das wirklich ein guter Plan?« Jule musterte zuerst mich besorgt und betrachtete im Anschluss Flavius unschlüssig. Sie hätte wenigstens versuchen können ihr Misstrauen vor ihm zu verbergen.

»Dann frage ich eben unten nach einem weiteren Zimmer für uns!«, entschied ich schnell. Ich hatte keine Lust auf Diskussionen. Auch wenn ich nachvollziehen konnte, dass sie mit der Situation nicht ganz glücklich waren.

Aus Sicht meiner Freundinnen war Flavius dafür verantwortlich, dass es fast drei Monate lang kein Lebenszeichen von mir gegeben hatte. Und anschließend hatte er sich wochenlang nicht bei mir gemeldet, nachdem ich vorgegeben hatte, seine Kontaktdaten verloren zu haben und aus Liebeskummer kaum aus dem Bett gekommen war.

Ich deutete ihre argwöhnischen Blicke, als sie ihn musterten. Sie hielten ihn eindeutig für ein Arschloch. Ein äußerst attraktives Arschloch.

»Nein, in Ordnung!«, sagte Mina beschwichtigend und zwirbelte eine Strähne ihres langen dunkelbraunen Harres zwischen den Fingerspitzen. »Wir haben ja noch das Sofa. Das kann man ausziehen.« Dann wandte sie sich Flavius. »Hey, ich bin Mina.«

»Sehr erfreut!«, erwiderte er mit einer leichten Verbeugung, anscheinend spürte er die Notwendigkeit alle Register seiner formvollendeten Erziehung zu ziehen.

»Jule«, murmelte Jule.

Flavius nickte ihr freundlich zu. Aber Jule verzog keine Miene. Ich stöhnte genervt.

»Wir wollten doch eigentlich heute Abend noch in eine Pizzeria gehen! Was meint ihr?«, versuchte Mina sichtlich die Stimmung zu heben und ich bedachte sie mit einem dankbaren Blick.

»Ich glaube, ich würde lieber hier essen«, gab ich zu. Ich hatte das Gefühl, sich noch einmal durch die dröhnenden Straßen zu drängen, wäre heute zu viel für Flavius. Er sah ziemlich mitgenommen aus. »Vielleicht könnt ihr uns etwas mitbringen?«

»Dann essen wir alle hier!«, antwortete Mina versöhnlich. »Jule, hilfst du mir die Pizzen zu holen. Ich habe riesigen Hunger!«

Jule nickte missmutig und folgte Mina aus dem Zimmer. Dann waren wir endlich einen Moment allein.

»Sie können mich nicht leiden«, sagte Flavius und ließ sich erschöpft auf das Sofa sinken.

»Sie kennen dich doch noch gar nicht. Das wird schon noch!«, versuchte ich ihn aufzubauen und ließ mich neben ihm nieder. Ich legte meine Hand auf seine und betrachtete ihn. Es fühlte sich irgendwie surreal an, ihn in dieser Umgebung zu erleben. Ich war fast schon so weit gewesen, ihn nur noch für eine längst vergangene Illusion zu halten und plötzlich saßen wir hier zusammen auf dem bunt gemusterten siebziger Jahre Sofa. »Ich verstehe nicht, warum du hier bist. Ich habe vergeblich versucht zu dir zurückzureisen.« Scheu lehnte ich mich an ihn. Seine Nähe wahrhaftig zu spüren war wie ein Traum und ich konnte es immer noch nicht fassen, dass er gerade Realität wurde.

»Wirklich?« Er strahlte mich erleichtert an und ich hatte den Eindruck, sein angespannter Körper wurde etwas weicher. Sein Blick ließ mich sehnsüchtig erschaudern.

»Ja, natürlich. Weißt du, ich wollte damals eigentlich nicht gehen und dann ist es einfach passiert«, offenbarte ich ihm zerknirscht und verknotete nervös meine Finger mit seinen.

»Ich dachte, du wolltest unbedingt zurück?«

»Wollte ich zuerst auch, aber dann ist mir klar geworden, dass ich …« Ich machte eine Pause und schaute ihn fest an. Sein Gesicht hatte sich nicht verändert, über seine Züge huschte immer noch der gleiche selbstbewusste Glanz. Seine Augen leuchteten in türkisgrün und trafen mich direkt in die Seele. Ich schluckte und senkte verlegen den Blick. »Dass ich nicht ohne dich leben kann!«, endete ich schließlich und kam mir irgendwie albern vor. Wie in einem schnulzigen Liebesfilm. Aber es war die Wahrheit, ich konnte und wollte nicht mehr ohne ihn sein.

Ich spürte seine Hand unter meinem Kinn, wie er es anhob und meinen Kopf sanft zu sich drehte. »Ich habe heute morgen am Tempel der Juno dafür gebetet, eine Chance zu bekommen dich zurückzuholen. Ich wusste nicht, ob du mich noch willst, aber ich musste es unbedingt versuchen!«

Meine Wangen glühten. Ich fühlte heiße Tränen der Erleichterung hinter meinen Lidern brennen. Dann hatte er auch zu den Parzen gebetet. Genau wie ich. Er hatte mich vermisst, so wie ich ihn. Ich konnte mein Strahlen nicht verbergen. Mein Herz explodierte vor Liebe, die in meinen ganzen Körper freigesetzt wurde.

Dann zog er meinen Kopf weiter zu sich. Sein Atem strich über meine Haut und er berührte meine Nase sanft mit seiner. Schließlich neigte er seinen Kopf ganz zu mir und senkte seine Lippen auf meine.

Der Kuss drang durch meinen ganzen Körper, in jede kleinste Ecke und jede Zelle und löste dort ein Feuerwerk an berauschenden Empfindungen aus. Er hatte mir so gefehlt. Wie sehr hatte ich mich nach ihm und diesem Gefühl, das er in mir auslöste, gesehnt und gar nicht mehr zu hoffen gewagt, dass ich es je wieder erleben durfte.

Die Glücksgefühle wanderten durch meinen Körper und schienen diesen wieder aus seinem monatelangen Schlaf zu erwecken. Meine Haut brannte durch die Berührung feurig und ich fühlte mich angenehm lebendig und energiegeladen. Als er die Lippen von mir löste und ich die Augen wieder öffnete, schien der Raum um uns in bunten Farben zu erstrahlen. Als hätte jemand einen dunklen Schleier von meinen Augen genommen.

Flavius sah mich an und grinste. Ich lachte und die ganze Anspannung und Traurigkeit, der letzten schlimmem Wochen, fiel mit einem Schlag von mir ab. Ich lehnte meinen Kopf zufrieden an seine Brust und genoss es den vertrauten, erdigen Geruch von ihm einzuatmen. Seine Wärme streichelte meine Haut und umhüllte mich wie eine kuschelige Decke. Endlich fühlte ich mich wieder komplett.

Irgendwann löste ich mich von ihm und verschwand in dem kleinen Badezimmer.

»Oh!«, erschrak sich Flavius durch den plötzlichen Lichtschein.

»Das war der Lichtschalter«, sagte ich und lachte. »Damit kann man die Lampe an- und ausschalten. Siehst du?« Ich drückte ein paar Mal den Kippschalter und Flavius kam zu mir herüber und betrachtete ihn neugierig.

»Zauberei!«, bemerkte er ehrfürchtig.

»Nein, Elektrizität!«, antwortete ich und zeigte ihm auch den Lichtschalter für die Deckenlampe im Zimmer.

»Ist das die Latrine?«, fragte er neugierig und deutete hinter mir ins Bad.

»Ja, aber hier sagt man eigentlich Toilette. Hier drückst du, um zu spülen.« Ich machte es ihm vor. Er nickte anerkennend. »Das ist die Dusche! Es kommt Wasser von oben und du kannst dich darunter stellen und waschen!« Mein Bauch kribbelte bei der Vorstellung von seinem nackten Körper unter der Dusche. Unsere Blicke trafen sich und ich erkannte auch in seinem Blick ein begieriges Feuer lodern.

»Wir sind wieder da!«, tönte es ausgerechnet in diesem Augenblick fröhlich von nebenan.

Enttäuscht schob ich Flavius aus dem Bad zurück in das kleine Hotelzimmer.

Wir machten es uns auf dem Teppich gemütlich. Ich hatte so einen Appetit wie schon lange nicht mehr. Die Pizza schmeckte herrlich fettig und ich zog genüsslich den Käse in lange Fäden.

»Schmeckt es dir?«, fragte ich Flavius.

»Hervorragend!«, nickte er lobend und ich lächelte in mich hinein.

Jule hatte ihr Lächeln bislang noch nicht wiedergefunden, sie musterte Flavius unverhohlen kritisch. »Erzähl mal, was machst du hier in Rom?«, erkundigte sie sich bei Flavius mit unüberhörbar misstrauischem Unterton.

»Ich bin heute morgen angekommen.« Seinem Ausdruck nach schien er sich davon nicht beeindrucken zu lassen.

»Was ist mit deinen Klamotten? Warum trägst du das?«, hakte sie nach und sah an ihm herunter.

»Er war auf einem historischen Fest!«, drängte ich mich schnell dazwischen. Leider war ich keine besonders talentierte Lügnerin.

Beide blickten mich gleichermaßen erstaunt an.

»Verstehe«, sagte Jule mit verkniffenem Ausdruck. »Und wo wohnst du sonst?«

»Meine Familie hat einen Landsitz ein Stück außerhalb von Rom. In Tarquinii an der Via Aurelia«, antwortete Flavius selbstbewusst und Jule schien etwas beschwichtigt.

»Du sprichst perfekt deutsch!«, bemerkte sie und Flavius nickte nur zustimmend.

Sie hatte recht. Zuerst war es merkwürdig gewesen, Flavius‘ Stimme in der deutschen Sprache zu hören. Es musste automatisch mit seinem Zeitsprung passiert sein. Dass er nicht fließend italienisch, sondern deutsch sprach, bewies mir einmal mehr, dass die Schicksalsgöttinnen ihre Finger im Spiel hatten.

»Was machst du sonst so? Hast du einen Job?«, erkundigte sich nun Mina. Ich bewunderte, wie souverän sich Flavius diesem Verhör stellte. Ich wäre an seiner Stelle wahrscheinlich längst ein nervöser Schatten meiner selbst.

»Ich bin Soldat!«, gab er ehrlich zu.

»Bist du deshalb so schlecht zu erreichen?«, wollte Mina wissen und tupfte sich ihr Kinn mit einer Serviette ab.

Flavius nickte und blickte nachdenklich zu mir hinüber. »Ich bin viel unterwegs.«

»Helena war ziemlich verzweifelt, weil sie dich nicht erreichen konnte«, betonte Jule und es schwang mehr als ein ein Hauch von Vorwurf darin.

»Das war nicht meine Absicht«, antwortete Flavius sichtlich betroffen. Doch ich glaubte auch eine Spur Erleichterung in seinen Zügen zu erkennen.

Ich schluckte. Keinesfalls wollte ich Flavius ein schlechtes Gewissen einreden. »Du konntest ja nichts dafür«, nahm ich ihn mit belegter Stimme in Schutz.

Jule sog scharf die Luft ein, als schien sie sagen zu wollen, dass sie da anderer Meinung war.

»Okay«, sagte Mina dann und gähnte. Offenbar konnte auch sie die angespannte Stimmung nicht länger aushalten.

»Unser Flug geht gleich morgen früh und ich habe am Nachmittag noch eine Telefonkonferenz. Da muss ich einigermaßen fit sein. Ich werde mich jetzt hinlegen. Helena, kommst du morgen wirklich nicht mit?« Ich schüttelte den Kopf und sie ersparte uns glücklicherweise einen Kommentar und verschwand im Bad.

»Dann ziehe ich mal das Sofa aus«, bemerkte ich und räumte die leeren Pizzakartons beiseite.

»Aber du kommst wirklich in ein paar Tagen nach, oder?« Jule sah mich durchdringend an, während ich mich an dem bunt gemusterten Sofa zu schaffen machte.

»Ja!«, antwortete ich genervt und fühlte mich wie ein kleines Kind. Ich wusste, dass sie sich nur Sorgen machte und Flavius aus der Erfahrung heraus nicht traute. Dennoch war ich eine erwachsene Frau und sie musste meine Entscheidungen akzeptieren, auch wenn sie diese weder guthieß noch nachvollziehen konnte.

Als wir etwas später endlich in die Decke gekuschelt auf dem ausgezogenen Sofa lagen, drückte ich mich eng an Flavius und spürte seine beruhigende Wärme. Er gab mir einen Kuss auf den Kopf. Dann schlief ich glücklich ein.

II

Helena

Mein erster Impuls am nächsten Morgen war meine Hand auszustrecken und innerlich zu beten, es sei kein Traum gewesen. Als meine Finger auf den warmen Körper neben mir trafen, wagte ich die Augen zu öffnen. Flavius war immer noch da.

Mina und Jule hingegen nicht. Sie mussten sich heute früh rausgeschlichen haben. Ich war ein bisschen erleichtert, denn so konnte ich mich voll auf Flavius‘ Ankunft in dieser Zeit konzentrieren und musste nicht ständig aufpassen, einer von uns könnte sich verplappern.

Flavius schlief noch und sah dabei einfach göttlich aus. Endlich schaffte ich es, mich von seinem Anblick loszureißen und wählte auf dem alten Telefon die Nummer der Rezeption, um das Zimmer noch ein paar Tage länger zu buchen und nicht plötzlich vom Zimmermädchen überrascht zu werden.

Glücklicherweise war es kein Problem und wir konnten bis Donnerstag bleiben. Ich schickte Paul, meinem Chef vom Studentencafé, eine Nachricht, dass ich diese Woche leider keine Schichten übernehmen konnte und hoffte, er würde es einfach hinnehmen. Er war in den letzten Monaten mehr als gutmütig gewesen und hatte offenherzig all meine Fehler sowie kurzfristigen Absagen toleriert. Ich war ihm wirklich dankbar, unter normalen Umständen hätte ich bei meinem unzuverlässigen Verhalten längst keinen Job mehr. Mit etwas Glück würde er auch diesmal ein Auge zudrücken.

Dann stieg ich unter die Dusche und genoss das heiße Wasser, das meine Melancholie der letzten Wochen von mir abwusch.

Ich hatte nicht bemerkt, dass Flavius das Bad betreten hatte und keuchte überrascht auf, als er den Vorhang zur Seite schob und mich angrinste.

»Kommst du rein?«, fragte ich aufgeregt.

»Wenn ich darf?«

Ich nickte überschwänglich. Er streifte Tunika und Lendenschurz ab und stieg zu mir in die enge Dusche. Er warf einen skeptischen Blick auf den Duschkopf und das herausströmende Wasser, bevor er sich wieder ganz mir widmete.

Ich nahm etwas Duschgel und verteilte es mit klopfendem Herzen auf seinem Oberkörper. Die Berührung unserer nackten Haut ließ die Luft vor Aufregung knistern. Er stöhnte leicht auf, als ich meine Hände über seine Muskeln hinabgleiten ließ, voller Verehrung für seine erhabene Schönheit, und dabei den duftenden Schaum verrieb. Wie konnte es sein, dass solch ein Mann mich begehrte?

»Du trägst ja meine Kette noch?«, freute ich mich, als ich die silberne Kette mit dem H-Anhänger auf seiner Brust entdeckte.

»Ich habe sie nie abgelegt. Wie ich sehe, hast du dir eine Neue besorgt?«, sagte er und fuhr sanft mit seinem Finger die Kette hinab, bis zu dem kleinen F, das daran baumelte. Vorsichtig wendete er es zwischen seinen Fingern und ich stellte selig fest, wie seine Augen bei dem Anblick leuchteten. Sie strahlten ein lustvolles Versprechen aus. Dann fuhr sein Blick weiter meinen Körper hinab und seine Hände folgten ihm, um mich überall mit Schaum zu bedecken.

Tro! des warmen Wassers bekam ich eine Gänsehaut und stöhnte genüsslich auf. Seine Lippen trafen auf meinen Hals und wanderten langsam bis zu meinem Mund hinauf. Leidenschaftlich schloss er seine Lippen um meine und verse!te mich in einen rauschartigen Zustand, der mich wieder an seiner Echtheit zweifeln ließ. Seine Zunge umspielte meine, erst sanft und innig, dann immer feuriger und hemmungsloser. Meine Muskeln spannten sich wie elektrisiert an. Ein Kribbeln der Vorfreude ließ meine Haut prickeln.

Auch sein Körper zeigte mir deutlich seine Sehnsucht. Ein entschuldigendes Grinsen huschte über sein Gesicht und ich küsste ihn nochmals heiß und hingebungsvoll. Auch ich war längst bereit für ihn. Ich drückte mich an seinen harten, heißen Körper. Seine Hände legten sich auf meine Hüfte. Mühelos hob er mich vom Boden hoch und ich schlang ihm meine Arme um den Hals und klammerte meine Beine um seine Taille. Dann drückte er mich mit dem Rücken gegen die Wand und ließ mich mit einem sinnlichen Keuchen auf sich herab. Ich krallte ihm meine Finger in den Rücken und seufzte berauscht.

»Du vervollständigst mich, nur so fühle ich mich ganz«, raunte er mir dabei ins Ohr. Eine Träne lief mir aus dem Augenwinkel und ich war froh, dass er es wegen des plätschernden Wassers nicht sehen konnte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie unbegreiflich es war, dass dieser Mensch wirklich hier bei mir war. Ich hatte geglaubt, dieses Gefühl nie wieder erleben zu dürfen.

Jedes Mal, wenn er mich auf und ab bewegte, wurde er ein Stück realer und mein Verstand gab immer mehr nach und verlor sich tiefer in den atemberaubenden Empfindungen. Mein Rücken kratzte unaufhörlich gegen die ungleichmäßigen Fliesen an der Wand, aber es war mir gleichgültig. Ich genoss jeden feurigen Stoß und presste meine Beine immer enger um seine Hüfte, um ihn noch tiefer in mir aufzunehmen. Bis wir schließlich beide erfüllt aufstöhnten und er mich wieder auf meine wackeligen Beine abstellte.

»Wir müssen dir andere Kleidung besorgen«, entschied ich, als Flavius seine Tunika wieder übergezogen hatte. »Bist du bereit dich nochmal hinauszuwagen?«

Er nickte, aber ich erkannte die Anspannung in seinem Gesicht. Es war eine enorme Herausforderung für ihn, in dieser Zeit zurechtzukommen. Alles war lauter, schneller und größer, als er es gewohnt war.

Ich nahm seine Hand und drückte sie zuversichtlich.

»Solange ich bei dir bin, passiert dir nichts!«

Er lächelte mich an. »Ich weiß!« Dann verließen wir das Hotelzimmer und machten uns auf in die belebten Straßen Roms.

Flavius fiel mit seiner traditionellen Kleidung durchaus auf. Aber anstatt irritierter oder befremdeter Reaktionen, erhielt er nur bewundernde Blicke. Seine tadellose Haltung und sein natürlicher Charme übten nicht nur auf mich eine unausweichliche Faszination aus. Eine junge Frau wollte sogar ein Foto mit ihm machen. Ich lehnte dankend ab. Wir bummelten händchenhaltend durch die Innenstadt und ich kam nicht umhin diesen unwirklichen Moment zu genießen, obwohl sich Flavius‘ Finger schmerzhaft um meine verkrampften. Die Menschen in moderner Kleidung und die überall offensichtliche Technik waren ihm fremd und unheimlich.

Ich war froh, als wir ein Geschäft erreichten, das nach einem Blick ins Schaufenster nicht völlig überteuert wirkte. Wir steuerten die gläserne Eingangstür an, doch als ich meine Hand an den Türknauf legte, zog Flavius mich am Arm.

»Helena, ich kann das nicht bezahlen. Ich habe nur ein paar Sesterzen in der Tasche, das wird kaum reichen für diese Kleidung.« Er zeigte auf die Schaufensterpuppen neben uns im Fenster, die elegante, dunkle Anzüge trugen.

»Kein Problem. Ich zahle schon«, erwiderte ich ermutigend. »Du hast mir schließlich auch Klamotten gegeben, als wir bei dir waren. Nur habe ich leider keinen verstorbenen Ehemann, von dem du die Kleidung auftragen könntest.«

Er schien das nicht so lustig zu finden, denn sein Blick verengte sich deutlich. »Es ist mir unangenehm, wenn du etwas für mich kaufst.«

»Quatsch, das braucht es nicht. Wirklich nicht. Ich habe schließlich auch umsonst bei dir gewohnt!«

Aber er wirkte noch immer nicht zufrieden. »Ich hätte dir eigene Kleidung besorgen sollen. Nicht die von Valeria«, sagte er geknickt und betrachtete verstohlen seine Ledersandalen. Da stand ihm wohl gerade sein eigener Stolz im Weg. Leider konnte ich keine Rücksicht darauf nehmen, denn es würden noch einige weitere Situationen auf ihn warten, die seinem antiken Ehrgefühl widersprachen.

»Nein, ihre Sachen waren sehr schön. Bitte, lass uns jetzt reingehen, sonst wollen gleich noch mehr Leute ein Foto mit dir.« Ständig blieben Passanten neben uns stehen und musterten Flavius interessiert. Zugegeben, er sah aus wie ein heißer Schauspieler, der eben aus einem historischen Filmset entsprungen war. Er nickte ergeben und ich schob ihn vor mir in den Laden.

Ein Klingeln ertönte, als wir die Tür öffneten und eine junge, stark geschminkte Frau in einem enganliegenden pinken Kleid stürmte direkt auf uns zu und fragte auf englisch, ob sie uns helfen könne.

Ich wimmelte sie ab und teilte ihr mit, wir wollten uns erst einmal umschauen, aber sie schlich weiter zwischen den Kleiderständern um mich und besonders Flavius herum. Mit fasziniertem Staunen betrachtete er die schillernden Reihen von Kleidungsstücken und ließ die verschiedenen Stoffe durch seine Finger gleiten. Als die Verkäuferin merkte, dass wir deutsch sprachen, versuchte sie Flavius ebenfalls auf deutsch ein paar Jeans anzubieten.

»Was meinst du? Ich glaube, die würde dir echt hervorragend stehen?«, säuselte sie ihm zu und hielt die Hose hoch. Er blickte hilflos zu mir.

»Du kannst sie ja gleich mal anprobieren«, erwiderte ich schulterzuckend.

»Wunderbar!«, sagte sie zuckersüß, ohne ihren Blick von Flavius zu nehmen. »Wie wäre es noch mit einem passenden Shirt?«

»Ja, T-Shirts brauchen wir unbedingt«, antwortete ich an seiner Stelle, aber sie schien mich kaum zu bemerken. Immerhin hatte sie einen guten Geschmack und einen Blick dafür, was Flavius stand.

Nachdem sie Flavius ein Shirt nach dem anderen probeweise vor den Oberkörper gehalten und jedes Mal anerkennend genickt hatte, führte sie uns mit einem Stapel Kleidung zur Umkleidekabine. Schwungvoll schloss sie den Vorhang hinter Flavius. »Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Ich helfe dir gern.«

Das glaubte ich ihr sofort. Ich rollte mit den Augen.

»Ich weiß nicht, ob das so gehört?«, tönte es da schon hilflos aus dem Inneren der Kabine und als die Verkäuferin den Vorhang aufziehen wollte, drängelte ich mich schnell an ihr vorbei.

»Danke, aber ich mache das schon«, sagte ich nun ebenso zuckersüß und zog ihr den Vorhang vor der Nase zu.

»Wow, du siehst super aus!«, gab ich beeindruckt zu, als ich Flavius so verändert in der lässigen Jeans und dem schwarzen T-Shirt sah.

»Wirklich? Ich weiß nicht, ob die Hose richtig sitzt. Ist sie nicht etwas eng?«, fragte er ratlos und zerrte an dem festen Stoff. Es war eben nicht mit einer lockeren Tunika zu vergleichen.

Schon ging der Vorhang auf. »Zeig mal her, ich kenne mich schließlich damit aus.« Sie musterte Flavius von oben bis unten und klatschte dann begeistert in die Hände. Er schien sich äußerst unbehaglich zu fühlen und auch ich war genervt von ihrem Verhalten.

»Gut, dann nehmen wir das. Kann er die Kleidung gleich anbehalten?«

»Ja, natürlich! Ich mache nur schnell die Preisschilder ab«, sagte sie und fummelte hinten an Flavius‘ Hosenbund herum. Nach einem kritischen Blick fügte sie hinzu: »Wie wäre es noch mit ein paar Boxershorts?«

Als wir schließlich den Laden verließen, waren wir voll bepackt mit Tüten, denn Flavius hatte eine komplette Grundausstattung benötigt und trug nun direkt seine neuen weißen Sneaker, Jeans und Shirt.

Er sah wirklich unglaublich gut aus in den Klamotten. Er wirkte viel jünger, weniger ernsthaft und formell. Ich konnte meine Augen kaum von ihm lassen und himmelte seine Erscheinung immer wieder von der Seite an, während wir weiter durch die Straßen schlenderten.

»Wollen wir etwas essen?«, schlug ich vor, nachdem ich meinen Appetit nun endlich wiedergefunden hatte.

»Gern«, sagte er sichtlich erschöpft und wir steuerten einen Tisch draußen im Schatten vor einem kleinen Restaurant an. Ich stöhnte erleichtert, als ich mich hinsetzte und meine schweren Beine sich etwas ausruhen konnten.

Ein Kellner begrüßte uns und reichte uns die Speisekarten.

»Weißt du schon, was du nimmst?«, fragte ich Flavius nach einer Weile.

»Pizza.«

»Kannst du die Speisekarte überhaupt lesen?«, erkundigte ich mich bei ihm, da sie nur auf italienisch und englisch geschrieben war.

»Ja, natürlich kann ich lesen«, zischte er beleidigt. »Ich habe nur keine Ahnung was diese Spaghetti, Penne oder Tortellini sein sollen.« Missmutig schweifte sein Blick über die Karte. Zweitausend Jahre waren eine lange Zeit, selbst wenn er aus dem letzten Jahrhundert stammen würde, wäre die Veränderung schwer zu meistern. Aber so fand er sich in einer neuen Welt wieder, die ihn verständlicherweise überforderte.

»Das sind Nudeln, man nennt sie hier Pasta! Du kannst dir eine Soße dazu aussuchen. Ich nehme Carbonara«, versuchte ich in fröhlichem Ton zu sagen, um seine Stimmung etwas zu heben, aber er sagte nichts mehr. Sein Gesicht war hinter der großen Speisekarte verborgen, nur seine Locken ragten darüber auf.

War es nicht ein perfekter Moment, hier in Rom mit meinem unbeschreiblich süßen Freund in einem romantischen kleinen Restaurant zu sitzen? Ich konnte mein Glück nicht in Worte fassen.

»Trinken wir Wein?«, tönte es hinter der Karte hervor.

»Unbedingt!«, beschloss ich, schob seine Karte zu Seite und grinste ihn an. Sein Blick schien erst grimmig, doch dann musste er schließlich auch lächeln. Ich beugte mich über den Tisch und gab ihm einen Kuss.

Der Kellner kam und ich bestellte für uns auf italienisch. Immerhin hatte ich so nicht umsonst den Sprachkurs besucht. Der Verkehr brauste an uns vorbei und Menschenmassen eilten gehetzt durch die Straßen. Baustellenlärm dröhnte von allen Seiten.

Flavius war unruhig. Seine Lider flatterten, während er regungslos das Besteck vor ihm auf dem Tisch betrachtete. Messer und Gabel verwendete man im alten Rom nicht zum Essen, sondern lediglich Löffel. Nervös tippte er mit dem Zeigefinger auf die Zinken. So vieles war in seiner Heimat ganz anders und ich wusste aus eigener Erfahrung, wie erschreckend die Umstellung im ersten Moment sein konnte.

Als der Kellner die Getränke brachte, nahm Flavius einen großen Schluck Rotwein.

»Helena, wirst du mit mir zurückkommen?«, stieß er ohne Vorwarnung aus der Stille heraus hervor. Sein Blick war durchdringend, aber auch ängstlich und vor allem verletzlich. Er hatte etwas Flehendes.

Ich schluckte. Die Leichtigkeit, die eben noch dagewesen war, verflog augenblicklich. »Ja«, erwiderte ich zaghaft und musste mich kurz räuspern. Er atmete erleichtert aus. Ich hatte den Eindruck, die Anspannung wich nun etwas aus seinem Körper. »Aber es geht nicht jetzt sofort. Ich kann das meiner Familie nicht noch einmal antun.« Er nickte. »Es ist ein großer Schritt, ich muss hier erst alles regeln und mich vernünftig von allen verabschieden.« Es fiel mir schwer daran zu denken, wie ich das meiner Familie erklären sollte. »Ich denke, es wäre gut, wenn ich dich meiner Familie vorstelle und auch meine Freunde dich besser kennenlernen. Wenn sie merken, wie nett du bist und dass es mir bei dir gut geht, fällt es ihnen sicher leichter mich gehen zu lassen.«

Flavius legte seine Hand auf meine. »Wir machen es so wie du möchtest! Hauptsache du kommst mit mir nach Hause und bleibst dann für immer. Ich schaffe es nicht mehr ohne dich, ich habe es wirklich versucht … aber es ging einfach nicht.«

»Ich weiß, was du meinst. Mir ging es genauso!« Wir sahen uns tief in die Augen und ich wusste, dass es der richtige Weg für mich war. Auch wenn der Funken Hoffnung noch nicht erloschen war, dass er vielleicht doch bei mir in dieser Zeit blieb und ich alles haben konnte.

III

Helena

Am Abend klingelte mein Handy. Ich ahnte nichts Gutes, als ich die Nummer meiner Mutter auf dem Display entdeckte und verzog mich auf den kleinen Balkon an unserem Zimmer.

»Ja, hallo?«, nahm ich das Gespräch an.

»Helena, Gott sei Dank. Ich dachte schon, du würdest jetzt wieder nicht abnehmen. Jule hat mich angerufen und mir erzählt, dass du schon wieder mit diesem Jungen unterwegs bist.«

»Mama, mach dir bitte keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung!«, versuchte ich sie gleich zu bremsen. Ich wollte auch nicht, dass Flavius mitbekam, wie abfällig sie über ihn sprach. Bei ihrer Lautstärke war ich gezwungen das Handy in einigem Abstand von meinem Ohr zu halten.

»Ich mache mir sogar große Sorgen. Das letzte Mal, als du dich mit ihm getroffen hast, warst du wochenlang verschwunden und danach ein völlig anderer Mensch. Ich stehe das nicht noch einmal durch. Komm jetzt bitte wieder nach Hause.« Ich spürte an dem nachdrücklichen Unterton, wie ernst es ihr war. Ich konnte ihre Angst nachvollziehen.

»Wir bleiben noch bis Donnerstag morgen, dann kommen wir nach Hause«, bestätigte ich ruhig, aber bestimmt.

Aufgeschreckt horchte sie auf. »Wir? Heißt das, der Junge kommt auch mit? Will er etwa bei dir wohnen? Das wird ja immer schöner!«

»Der Junge ist eigentlich ein erwachsener Mann und ja, er wird eine Weile bei mir wohnen.« Am anderen Ende war es nun bedenklich still. »Ihr werdet euch dann ja bald kennenlernen. Wir fahren mit dem Auto, daher sind wir ein paar Tage unterwegs. Ich melde mich dann, wenn wir zurück sind.«

»Wieso mit dem Auto? Aber pass auf, dass er nicht so rast!«

»Keine Sorge, ich fahre. Er hat gar keinen Führerschein. Also bis dann!« Ich wusste, sie wollte noch etwas sagen, aber ich legte auf. Es war ein Vorgeschmack darauf, was mich erwartete, sobald wir zurück waren. Ich seufzte und begab mich zurück ins Hotelzimmer.

Flavius saß auf dem Sofa und schaute Fernsehen, er tippte wild auf der Fernbedienung und schaltete fasziniert alle paar Sekunden ein neues Programm an. »War das deine Mutter?«, fragte er, als ich mich neben ihm niederließ.

»Ja«, stöhnte ich.

»Also hast du mit ihr gesprochen, während sie sich gerade in Germanien befindet?« Seine Augen leuchteten.

»Eigentlich heißt es heute Deutschland!« Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und nahm mir fest vor, die Autofahrt zu nutzen, um ihn zumindest ansatzweise auf den heutigen Wissensstand zu bringen.

Die nächsten Tage verbrachten wir damit uns das heutige Rom anzusehen. Ich zweifelte daran, ob es eine gute Idee war, Flavius die kläglichen Überreste aus seiner Zeit zu zeigen, aber er wünschte es sich unbedingt. Also standen wir nun in der Mittagshitze auf dem Forum Romanum zwischen kaputten Säulen und Mauerresten. Um uns herum wimmelte es von Touristen. Flavius staunte über die Veränderungen der Zeit, aber er wirkte auch wehmütig über den Verlust seiner Heimat.

»Die meisten dieser Bauwerke sind eigentlich erst nach deiner Zeit entstanden. Aber das hier ist das Forum Iulium, das Cäsarforum.« Flavius betrachtete zerknirscht die Steinhaufen. »Eigentlich ist es ein Wunder, dass überhaupt noch etwas erhalten ist, nach so langer Zeit. Aber die Menschen lieben Rom. Aus der ganzen Welt kommen sie, um hier seine Schönheit und Geschichte zu erleben«, versuchte ich ihn aufzumuntern.

Vermutlich fühlte es sich für ihn so an, als hätte gerade eine Bombe seine ganze Heimat zerstört.

»Ich frage mich, wofür ich eigentlich so oft mein Leben riskiert habe, wenn das hier alles ist, was letztlich übrigbleibt«, sagte er und seine Augen schimmerten traurig.

»Wir hätten besser nicht herkommen sollen!«, murmelte ich vor mich hin und blickte mich zwischen den Touristen um. Es gab hier nichts, was aus seiner Zeit noch in seiner vollen Schönheit überlebt hatte. Da kam mir ein Einfall.

»Ich zeige dir jemanden, den du kennst!« Ich nahm seine Hand und zog ihn mit mir. Kurz darauf starrten wir beide die große Statue vor uns hinauf. »Ave, Cäsar!«, salutierte ich zum Spaß. Flavius‘ Mundwinkel zuckten zumindest leicht. Er blickte fasziniert hinauf in das versteinerte Gesicht. »Sie sieht ihm ein bisschen ähnlich, oder?«

»Aber nur ein bisschen«, antwortete er missmutig, den Blick bewegungslos auf die Statue gerichtet. Dann riss er sich krampfhaft von dem Anblick los. »Was war das ursprünglich?« Er deutete in den Hintergrund.

»Das ist das Forum von Kaiser Augustus. Er war der Großneffe Cäsars.«

»Oktavian? Er wurde Kaiser?« Flavius wirkte blass und setzte sich auf ein Stück Mauer. Ich strich ihm über den Rücken, um ihn etwas zu beruhigen.

»Lass uns lieber zurück ins Hotel gehen.« Ich nahm seinen Arm und er ließ sich glücklicherweise ohne Widerstand mitziehen.

Einen Tag darauf saßen wir bereit zur Abreise im Mietwagen. Flavius hatte keinen Ausweis, also konnten wir nicht fliegen. Aber auch sonst wäre das vermutlich zu viel für ihn gewesen. Es hatte einige Überredungskunst gebraucht, bis er sich überwunden hatte in das Auto einzusteigen.

Während er kritisch den Innenraum untersuchte, machte ich mich mit der Schaltung vertraut.

»Bereit?«, fragte ich. Flavius nickte. Er hielt sich krampfhaft an dem Türgriff fest.

Ich startete den Motor und trat auf das Gaspedal. Der Wagen machte einen Satz und würgte ab. »Ups«, kommentierte ich diesen Sachverhalt verlegen.

»Bist du sicher, dass du das kannst? Vielleicht leihen wir uns lieber ein paar Pferde!« Seine Stimme klang heiser.

»Ich kann das. Der Wagen ist nur fremd«, beruhigte ich ihn und probierte es noch einmal. Diesmal klappte es problemlos und wir rollten vom Hof der Autovermietung. Ich fuhr ganz langsam, aber bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Flavius zitterte. Liebevoll tätschelte ich sein Bein.

»Halt das Lenkrad fest«, schrie er außer sich.

»Ist ja schon gut«, murrte ich. Wie sollte das bloß auf der Autobahn werden?

Einige Stunden später hatten wir beide uns etwas an das Auto gewöhnt. Dennoch stand Flavius der Schweiß auf der Stirn.

»Entspann dich bitte. Wir müssen noch durch Italien, die Alpen und dann bis ganz in den Norden Germaniens, ich meine Deutschlands«, führte ich ihm vor Augen. Er schüttelte nur immer wieder fassungslos den Kopf. Für ihn war dies eine Reise quer durch die ihm bekannte Welt. »Wir sollten auch noch ein paar grundlegende Dinge besprechen.« Zumindest konnte ich ihn damit kurzzeitig von seiner Angst ablenken. Seine Augen weiteten sich unheilvoll. »Zum Beispiel gibt es bei uns keine Sklaven!«

»Wer erledigt dann ihre Arbeit?«

»Menschen, die dafür Geld bekommen. Hier sind alle Menschen gleich viel wert. Man kann sie nicht besitzen oder kaufen.« Ich warf ihm einen flüchtigen Blick zu, wie er auf die Neuigkeiten reagierte. Er nickte vor sich hin. Immerhin schien er kein vehementer Verfechter der Sklaverei zu sein.

»Wie bezahlst du die Leute für ihre Dienste? Es ist sicher nicht günstig«, fragte er nach einer Weile.

»Aus diesem Grund habe ich keine Angestellten. Ich wasche meine Wäsche selbst, putze, koche und kaufe ein.« Ich grinste. Er bedachte mich mit einem anerkennenden Blick uns ich kam nicht umhin einen gewissen Stolz zu verspüren.

»Was muss ich noch wissen?«

Ich überlegte. »Die Erde ist keine Scheibe!« Sein Mund stand offen. Mir entwich ein herzliches Lachen. Er kam aus einer komplett anderen Welt. »Sie ist eine Kugel, ein Planet, der sich im Weltall um die Sonne dreht. Vielleicht schauen wir uns zu Hause besser eine Doku zu dem Thema an.« Das aufgewühlte Funkeln in seinen Augen verriet mir, dass dies eine fantastische Idee war.

Wir übernachteten in einem Hotel an der Autobahn und fuhren am nächsten Morgen nach dem Frühstück gleich weiter. Flavius bestaunte begeistert die Landschaft, die an uns vorbeiraste. Wir unterhielten uns über alles Mögliche und die Zeit verging erstaunlich schnell. Ich versuchte ihm im Schnelldurchlauf die Weltgeschichte zu erklären und er hörte aufmerksam zu und versuchte die Ereignisse nachzuvollziehen.

Freitagabend erreichten wir Hamburg. Glücklicherweise war ein Parkplatz nah an meiner Wohnung frei, denn normalerweise war es in dieser Gegend echt schwer einen zu finden.

»Geschafft! Wir sind da. Da drüben wohne ich.« Ich zeigte über die Straße hinauf auf ein Fenster im zweiten Stock. Dann holte ich meinen Koffer und die Einkauftüten mit Flavius‘ neuer Kleidung aus dem Kofferraum, bevor wir damit die Straße in Richtung Hauseingang überquerten. »Flavius, noch eine kleine Info. Ich wohne mit jemandem zusammen.« Behutsam vermittelte ich ihm die Tatsache, während ich die Haustür im Erdgeschoß aufschloss. Es war besser ihn jetzt schon darauf vorzubereiten, dass wir nicht ganz allein sein würden. »Er heißt Freddie und ist sehr nett«, erzählte ich weiter und steuerte auf die abgenutzte Treppe zu. Als ich mich irritiert umsah, stand Flavius immer noch wie angewurzelt in der Tür. »Kommst du?«

Seine Augen leuchteten finster auf. Sein ganzer Körper bebte vor Anspannung.

»Was ist?«, rief ich ihm durch den Flur zu. Er bewegte sich nicht, also stellte ich notgedrungen den Koffer neben der Treppe ab und kehrte zu ihm zurück.

»Wieso hast du mir das nicht früher gesagt?«, brummte er. Seine Lippen waren nur noch eine harte Linie.

»Das spielt doch keine Rolle. Er ist nur mein Mitbewohner. Jeder hat sein eigenes Schlafzimmer.« Dann fiel mir ein, dass es im alten Rom auch für verheiratete Paare normal war, getrennte Schlafzimmer zu haben und ich biss mir auf die Lippen. Sein Kiefer presste sich fest aufeinander.

»Natürlich spielt es eine Rolle, wenn du mit einem anderen Mann zusammenlebst. Und was genau ist dann meine Stellung in dem Ganzen?«

»Du bist mein Freund, der mit mir in meinem Schlafzimmer wohnt.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und versuchte ihn zu küssen. Ein paar entscheidende Zentimeter fehlten. Zuerst sah er mich nur nachdenklich an, senkte dann aber leicht seinen Kopf und ich drückte ihm einen geräuschvollen Kuss auf die Wange. »Es gibt keinen Grund eifersüchtig zu sein! Nun komm!«

Wieder marschierte ich zur Treppe und diesmal folgte er mir zögerlich. Insgeheim fand ich es unfassbar süß, dass er so eifersüchtig reagierte. Dennoch hoffte ich, das Zusammenleben mit ihm und Freddie würde reibungslos ablaufen.

Oben angekommen schloss ich die Wohnungstür auf und wir betraten den schmalen Flur. Im Vergleich zu seinem Haus war es hier mehr als beengt. »Hier ist das Bad und dort die Küche. Es ist nicht sehr groß. Das ist Freddies Zimmer, aber er kommt erst heute Abend spät von der Arbeit. Und hier ist mein Zimmer.« Ich öffnete meine Zimmertür und winkte Flavius hinein. Schnell zog ich die Vorhänge zur Seite und riss das Fenster auf, denn die Luft war ziemlich stickig. Leider war es auch extrem unordentlich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Flavius das Chaos hier je zu Gesicht bekommen würde, daher bemühte ich mich nun eilig ein paar verteilte Klamotten in den Schrank zu stopfen und herumstehendes Geschirr in die Küche zu bringen.

Als ich zurückkam, saß Flavius regungslos auf dem Bett, das leider ebenso unordentlich zerwühlt und länger nicht frisch bezogen war.

»Wieso erlaubt deine Mutter, dass du hier allein mit einem fremden Mann lebst?«, fragte er mich bedrückt.

»Freddie ist kein Fremder. Ich bin mit ihm schon fast sechs Jahre befreundet. Das ist bedeutend länger, als ich dich kenne!«, rief ich ihm zu, während ich meinen Koffer auspackte und unsere Schmutzwäsche in die Waschmaschine brachte. »Ich räume dir diese Schublade frei, dann kannst du deine Kleidung hierein packen.« Er reagierte nicht und als ich ihn genau ansah, wirkte er abwesend. Zögernd schlenderte ich zu ihm hinüber und setzte mich neben ihn aufs Bett. »Ist alles in Ordnung?«

»Mhm. Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass hier offenbar alles etwas lockerer gehandhabt wird«, antwortete er zerknirscht.

»Was meinst du? Bist du immer noch sauer wegen Freddie? Er ist nur ein guter Freund.« Ich legte meine Hand auf seinen Oberschenkel und er fixierte sie mit seiner dort.

»Es ist nur, wenn ich daran denke, wie bewacht die Mädchen bei mir zu Hause werden. Bis sie schließlich heiraten, verlassen sie das Haus eigentlich nie allein. Und du fährst allein mit so einem Auto durch ganz Germanien, wohnst mit einem fremden Mann zusammen und tust offenbar einfach was dir gefällt!« Er sagte das auf so negative Weise, dass ich mich schuldig fühlte.

Ich hatte eine leise Ahnung von dem, was er eigentlich meinte. Es gab niemanden, der mich beaufsichtigte oder darüber gewacht hatte, was ich die letzten Jahre so getrieben hatte. Bei diesen Frauen in Rom wusste er immer, wie ihr bisheriges Leben ausgesehen hatte. Bei mir wusste er das nicht und es erweckte den Anschein, mein Leben sei bislang völlig unkontrolliert, wild und unmoralisch verlaufen.

Mir entfuhr ein stummer Seufzer, unsicher was ich machen oder sagen sollte. Planlos stand ich auf und verstaute seine Kleidung selbst in der Schublade. Vielleicht musste er einfach lernen damit zu leben. Dann räumte ich weiter mein Zimmer auf, denn ich hatte die letzten Monate wirklich nichts getan. Nach einer Dreiviertelstunde glänzte alles sauber und ich fühlte mich bedeutend besser. Flavius hockte immer noch auf dem Bettrand und träumte vor sich hin. Ich hatte eine Idee und holte meine Fotoalben hervor.

»Willst du sehen, wie ich als Kind ausgesehen habe?«, fragte ich in fröhlichem Ton, um die Stimmung wieder zu heben. Er erwachte aus seiner Starre und ich setzte mich neben ihn und klappte das Album auf. »Das bin ich als Baby.« Ich deutete auf ein Foto von mir, nackt auf einer Decke. Nun musste er lächeln und ich atmete erleichtert auf.

Wir arbeiteten uns durch das ganze Album und er verfolgte meine Entwicklung Schritt für Schritt mit, stellte Fragen zu den Personen und Orten auf den Bildern und wollte alle Zusammenhänge der Ereignisse, wie Weihnachten, Geburtstage und andere Feiertage, erfahren. Als wir bei meiner Einschulung angekommen waren, hörte ich den Schlüssel im Türschloss klappern.

Mein Herz klopfte schneller und ich hoffte inständig, Flavius würde sich angemessen verhalten.

»Helena? Bist du da?«, rief Freddie aus dem Flur.

»Ja, wir sind hier«, antwortete ich angestrengt, stand vom Bett auf und sah Flavius flehend an.

Er starrte zur Tür.

Freddie erschien im Türrahmen und wirkte erleichtert mich zu sehen. Dann fiel sein Blick auf Flavius. Unsicher strich er sich durch die schulterlangen, dunkelblonden Haare.

»Hey, Freddie!« Ich begrüßte meinen Mitbewohner und ging zu ihm hinüber. Er umarmte mich, es fühlte sich aber merkwürdig steif an. Als ich mich wieder umdrehte, registrierte ich Flavius zusammengekniffene Augen. »Freddie, das ist Flavius«, stellte ich ihm Flavius vor.

Glücklicherweise schien dieser sich in dem Moment an seine gute Erziehung zu erinnern, denn er stand auf und schritt auf Freddie zu.

»Mein Name ist Flavius Caecilius Metellus. Sehr erfreut!«, sagte er förmlich und reichte Freddie die Hand.

»Hi, ich bin Freddie«, antwortete dieser überrascht und schüttelte sie eifrig.

»Ich hoffe, es ist für dich in Ordnung, wenn er eine Weile bei uns wohnt?«, erkundigte ich mich bei Freddie zaghaft.

»Ja, klar!« Er winkte er ab. »Deine Mutter hat mich schon vorgewarnt.« Nun schien er wieder zu seiner gewohnten Lockerheit zurückgefunden zu haben. »Dann brauchen wir uns immerhin keine Sorgen wegen möglichen Einbrechern zu machen.« Ein Grinsen huschte über sein Gesicht beim Blick auf Flavius‘ Statur. Ich grinste auch. Flavius nicht. Er hatte bei dem Wort Einbrecher alarmiert die Augenbrauen hochgezogen und sah mich nun fragend an. »Nur Spaß!«, sagte Freddie und zog lachend in sein Zimmer ab.

Ich atmete erleichtert aus. Das hatte doch ganz gut geklappt. »Wollen wir etwas kochen?«, fragte ich Flavius gut gelaunt. »Ich weiß nicht, was wir im Kühlschrank haben, aber wir können ja mal schauen.«

»Ich kann nicht kochen«, murrte er ablehnend.

»Du kannst mit einem Messer umgehen. Das reicht mir.«

Ich nahm seine Hand und zog ihn widerwillig mit mir in die Küche. Flavius stellte sich erstaunlich gut an, denn er schnippelte in kürzester Zeit Massen an Gemüse klein. Ich kochte dazu Reis und wir schafften es, zu dem Gemüse eine leckere Soße aus Kokosmilch und einer asiatischen Gewürzmischung zu zaubern. Ich gab Flavius seinen Teller und er untersuchte den Reis skeptisch zwischen den Fingern. »Reis ist wirklich lecker! Willst du versuchen mit Messer und Gabel zu essen oder lieber wieder mit einem Löffel?« Ein Hauch Belustigung schwang in meinen Worten mit, als ich den Tisch deckte.

»Gib schon her«, sagte er gespielt genervt und nahm mir eine Gabel aus der Hand.

»Soll ich Freddie fragen, ob er mit uns essen möchte?«, fragte ich ihn vorsichtig und er nickte zu meiner Freude.

So saßen wir zu dritt in der kleinen Küche an unserem noch winzigeren Esstisch. Flavius wirkte in dieser Umgebung noch größer.

»Das schmeckt vorzüglich. Ich fasse es nicht, dass du so gut kochen kannst!«, lobte er mich und seine Augen sprühten vor Begeisterung.

Freddie sah ihn verblüfft an. Genauso wie ich hatte er wohl gemerkt, dass der Reis völlig versalzen und die Soße ihren Geschmack einem Fixprodukt zu verdanken hatte.

Dann zwinkerte er mir vielsagend zu und ich lächelte stolz. Im alten Rom hatten die Gerichte stets sehr salzig geschmeckt. Je salziger und überwürzter das Essen war, umso edler wurden die Speisen und ausgezeichneter die Kochkünste eingeschätzt.

Flavius gelang es einigermaßen gut mit der Gabel zu essen, auch wenn der Reis ihm einige Probleme machte und sein Platz danach aussah, als hätte ein zweijähriger dort gegessen.