In the Blink of an Eye - Jo Callaghan - E-Book
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In the Blink of an Eye E-Book

Jo Callaghan

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  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Ausgezeichnet mit dem NEW BLOOD DAGGER der Crime Writers' Association Wer ist der bessere Ermittler: ein Mensch oder eine KI? | »Erschreckend zeitgemäß und provokant.« Val McDermid Die verwitwete Ermittlerin Kat kennt sich mit Verlust aus, Vermisstenfälle sind ihre Spezialität. Auf ihre untrüglichen Instinkte und ihr Bauchgefühl kann sie sich verlassen. Nun wird ihr im Rahmen eines Pilotprojekts der Polizei die künstliche Intelligenz Lock zur Seite gestellt, die in Form eines Hologramms in Erscheinung tritt und auf nüchternen Datenanalysen basiert. Locks regelkonforme, logikorientierte Art kollidiert mit Kats intuitivem Vorgehen, und doch sollen sie gemeinsam alte Vermisstenfälle lösen, um die Einsatzfähigkeit von KIs im Polizeidienst zu erproben. Künftig heißt es künstliche Intelligenz gegen menschliche Erfahrung, Logik gegen Instinkt. Werden sie einen gemeinsamen Nenner finden? Und können sie die Fälle lösen und weitere Verbrechen verhindern? »Bahnbrechend, tiefgründig und nervenaufreibend.« Chris Whitaker »Die moralischen Dilemmas, die durch künstliche Intelligenz entstehen, werden in diesem durch und durch menschlichen Roman gekonnt ausgelotet.« The Sunday Times »Der außergewöhnlichste Kriminalroman, den Sie dieses Jahr lesen werden!« Clare Mackintosh »Ein starker Anwärter auf das Krimidebüt des Jahres – scharfsinnig, einfühlsam geschrieben und eine brillante neue Interpretation des klassischen Ermittlerpaares.« T.M. Logan Die britische Autorin Jo Callaghan erforscht die zukünftigen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz und Genforschung auf die Arbeitswelt. In ihrem Krimidebüt »In the Blink of an Eye« wirft sie nun einen eindringlichen Blick auf ein prominentes Dilemma unserer Zeit: Auf was sollte man sich verlassen, den menschlichen Instinkt oder computerbasierte Analysen? Kann jahrzehntelange persönliche Erfahrung tatsächlich von Datenbank-Berechnungen geschlagen werden? Kann eine Maschine die intellektuelle Arbeit eines Menschen übernehmen? Gekonnt paart Jo Callaghan in ihrem Kriminalroman eine menschliche Kommissarin und eine künstliche Intelligenz zu einem ungewöhnlichen, konfliktreichen Ermittlerduo und spielt dieses spannende Zukunftsszenario in einem konkreten Fall aus. In Zeiten von ChatGPT eine Pflichtlektüre! SPIEGEL-Bestsellerautorin Val McDermid zeichnete »In the Blink of an Eye« als eines der vier vielversprechendsten Krimidebüts des Jahres 2023 aus. --- »Einzigartig und absolut überzeugend« The Sun »Gelungene Charaktere, glaubwürdige Emotionen und eine interessante Fragestellung« Independent »Es ist Kat – ihre Persönlichkeit, ihre Beziehung zu ihrem Sohn und ihre Erfahrungen mit Verlust –, die diesen Roman wirklich auszeichnet.« Literary Review »Einer der originellsten und zeitgemäßesten Kriminalromane, die Sie je lesen werden … Bemerkenswert!« Belfast Telegraph »Ein frisches und reizvolles Ermittlerduo – ich habe mich sofort in die allzu menschliche Kat und ihren KI-Kollegen Lock verliebt. Dazu ein fesselnder Kriminalfall, der mit viel Einfühlungsvermögen und Begeisterung erzählt wird.« Louise Candlish »Alles, was man sich von einem Thriller erhoffen kann: erschütternd, intelligent, raffiniert konzipiert und äußerst innovativ.« Fiona Cummins »So fesselnd, dass man es nicht weglegen kann.« Laura Marshall »Eine einzigartige und verblüffende Interpretation des klassischen Ermittlerkrimis. Mitreißend, spannend und sehr lesenswert. Ich bin begeistert!« Sarah Hilary »Jo Callaghan krempelt den klassischen Kriminalroman um. Sehr empfehlenswert!« Olivia Kiernan

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Für Steve

Aus dem Englischen von Sabine Thiele

© Jo Callaghan 2023

Titel der englischen Originalausgabe: »In the Blink of an Eye«, Simon & Schuster UK, London 2023

© Piper Verlag GmbH, München 2023

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München, nach einem Entwurf von Design by Simon&Schuster Art Dept.

Covermotiv: Getty Images (Michael Blann; Yuichiro Chino); Arcangel (Hayden Verry)

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zitat

Zuvor

Kapitel eins

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 10. Juni, 9:30 Uhr

Kapitel zwei

Kapitel drei

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 27. Juni, 8:00 Uhr

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Tyrone Walters’ Elternhaus, Handsworth, Birmingham, 27. Juni, 11:55 Uhr

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Auf dem Weg zum Campus der Universität Warwick, Coventry, 27. Juni, 11:32 Uhr

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 27. Juni, 17:20 Uhr

Kapitel dreizehn

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 27. Juni, 19:21 Uhr

Kapitel vierzehn

Will Robinsons Elternhaus, Stratford-upon-Avon, 28. Juni, 9:40 Uhr

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 28. Juni, 20:21 Uhr

Kapitel zwanzig

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 29. Juni, 7:37 Uhr

Kapitel einundzwanzig

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 29. Juni, 9:00 Uhr

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Coleshill, Warwickshire, 29. Juni, 18:40 Uhr

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 30. Juni, 5:20 Uhr

Kapitel siebenundzwanzig

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 30. Juni, 7:00 Uhr

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 30. Juni, 12:42 Uhr

Kapitel achtundzwanzig

Polizeipräsidium Lake Wootton, Warwickshire, 30. Juni, 17:59 Uhr

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Avon, Stratford-upon-Avon, 1. Juli, 8:02 Uhr

Kapitel einunddreißig

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 2. Juli, 8:00 Uhr

Kapitel zweiunddreißig

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 2. Juli, 19:25 Uhr

Kapitel dreiunddreißig

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 3. Juli, 8:01 Uhr

Kapitel vierunddreißig

Universität Warwick, 3. Juli, 14:10 Uhr

Kapitel fünfunddreißig

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 3. Juli, 14:20 Uhr

Kapitel sechsunddreißig

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 3. Juli, 18:46 Uhr

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 4. Juli, 6:00 Uhr

Coleshill, Hauptstraße, 4. Juli, 15:10 Uhr

Kapitel siebenunddreißig

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 4. Juli, 17:20 Uhr

Kapitel achtunddreißig

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, Warwickshire, 5. Juli, 7:45 Uhr

Kapitel neununddreißig

Kapitel vierzig

Zwei Jahre zuvor, Savoy Hotel, London

Kapitel einundvierzig

Kapitel zweiundvierzig

Kapitel dreiundvierzig

Ufer des Cole, Coleshill, 5. Juli, 9:30 Uhr

Kapitel vierundvierzig

Harborne, Birmingham, 5. Juli, 16:07 Uhr

Kapitel fünfundvierzig

Kapitel sechsundvierzig

Fahrt zu Will Robinsons Elternhaus, Stratford-upon-Avon, 5. Juli, 18:55 Uhr

Will Robinsons Elternhaus, Stratford-upon-Avon, 5. Juli, 18:01 Uhr

Kapitel siebenundvierzig

Kapitel achtundvierzig

Kapitel neunundvierzig

King Charles III Hospital, Parkplatz, Birmingham, 5. Juli, 20:50 Uhr

Kapitel fünfzig

King Charles III Hospital, Birmingham, 5. Juli, 21:02 Uhr

Kapitel einundfünfzig

HEAL-Fachklinik, Birmingham, 5. Juli, 21:55 Uhr

Kapitel zweiundfünfzig

Kapitel dreiundfünfzig

Kapitel vierundfünfzig

Kapitel fünfundfünfzig

Will Robinsons Elternhaus, Stratford-upon-Avon, 6. Juli, 6:47 Uhr

Kapitel sechsundfünfzig

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 18. Juli, 13:08 Uhr

Kapitel siebenundfünfzig

Pub The Cape of Good Hope, Warwick, 22. Juli, 17:17 Uhr

Kapitel achtundfünfzig

DCS Kat Franks Haus, Coleshill, 18. August, 8:30 Uhr

Danksagung

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Doch die eigentliche Frage ist nicht,

ob Maschinen denken, sondern was Menschen tun.

Das Geheimnis, das eine Denkmaschine umgibt,

umgibt den denkenden Menschen schon seit Langem.

B. F. Skinner, Die Funktion der Verstärkung in der Verhaltenswissenschaft[1]

Zuvor

Er kann nichts sehen.

Er versucht, die Augen zu öffnen, doch irgendetwas hindert ihn daran. Langsam und ungeschickt betastet er sein Gesicht. Eine Augenbinde? Ein Verband? Was zum Teufel …?

Erst zerrt er mit einer Hand daran, dann immer verzweifelter mit beiden. Doch was auch immer es ist, es sitzt zu fest.

Seine Gedanken rasen, suchen nach Erklärungen. Er träumt. Hat zu viel getrunken, einen Kater. Ist das Opfer irgendeines beschissenen Spaßes im Suff. Wahrscheinlich war es Lukes Idee.

Speichel sammelt sich in seinem Mund, als ihm einfällt, dass er am Abend zuvor nicht mit Luke unterwegs gewesen war. Tatsächlich war er überhaupt nicht ausgegangen, weil er am Morgen den Termin gehabt hatte und dann …

Und dann.

Verdammt.

In der totenstillen Schwärze hört er nur das Hämmern seines Herzens, sieht einen pulsierenden Schimmer hinter seinen Augenlidern. Er streckt die Hände zu beiden Seiten aus, spreizt die Finger in den Raum, den er nicht sehen kann. Er sitzt auf einem Bett. Einem schmalen Bett mit einer kratzigen Decke oder einem Handtuch in einem Bettbezug und … Er zuckt zusammen, als er kaltes, hartes Metall berührt. Mit gerunzelter Stirn tastet er noch einmal. Ein Geländer oder Haltegriff?

Das ist nicht sein Bett.

»Hallo?«, ruft er und bereut es sofort, denn die Furcht in seiner Stimme ist unüberhörbar, ebenso wie ihr Hall in einem leeren Raum. Die Luft ist kalt, und es riecht nach … Er schnüffelt, sucht nach dem Wort … Desinfektionsmittel?

Eine Tür wird geöffnet, und er dreht den Kopf zu dem Geräusch.

»Hallo?«, sagt er noch einmal, hoffnungsvoller.

Die Tür wird geschlossen.

Schritte. Sie sind leise, der Boden scheint ein wenig klebrig zu sein.

Die Schritte verstummen.

Seine Augen brennen von dem Versuch, durch das, was sie verdeckt, hindurchzusehen. »Wer sind Sie? Wo bin ich …?«

Behandschuhte Hände packen seinen linken Unterarm. Einen Moment ist er zu schockiert, um sich zu bewegen, dann durchzuckt ihn Angst, und er versucht, den Arm zurückzuziehen. Doch der Griff ist eisenhart. Bei dem plötzlichen, eiskalten Stich in seine Vene schnappt er nach Luft. Es dauert zwei, drei Sekunden, dann lässt ihn die fremde Person los. Er riecht etwas Scharfes, Chemisches.

Er streicht mit den Fingern über die schmerzende Stelle. »Wo bin ich? Wer sind Sie?«

Er sieht in die Richtung, in der er die fremde Person vermutet. Jetzt könnte sie eine einfache Erklärung abliefern, alles würde einen Sinn ergeben, und er würde über seine paranoiden Vorstellungen lachen – wenn auch etwas unsicher.

Doch die Person schweigt. Das Quietschen weicher Schuhsohlen auf dem Linoleumboden ist das einzige Geräusch. Eine Tür wird geöffnet.

»Warten Sie!«

Die Tür schließt sich. Ein Schlüssel wird umgedreht.

Er zuckt in Richtung des Geräuschs, doch sein Körper ist schwer und träge, wird von einer unbekannten Kraft nach unten gezwungen. Er greift nach dem Geländer, das sein Bett umgibt. Seine Finger streifen über das kalte, glatte Metall, weigern sich aber, sich darumzulegen. Er kann nichts greifen, kann nichts begreifen.

Er versucht, die Augenbinde abzustreifen, doch seine Arme – diese unendlich schweren Arme – fallen nutzlos herab. Er sinkt zurück auf die Kissen, geblendet von den Farben, die hinter seinen Augen explodieren.

Dann wird alles schwarz.

Kapitel eins

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 10. Juni, 9:30 Uhr

DCS Kat Frank bohrte die Absätze ihrer neuen Schuhe in den alten Teppich, als sie zum Büro ihres Chefs eilte. Chief Constable McLeish war es egal, wer man war: ein hochrangiger Politiker, mit dem erst nach Monaten ein Termin gefunden werden konnte, oder ein Kollege, der den ganzen Tag im Zug verbracht hatte, nur um ihn zu sehen – wenn man auch nur fünf Minuten zu spät war, konnte man gleich wieder gehen. Und Kat war ganze sechsunddreißig Minuten zu spät. Hurra.

»Ich mache einen neuen Termin, okay?«, flüsterte seine Assistentin.

Kat warf einen Blick auf die geschlossene Bürotür. Vor zwei Jahren hätte sie noch zugestimmt und wäre rasch wieder geflüchtet, solange ihre Trommelfelle noch intakt waren. Doch nach allem, was sie durchgemacht hatte, war ein Anschiss ihre geringste Sorge. Sie ignorierte die Assistentin, die ungläubig nach Luft schnappte, klopfte einmal kurz an und betrat das Büro ihres Vorgesetzten.

Chief Constable McLeish saß hinter seinem Schreibtisch vor einem großen, hellen Fenster, sodass alle Besucherinnen und Besucher in die Sonne blinzeln mussten, während sie versuchten, seine Stimmung einzuschätzen. Er stand nicht auf und zeigte auch sonst keine Reaktion. Doch immerhin befahl er ihr nicht, gleich wieder zu verschwinden.

Kat ertrug sein Schweigen und den unerbittlichen Blick. Es hatte keinen Sinn, ihm von der blauhaarigen Anhalterin mit dem selbst geschriebenen Schild zu erzählen, auf dem genauso gut »Töte mich!« gestanden haben könnte. Trotz des Termins hatte Kat angehalten, bevor irgendwelche Möchtegernmörder der Aufforderung nachkamen, und sie gefragt, wer zur Hölle heutzutage noch per Anhalter unterwegs war. (Achtzehnjährige Mädchen aus Polen, auf dem Heimweg von einem Musikfestival, nachdem ein »echt cooler Typ« gesagt hatte, man würde »auf jeden Fall« einen Job als Pflückerin auf einer der Plantagen in Warwickshire bekommen.) Nachdem sie das Mädchen zu einer Erdbeerfarm mit mieser Bezahlung, aber netten Menschen gebracht hatte, war sie nun hier, eine halbe Stunde zu spät zu dem Termin, bei dem sie mindestens eine halbe Stunde früher hatte da sein wollen.

Doch McLeish interessierte sich nicht für Erklärungen. Sie wusste auch, dass er Schweigen als Waffe einsetzte – die wenigsten konnten dem Impuls widerstehen, draufloszuplappern und ihm damit einen Vorteil zu verschaffen, der sich kaum wieder ausgleichen ließ –, weshalb sie seinen Blick erwiderte und den Mann musterte, den sie seit über einem Jahr nicht gesehen hatte.

McLeish war ihr zweiter Chef, ihr erster Mentor und – wie sie sich gern einbildete – einer ihrer ältesten Freunde. Selbst wenn er ihr einen Einlauf verpasste, tat er das nur, weil er glaubte, sie könnte etwas daraus lernen – was auch zutraf. Am Anfang hatte Kat viele Fehler gemacht, doch keinen ein zweites Mal. Ihre Kolleginnen und Kollegen beneideten sie darum, wie sie ihn »lesen« konnte, als wäre er ein besonders schwieriges Kreuzworträtsel. Kat erschien es jedoch sehr einfach. Wenn er sich ärgerte, wurde sein Gesicht lila. Wenn er zufrieden war, brummte er ein paar schroffe Worte, die sie tagelang glücklich machten. Doch wenn er schwieg, konnte auch sie nur raten.

»Was machen die Kinder?«, tastete sie sich schließlich vor.

Sein Gesicht wurde weicher. »Eine Plage. Ernsthaft, vor dreißig Jahren hat man die Jungen einfach nach draußen geschickt, ihnen abends etwas zu essen gegeben und sie dann ins Bett manövriert. Heutzutage dürfen unsere kleinen Mädchen nicht hinaus, außer man hat ein neumodisches ›Playdate‹ vereinbart. Und ich soll ihnen jeden Abend zum Einschlafen eine Geschichte vorlesen. Ist das zu glauben?«

»Unverschämtheit«, antwortete Kat lächelnd. Kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag hatte McLeish alle überrascht, als er noch einmal geheiratet und eine zweite Familie gegründet hatte. Und warum auch nicht? Er war glücklich, das sah man.

»Na, wenigstens weiß ich es besser und hoffe nicht darauf, dass es leichter wird, wenn sie älter werden.« Er hievte sich aus seinem Schreibtischstuhl und ging zu dem schwarzen Ledersofa in der Ecke des Büros, wobei er ihr bedeutete, ihm Gesellschaft zu leisten.

Kat setzte sich in einen der Sessel und unterdrückte die alberne Freude darüber, dass er ihr offenbar verziehen hatte. Himmel, sie war fünfundvierzig, kein kleines Schulmädchen mehr.

»Wie geht es Cam?«, fragte er. »Macht er dieses Jahr nicht Abitur?«

»Ja, wir warten gerade noch auf die Noten. Weshalb ich mit Ihnen reden wollte.«

»Sie langweilen sich und wollen zurückkommen.«

Das war keine Frage. Er kannte sie einfach zu gut. Sie nickte, doch bevor sie weitersprechen konnte, runzelte er die Stirn.

»Sind Sie sicher, dass Sie bereit dafür sind, Kat? Es ist gerade mal sechs Monate her, dass …«

»Ich bin mir sicher. Am Anfang hat Cam viel Unterstützung gebraucht, doch mittlerweile geht es ihm viel besser. Er hat die Medikamente abgesetzt, die Therapie ist beendet, und er will im September auf die Uni gehen, wenn alles klappt.«

»Ich habe nicht nach Cam gefragt, sondern nach Ihnen.«

»Mir geht es gut.« Kat errötete. »Oder das wird es zumindest, wenn ich wieder arbeite.«

»Ich verstehe.«

Natürlich tat er das. Das hatte er schon immer.

»Also, was schwebt Ihnen vor?« Das Ledersofa seufzte leise, als McLeish sich zurücklehnte.

»Bevor ich mir eine Auszeit genommen habe, sollte ich darüber nachdenken, ob ich mich auf Führungspositionen bewerben möchte – die Abteilungsleitung vielleicht oder sogar Assistant Chief Constable.«

»Und Sie haben gesagt, dass Sie sich lieber die eigenen Zehen abkauen würden, als einen Schreibtischjob anzunehmen.«

»Das war davor.« Kat dachte an die Frau von früher zurück, die nicht verstehen konnte, wie jemand lieber auf eine Tastatur einhämmerte, als die Straßen abzuklappern. »Ich habe Cam versprochen, dass ich mir eine sichere Stelle suche, wenn ich wieder zu arbeiten anfange. Er darf mich nicht auch noch verlieren.«

McLeish rieb mit der Hand über seine Glatze. »Ich weiß. Doch im Moment sind keine Führungspositionen frei, und selbst wenn … Sie sind jetzt seit zwei Jahren draußen. Es hat sich viel verändert.«

»Warum haben Sie dem Treffen dann zugestimmt?« Sie konnte den Ärger in ihrer Stimme nicht unterdrücken. Es war nicht seine Art, mit Menschen zu spielen.

McLeish beugte sich vor. »Weil ich den perfekten Job für Sie habe. Haben Sie die neue Innenministerin schon kennengelernt?« Er wartete nicht auf ihre Antwort, denn natürlich hatte sie die Frau noch nicht getroffen. »Sie ist nett, aber völlig verblendet. Glaubt, es gebe noch ›Effizienzmaßnahmen‹, die all ihren Vorgängern irgendwie entgangen sein müssten.«

Kat zuckte mit den Schultern. In der Politik machten alle große Versprechen, die Zahl der Polizeikräfte und »überflüssige Ausgaben« zu reduzieren, bevor ihre Füße unter dem Ministerschreibtisch standen. Doch sobald man sie ins Unterhaus gezerrt hatte, damit sie Rede und Antwort für eine schreckliche Vergewaltigung oder einen Mord standen, diskutierten sie mit dem Finanzministerium über mehr Polizeipräsenz auf den Straßen.

»Sie ist anders«, sagte McLeish, der ihre Miene richtig gedeutet hatte. »Sie kommt aus der IT und ist überzeugt, dass die Antwort auf mehr Kriminalität nicht mehr Polizei ist, sondern mehr AIDEs.«

»Was bitte?«

»AIDEs – Artificially Intelligent Detecting Entities. Auf künstlicher Intelligenz basierende Ermittlungseinheiten.« Er machte eine wegwerfende Geste. »Im Grunde eine Art glorifizierte Alexa, die blitzschnell Daten verarbeiten und angeblich mehr Verbrechen aufklären kann, bei einem Bruchteil der Kosten eines echten Polizisten.«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Ich fürchte, es ist ihr Ernst.« McLeish stand auf und holte einen Bericht von seinem Schreibtisch. »Laut einer Studie, die die Ministerin in Auftrag gegeben hat, verschwindet in Großbritannien alle neunzig Sekunden ein Mensch, was im Jahr über dreihunderttausend Fälle ergibt. Das kostet die Polizei viel Aufwand – vierzehn Prozent der gesamten Arbeitszeit, um genau zu sein – und geschätzt zweitausendfünfhundert Pfund pro Fall. Das ist viermal so viel wie ein durchschnittlicher Einbruch. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass große Teile der Routinearbeit bei Vermisstenfällen – zum Beispiel die Auswertung von Gesprächen, Akten, Videoüberwachung und Handydaten – von diesen AIDEs übernommen werden kann, was ›signifikante‹ Einsparungen hinsichtlich Zeit und Kosten bedeutet.«

Kat schnaubte und stand ebenfalls auf. »Das ist doch völliger Blödsinn. Vielleicht kann uns eine KI bei der Sammlung von Daten helfen, aber sie kann nichts beurteilen, sie kann kein Ermittler sein. Verbrechen werden von Menschen verübt. Wie kann ein Computer auch nur im Ansatz verstehen, warum ein Mensch verschwindet oder wie es ist, zurückzubleiben und im Unklaren über das Schicksal zu sein? Himmel.« Sie schüttelte den Kopf, als sie an die Türen zurückdachte, an die sie früher hatte klopfen müssen. An die traumatisierten Familien dahinter. »Bei der Bearbeitung von Vermisstenfällen geht es nicht nur um die Kosten. Mit diesen Familien muss taktvoll und einfühlsam umgegangen werden. Sie brauchen einen Menschen als Ansprechpartner, keinen Computer.«

»Genau«, bestätigte McLeish. »Deshalb sollen Sie ein Pilotprojekt leiten, bei dem eine dieser AIDEs ungeklärte Vermisstenfälle überprüft.«

»Wie bitte? Machen Sie Witze?« Die Leidenschaft, mit der sie gerade noch gesprochen hatte, war verschwunden. »Sie wissen doch, wie es John ergangen ist. Wegen sogenannter künstlicher Intelligenz.« Bei dem letzten Wort verzog sie bitter den Mund.

»Ich weiß«, sagte er sanfter. »Und genau deshalb frage ich Sie. Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, Kat. Ich habe diesem Pilotprojekt zugestimmt, um noch verrücktere Ideen zur Kosteneinsparung abzuwehren. Da kann ich garantiert keinen übereifrigen Mittzwanziger brauchen, der sich bei der Ministerin einschleimen will und auf eine Beförderung hinarbeitet.«

»Sie wollen also eine abgehalfterte Mittvierzigerin, die nach Ihrer Pfeife tanzt?«

»Ich will jemanden, der die Risiken richtig einschätzen kann.«

Kat verschränkte die Arme. O ja, die Risiken konnte sie richtig einschätzen. »Ich bin seit fast fünfundzwanzig Jahren bei der Polizei und habe verdammt hart für den Rang eines Detective Chief Superintendent gearbeitet. Ich habe Mordermittlungen geleitet, komplexe länderübergreifende Betrugsfälle, die Gesetzesänderungen nach sich zogen. Ich habe sogar den Würger von Aston gefasst, verdammt noch mal. Warum um Himmels willen sollte ich mir jetzt also ein paar Cold Cases für das Lieblingsprojekt irgendeiner Ministerin vornehmen?«

»Weil«, erwiderte McLeish leise, »dieses ›Lieblingsprojekt‹ als Vorwand dienen wird, um noch mehr Polizeikräfte abzubauen, wenn Sie es nicht tun. Sie sind der menschlichste Detective, den ich kenne, Kat. Sie können quasi hellsehen. Wenn irgendjemand beweisen kann, wie dämlich dieses Projekt ist, dann Sie.«

Kat wandte sich ab und starrte wütend auf die Karte von Warwickshire an der Wand. McLeish hatte sie noch nie etwas abschlagen können. Und ein Pilotprojekt, bei dem sie ungeklärte Fälle untersuchte, war eine ungefährliche Aufgabe, Cam konnte beruhigt sein. Aber könnte sie es wirklich ertragen, mit KI zu arbeiten? Himmel, was würde John sagen? Sie schluckte, als ihre Kehle eng und ihr zum tausendsten Mal klar wurde, dass sie es nie erfahren würde. Die Karte verschwamm vor ihren Augen. Nein, das stimmte nicht. John war der neugierigste und an Fortschritt interessierteste Mann gewesen, den sie je getroffen hatte. Sie konnte buchstäblich seine Stimme hören: Erzähl mir mehr.

Kat atmete langsam aus und sah McLeish an. »Erzählen Sie mir mehr über diese sogenannten AIDEs.«

»Das kann ich nicht«, erwiderte er und nahm den Telefonhörer ab. »Aber ich kenne eine Frau, die das kann.«

Kapitel zwei

»Das ist Professor Okonedo«, sagte McLeish und bat eine kleine, zarte junge Frau in einem auffälligen roten Hosenanzug, sich zu ihnen zu setzen. »Sie hat einen Lehrstuhl am Nationalen Institut für KI-Forschung – NIKIF – an der Universität Warwick. Sie und ihr Team haben die AIDEs entwickelt, und Professor Okonedo ist außerdem die Verfasserin der Studie, die die Innenministerin so beeindruckt hat, dass sie die Polizei von Warwickshire um ein Pilotprojekt gebeten hat.«

Die junge Frau ignorierte McLeishs Ironie und nickte einfach nur, als wolle sie bestätigen, dass sie tatsächlich so brillant war. Sie streckte ihre Hand aus, die so wunderschön manikürt war, dass Kat sich vornahm, eine neue Handcreme zu kaufen.

»Das ist Detective Chief Superintendent Kat Frank«, fuhr McLeish fort. »Eine der talentiertesten und erfahrensten Detectives des Landes. Ich hoffe, Sie können sie überzeugen, die Leitung des Pilotprojektes für mich zu übernehmen.«

Professor Okonedos Lächeln verblasste.

»Also? Möchten Sie erklären, worum es dabei genau geht?«, bat er sie.

»Äh, ja, es ist nur …« Sie schob ihre Brille ein Stück die Nase hinauf und straffte die schmalen Schultern. »Mein Team und ich haben die letzten vier Jahre mit der Entwicklung eines AIDEs mit Algorithmen verbracht, die frei von jeglicher Voreingenommenheit sind, damit wir mittels KI evidenzbasiertere Entscheidungen treffen können. Ich bin natürlich dankbar für die Gelegenheit, die KI unter realen Bedingungen bei der Polizei zu testen, es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass das Pilotprojekt unsere Ermittlungseinheit nicht negativ beeinflusst. Deshalb empfehle ich in meiner Studie, dass die Einheit zusammen mit jemandem eingesetzt wird, der oder die die Ausbildung gerade abgeschlossen hat.«

McLeish sah die junge Frau ausdruckslos an. Nach fast schon bedrohlich langem Schweigen fragte er: »Was genau wollen Sie damit sagen?«

Kat musterte die Professorin. Wie alt sie wohl war? Ende zwanzig? Höchstens Anfang dreißig.

»Vielleicht möchte Professor Okonedo nicht, dass ihre Erfindung mit jemandem mittleren Alters zusammenarbeitet, der Rassismus oder Sexismus ins Spiel bringt«, meinte Kat. »Oder allgemein einen Haufen Vorurteile.«

McLeishs Gesicht nahm eine bedrohliche Lilafärbung an. Er stand auf, öffnete die Bürotür und tippte auf die Messingplakette mit seinem Namen. »Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, habe ich die Polizei von Warwickshire geleitet, weshalb ich entscheide, wer meinem Team vorsteht. Außer Sie möchten, dass ich das Pilotprojekt abblase?«

Kat stand auf und schirmte die junge Frau vor McLeishs wutentbranntem Blick ab.

»Wir könnten es doch versuchen«, sagte Kat. »Besteht nicht der Sinn eines Pilotprojektes darin, eine Hypothese zu überprüfen?«

Professor Okonedo stand auf. »Vielen Dank, aber niemand muss meine Arbeit verteidigen oder erklären«, erwiderte sie. »Aus wissenschaftlicher Perspektive ist einer der Vorteile eines Pilotprojekts sogar, dass es potenzielle Problemfaktoren aufdecken kann.«

»Wollen Sie damit sagen, dass ich als ältere Frau ein Problemfaktor bin?«

»Ein potenzieller.«

»Da gibt es wohl nur einen Weg, das herauszufinden«, schaltete sich McLeish ein und sah zwischen den beiden Frauen hin und her.

Kat verengte die Augen. Hatte er Professor Okonedo bewusst angegriffen, weil ihm klar gewesen war, dass sie sie verteidigen würde? Oder hatte er sie bewusst einander vorgestellt, weil er in ihr das Bedürfnis erwecken wollte, der jüngeren Frau das Gegenteil zu beweisen? Wie auch immer, er war ein manipulativer Mistkerl.

»Sie mögen ja Professorin für KI sein«, sagte Kat, »doch Sie wissen rein gar nichts darüber, wie es ist, Detective zu sein. Wenn ich so dumm sein sollte, dieses Pilotprojekt zu übernehmen, dann würden Sie vielleicht verstehen, dass man Verbrechen nicht mit ein paar Algorithmen lösen kann.«

»Heißt das, Sie machen es?«, versuchte McLeish sie festzunageln.

»Das heißt, dass ich darüber nachdenke«, sagte sie widerwillig. »Jemand hat mir mal geraten, keinen Job anzunehmen, bevor nicht alle Einzelheiten geklärt sind. Bezahlung, mein Team und an wen ich berichte.«

»Ich und meine große Klappe.« Er schloss die Tür, doch Kat erhaschte noch einen Blick auf sein seltenes Lächeln. Sie wussten beide, dass sie den Job annehmen würde.

Und nach Professor Okonedos versteinertem Gesichtsausdruck zu schließen, wusste sie es auch.

Kapitel drei

Polizeipräsidium Leek Wootton, Warwickshire, 27. Juni, 8:00 Uhr

Kat stand vor dem Ermittlungsraum der Abteilung für Schwerverbrechen und spähte durch die Glastür. Neben den Bildschirmen, die sich von Wand zu Wand erstreckten, vernünftigem WLAN und einem großen Besprechungstisch verfügte der Raum über den einzigen funktionierenden Kaffeeautomaten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand ihr Recht, ihn zu benutzen, infrage stellte, doch sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man sich leichter entschuldigte, als um Erlaubnis zu bitten. Außerdem musste sie ein landesweites Pilotprojekt leiten und ein neues Team formen. Wer etwas fand, durfte es behalten.

Beim Anblick der drei Anwesenden an dem großen Besprechungstisch seufzte sie. Bevor sie zugestimmt hatte, die Leitung des Projekts zu übernehmen, hatte Kat einen DI, einen DS, drei DCs, einen Office Manager und IT-Support gefordert. McLeish hatte ihr jedoch nur ins Gesicht gelacht. »Die KI soll die Analysen und die administrative Arbeit erledigen, weshalb Sie kein ganzes Team brauchen.« Jetzt hatte sie also nur einen DI, eine DS, eine Wissenschaftlerin, die aussah wie eine Studentin, und deren verdammten Computer.

Kat wusste, dass sich alle vorbildlich verhalten würden, sobald sie den Raum betreten hatte, weshalb sie ihr neues Team von der Tür aus noch ein wenig beobachtete. Bisher schien DI Rayan Hassan der Wortführer zu sein. Er lehnte an der Tischkante und schien nur aus Hals, Knien und Ellbogen in einem ordentlichen schwarzen Anzug zu bestehen.

Auch wenn sie Hassan nicht persönlich kannte, waren ihr bei der Auswahl ihrer Leute sein Juraabschluss und die hohe Verurteilungsrate aufgefallen. Laut seiner Personalakte war er kürzlich zum DI befördert worden, hatte allerdings immer noch »Entwicklungsprobleme«. Er sei zu sehr auf seine Ambitionen konzentriert und wolle der erste DCS mit südasiatischem Hintergrund werden, hatte sein letzter Vorgesetzter vermerkt. Halte sich für besser als alle anderen.

»Nun, vielleicht ist er das auch«, hatte Kat gemurmelt, als sie den Namen seines früheren Vorgesetzten gelesen hatte. Ein großes Ego war ihr egal, solange der betreffende Officer genügend Talent hatte, um es vor sich herzutragen. Sie hatte mit genügend Männern zusammengearbeitet (und seien wir ehrlich, es waren meistens ältere weiße Männer), deren Arroganz in krassem Missverhältnis zu ihrem Können stand. Der Polizeiapparat war voll von ihnen, weshalb sie Rayan Hassan genauso gut eine Chance geben konnte.

Kat sah zu der kleineren, dunkelhaarigen Frau, die ihm gegenüber auf einem Stuhl saß. Bisher hatte sie nur genickt und gelächelt, während Hassan mit seinen langen Armen gestikulierte. DS Debbie Browne war vierundzwanzig und seit sechs Jahren bei der Polizei von Warwickshire. Vor ein paar Jahren hatte Kat gesehen, wie sie am Empfang mit einer trauernden Mutter gesprochen hatte, die wegen einer Aussage aufs Präsidium gekommen war und auf ein Taxi wartete. Obwohl es nicht ihr Fall und ihre Schicht gerade zu Ende gewesen war, hatte die junge Polizistin darauf bestanden, die arme Frau nach Hause zu fahren. Kat hatte beobachtet, wie Debbie die trauernde Mutter sanft zu ihrem Wagen brachte, und sie im Stillen auf die kurze Liste der Polizisten gesetzt, denen die Menschen in ihrem Job nicht egal waren.

Im Gegensatz zu Tina aus der Personalabteilung. Als Kat sie gefragt hatte, warum Debbie nicht auf der Liste der Bewerber stand, hatte sie nur mit den Schultern gezuckt. »Sie hat sich nicht beworben.« Kat fluchte, als sie den Lebenslauf der jungen Beamtin schließlich las. Nach sechs erfolgreichen Jahren bei der Truppe sollte DS Browne auf den Rang eines DI hinarbeiten, indem sie sich für prestigeträchtige Projekte wie dieses bewarb und nicht der Illusion anhing, dass irgendjemand irgendwann ihren unermüdlichen Einsatz bemerkte und sie einfach so beförderte. Wenn es nach Kat ginge, würde sie allen neuen Polizistinnen einen Button über ihren hoffnungsvollen Herzen anstecken: Wer nichts fordert, bekommt auch nichts.

Am anderen Ende des Tisches saß Professor Okonedo in einem stahlblauen Hosenanzug. Sie ignorierte Hassan und Browne und tippte hoch konzentriert auf ihrem Tablet. Offenbar hatte sie Wichtigeres zu tun, als ihre neuen Kollegen kennenzulernen.

DI Hassan ließ sich nicht beirren und sprach weiter. Kat konnte nicht hören, was er sagte, doch da sein Blick immer wieder zu der attraktiven jungen Wissenschaftlerin wanderte, war es offensichtlich, wen er zu beeindrucken versuchte.

Kat drückte die Tür etwas kraftvoller auf als nötig, sodass sie gegen die Wand schlug, was alle Anwesenden aufschrecken ließ. Hassan setzte sich rasch auf seinen Stuhl, und sogar die Professorin hörte kurz auf zu tippen.

Drei Köpfe drehten sich, als sie durch den Ermittlungsraum ging. Manchmal stellte sie ihre Autorität unter Beweis, indem sie auf die vielen Jahre als Detective und leitende Ermittlungsbeamtin verwies und bestätigte, dass sie tatsächlich die Kat Frank war, die den Würger von Aston gefasst hatte. Aber die gestrafften Schultern und die wachsamen Augen ihres neuen Teams zeigten, dass sie bereits wussten, dass sie verdammtes Glück hatten, mit ihr arbeiten zu dürfen.

»Guten Morgen«, sagte sie. »Ich bin DCS Kat Frank, ich leite dieses Pilotprojekt, und ich trinke meinen Tee stark mit einem Schuss Milch.«

Browne sprang auf und steuerte auf den Getränkeautomaten zu.

Kat erlaubte sich ein leises Seufzen, bevor sie Browne bedeutete, sich wieder hinzusetzen. »Ich habe Sie nicht gebeten, mir einen Tee zu holen, ich habe die für die Teambildung wichtigsten Informationen über mich beigesteuert: Wer bin ich, und was ist mein Lieblingsgetränk.«

»Hallo, ich bin Detective Inspector Rayan Hassan«, sagte der junge Beamte unaufgefordert und genoss sichtlich den Klang seines neuen Rangs. »Und ich mag Kaffee – am liebsten mit Sahne, Zucker und einem Keks.« Er grinste so, als bekäme er normalerweise alle drei Dinge.

»Oh, äh … Ich bin DS Browne und nicht wählerisch. Ich mag Tee und Kaffee. Was gerade da ist.«

»Aber was mögen Sie am liebsten?«, fragte Kat nach.

»Tee mit viel Milch. Aber ich kann ihn auch schwarz trinken.«

»Und Sie?« Kat wandte sich an Professor Okonedo.

Die sah erneut von ihrem Tablet auf. »Ich?«

»Außer Ihr Lieblingsgetränk ist ein Geheimnis.«

Die junge Frau zögerte und gestand schließlich widerwillig, dass sie Tee und Kaffee nicht mochte und nur Wasser trank.

»Alles klar, Hassan?« Kat nickte zum Getränkeautomaten.

Er blinzelte.

»Zweimal Tee, ein Wasser und einen Kaffee für Sie.«

»Oh. Äh, ja, natürlich.« Mit gerunzelter Stirn ging er zum Automaten.

Kat lehnte sich neben Browne an den Tisch und beugte sich zu ihr. »Erste Lektion: Bieten Sie als Frau niemals als Erste an, Tee zu kochen, vor allem nicht in einem neuen Team. Dann könnten Sie gleich einen Anstecker mit der Aufschrift ›Ich bin unwichtig‹ tragen. In meinem Alter und bei meinem Dienstrang kann man es sich erlauben, Mutti zu spielen, aber bis dahin lehnen Sie sich zurück und lassen das die Männer tun. Dann werden Sie zwar oft durstig sein, aber zumindest besteht die Chance, dass man Ihnen zuhört. Verstanden?«

Browne nickte errötend. »Ja, vielen Dank. Entschuldigung.«

»Zweite Lektion: Nicht entschuldigen, außer Sie haben etwas Illegales getan.«

»Tut mir …« Browne wurde feuerrot.

Kat stieß sich vom Tisch ab, als Hassan mit den Getränken zurückkehrte. Sie ignorierte ihren Tee und ging im Raum auf und ab, das Zeichen für ihr Team, dass es Zeit zum Arbeiten war.

»Auf die direkte Anfrage des Innenministeriums hin hat sich die Polizei von Warwickshire bereit erklärt, ein Pilotprojekt mit dem ersten Mensch-Maschine-Polizeiteam in Großbritannien durchzuführen, und Sie haben das Glück, für dieses bahnbrechende Team ausgewählt worden zu sein. Unser Ziel ist es, die Aufgaben zu bestimmen, die eine KI ohne Bedenken übernehmen kann, im Gegensatz zu den Bereichen, die nur ein erfahrener menschlicher Ermittler beziehungsweise eine Ermittlerin ausfüllen kann.« Kat deutete zum Tischende. »Professor Okonedo ist der Kopf hinter der AIDE, der KI-basierten Ermittlungseinheit, mit der wir in diesem Pilotprojekt arbeiten sollen. Sie wird daher ein wichtiges Mitglied unseres Teams sein und dabei erfahren, was die KI kann und was sie nicht kann. Professor Okonedo, würden Sie Ihre Schöpfung bitte vorstellen?« Kat setzte sich und lehnte sich zurück.

Professor Okonedo schob ihre große runde Brille die Nase hinauf. »Danke, DCS Frank. Doch bevor ich Ihren neuen Kollegen vorstelle, möchte ich noch jegliche falschen Vorstellungen beseitigen, die Sie von einer KI haben könnten.«

Kat registrierte den Seitenhieb, sagte jedoch nichts. Stattdessen las sie E-Mails auf ihrem Handy, während die junge Wissenschaftlerin die Unterschiede zwischen einer »schwachen KI« (vor allem aufgabenfokussiert, wie zum Beispiel Bilderkennung, was »einfach« ist und von zu Hause und unseren Handys her bereits bekannt) und einer »starken KI« (etwas völlig anderes und viel seltener; verfügt über alle komplexen Charakteristiken menschlicher Intelligenz, wie zum Beispiel die Fähigkeit, Einschätzungen und Entscheidungen zu treffen) erklärte.

Falls Professor Okonedo bemerkte, wie Kat an diesem Punkt des Vortrags die Augen verdrehte, ließ sie sich davon nicht irritieren. Stattdessen erklärte sie geduldig, dass bis vor Kurzem für eine starke KI-Einheit, die es mit Menschen an Komplexität aufnehmen konnte, Millionen Zeilen Programmiercode nötig gewesen waren. »Zum Glück haben wir eine Abkürzung namens Deep Learning gefunden«, sagte sie. »Damit können wir einen Algorithmus trainieren, indem wir sehr große Datenmengen einspeisen, sodass er sich ständig neu justieren, verbessern und dadurch letztendlich dazulernen kann.«

»Dazulernen?«, wiederholte Browne. »Wie kann eine Maschine etwas lernen?«

»So wie wir. Wenn wir uns zum Beispiel Gesichtserkennungssoftware ansehen …«

»Lieber nicht«, schaltete Kat sich ein und blickte von ihrem Handy auf. »Laut der Forschung hat sie viele Schwachstellen.«

»Ich vermute, die Forschung, auf die Sie sich beziehen, hat sich mit aufgabenbasierter KI beschäftigt, die zugegeben sehr begrenzt ist«, erwiderte Professor Okonedo. »Nehmen wir an, man möchte ein Programm schreiben, um Katzen zu identifizieren. Macht man das auf die alte, aufgabenbasierte Art und Weise, dann müsste man Informationen eingeben wie ›Katzen haben spitze Ohren‹ und ›Katzen haben Schwänze‹ und so weiter. Das Programm würde viele Katzen erkennen, aber was macht es bei einem Tiger? Man könnte versuchen, es mit immer mehr Informationen über Katzen zu füttern, doch das wäre zeitaufwendig und fehleranfällig. Der von mir und meinem Team entwickelte Prototyp ist völlig anders, denn es ist eine selbstlernende Maschine.« Zum ersten Mal lächelte Professor Okonedo. »Statt unzählige Daten einzuprogrammieren, geben wir der KI Tausende Bilder von Katzen, die sie dann selbst durchsieht, bis sie die Muster und Verbindungen erkennt. Mit der Zeit kann sie dann ziemlich sicher eine Katze identifizieren.«

»Mit der Zeit?«, fragte Hassan mit einem Blick auf Kats skeptisches Gesicht. »Sie lernt also durch die Arbeit?«

»Tun wir das nicht alle?« Professor Okonedo breitete ihre winzigen Hände mit den wunderschön lackierten Fingernägeln aus.

»Und was passiert, während die KI dazulernt?«, fragte Kat und konnte den scharfen Ton in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Wer zahlt den Preis für ihre Fehler?«

Zum ersten Mal wirkte die Professorin unsicher, als sie Kats Blick standhielt. »Deshalb haben wir vereinbart, uns zuerst nur auf Cold Cases zu konzentrieren, damit die Auswirkungen eventueller Fehler minimiert werden können.«

Damit die Auswirkungen eventueller Fehler minimiert werden können? Himmel, diese Frau hatte wirklich keine Ahnung, dachte Kat und versuchte, ihre Wut zu zügeln. »Diese Fälle mögen ja ›kalt‹ und ungelöst sein«, brachte sie leise hervor. »Doch die davon betroffenen Menschen sind real. Im Gegensatz zu Ihrer KI. Ein Fehler reicht, um eine ganze Familie zu zerstören.«

Professor Okonedo runzelte die Stirn und nahm die Brille ab. »Das weiß ich, DCS Frank, weil die Polizei leider jeden Tag Tausende Fehler macht. Der Sinn einer KI ist es doch gerade, für weniger Fehler zu sorgen. Die von mir entwickelte Einheit wird exponentiell lernen, unterstützt von der Tatsache, dass sie nicht schlafen muss und im Gegensatz zu uns anderen nicht krank werden kann. Ein weiterer Vorteil von AIDEs: ihnen kann eine Pandemie nichts anhaben.«

Kat hob die Augenbrauen, überrascht, dass eine kluge junge Frau einen so ungeschickten Fehler machen konnte. Jeder hatte während der Pandemie irgendjemanden verloren, doch in einem neuen Team wie diesem hier konnte man nicht wissen, wer in welcher Form betroffen war. Auch wenn die schlimmste Phase schon eine Weile zurücklag, war der Polizeiapparat immer noch ausgedünnt, vor allem in den höchsten Rängen. Ein paar waren gestorben, viele waren jedoch vorzeitig in den Ruhestand gegangen, da sie mit den körperlichen und mentalen Auswirkungen von Corona auf sich selbst und ihre Familien gekämpft hatten.

Professor Okonedo räusperte sich. »Vielleicht sollte ich Ihnen einfach Ihren neuen Kollegen vorstellen, damit Sie selbst sehen, wozu die KI fähig ist.« Sie zog eine etwa handgroße schwarze Schachtel aus ihrer Laptoptasche, stellte eine Kombination am Zahlenschloss ein und öffnete sie. Dann nahm sie einen massiven schwarzen Plastikring heraus, der etwa einen Zentimeter dick und zweieinhalb Zentimeter breit war, und legte ihn auf den Tisch.

Alle beugten sich vor.

»Es sieht aus wie ein Armreif mit Display«, bemerkte Browne alles andere als beeindruckt.

»Mein Team von hochbegabten Doktoranden und Doktorandinnen am NIKIF hat die KI so designt, dass sie diskret am Handgelenk getragen werden und den menschlichen Partner oder die Partnerin überallhin begleiten kann«, erklärte Professor Okonedo. »Sie kann rein auf der akustischen Ebene arbeiten, doch Forschungen haben gezeigt, dass Menschen eher anderen Menschen gegenüber aufgeschlossen sind, weshalb das Gerät sowohl Polarisations- als auch winzige holografische Kamerasensoren enthält, mit denen die AIDE als digitales 3-D-Hologramm auftreten kann.« Ihr Finger schwebte über dem schwarzen Armreif, als sie fortfuhr: »Darf ich vorstellen: Ihr neues Teammitglied AIDE Lock.«

Plötzlich erschien ein Mann in der Raummitte.

Kat sprang auf. Nein, kein Mann. Das Bild eines Mannes: schwarz, schlank, etwa einen Meter achtzig groß mit perfekt getrimmtem Schnauzer und einem kurzen gepflegten Bart. Sie trat ein paar Schritte darauf zu, wollte unbedingt einen Fehler oder ein verräterisches Anzeichen entdecken. Doch die dreidimensionale Gestalt war beängstigend realistisch, von den Nasenporen bis zu den leichten Falten im marineblauen Anzug. Doch vor allem die Augen irritierten sie: Sie waren dunkelbraun, groß und unglaublich … »ausdrucksvoll«, doch sie verdrängte das Wort schnell wieder. Das hier war eine Maschine, kein lebendiger Mensch. Langsam umrundete sie die Erscheinung und bemerkte erleichtert, dass sie trotz der hereinfallenden Morgensonne keinen Schatten warf und die Absätze der (vorgeblich) abgestoßenen Schuhe keinen Abdruck in dem grauen Teppich hinterließen. Wenn man die Augen zusammenkniff und leicht daran vorbeiblickte, dachte Kat, konnte man sogar sehen, dass die Gestalt das Licht auf seltsame Weise reflektierte. Ein leichtes Schimmern oder Flackern am Rand ließ sie ätherisch, fast schon außerirdisch wirken.

Zufrieden verschränkte Kat die Arme und starrte das Hologramm an, das einige Zentimeter größer war als sie. Morgen würde sie Absätze tragen.

Lock hielt ihrem Blick stand und ging auf sie zu. »Sie haben eine Narbe, DCS Frank.«

»Wie bitte?«

»An Ihrem Kinn. Eine Narbe.« Lock hob den Finger, nur ein paar Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. »Die Reifung ist abgeschlossen, weshalb sie sehr wahrscheinlich über zwei Jahre alt ist und – ausgehend von der Länge von vier Millimetern und dem geraden Verlauf – von dem Zusammenstoß mit einer scharfen Kante stammt. Die Ecke eines Tisches vielleicht?«

Kat starrte das Hologramm an und erinnerte sich an den plötzlichen kräftigen Schlag, den sie nicht hatte abfangen können, bevor sie mit dem Kiefer so hart auf dem Küchentisch aufschlug, dass die Haut aufriss und Blut den staubigen Linoleumboden verschmierte.

Lock hob die Augenbrauen. »Offensichtlich keine schöne Erinnerung. Tatsächlich …«

»Tatsächlich«, unterbrach Kat die Gestalt, »hat mein Kinn nichts mit diesem Pilotprojekt oder den Fällen zu tun, die wir bearbeiten werden.« Sie drehte Lock den Rücken zu und sagte zu Professor Okonedo: »Ich dachte, Sie hätten gesagt, es sei nur ein Hologramm? Seit wann können Hologramme sehen?«

»Ein zentrales Ziel der Forschung, die wir an der Universität Warwick betreiben, ist die Entwicklung von KI, die mit der realen Welt interagieren kann, weshalb die Lidar-Sensoren an dem Armreif Lock ständig mit raumbezogenen Daten versorgen, damit es sich in jeder Umgebung angemessen positionieren kann. Doch obwohl es durch die Sensoren an Ihrem Handgelenk ›sieht‹, ist es so programmiert, dass es menschliches Verhalten nachahmt und sich in einem Raum beim Betreten ›umsieht‹ oder jemandem in die Augen ›sieht‹, damit es umfassend mit Menschen interagieren kann.«

Kat drehte den Kopf wieder zu Lock. Die KI begegnete ihrem Blick erneut mit verstörender Direktheit. Rasch setzte sie sich zu ihrem Team an den Tisch. Ihrem echten Team. »Das ist ein toller Partytrick«, sagte sie zu Professor Okonedo, »aber was kann diese Maschine eigentlich, das relevant für unsere Arbeit ist?«

»So viel oder so wenig, wie Sie zulassen. AIDE Lock enthält Chips, die über zehn Billionen Berechnungen in der Sekunde anstellen können. Die Einheit kann in Sekundenschnelle Tausende Bilder durchsuchen oder riesige Mengen an Social-Media-Daten thematisch organisieren, um eine Suche zu beschleunigen.«

»Ich sehe das alles lieber selbst durch«, sagte Kat. »Manchmal weiß ich erst, wonach ich eigentlich suche, wenn ich es sehe. Selbst dann gehe ich oft nur einem Bauchgefühl nach.«

»Bauchgefühle sind anfällig für Fehler und kognitive Verzerrungen«, sagte Lock hinter ihr. Es sprach mit tiefer und gelassener Stimme, als ginge es davon aus, dass man ihm zuhörte, und mit einem geschliffenen Oberklasseakzent. »Ich verfüge über eine eingebaute wissenschaftliche Methode, die es Ihnen ermöglicht, erste Hypothesen zu überprüfen und Irrtümer herauszufiltern. So können Sie Ihre Kräfte auf die wahrscheinlichste Ermittlungsrichtung konzentrieren.«

Unverschämtes Mistding. Als ob eine Maschine ihr beibringen müsste, was eine »wahrscheinliche Ermittlungsrichtung« war. Doch sie hatte McLeish versprochen, sich zu benehmen – zumindest am ersten Tag –, weshalb sie der KI nicht sagte, wohin sie sich ihre »eingebaute wissenschaftliche Methode« stecken konnte. Sie drehte nur den Stuhl zu Lock und lächelte angespannt. »Danke, aber ich fürchte, man kann ein Bauchgefühl nicht wissenschaftlich angehen. Ein Bauchgefühl ist …« Sie zuckte mit den Schultern. »Eben genau das.«

Lock schloss einen Moment die Augen. »Ich habe gerade 73 239 akademische Paper zur Wissenschaft von Entscheidungsverfahren gelesen, und da menschliche Entscheidungsprozesse ganz offenbar von intellektuellen, sozialen und emotionalen Faktoren eingeschränkt sind, schließe ich daraus, dass Ihr ›Bauchgefühl‹ nur eine Reflexion Ihrer eigenen Vorurteile und Vermutungen ist.«

Kat warf Professor Okonedo einen aufgebrachten Blick zu. »Ist diesem Ding klar, dass es für mich arbeitet?«

Die junge Frau lächelte. »Lock wurde darauf programmiert, sich der Befehlshierarchie unterzuordnen und Aufgaben auszuführen. Wie viel die KI davon versteht, wird ein wichtiger Punkt in diesem Pilotprojekt sein. Locks Konversationsfähigkeiten übertreffen bei Weitem alles, was KI bisher meistern konnte, doch auch Lock muss immer noch aus echten menschlichen Interaktionen lernen. Es wurde dahingehend programmiert, Vorgesetzten gegenüber uneingeschränkt ehrlich zu sein, weshalb es im Moment noch keine Nuancen kennt.«

»Oder Sozialkompetenz«, murmelte Kat.

»Das ist eines der Dinge, die Lock hoffentlich als Teil dieses Teams lernen wird. Im Gegenzug wird die AIDE durch die Förderung evidenzbasierter Entscheidungen zu größerer Gleichberechtigung und Transparenz im Polizeiwesen beitragen.«

»Förderung evidenzbasierter Entscheidungen?«, wiederholte Kat. Sie atmete entnervt aus und versuchte, so geduldig wie möglich zu erklären, dass es verschiedene Formen von Beweismaterial gab, und nur weil man ein Bauchgefühl nicht erklären konnte, hieß das nicht, dass es falsch war. »Vor ein paar Jahren gab es eine berühmte Studie, in der eine Reihe von Experten eine seltene griechische Statue schätzen sollten, und nach Berücksichtigung aller wissenschaftlichen Beweise kamen sie schließlich zu dem Schluss, dass die Statue echt war. Doch dann kam ein anderer Experte hinzu, warf einen Blick darauf, und einfach so …« Kat schnipste mit den Fingern. »Er wusste, dass es eine Fälschung war. Er konnte es nicht erklären, aber er vertraute seiner ersten instinktiven Ahnung, dass irgendetwas nicht stimmte. Und er hatte recht.«

»Sie beziehen sich auf den Erwerb der Kouros-Statue durch das Getty Museum«, sagte Lock. »Was einige als Beweis dafür sehen, dass Kurzschlussentscheidungen zutreffender als durchdachte sein können.« Lock hob in gespielter Nachdenklichkeit eine Hand ans Kinn. »Doch die viel wichtigere Frage ist, wie die anderen Experten so falschliegen konnten.«

Kat runzelte die Stirn. Woher hatte eine verfluchte Maschine das Selbstvertrauen, eine solche Kunstpause einzulegen? Nein, verbesserte sie sich. Eine Maschine konnte kein Selbstvertrauen haben – sie hatte überhaupt keine Gefühle. Diese Maschine war nur so programmiert, selbstbewusstes und nachdenkliches Verhalten an den Tag zu legen. Deep Learning, von wegen. Das Ding war nur eine Kopie eines zweitklassigen Politikers. Sonst nichts.

»Die Getty-Experten lagen nicht wegen der wissenschaftlichen Beweise falsch«, fuhr Lock fort. »Sondern trotz ihnen. Sie hatten die Statue gekauft, weil sie unbedingt wollten, dass sie echt war. Auch wenn die Statue makellos war, wollten sie lieber glauben, dass ihr Zehn-Millionen-Dollar-Kauf zweitausend Jahre alt war. Sie waren nicht von den Tatsachen in die Irre geführt worden, sondern von ihren eigenen menschlichen Sehnsüchten und Vorlieben.« Lock hob die rechte Hand und formte aus Zeigefinger und Daumen einen Kreis, um seine Argumentation zu unterstreichen. »Es ist das perfekte Beispiel dafür, wie fehleranfällig menschliche Entscheidungsprozesse sind, sowie für die Notwendigkeit, Gefühle und andere verzerrende Faktoren herauszufiltern.«

Kat stand auf und zwang ihr Team dadurch, seinen neuen Boss anzusehen und nicht dieses neue Spielzeug. »Professor Okonedo wird sicher ihre eigenen Schlüsse am Ende dieses Pilotprojekts ziehen, unabhängig davon, was du oder ich denken. Abgesehen davon, dass …« Sie wandte sich mit gespieltem Mitgefühl an Lock. »… du nicht denken kannst, richtig?«

Sie zählte bis drei – diesem arroganten Alexa-Verschnitt konnte sie noch das eine oder andere zu Kunstpausen beibringen –, bevor sie dem Hologramm den Rücken zudrehte und die Professorin ansah. Jetzt waren die Erwachsenen an der Reihe. »Um zu gewährleisten, dass dieses Pilotprojekt fair abläuft, dürfen Sie bei unseren Besprechungen dabei sein, und Sie bekommen, wie erbeten, vollen Zugang zu allen Protokollen. Doch bevor wir anfangen, will ich etwas klarstellen.«

Kat holte einen Aktenordner aus ihrer Tasche und wog ihn in Händen, während sie Hassan und Browne ansah. »Auch wenn wir alte Vermisstenfälle noch einmal untersuchen werden, ist unsere Aufgabe nicht, Professor Okonedos Forschungsfragen zu Bauchgefühlen und Entscheidungsprozessen zu beantworten. Wir sind Polizeibeamte, keine Versuchskaninchen. Unsere Aufgabe ist es, den Familien der vermissten Personen Antworten zu verschaffen. Die Fälle kommen immer, absolut immer an erster Stelle. Ist das klar?«

Hassan und Browne nickten.

»Gut.« Sie ließ den Aktenordner mit einem Knall auf den Tisch fallen, sodass Staub aufwirbelte. »Fast siebentausend Menschen werden jedes Jahr in Warwickshire vermisst gemeldet. Bis auf zwei oder drei werden alle wiedergefunden. Im Lauf der letzten zehn Jahre sind achtundzwanzig Menschen spurlos aus ihrem bisherigen Leben verschwunden.« Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen, der von den Sonnenstrahlen erleuchtet war, die durch die großen Schiebefenster fielen.

Sanft legte Kat die Hände auf den Aktenordner. »Jede dieser Akten repräsentiert das Leben eines realen Menschen: Teenager, die sich mit Freunden treffen wollten und nie ankamen; Mütter, die Milch kaufen wollten und nie zurückkamen; Väter, die eines Morgens in die Arbeit fuhren und nie wieder gesehen wurden. Ich will nicht, dass irgendjemand diese Fälle als ›VPs‹ oder ›Cold Cases‹ bezeichnet. Die Spur ist vielleicht kalt geworden, doch die Familien und Freunde dieser Menschen haben immer noch das brennende Verlangen zu wissen, was der geliebten Person zugestoßen ist. Unsere Aufgabe ist es, den Familien die Antworten zu geben, die sie brauchen und verdienen. Verstanden?«

»Ja, Boss«, antworteten Hassan und Browne.

Kat sah zu Lock. »Na?«

Zum ersten Mal wirkte das Hologramm verwirrt.

»Verstanden?«, wiederholte Kat.

»Sie haben gesagt, unsere Aufgabe sei es, den Familien die Antworten zu geben, die sie brauchen und verdienen. Also ja, ich kann bestätigen, dass ich unsere Aufgabe verstanden habe.«

»Ja, Boss«, sagte Kat.

»Ja, Boss.«

Kat holte Luft. Lock hatte ihre Betonung mit einer Exaktheit wiederholt, die an Sarkasmus grenzte. Doch eine Maschine konnte nicht sarkastisch sein, oder? Sie beschloss, es zu ignorieren – für den Moment zumindest.

»Dann wählen wir mal unseren ersten Fall aus.«

Kapitel vier

Kat runzelte die Stirn, als Lock stehen blieb. »Willst du dich nicht hinsetzen?«

Das Hologramm hob die Augenbrauen. »Ich muss keine Gliedmaßen entlasten, die ich nicht besitze. Aber ich kann eine sitzende Position einnehmen, wenn Ihnen das lieber ist?«

Dieses unverschämte Ding. Es wäre ihr lieber, wenn diese Maschine einfach verschwände. Doch sie würdigte Lock keiner Antwort. »Am Wochenende habe ich eine Zip-Datei mit allen achtundzwanzig ungelösten Vermisstenfällen der letzten zehn Jahre herumgeschickt«, sagte Kat zu Browne und Hassan. »In welchem sollten wir als Erstes ermitteln und warum?«

Kat brachte sie in Verlegenheit, doch ihr Führungsstil war – laut ihrer letzten Beurteilung – »taktgebend«. Sie würden schon bald lernen, mit ihr Schritt zu halten. Beide Officer scrollten durch ihre iPads.

»Sehen Sie nicht in die Akten, entscheiden Sie nach Gefühl. An welchen Fall haben Sie beim Aufwachen gedacht? Hassan?«

Er lehnte sich zurück und stützte sich mit den Ellbogen auf den Armlehnen ab. »An Weihnachten vor ein paar Jahren ist eine junge Frau verschwunden. Sie war mit Freundinnen in einer zwielichtigen Bar und ist laut ihren Begleiterinnen einfach verschwunden.«

»Jane Hughes.« Kat nickte. »Eine achtzehnjährige junge Frau, die 2016 eine Woche vor Weihnachten nach einem Kneipenabend nicht mehr nach Hause gekommen ist.« Ihre Eltern hatten den Weihnachtsbaum mit den Geschenken für ihre Tochter noch nicht abgebaut. »Was ist mit Ihnen, Browne?«

»Äh, ich habe alle Akten gelesen, aber sie nicht nach Relevanz sortiert. Mir war nicht klar … Ich meine …« Die junge Frau griff errötend nach ihrem iPad. »Ich habe mir allerdings viele Notizen gemacht. Wenn Sie mir eine Sekunde …«

»Denken Sie nicht zu viel nach. Legen Sie das iPad weg und sagen mir, welcher Fall Ihnen besonders aufgefallen ist.«

»Oh. Äh …«

»Welcher Fall fällt Ihnen jetzt gerade ein?«

»Der Mann aus Coleshill, der zur Arbeit gefahren und nicht mehr zurückgekommen ist. Es gab keine Anzeichen für Depressionen oder finanzielle Schwierigkeiten, und er schien ein Familienmensch zu sein.«

Kat nickte. »Max Jones, ein fünfunddreißig Jahre alter Vater von drei Kindern, der allen Aussagen nach glücklich verheiratet war. Trotzdem hat seine Familie seit zwei Jahren nichts mehr von ihm gehört.« Kat schrieb die beiden Namen an das Whiteboard. »Beides sinnvolle Kandidaten.«

»Das stimmt nicht«, meldete sich Lock zu Wort.

»Wie bitte?«

»DI Hassans und DS Brownes Kandidaten sind nicht ›sinnvoll‹, sie sind das Ergebnis voreingenommener Auswahl«, sagte Lock. Das Hologramm ging im Raum auf und ab, genau wie Kat kurz zuvor, und gestikulierte vor ihrem Team wie ein Dozent – oder ein Vorgesetzter. »DI Hassan hat sich für Jane Hughes entschieden, weil sie eine junge, verletzliche Frau ist, die ihn daran erinnert, was seiner kleinen Schwester zugestoßen ist.«

»Totaler Quatsch«, erwiderte Hassan errötend. »Ich habe sie genommen, weil …«

Lock fuhr fort. »DS Browne hat Max Jones wegen ihres Vaterkomplexes ausgewählt – ihr Vater hat die Familie verlassen, als sie gerade mal zehn Jahre alt war.«

»Das reicht«, befahl Kat harsch, als sie Brownes schockierten Gesichtsausdruck sah. »Professor Okonedo, ich kann mich nicht erinnern, Ihrer Maschine die Erlaubnis erteilt zu haben, auf private Informationen zuzugreifen.«

»Oh, das waren keine privaten Informationen«, warf Lock ein. »Ich habe sie von öffentlichen Social-Media-Profilen und den Lebensläufen und Gesprächen entnommen, die im Intranet der Polizei verfügbar sind. Wer sich die Mühe macht, kann alles finden. Ich habe nur die Tatsache betont, dass ihre eigenen familiären oder emotionalen Erfahrungen ihre Wahl beeinflusst haben, weshalb es keinen Sinn hat, Ihr Team nach seiner Meinung zu fragen. Sie könnten die Fälle genauso gut in einen Hut werfen und blind einen herausziehen.«

Hassan und Browne tauschten einen Blick, wagten es aber nicht, ihre Chefin anzusehen.

»Ich verstehe.« Kat spannte den Kiefer an. »Nun, wenn du meinen Methoden schon so kritisch gegenüberstehst, möchtest du vielleicht auch gleich die Besprechung leiten?«

»Das möchte ich gern, ja. Vielen Dank.«

Professor Okonedo gab ein unterdrücktes Geräusch von sich, das ein Lachen gewesen sein könnte. »AIDE Lock wurde darauf programmiert, keine Autorität anzuerkennen.« Sie stand auf und stellte sich beschützend neben ihr Hologramm, neben dem sie winzig aussah, denn sie war fast dreißig Zentimeter kleiner. Ihre Stimme besaß jedoch Autorität. »Natürlich wird Lock Befehle befolgen, solange sie nicht dem Gesetz oder dem Ziel der Ermittlung widersprechen, doch da die KI nicht auf einen persönlichen Vorteil wie eine Beförderung aus ist, wird sie immer die Wahrheit sagen. Sie hat keine Hemmungen oder Angst vor Repressalien, weshalb ihre Aussagen so lange manchmal etwas unhöflich klingen, bis sie mehr über die Nuancen menschlicher Kommunikation und Interaktion gelernt hat.« Ihr junges Gesicht wurde hart. »Aber Lock wird niemals lügen oder etwas Korruptes tun.«

»Sie sagen das, als wäre es eine Besonderheit«, meinte Browne irritiert.

»Das kann es im Polizeiapparat auch sein. Letztes Jahr gab es über dreitausend Korruptionsvorwürfe.«

»Das Schlüsselwort ist ›Vorwurf‹«, entgegnete Kat. Sie starrte auf die junge Wissenschaftlerin hinab und bemerkte die pochende Ader an ihrem Hals. Professor Okonedo vertrat in der Angelegenheit eine eindeutige Meinung, verfügte vielleicht sogar über persönliche Erfahrungen. Sie nahm sich vor, dem bei Gelegenheit nachzugehen. »Also gut«, sagte sie und setzte sich wieder hin. »Lock, ich übergebe dir das Wort. Vor dem Hintergrund deines ›evidenzbasierten Entscheidungsprozesses‹ und«, sie sah auf ihr Handy, »ganzen vierundsechzig Minuten Erfahrung in der Polizeiarbeit, welchen Fall würdest du als Erstes bearbeiten?«

Lock streckte eine Hand aus, und plötzlich war der Raum voller Hologramme der vermissten Personen. Die Fotos, die Kat das ganze Wochenende studiert hatte, schwebten wie Geister vor ihnen: hier ein Schwarz-Weiß-Bild eines alten Mannes im Anzug, dort ein überbelichtetes, verschwommenes Selfie einer jungen, lächelnden Frau. In der Mitte drei offizielle Schulfotos, steif, veraltet und unaussprechlich traurig.

Kat starrte die lebensgroßen, erstarrten Gestalten an, die vor ihnen rotierten: die Verlorenen, die Vermissten, die Verschwundenen. Alle einte die Frage: Was war ihnen zugestoßen?

»Die Frage, welchen Fall wir auswählen sollen«, begann Lock, »kann aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Wir könnten die Fälle zum Beispiel nach demografischen Merkmalen sortieren, wie Alter, Geschlecht oder ethnische Herkunft.« Lock breitete die Arme wie ein Dirigent aus und arrangierte die 3-D-Figuren in Gruppen von jungen und alten Menschen. Dann arrangierte es sie in Reihen weißer Gesichter und Gesichter anderer Hautfarben, bevor es sie wieder nach Geschlechtern sortierte. »Oder wir könnten die Fälle aus der Perspektive des Modus Operandi betrachten, wie zum Beispiel dem Ort, an dem sie verschwanden, oder der Jahres- oder Tageszeit.« Die Hologramme huschten wie ein Vogelschwarm durch den Raum, kamen einen Moment zur Ruhe, bevor sie sich noch einmal zerstreuten.

»Doch wenn – wie DCS Frank angeregt hat – unser primäres Ziel ist, den Familien Antworten zu liefern, dann sollten wir unsere Bemühungen auf die Fälle mit den besten Erfolgsaussichten konzentrieren.«

Lock bewegte die andere Hand, und das Bild eines offiziellen Dokuments erschien vor ihnen. »Die jüngste Statistik zu vermissten Personen zeigt, dass beinahe neunzig Prozent innerhalb von zwei Tagen gefunden werden. Doch zwei Prozent der Kinder und vier Prozent der Erwachsenen sind auch nach einer Woche noch verschwunden, was die Schlussfolgerung nahelegt, dass die Spur nach achtundvierzig Stunden erheblich abgekühlt und nach zweiundsiebzig Stunden nahezu erkaltet ist. Logischerweise sollten wir uns daher auf die jüngsten Fälle konzentrieren.«

»Da stimme ich zu«, sagte Kat.

Lock wischte mit einer Hand, und zwei Drittel der Vermisstenfälle verschwanden, darunter die beiden, die Hassan und Browne ausgewählt hatten.

»Es existieren auch zwingende Beweise dafür, dass die Mehrheit junger Männer, die im Winter nach einem Kneipenabend verschwinden, Opfer von Unglücksfällen werden – meistens ertrinken sie in nahe gelegenen Flüssen oder Kanälen, weshalb Männer sehr viel leichter zu finden sind.«

Kat nickte, und mit einer weiteren Handbewegung von Lock verschwanden die Frauen.

Ende der Leseprobe