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In seinem Schatten entstehen Städte, so groß wie Kontinente: der Turm. Er ist allwissend, übermächtig und bedrohlich – sogar für Arion, die Herrscherin über all jene Geschöpfe, die im Turm Zuflucht gefunden haben. Denn von außen droht Gefahr: Die Rebellen um den ungestümen Clanführer Craiden versuchen, die Macht des Turms zu brechen – und damit auch Arions Herrschaft zu stürzen. Wird der Turm fallen und damit den ganzen Planeten in den Abgrund reißen? »›Der Turm‹, einer der besten, weil faszinierendsten Hohlbein-Romane der letzten Jahre, spielt in ferner Zukunft. Verfasst in einer eindringlichen, bildhaften Sprache, denkt der Plot die Menschheitsgeschichte zu Ende.« Neue Westfälische
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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe 1. Auflage 2011 ISBN 978-3-492-95624-6
© Piper Verlag GmbH, München 2011
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
Umschlagabbildung: Johan Nordstöm, www.smalltimegiant.com
1. Kapitel: Arion
Aus so großer Höhe betrachtet war sie nicht wirklich als Stadt zu erkennen, sondern schien eher etwas Lebendiges – wenngleich Gigantisches – zu sein, das sich so weit über das Land ausbreitete, wie ihr Blick reichte, und sogar noch sehr viel weiter. Braun, schwarz und im erstickenden Farbton von halb geronnenem Blut camoufliert, erinnerte sie vielleicht noch am ehesten an eine riesige, schwärende Wunde, wo die Erde verletzt worden war, ohne dass sie jemals die Chance bekommen hätte, zu heilen. Die allumfassende Weite sowie das kaum wahrnehmbare Flimmern der Luft, das die nur aus dieser Richtung sichtbare Wand markierte, erzeugten die Illusion einer allgemeinen, trägen Bewegung, die es mit Sicherheit gab, die aus dieser Höhe aber unmöglich zu sehen sein konnte. Belagerung machte ihrem Namen alle Ehre, wenigstens von hier oben betrachtet. Es sah aus, als kröche die ganze gigantische Stadt langsam auf den R’Achernon zu.
Und irgendwie tat sie das ja auch. Oder versuchte es wenigstens.
Gerade als der zerbrochene Mond in Teilen am Horizont aufzugehen schien, ließ eine Bewegung im linken Augenwinkel Arion hoch und zur Seite blicken. Es war ein Heliothopther, winzig und flirrend in der respektvollen Entfernung, die der Lenker zur schwarzen Himmelsklippe mit ihren tückischenAuf- und Fallwinden hielt, aber doch unverkennbar. Einen Augenblick später gesellten sich ein zweiter und noch ein dritter Heliothopther hinzu, die übliche Formation, in der die Patrouillen ihren Dienst versahen. Während Arion einen Moment lang konzentriert die regenbogenfarbenen Lichtsplitter betrachtete, in die die Libellenflügel die Luft zerschnitten, und vergeblich ein Muster darin zu erkennen versuchte, von dem sie sehr wohl wusste, dass es nicht existierte, das sie aber dennoch gerne entdeckt hätte, fragte sie sich auf einer tieferen Ebene, wozu diese niemals endenden Patrouillenflüge eigentlich gut waren. Die Augen des R’Achernon reichten hundertmal weiter als die der drei Männer dort draußen und waren tausendmal schärfer – was auch immer stark genug wäre, die Wand zu durchdringen, das konnten diese drei einsamen Heliothopther gewiss nicht aufhalten.
Fast gleichzeitig gab sich Arion selbst die Antwort auf ihre eigene Frage: Tradition, nach dem R’Achernon die zweite Urgewalt, die die ganze Welt zusammenhielt.
Sie seufzte, ebenso lautlos wie tief. Alles war so furchtbar kompliziert und zugleich auf eine so schreckliche Weise einfach … wenn man einfach mit unausweichlich gleichsetzte.
Was es ja auch war.
Arion wandte sich wieder um, und während sie es tat, registrierte sie – erneut nur aus den Augenwinkeln –, wie sich die Formation der Heliothopther auflöste. Sie hatte sich gefragt, ob die Lenker dieser drei Flieger sie hier oben gesehen und womöglich erkannt hatten, und beantwortete sich auch diese Frage: Sie hatten es gar nicht nötig, Arion zu erkennen, denn zweifellos hatte der R’Achernon sie informiert, und das ebenso zweifellos, noch bevor die Prinzessin auch nur einen Fuß auf den Balkon gesetzt hatte.
Was zum Teufel tat sie hier eigentlich?
»Das kann ich Euch sagen, Prinzessin«, ertönte eine zu gleichen Teilen amüsiert wie vorwurfsvoll klingende Stimme. »Ihr bereitet einer Menge Leute großes Kopfzerbrechen, wirbelt das Protokoll in einer Weise durcheinander, dass sich Eure Frau Mutter im Grabe herumdrehen würde, läge sie denn in einem solchen, und verhelft dem Kommandanten Eurer Leibwache zu weiteren grauen Haaren … oder würdet es tun, wenn er denn Haare hätte.«
Arion ließ ganz bewusst gute fünf Sekunden verstreichen, bevor sie sich provozierend langsam herumdrehte und sagte: »Wenn er jemals Haare auf dem Kopf hatte, dann hat er sie sich zweifellos ausgerauft, nachdem er dich kennengelernt hat, Plixx.« Ihre Stimme wurde – nach einer genau bemessenen Pause und ganz leicht – schärfer. »Und ich mag es nicht, wenn man in meinen Gedanken herumschnüffelt, habe ich das schon erwähnt?«
»Das eine oder andere Mal«, antwortete die in einen einfachen braunen Lederumhang gehüllte Gestalt mit einem beiläufigen Schulterzucken, das sich bis in ihre spitzen, mit seidiggrauem Fell bedeckten Ohren fortzusetzen schien. »Darüber hinaus seid Ihr nun einmal nicht irgendwer, sondern die amtierende Prinzessin und zukünftige Alleinherrscherin des R’Achernon…«
»Ha!«, rief Arion.
»… was bedeutet, dass so ziemlich jedermann hier das Recht hat, Eure Gedanken zu lesen, und dieses Recht auch nach Kräften auskostet«, fuhr Plixx völlig unbeeindruckt fort. Das spitze Gesicht des Mauslings zitterte; wie Arion wusste, seine Version eines spöttischen Grinsens. »Das ist nun einmal der Preis der Macht, Prinzessin. Eure Gedanken gehören nicht Euch allein.«
»Diese schon«, erwiderte Arion zornig; wenn auch hauptsächlich zornig auf sich selbst, sich überhaupt auf diese Diskussion eingelassen zu haben, so wusste sie doch ganz genau, wohin sie führen würde und wie sinnlos sie war.
»Wie wahr«, seufzte Plixx. Diesmal blieb seine vorstehende Schnauze reglos, aber Arion hatte das Gefühl, ein spöttisches Glitzern in den Tiefen seiner nur aus schwarzen Pupillen bestehenden Knopfaugen zu gewahren.
Das war … einfach nicht fair! Wieso meinte hier eigentlich jeder, das Recht zu haben, nach Belieben in ihrem Kopf herumstöbern zu dürfen, während sie selbst das bei anderen nicht konnte?
»Oh, glaubt mir, Prinzessin, Ihr würdet das nicht wollen«, sagte der Mausling. »In den meisten Köpfen herrscht ein schreckliches Chaos, und nicht hinter jedem netten Gesicht verbergen sich auch nette Gedanken.«
Arion betrachtete das spitz zulaufende Nagetiergesicht des Mauslings mit einem langen, beredten Blick. Dann nickte sie. »Du meinst, meine Untertanen belügen mich?«, fragte sie mit übertrieben gespieltem Erschrecken. »Sie tun nur so, als würden sie mich lieben, und schmieden in Wahrheit finstere Pläne hinter dem Rücken ihrer Prinzessin?«
Plixx machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten, sondern maß sie nur mit einem fast verächtlichen Blick von Kopf bis Fuß (obwohl Arion nicht besonders groß war, musste er dazu einen Schritt zurücktreten und den Kopf in den Nacken legen), machte ein Geräusch irgendwo zwischen einem Zischen und einem Lachen, das hervorzubringen ein menschlicher Stimmapparat niemals imstande gewesen wäre, und trippelte dann an ihr vorbei zur Brüstung. Klein wie ein Kind, wie der Mausling war, musste er sich auf die Zehenspitzen stellen, um auf das lebendige schwarze Geschwür hinabzublicken, aus dessen Zentrum der R’Achernon aufragte wie der Finger eines zornigen Gottes, der den Himmel aufspießte. Als auch das nichts half, schwebte er eine gute Handbreit in die Höhe, was Arion ein wenig verwunderlich fand. War er nicht der, der allen anderen Mausern immer wieder predigte, dass sich so etwas nicht gehörte?
»Es gehört sich auch nicht, gegen alle Regeln des Protokolls zu verstoßen, den gesamten Hofstaat einschließlich Eurer Leibwache in helle Aufregung zu versetzen und Euren Zeremonienmeister am Grund seiner Existenz zweifeln zu lassen, Hoheit«, sagte Plixx. Vielleicht erklang seine Stimme auch direkt in ihrem Kopf, in diesem Punkt war sie niemals ganz sicher gewesen. Sie vermutete, dass sie das auch nicht sollte.
»Schon gar nicht an einem Tag wie heute«, fügte der Mausling hinzu.
Arion war mit zwei schnellen Schritten neben Plixx, drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder auf den Boden zurück und beendete die Bewegung, indem sie sich selbst wieder auf die Brüstung aus Licht fressendem Achern stützte. Unverzüglich begann das Material, jede Energie und damit alle Wärme aus ihrem Körper zu saugen, und stellte seine Bemühungen schon in der nächsten Sekunde wieder ein, als es sie erkannte. Dennoch war sie ein wenig erstaunt, dass es überhaupt geschehen war. Stimmten am Ende etwa die Gerüchte, die behaupteten, die Leistung des R’Achernon ließe nach, je weiter man sich seiner Spitze näherte?
Sie verscheuchte den Gedanken, der erstens nicht hierher gehörte und zweitens vollkommener Unsinn war.
»Was muss ich tun, um wenigstens einmal allein sein zu können, und sei es nur für eine halbe Stunde?«, fragte sie.
Plixx musste schon wieder den Kopf in den Nacken legen, um zu ihr hoch zu sehen, und das tat er auch, lange und sehr nachdenklich. »Noch einmal neu geboren werden, und diesmal nicht als Prinzessin«, sagte er dann ganz ernsthaft. »Obwohl ich bezweifle, dass Ihr Euch dort unten wirklich wohlfühlen würdet.«
»Du weißt ganz genau, was ich meine, Ratte!«
»Bei allem Respekt, Hoheit«, erwiderte Plixx verschnupft, »aber ich muss mich gegen diese Bezeichnung verwahren! In meinem Stammbaum befindet sich ausschließlich Mäuse-DNS, nicht einmal die Spur einer Spur einer Ratte! Ich bin Euer treuer Diener, Majestät, aber eine solche Beleidigung muss ich mir nicht gefallen lassen! Warum verletzt Ihr mich so?«
Hatte sie das? Das hatte sie nicht gewollt. Von allen Speichelleckern, Jasagern, Bedenkenträgern und Katzbucklern hier war der Graue Mausling vermutlich derjenige, der ihr tatsächlich am treuesten ergeben war – Duras und seine affinen Krieger einmal ausgenommen, denen gar keine andere Wahl blieb, als sie zu lieben. Sie kannte Plixx, seit sie denken konnte – Amme, Spielkamerad und Lehrer, väterlicher Freund, sprechendes Kuscheltier und Berater zugleich –, und das Allerletzte, was sie wollte, war, ihm wehzutun …
Dann sah Arion das spöttische Glitzern in seinen Augen, nur eine halbe Sekunde später das verräterische Zucken seiner spitzen Schnauze sowie der Barthaare, und ihre Augen wurden schmal.
»Du bist eine Ratte!«, rief sie. Vermutlich hatte die kleine Kröte sich nicht nur köstlich über ihre Gedanken amüsiert, sondern sie überhaupt erst dazu gebracht, sie zu denken.
»Aber nur manchmal«, antwortete Plixx. »Und nicht genetisch, darauf möchte ich hinweisen.«
»Das ist ja gerade das Schlimme«, erwiderte sie. »Wenn es nicht angeboren ist, welche Ausrede hast du sonst?«
»Wozu bräuchte ich die wohl, Hoheit?«, feixte Plixx. Dann wurde er schlagartig vollkommen ernst. »Mach dir keine Sorgen, Arion. Der Zeremonienmeister und die Hälfte seiner Eunuchen laufen gerade ein bisschen Amok, und Duras wird sich vermutlich wieder ein paar Haare wachsen lassen, die er sich genüsslich ausreißen kann, aber ich habe beide einigermaßen beruhigt. Allerdings musste ich versprechen, nach dir zu suchen und dich schnellstmöglich zurückzubringen, bevor das Protokoll vollkommen zusammenbricht und sie am Ende doch den ganzen schönen Krieg verschieben müssen.« Er kicherte. »Was für eine durch und durch entsetzliche Vorstellung!«
»Männer!«, schnaubte Arion. »Ich habe nie verstanden, was euch an diesem verdammten Krieg so fasziniert.«
»Da fragst du den Falschen«, erwiderte Plixx. »Ich bin eine Maus, kein Männer.«
Arion gab sich zwar redlich Mühe, weiter wütend auf ihn zu sein – oder wenigstens verärgert –, aber es gelang ihr einfach nicht; vielleicht allein, weil er zum vertrauten du übergewechselt war. Der Mausling duzte sie nie in Gegenwart anderer und nur sehr selten, wenn sie allein waren. Durch dieses simple Wort war er plötzlich wieder zu ihrem Freund und Spielgefährten geworden, nicht mehr Berater, Beschützer und so ganz nebenbei vermutlich eines der gefährlichsten Lebewesen dieses Planeten.
Plixx, der wieder einmal ihre Gedanken las, schenkte ihr ein geradezu unverschämtes Nagezahngrinsen und wandte sich wieder um. Lange Zeit – lange genug, um die drei Heliothopther auf ihrer Patrouille erneut auftauchen und mit brummenden Flügeln unter ihnen vorbeihuschen zu lassen – standen sie schweigend nebeneinander und sahen auf die monströse Stadt hinab, jeder in seine eigenen Gedanken versunken (der Mausling vielleicht nicht nur in die seinen), dann sagte Plixx unvermittelt: »Du hast Angst vor heute Abend, stimmt’s?«
»Warum fragst du überhaupt?«, erwiderte sie. »Du kennst doch die Antwort.«
Plixx sah sie ehrlich verletzt an. »Nein«, behauptete er. »Ich lese vielleicht die Gedanken der Prinzessin, aber nicht die deinen. Das würde ich nie tun, Arion.«
Sie war verwirrt. Auf einer nicht verbalisierbaren Ebene verstand sie sehr wohl, was der Mausling meinte, doch so wenig sie dieses Verstehen wirklich in Worte kleiden konnte, so wenig vermochte es, ihre Verwirrung über ihre eigenen Gefühle zu dämpfen. »Nein«, behauptete sie schließlich, von einem Gefühl der Unwahrheit erfüllt, noch bevor sie die folgenden Worte überhaupt aussprach. »Wovor sollte ich wohl Angst haben? Niemand kann mir hier etwas tun. Schließlich gibt es auf der ganzen Welt keinen Ort, an dem ich sicherer wäre … oder?«
»Und nicht nur auf dieser«, bestätigte der Mausling. Er wies hinab auf das pockennarbige Geflecht aus Zelten, Holz- und Steingebäuden und anderen, noch viel bizarreren Unterkünften, manche winzig, einige davon für sich allein genommen schon groß genug, um andernorts als Stadt durchzugehen.
»Prinzessin Infinity hat keinen Grund, sich vor denen da zu fürchten. Warum auch? Ein Fingerschnippen, und sie sind Vergangenheit …« Er kicherte. »Na ja, vielleicht bräuchte es doch ein bisschen mehr als nur ein Fingerschnippen, aber wir könnten sie auslöschen, ohne uns dabei besonders anzustrengen, es ist wahr. Das haben wir immer gekonnt, und wir werden es immer können. Wir wissen das. Sie wissen, dass wir es wissen, und wir wissen, dass sie wissen, dass wir es wissen.«
»Ich glaube, ich habe verstanden«, sagte Arion hastig, bevor er weitermachte und sie in einer Stunde noch hier standen und der Mausling ein Komma und ein »Wissen« ans andere reihte.
»Diesen Gedanken habe ich gelesen, Prinzessin«, erwiderte Plixx mit einem flüchtigen Mausgrinsen und wurde sofort wieder ernst. »Dennoch ist es wahr. Prinzessin Infinity hat keinen Grund, die Legionen der Quorrl und ihren Anführer zu fürchten. Aber ich glaube, dass Arion Angst vor ihm hat.«
»Unsinn!«
»Ach, nein?«, erkundigte sich Plixx. Sein Nagezahn blieb versteckt, und auch seine Barthaare rührten sich nicht. »Wenn das so ist, dann gibt es ja auch keinen Grund mehr, noch länger hier oben herumzustehen und kostbare Zeit zu vertrödeln, oder?«
»Seit wann ist Zeit kostbar?«, seufzte Arion. »Ich habe so viel davon, wie ich will. Vielleicht sogar mehr, wie ich will.«
»Kinder …« Irgendwie brachte Plixx es fertig, nicht nur wie ein betrübter und sehr alter Mann zu seufzen, sondern für die Zeit, die dieser Laut brauchte, auch ganz genauso auszusehen, nicht mehr wie ein anderthalb Meter großes, spitzohriges Kuscheltier. Dann verwandelte er sich wieder in einen Mausling, sowohl optisch als auch akustisch.
»An jedem anderen Tag mögt Ihr damit recht haben, Prinzessin«, sagte er, »nur nicht heute. Die Herrin des R’Achernon mag die mächtigste Frau dieser Welt sein, aber selbst sie muss sich dem Protokoll beugen.«
»Muss ich nicht«, erwiderte Arion patzig.
Musst du doch, vernahm sie die Stimme des R’Achernon in ihren Gedanken.
Gut, damit war dieses Thema erledigt.
»Lass uns gehen«, sagte Plixx sanft. »Er ist schon auf dem Weg, weißt du?«
»Craiden?«, entfuhr es Arion. »Dieser ungehobelte Barbarenhäuptling? Er ist hier?«
Plixx kniff das linke Auge zu. Sein anderes blickte eindeutig amüsiert zu ihr hoch. »Noch nicht ganz, aber sein Erscheinen wurde uns bereits mit allem angemessenen Pomp und Remmidemmi avisiert: Der Verheerer kommt, die Welt soll vor seinem Schatten erbeben, die Sonne ihr Antlitz verbergen und die Sterne vor Furcht erlöschen …« Er wedelte mit beiden Armen. »Das Übliche eben. Aber dafür, dass Ihr diesen ungehobelten Barbarenhäuptling nicht fürchtet, reagiert Ihr reichlich stark auf den bloßen Klang seines Namens, Prinzessin – wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet.« Sein Nagezahn blitzte. »Immerhin wisst Ihr, wer er ist.«
»Ich bin die Herrin des R’Achernon«, erinnerte ihn Arion sanft. »Ich weiß alles.«
»Nehmt es mir nicht übel, Prinzessin«, antwortete Plixx mit säuselnder Stimme, »aber bloßen Zugriff auf das Wissen des gesamten Kosmos zu haben, bedeutet nicht zwangsläufig, auch alles zu wissen.«
»Craiden«, antwortete Arion, indem sie Einblick auf das entsprechende Datensilo nahm. »Seit neun Jahren der unumschränkte Herrscher von Belagerung, gefürchtet wegen seiner Grausamkeit, aber von seinen Untertanen – jedenfalls denen, die er am Leben gelassen hat – bewundert und geliebt. Er begann seine Karriere als einfacher Krieger in der Armee seines Vaters, der einer der mächtigsten Kriegsherrn der Stadt war, diente sich rasch hoch und übernahm dessen Thron, Clan und Vermögen binnen weniger als fünf Jahren. Danach arbeitete – manche behaupten auch, mordete und intrigierte – er sich innerhalb kürzester Zeit an die Spitze des Rats der Clansherren, nachdem sein Vorgänger einem ebenso bedauerlichen wie tödlichen Unfall zum Opfer gefallen war. Weitere zwei Jahre darauf putschte er sich an die absolute Macht und schaffte den Rat kurzerhand ab, und seither ist er …«
Plixx machte eine kaum sichtbare Handbewegung, und der Datenstrom versiegte. »Genau, und in weniger als drei Stunden wird er in Eurem Thronsaal erscheinen, um Euch, dem R’Achernon und dem Rest der zivilisierten Welt den Krieg zu erklären, Arion.« Er bedachte sie mit einem strafenden Blick. »Tz, tz, tz, Prinzesschen. Ich fürchte, du musst noch eine Menge lernen.«
»Wie man andere in Verlegenheit bringt, zum Beispiel?«
»Es macht wenig Eindruck, mit allumfassendem Wissen zu protzen, wenn man dabei in einen Ton verfällt, bei dem selbst der ungebildetste Quorrl-Barbar merkt, dass man nur die Informationen aus einem Datensilo herunterbetet«, erwiderte der Mausling. »Was nutzen einem alle Antworten des Universums, wenn man die richtigen Fragen nicht kennt?«
»Eine philosophische Maus«, sagte Arion anerkennend. »Vielleicht sollte ich Craiden besser mit dir verhandeln lassen. Ich bin sicher, ihr beide habt euch eine Menge zu erzählen. Wenn wir Glück haben, quatscht ihr euch ja auch gegenseitig zu Tode.«
Plixx zog es vor, gar nichts darauf zu antworten, drehte sich mit einer sonderbar schwerfälligen Bewegung um und bedeutete ihr mit einer entsprechenden Geste, mit ihm zu kommen, während er zur Tür trippelte. Arion gehorchte, ohne dass es ihrauch nur in den Sinn gekommen wäre, ihm nicht zu folgen. Kalter Wind schlug ihr entgegen und ließ sie trotz des Körperschildes frösteln, den sie vorsorglich angelegt hatte. Es gab da auch noch andere Gerüchte, die behaupteten, dass die Schilde des R’Achernon so weit oben mehr oder weniger regelmäßig ausfielen, sodass die Chancen gar nicht einmal schlecht standen, auf die Plattform hinauszutreten und sich unversehens in einer Umgebung wiederzufinden, die vielleicht noch nicht wirklichen Weltraumbedingungen entsprach, ihnen aber nahe genug kam, um einen Menschen binnen einer einzigen Sekunde umzubringen.
Nicht, dass Arion diesen Gerüchten auch nur im Entferntesten Glauben geschenkt hätte … aber ein bisschen vorsichtig zu sein, hatte ja noch nie geschadet.
Das Vertrauen des Mauslings in den R’Achernon schien deutlich größer zu sein als ihres. Er trug jedenfalls keinen Schild und – zumindest außerhalb seines Körpers – auch keinerlei andere sichtbare Technik. Trotzdem schien der Wind den Mausling nicht einmal zu berühren, als würden es sich die Böen im letzten Moment noch einmal anders überlegen und lieber einen Bogen um die spitzohrige Gestalt schlagen, ehe sie sich in ihrem Fell verfingen.
So viel also zu den ständigen Ermahnungen des Mauslings, seine Kräfte niemals einzusetzen, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen – oder gar Bequemlichkeit.
Plixx warf Arion einen schrägen Blick zu, und sein Mantel bauschte sich, als hätte er sich urplötzlich in eine Fledermaus verwandelt, die zum allerersten Mal und noch ungeschickt versuchte, ihre Schwingen zu entfalten.
So viel also auch zu seinen Beteuerungen, ihre Gedanken nur dann zu lesen, wenn sie diese als Prinzessin dachte.
Immerhin war Plixx klug genug, auf diesen Gedanken nicht mehr zu reagieren, sondern nur seine Schritte Richtung Tür zu beschleunigen, sodass Arion jetzt fast Mühe hatte, nicht zurückzufallen. Dennoch nahm sie sich vor, ihn später noch einmal darauf anzusprechen. Es geschah selten genug, dass Plixx ihr einen Vorwand lieferte, ihm wirklich Vorhaltungen zu machen, und sie gedachte nicht, diese Chance ungenutzt verstreichen zu lassen.
Doch gerade als sich die schwarze Flanke des R’Achernon vor ihnen teilte, erbebte der gesamte Turm unter ihren Füßen, und der Himmel hinter ihnen erstrahlte in einem blendend weißen Licht, das gelb und schließlich rot wurde, noch bevor sie beide erschrocken zusammen- und in einer völlig synchronen Bewegung herumgefahren waren. Ein dumpfes, mahlendes Grollen wehte zu ihnen herauf.
Im Osten brannte der Himmel. Der Horizont hatte in dieser Himmelsrichtung Feuer gefangen, und plötzlich war auch die Wand sichtbar geworden, wenn auch nur indirekt, indem sie dem tosenden Feuersturm Einhalt gebot, der unmittelbar hinter ihr entfesselt worden war.
Arion stand eine geschlagene Sekunde einfach nur da und starrte das gleichermaßen faszinierende wie erschreckende Bild an, dann benutzte sie ihre Retina-Implantate, um Größe und Temperatur des Feuersturms einzuschätzen, kam aber zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Flammen waren zwischen zehn und etlichen hundert Metern hoch, und ihre Temperaturen erzeugten genug Hitze, um Holz in Schlacke zu verwandeln und Stahlkeramik zu Plasma werden zu lassen, ohne dass dabei der Umweg über den flüssigen Zustand nötig gewesen wäre.
»Zwölf Kilotonnen«, sagte Plixx. »Eher zwölfeinhalb. Eines muss man diesem Craiden lassen. Er weiß, wie man laut genug anklopft, um sich Gehör zu verschaffen.«
Arion nahm Zugriff auf die Sensorphalanx des R’Achernon, stellte fest, dass Plixx die Sprengkraft der Bombe fast genau richtig eingeschätzt hatte, und wollte anerkennend nicken, verzog aber dann stattdessen nur geringschätzig den Mund. »Wer protzt jetzt mit fremdem Wissen?«, fragte sie.
Plixx schenkte ihr nur einen verstörten Blick und starrte dann wieder die Flammenwand an.
Er hat keinen Zugriff auf meine Daten genommen.
Hat er nicht?
Nein. Eine Schätzung. Wenn auch eine erstaunlich präzise. Selbst für ihn.
»Was für ein Dummkopf«, sagte Plixx kopfschüttelnd.
»Du meinst … das war Craiden?«, murmelte Arion verwirrt. »Du glaubst, er hat diese Explosion ausgelöst? Absichtlich?«
»Nein, sicher nicht«, erwiderte Plixx spöttisch. »Ich nehme eher an, dass einem seiner Alchimisten irgendein Experiment mit Schwefel, Salpeter und ranzig gewordener Butter schiefgegangen ist. Und zwar schrecklich schief, wie es aussieht.«
Statt in das Innere des Turms zu treten, gingen sie zurück zur Brüstung, und dieses Mal schwebte Plixx ganz ungeniert nach oben, sodass sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe befanden, während sie nach Osten blickten. Die drei Heliothopther waren wieder da. Sie hatten ihren Patrouilleflug unterbrochen und fast unmittelbar unter ihnen angehalten, um die glitzernden Facettenköpfe nach Osten zu wenden und all die Daten und Informationen einzusammeln, die der R’Achernon schon längst und mit hundertfach größerer Präzision aufgezeichnet haben musste. Arion streckte ihre geistigen Fühler flüchtig nach ihnen aus und registrierte verwirrt nicht nur die Nervosität der Lenker, sondern auch ihrer Heliothopther. Da war … Angst. Warum?
»Was für ein Dummkopf«, murmelte Plixx noch einmal.
Arion streifte nun auch ihn mit einem verstörten Blick, begriff, dass die Bemerkung weder ihr gegolten hatte noch für sie bestimmt gewesen war, und veranlasste die Naniten in ihren Augen, bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu gehen. Das Bild der Feuerwand wurde nicht größer, aber sie sah von einem Atemzug auf den nächsten so viele Einzelheiten, dass ihr schwindelig wurde und sie die Vergrößerung rasch ein wenig zurücknahm, um nicht von der Flutwelle an Informationen überrollt zu werden.
Die Feuerwand sah jetzt aus wie eine massive Mauer aus Substanz gewordener Hitze, die immer wieder und wieder gegen das unsichtbare Kraftfeld derWandanrannte, ohne sie durchdringen zu können. An ihrem Fuß schmolzen Erdreich und gewachsener Fels, verdampften fast augenblicklich und kondensierten wieder zu flüssigem Glas, das zu Boden regnete und sofort erneut verdampfte, als immer noch mehr und immer noch größere Hitze heranbrandete, in Wellen, die wuchtiger und schneller wurden, statt allmählich an Kraft einzubüßen, wie sie es eigentlich sollten. Etwas an diesem Anblick war falsch.
»Was bedeutet das?«, fragte Arion.
»Dass unser Freund Craiden ein noch viel größerer Dummkopf ist als der, für den ich ihn sowieso gehalten habe«, antwortete Plixx, ohne den Blick von der immer noch weiter wachsendenFeuerwalze zu lösen, die gegen dieWandanrannte, zwei mythische Urgewalten, die eine völlig unaufhaltsam, die andere im gleichen Maße unzerstörbar. »Dieser Idiot hat eine Brandbombe geworfen.«
»Ich kann mich täuschen«, sagte Arion zögernd, »aber ist das nicht der Sinn einer Bombe? Dass etwas brennt, meine ich?«
»Nicht so«, antwortete Plixx knapp. »R’Achernon?«
Gegenmaßnahmen sind eingeleitet, antwortete die lautlose Stimme des Turms in ihrer beider Köpfe. Aber es wird einen Augenblick in Anspruch nehmen. Das kam unerwartet.
Unerwartet?, dachte Arion verwirrt. Sie hatte nicht gewusst, dass man den R’Achernon überraschen konnte.
Das ist auch nicht möglich. Aber eine Bedrohung wie dieser zu begegnen, bedarf gewisser Vorbereitungen und einer enormen Anstrengung. Nicht einmal ich verfügeüber ausreichende Ressourcen, um ständig auf alle denkbaren Optionen vorbereitet zu sein. Niemand tut das.
Das klang einleuchtend, aber Arion verstand es trotzdem nicht, so wenig wie den angespannten Klang in Plixx’ Stimme, und die wachsende Furcht, die in Wellen von den drei Heliothopthern und ihren Lenkern zu ihr heraufwehte.
Was ging dort unten vor? Es war doch nur eine Atombombe gewesen, die Craiden dort gezündet hatte, bei aller unzweifelhaften Verheerung, die sie innerhalb von Belagerung anrichten musste, nicht mehr als ein Knallfrosch, verglichen mit dem, was die Wand aufzuhalten vermochte.
Mit einiger Verspätung kam sie auf die Idee, den Blick ihrer verstärkten Augen von dem tobenden Inferno zu lösen und die Randbereiche dieser Zone vollkommener Vernichtung abzusuchen.
Verwirrt stellte sie fest, dass sie wuchs.
Zwischen der immer noch weiter expandierenden Säule aus verzehrendem Feuer, die längst die Höhe des R’Achernon erreicht hatte und über ihren Köpfen allmählich zu dem so typischen brodelnden Pilzdach auseinandertrieb, und den ersten Gebäuden der Stadt, die die Druckwelle nicht zerstört hatte, befand sich ein mindestens zwei oder drei Meilen messender Streifen aus zerschlagenen Ruinen und leergefegtem Boden, auf dem jetzt immer mehr und mehr Brände ausbrachen. Manche davon waren winzig, sodass sie über die große Entfernung betrachtet kaum mehr als Funken zu sein schienen, andere waren gewaltige Feuersbrünste,obwohl es dort doch eigentlich gar nichts mehr geben sollte, was brennen konnte. Sonderbare, fast geometrisch erscheinende Linien aus blassgrauem Rauch erschienen immer wieder in der Luft darüber und verschwanden, wenn der Sog der Feuersäule sie ergriff, und ein Flimmern wie von Hitze, auch wenn sie tief in sich spürte, dass dieses Phänomen eine vollkommen andere und viel schlimmere Bedeutung hatte.
»R’Achernon«, sagte Plixx, und jetzt klang er eindeutig nervös.
Ja, ja,schon gut, antwortete der R’Achernon. Ich bin gleich so weit. Hätte sie nicht gewusst, dass es vollkommen unmöglich war, dann hätte sie geschworen, so etwas wie Nervosität in der Stimme des Turms zu hören.
Sie blickte noch einmal zur Todeszone und darüber hinaus, vergrößerte die Auflösung ihrer Augen wieder und zwang sich, dem heftigen Schwindelgefühl standzuhalten, das sich prompt wieder einstellte. Wo die Druckwelle der Monsterexplosion endlich genügend Kraft eingebüßt hatte, um sich an Wänden und Häuserblocks zu brechen, statt sie einfach wegzublasen, wirkten die Gebäude eingedrückt, zerstört und auf eine sonderbar uneuklidische Art deformiert, als hätten die entsetzlichen Gewalten der Explosion sie nicht einfach nur erschüttert, sondern gleichsam ein Stück weit aus ihrer Wirklichkeit hinaus- und in eine andere, ungesunde Realität hereingedrückt. Auch dort brannte es, aber diese Flammen wirkten irgendwie … anders.
Arion kam endlich auf die Idee, in den entsprechenden militärischen Datenbanken nachzuschlagen, und konnte sogar selbst spüren, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. »Nein«, hauchte sie. »Das … das kann er nicht getan haben!«
Bevor Plixx antworten konnte, erlosch die Welt jenseits der Wand. Wo der Flammenpilz gewesen war, befand sich plötzlich in der Höhe nur noch sein brodelndes, abgeschnittenes Dach, das rasch an Leuchtkraft und Hitze verlor, nun, wo es keinen Nachschub an thermischer Energie mehr gab. Der Fuß dieses Höllenpilzes jedoch war von einer nahezu perfekten Halbkugel aus schwarz verchromtem Stahl verschlungen worden.
Noch während Arion hinsah und zu begreifen versuchte, was sie da überhaupt erblickte, fiel ihr zweierlei auf, und sie hätte nicht sagen können, was sie mehr erschreckte: DieWandwar durchbrochen worden. Die schimmernde Halbkugel hatte sie einfach durchdrungen und erstreckte sich ein gutes Stück weit in die paradiesische Landschaft aus Wäldern, Seen und gewundenen Flussläufen, die den Fuß des R’Achernon umgab, und die schwarze Kuppel schrumpfte langsam und sank nach unten ab.
Arion begriff ihren Irrtum praktisch in der gleichen Sekunde. Die Halbkugel schrumpfte nicht, und es war auch keine Halbkugel, so wenig wie sie tatsächlich aus verchromtem Stahl oder überhaupt aus Materie bestand. Was sie sah, war das obere Drittel eines schwarzen Loches, einer perfekten Kugel, zur Hälfte sichtbar und von mehr als einer Meile Durchmesser, das langsam im Boden versank und dabei einen ebenso perfekt gerundeten Schacht in die Erde diesseits und jenseits der Wand stanzte; der Ereignishorizont des künstlichen schwarzen Loches, mit dem der R’Achernon den Brandherd umhüllt und aus dem Raum-Zeit-Gefüge hinausgerissen hatte. Dem Zug der Schwerkraft folgend, begann es allmählich, dem Erdkern entgegenzusinken, wo es schließlich kollabieren und sich selbst verzehren würde.
»Das war … drastisch«, murmelte Arion benommen, als die schwarze Kugel endgültig verschwunden war. Drastisch schien irgendwie nicht das richtige Wort, aber ihr fiel auch kein besseres ein.
»Nicht drastisch genug, wenn Ihr mich fragt«, fauchte Plixx. »Man sollte diesen Dummkopf hinterherwerfen, mit einem Schwebegürtel auf schwacher Leistung, damit er auch lange genug was davon hat! Dieser verdammte Trottel! Dieser dämliche, vollkommen verblödete Idiot!«
Er hat nicht gewusst, was er tut, sagte der R’Achernon.
Plixx plusterte sich nur noch weiter auf. »Na, das ändert ja dann wohl alles!«, giftete er. »Dann entschuldige ich mich doch glatt dafür, den so hoch geschätzten Craiden in Abwesenheit zu übel beleidigt zu haben!« Er schlug wütend mit der geballten Faust auf die schwarze Brüstung. »Wie konnte ich mich nur so hinreißen lassen! Der bedauernswerte Craiden! Er hat es schließlichnicht gewusst!«
Arion meinte, fast so etwas wie ein Gefühl von Erheiterung tiefin sich zu spüren, das nicht ihr selbst gehörte, aber der R’Achernonkannte den Mausling offenbar besser als sie und schwieg, und auch sie selbst – mit dem neu erworbenen Wissen, über das sie jetzt verfügte – konnte den Schrecken des Mauslings nur zu gut nachvollziehen. Ihr erging es auch nicht viel besser.
Statt irgendetwas zu sagen, blickte sie noch einmal nach Osten. Die Stadt brannte weiter, und selbst ihr extrem verstärktes Sehvermögen reichte nicht aus, um irgendetwas zu erkennen, das nicht aus Stein, Stahl oder einem noch widerstandsfähigeren Material gewesen wäre. Flüchtig stellte sie sich die Frage, wie viele Leben Craidens Anklopfen wohl gekostet haben mochte, schrak zugleich aber auch so sehr vor der Antwort zurück, dass sie den Gedanken nicht weiterverfolgte und sogar bedauerte, ihn überhaupt gedacht zu haben.
Plixx zischte noch ein paar Worte in einer Sprache, die sie nicht verstand, sank wieder zu Boden und stürmte auf die offen stehende Tür zu. Arion folgte ihm, wenn auch nicht, ohne noch einen abschließenden Blick auf den kreisrunden Schacht geworfen zu haben, der im Boden unter der Wand gähnte, wo noch wenige Augenblicke zuvor das Ende der Welt begonnen hatte: ein annähernd eine Meile durchmessender Kreis, dessen Wände jenseits der Wand immer rascher zu bröckeln begannen. Risse entstanden dort im Erdboden, wo vorher ein Teil von Belagerung gelegen hatte, erweiterten sich zu Schluchten und rasch einstürzenden Canyons und streckten gierige schwarze Spinnenfinger nach dem, was von der Stadt übrig geblieben war. Bald würde er sich zu einem gewaltigen Vier-Fünftel-Kreis ausdehnen, mit der lotrechten Seite dort, wo die Wand seine Ausdehnung stoppte und die Wände des Schachtes auf diese Weise stützte. Arion fragte sich flüchtig, welche Legenden sich irgendwann einmal um seine Entstehung ranken würden und welche Rätsel er späteren Generationen von Quorrl wohl aufgeben mochte.
Sie verscheuchte den Gedanken und beeilte sich, Plixx zu folgen.
Kaum hatte sie den R’Achernon betreten, verwandelte sich die Tür hinter ihr in eine fugenlos glatte Wand, und aus dem Licht verzehrenden Schwarz des allgegenwärtigen Achern wurde ein sanftes Leuchten, das den Augen schmeichelte. Sofort wurde es ihr warm, wenn auch mit dem Ergebnis, dass sie die Kälte, der sie draußen ausgesetzt gewesen war, jetzt nur noch intensiver spürte, bevor die Naniten in ihrem Körper auf das Gefühl von Unbehagen reagierten und die Kälte zwar nicht abschalteten (das konnten nicht einmal sie), ihrem Gehirn aber immerhin erfolgreich vorgaukelten, dass es so war.
Trotzdem: Arions Gesicht prickelte, und ihre Finger waren mit einem Male so ungelenk, dass sie zweimal ansetzen musste, um die transparente Atemmaske abzunehmen, die sie bisher über Mund und Nase getragen hatte. Die ersten Atemzüge schmeckten schal und abgestanden, obwohl ihr Verstand ihr sagte, wie vollkommen unmöglich das war.
Plixx bedachte sie mit einem missbilligenden Blick, sparte sich aber jeden Kommentar und geduldete sich auch, bis sie den Schildgenerator abgelegt hatte, den sie in Form eines schmalen silbernen Gürtels um die Taille trug. Davon einmal abgesehen, dass sie es gar nicht konnte, hätte sie die Gedanken des Grauen Mauslings gar nicht lesen müssen, um den Grund für seinen tadelnden Blick zu verstehen.
Es war nicht das erste Mal, dass Arion hier oben war, und es würde gewiss auch nicht das letzte Mal sein, aber etwas in ihr hatte sich bisher stets dagegen gesträubt, ihre Lungen adaptieren zu lassen. Eingriffe wie dieser waren ein Prozess von weniger als zwei Stunden, den sie sogar im Schlaf hinter sich bringen konnte. Aber irgendwie war es ihr bisher immer …falschvorgekommen.
Plixx räusperte sich unbehaglich. »Ich … ähm … ich muss mich bei Euch entschuldigen, Prinzessin.«
»So?«, fragte Arion, wollte noch mehr sagen und beließ es dann bei einem fragenden Hochziehen der Augenbrauen. Sie kannte Plixx nun schon so lange, wie sie sich zurückerinnern konnte, aber der Anblick einer teenagergroßen Maus, die verlegen von einem Fuß auf den anderen trat, einen Mantel aus grob zusammengenähten Lederflicken trug und nervös mit dem Schwanz peitschte, war doch etwas, woran sie sich nie wirklich gewöhnte.
»Ich habe die Beherrschung verloren, Majestät«, antwortete Plixx. »In Eurer Gegenwart. Das gehört sich nicht.«
»Aber das verstehe ich doch«, seufzte sie. »Da geht man nichts ahnend auf den Balkon hinaus, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, und schon zündet irgendein Idiot eine Weltuntergangsbombe. Ehrlich, so was kann einem schon den Tag versauen.«
»Ich bin nicht das, was ich bin, weil ich dazu neige, die Beherrschung zu verlieren, Hoheit«, antwortete Plixx steif. »Das ist unverzeihlich. Ich werde mich sofort einer Persönlichkeitsstabilisierung unterziehen, sobald wir …«
»Den Teufel wirst du tun«, unterbrach ihn Arion. »Craiden wartet auf mich oder etwa nicht?«
»Noch nicht ganz, aber …«
»Siehst du?«, fiel sie ihm erneut ins Wort. »Und ich werde diesem Bomben werfenden Barbaren ganz bestimmt nicht ohne meinen besten Freund und Berater gegenübertreten.« Sie wartete vergeblich auf eine Antwort – oder irgendeine Reaktion –, zuckte schließlich ruppig die Achseln und deutete mit einer noch sehr viel ruppigeren Kopfbewegung auf den Schwebeschacht.
Erst als sie nebeneinander in die Tiefe glitten und Arion allmählich klar wurde, wie lang fünfeinhalb Meilen langsamer freier Fall sein konnten, wenn man sie in verbissenem Schweigen und mit gegenseitigen Schuldzuweisungen verbrachte, entschied sie sich – wieder einmal –, klein beizugeben.
»Also gut. Erzähl mir, was du über Craiden weißt.«
»Im Datensilo sind …«
»Mit deinen eigenen Worten, Plixx«, unterbrach sie ihn. »Und erzähl es Arion. Nicht der Prinzessin.«
2. Kapitel: Craiden
Es war ein Bild der Ehre, das seine Brust vor Stolz schwellen ließ, und zugleich ein Bild der Schande, das seine beiden Herzen wie eine eiserne Faust zusammenpresste und ihm das Atmen schwer machte.
Die Krieger zu zählen war unmöglich. Manche standen dicht an dicht gedrängt da, eng genug, um sich gegenseitig zu behindern und bei der geringsten Unvorsichtigkeit wohl auch zu verletzen, und eine lebende Mauer bildend, an der jeder Feind einfach zerschellen musste, andere, zumeist beritten, bildeten kleine Inseln purer zerstörerischer Kraft, die nur darauf warteten,entfesselt zu werden und den Feind zu zerschmettern, wieder andere standen in Reih und Glied ausgerichtet da, präzise wie auf einem mit großer Akribie gemalten Plan, wenig innovativ vielleicht, aber diszipliniert und bereit, ihr Bestes zu geben – was viel war.
Sie waren die Besten der Besten, der Stolz von Belagerung und einer ganzen Generation, bereit zuzuschlagen und weder den Tod noch Schmerz oder auch den wildesten Feind zu fürchten.
»Was für eine Verschwendung«, grollte Torman.
Craiden brachte ihn mit einem ärgerlichen Blick zum Verstummen, unter dem Torman zwar den mächtigen, vierfach gehörnten Schädel senkte und demütig einen Schritt zurückwich, der das trotzige Funkeln in seinen senkrecht geschlitzten Reptilienpupillen aber nicht auszulöschen vermochte.
So wenig wie die dünne, flüsternde Stimme in Craiden, die darauf beharrte, dass sein Gajin recht hatte.
Das Heer marschierte. Zögernd, scheinbar chaotisch und doch einem ebenso komplizierten wie von vielen Generationen verfeinerten Plan folgend, setzte sich die ganze gewaltige Masse in Bewegung und strebte einem Feind entgegen, dem sie niemals in die Augen sehen würde, und einem Schlachtfeld, das nur aus der ersten Hälfte dieses Wortes bestand und Tod ohne Ehre bereithielt, Schmerz ohne Belohnung und Furcht ohne Sinn.
»Du musst dir das nicht ansehen«, sagte Torman gesenkten Blickes und in demütigem Ton, aber dennoch fordernd, beinahe schon zornig. »Du weißt, warum sie uns diese Bilder zeigen. Um uns zu demütigen. Und bei dir gelingt es ihnen offenbar!«
Craiden schluckte mühsam alles herunter, was ihm dazu auf der Zunge lag – es war genug, um ihm das Gefühl zu geben, daran ersticken zu müssen –, und beruhigte sich selbst mit dem Gedanken, dass es schließlich die Aufgabe eines Gajin war, in einem Moment wie diesem zornig, ja sogar unverschämt und herausfordernd zu klingen. Das bewahrte Torman vermutlich vor einer schmerzhaften Tracht Prügel oder Schlimmerem und entsprach nebenbei auch der Wahrheit, aber es machte das, was er sah, nicht besser.
Das Heer marschierte. Die Erde selbst erzitterte unter dem Stampfen zahlloser Füße und Klauen, die Luft erbebte unter dem kampflustigen Gebrüll aus Tausenden menschlicher und nichtmenschlicher Kehlen, und Waffen wurden gezogen und gegen einen Feind geschüttelt, der sich immer noch nicht zeigte und sich auch nicht zeigen würde.
Dafür öffneten sich die Pforten der Hölle.
Obwohl er wusste, was kam, obwohl er diese Bilder schon unzählige Male gesehen hatte und sie wie ein glühendes Messer in seine Brust gefahren und niemals heilende Narben auf seiner Seele hinterlassen hatten, traf ihn der Anblick dennoch wie ein Schlag ins Gesicht. Tränen der Wut füllten seine Augen, und seine Hände schlossen sich so fest um das Zaumzeug, dass das tausend Jahre alte Leder knirschte.
Blitze erschienen aus dem Nichts und verschwanden wieder, hoch in der Luft und zuerst ohne irgendetwas zu berühren, auch wenn sie Panik unter Mensch und vor allem Tier verursachten und die langsam vorrückende Formation störten, schließlich zum Teil sogar zum Stehen brachten, als die ersten, haarfeinen Linien aus blauem Licht ihr Ziel trafen und Metall schmelzen und Blut kochen ließen, Fleisch in roten Fontänen explodieren sowie Haut und Schuppen zerfließen ließ.
Craiden schloss die Augen, aber es nutzte nichts. Er hatte diese Bilder zu oft gesehen, als dass die Dunkelheit hinter seinen Lidern ihm Schutz vor ihnen bieten konnte.
Das Heer rückte weiter vor, ungeachtet der Bahnen explodierender Verheerung, die das lautlose Blitzgewitter in seine Reihen brannte. Hunderte starben, aber Tausende marschierten weiter und schrien dem unsichtbaren Feind ihre Wut nur noch trotziger entgegen.
Dann begann das Sterben wirklich.
Die Blitze loderten weiter, viele, aber längst nicht genug, um den Vormarsch der gewaltigen Armee wirklich aufzuhalten oder auch nur nennenswert zu verlangsamen, doch nun erschienen Wirbel inmitten der Krieger, tanzenden Windgeistern gleich, kaum mehr als Staub, den ein Luftzug bewegte. Nur dass dieser Staub tötete. Wo er Fleisch, Schuppen oder Horn berührte, da … verschwand es einfach, löste sich auf wie ein Trugbild aus Nebel, das nur in eine scheinbar lebendige Form gezwungen worden war und diese Fessel nun abschüttelte. Mehr und schlimmere Bahnen grausamer Zerstörung durchzogen das Heer, noch immer, ohne es bremsen zu können, obwohl der Blutzoll größer wurde, den der Stolz von Belagerung für jeden Fußbreit Boden bezahlte, über den er schritt.
Als auch das nichts fruchtete, schlugen unsichtbare Fäuste zu, manche tatsächlich nicht größer als eine Faust, sodass Reiter aus ihren Sätteln geschleudert, Krieger zu Boden geworfen und Tiere von den Füßen gerissen wurden, andere groß wie ein Wagen oder ein ganzes Haus, und Mensch und Tier einfach … verschwanden, zu rotem Nebel und blutigem Brei zermalmt und halbmetertief in den Boden gerammt, der wie ein lebendes Wesen aufschrie.
Und als auch das nicht half und das Heer noch immer und eher noch schneller werdend weiterstürmte, erschienen die Spinnen.
Vielleicht war dies der einzige Teil des grausamen Geschehens, in dem zumindest eine Spur von Ehre lag. Es waren keine wirklichen Spinnen, sondern große, aufrecht gehende silberne Gestalten, drei Meter hoch und mit zwei dünnen, staksigen Beinen und vier Armen, die in langen Sensenklingen und schnappend gezahnten Klauen endeten, doch immerhin kämpften sie nicht mit magischem Feuer und unsichtbarem Tod, sondern ehrlichem Stahl und schierer, knochenzermalmender Kraft. Etliche von ihnen fielen sogar, von der bloßen Übermacht der heranstürmenden Krieger überrollt, auch wenn sie nicht wirklich starben, sondern eher zerbrachen.
»Sieh dir das nicht weiter an!«, sagte Torman noch einmal. »Oder willst du, dass es genau das bewirkt, was es soll?«
Glaubte der Gajin etwa, er wäre nicht stark genug, um auch den Rest dieses Augenblicks der Schande zu ertragen? Craiden erwartete, zornig auf Torman zu werden, er wollte zornig auf ihn werden, doch dieses Gefühl wollte sich nicht einstellen. Stattdessen fragte er sich, was er getan hatte, um diese Erwartung in seinem Gajin zu erwecken.
Er zwang sich, weiter zuzusehen, schon weil er wusste, dass sich das Drama ohnehin seinem Ende näherte. Das Heer, dezimiert und eine blutige Spur hinterlassend, rückte immer noch weiter vor, ungeachtet der Blitze, der verheerenden Nebel und der Faustschläge noch immer unsichtbar bleibender Riesen und reißender Eisenspinnen, doch dann kam der Moment, in dem es nichts mehr gab, wohin es ziehen konnte.
Craiden hatte diesen Augenblick noch nie so deutlich gesehen wie jetzt – denn die Bilder der Erinnerer, mit denen er aufgewachsen war, reichten nicht an die Detailtreue und Schärfe dieses magischen Artefakts heran –, aber dennoch oft genug, dass er sich wie Säure in sein Gedächtnis gebrannt hatte.
Es war ein einzelner, vierfach gehörnter Krieger in einer strahlend blauen und gelben Rüstung und auf einem gewaltigen Schlachtross, der die unsichtbare Barriere als erste erreichte und dessen Leben sie als erstes forderte. Er galoppierte einfach dagegen und brach sich das Genick, nur einen Sekundenbruchteil nach seinem Pferd, das zusammen mit ihm zu Boden stürzte und ihn unter sich begrub. Kurz darauf waren beide verschwunden, zermalmt und in Stücke gerissen, als immer mehr Krieger heranstürmten und an einer Mauer aus … Nichts zerschellten, die Licht, Luft, Geräusche und Gerüche passieren ließ, aber nichts, was mehr Substanz hatte als ein Nebelhauch.
Craiden wusste, wie sich diese Barriere anfühlte, diese tödliche Heimtücke, die die Herren dieses tausendfach verfluchten Schwarzen Turms einfach nur die Wand nannten. Er war da gewesen und hatte sie berührt, nicht einmal, sondern Dutzende Male, Hunderte, und die Erinnerung daran brannte wie Feuer auf seiner Haut. Das Gefühl war weich, fast schon angenehm, beinahe wie etwas Lebendiges, das vollkommen unsichtbar blieb, der Hand aber einen Widerstand entgegensetzte, der härter wurde, je mehr Kraft man gegen sie richtete. Der hart wie Eisen wurde, wenn man dagegen anrannte, und zermalmend, folgte einem ein Heer mit aller Entschlossenheit.
Er konnte sehen, was es bewirkte. Männer und Tiere wurden zerschmettert, als sie gegen die unsichtbare Barriere prallten, zermalmt unter dem Druck der Nachdrängenden, die ihrerseits zerbrochen wurden, zu blutigem Brei zerrieben, als Welle um Welle der Krieger heranströmte, nicht in der Lage, zu begreifen, welche Gefahr auf sie lauerte, und selbst wenn doch, nicht imstande, darauf zu reagieren. Hunderte, Tausende starben an der unsichtbaren Mauer, bevor das Heer mit der Trägheit eines riesigen lebenden Organismus allmählich zum Stehen kam und sich dann ebenso träge zurückzuziehen begann.
Nicht ein einziger Mann entkam der Vernichtung.
Blitze und tanzende Staubschleier verhundertfachten sich. Aus dem Nichts erschienen gewaltige, zermalmende … Dinge, die sich dem Blick auf geheimnisvolle Weise entzogen sowie Mensch und Tier mit sich rissen, sodass nicht einmal mehr eine Spur, nicht ein einziger Blutstropfen, ein abgebrochenes Horn, eine Klaue, eine weggeworfene Waffe oder ein zerrissenes Kleidungsstück zurückblieben, als sie wieder verschwanden, und auch die Anzahl der Spinnen wuchs noch einmal, nun verstärkt durch weitere, noch größere und bizarrere Monster mit dünnen, silberfarbenen Gliedmaßen und reißenden Sensenklauen. Was von dem Heer noch übrig war, das wandte sich nun endgültig und in Panik zur Flucht, und der Anblick ließ den Druck der unsichtbaren Hand auf Craidens Herzen noch stärker werden.
Ein Krieger auf der Flucht war das schmählichste Bild, das es gab. Feigheit gehörte nicht zum Wortschatz seines Volkes, und Furcht hatte keinen Platz in den Herzen seiner Krieger. Dennoch waren die Bilder der Erinnerer, die durch seinen Geist geströmt waren, frei von Verachtung oder auch nur Erstaunen gewesen, hatten niemandem, auch nur einem dieser Männer, die schreiend um ihr Leben gelaufen waren, Angst oder gar Feigheit unterstellt, denn was an diesem Tag der Schande geschehen war, das hatte nichts mit einem Kampf zu tun, nichts mit Ehre oder auch nur irgendetwas, das zum Leben eines Krieges gehörte und auch sein Sterben bestimmte. Sie waren Helden, Opfer einer Heimtücke, die nichts als Verachtung verdiente und Craiden mit Hass und Abscheu erfüllt hatte, seit er denken konnte und dieses Grauen zum ersten Mal gesehen hatte.
Das Bild erlosch. Wo er gerade noch das Sterben der tapfersten seines Volkes beobachtet hatte, war nun nichts mehr, nur noch die staubige schwarze Weite der großen Halle, in die man ihn gebracht hatte.
»Verdammte Techmagie!«, grollte Torman. »Hast du jetzt genug gesehen, oder soll ich unsere Gastgeber bitten, es dir noch einmal zu zeigen? Ich bin sicher, dass sie dir diesen Wunsch gerne erfüllen.«
Allmählich, fand Craiden, überschritt der unverschämte Ton in seiner Stimme selbst das, was er einem Gajin zubilligte, sogar einem so treuen Gefährten wie ihm. Er setzte dazu an, Torman mit scharfen Worten in seine Schranken zu weisen, überlegte es sich dann noch einmal anders und drehte sich nur langsam im Sattel um, denn er hatte eine Bewegung hinter sich gespürt. Wer immer da auch kam, er würde ihm nicht die Genugtuung bieten, den Herren von Belagerung mit einem seiner Sklaven streiten zu sehen.
Wo gerade noch eine fugenlose Wand aus etwas gewesen war, das das Licht zu verzehren schien, hatte sich eine Tür geöffnet, um einer hochgewachsenen Gestalt Einlass zu gewähren. Obwohl Craiden über außergewöhnlich scharfe Augen verfügte, war es ihm seltsamerweise nicht möglich, ihr Gesicht zu erkennen, und bis zu einem gewissen Punkt galt das auch für die gesamte Erscheinung. Der Raum hinter der Tür war hell erleuchtet, was den Fremden zu einem tiefenlosen Schatten werden ließ, allerdings ohne klar erkennbare Umrisse. Craiden konnte das, was er sah, nicht wirklich in Worte fassen, einfach weil es nichts war, was er jemals zuvor erblickt hätte, aber es war unheimlich und verstörend: Er hatte das Gefühl, dass sich die Gestalt und ihre Umrisse … unabhängig voneinander bewegten.
»Herr?« Torman machte eine Bewegung, um mit einem raschen Schritt zwischen ihn und den unheimlichen Neuankömmling zu treten, und legte zugleich die Hände auf die Griffe der beiden mächtigen Schwerter, die aus seinem Gürtel ragten, und auch hinter ihm erscholl ein plötzliches Scharren und Huschen, als das Dutzend Quorrl-Krieger seiner Garde in Position gingen. Craiden scheuchte sowohl sie als auch denGajinmit einem kaum mehr als angedeuteten Ruckeln des Kopfes zurück. Torman erlaubte sich in letzter Zeit Fehler, über die sie wirklich reden mussten, aber es brachte keinen Nutzen, sein Leben vollkommen sinnlos wegzuwerfen.
Die Gestalt kam gemessenen Schrittes näher, und immerhin konnte Craiden jetzt erkennen, dass es sich um einen Menschen handelte, keinen Dämon oder Eisenmann. Der Fremde war sicherlich eine Handspanne größer als er selbst und auch um einiges kräftiger gebaut und vollkommen schwarz gekleidet, von den glänzenden Stiefeln bis hin zu dem in kunstvolle Falten gelegten Umhang, der an seinen breiten Schultern befestigt war und bei jedem Schritt hinter ihm herwehte, als kämpfe er gegen einen unsichtbaren Sturm an. Sein Gesicht war immer noch nicht zu erkennen, obwohl er in weniger als fünf Schritten Entfernung stehen blieb. Billige Techmagie, entschied Craiden, sowohl das eine als auch das andere.
Dennoch verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Craiden begann sich fast augenblicklich unwohl zu fühlen.
»Clansmeister Craiden?«, begann der Fremde, nachdem sie sich eine Zeit lang gegenseitig angestarrt hatten – ein eindeutig einseitiges Duell, denn sein Gesicht verbarg sich noch immer hinter etwas, das Craiden nur mit dem Wort Bewegung beschreiben konnte, so verwirrend es auch war. »Oberster Kriegsherr von Belagerung, Herrscher der tausend Armeen, erster Diener Gajas und linke Hand der einen Göttin. Ich grüße Euch.«
Craiden drehte mit sachtem Schenkeldruck sein Pferd herum und zog kurz an den Zügeln, als das Tier nervös auf die unheimliche Schattengestalt reagierte und zu tänzeln begann. Erst dann sagte er: »Craiden genügt. Ich lege keinen Wert auf Titel.«
»Ja, man hat mir berichtet, dass Ihr ein Mann des direkten Wortes seid«, antwortete der Fremde. »Wie ich sehe, war diese Information korrekt.« Seine Stimme klang dunkel und volltönend, und sie verursachte ein ganz sachtes, nachhallendes Echo in der unergründlichen Weite der schwarzen Halle, in die man sie geführt hatte. Es war zu dunkel, um ihre Größe zu erkennen, aber Craiden spürte ihre gewaltigen Dimensionen, sodass das eigentlich nichts Besonderes war. Aber die Hufschläge seines Pferdes hatten keine Echos verursacht, und die Schritte der dutzend Krieger, die Torman und ihn begleiteten, auch nicht. Billige Techmagie, dachte er noch einmal. Die ihre Wirkung auf ihn aber auch dieses Mal nicht ganz verfehlte.
»Das stimmt«, antwortete Craiden. »Ich halte auch nichts von Protokoll, falscher Höflichkeit und aufgesetzten Umgangsformen. Wir können also gleich …«
Der andere unterbrach ihn mit einem leisen, ehrlich klingenden Lachen. »Ja, und auch das passt zu dem, was ich über Euch gehört habe«, sagte er. »Ich glaube, Ihr werdet bald auf jemanden treffen, mit dem Ihr Euch gut versteht.«
»Jemanden?«
Der Fremde lachte noch einmal, leiser, aber ebenso ehrlich, brach dann ab und fuhr ganz leicht zusammen. »Ich bitte um Verzeihung, Clansherr Craiden. Das war unhöflich von mir. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.« Er neigte ganz sacht das Haupt. »Mein Name ist Duras. Man hat mich geschickt, um Euch und Eure Begleiter zu begrüßen und Euch ein angemessenes Quartier zuzuweisen … und mich nach Euren Wünschen zu erkundigen.«
Sie hatten einen Diener geschickt, um ihn zu empfangen? Craiden war nicht sicher, ob er zornig werden oder nur noch größere Verachtung empfinden sollte, begriff aber dann, dass das eine so wenig angebracht war wie das andere. Dieser gesichtslose Riese war alles, nur kein Diener. Er spielte ein Spiel mit ihm, aber Craiden hatte nicht vor, sich darauf einzulassen; wenigstens nicht nach seinen Regeln.
»Wir brauchen kein Quartier«, sagte er. »Und meine Männer und ich haben auch keine Wünsche. Ich möchte den Herrscher dieses Turms sprechen.«
Duras deutete ein Nicken an. »Prinzessin Infinity erwartet Euch«, sagte er. »Aber nicht sofort. Es bedarf noch gewisser … Vorbereitungen, bis Ihr sie sehen könnt.« Er hob rasch die Hand, als Craiden auffahren wollte, und obwohl sein Gesicht weiter unsichtbar blieb, konnte man das ebenso spöttische wie gutmütige Lächeln in seinen Augen irgendwie spüren. »Das hat nichts mit mangelndem Respekt zu tun, Clansmeister, oder Desinteresse an Eurer Person oder dem Grund Eures Hierseins. Der R’Achernon ist einfach ein … sehr großes Gebäude, und es dauert seine Zeit, alles vorzubereiten.«
Weil wir ja so vollkommen überraschend und unangemeldet gekommen sind, dachte Craiden ärgerlich. Dennoch musste er – widerwillig – zugeben, dass er Duras verstand. Sein eigenes Herrscherzelt (das vermutlich bequem in diese monströse Halle gepasst hätte und noch dazu mehrmals) auf den Empfang eines Gastes vorzubereiten, nahm schon mindestens die Zeitspanne in Anspruch, die Duras gerade genannt hatte, und das, obwohl er tatsächlich wenig von Konventionen und überflüssigem Zeremoniell hielt und beides auf ein Maß beschränkte, das gerade noch ausreichend war, um nicht als Beleidigung gewertet zu werden.
»Ein prachtvolles Tier habt Ihr da, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet, Clansherr«, fuhr Duras fort, als er wohl einsah, dass er keine weitere Antwort bekommen würde. »Ich reite selbst sehr gerne und besitze einige wirklich schöne Pferde, aber ein solches Tier habe ich noch nie gesehen.«
Craiden reagierte mit einem angedeuteten Nicken auf das Kompliment, von dem er sogar glaubte, dass es ehrlich gemeint war, und verstand den zweiten Sinn von Duras’ Worten erst nach einem Augenblick. Ohne Hast, aber sehr schnell, stieg er aus dem Sattel, trat der gesichtslosen Gestalt einen Schritt entgegen und tätschelte den schuppigen Hals des Pferdes, um es zu beruhigen. Er wünschte sich zwar nach wie vor, nicht auf seine so genannten Berater gehört und Crusher anstelle dieses riesigen Schlachtrosses genommen zu haben, aber das änderte nichts daran, dass sein Stallmeister eine hervorragende Wahl getroffen hatte. Techmagie hin oder her, eine einzige falsche Bewegung, und das Schlachtross würde Duras einfach in Stücke reißen.
»Das ist wirklich ein prachtvolles Tier«, sagte Duras noch einmal. Er kam näher und hob den Arm, wie um nach dem Pferd zu greifen, blieb stehen und ließ die Hand aber dann wieder sinken, als das Tier ein drohendes Knurren von sich gab und nach seinen Fingern schnappte.
»Züchtet Ihr sie selbst?«
»Meine Familie«, antwortete Craiden fast gegen seinen Willen. »Seit zehn Generationen. Diese Pferde sind die besten, die Ihr in ganz Belagerung finden werdet.« Was der Wahrheit entsprach. Das Tier war ein echtes Monster mit einer Schulterhöhe von mehr als zwei Metern, tausend Pfund Gewicht und rasiermesserscharfen Zähnen, die hart genug waren, Eisen zu durchdringen. Und wäre Duras auch nur einen einzigen Schritt näher gekommen, dann hätte er vielleicht noch eine der anderen unangenehmen Überraschungen kennengelernt, die dieses vermeintliche Pferd bereithielt. Dennoch wünschte er sich, er hätte Crusher genommen.
»Für Euer Tier wird gesorgt«, fuhr Duras fort, als Craiden auch jetzt wieder nicht von sich aus weitersprach, sondern ihn nur schweigend ansah. Nun, wo sie sich direkt gegenüberstanden, konnte er erkennen, dass der Fremde ihn tatsächlich um mehr als eine Haupteslänge überragte und mindestens anderthalbmal so viel wiegen musste wie er. Sein Gesicht war immer noch nicht zu erkennen, sondern blieb hinter einem Schleier aus … irgendetwas verborgen, aber Craiden spürte auch erneut sein Lächeln. Und noch etwas: Eine Woge aus Vertrauen und Geborgenheit, die von dem gesichtslosen Riesen ausging und seiner Seele schmeichelte. So unheimlich die Gestalt auch war, irgendetwas sagte ihm, dass er nichts von ihr zu befürchten hatte und es keinen Grund gab, Angst zu haben.
Craiden begriff sehr wohl, dass er manipuliert wurde, und das hätte ihn wütend machen sollen, was aber nicht geschah, denn auch das verhinderte die unheimliche Macht des Fremden. Das sollte ihn noch wütender machen, funktionierte aber auch nicht.
»Ja, tut das«, sagte er, statt irgendetwas von dem auszusprechen, was ihm auf der Zunge lag. Duras war nicht wichtig. Zweifellos war er geschickt worden, um ihn und seine Begleiter zu beeindrucken – oder besser noch einzuschüchtern –, und er sollte ruhig glauben, dass es ihm gelungen war. »Aber seid vorsichtig. Das Tier ist gefährlich, und es mag keine Fremden.«
»Wäre es anders, wäre es wohl auch kein gutes Kriegspferd«, sagte Duras, trat an ihm vorbei und streckte die Hand nach dem Tier aus. Craiden setzte zu einer entsprechenden Warnung an, besann sich dann anders und schloss mit sich selbst eine Wette ab, ob dieser Dummkopf nur ein paar Finger oder gleich die ganze Hand einbüßen würde. Schließlich hatte er ihn gewarnt.
Das Pferd knurrte, bleckte drohend die gewaltigen Reißzähne – und senkte dann den gehörnten Kopf. Fassungslos sah Craiden zu, wie Duras zuerst seine Nüstern, dann den schuppigen Schädel tätschelte und schließlich sogar in die Hocke ging, um die Fesseln und die kraftvollen Unterschenkel des Tieres zu begutachten. Das Pferd drehte den Kopf und folgte ihm mit Blicken, über deren genaue Bedeutung Craiden gar nicht nachdenken wollte. Sie wirkten jedenfalls nicht feindselig. Ganz und gar nicht.
»Wie gesagt«, sagte Duras, nachdem er sich wieder aufgerichtet und langsam zu ihm herumgedreht hatte, »ein wirklich erstaunliches Tier. Es muss sehr schnell sein.«
»Schnell wie der Wind«, antwortete Craiden fast automatisch und bedauerte diese Worte, noch bevor er sie ganz ausgesprochen hatte. Irgendetwas sagte ihm, dassschnell wie der Windfür Duras’ Geschmack vielleicht nicht besonders schnell war.
Der gesichtslose Riese trat einen Schritt zur Seite, und da, wo gerade noch er gestanden hatte, wuchs eine schlanke Gestalt aus Silber aus dem Boden. Craiden musste sich mit aller Macht beherrschen, sich sein Erschrecken nicht anmerken zu lassen, denn es war nicht etwa so, als hätte sich dort eine geheime Klappe oder irgendein verborgener Mechanismus geöffnet – das Schwarz des Bodens floss zusammen und erhob sich zu einer schmalen Silbergestalt mit dünnen Beinen und vier schlanken Spinnenarmen, die jedoch nicht in Klingen oder rasiermesserscharfen Klauen endeten, sondern in dreifingrigen, fast filigran anmutenden Fingern. Mit einem dieser sonderbaren Arme griff sie nach dem Zaumzeug des Pferdes, das sich widerstandslos davonführen ließ.
Beeindruckend, dachte Craiden, hütete sich aber, dieses Wort laut auszusprechen, sondern wandte sich nur mit einem fragenden Blick an Duras. Der gesichtslose Riese tat nichts. Weder schnippte er mit den Fingern, noch hob er die Hand oder gab auch nur den mindesten Laut von sich, und trotzdem spürte Craiden, wie sich etwas änderte, als wäre die Welt von einem Atemzug zum nächsten … eben anders geworden, ohne dass dieser Unterschied in Worte zu fassen wäre.
Vielleicht aber auch doch. Craiden spürte die plötzliche Unruhe seiner Begleiter und sah über die Schulter zurück. Torman stand hinter ihm, beide Hände an den Schwertern, die er schon halb aus den Scheiden gezogen hatte, genau wie er es erwartete, und auch die mattgrüne Doppelreihe geschuppter Quorrl-Kolosse stand da wie steinerne Statuen. Ihre Gesichter waren völlig reglos, doch was sie nicht unter Kontrolle hatten, das waren ihre Gefühle – und wie auch? Selbst er spürte den kalten Schauer von etwas, das Ehrfurcht ziemlich nahe kam, als er sah, wie sich ihre Umgebung verändert hatte. Er konnte die Halle jetzt zur Gänze überblicken, obwohl es nicht wirklich heller geworden war; viel mehr schien sich das Spektrum seines Sehvermögens plötzlich erweitert zu haben, sodass er Dinge erkennen konnte, die ihm – und allen anderen seines Volkes – bisher verborgen geblieben waren.
Diese Halle war noch viel größer, als er angenommen hatte. Sein eigenes, gewiss nicht kleines Zelt hätte – in der Höhe – gute fünf- oder sechsmal hineingepasst und mindestens zehnmal so oft in jeder anderen Dimension, und sie war nicht leer, enthielt aber trotzdem nichts, was er wirklich erkennen konnte. Dinge bewegten sich darin, die er weder wirklich sehen konnte noch wollte, und er hatte das unheimliche Gefühl, plötzlich in Richtungen zu schauen, die es gar nicht gab. Das Schlachtfeld, auf das seine Männer und er hinausgeblickt hatten, war verschwunden.
Er wandte sich wieder an Duras. »Die Schlacht. Das war deine Magie, habe ich recht?«
»Magie?« Das Wort schien Duras zu amüsieren. »Nun, wenn Ihr so wollt … hat es Euch nicht gefallen?«
»Gefallen?«
»Man hat mir berichtet, Ihr wärt ein Mann, der einen guten Kampf zu schätzen weiß.«
Einen Kampf? Sicher. Aber gewiss nicht dieses … Gemetzel. Er schwieg.
»Es tut mir leid, wenn ich Eure Wünsche falsch eingeschätzt habe, Clansherr«, sagte Duras. »Ich entschuldige mich dafür und hoffe, dass dieses Missverständnis keinen Einfluss auf Euer Gespräch mit Prinzessin Infinity und dem Kronrat hat.«
»Bestimmt nicht«, antwortete Craiden. »Seid beruhigt, Duras. Ich bin nicht Herr aller Clans geworden, weil ich so leicht zu beeindrucken bin. Und jetzt bringt mich zu Eurem Herrn.«
»Ganz wie Ihr wünscht.« Aus irgendeinem Grund klang Duras enttäuscht, was Craiden mit einem Gefühl vager Schadenfreude erfüllte. Er nahm an, dass dieser sonderbare Diener noch mehr von seinen billigen Techmagie-Tricks vorbereitet hatte, um ihn und seine Begleiter zu beeindrucken, und tatsächlich war da ein winziger Teil in ihm, der beinahe enttäuscht sein würde, all diese Wunder nicht sehen zu können.
Aber Craiden war nicht hierhergekommen, um seine Neugier zu befriedigen.
Duras machte eine einladende Geste auf die Tür, durch die er vorhin hereingekommen war, und ging voraus. Craiden war sicher, dass sie größer wurde, während er und seine Männer sie durchschritten, obwohl keinerlei Bewegung zu erkennen war, und auch der Raum dahinter erschien … verstörend. Zeigte sich ihre Umgebung bisher in einem allgegenwärtigen staubigen Schwarz, das einem das Gefühl gab, nicht mehr richtig atmen zu können, je länger man einen bestimmten Punkt ansah, so umgab sie jetzt ein ebenso allgegenwärtiges Weiß, das vollkommen leer blieb. Craiden spürte erneut die erschreckende Weite, die sie umgab, aber zu sehen war nichts; nicht einmal der Übergang zwischen Wänden und Boden. Wenn er es genau nahm, dachte er nervös, dann spürte er nicht einmal mehr den Boden unter seinen Füßen. Und es war absolut still – ein Gefühl, als hätte er Daunenfedern in den Ohren.