Injektionstherapie an der Wirbelsäule - Jürgen Krämer - E-Book

Injektionstherapie an der Wirbelsäule E-Book

Jürgen Kramer

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Beschreibung

<p><strong>Der Bestseller in der 3. Auflage - komplett überarbeitet und aktualisiert.</strong></p> <p>Alle "Single-shot"-Techniken an der Wirbelsäule werden detailliert und praxisbezogen Schritt für Schritt in über 500 neuen farbigen Abbildungen dargestellt. Ohne CT oder Bildwandler, von der Halswirbelsäule bis zum Sakrum!</p> <ul> <li>Anatomische Grundlagen und neuroanatomische Landmarken</li> <li>Tipps und Tricks bei der klinischen Untersuchung</li> <li>Diagnostik und Differenzialdiagnostik</li> <li>Indikationen und Kontraindikationen</li> <li>Tipps für die Aufklärung, Patientenrechtegesetz</li> <li>Komplikationsstatistik der Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammern</li> <li>Anforderungen an die Hygiene</li> <li>Injektionstherapie unter beeinflusster Gerinnung</li> <li>Spezielle Verfahren unter gezielter Durchleuchtung</li> <li>Management von Komplikationen</li> <li>Konzepte einer medikamentösen Begleittherapie</li> <li>Multimodale Behandlungskonzepte ambulant und stationär</li> <li>Privat- und kassenärztliche Kostenerstattung.</li> <li>Empfohlen von IGOST-IMPS</li> </ul> <p>Profitieren Sie von den neuen, umfassenden und didaktisch hervorragenden Darstellungen der Injektionstechniken am Skelettmodell, an anatomischen Präparaten und an Patienten.</p> <p>Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.</p> <p>Unverzichtbar für alle orthopädisch-schmerztherapeutisch tätigen Ärzte.</p> <p>Empfohlen von IGOST-IMPS</p>

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Seitenzahl: 421

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Injektionstherapie an der Wirbelsäule

Manual und Atlas

Theodoros Theodoridis, Jürgen Krämer †

Lluís Aguilar i Fernàndez, Alexandros Anastasiadis, Fritjof Bock, Constantinos Georgallas, Stefan Heidersdorf, Robert Krämer, Priska Laubenthal, Ilias Nastos, Johann Neu, Marc Rodriguez-Niedenführ, Cordelia Schott, Heiko Schott, Clemens J. H. Sirtl, Susanne Stehr-Zirngibl, Wolfram Teske, Ulrike Theodoridis

3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

511 Abbildungen

Geleitwort

Die suffiziente Behandlung des Rückenschmerzes von der Hals- über die Brustwirbel- bis hin zur Lendenwirbelsäule stellt den Arzt regelmäßig vor Herausforderungen. Unabhängig von den Gegebenheiten unseres Gesundheitssystems, dem Mangel an Finanzen und Konzepten, den politischen Auseinandersetzungen rund um den Rückenschmerz, den verschiedenen Richtungskämpfen und multiplen Therapierichtlinien, ist die konservative Therapie der Wirbelsäulenerkrankungen eine Domäne der Orthopädie und Unfallchirurgie – und wird es auch auf absehbare Zeit bleiben. So hat es die Interdisziplinäre Gesellschaft für orthopädisch-unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie e. V. / International Musculoskeletal Pain Society (IGOST/IMPS) seit jeher in ihren Injektionskursen vermittelt. Dieses Buch soll basierend auf der Arbeit der IGOST als Vertreter der Sektion Schmerztherapie der DGOOC und der DGOU die Therapiesicherheit im Bereich Rückenschmerz verbessern.

In der Auseinandersetzung um „die Rückenschmerztherapie“ ist die politische Landschaft bunt. Verschiedenste Gesellschaften umkämpfen dieses Gebiet, verschiedene, teils widersprüchliche Leitlinien und Therapierichtlinien entwickeln sich und ziehen zunehmend Verunsicherung von Patient und Behandler, ebenso wie juristische Vorgaben und Einschränkungen sowie eine Beschneidung der Therapiefreiheit mit sich. Es wird nach der strengen Kontrolle der „evidence-based medicine“ verlangt, und gleichzeitig entwickelt sich die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung der gängigen Kortikoide zur wirbelsäulennahen Anwendung zum Politikum. Es entstehen Diskussionen über erzwungene An- oder Abwesenheit von Bildgebung, welche Kostenträger wann zu leisten haben und wer wann wem zuweisen darf. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen um den Rückenschmerz hat sich die Schmerztherapie in Deutschland weiterentwickelt, dieser Prozess muss sich fortsetzen. Damit einhergehend muss der Entwicklung entgegengewirkt werden, etwa 90% aller Rückenschmerzen als „unspezifisch“ zu deklarieren, weil Aus- und Weiterbildung des Behandlers eine weitergehende Differenzierung schlicht nicht zulassen. Ebenso darf ein Übermaß an technischen Verfahren und radiologischer Kontrolle nicht unreflektiert oder aus rein pekuniären Gründen implementiert und dem Wirbelsäulentherapeuten damit die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit entzogen werden. Vielmehr muss es uns darum gehen, durch ein gezieltes, kompetentes und frühes Therapiemanagement mit interdisziplinären Therapieansätzen rechtzeitig kurativ zu behandeln und eine Chronifizierung des Rückenschmerzes zu verhindern.

Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Evidenzlage zu den Injektionstherapien an der Wirbelsäule noch nicht ausreichend sei, so bleibt festzuhalten, dass es sich hier um eine der gängigsten und suffizientesten Therapieformen handelt und uneingeschränkte Bedeutung im täglichen Umgang mit Rückenschmerzpatienten hat. Wer mittels einer erfolgreichen Injektionstherapie seinem Patienten den Schmerz jemals in kurzer Zeit nehmen konnte, weiß um die Wichtigkeit und Effizienz dieser Therapieoptionen. Oft sind die hier dargestellten Techniken unerlässlich zur differenzialdiagnostischen Abklärung und/oder Therapieplanung einschließlich operativer Optionen, nicht selten kann ein operativer Eingriff auf diese Weise sogar vermieden werden.

Während meiner Zeit unter Professor Jürgen Krämer hatte ich das Privileg, die in diesem Buch aufgeführten Techniken täglich zu sehen, zu lernen, durchzuführen, zu lehren und über viele Jahre die Therapieerfolge klinisch und in wissenschaftlichen Arbeiten mitzuversorgen. Seit mehr als 15 Jahren bin ich persönlich aktiv in den Hands-on-Injektionskursen der IGOST, und in meiner täglichen Praxis stellen die hier aufgeführten Injektionen einen wesentlichen Teil meiner Arbeit dar. Basierend auf einem großen Teil des Lebenswerks meines Ziehvaters und Mentors Professor Jürgen Krämer stellt das hier vorliegende Buch den Fortbestand seines Gedankenguts in Bezug auf die konservative Wirbelsäulentherapie dar und wurde in dieser 3. Auflage erneut von den Autoren liebevoll aktualisiert und ergänzt.

Dieses Buch entspricht dem „gold standard“ der Injektionstherapie an der Wirbelsäule aus orthopädisch-unfallchirurgischer Sicht und stellt eine hervorragende Begleitung zu unseren IGOST-Kursen dar. Es kann jedem konservativ tätigen Wirbelsäulentherapeuten als Standardwerk empfohlen werden und jedem operativ tätigen Kollegen durch die Darstellung der anatomischen Landmarken und deren Auffindung als Unterstützung dienen. Somit reiht sich dieses Werk in eine Reihe von bemerkenswerten Fachbüchern ein, welche in den letzten Jahren auch mithilfe der IGOST entstanden sind.

Ich wünsche diesem Buch weiterhin den großen Erfolg und die Anerkennung, die es verdient. Allen Lesern wünsche ich aufschlussreiche Erkenntnisse beim Studium des Buches, sowie Freude und Erfolg in der alltäglichen Umsetzung des Erlernten.

Dr. med. Cordelia SchottPräsidentin der IGOST/IMPSLeiterin der Sektion „Schmerz“ der DGOOCLeiterin der Sektion „Schmerz“ der DGOUVize-Präsidentin der DGRS (Deutsche Gesellschaft für Rückenschmerztherapie e. V.)

Geleitwort

Bei der Diagnostik und Therapie von Wirbelsäulenerkrankungen sind Anamnese und Untersuchungsbefunde von grundlegender Bedeutung für die Indikation zu weiterer, z. B. bildgebender Diagnostik und für Therapiekonzepte. Bei degenerativen Erkrankungen des Bewegungssegmentes oder mehrerer Bewegungssegmente sind die Schmerz auslösenden Faktoren nur durch systematische Analyse aller Befunde und nicht selten durch zusätzliche systematische wirbelsäulennahe Injektionen zu ergründen. Auf dem Weg, die medizinischen Konzepte in evidenzbasierte Korsette zu zwängen, zeigen sich nun immer häufiger Grenzen und Irrwege, dies besonders auch bei Wirbelsäulenerkrankungen. Schon wird die individualisierte Medizin sozusagen als Gegenpol popularisiert, was in der Gesamtheit zeigt, dass Therapiefreiheit ein hohes Gut darstellt, das weder durch enge Leitlinien noch durch ökonomische Zwänge ausgehöhlt werden darf. Auf der anderen Seite sind die Ärzte verpflichtet, vor der Therapie eine definitive Diagnose zu erarbeiten. Dass dies bei Wirbelsäulenleiden nicht immer gelingt, hat zu der viel zu häufig gestellten Verlegenheitsdiagnose „unspezifischer Kreuzschmerz“ geführt. Bei umfassender klinischer, manualtherapeutischer und bildgebender Diagnostik, ggf. ergänzt durch Labordiagnostik, kann sehr wohl ein diskogener Schmerz von einem Facettensyndrom unterschieden werden. Myofasziale Dysfunktionen als primäre oder sekundäre Schmerzgeneratoren lassen sich ebenso detektieren wie Muskelermüdungssyndrome bei Balanceverlust (meist der sagittalen Balance). Reine Nervenwurzelsyndrome oder eine symptomatische Spinalkanalstenose gehören dabei eher zu einfacheren Aufgaben in der differenzialdiagnostischen Aufarbeitung von Rückenleiden. Zu dem erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Repertoire bei Wirbelsäulenerkrankungen gehören in vielen Fällen auch die unterschiedlichen wirbelsäulennahen Injektionstechniken. Je gezielter die Schmerzbehandlung erfolgt, umso größer sind die Erfolgsaussichten und damit die Chancen, eine Chronifizierung zu vermeiden.

Die anatomischen Strukturen, physiologische und neurophysiologische Mechanismen der Schmerzentstehung und der Schmerzleitung, aber auch neuropsychologische Aspekte der Schmerzverarbeitung wie auch Rentenbegehren sind bei allen Wirbelsäulenleiden zu bedenken. Die 3., vollständig überarbeitete Auflage „Injektionstherapie an der Wirbelsäule“ bietet umfassende anatomische, physiologische und pharmakologische Grundlagen und detaillierte Informationen zu den unterschiedlichen Techniken, unterstützt durch viele Abbildungen, was das Verständnis für die Anatomie auch 3-dimensional verbessert.

Dabei werden typische Indikationen, Lagerung des Patienten und alle Maßnahmen, einschließlich Vorhaltungen für etwaige Komplikationen, erläutert. Die Schemazeichnungen, die Darstellung am Skelett wie auch am anatomischen Präparat illustrieren die einzelnen Techniken an den unterschiedlichen Regionen der Wirbelsäule. Das von Jürgen Krämer mitbegründete Werk wird auch in seiner 3., vollständig überarbeiteten Auflage durch Theodoros Theodoridis weiter fortgeführt. Es darf als Standardwerk jedem Orthopäden und Unfallchirurgen, der sich mit der Behandlung von Wirbelsäulenleiden befasst, sehr empfohlen werden. Es ist vor allem auch ein wichtiger Begleiter für Kollegen, die an Injektionskursen der IGOST (Interdisziplinäre Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie, Sektion der DGOOC und der DGOU) teilnehmen. Darüber hinaus ist es allen Kollegen, die Wirbelsäulenleiden behandeln und Injektionstechniken dabei einsetzen, als Nachschlagewerk empfohlen.

Den Autoren sei herzlich für die umfassende Arbeit bei der Erstellung dieses Lehrbuches gedankt. Es ist im deutschsprachigen Raum DAS Standardwerk auf diesem Gebiet und hat eine weite Verbreitung verdient.

Univ.-Prof. Dr. med. Rüdiger KrauspePräsident DGOOC 2015Direktor der Klinik und Poliklinik für OrthopädieUniversitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Geleitwort

Die konservative Therapie von Wirbelsäulenerkrankungen besitzt einen sehr hohen Stellenwert, welcher aus gesundheitspolitischer Sicht stärker gewichtet werden soll. Injektionstherapien und interventionelle Techniken stellen hier ein Bindeglied zwischen der rein konservativen und der operativen Therapie dar. Im Bereich der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen sind Injektionstherapien einem operativen Vorgehen häufig vorangestellt. Nicht selten dienen diese Injektionstechniken auch zur differenzialdiagnostischen Abklärung und zur Differenzialindikation von geplanten operativen Eingriffen.

Die Basis einer jeden Injektionstherapie ist das applizierte Medikament. Erst durch die Einführung der Lokalanästhetika im Jahre 1905 durch die Farbwerke Hoechst (Novocain) konnte die Lokalanästhesie im klinischen Alltag etabliert werden. Dies kann im Grunde als die Geburtsstunde der Injektionstherapie gesehen werden. So wurde beispielsweise in diesem Zeitraum die Kaudalanästhesie etabliert. In diesem Zusammenhang sei auch auf die sog. Reischhauer-Blockade, eine der ersten paravertebralen Injektionstechniken, hingewiesen.

Auch wenn aus heutiger Sicht die Evidenzlage zu den Injektionstherapien an der Wirbelsäule nicht ausreichend ist, kann festgestellt werden, dass diese Form der Therapie von Schmerzsyndromen an der Wirbelsäule zu den gängigsten Therapieformen zählt und somit eine uneingeschränkte Bedeutung hat. Jeder Wirbelsäulentherapeut, der durch eine erfolgreich platzierte Facettengelenkinjektion, -infiltration oder eine korrekt platzierte lumbale Spinalnervenanalgesie dem Patienten den Schmerz genommen hat, weiß um die hohe Bedeutung dieser Verfahren.

Das hier vorliegende Buch in der 3., vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage stellt einen wichtigen Beitrag zum Erkenntnisgewinn der Injektionstherapien an der Wirbelsäule dar. So ist dieses Buch übersichtlich und klar strukturiert in einen „Allgemeinen“ und „Speziellen“ Teil. Im allgemeinen Teil erfährt der Leser die Grundlagen zur Pathophysiologie der Schmerzentstehung, er wird des Weiteren über die gängigen diagnostischen Maßnahmen und nicht operativen Schmerztherapien informiert. Ein weiteres Kapitel widmet sich der medikamentösen Begleittherapie der gängigen Schmerzmedikamente und ihrer Wirkmechanismen.

In dem speziellen Teil, welcher in eine anatomische Gliederung in Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule sowie in ein gesondertes Kapitel zu allgemeinen und speziellen Komplikationen unterteilt ist, bekommt der Leser eine sehr detaillierte Darstellung der gängigen Injektionstechniken unter Berücksichtigung der anatomischen Landmarken. Immer wieder findet sich auch die Darstellung der bildgebenden Diagnostik, um die anatomischen Zusammenhänge besser zur Darstellung zu bringen.

Der Leser erhält mit diesem reich bebilderten Buch einen Leitfaden, um anatomische Strukturen auch ohne bildgebende Techniken aufzufinden und durch Injektionen von Wirkstoffen unterschiedlichster Art zu therapieren. Die Autoren dieses Buches greifen nicht nur auf den eigenen Erfahrungsschatz, sondern auch auf die Erfahrungen der Interdisziplinären Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie (IGOST) zurück.

Somit kann dieses Buch in der nun erscheinenden 3. Auflage dem konservativ tätigen Wirbelsäulentherapeuten als Standardwerk empfohlen werden. Es dient jedoch auch dem operativ tätigen Kollegen, indem es alleine durch die Darstellung der anatomischen Landmarken und deren Auffindung eine wertvolle Hilfe im Rahmen der Befunderhebung darstellt.

Somit sei den Autoren dieses Buches für ihre initiale Arbeit und erneute Überarbeitung herzlich gedankt. Im Namen der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (GWG) wünsche ich dem interessierten Leser aufschlussreiche Erkenntnisse beim Studium des Werkes und eine erfolgreiche Umsetzung der hier dargestellten Techniken in der täglichen Praxis.

Prof. Dr. med. Michael RauschmannPräsident der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft 2015undLeiter der Abteilung Wirbelsäulenorthopädieder Orthopädischen Universitätsklinik Friedrichsheim gGmbHin Frankfurt a. M.

Vorwort

Seit der Veröffentlichung der 1. und der 2., unveränderten Auflage des Manuals der Injektionstherapie an der Wirbelsäule sind 10 Jahre vergangen.

Mit großer Freude stellte ich fest, dass das ursprüngliche Ziel, ein Werk zu schaffen, welches die anspruchsvolle tägliche Arbeit mit unseren schmerzgeplagten Rückenpatienten in der Praxis und in der Klinik vereinfacht, mehr als gelungen ist.

Auf Kongressen und Symposien sowie in Diskussionsrunden, sowohl national als auch international, wurde deutlich, dass die Injektionstherapie an der Wirbelsäule vor allem in der Behandlung der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen einen sehr hohen Stellenwert besitzt. Die „Schritt für Schritt“-Darstellung aller Injektionstechniken von der Halswirbelsäule bis zum Sakrum, „wie in einem Kochbuch“, machten dieses Manual zu einem erfolgreichen Bestseller.

Umso schwieriger war die Aufgabe, die Neuauflage zu verfassen, vor allem nach dem Tode meines verehrten Koautors und Mentors Prof. Dr. med. Jürgen Krämer (1939–2011).

Der didaktische Aufbau des Manuals ist gleich geblieben, jedoch wurden sämtliche Kapitel überarbeitet. Von Tipps und Tricks für die klinische Untersuchung bis hin zur Beschreibung und Analyse von Gefahren, Fehlern und Komplikationen bei der Planung und Durchführung der Injektionsbehandlung ist alles dabei.

Neu verfasst sind die Komplikationsstatistik der Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammern, das Kapitel mit Empfehlungen über die Injektionstherapie bei beeinflusster Gerinnung sowie das Kapitel über Anforderungen an die Hygiene.

„Highlight“ des Werkes ist der komplett neue Atlasteil. Mit über 500 neuen, fotografisch hervorragenden Abbildungen der Injektionstechniken am Skelettmodell, an anatomischen Präparaten und an Patienten werden noch detaillierter als in den Vorauflagen die „Landmarken“ und die speziellen anatomischen Kenntnisse „step by step“ von der Palpation bis zur Spitze der Kanüle dargestellt und vermittelt.

Für das ausgezeichnete Bildmaterial und seine unendliche Geduld beim Fotografieren bedanke ich mich herzlichst bei Herrn Rainer Jagusch.

Dem Team vom Thieme Verlag gilt mein großer Dank, besonders Frau Silvia Haller, dafür, dieses Werk sehr individuell ausstatten zu dürfen.

Ein besonderer Dank gilt dem Anatomischen Institut der Universität Madrid, Spanien. Prof. José Ramón Sañudo Tejero und Dr. Marc Rodriguez-Niedenführ haben zahlreiche anatomische Präparate zur Verfügung gestellt und es somit ermöglicht, viele relevante Details im Hinblick auf die speziellen Injektionstechniken darzustellen.

Ein herzliches Dankeschön gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für alle durchgeführten Aktualisierungen.

Ebenso großer Dank geht an die Verfasser der Geleitworte, Frau Dr. Cordelia Schott, Präsidentin der IGOST, Herrn Prof. Dr. Rüdiger Krauspe, Präsident der DGOOC 2015, und Herrn Prof. Dr. Michael Rauschmann, Präsident der DWG 2015.

Schließlich bedanke ich mich bei den Patienten, die bereit waren, zur Entstehung dieses Manuals beizutragen.

Das Ziel jedes Wirbelsäulentherapeuten sollte sein, den Patienten mit möglichst wenigen Mitteln über seine Schmerzspitzen hinwegzuhelfen. Dabei gilt es, keine unnötigen Medikamenten-, Strahlen- oder psychischen Belastungen für den Patienten entstehen zu lassen.

In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass es stets ein Anliegen von Prof. Dr. med. Jürgen Krämer war, auf den gutartigen Spontanverlauf von bandscheibenbedingten Erkrankungen hinzuweisen.

Alle konservativ und operativ tätigen Wirbelsäulentherapeuten ermutige ich, sich intensiv mit den Injektionstechniken an der Wirbelsäule ohne bildgebende Verfahren zu beschäftigen.

Dabei wünsche ich viel Erfolg!

Bochum, im Herbst 2016Theodoros Theodoridis

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Geleitwort

Geleitwort

Vorwort

Teil I I Allgemeiner Teil

1 Grundlagen

1.1 Orthopädische Schmerztherapie

1.2 Epidemiologie

1.3 Nozizeption und Chronifizierung

1.3.1 Die einzelnen Phasen der Schmerzentstehung

1.3.2 Vom akuten zum chronischen Schmerz: Sensibilisierung von Nozizeptoren

1.3.3 Sekundäre Schmerzen

1.3.4 Gemischte Schmerzsyndrome

1.3.5 Chronische Schmerzsyndrome

2 Diagnostik

2.1 Anamnese

2.2 Klinischer Untersuchungsbefund

2.3 Neuroorthopädische Untersuchung

2.4 Laborchemische Untersuchungen

2.5 Bildgebende Verfahren

2.6 Probatorische Maßnahmen zur Schmerzdiagnostik

3 Kausale orthopädische Schmerztherapie

3.1 Lagerung, Traktion

3.2 Orthopädische Hilfsmittel

3.3 Manuelle Therapie

3.4 Physiotherapie (Krankengymnastik)

3.5 Haltungs- und Verhaltenstraining am Beispiel der Rückenschule

3.6 Rückenschule und orthopädische Schmerztherapie

4 Symptomatische Schmerztherapie

4.1 Einleitung

4.2 Thermotherapie

4.3 Massage

4.4 Elektrotherapie

4.5 Akupunktur

4.6 Therapeutische lokale Injektionsbehandlung (TLI)

4.7 Orthokin-Therapie

4.7.1 Kausale Therapie mit Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist (IL-1-Ra)/Orthokin/EOT-Technik

4.7.2 Therapie mit autologem IL-1-Ra im Bereich der Nervenwurzeln und Bandscheiben

4.7.3 Kontraindikationen

4.7.4 Nebenwirkungen Orthokin/Kortison

4.7.5 Klinische Ergebnisse

4.7.6 Schlussfolgerung

4.8 Konzepte einer multimodalen medikamentösen Begleittherapie

4.8.1 Einleitung

4.8.2 Schmerzmessung und Dokumentation

4.8.3 WHO-Stufenschema

4.8.4 Opioid-Management

4.8.5 Ko-Analgetika

4.8.6 Lokalanästhetika

Teil II II Spezieller Teil

5 Die Wirbelsäule: Anatomie, Nozizeption und Schmerzverteilung

5.1 Terminologie

5.2 Nozizeption und Schmerzverteilung an der Wirbelsäule

5.2.1 Schmerzempfindliche Strukturen im Bewegungssegment

5.2.2 Spinalnerv

5.2.3 Längsband

5.2.4 Nervenwurzel

5.2.5 Nozizeptorschmerz von den Wirbelgelenken

5.2.6 Muskulatur

5.2.7 Kombinierte Schmerzsyndrome der Wirbelsäule

5.2.8 Chronifizierung vertebragener Schmerzen

6 Allgemeine und spezielle Aspekte der orthopädischen Injektionstherapie

6.1 Aufklärung

6.1.1 Rechtliche Vorgaben

6.2 Aufklärungsbedürftige allgemeine und spezielle Risiken

6.3 Aufklärungsbogen

6.4 Kontraindikationen

6.5 Anforderungen an die Hygiene bei der Injektionstherapie an der Wirbelsäule

6.5.1 Infektionsrisiko

6.5.2 Räumliche Anforderungen

6.5.3 Vorbereitung von Injektionen

6.5.4 Durchführung von Injektionen

6.5.5 Einteilung in Risikogruppen

6.6 Injektionstherapie bei beeinflusster Gerinnung

6.7 Erkenntnisse über die Injektionstherapie an der Wirbelsäule aus norddeutschen Schlichtungsverfahren

6.7.1 Zusammenfassung

7 Injektionstherapie an der Halswirbelsäule

7.1 Spezielle Neuroanatomie der Halswirbelsäule

7.1.1 Halssympathikus

7.2 Basistherapie von Schmerzen an der Halswirbelsäule

7.2.1 Verhaltensrichtlinien für Patienten mit Schmerzen an der Halswirbelsäule, Rückenschule

7.3 Spezielle Therapie von Schmerzen an der Halswirbelsäule

7.3.1 Lokale Schmerzsyndrome an der Halswirbelsäule

7.3.2 Schmerztherapie beim Zervikobrachialsyndrom (CBS)

7.3.3 Therapie zervikaler Kopfschmerzen (zervikozephales Syndrom, CCS)

7.3.4 Schmerztherapie beim posttraumatischen Zervikalsyndrom (PTCS)

7.4 Injektionsbehandlung an der Halswirbelsäule

7.4.1 Zervikale Spinalnervenanalgesie (CSPA)

7.4.2 Zervikale epidurale Injektion (Epi-zervi)

7.4.3 Zervikale Facetteninfiltration (Fac zervik)

7.4.4 Injektion an die Nervi occipitales, zervikale Triggerpunktinfiltrationen und Quaddelung

8 Injektionstherapie an der Brustwirbelsäule

8.1 Spezielle Neuroanatomie der Brustwirbelsäule

8.2 Klinisches Bild

8.3 Injektionsbehandlung an der Brustwirbelsäule

8.3.1 Thorakale Spinalnervenanalgesie (TSPA)

8.3.2 Thorakale Facetteninfiltration (Fac thorakal)

8.3.3 Kostotransversalblockade (CTB)

9 Injektionstherapie an der Lendenwirbelsäule

9.1 Spezielle Neuroanatomie der Lendenwirbelsäule

9.2 Basistherapie von Schmerzen an der Lendenwirbelsäule

9.3 Spezielle Therapie von Schmerzen an der Lendenwirbelsäule

9.3.1 Lokale Schmerzsyndrome an der Lendenwirbelsäule (lokales Lumbalsyndrom, unspezifischer Rückenschmerz)

9.3.2 Therapie akuter Kreuzschmerzen

9.3.3 Therapie chronischer Kreuzschmerzen

9.3.4 Schmerztherapie beim lumbalen Wurzelsyndrom

9.3.5 Schmerztherapie bei lumbaler Spinalkanalstenose

9.3.6 Dekompensierte Spinalkanalstenose

9.3.7 Schmerztherapie beim rückenoperierten Problempatienten

9.3.8 Schmerzen nach lumbaler Spondylodese

9.4 Injektionsbehandlung an der Lendenwirbelsäule

9.4.1 Lumbale Spinalnervenanalgesie (LSPA)

9.4.2 Radikulografie

9.4.3 Lumbale Facetteninfiltrationen (Fac. lumbal)

9.4.4 Ligamentäre Infiltration am Iliosakralgelenk (ISG-Block)

9.4.5 Epidurale sakrale Injektion

9.4.6 Epidurale dorsale Injektion (Epi-gerade)

9.4.7 Epidurale perineurale Injektion (Epi-peri)

10 Allgemeine und spezielle Komplikationen und Therapiemaßnahmen

10.1 Vasovagale Synkope

10.1.1 Therapiemaßnahmen

10.2 Intravasale Applikation von Lokalanästhetika und Glukokortikoiden

10.2.1 Zentralnervensystem

10.2.2 Kardiozirkulatorisches System

10.3 Intrathekale Applikation von Lokalanästhetika und Glukokortikoiden

10.3.1 Therapiemaßnahmen

10.4 Anaphylaktoide Reaktion – anaphylaktischer Schock

10.4.1 Therapiemaßnahmen

10.5 Postpunktionelles Syndrom

10.5.1 Therapiemaßnahmen

10.6 Bakterielle Infektion

10.7 Blutungen

10.8 Spezielle Komplikationen und Nebenwirkungen der zervikalen Spinalnervenanalgesie (CSPA)

10.8.1 Stellatumblockade

10.8.2 Pneumothorax

10.8.3 Nervenwurzeltascheninjektion

10.9 Nebenwirkungen und Komplikationen der zervikalen epiduralen Injektion

10.9.1 Durapunktion

10.10 Nebenwirkungen und Komplikationen der thorakalen Injektionstechniken

10.11 Nebenwirkungen und Komplikationen der lumbalen Spinalnervenanalgesie (LSPA)

10.11.1 Spinalanästhesie

10.11.2 Nierenpunktion

10.12 Nebenwirkungen und Komplikationen der lumbalen epiduralen Injektion

10.12.1 Durapunktion

11 Notwendiges Instrumentarium und Bestelladressen

11.1 Halswirbelsäule

11.2 Brustwirbelsäule

11.3 Lendenwirbelsäule/Sakrum

11.4 Gesamtübersicht

12 Kostenerstattung

12.1 Privatärztliche Kostenerstattung (GOÄ)

12.2 Kassenärztliche Kostenerstattung

13 Multimodale Wirbelsäulentherapie

13.1 Ambulante minimalinvasive Wirbelsäulentherapie (AMIWT)

13.2 Stationäre minimalinvasive Wirbelsäulentherapie (SMIWT)

13.2.1 Ärztliche Maßnahmen

13.2.2 Physiotherapie

13.2.3 Psychotherapie

13.2.4 Spezielle Maßnahmen

13.2.5 Indikationen zur stationären minimalinvasiven Wirbelsäulentherapie

13.2.6 Diagnostik vor der minimalinvasiven Wirbelsäulentherapie

13.3 Multimodales Programm

13.3.1 Erste Arztaktion

13.3.2 Zweite Arztaktion

13.3.3 Lagerung

13.3.4 Schmerzmedikation

13.3.5 Physiotherapie

13.3.6 Psychotherapie

13.3.7 Das 5–10-Tages-Programm der SMIWT

13.3.8 Osteoporosefraktur

13.3.9 Ambulante Weiterbehandlung

13.3.10 Operationsindikation

13.3.11 Ergebnisse

13.4 Multimodale Schmerztherapie (MMST)

14 Zusammenfassung

14.1 Halswirbelsäule

14.1.1 CSPA (zervikale Spinalnervenanalgesie)

14.1.2 Epi-zervi (zervikale epidurale Injektion)

14.1.3 FAC zerv. (zervikale Facetteninfiltration)

14.2 Brustwirbelsäule

14.2.1 TSPA (thorakale Spinalnervenanalgesie)

14.2.2 Fac. thorak. (thorakale Facetteninfiltration)

14.2.3 CTB (Kostotransversalblockade)

14.3 Lendenwirbelsäule/Sakrum

14.3.1 LSPA (lumbale Spinalnervenanalgesie)

14.3.2 Fac. lumbal (lumbale Facetteninfiltration)

14.3.3 ISG-Block (ligamentäre Infiltration am Iliosakralgelenk)

14.3.4 Epi-sakral (epidurale sakrale Injektion)

14.3.5 Epi-gerade (epidurale dorsale Injektion)

14.3.6 Epi-peri (epidurale perineurale Injektion)

14.4 Schlussfolgerung

14.4.1 Injektionstherapie an der Halswirbelsäule

14.4.2 Injektionstherapie an der Brustwirbelsäule

14.4.3 Injektionstherapie an der Lendenwirbelsäule

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

Teil I I Allgemeiner Teil

1 Grundlagen

2 Diagnostik

3 Kausale orthopädische Schmerztherapie

4 Symptomatische Schmerztherapie

1 Grundlagen

1.1 Orthopädische Schmerztherapie

Merke

Orthopädie ist die Medizin der Stütz- und Bewegungsorgane (Orthopädie Memorandum 1998).

Die Medizin der Stütz- und Bewegungsorgane beinhaltet die Erkrankungen und Verletzungen der Knochen, Bänder, Muskeln und Gelenke in allen Lebensabschnitten. In der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer in der Fassung vom 25.06.2010 zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie heißt es genauer:

„Orthopädie und Unfallchirurgie umfasst die Vorbeugung, Erkennung, operative und konservative Behandlung, Nachsorge und Rehabilitation von Verletzungen und deren Folgezuständen sowie von angeborenen und erworbenen Formveränderungen, Fehlbildungen, Funktionsstörungen und Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane unter Berücksichtigung der Unterschiede in den verschiedenen Altersstufen.“

Als offiziell definierte Untersuchungs- und Behandlungsverfahren des Faches gelten die „Injektions- und Punktionstechniken an Wirbelsäule und Gelenken“.

Das Spektrum der Orthopädischen Medizin reicht von Fehlbildungen der Wirbelsäule und Gliedmaßen über entzündliche Knochen- und Gelenkerkrankungen, Kinderorthopädie, Onkologie des Bewegungsapparats, Rehabilitationsmedizin und technische Orthopädie bis zu Verletzungen und Verschleißschäden der Stütz- und Bewegungsorgane, einschließlich der sie begleitenden Schmerzzustände.

Wesentliche Abschnitte der konservativen Orthopädie betreffen die Schmerzbehandlung und Wiederherstellung von Form- und Funktionsstörungen der Stütz- und Bewegungsorgane mit Verbänden, physikalischer Therapie, Chirotherapie, systemischer medikamentöser Therapie, lokalen Injektionen, Krankengymnastik sowie orthopädischen Hilfsmitteln (Orthopädie Memorandum 1998).

Merke

Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis (Schmidt u. Thews 1997).

Auf eine weitergehende Definition des Terminus Schmerz hat sich die International Association for the Study of Pain geeinigt. Sie definiert den Schmerz als „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung einhergeht oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird“ (IASP 1986).

Pain is an unpleasant sensory and emotional experience associated with actual or potential tissue damage or is described in terms of such damage.

Die Definition unterscheidet damit den Schmerz von anderen unangenehmen Empfindungen durch den Bezug zur körperlichen Schädigung. Durch den letzten Halbsatz wird auch der Schmerz berücksichtigt, für den zunächst keine Gewebeschädigung nachgewiesen werden kann. Diese Ergänzung ist besonders wichtig für einen Teil der Schmerzen, die als chronisch bezeichnet werden.

Weitere Empfindungsstörungen mit möglichen Warnfunktionen im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane sind in Anlehnung an die Definitionen von Merskey und Bogduk (1994):

Hypästhesie: herabgesetzte Berührungsempfindlichkeit

Anästhesie: fehlende Berührungsempfindlichkeit

Anaesthesia dolorosa: Schmerz in einer anästhetischen Region

Parästhesie: gestörte spontane Gefühlswahrnehmung, aber auch als Folge einer Provokation als sog. Ameisenkribbeln, Kribbelparästhesie oder Pelzigsein

Dysästhesie: Die Dysästhesie unterscheidet sich von der Parästhesie durch die deutlich unangenehme Qualität der spontanen oder provozierten Empfindungen.

Hyperästhesie: Überempfindlichkeit auf Berührungsreize

Hyperalgesie: gesteigerte Schmerzempfindlichkeit

Allodynie: Schmerz auf einen Stimulus, der normal keinen Schmerz auslöst

Diese Empfindungsstörungen treten im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane mit und ohne Schmerzen auf, z. B. bei Nervenwurzelsyndromen, peripheren Nervenläsionen und in der Umgebung von Operationswunden. Hier kann auch der neuropathische Schmerz auftreten, der durch eine primäre Läsion oder Dysfunktion des Nervensystems ausgelöst wird. Häufig verbleiben lokale Taubheitsgefühle und Empfindungsstörungen als Residuen abgelaufener Nervenkompressionen. Mitunter kommt ihnen eine Alarmfunktion zu, wie z. B. die Reithosenanästhesie beim Kaudasyndrom.

Nicht nur nach der Dauer unterscheidet man akute und chronische Schmerzen.

Akute Schmerzen im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane treten nach akuten Ereignissen auf, wie z. B. Gelenkkapseldehnung, Muskelriss oder Bandscheibenvorfall.

Merke

Der akute Schmerz setzt plötzlich ein und löst im Sinne der Warnfunktion eine sofortige Gegenreaktion aus, in der Regel eine Schonhaltung mit Muskelanspannung, um der Schmerzursache entgegen zu wirken.

Von einemchronischen Schmerzsyndrom oder Chronizität von Schmerzen der Stütz- und Bewegungsorgane spricht man, wenn der Schmerz ununterbrochen oder intermittierend über mehr als 3 Monate anhält.

Die größte Gruppe bilden chronisch rezidivierende Wirbelsäulensyndrome mit und ohne Ausstrahlung in die Extremitäten. Der Weg vom akuten zum chronischen Schmerz ist fließend und wird als Chronifizierung bezeichnet.

Merke

Chronifizierung

Akuter Schmerz → chronischer Schmerz

Chronifizierung von Schmerzen der Stütz- und Bewegungsorgane bedeutet: Übergang vom akuten zum chronischen Schmerz, wenn das Schmerzgeschehen mehr als 3 Monate anhält, seine Warnfunktion verloren hat und zunehmend psychologische Begleiterscheinungen mit veränderter Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung aufweist. Die Beziehung zwischen der Intensität des Schmerzreizes (z. B. Gewebeläsion) und der Schmerzreaktion geht verloren.

Das Ausmaß der Chronifizierung wird bestimmt durch

Schmerzdauer

Schmerzausbreitung

Ansprechen auf Medikamente

Arzt-Patienten-Verhältnis

Veränderungen im Erleben und Verhalten

Beispiel

Eine chronifizierende Lumboischialgie dauert mehrere Monate, wechselt laufend das Schmerz- und Ausstrahlungsmuster im Bein, braucht zur Schmerzlinderung immer stärkere Medikamente und führt zum Arztwechsel.

Das Chronifizierungsschema nach Gerbershagen gibt wertvolle Hilfe bei der Einordnung der Symptome (Gerbershagen 1986). Eine Gradation des Rückenschmerzes lässt das Schema nach von Korff zu. Dieser Graded Chronic Pain Status (GCPS) erfasst die Schmerzintensität in den letzten 3–6 Monaten mithilfe numerischer Ratingskalen von 0 (schmerzfrei) bis 10 (stärkste denkbare Schmerzen), die Beeinträchtigung in Alltag, Freizeit und Beruf mit einer Gradation von 0 (keine Beeinträchtigung) bis 10 (maximale Beeinträchtigung) unter quantitativer Erfassung der Tage mit schmerzresultierender Beeinträchtigung (von Korff 1992).

Merke

Von einem chronischen Schmerzsyndrom spricht man, wenn das Schmerzgeschehen weitgehend losgelöst von der schmerzauslösenden Ursache zum eigenständigen Krankheitsbild wird.

Begleiterscheinungen wie muskuläre Verspannungen, Fehlhaltungen und psychogene Reaktionen treten damit in den Vordergrund. Mitunter bleiben sie als selbstständiges Krankheitsbild bestehen, sogar wenn die schmerzauslösende Ursache keine Rolle mehr spielt.

Der chronische Schmerz ist in seinen Auswirkungen auf den Betroffenen bedeutsam. Tang und Crane zeigten 2006, dass chronische Schmerzpatienten im Vergleich zu anderen chronisch kranken Patienten mit Lungenemphysem, Herzinsuffizienz oder Depression ein mehr als verdoppeltes Suizidrisiko aufweisen.

Die Behandlung chronischer Schmerzen ist von großer gesundheitsökonomischer Bedeutung, da nach einer Untersuchung von Eriksen et al. (2003) Schmerz der Auslöser für 20% der Arztkonsultationen ist. 10% der Medikamentenverkäufe in Industrieländern sind Schmerzmittel. Die Behandlung von Schmerzen verursacht Kosten in Höhe von 1 Trillion US-Dollar jährlich.

Das chronische Schmerzsyndrom wird auch als „Schmerzkrankheit“ bezeichnet (u. a. Eggle u. Hoffmann 1993, Adler et al. 1989), um zu verdeutlichen, dass der Schmerz selbst hier zu einem Krankheitsgeschehen geworden ist. Ein Nachteil des Gebrauchs dieses Terminus liegt darin, dass mit der Bezeichnung „Krankheit“ häufig für den Patienten der Eindruck entsteht, er sei dem Krankheitsgeschehen hilflos ausgeliefert. Genau diese Interpretation des Schmerzgeschehens ist jedoch beim chronischen Schmerzsyndrom schädlich; umgekehrt muss der Patient gerade in aktiven Kontrollmöglichkeiten trainiert werden.

Beispiel

Die chronische lumbale Nervenwurzelirritation bei einem Bandscheibenvorfall oder als Folge einer lateralen Spinalkanalstenose ist ein Beispiel für ein chronisches Schmerzsyndrom. Selbst wenn das Hindernis z. B. operativ beseitigt ist, besteht oft die Symptomatik weiter: Das Nervensystem hat den Schmerz gelernt (siehe Kap. ▶ 1.3.2).

Mittel, die Orthopäden zur Therapie der unterschiedlichen Schmerzzustände einsetzen, sind neben den in der allgemeinen Schmerztherapie üblichen Analgetika orthopädiespezifische Maßnahmen wie:

Physiotherapie (Krankengymnastik)

physikalische Therapie

manuelle Therapie

lokale Injektionen

orthopädietechnische Hilfsmittel

Bewegungsprogramme

Operationen

Die orthopädische Schmerztherapie setzt nach dem schädigenden Ereignis direkt oder indirekt am somatischen Schmerzausgangspunkt an, mit dem Ziel, die Chronifizierung des Schmerzgeschehens zu verhindern. Die Kaskade akuter Schmerz → Chronifizierung → chronischer Schmerz → chronisches Schmerzsyndrom wird schon in der Anfangsphase unterbrochen. Wenn die Unterbrechung nicht gelingt oder die Behandlung zu spät einsetzt, müssen bei der weiteren Therapie zunehmend psychologische Komponenten berücksichtigt werden.

Bei chronischen Schmerzen, beim chronischen Schmerzsyndrom und bei somatisierten psychogenen Störungen sind von Anfang an Psychosomatik, Psychologie und Orthopädie gleichermaßen gefordert. Rein psychogene Störungen erfordern primär den Einsatz des Psychologen. Parallel dazu schließt der Orthopäde organische Primärerkrankungen aus und achtet auf ggf. sekundär aufgetretene Funktionsstörungen. Chronische Schmerzen haben darüber hinaus eine hohe sozioökonomische Relevanz und fordern den Orthopäden auch als Gutachter.

1.2 Epidemiologie

Häufigste Ersterkrankung Die erste ernsthafte Erkrankung im Leben eines erwachsenen Menschen, die ärztliche Hilfe erforderlich macht, betrifft in der Regel die Stütz- und Bewegungsorgane. Dazu zählen bandscheibenbedingte Erkrankungen wie Hexenschuss und Ischias, Folgen von Verletzungen, insbesondere an Knie und Fuß, sowie erstmalig auftretende Symptome im Sinne einer beginnenden Arthrose (Orthopädie Memorandum 1998).

Jährlich kommt es in Deutschland zu 1,3 Mio. Sportunfällen, die ärztlich versorgt werden müssen (Gläser u. Henke 2002). Bei den orthopädischen Ersterkrankungen sind Wirbelsäule und Kniegelenk am häufigsten betroffen. Das Durchschnittsalter dieser Patienten liegt bei 22,8 Jahren (Ludwig et al. 1998). Aus der akuten Ersterkrankung entwickelt sich häufig ein chronisches Schmerzleiden, wenn der Chronifizierungsprozess nicht konsequent unterbrochen wird.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung orthopädischer Erkrankungen geht aus den relativen Häufigkeiten und ständigen Zunahmen von Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen, Sportschäden, Osteoporosen und Rheumaerkrankungen in den Statistiken der Kranken- und Rentenversicherungsträger hervor (Orthopädie Memorandum 1998).

Merke

Schmerzhafte, degenerative Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane sind eine Volkskrankheit.

Die Vorrangigkeit orthopädischer Leiden spiegelt sich auch in der Statistik der Arbeitsunfähigkeitstage wieder: Im Jahr 2008 wurden in der Bundesrepublik Deutschland ¼ aller Arbeitsunfähigkeitstage durch Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems verursacht, diese stehen neben Erkrankungen der Atemwege und Verletzungen/Vergiftungen an der Spitze. Die Diagnose „Rückenschmerz“ (ICD10-Code: M54) ist besonders relevant (SuGA 2008). Das Durchschnittsalter der Patienten mit den meisten Arbeitsunfähigkeitstagen wegen Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems liegt bei 41 Jahren ( ▶ Abb. 1.1).

Abb. 1.1 AOK-BV-Krankheitsartenstatistik. AU-Tage je 10000 Pflichtmitglieder (ohne Rentner) nach Männern und Frauen (aus Orthopädie Memorandum 1998).

Nach dem statistischen Jahrbuch überwiegen schmerzhafte orthopädische Erkrankungen, auch als Ursache der Rentengewährung, beim Zugang wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit. Der telefonische Gesundheitssurvey 2004 des Robert Koch Instituts im Auftrag des Bundes zeigte eine 12-Monatsprävalenz von Rückenschmerzen von mehr als 60% für beide Geschlechter, dabei ist das weibliche Geschlecht häufiger betroffen. Die jährliche Häufigkeit von Rückenschmerzen erreicht nach dem letzten großen Bundes-Gesundheitssurvey 1998 bereits bei Männern unter 30 Jahren 55,4% und bei Frauen 61,3%. Diese Zahlen bleiben mit geringen Abweichungen bis in das hohe Lebensalter konstant ( ▶ Abb. 1.2).

Abb. 1.2 Auftretenshäufigkeit von Rückenschmerzen in Prozent nach Altersklassen in Jahren.

(Bundes-Gesundheitssurvey 1998/Heft 7, Abb. 6. Häufigkeit von Rückenschmerzen, Themenheft 2002)

Unter den chronischen schmerzhaften Erkrankungen sind die degenerativen Leiden der Wirbelsäule und Gelenke nicht nur am häufigsten vertreten, sie nehmen auch überproportional zu. Mit dem Älterwerden des Menschen vermindert sich die Belastbarkeit seiner Stütz- und Bewegungsorgane. Es resultieren eingeschränkte Geh- und Stehfähigkeit bis hin zur Dekompensation, gleichbedeutend mit Rollstuhl oder Bettlägerigkeit. Schmerzhafte Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane sind wesentliche Mitursache für Aktivitätsbegrenzung und Pflegebedürftigkeit (Orthopädie Memorandum 1998).

Bei den Krankheiten und Behinderungen, die für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit nach der neuen Pflegeversicherung anerkannt sind (§ 14 Abs. 2 SGB) werden chronische Schmerzkrankheiten der Stütz- und Bewegungsorgane zuerst genannt.

Häufigkeit chronischer Schmerzen Wenn Patienten mit ihren Problemen an den Stütz- und Bewegungsorganen erstmalig den Arzt aufsuchen, zeitweilig arbeitsunfähig sind oder einen vorzeitigen Rentenantrag stellen, stehen eher die chronischen Schmerzen im Vordergrund. Funktionsbeeinträchtigungen, Deformierungen und Leistungseinbuße sind zweitrangig. An der Wirbelsäule ist es der Kreuzschmerz und nicht die mangelnde Rumpfbeugung, bei der Coxarthrose der Schmerz und nicht die Bewegungseinschränkung, welche den Patienten zum Arzt führen.

So gaben bei unserer Befragung 75,8% der Patienten in orthopädischen Praxen an, den Arzt in erster Linie wegen Schmerzen aufgesucht zu haben. Eine entsprechende Befragung in Praxen anderer Fachdisziplinen ergab einen wesentlich geringeren Anteil primärer Schmerzpatienten (Krämer 1996).

Dementsprechend ist auch die Zusammensetzung der Patienten in den Schmerzambulanzen (Hildebrandt 1993; ▶ Abb. 1.3).

Abb. 1.3 Prozentuale Zusammensetzung der Erkrankungen, mit denen Patienten die Schmerzambulanz aufsuchen (Hildebrandt 1993).

Wirbelsäule am häufigsten betroffen Es gibt kaum einen Menschen, der nicht irgendwann im Laufe seines Lebens einmal an einem schmerzhaften Wirbelsäulensyndrom leidet.

Im frühen Erwachsenenalter sind es akute Kreuz- sowie Schulter-/Nackenschmerzen, die nur wenige Tage anhalten. Ein Arzt oder gar Facharzt wird in der Regel nicht sofort aufgesucht.

Jeder 3. Patient entwickelt chronisch-rezidivierende Schmerzen, die ärztliche Behandlung erfordern (Krämer 1997).

Nur 0,25% aller Patienten mit Kreuz- und Beinschmerzen durch Wurzelkompression müssen letztlich operiert werden (Frymoyer 1992).

Der hohe Anteil von Wirbelsäulenerkrankungen in den Statistiken von Arbeitsunfähigkeit, Berentung, Krankenhausbehandlungen und vertragsärztlicher Behandlung geht auch aus Literaturangaben hervor (Berger-Schmitt et al. 1996, Raspe 1993). Die Krankheitskosten des Rückenschmerzes ICD-10 M45-M54 betrugen im Jahr 2006 8,3 Mrd. Euro und zeigten in den letzten Jahren eine steigende Tendenz (Statistisches Bundesamt 2008).

Statistische Erhebungen in Allgemeinpraxen, orthopädischen Praxen sowie orthopädischen Polikliniken haben ergeben, dass in allen Bereichen die Wirbelsäulensyndrome vorrangig sind (Krämer 1997). Danach sucht jeder 10. Patient in der Allgemeinpraxis den Arzt wegen eines schmerzhaften Wirbelsäulensyndroms auf. In einer orthopädischen Poliklinik ist es jeder 3. und beim niedergelassenen Orthopäden sogar jeder 2. Patient. Unter den ambulant behandelten orthopädischen Leiden spielen die Schmerzerkrankungen der Wirbelsäule mit insgesamt 37,8% eine dominierende Rolle. Wie häufig die einzelnen Extremitätenabschnitte Anlass zu einer fachorthopädischen Behandlung geben, geht aus ▶ Abb. 1.4 hervor.

Abb. 1.4 Verteilung schmerzhafter Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane in orthopädischen Fachpraxen und Polikliniken (aus: Krämer 1997).

Die einzelnen Wirbelsäulenabschnitte sind unterschiedlich häufig von Schmerzsyndromen betroffen. Die Lumbalsyndrome überwiegen bei weitem mit 61,94% vor den Zervikalsyndromen mit 36,1%. Von der BWS gehen nur selten (1,96%) Schmerzsyndrome als sog. Interkostalneuralgien aus ( ▶ Abb. 1.5). Männer sind von den Wirbelsäulensyndromen fast so häufig betroffen (47,2%) wie Frauen (52,8%). Bei den Zervikalsyndromen überwiegen die Frauen (60,6%), bei den Lumbalsyndromen geringgradig die Männer (51,3%). Bei den schweren Lumbalsyndromen mit radikulären Ausfällen, die eine stationäre Behandlung erfordern, überwiegen die Männer.

Abb. 1.5 Häufigkeit chronischer Schmerzen in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten beim ambulant behandelten Patienten (aus: Krämer 1997).

68% der Patienten befinden sich zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr, der Häufigkeitsgipfel liegt bei den 40- bis 50-jährigen Patienten. Frequenz und Intensität der schmerzhaften Wirbelsäulensyndrome nehmen nach dem 50. Lebensjahr ab (Krämer 1997).

Bei den schmerzhaften degenerativen Erkrankungen der Extremitätengelenke beginnen die chronischen Schmerzen zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr und nehmen dann ständig zu.

1.3 Nozizeption und Chronifizierung

Von der Aktivierung der Nozizeptoren über die Weiterleitung nozizeptiver Impulse zur Schmerzwahrnehmung und den muskulären und vegetativen Reaktionen werden verschiedene Phasen durchlaufen. Der Ablauf für das Schmerzgeschehen im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane ist spezifisch. Schmerzen, ausgehend von den Stütz- und Bewegungsorganen, entstehen durch mechanisch entzündliche, thermische und chemische Reize, die auf Knochen, Muskeln, Sehnen und Gelenkkapseln einwirken. Wahrgenommen werden die schmerzverursachenden Reize im Großhirn. Auf spinaler Ebene erfolgt eine Schmerzreizverteilung, u. a. auch auf das muskuläre System und auf das Vegetativum.

Die Physiologie der Nozizeption im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane geht davon aus, dass Schmerzen in der Peripherie des Muskel- und Skelettsystems ein in sich selbstständiges Empfindungsspektrum aufweisen, mit einem weitgehend dafür spezialisierten nervösen Apparat.

Wenn ein adäquater, schmerzauslösender Reiz auf ein nicht vorgeschädigtes (sensibilisiertes, chronifiziertes) nozizeptives System trifft, ergibt sich der in ▶ Abb. 1.6 skizzierte Ablauf.

Abb. 1.6 Nozizeption und Schmerzverarbeitung an Knochen, Muskeln, Sehnen und Gelenken. Die Übergänge, z. B. Afferenzen – Rückenmark, sind symbolisch dargestellt.

Noxe (schädigender Reiz), Nozizeptor und afferente Fasern bilden den Komplex der Schmerzentstehung. Die Verteilung erfolgt im Rückenmark über den Hirnstamm und zum Thalamus. Insbesondere die neurale Vernetzung des Thalamus mit kortikalen Strukturen ist für das Schmerzempfinden bedeutsam. Vegetative Zentren sind gleichfalls mitbeteiligt. Zusammen mit dem limbischen System (Emotion) werden über den Kortex Efferenzen auf das Vorderhorn des Rückenmarks geleitet mit motorischer Antwort des Muskel- und Skelettsystems auf den Schmerz.

Zahlreiche Transmitter, Modulatoren und entsprechende Rezeptoren sind an nozizeptiven Vorgängen im zentralen Nervensystem beteiligt (Schmidt u. Thews 1997).

Das ursprüngliche Geschehen bei Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane findet in der Peripherie statt, und dort setzt auch die orthopädische Schmerztherapie an.

1.3.1 Die einzelnen Phasen der Schmerzentstehung

Noxen (1) als gewebeschädigende bzw. gewebebedrohende Reize aktivieren die Nozizeptoren der Knochen, Muskeln, Sehnen und Gelenkkapseln. Auf die Stütz- und Bewegungsorgane wirken in erster Linie mechanische, chemische und thermische exogene Noxen ein. Bei muskulären Reaktionen im Rahmen des Circulus vitiosus und auch bei dauerhaft psychischen Stresseinwirkungen ist der unmittelbare Auslöser unbekannt (endogene Noxen). Der Ablauf bis zur Schmerzwahrnehmung ist dann der gleiche.

Nozizeptoren (2) sind meist unmyelisierende und auch dünn myelinisierte Aδ-Nervenfasern (Schmerzrezeptoren), die aktiviert werden, wenn Noxen einwirken, d. h. sie haben eine Erregungsschwelle, die bei gewebeschädigenden Reizen überschritten wird. Die Ansprechbarkeit auf Noxen im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane ist von der Nozizeptorendichte und deren Reizschwelle abhängig. Die Antwort (Impulsfrequenz) eines Nozizeptors steigt typischerweise mit zunehmender Intensität des noxischen Reizes bis zur Schädigung des Gewebes an (Meßlinger 1997).

Merke

In Muskeln, Periost, Sehnen und Gelenkkapseln kommen vorwiegend polymodale Nozizeptoren vor, die auf mechanische, chemische und thermische Noxen reagieren.

Histologisch handelt es sich bei den Nozizeptoren der Stütz- und Bewegungsorgane meist um nicht korpuskuläre (freie) Nervenendigungen, die sich an kleinen Blut- und Lymphgefäßen in Bindegewebsräumen und am Nerv selbst befinden als sog. Endoneurium (Mense 1977).

Merke

Da Periost, Ligamente und Gelenkkapseln dicht mit Nozizeptoren versehen sind, stellen Schmerzzustände der Stütz- und Bewegungsorgane die zahlenmäßig stärkste Gruppe im somatosensorischen System dar.

Bei diesen Strukturen, die zudem noch häufig verletzt und überlastet werden sowie vorzeitig verschleißen, sind mit Schmerzen einhergehende orthopädische Erkrankungen insgesamt sehr häufig.

Afferente Fasern (3): Von den Nozizeptoren wird der Schmerz über afferente Nervenfasern zum Rückenmark weitergeleitet. Die afferenten Axone sind dünn, im Vergleich zu den Hinterstrangafferenzen markhaltig (Aδ-Fasern) oder marklos (C-Fasern). Die afferenten Fasern der Eingeweide sind vergleichsweise überwiegend marklos.

Weiterleitung nozizeptiver SignaleRückenmark (4): Die nozizeptiven Afferenzen (Aδ- und C-Fasern) bilden synaptische Kontakte an den Neuronen des Hinterhorns. Die Impulse führen an diesen Schaltstellen im Rückenmark zur Freisetzung von erregenden Überträgersubstanzen, den Neurotransmittern, wie z. B. L-Glutamat und Substanz P. L-Glutamat gilt als der wichtigste Überträgerstoff im zentralen Nervensystem (Zieglgänsberger u. Tölle 1993). Gemeinsam mit Neuropeptiden wie Substanz P vermittelt L-Glutamat die Erregungsübertragung dünner nozizeptiver Nervenfasern auf Nervenzellen, die Informationen vom Rückenmark weiterleiten. Die nozizeptiven Zuflüsse werden u. a. in folgende Richtungen vom Rückenmark weitergeleitet:

über den Tractus spinothalamicus zu höher gelegenen Hirngebieten (limbisches System und Thalamus)

auf segmentale Neurone, die in motorische und in vegetative Reflexbögen eingebunden sind

Die nozizeptiven Rückenmarkneurone, sog. multirezeptive Neurone, erhalten konvergenten Einstrom von mehreren Afferenzen aus demselben Organ oder aus verschiedenen Organen, z. B. Haut und Muskel, Haut und Viszeralorgane. Diese Organisation ist eine wesentliche Voraussetzung für den übertragenden Schmerz (Schmidt u. Thews 1997). Interneurone im Hinterhorn modulieren die Aktivität dieser multirezeptiven Neurone. Ihre Aktivität kann unter Umständen die Weiterleitung des nozizeptiven Signals reduzieren (Gate-Control-Theorie, Melzack u. Wall 1965).

SchmerzwahrnehmungKortex (5): Die Schmerzimpulse werden über das aufsteigende Bahnsystem zum Kortex weitergeleitet. Wahrnehmung und Verhalten bei Schmerz sind integrative Leistungen des zentralen Nervensystems. Teilaspekte des Schmerzgeschehens lassen sich einzelnen, zentralnervösen Strukturen zuordnen (Zieglgänsberger u. Tölle 1993).

Im Hirnstamm werden die Schmerzinformationen in die Steuerung von Kreislauf und Atmung integriert. Dort finden sich auch absteigende Hemmungssysteme, die an der endogenen Schmerzkontrolle auf Rückenmarksebene mitwirken. Im ZNS sind ständig Hemmungssysteme in Aktion, die die Empfindlichkeit und Reaktionsbereitschaft regulieren. Die Aktivität dieser deszendenten und segmentalen hemmenden Systeme kann durch verschiedene schmerztherapeutische Maßnahmen verstärkt werden. Morphin aktiviert das endogene Hemmungssystem (Zieglgänsberger u. Tölle 1993).

Die endogenen schmerzhemmenden Systeme sind aktivierbar durch elektrische Stimulation (TENS), Morphineinwirkungen, afferente Stimulation (Akupunktur) und psychische Einflüsse (Stress) sowie durch Bewegung (Sport und Gymnastik; Dietrich 2003).

Merke

Schmerzreduktion durch Bewegung stellt ein besonderes Anliegen der orthopädischen Schmerztherapie dar.

Motorische ReaktionMuskel (6): Noxische Reize führen zu motorischen Reflexen mit der Einnahme einer Schonhaltung und Schutzreflexen. Diese Aktionen sind meist primär mit einer Veränderung der Muskelspannung verbunden. Ein Teil dieser Reflexe ist spinal organisiert, andere sind über supraspinale Reflexbögen vermittelt (Schmidt u. Thews 1997).

Die Einnahme einer bestimmten Körperhaltung mit reflektorischer Anspannung bestimmter Muskelgruppen und Entspannung anderer Muskelgruppen stellt einen Schutzmechanismus des muskuloskelettalen Systems dar und soll die Auswirkung von Noxen auf die Nozizeptoren verhindern. Das heißt, es ist im Rahmen der orthopädischen Schmerztherapiebei akuten Schmerzen durchaus sinnvoll, Fehlhaltungen und Muskelspannungen vorübergehend für einige Tage zu belassen, bis der Noxeneinstrom abgebrochen ist und sich die Nozizeptoren wieder beruhigt haben.

Vegetative ReaktionVegetativum (7): Die vegetative Reaktion auf einen noxischen Reiz an Knochen, Muskeln, Sehnen und Gelenken ist in einen spinalen Reflexbogen eingebunden. Noxischer Einstrom hat je nach seinem Ursprung unterschiedliche Wirkungen auf das Vegetativum. Im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane sind es in erster Linie reflektorische Durchblutungssteigerungen oder -minderungen, die u. a. auch durch die parallel verlaufende Muskelkontraktion bzw. -kontraktur verursacht werden. Die physiologische Muskelpumpe wird beeinflusst. Je nach Mitbeteiligung des Vegetativums entstehen auch Temperaturunterschiede der Haut, Feuchtigkeitsunterschiede durch Schweißdrüsenbeeinflussung sowie Empfindungsstörungen.

1.3.2 Vom akuten zum chronischen Schmerz: Sensibilisierung von Nozizeptoren

Wenn Nozizeptoren durch Noxen in bestimmtem Umfang gereizt werden, geben sie ein adäquates Signal bis zur kortikalen Schmerzwahrnehmung weiter, wo eine ebenso adäquate Schmerzverarbeitung und Schmerzreaktion erfolgt. Dieser Ablauf von der Schmerzentstehung bis zur Schmerzwahrnehmung kann an verschiedenen Stellen durch exogene und endogene Einflüsse entkoppelt werden.

Nozizeptoren können z. B. durch exogene Noxen und endogene Entzündungsmediatoren, wie Bradykinin, Histamin, Prostaglandine, Interleukine und andere, so stark und vor allem rezidivierend aktiviert werden, dass sie ihre Reizschwelle herabsetzen und damit sensitiver werden.

Es gibt im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane keine Schmerzadaptation, d. h. man kann sich nicht an Schulter-, Knie- oder Kreuzschmerzen gewöhnen. Schmerzschwellenmessungen weisen eher auf eine Sensibilisierung der Nozizeption bei andauernder Reizeinwirkung hin (Schmidt u. Thews 1997).

Die Sensibilisierung von Nozizeptoren erfolgt z. B. bei Entzündungsprozessen unterschiedlicher Genese, wie Verletzungen, aktivierter Arthrose, Infektionen oder Rheuma. Bei der gleichzeitig stattfindenden zellulären Reaktion von Entzündungsvorgängen kommt es zur Aktivierung von Makrophagen, z. B. durch Lymphokine, die wiederum durch verschiedene Antigen-Stimuli aus T-Lymphozyten freigesetzt werden.

Die Makrophagen bildenProstaglandine, Leukotriene und Zytokine, die die Entzündungsreaktion an andere Zellen (Endothel, Fibroblasten) weitervermitteln (Zimmermann 1991).

Durch Zusammenwirkung von zwei Entzündungsmediatoren, z. B. Prostaglandin, E2 und Bradykinin, entsteht eine Potenzierung der Wirkungen (Mense 1981).

Merke

Sensibilisierte Nozizeptoren der Stütz- und Bewegungsorgane sprechen aufgrund ihrer herabgesetzten Reizschwelle schon auf geringste äußere Einwirkungen wie normale Gelenkbewegungen, Wärme, Kältereize und klimatische Veränderungen an.

Einige Nozizeptoren werden überhaupt erst bei einer Entzündung erregbar (Schmidt u. Thews 1997). Es sind mechanoinsensitive, „stumme“ oder schlafende Nozizeptoren, die erst unter sensibilisierenden Bedingungen, wie einer Entzündung, mechanosensitiv werden (Meßlinger 1997).

Aus den Nozizeptoren werden bei deren Reizung Neuropeptide, wie Substanz P, CGRP (Calcitonin Gene – Related Peptide) und andere vasoaktive Substanzen freigesetzt, u. a. auch NO (Stickoxyd) und Prostaglandine (Zimmermann 1991).

Sensibilisierte Nozizeptoren unterhalten einen Circulus vitiosus im Bereich der nozizeptiven Verarbeitung. Dauersensibilisierte Nozizeptoren bewirken eine andauernde Veränderung der Muskelspannung im Rahmen der Schutzreflexschonhaltung. Die Muskelverspannungen wirken ihrerseits wiederum als endogene Noxe auf die sensibilisierten Nozizeptoren. Dieser Circulus vitiosus ( ▶ Abb. 1.7) bleibt auch dann noch aufrechterhalten, wenn die exogene Noxe keine Rolle mehr spielt.

Abb. 1.7 Circulus vitiosus der Nozizeption: Sensibilisierte Nozizeptoren (2) führen über den spinalen Reflexbogen (3 und 4) zu einer Dauerkontraktion der Muskulatur (6), die ihrerseits über den Muskelspasmus zu einer endogenen Noxe (1a) für den Nozizeptor (2) wird. Dieser Circulus vitiosus kann selbstständig ohne Einwirkung zusätzlicher exogener Noxen (1), ohne Beteiligung höherer Hirngebiete (5) und ohne Vegetativum (7) ablaufen.

Der Ansatz für die orthopädische Schmerztherapie bei diesem Circulus vitiosus betrifft einmal den sensibilisierten Nozizeptor selbst (2), die afferenten Fasern (3) zur Schmerzweiterleitung (4), vornehmlich aber die motorische Reaktion mit Reduktion der Muskelanspannung. Sinnvoll ist es, primär dort einzugreifen, wo der nozizeptive Prozess seinen Anfang nimmt: bei der Noxeneinwirkung und am Nozizeptor, bevor Circulus vitiosus und Chronifizierungsprozess eintreten.

Chronifizierung durch Genaktivierung Die Fähigkeit von Nervenzellen, nach wiederholter Aktivierung effektiver auf den gleichen Reiz zu reagieren, wird heute als wesentlicher Faktor für Gedächtnisbildung angesehen und ist z. B. auch daran beteiligt, dass eine Bewegung gezielter und ökonomischer abläuft, nachdem sie geübt wurde. Wie Nervenzellen sich an schmerzhafte Reize „erinnern“ und entsprechend überschießend reagieren und wie sich diese Vorgänge durch Medikamente verhindern lassen, wurde mit neuropharmakologischen und molekularbiologischen Techniken an Nervenzellen des Rückenmarks untersucht (Tölle et al. 1995, Zieglgänsberger u. Tölle 1993, Hunt et al. 1995, Even 1995 u. a.).

Bedeutung für die Chronifizierung hat die Aktivierung bestimmter Gene. Sie führt u. a. zur Neusynthese von Rezeptoren und Ionenkanälen und zur Stimulation oder Hemmung der Bildung einzelner Neurotransmitter. Aktuelle molekularbiologische Untersuchungen, u. a. von Tölle et al. (1995) und Even (1995) zeigen, dass sog. Protoonkogene (Immediate Early Genes, IEG) durch Schmerzreize zur Expression angeregt werden und die neuronale Erregbarkeit steigern.

Die Schmerzgedächtnisbildung auf neuronaler Ebene entsteht dadurch, dass Nervenzellen auf wiederholte Schmerzreize mit neuronalen Lernvorgängen reagieren. Auf den gleichen, ggf. sogar auf einen geringeren Reiz erfolgt eine immer stärkere Entladungsreaktion der Neurone im Hinterhorn.

Die Schmerzzellen im ZNS reagieren mit erhöhter Entladungsfrequenz. Spezifische Noxen im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane, wie wiederholte Zerrungen, Druck, Läsionen auf Nozizeptoren und Nerven, wirken als Stimuli, die auch den Phänotyp der Neurone ändern können.

Aufgabe der orthopädischen Schmerztherapie ist die Elimination der Noxen durch kausale Therapie wie schmerzfreie Lagerung, Ausschaltung bestimmter Bewegungen und eine Ausschaltung der Nozizeption im peripheren Bereich sowie der Schmerzweiterleitung, um die komplexen Adaptationsvorgänge auf morphologischer, neurophysiologischer und genetischer Ebene zu unterbinden und ggf. wieder rückgängig zu machen.

Merke

Wird der noch nicht chronische Schmerz durch Lokalanästhetika und durch ein schmerzreduzierendes Bewegungsprogramm konsequent ausgeschaltet, kann der Chronifizierungsprozess unterbunden und wieder rückgängig gemacht werden.

Endogene Opioide, die von spontan aktivierten Neuronen des Rückenmarks und Kleinhirns produziert werden, reduzieren die Expression von IE-Genen und hemmen damit die Aktivierung der Nervenzellen durch Schmerzreize und beugen so unter Umständen einer Chronifizierung vor.

1.3.2.1 Neuropathische Schmerzen

Bedeutungsvoll für Erkrankungen mit Nervenwurzelreizerscheinungen und peripheren Nervenkompressionssyndromen ist die Tatsache, dass beschädigte Nervenwurzeln und periphere Nerven spontane Entladungen zeigen, was bei nicht beschädigten Nerven nicht der Fall ist.

Beispiel

Die Beobachtung von Kuslich und Ulstrom (1990) bei Bandscheibenoperationen in Lokalanästhesie ist beispielhaft für neuropathische Schmerzen: Die Berührung der (nozizeptorreichen) Wirbelgelenkkapsel und des hinteren Längsbandes rief ebenso Schmerzen hervor wie die Berührung der durch den Bandscheibenvorfall gereizten Nervenwurzel. Nozizeptorarme Strukturen – wie Lig. flavum, Dura, epidurales Fettgewebe – waren bei Kontakt mit der Pinzette ebenso unempfindlich wie die nicht vorkomprimierte Nervenwurzel der Nachbaretagen.

Nerven werden zum Ausgangspunkt von Schmerzen, ohne dass primär Nozizeptoren im Spiel sind. Nervenfasern, die eigentlich nur für die Weiterleitung von Schmerzempfindungen zuständig sind, senden selbst Schmerzimpulse aus. Die durch pathophysiologische Impulsbildung an nozizeptiven Fasern (nicht an den Nozizeptoren) entstehenden Schmerzen sind durch die Begriffe „Neuralgie“ und „neuralgischer Schmerz“ gekennzeichnet (Schmidt u. Thews 1997) bzw. als „neuropathischer Schmerz“ im Gegensatz zu „nozizeptiven Schmerzen“ ( ▶ Tab. 1.1).

Tab. 1.1

 Unterschiede zwischen Nozizeptor- und neuropathischem Schmerz.

Nozizeptorschmerz

Neuropathischer Schmerz

Eigenschaft schon vorhanden

Eigenschaft entsteht erst

Lokale Schmerzempfindung

projizierte Schmerzempfindung

Einwirkungsort und Schmerzlokalisation identisch

Einwirkungsort und Schmerzlokalisation unterschiedlich

Therapeutische Lokalanästhesie am Schmerzort

therapeutische Lokalanästhesie schmerzfern

Der neuralgische Schmerz im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane unterscheidet sich grundsätzlich von Nozizeptorschmerzen. Die in den Nervenfasern ausgelöste Impulsaktivität wird in das gesamte Versorgungsgebiet des Nervs projiziert, da normalerweise solche Impulse aus den Nozizeptoren dieses Versorgungsgebiets stammen.

Bei der Neuralgie ist der Einwirkungsort der Noxe nicht identisch mit dem Ort der Schmerzempfindung. Beim lumbalen Wurzelsyndrom gibt es beispielsweise Schmerzempfindungen im Bein über den R. ventralis (siehe Kap. ▶ 9).

Die Umfunktionierung von Schmerzleitung zur Schmerzquelle im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane geht langsam vor sich.

Merke

Der Nerv wird zur Quelle der elektrischen Signale. Das ZNS lernt allmählich den Schmerz.

Eine einmalige kurzfristige Kompression bleibt folgenlos. Wiederholte, lang anhaltende Schädigungen führen zum Dauerschmerz. Der Schmerz ist damit nicht ein statisches, sich einfach wiederholendes Ereignis, sondern ein komplexes plastisches Geschehen mit Veränderungen der beteiligten Nervenstrukturen.

Die kurzfristige Berührung der Injektionsnadel mit der Spinalnervenwurzel oder die intraoperative Irritation nicht vorgeschädigter Nervenwurzeln (Kuslich et al. 1991) bleibt folgenlos, bei Dauerirritation entwickeln sich Nervenschmerzen/Neuralgien ( ▶ Abb. 1.8).

Abb. 1.8 Neuropathischer Schmerz, Neuralgie.Die Noxe (1a) wirkt direkt auf den Nerv (3), der zum Ausgangspunkt von Schmerzen wird, ohne dass Nozizeptoren (2) im Spiel sind. Schmerzverteilung (4), Schmerzwahrnehmung (5) sowie motorische (6) und vegetative (7) Reaktionen entsprechen dem Ablauf beim Nozizeptorschmerz: Der Nerv wird zum Nozizeptor.

1.3.3 Sekundäre Schmerzen

Besonderes Augenmerk in der orthopädischen Schmerztherapie gilt den sekundären Schmerzphänomenen, bedingt durch die Primärstörung, unter Umständen aber auch durch die Therapie. Stufenlagerung und Hebeübungen aus der Hocke können z. B. Patellaprobleme auslösen. Ebenso entstehen Insertionstendopathien bei ungewohnten krankengymnastischen Übungen. Sekundäre Schmerzzustände kommen vor allem bei reflektorischen Muskelanspannungen und Fehlhaltungen vor. Die einseitige Beinbelastung bei belastungsabhängigen Schmerzen einer unteren Extremität führt zur Asymmetrie der Beckenstellung mit Irritation und chronischen Schmerzen im Bereich der Kreuz-/Darmbeinfuge sowie in den lumbalen Wirbelgelenkkapseln. Die sekundären Schmerzen können ebenfalls chronifizieren, sich unter Umständen verselbständigen, auch nach Beseitigung der primären Schmerzursache.

1.3.4 Gemischte Schmerzsyndrome

Chronische Schmerzsyndrome der Stütz- und Bewegungsorgane stellen in der Regel eine Kombination von Nozizeptorschmerzen und Neuralgien dar. Typisch sind die gemischt radikulär-pseudoradikulären Zervikal- und Lumbalsyndrome. Neben den dermatombezogenen Neuralgien mit Ausstrahlung in die Extremitäten gibt es (fast) immer lokale Schmerzen im betroffenen Wirbelsäulenabschnitt, ausgehend von Nozizeptoren in den Wirbelgelenkkapseln sowie im dorsalen Anulus fibrosus und im hinteren Längsband. Hinzu kommen sekundäre Schmerzen, zum Teil in anderen Abschnitten der Stütz- und Bewegungsorgane, hervorgerufen durch die Muskelverspannungen und Schmerzfehlhaltungen. Typisch ist die Sekundärsymptomatik der Kreuzbein-Darmbein-Fuge bei Kompressionssyndromen lumbaler Nervenwurzeln ( ▶ Abb. 1.9).

Abb. 1.9 Gemischte Schmerzen: Nozizeptorschmerz (1 und 2), Neuralgie (1a und 3), Sekundärschmerz (1b und 6).

Wesentliche Voraussetzung für eine sinnvolle orthopädische Schmerztherapie ist die Analyse der einzelnen Schmerzkomponenten bei einem lumbalen Wurzelsyndrom, z. B. durch:

klinisch-neurologische Untersuchung des Wurzelsyndroms

manualmedizinische Untersuchung der Kreuzbein-Darmbein-Fuge und der Wirbelgelenke

Analyse der Fehlstatik

Analyse von Emotionen

Der Ansatz für die orthopädische Schmerztherapie ist dann ebenfalls mehrschichtig, z. B. durch:

ad 1: lokale Behandlung der Wurzelkompression mit dekomprimierender Lagerung unter Verwendung orthopädischer Hilfsmittel, lokale Injektionen, allgemeine Maßnahmen

ad 2: Traktion in die schmerzfreie Richtung

ad 3: entlastende Lagerung, Absatzerhöhung, Haltungs- und Verhaltenstraining im Rahmen der Rückenschule

ad 4: Entspannungsübungen, Schmerzbewältigung zur Aktivierung zentraler Schmerzhemmungssysteme, Verringerung der zentralnervösen motorischen Erregung

1.3.5 Chronische Schmerzsyndrome

Wenn sich das Schmerzgeschehen weitgehend von der schmerzauslösenden Ursache losgelöst hat, wird es zum eigenständigen Krankheitsbild – zur Schmerzkrankheit. Das chronische Schmerzsyndrom stellt die Extremform der Chronifizierung dar ( ▶ Abb. 1.10). Das nozizeptive System der Stütz- und Bewegungsorgane ist an verschiedenen Stellen gleichzeitig betroffen und hat zahlreiche Schaltkreise, die sich verselbstständigt haben. Begleiterscheinungen werden vorrangig, die primär schmerzauslösenden Momente treten anscheinend in den Hintergrund. Schmerzwahrnehmung, Schmerzverarbeitung, Schmerzäußerung und die Schmerzweiterleitung werden zu eigenen Schaltkreisen.

Abb. 1.10 Das Spektrum der Schmerzzustände reicht von akut über subakut zu chronisch. Das chronische Schmerzsyndrom als Schmerzkrankheit stellt die Extremform der Chronifizierung dar.

Neben dem üblichen Ablauf Noxe/Nozizeptor/afferente Fasern, Weiterleitung auf Schmerzwahrnehmung, motorische Reaktionen und vegetative Reaktionen gibt es noch Bahnsysteme vom Gehirn (5) direkt zum Nozizeptor (2) bzw. zu den afferenten Fasern (1c; ▶ Abb. 1.11).

Abb. 1.11 Chronische Schmerzsyndrome (Schmerzkrankheit) der Stütz- und Bewegungsorgane. Nozizeptive Schaltkreise der Stütz- und Bewegungsorgane haben sich verselbstständigt, so z. B. zwischen Nozizeptor (2) bzw. afferenten Fasern (3) über die Schmerzverteilung im Rückenmark (4) zum Gehirn (5) und von dort direkt als endogene Noxe (1c) zum Nozizeptor (2) bzw. zu den afferenten Fasern (3). Ein weiterer Kreis bildet sich über den spinalen Reflexbogen zum Muskel und von dort über den Muskelspasmus als endogene Noxe (1b) zum Nozizeptor (2) bzw. zu den afferenten Fasern. Um diese Kreise aufrecht zu erhalten, bedarf es immer noch eines nozizeptiven Inputs aus der Peripherie mit exogener Noxe (1) für die Nozizeptoren (2) oder als Noxe (1a) für die afferenten Fasern (3).

Ferner gibt es eine zentral gesteuerte Ankurbelung des Circulus vitiosus, der Nozizeption über die Stimulierung afferenter Fasern mit Weiterleitung zur motorischen Reaktion über die spinale Schmerzverteilung und Reizung der Nozizeptoren bzw. der neuropathisch veränderten afferenten Fasern.

Lernvorgänge an Nervenzellen spielen bei der Entstehung des chronischen Schmerzsyndroms eine bedeutende Rolle. Bei wiederholtem Schmerzreiz erhöhen Nervenzellen die Zahl ihrer Entladungen und werden schließlich auch spontan tätig (Zieglgänsberger 1986). In der Nervenzelle werden Vorgänge angeregt, die es der Zelle ermöglichen, kurz dauernde synaptische Reizungen, z. B. einen Schmerzreiz, in längerfristige adaptive Veränderungen umzusetzen, um sich so an der Bildung des „Gedächtnisses“ der Nervenzelle zu beteiligen. Wird eine Nervenzelle durch Überträgerstoffe wie L-Glutamat oder Substanz P aktiviert, strömen Kalziumionen über Ionenkanäle in das Zellinnere ein oder werden aus intrazellulären Speichern freigesetzt. Bei lang anhaltenden oder häufig wiederkehrenden Schmerzen verändert sich die gesamte Reaktionsbereitschaft der Nervenzelle. Die verstärkte Neubildung von Rezeptoren und Ionenkanälen ist eine Folge ( ▶ Abb. 1.12).

Abb. 1.12 Lernvorgänge an schmerzverarbeitenden Nervenzellen (Zieglgänsberger u. Tölle 1993).Schmerzimpulse gelangen über afferente Fasern zu den Synapsen am Rückenmark. Dort kommt es zur Freisetzung von L-Glutamat (GLU) und Substanz P (SP). L-Glutamat fördert den Einstrom von Kalziumionen (Ca++) in die Nervenzelle. Substanz P setzt Kalziumionen aus intrazellulären Speichern frei. Mehr Kalziumionen in der Nervenzelle erhöhen deren Erregbarkeit mit verstärkter Weiterleitung zum Gehirn. Je häufiger dies geschieht, umso eher kommt es zu Entladungen der Nervenzelle auf einen Schmerzreiz.

Da die Nervenzelle veranlasst wurde, die Produktion verschiedener Proteine und Peptide zu verändern, dauert es einige Zeit, bis diese Information wieder vergessen werden kann, wenn keine Aktivierung mehr erfolgt (Zieglgänsberger 1986).

Bei Schmerzkrankheiten der Stütz- und Bewegungsorgane ist damit immer ein nozizeptiver Reiz erforderlich, um den Kreislauf der Schmerzkrankheit aufrecht zu erhalten. Der exogene nozizeptive Stimulus ( ▶ Abb. 1.11, 1 und 1a) kann gering sein, löst aber im sensibilisierten Gesamtsystem eine globale Reaktion aus. In diesen Circulus vitiosus greift die orthopädische Schmerztherapie durch folgende Maßnahmen gezielt ein:

Inaktivierung der verselbstständigten Schaltkreise durch entsprechende Medikamente, psychologische Schmerztherapie, physikalische Maßnahmen

Ausschaltung der – wenn auch noch so geringen – exogenen Noxen und der Nozizeption aus der Peripherie

Als therapeutische Maßnahmen kommen in Frage:

Lokalanästhesie

lokale Antiphlogistika

kausale orthopädische Schmerztherapie

Merke

Beim chronischen Schmerzsyndrom der Stütz- und Bewegungsorgane gilt es immer, die somatische Komponente des nozizeptiven Inputs aus der Peripherie mit zu behandeln.

Chronische Schulter-, Nacken-, Rücken- oder Gelenkschmerzen als chronisches Schmerzsyndrom haben immer ein organisches Korrelat, das bei der Schmerzkrankheit jedoch nicht der Größenordnung der vorgegebenen bzw. empfundenen Schmerzen entspricht. Bei dem durch Spontanremission bzw. ärztliche Behandlung minimierten Primärbefund ist auch immer auf die entstandene Sekundärkrankheit mit Muskelverspannungen, Gelenkfehlstellungen und Haltungsänderungen zu achten.

Um ein chronisches Schmerzsyndrom im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane entstehen zu lassen, bedarf es als Ausgangssituation einer chronisch rezidivierenden Reizung der Nozizeptoren (2) oder/und der afferenten Fasern (3; ▶ Abb. 1.11).

Hinzu kommt eine gesteigerte Schmerzwahrnehmung, Verarbeitung und Äußerung im zentralen Nervensystem. Die endogenen Hemmsysteme sind weitgehend ausgeschaltet, d. h. auch minimale Reize physiologischer oder pathologischer Natur aus der Peripherie werden übertrieben wahrgenommen, verarbeitet und rufen eine übertriebene Schmerzäußerung hervor.

Um einen solchen pathologischen Ablauf entstehen zu lassen, bedarf es einer gewissen Disposition, d. h. Habitus, neurale Konstitution und Stoffwechselbedingungen sind an der Entstehung von chronischen Schmerzsyndromen